Welche Aufgaben haben die Kommunisten?

Bald 30 Jahre nach der Annektion der DDR durch die BRD hat sich der Fokus der politischen Diskussion deutlich verschoben. Rufen wir uns in Erinnerung, welch massive Auseinandersetzungen in der politischen Widerstandsbewegung die sogenannte „Wiedervereinigung“ insbesondere in der Antifa-Bewegung hervorgerufen hat. Der Kontrast zur Friedhofsruhe, die heute zu diesem Thema herrscht, könnte größer kaum sein. 

Heute leben noch gut 14 Millionen Menschen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Für sie ist die kapitalistische Übernahme der Volkswirtschaft der DDR, die mit der politischen Annektion verbunden gewesen ist, jedoch keinesfalls vom Tisch. Der historisch einmalige Raubzug des deutschen Imperialismus bestimmt weiterhin die Lebens- und Arbeitsbedingungen und prägt vor Allem ihr Lebensgefühl. 

Die in der politischen Widerstandsbewegung eingetretene Stille zu diesem Thema ist eine Widerspiegelung des gegenseitigen Misstrauens und Unverständnisses, das unter der Bevölkerung von Ost- und Westdeutschland noch heute herrscht.

Für KommunistInnen, die sich das Ziel gesetzt haben, eine Kommunistische Partei aufzubauen und die ArbeiterInnenklasse in Deutschland für den Sozialismus zu gewinnen, sollte das Grund genug sein, sich erneut mit diesem Thema zu beschäftigen. Unserer Meinung nach müssten sich aber auch alle AntifaschistInnen (erneut) die Frage stellen, was in den 90er Jahren in den „fünf neuen Bundesländern“ geschehen ist? Der vom Imperialismus gedeckte Vormarsch der Faschisten, die in ihren regionalen Hochburgen entlang der Ostgrenze Deutschlands dabei sind, eine geschlossene Braunzone aufzubauen, zwingt uns dazu. „No Pasaran” – den Faschismus zu stoppen bedeutet unter den aktuellen Bedingungen, den Kampf um die Köpfe der mehrheitlich rassistisch verhetzten und vielfach nach rechts tendierenden ArbeiterInnen und Werktätigen nicht nur, aber eben auch im Osten Deutschlands aufzunehmen. Auf bürgerlich-demokratischer Grundlage wird das aber nach den massenhaften Erfahrungen unserer „ostdeutschen Klassenbrüder und -schwestern“ mit dem real existierenden Kapitalismus nicht gelingen!

Der vorliegende Artikel wird sich vor allem mit der Entwicklung seit der sogenannten „Wiedervereinigung“ beschäftigen. Wenn es um die Erledigung der oben gestellten Aufgaben geht, dann ist das natürlich nur ein Bruchteil der Arbeit. Eine Analyse der Entwicklungen, die zum Scheitern des sozialistischen Aufbaus in der DDR führten, muss zu einem späteren Zeitpunkt folgen, ebenso wie eine Analyse der vor 1945 liegenden historischen Besonderheiten verschiedener Teile Deutschlands.

Die Annektion der DDR

Mit der Annektion der DDR hat die westdeutsche Bourgeoisie einen weltgeschichtlich beispiellosen Triumph feiern können. Weder zuvor noch danach ist eine eigenständige Volkswirtschaft von ähnlicher Stärke von einer anderen kapitalistischen Macht zerschlagen und derartig kompromisslos den eigenen Interessen untergeordnet worden, ohne dass ein Krieg notwendig gewesen wäre, um diese Entwicklung zu erzwingen. 

Die inneren Widersprüche des „realsozialistischen“ Lagers in Verbindung mit permanenter Zersetzungsarbeit und Propagandafeuer aus Westdeutschland führten zu einer Situation, in der 1989/90 keine Alternative zur Einverleibung der DDR mehr durchsetzbar war. Die Staatsführung der DDR war dazu zu schwach geworden. Ihre politischen Hoffnungen, die sie zum Teil ernsthaft gehabt haben mag und zum Teil propagierte, um einen Teil der DDR-Bevölkerung zu beruhigen, scheiterten infolgedessen. Die Einrichtung der Treuhandgesellschaft zur Verwaltung des staatlichen Eigentums beispielsweise erfolgte noch durch eine DDR-Regierung. Zumindest öffentlich wurde ihr eine ganz andere Rolle zugewiesen als die, die sie letztlich einnahm: Statt als Vollstrecker des Willens der westdeutschen Bourgeoisie galt sie Hans Modrow als Institution, um „den  schrittweisen Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft so zu gestalten, dass die unausbleiblichen tief gehenden strukturellen Veränderungen in der Volkswirtschaft strikt im Interesse der Allgemeinheit erfolgen.“1

Nach der Entmachtung des DDR-Staatsapparates, bei der nur teilweise oder zeitweise alte Beamte in den Apparat der BRD übernommen wurden, lag also die DDR-Wirtschaft offen vor der westdeutschen Bourgeoisie. Wie sollte sie daran herangehen? Klaus Steinitz, in den letzten Jahren der DDR führender Ökonom und danach Teil der Führung der „Partei des demokratischen Sozialismus“ (PDS), nennt in einem sehr lesenswerten Artikel aus dem Jahr 2011 drei Motive, die das Vorgehen der Treuhandgesellschaft unter dem Kommando der BRD im wesentlichen bestimmt hätten: Erstens, die Absatzmärkte sowohl auf dem Gebiet der DDR selbst als auch die Marktanteile der DDR in Osteuropa und Asien zu erobern. Zweitens, zu verhindern, dass Konkurrenz zu den westdeutschen Monopolen entstehen könnte. Drittens, den westdeutschen Monopolen großzügig Gelegenheit zu geben, sich an dem auf dem Gebiet der DDR vorhandenen Kapital zu bereichern.2 Diese Einschätzung halten wir für zutreffend, jedoch muss nach unserer Meinung ein viertes Motiv ergänzt werden: Die Ersparnisse der damals gut 16 Millionen Bürger der DDR als Kapital für die Bourgeoisie der BRD zu mobilisieren. Wie die Wiedervereinigung in dieser Hinsicht ablief, soll hier kurz dargestellt werden.

