Kurz vor Ende des Wahlkampfes zu den Parlamentswahlen in der Türkei hat eine Bombe bei einer Wahlveranstaltung der Demokratischen Volkspartei (HDP) in der kurdischen Stadt Amed (Diyarbakir) am gestrigen Freitag (05.06.) zwei Menschen in den Tod gerissen und hunderte verletzt. Laut offiziellen Angaben enthielt die Bombe den militärischen Sprengstoff TNT und war mit Metallkugeln gefüllt. Mittlerweile musste auch die türkische Regierung einräumen, dass es sich nicht um einen „Unfall“, sondern um einen gezielten Anschlag gehandelt hat. Die Detonation erfolgte kurz vor der Rede des HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtas. Bereits am Donnerstag hatten Anhänger der faschistischen türkischen Partei MHP eine Wahlkampfveranstaltung von Demirtas in Erzurum angegriffen.

Die faschistischen Angriffe richten sich gegen die Perspektive der HDP, bei den Wahlen am morgigen Sonntag die Zehn-Prozent-Hürde zu überwinden und ins türkische Parlament einzuziehen. Die HDP ist der organisatorische Arm der antifaschistischen und antikolonialen politischen Widerstandsbewegung in Kurdistan und der Türkei. Verschiedene Kräfte dieser Bewegung, darunter die Sozialistische Partei der Unterdrückten (ESP) und die kurdische Partei für Frieden und Demokratie (BDP) hatten 2011 den „Demokratischen Volkskongress“ (HDK) als gemeinsame Plattform für den Widerstandskampf in der Türkei und Kurdistan gegründet. Die Gezi-Bewegung von 2013 brachte in allen Teilen der Türkei und Kurdistans einen Aufschwung des politischen Widerstands und die Gründung von politischen Rätestrukturen der werktätigen Bevölkerung in den Stadtvierteln. Zeitgleich erhob sich die Bevölkerung in Rojava (Westkurdistan, ehemals Syrien) und nahm in einer Revolution ihre Geschicke in die eigene Hand. Die Rojava-Revolution ist heute ein leuchtendes Beispiel für den politischen Befreiungskampf in der Türkei und der Stützpunkt für die politische Befreiungsbewegung im Nahen und Mittleren Osten.

Der Gezi-Aufstand und die Rojava-Revolution erschütterten den türkischen Staat bis ins Mark und haben aufgezeigt, dass dieses vermeintliche pro-imperialistische Bollwerk in der Region des Nahen und Mittleren Ostens in Wahrheit auf wackligen Füßen steht. Seit Gezi ist die politische Situation in der Türkei und Kurdistan nicht mehr wie vorher. Die politischen Widerstandskräfte in Kurdistan und der Türkei haben den Weg des gemeinsamen Kampfes gewählt. Dessen Ausdruck ist auch die Perspektive der HDP, ins türkische Parlament einzuziehen, was es ihr ermöglichen würde, dieses als Tribüne für den Klassenkampf und den antikolonialen nationalen Befreiungskampf der Kurden zu nutzen.

Der türkische Staat und die faschistischen Kräfte in der Türkei fürchten diese Entwicklung. Deshalb sind sie dazu übergegangen, wie bereits unzählige Male zuvor in den letzten Jahrzehnten die revolutionären, fortschrittlichen und antikolonialen Kräfte mit Bomben und Terror anzugreifen. Der Terror ist dabei kein Zeichen ihrer Stärke, sondern ihrer Schwäche angesichts einer erstarkenden revolutionären Bewegung in Kurdistan und der Türkei.

Die Ausweitung der Revolution von Rojava auf die türkisch besetzten Teile von Kurdistan oder gar eine Revolution in der Türkei wird einen weltweiten Effekt haben wie seinerzeit die Russische Oktoberrevolution – gerade auf Deutschland, wo drei Millionen Menschen türkischer und kurdischer Herkunft leben und hier zu einem großen Teil die Reihen der Arbeiterklasse bilden.

Der Kampf der politischen Widerstandsbewegung in der Türkei und Kurdistan, die Wahlen zum türkischen Parlament mit der Perspektive des Einzugs der HDP und einer Destabilisierung des politischen Systems in der Türkei sind also Fragen, die ganz direkt auch den Klassenkampf in Deutschland betreffen.
Wir rufen zur Solidarität mit den Kräften des politischen Widerstands und der antikolonialen Befreiung in Kurdistan und in der Türkei auf!

 

6. Juni 2015

Kommunistischer Aufbau