Übernahme der Absatzmärkte

Erstens ging es darum, einen möglichst großen Teil des ostdeutschen Absatzmarktes und zugleich des osteuropäischen Marktes zu übernehmen, ohne lange Transportwege zu benötigen. Ausdruck hierfür war, dass die westdeutschen Käufer weniger an den leistungsfähigen Exportunternehmen des Maschinenbaus mit einem relativ geringen Produktivitätsrückstand, wie z.B. Werkzeugmaschinenkombinat Fritz-Heckert in Chemnitz, interessiert waren als an Unternehmen der Lebensmittel- und Verbrauchswarenindustrie, die oft stark veraltete Anlagen und überdurchschnittliche Produktivitätsrückstände aufwiesen, aber einen guten Namen hatten und vorwiegend für den regionalen Markt bestimmte Erzeugnisse produzierten. So wurden als Erstes 1990 solche Betriebe von westdeutschen Interessenten gekauft wie die Zuckerfabriken der DDR (Südzucker AG, Zuckerverband Nord AG u.a.), die VEB Dresdner Zigarettenfabriken, die die „f6“ herstellten (Zigarettenhersteller Phillip Morris München), Genthiner Waschmittelwerk, wo das Waschmittel Spee hergestellt wurde (Firma Henkel).“3

Das westdeutsche Kapital beeilte sich nicht nur, sich die Handelsketten anzueignen, sondern ebenso, das Stromnetz in Beschlag zu nehmen. Im August 1990 kauften RWE, PreussenElektra AG und Bayernwerk AG (die letzten beiden bilden heute Teile von E.ON) bei der Treuhand das zentrale „Energieverbundnetz der noch existierenden DDR“.4

In einem anderen Artikel gibt derselbe Autor Zahlen zur Entwicklung des Außenhandels an. Mit einem Exportvolumen von ca. 30 Milliarden DM war die DDR 1990 etwa gleichauf mit dem Wert der Waren, die aus der BRD nach Osteuropa exportiert wurden. Nach der Annektion der DDR brachen die Exporte aus Ostdeutschland ein und die aus Westdeutschland stiegen an. 1995 gingen aus „dem Westen“ Exporte im Wert von 56 Milliarden DM, aus „dem Osten“ nur noch im Wert von 5 Milliarden DM nach Osteuropa.5

Keine Konkurrenz entstehen lassen

Die Angliederung der ostdeutschen Wirtschaft war vor allem ein Prozess der Neuverteilung des Vermögens und der Märkte sowie der Abwicklung der ehemals volkseigenen Betriebe im Interesse der westdeutschen Konzerne. Die Treuhand hat rund 85% des von ihr verwalteten produktiven, ehemals volkseigenen Vermögens der DDR in den Besitz westdeutscher Unternehmen überführt.“6

Eine andere Quelle bestätigt diese Zahl und gibt außerdem an, dass ausländische Investoren sich weitere 9% des vorhandenen Kapitals aneignen konnten. Nur 6% entfielen auf „Ostdeutsche“-Bewerber.7 Versuche von Betriebsdirektoren, die von ihnen zuvor geleiteten Betriebe zu übernehmen, wurden meist abgelehnt und ihnen wurden die dazu notwendigen Kredite in der Regel nicht zur Verfügung gestellt.8 Dieses Vorgehen prägt die ökonomische Struktur Ostdeutschlands noch heute, wie wir weiter unten sehen werden. Wo Produktionsstätten nicht einfach stillgelegt wurden, wurden sie in Anhängsel der Konzernzentralen in Westdeutschland verwandelt. 

Aneignung der Ersparnisse der Bevölkerung

Eine der Funktionen von Banken und insbesondere Versicherungen im Kapitalismus ist es, Ersparnisse der Bevölkerung in Kapital zu verwandeln. Dementsprechend war auch hier die Treuhandgesellschaft sehr bemüht, schnell mit westdeutschen Konzernen handelseinig zu werden, um dieses Potenzial auszunutzen. 

Das gesamte Geld- und Kreditwesen sowie die Versicherung der DDR wurde von den westdeutschen Banken und Versicherungskonzernen übernommen. Ein dichtes Netz von Filialen wurde in einem rasanten Tempo und mit beträchtlichen Mitteln aufgebaut und erweitert.“9

Geschenke an westdeutsche Konzerne

Zu dem in Treuhandregie zu privatisierenden Vermögen gehörten 8.500 Kombinate und Betriebe, deren Anzahl sich durch Aufteilungen auf 12.000 erhöhte, rund 20.000 große und kleine Einzelhandelsgeschäfte, rund 7.500 Betriebe der Gastronomie, rund 9.000 Buchläden, 1.854 Apotheken, 3,68 Millionen Hektar land- und forstwirtschaftliche Flächen und 25 Milliarden Quadratmeter Immobilien.“10

Der Gesamtwert dieses Kapitals, das die Treuhand zu verwalten hatte, wurde auf 600 Milliarden DM geschätzt. Bei ihrer Auflösung wies ihre Bilanz jedoch ein Minus von 256 Milliarden DM auf.11 Machen wir uns bewusst, dass es hierbei nicht um trockene Buchhaltung mit großen Zahlen geht. Real organisierte die Treuhand den erfolgreichsten imperialistischen Raubzug aller Zeiten mit satten 850 Milliarden DM als fette Beute für die kapitalistischen Eroberer. Wie konnte das passieren? All diese Betriebe wurden fast ausschließlich zu symbolischen Preisen verkauft, und zwar wie oben geschrieben zumeist an westdeutsche Konzerne. Einige der so aufgekauften Betriebe wurden nach oben benannten Kriterien in die nunmehr gesamtdeutsche Ökonomie eingeordnet. Andere wurden jedoch geschlossen, das in ihnen fixierte Kapital wurde verkauft. 

Auch erhielten aufgekaufte Betriebe Anschubfinanzierungen im großen Stil aus EU-Fördermitteln. Ihr Gesamtvolumen betrug weitere 264 Milliarden DM. Auch hiervon ist ein großer Teil veruntreut oder ganz legal zum Stopfen von Löchern im Budget der neuen Mutterkonzerne genutzt worden.12Klaus Blessing gibt für die damals grassierende Korruption mehrere Beispiele, von denen wir hier eines zitieren: „Der Treuhanddirektor der Niederlassung Halle, Wilfried Glock, einst Gebrauchtwagenhändler, wurde 1995 vom Landgericht Stuttgart zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Er hatte sich von dem Ex-Chef der Göppinger Bellino-Werke, Wolfgang Greiner, mit mehr als 5 Millionen DM bestechen lassen. Als Gegenleistung durfte Greiner mit Glocks Segen 23 Firmen und Grundstücke aus dem Vermögen der Treuhandanstalt erwerben und ausbeuten. Greiner fälsche eine Auszahlungsmitteilung und zweigte zwei Millionen DM auf sein Privatkonto ab. Dreimal missbrauchte er seine Zugriffsmöglichkeit auf die erworbenen Unternehmen, um insgesamt 20 Millionen DM zur Sanierung seiner inzwischen notleidenden Firma Bellino zu verwenden.“13

Dies sind nur einige Methoden, die sowohl Unternehmer als auch Manager und Unternehmensberater nutzten, um sich an der Annektion der DDR zu bereichern. Hinzu kommen zum Beispiel offene Kredite in Milliardenhöhe14, die westdeutsche Banken zusammen mit den ostdeutschen Bankhäusern oft zu Spottpreisen übernahmen. Die BRD verbürgte sich für diese Kredite und zahlte, wenn die Gläubiger zahlungsunfähig wurden, die Kredite aus Steuergeldern zurück.

Die dadurch notwendigerweise explodierende Staatsverschuldung des „wiedervereinigten“ Deutschlands wurde an die ArbeiterInnenklasse durchgereicht. Gesamtdeutsch über den Solidaritätszuschlag auf die Lohnsteuer, der eben nicht von den „Wessis“ an die „Ossis“ fließt, sondern von den ArbeiterInnen an die Kapitalisten gezahlt wird. Weniger bekannt, aber für die konkreten Lebensbedingungen im Osten bis heute sehr zentral ist der folgende Dreh: In der Planwirtschaft der DDR entstanden in den Kommunen planmäßig als Rechnungsgrößen Schulden für notwendige Ausgaben, die der Bevölkerung zugute kamen, aber keine bzw. keine kostendeckenden Einnahmen erwirtschafteten. Diese rechnerischen Verluste wurden in der DDR aus dem Staatshaushalt nach Plan ausgeglichen. Mit dem Einheitsvertrag wurden diese Rechengrößen über Nacht zu echten Schulden der ostdeutschen Kommunen. Sie werden von der Bevölkerung, d.h. den ArbeiterInnen und Werktätigen, in einer Art Schuldknechtschaft seit Jahrzehnten „zurückgezahlt“. Dies geschieht in Form von verfallener Infrastruktur abseits der schmucken Innenstädte, ausgedünnten staatlichen Dienstleistungen, neuen Gebühren (z.B. für Kinderbetreuung in Kitas), steigenden Mieten in den Plattenbauten, die oft noch kommunalen Wohngesellschaften gehören usw.   

Der Kapitalismus muss tun,
was der Kapitalismus tun muss!

Das Ergebnis dieses Vorgehens war ein sowohl für die Wirtschaft, als auch für die Menschen in Ostdeutschland sehr einschneidender Prozess. Der Absturz in der Wirtschaftsleistung und im Lebensstandard war in der ersten Hälfte der 90er Jahre am krassesten, seine Auswirkungen halten jedoch bis heute an. Diverse Autoren, die mit der DDR sympathisierten oder einfach nur von der Entwicklung schockiert sind, stehen ratlos vor diesem Prozess. Sie empören sich darüber, dass der „Westen“ eine jahrelang einigermaßen eigenständige Volkswirtschaft einfach platt gemacht habe. Sie führen Beispiele dafür an, dass es zahlreiche Betriebe gab, deren Exportgüter in die ganze Welt geliefert worden sind. Sie führen an, dass dieser Export ja wohl weiterhin möglich gewesen wäre. Das Problem an dieser Argumentation ist, dass sie betriebswirtschaftlich herangeht und nicht volkswirtschaftlich und bürgerlich statt marxistisch. 

Als MarxistInnen müssen wir das Kapital so sehen, wie es heute im Imperialismus funktioniert: Reichtum in den Händen einer gesellschaftlichen Minderheit, der in Bewegung gesetzt wird, um Maximalprofit zu erwirtschaften. Es ist deswegen nicht entscheidend, was aus betriebswirtschaftlicher Sicht vorstellbar oder sinnvoll gewesen wäre, und auch nicht, was jahrzehntelang in der DDR funktioniert haben mag. Denn die DDR wurde beseitigt und der BRD eingegliedert. Ab diesem Moment ist hauptsächlich entscheidend gewesen, was den Interessen der herrschenden Klasse der BRD dient. 

Wenn wir uns vor diesem Hintergrund das oben geschilderte Vorgehen ansehen, dann bleibt kein Platz für moralische Empörung. Wir müssen stattdessen anerkennen, dass die Annektion der DDR ein großer Coup für die westdeutsche Bourgeoisie war und sie vollkommen rational gehandelt hat. Die Jahre der Wiedervereinigung und danach waren weltweit und insgesamt in Europa von einer zyklischen Überproduktionskrise geprägt. Die westdeutsche Bourgeoisie brauchte Absatzmärkte und Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital wie jede imperialistische Bourgeoisie. Das ist, was sie sich in Ostdeutschland geschaffen hat. Was sie sicherlich nicht brauchte, waren eigenständige ostdeutsche Industrieunternehmen, die ihr auf einem ohnehin vollen Markt Konkurrenz machen würden, und offenbar hatte sie auch keinen Bedarf daran, die Produktion mit vergleichsweise veralteter Technologie fortzuführen. 

Auch die durch staatliche Subventionen ermöglichten Baumaßnahmen und Modernisierungen der Infrastruktur folgen diesem Muster. Sie schufen einen großen Absatzmarkt für die westdeutsche Bauwirtschaft und zugleich die Voraussetzungen für die weitere ökonomische Expansion der BRD Richtung Osteuropa.

Formulierungen wie „der Westen hat uns hier platt gemacht“ entsprechen zwar definitiv dem Lebensgefühl großer Teile der ArbeiterInnenklasse in Ostdeutschland, sie führen aber an der Hauptsache vorbei: Nämlich, dass es der BRD-Imperialismus war, der die Ökonomie in Ostdeutschland seinen Interessen entsprechend umgebaut und dabei „platt gemacht hat“. Die moralische Empörung vieler KommentatorInnen mit marxistischem Anspruch über das brutale Vorgehen ist politisch gesehen reformistisch. Sich so zu positionieren bedeutet ja letztlich nur, im Nachhinein einzufordern, dass der Kapitalismus anders, weniger rücksichtslos, weniger brutal, eben weniger „kapitalistisch“ hätte vorgehen sollen!

Der wiederaufgenommene Kampf des deutschen Imperialismus darum, eine Großmacht zu werden, hat mit der Annektion der DDR seinen Anfang genommen. Die eigene Machtbasis wurde bereits damit massiv erweitert und die angewandten Formen (Währungsunion, Durchsetzung der Vormacht deutscher Industrie, Nutzung der kontrollierten Wirtschaftsräume als Absatzmärkte und Zulieferer) fanden danach sowohl auf dem Balkan (nach der Zerschlagung Jugoslawiens) und in der EU wieder Anwendung.

Blühende Landschaften
und reale De-Industrialisierung

Die Übernahme der Volkswirtschaft der DDR brachte also einschneidende Änderungen in den Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Mensehen im Osten Deutschlands mit sich. Wir wollen die ökonomischen und sozialen Folgen jetzt etwas genauer betrachten. Dazu gehört auch, die Frage nach der zukünftigen ökonomischen Entwicklung objektiv zu untersuchen, statt einfach historische Trends der De-Industrialisierung der 1990er Jahre linear in die Zukunft fortzuschreiben. 

Ökonomische Folgen der Annektion

Klaus Steinitz hat die Folgen der DDR-Annektion für die Jahre 1996/97 sehr plastisch gemacht.

Der Osten Deutschlands wies im Verhältnis zu seiner Bevölkerung überproportional viele Arbeitslose auf und konnte ansonsten nur im Bereich der Landwirtschaft mit den alten Bundesländern mithalten. Demgegenüber stand ein extrem krasser Rückstand in Hinblick auf Industrie, Forschung und Export auf den gesamtdeutschen Durchschnitt. Seitdem ist die Entwicklung jedoch weiter gegangen und muss von uns KommunistInnen untersucht werden. 

Zunächst muss festgehalten werden, dass Ostdeutschland weiterhin gegenüber dem meisten anderen Teilen Deutschlands industriell unterentwickelt ist. 

Die schematische Darstellung der größten Industriestandorte in Deutschland (15, S.43) zeigt erstens ein massives Übergewicht der „alten Bundesländer“ gegenüber den „neuen“ und zweitens, dass bestimmte zentrale Branchen wie der Maschinenbau fast gar nicht im Osten anzutreffen sind.

Die Standorte der Konzernzentralen aller DAX-Konzerne zeigen ein noch deutlicheres Ungleichgewicht zugunsten des Westens. „Von den größten und bedeutendsten Aktiengesellschaften des Standortes Deutschland haben exakt sieben ihren Firmensitz in den Neuen Bundesländern: zwei in Jena und fünf in Berlin. In den anderen ostdeutschen Bundesländern befindet sich kein einziger Hauptsitz.“16

Diese Verlagerung der Konzernzentralen in den Westen erklärt auch den massiven Rückgang der Beschäftigtenzahl in der Industrieforschung von 75.000 (1989) auf ca. 12.000 (1994) in Ostdeutschland im Zuge der Annektion der DDR.17 Ein Ungleichgewicht in den Investitionen in sogenannte FuE (Forschung und Entwicklung) besteht bis heute.18

Klaus Steinitz fasste diese Situation 1998 wie folgt zusammen: „Ein spezifisches Merkmal der Wirtschaft der neuen Bundesländer besteht darin, dass sich eine recht eigentümliche Art von Unternehmensstrukturen herausgebildet hat. Die ostdeutsche Wirtschaft befindet sich zu einem großen Teil in der Hand des westdeutschen Kapitals und muß als eine in wesentlichen Zügen von westdeutschen Konzernen und von Transferzahlungen abhängige Dependenzökonomie charakterisiert werden. Die Produktion ist größtenteils wenig forschungsintensiv und in nur wenigen Fällen Grundlage für die Herausbildung vernetzter regionaler Strukturen. Der hohe Anteil der Produktion als verlängerte Werkbänke westdeutscher Unternehmen führt auch zur Verringerung des Steueraufkommens der neuen Bundesländer und der ostdeutschen Kommunen. Der Anteil der neuen Bundesländer am Gewerbesteueraufkommen Deutschlands ist weit geringer als ihr Anteil an der Produktion.“19 Wir halten Steinitz‘ Bewertung als „verlängerte Werkbänke“ der großen deutschen Monopole (nicht „westdeutscher Unternehmen“) für zutreffend; auch die heutige Situation in Ostdeutschland kann so charakterisiert werden.

Der weiterbestehenden Konzentration der industriellen Zentren im Westen Deutschlands entspricht auch eine durchschnittlich geringere Betriebsgröße in Ostdeutschland. In Betrieben mit mehr als 1000 Beschäftigten waren im verarbeitenden Gewerbe im Jahr 2015 in Westdeutschland 27,3 % der Beschäftigten tätig, dem stehen 11,5% im Osten20 gegenüber.21

Die industrielle Unterentwicklung Ostdeutschlands kommt auch darin zum Ausdruck, dass die jährlichen Investitionen pro Einwohner im verarbeitenden Gewerbe – unterbrochen durch die Krisen 2001 und 2008 – von 1995 bis 2013 in Ostdeutschland von etwas unter 600€ auf ca. 800€ geklettert sind. Während sie in Westdeutschland von ca. 900€ (1995) auf knapp 1.400 € (2013) gestiegen sind.22In dieser Hinsicht kann also auf Grundlage der hochoffiziellen Zahlen der Bundesregierung selbst von einer Angleichung Ostdeutschlands an das wirtschaftliche Entwicklungsniveau des Westens keine Rede sein.

Die mit 35% deutlich geringere Exportquote ostdeutscher Betriebe im verarbeitenden Gewerbe gegenüber 50% in Westdeutschland23 bringt zum Ausdruck, dass in Ostdeutschland mehr kleine Unternehmen sitzen, die für den regionalen Markt produzieren. Sie zeigt auch, dass ein bedeutender Teil der ostdeutschen Industrie von Zulieferbetrieben für die Produktionsstätten im Westen gestellt wird. 

Zuletzt eine auch für das Bewusstsein der Massen in Ostdeutschland sehr prägende Zahl: Die Arbeitslosigkeit. Steinitz gibt sie 1996 wie folgt an: „Heute besteht in Ostdeutschland ein reales Defizit von über 3 Millionen Arbeitsplätzen. Die Arbeitslosenquote auf Basis der registrierten Erwerbslosen liegt Anfang 1998 bei 20%, einschließlich der verdeckten Arbeitslosen bei fast 30%.“24

Hierzu ist zunächst zu sagen, dass die offizielle Arbeitslosenquote von 1996 bis etwa 2006 zwischen 17 und 20 % geschwankt hat und damit praktisch durchgängig etwa doppelt so hoch wie „im Westen“ lag. Auch mit den frisierten Berechnungsmethoden nach den Hartz-IV-Reformen liegt Ostdeutschland im Jahr 2013 mit 9,7% noch immer deutlich über dem Westen mit 5,7%.25

Am Ende dieses Abschnitts muss erwähnt werden, dass Ostdeutschland nicht gleich Ostdeutschland ist. Bereits im 19. Jahrhundert ließen sich sehr deutliche Unterschiede in dieser Region selbst ausmachen. So gehörten Sachsen und Thüringen historisch zu den industriell bedeutsamsten Regionen, während in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern auch damals keine starke Industrie anzutreffen war. Die Geschichte scheint sich hier zu wiederholen, und dem am dünnsten besiedelten Bundesland Mecklenburg-Vorpommern stehen Teile Sachsens und Thüringens gegenüber, die sich wirtschaftlich und sogar industriell durchaus dynamisch entwickeln.

Wohin weist die ökonomische Entwicklung?

Als MarxistInnen müssen wir uns natürlich die Frage stellen, wohin die Entwicklung im Osten Deutschlands weist. Sind die massiven ökonomischen Einbrüche ein für den deutschen Imperialismus notwendiger Schritt gewesen, um nun die „Wiedervereinigung“ auch ökonomisch abzuschließen, eine neue Industrie in Ostdeutschland aufzubauen und die bestehenden massiven Ungleichheiten letztlich zu beseitigen?

Zunächst muss eingeräumt werden, dass der Prozess der gezielten Deindustrialisierung des Ostens sich nicht ewig fortsetzte, sondern mittlerweile auch tatsächlich wieder Industriekapital nach Ostdeutschland fließt. Bedeutsam sind dabei die Chemieindustrie und einige Standorte in der Automobilindustrie. Außerdem stellt der „Industrieatlas Ostdeutschland“ von der Uni Rostock fest: „Die forschungsintensiven, innovativen Branchen zeigen im Trend der letzten Jahre ein überdurchschnittliches Wachstum und sind damit Aufsteiger der gewerblichen Wirtschaft. Darüber hinaus gehört auch die Versorgung mit Energie und Wasser zu den Wachstumstreibern.“26

In der Tat sind verschiedene sich ökonomisch entwickelnde Regionen Ostdeutschlands wie z.B. das sogenannte „Saxony Valley“ vor allem für Branchen wie IT, Nanotechnologie, Solarindustrie oder Biotechnologie bekannt. Wie ist das zu erklären? Zwar können große Produktionsstandorte in traditionellen Branchen im Westen von den Kapitalisten trotz z.B. geringerer Lohnkosten in Ostdeutschland nicht ohne weiteres umgesiedelt werden, da sehr viel fixes Kapital in ihnen steckt, das sich noch in Jahren und Jahrzehnten amortisieren muss. Anders sieht es aber aus, wenn aufgrund von Sprüngen in der Produktivkraftentwicklung ohnehin neue Produktionsstandorte aufgebaut werden müssen: Warum dann also kein „Saxony Valley“ im Osten schaffen? 

In der Gesamtschau müssen wir dennoch davon ausgehen, dass die industrielle Unterentwicklung Ostdeutschlands auf Sicht von Jahrzehnten bestehen bleiben wird. 

Soziale Folgen

Wie so oft müssen wir an dieser Stelle vorweg schicken, dass unsere Kanäle und unsere Verankerung in den Massen noch zu gering und zufällig sind, um aus unseren Eindrücken zu belastbaren und allseitigen Schlussfolgerungen zu kommen. Jedoch lässt sich feststellen, dass die oben skizzierten und mit kalten Zahlen dargestellten Prozesse tiefe Spuren im Bewusstsein der Menschen in Ostdeutschland hinterlassen haben. 

Im Jahr 1998 stellt Steinitz hierzu fest: „Die Hoffnung der ersten Zeit nach der Wende ist bei großen Teilen der ostdeutschen Bevölkerung der Unsicherheit und Furcht vor der Zukunft gewichen. Hoffnungslosigkeit, wieder einen vollwertigen Arbeitsplatz zu erhalten bei den Erwerbslosen und Angst um den Arbeitsplatz bei den im Erwerbsleben Stehenden bestimmen zunehmend das Lebensgefühl von vielen Millionen Menschen in Ostdeutschland.“27

Das Kapital wurde aus dem Osten in den Westen gezogen und im Kapitalismus muss die Arbeitskraft dem Kapital folgen. Von 1989 bis 2008 zogen 4,1 Millionen Menschen aus dem Osten Deutschlands in den Westen. Zu beachten ist allerdings, dass rund zwei Millionen Personen, viele von ihnen ursprünglich „Ostdeutsche“, wieder zurück nach Ostdeutschland zogen, da auch das kapitalistische Westdeutschland nicht hielt, was verheißen worden war. Blessing stellt dabei heraus, dass die typischen Auswanderer jung und hoch qualifiziert waren, da sich gerade für sie wenig Perspektiven in den neuen Bundesländern boten.28 Man muss hier also von einer Form des Brain Drain (= Abzug von qualifizierter Arbeitskraft in die imperialistischen Zentren) sprechen. 

Lassen wir Ostberlin außer Acht,29 so hat sich die Einwohnerzahl der neuen Bundesländer von 15,1 Millionen (1989) auf 12,5 Millionen (2015) reduziert.

Um die Auswirkungen dieser massiven Bevölkerungseinbußen zu verdeutlichen führen wir folgende Tabelle an, die die Bevölkerungsentwicklung in diversen wichtigen ostdeutschen Städten von 1989 bis 2010 aufzeigt: 

Führen wir uns vor Augen, dass in Städten wie Chemnitz, Halle, Magdeburg, Rostock oder Cottbus heute mindestens ein Fünftel Personen weniger als noch 1989 leben, wird deutlich, wie einschneidend der Wegzug einige Städte und Regionen verändert hat. Es ist kein großes Wunder, dass die Menschen unter diesen Umständen das Gefühl haben, in einer „sterbenden Region“ zu leben. 

Hinzuzufügen ist, dass ein beträchtlicher Teil der Menschen, die in Ostdeutschland leben, als Pendler in den alten Bundesländern arbeiten oder sogar teilweise die ganze Woche an einem Zweitwohnsitz in der Nähe ihrer westdeutschen Arbeitsstelle verbringen. Ebenfalls verbreitet ist die Ausbeutung von ostdeutschen LeiharbeiterInnen im „Westen“.

In unserer praktischen Arbeit konnten wir bisher nicht viel mehr als einige Eindrücke vom Lebensgefühl der Menschen gewinnen und diese sind sicherlich nicht repräsentativ für ganz Ostdeutschland. Unsere Eindrücke stammen hauptsächlich aus einer der oben genannten Städte, die in den letzten 30 Jahren massiv an Wirtschaftskraft und Bevölkerung verloren haben.

Wir können daher zum Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse, das aus dem geschilderten Prozess hervorgeht, und den sich daraus ergebenden Aufgaben der KommunistInnen vorerst nur einige Hypothesen aufstellen.

Die Aufgabe der KommunistInnen

Zunächst könnte die Frage aufgeworfen werden, ob wir die Besonderheiten Ostdeutschlands mit herkömmlichen marxistischen Kategorien begreifen können. 

Zum Beispiel, ob es sich um eine ungelöste nationale Frage handelt und die Ostdeutschen „als Nation unterdrückt“ werden. Unserer Ansicht nach lässt sich diese Frage mit Nein beantworten. 

Historisch ist die nationale Frage als Problem der entstehenden Bourgeoisie entstanden, die eine Nation und einen Nationalstaat benötigte, um sich ökonomisch zu entwickeln und ihren eigenen Binnenmarkt zu sichern. Auf ökonomischer Ebene ist aber die Annektion der DDR viel zu konsequent von den Monopolen der BRD durchgeführt worden, als dass sich eine eigene ostdeutsche Bourgeoisie mit besonderen Interessen in nennenswerter Stärke hätte behaupten können. Wo Betriebsdirektoren und sonstige staatliche Kader den Sprung zum Unternehmer im vereinigten Deutschland geschafft haben, bleibt ihre Bedeutung regional. 

Weiterhin müsste schon bewiesen werden, worin hier konkret eine nationale Unterdrückung besteht.  

Die Möglichkeit, dass sich Ostdeutschland beziehungsweise die DDR zu einer eigenen Nation entwickelt, hätte nur bestanden, wenn sich dort ein erfolgreicher dauerhafter sozialistischer Aufbau vollzogen hätte.

Feststellbar ist jedoch, dass sich dennoch ein gewisser „ostdeutscher Patriotismus“ herausgebildet hat, in dem sich DDR-Nostalgie und eine trotzige Distanz zu den sogenannten „Wessis“ vermischen. 

Anders sieht es aus, wenn sich Bewohner der alten Bundesländer, die sonst keine Verbindung zu Ostdeutschland haben, überhaupt für dieses Thema interessieren. Ganz klar ist immer noch der Chauvinismus gegenüber dem Osten zu spüren, der für die BRD erst eine ideologische Waffe gegen die DDR dargestellt hat und später zur Rechtfertigung des Vorgehens bei ihrer Annektion und ökonomischen Einverleibung diente. Der ehemaligen DDR und ihren Einwohnern haftet immer noch der Ruf an, faul, unproduktiv und obrigkeitshörig zu sein und sich außerdem aus den alten Bundesländern finanzieren zu lassen. Dabei war es genau umgekehrt: Dass nämlich von den ArbeiterInnen der DDR geschaffener Wert, der sich mit hunderten Milliarden DM beziffern lässt, bei der Annektion an westdeutsche Monopole transferiert wurde, ist dagegen kein Allgemeingut! Ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Transferzahlungen von West nach Ost nur als eine Maßnahme einzuschätzen sind, um den vollkommenen ökonomischen Kollaps und den geschlossenen Absturz in die Armut von Millionen von damals frischgebackenen „Bundesbürgern“ zu verhindern. Die Salamitaktik einer zeitlich gestreckten und über staatliche Transferzahlungen abgemilderten Deindustrialisierung folgt dabei Konzepten und Erfahrungen, wie sie der deutsche Imperialismus schon seit den 1960er Jahren bei der Abwicklung der Kohle- und Stahlindustrie angewandt hat. 

Der ideologischen Spaltung in „Ost“ und „West“ müssen wir KommunistInnen entgegentreten. Große Teile der neuen Bundesländer gehören zu den ärmsten Regionen Deutschlands. Jedoch muss hervorgehoben werden, dass sie nicht die einzigen sind, die besonders unter der Herrschaft des Imperialismus leiden. Auch andere Regionen Deutschlands büßen ihre vorherige ökonomische Bedeutung insbesondere im Bereich der Industrie ein und haben ebenfalls entsprechende soziale Folgen zu tragen. Beispielhaft wäre das Ruhrgebiet zu nennen.30

Zweitens bleibt es natürlich eine Tatsache, dass die Löhne in Ostdeutschland deutlich unter den Löhnen in den alten Bundesländern liegen. Jedoch ergeben Untersuchungen, die das unterschiedliche Preisniveau (Lebensmittel, Miete etc.) einbeziehen, ein etwas anderes Bild. Dann erscheinen zwar auch Städte wie Berlin, Leipzig und auch ganze Landstriche in Mecklenburg-Vorpommern als Orte, an denen sich die Armut ballt, ebenso aber Bremen, große Teile des Ruhrgebiets und sogar Köln.31 Diese Tatsachen müssen gerade in Ostdeutschland bekannt gemacht werden, um die letzten Überreste von Illusionen in den reichen „kapitalistischen Westen“ zu zertrümmern. 

Andererseits gibt es natürlich spezifische Bedingungen, die berücksichtigt werden müssen: Es stimmt leider, dass die faschistische Massenarbeit in vielen Teilen dieser Region sehr entwickelt ist und schon seit den Zeiten der DDR (als sie noch als Mittel zur Destabilisierung eines aus Sicht der BRD feindlichen Staates galt) auf die Unterstützung des deutschen Staatsapparats zählen kann. Konkret wurden faschistische Kader aus den DDR-Gefängnissen freigekauft und pünktlich 1989 wieder in den Osten Deutschlands geschickt, um sich in Hoyerswerda, Rostock und Dresden ans Werk zu machen. Den Erfolg dieser langfristigen Massenarbeit sehen wir heute in der Tagesschau. 

Zu betonen ist dabei die strategische Bedeutung einer ganzen Region, in der faschistische Strukturen die soziale und politische Hegemonie erobern. Sie würde im revolutionären Klassenkrieg der deutschen Bourgeoisie als ständige Quelle von Nachschub dienen. Diese Entwicklung ist letztlich schon im Gange. Beispielsweise wird gerade aufgrund der für die ArbeiterInnenklasse perspektivlosen Lage ein wachsender Anteil der Bundeswehr in den neuen Bundesländern rekrutiert. Schon im Jahr 2010 wird der Anteil von Ostdeutschen mit 62% angegeben.32Der antifaschistische Kampf wird somit auf absehbare Zeit von hoher Bedeutung in Ostdeutschland sein. 

Der von unserer Organisation entwickelten Strategie des proletarischen Antifaschismus33 folgend, stellt sich hierbei natürlich die Frage nach den vom Faschismus Betroffenen, auf die sich der Kampf stützen soll. Die vom Imperialismus hervorgerufenen Migrationsströme erreichen auch Ostdeutschland und vielerorts sind sie das Einzige, was dem anhaltenden Sinken der Einwohnerzahlen effektiv entgegenwirkt. Ihrer Heimat beraubt, sind die Flüchtlinge in einer Situation, in der sich ihnen nicht viele Alternativen zum Verbleib am zugewiesenen Ort bieten. Sie sind also wohl oder übel durch den deutschen Staat dem Rassismus und zum Teil auch dem Terror durch die chauvinistisch aufgehetzte deutsche Bevölkerung ausgesetzt. Die bekannt gewordenen Bilder von durch Anwohner verängstigten Flüchtlingen, die von sächsischen Polizisten aus dem Bus gezogen werden, sind zu einem Symbol für diese Tatsache geworden. Für die RevolutionärInnen in Ostdeutschland stellt sich somit die Aufgabe, Methoden für die Arbeit unter diesen Menschen zu entwickeln, sie zu politisieren und zu organisieren. Auf die Errungenschaften und Erfahrungen der selbstorganisierten Flüchtlingsbewegung muss dabei aufgebaut werden und die Verbindung zu ihnen gesucht werden. Für die alltägliche Arbeit gilt es geeignete Organisationsformen zu entwickeln. Die Diskussion über Propaganda in der Muttersprache der MigrantInnen muss ebenfalls aufgenommen werden. 

Hierzu ist abschließend zu sagen, dass es eine andere Situation gibt als bei den massiven Migrationsströmen (allen voran aus der Türkei und Kurdistan) in den 60er bis 80er Jahren. Damals wurde die Chance verpasst, die revolutionären Organisationen aus der Türkei/Kurdistan eng mit denen aus Deutschland zu verbinden. Heute stellt sich realistisch betrachtet vielmehr die Frage: Politisieren wir diese Menschen oder überlassen wir sie den islamistischen Fundamentalisten, die ihre Arbeit bereits aufgenommen haben? Als warnendes Beispiel mag die Migration aus den ehemaligen Sowjetrepubliken in den 1990ern dienen. Die sogenannten „Russlanddeutschen“ wurden von der revolutionären Linken nicht beachtet und laufen heute im Durchschnitt betrachtet von Putin bis zur NPD eher allen möglichen Reaktionären hinterher, als dass sie sich aufgrund ihrer rassistischen und sozialen Diskriminierung nach links wenden würden. 

Aber die Geschichte Ostdeutschlands, insbesondere die DDR, bringt auch Möglichkeiten und Aufgaben mit sich. Zunächst einmal ist es so, dass diverse Studien einhellig feststellen, dass es noch immer einen sehr verbreiteten positiven Bezug auf die DDR unter der Bevölkerung Ostdeutschlands gibt. Hervorgehoben werden von Befragten die Sicherheit der Arbeitsplätze, die Sozialleistungen und das Sicherheitsgefühl allgemein, das nach 1990 verloren gegangen sei. Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit oder die Organisierung von gesellschaftlicher Kinderbetreuung und Reproduktionsarbeit gehören zum Sozialismus. Insofern bietet es uns natürlich Anknüpfungspunkte, dass diese Dinge der ArbeiterInnenklasse im Osten in positiver Erinnerung geblieben sind. Auch hier allerdings kommt man nicht um eine ernsthafte Analyse der DDR und ihrer inneren Widersprüche herum, die letztlich auch zu ihrer Zerstörung geführt haben. In Ostdeutschland wird uns als KommunistInnen ebenso wie anderswo die Frage entgegengehalten werden, warum die ArbeiterInnen trotz bitterer Erfahrungen noch einen Anlauf im Kampf für den Sozialismus wagen sollten? Was hat zum zwischenzeitlichen Scheitern dieser Anläufe geführt und was müssen wir diesmal anders machen?

Der Knackpunkt wird unserer Meinung nach hierbei nicht unbedingt sein, davon zu überzeugen, dass der Kapitalismus der ArbeiterInnenklasse keine Zukunft bietet und auch nicht, dass der Sozialismus besser wäre. Vielmehr wird die Schwierigkeit darin liegen, diese Erkenntnisse in Aktivität und Kampf zu verwandeln. Je nach Fragestellung äußert die Mehrheit der Bevölkerung in Ostdeutschland ihre Sympathie zur DDR, was für viele gleichbedeutend mit Sozialismus ist. Es springt jedoch förmlich ins Auge, dass der naheliegende Schluss, „wir müssten wieder sowas wie die DDR erkämpfen“ fast nie gezogen wird. Stattdessen herrschen unserer Erfahrung nach eher große Ratlosigkeit bei der Frage, was verändert werden kann und eine misstrauische Orientierung auf den bürgerlichen Parlamentarismus vor. Diese Haltung werden wir aber weder mit antikapitalistischer Agitation noch mit Propaganda für den Sozialismus alleine überwinden. Die DDR wurde dem Osten Deutschlands von außen durch die Rote Armee gebracht. Sie entstand nicht aus einer volksdemokratischen Revolution. Es gibt also keine Erfahrung mit einer erfolgreichen Revolution in Deutschland. Die verbreitete Rat- und Perspektivlosigkeit (nicht nur im Osten) können wir nur knacken, wenn wir einen gangbaren und damit konkret zumindest vorstellbaren Weg zum Ziel aufzeigen können. Insofern ist die Frage nach der revolutionären Strategie zur Eroberung der poltischen Macht, die wir im Artikel zur Oktoberrevolution und Strategie begonnen haben zu entwickeln, auch eine Frage, die uns in der Sprach- und Ratlosigkeit in den Plattenbauvierteln in Ostdeutschland entgegenschlägt.    

Dieser Artikel ist als Aufforderung an die LeserInnen in Ost- und Westdeutschland gedacht, bürgerliches Denken und gezielt in unsere Köpfe eingepflanzte Vorurteile zu überwinden. Wir sollten uns intensiver mit den Themen DDR, Wiedervereinigung und Ostdeutschland auseinanderzusetzen. Die marxistisch-leninistische Analyse der Treuhand und des organisierten Raubzugs des deutschen Imperialismus ist ein Aufruf, nicht in der Vergangenheit stehen zu bleiben. Was kann dabei außer einem resignativen Rückzug ins Private entstehen, wenn man sich Jahr für Jahr immer wieder aufs Neue nur über vergangenes Unrecht beklagt oder an Erinnerungen aus vermeintlich besseren Tagen erwärmt?  Die gesellschaftliche Realität besteht objektiv. Um die Zustände zu ändern, müssen wir die Erscheinungen so analysieren, wie sie sich hier und heute entwickeln. 

Nicht zuletzt ist diese erste Analyse, die weitergeführt und vertieft werden muss, ein weiterer Aufruf an die KommunistInnen, ihre Zersplitterung auch entlang der ehemaligen Grenze zwischen DDR und BRD zu überwinden, den Marxismus-Leninismus gemeinsam auf die Höhe der Zeit zu heben, eine einheitliche Strategie und Taktik zu entwickeln, die wir heute im Kampf gegen den deutschen Imperialismus so dringend brauchen und damit letztlich die Einheit der KommunistInnen in einer Kommunistischen Partei zu erkämpfen.

1 Ralph Hartmann: Die Liquidatoren, Verlag Neues Leben, 1996 Berlin, S.9.

2 Klaus Steinitz: Die Treuhandgesellschaft und der wirtschaftliche Absturz Ostdeutschlands in: Die Treuhand – der Widerstand in Betrieben der DDR – Gewerkschaften (1990 -1994), Nora Verlag, S.17 f.

3 Klaus Steinitz: Die Treuhandgesellschaft und der wirtschaftliche Absturz Ostdeutschlands, a.a.O., S.17

4 Klaus Steinitz: Die Wirtschaft in den neuen Ländern nach der Wende (1989/90 – 1998); Quelle: http://www.barkhof.uni-bremen.de/kua/memo/docs/steinitz.pdf, S.8

5 Klaus Steinitz: Die Wirtschaft in den neuen Ländern nach der Wende (1989/90 – 1998); a.a.O., S. 24

6 Klaus Steinitz: Die Wirtschaft in den neuen Ländern nach der Wende (1989/90 – 1998); a.a.O.,

7 Klaus Blessing: Die Schulden des Westens, edition Ost, S. 17

8 Klaus Steinitz: Die Treuhandgesellschaft und der wirtschaftliche Absturz Ostdeutschlands, a.a.O., S.17

9 Klaus Steinitz: Die Wirtschaft in den neuen Ländern nach der Wende (1989/90 – 1998); a.a.O., S.8

10 Klaus Steinitz: Die Treuhandgesellschaft und der wirtschaftliche Absturz Ostdeutschlands; a.a.O., S.16

11 Klaus Blessing: Die Schulden des Westens, edition Ost, S. 15f.

12 Klaus Blessing: Die Schulden des Westens, edition Ost, S. 21

13 Klaus Blessing: Die Schulden des Westens, edition Ost, S. 20

14 Klaus Blessing: Die Schulden des Westens, edition Ost, S. 23

15 Dr. Jörg-Peter Naumann Gesellschaft für Unternehmens-beratung: Industriestandorte in Deutschland, http://www.jpnaumann.de/publikationen/JPN_Publikation_Industriestandorte.pdf

16 C. Schürmann, K. Voß: Wo der DAX sitzt – Ostdeutschland fast ohne Konzernzentralen in: Atlas der Industrialisierung der neuen Bundesländer, Rostock 2013, S. 17

17 Klaus Steinitz: Die Wirtschaft in den neuen Ländern nach der Wende; a.a.O., S.9

18 Wirtschaftsdaten neue Länder, April 2016 Berlin, S. 14; https://www.beauftragte-neue-laender.de/BNL/Redaktion/DE/Downloads/Publikationen/wirtschaftsdaten-neue-laender-2016.pdf?__blob=publicationFile&v=3

19 Klaus Steinitz: Die Wirtschaft in den neuen Ländern nach der Wende; a.a.O., S.7

20 Bei allen Zahlen ist zu beachten, dass wenn nicht explizit von den neuen Bundesländern, sondern allgemein von Ostdeutschland die Rede ist, die Statistik aus Ostdeutschland noch durch Berlin, das ökonomisch Westdeutschland deutlich stärker angeglichen ist, nach oben „verfälscht“ werden.

21 Wirtschaftsdaten neue Länder, April 2016 Berlin, a.a.O., S. 17

22 Wirtschaftsdaten neue Länder, April 2016 Berlin, a.a.O., S. 9

23 Wirtschaftsdaten neue Länder, April 2016 Berlin, a.a.O., S. 11

24 Klaus Steinitz: Die Wirtschaft in den neuen Ländern nach der Wende; a.a.O., S.5

25 Wirtschaftsdaten neue Länder, April 2016 Berlin, a.a.O., S. 19

26 K. Voß: Spezifische Industriebranchen in Ostdeutschland in: Atlas der Industrialisierung der neuen Bundesländer, Rostock 2013, S. 72

27 Klaus Steinitz: Die Wirtschaft in den neuen Ländern nach der Wende; a.a.O.,

28 Klaus Blessing: Die Schulden des Westens, edition Ost, S. 33 ff.

29 Ostberlin wird hier außer Acht gelassen, weil Berlin tatsächlich zu einer wirtschaftlichen Einheit heranwächst, die in vielen Punkten mehr dem Entwicklungsstand Westdeutschlands als Ostdeutschlands entspricht. Eine rein formale Untersuchung der heutigen Einwohnerzahlen in den Ostbezirken Berlin ist wenig sinnvoll.

30 Die Bevölkerungszahl des Ruhrgebiets wird für das Jahr 1961 mit 5.67 Millionen – dem bisherigen Maximum angegeben, zählt momentan ca. 5,05 Millionen und soll Prognosen zufolge bis 2030 auf 4,8 Millionen zurückgehen. Quelle: http://www.metropoleruhr.de/land-leute/daten-fakten/bevoelkerung.html

31 Die Welt: Kaufkraftarmut ballt sich in westdeutschen Städten, Artikel vom 26.02.2017, Quelle: https://www.welt.de/wirtschaft/article162392927/Kaufkraftarmut-ballt-sich-in-westdeutschen-Staedten.html

32 n-tv: „Ossifizierung“ der Bundeswehr – Unterschichtenarmee möglich, Artikel vom 21. April 2010

33 “Die antifaschistische Strategie“; Quelle: http://komaufbau.org/die-antifaschistische-strategie/