Vorbemerkung Kommunismus

Wir veröffentlichen nachfolgend das Dokument „Stärken wir die KKÖ im Geiste der 1. Kommunistischen Frauenkonferenz“, welches uns von der MLKP (Marxistisch Leninistische Kommunistische Partei Türkei/Kurdistan) zur Verfügung gestellt wurde. In dem Bericht über die Konferenz wird die Entwicklung nachvollziehbar, die zur Schaffung einer organisatorisch autonomen Frauenorganisation innerhalb der Partei, der KKÖ (Kommunistische Frauenorganisation), geführt hat. Ebenso werden die Erfahrungen und weiterhin bestehenden Probleme bei der Entwicklung des Frauenkampfes aufgezeigt, welchen die Genossinnen und Genossen mit dem Konzept der Frauenrevolution entwickeln.

Beerdigung der Genossinnen Sirin und Yeliz
Beerdigung der Genossinnen Sirin und Yeliz

Die MLKP ist 1994/95 in der Türkei aus der Vereinigung mehrerer marxistisch-leninistischer Parteien entstanden und kann zusammen mit ihren Vorläuferorganisationen auf die Erfahrungen von über vier Jahrzehnten illegaler revolutionärer Arbeit unter faschistischen Bedingungen zurückgreifen. Ihr strategisches Ziel ist die demokratische Revolution, die in die Diktatur des Proletariats überführt werden soll. Entsprechend der Analyse, dass heute die Bedingungen für regionale Revolutionen heran gereift sind, ist die MLKP heute sowohl in der Türkei wie in Kurdistan aktiv. Ihr Aufruf zur Teilnahme und das Voranschreiten bei der Bildung „Internationaler Brigaden“ zur Verteidigung der Rojava-Revolution hat ihr in den letzten Jahren auch international eine gewisse Bekanntheit über den engen Kreis der ML-Weltbewegung hinaus gebracht.

Die Frauen sind die Hälfte der Menschheit! Die Frauenrevolution bildet ein strategisches Konzept, dass eine politische Linie schafft und so Lösungen eröffnet für die alte, aber allzu häufig in den Hintergrund gedrängte Erkenntnis, dass wir ohne die Zerstörung des Patriarchats als Unterdrückungsverhältnis niemals von einer befreiten Gesellschaft im kommunistischen Sinne werden sprechen können. Andersherum auch, dass ohne die Organisierung der proletarischen und werktätigen Frauen und die dafür notwendige Revolutionierung der Geschlechterverhältnisse eine reale Möglichkeit für die sozialistische Revolution in Deutschland und anderswo niemals entstehen wird.

Trotzdem bleibt es natürlich richtig, dass die Kampfbedingungen in der Türkei und Kurdistan offensichtlich andere sind als wir sie heute in Deutschland vorfinden. Was kann die „Frauenrevolution“ als Konzept für uns und unseren Kampf hier, jenseits der grundlegenden ideologischen Klarheit der Frauenbefreiung als untrennbaren Bestandteil des Kampfs für die Errichtung der Diktatur des Proletariats, also ganz konkret und praktisch bedeuten?

Wer sich die Mühe macht in das nachfolgende Dokument einzutauchen, wird doch erstaunt sein, wie viele Parallelen es trotz der ganz anderen Situation zu unserer Lage gibt und wie viel Anregungen für die Entwicklung der kommunistischen Frauenpolitik im imperialistischen Zentrum Deutschland daraus gezogen werden können. So ist z.B. die Überwindung der Abkapselung von den Massen und der damit einhergehenden negativen inneren Entwicklungen kommunistischer Organisationen sicherlich kein Problem, das uns unbekannt wäre. Die KKÖ ist nicht einfach nur eine neue kommunistische Frauenorganisation, was allein ausreichen würde, um uns zu begeistern. Gleichzeitig bildet ist KKÖ die reale Umsetzung des theoretischen Konzepts einer „organisatorischen Autonomie“, die sich auf befugte Leitungsorgane stützt und damit eine Gesamtheit aus Rechten, Befugnissen und Verantwortung entsteht, die die notwendigen Voraussetzungen schafft, damit die Genossinnen ihre angedachte Funktion als kommunistische Kader überhaupt erfüllen können. Dahinter verbirgt sich – unserem ersten Eindruck nach – nicht mehr und nicht weniger als ein qualitativer Sprung in der revolutionärer Organisationstheorie. Organisationstheorie klingt verstaubt und ist eine für viele GenossInnen schwierig zugängliche, abstrakte Thematik, die aber höchste praktische Relevanz besitzt. So wäre es z.B. nie zur Oktoberrevolution 1917 gekommen, wenn die Bolschewiki unter Lenins Führung nicht zuvor die organisationstheoretische Frage der „Partei neuen Typs“ gelöst hätten. Wie sich Kommunistinnen in der Partei organisieren sollen, ohne in die Sackgasse einer begrenzten Teilbereichspolitik zu geraten und ohne der feministischen Abweichung einer Spaltung der Klasse zu erliegen, ist für uns eine durchaus offene Frage.

Wir begrüßen die Schaffung der KKÖ und fordern alle GenossInnen auf, ihre Dokumente zu studieren, sowie das Konzept der Frauenrevolution umfassend zu diskutieren und es auf unsere Situation herunter zu brechen.

Stärken wir die KKÖ im Geiste der 1. Kommunistischen Frauenkonferenz!

Die 1. Kommunistische Frauenkonferenz (KFK) der MLKP ist ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte der kommunistischen Frauenbewegung, der Frauenrevolution, dafür, dass Frauen Führerinnen und Kommandantinnen werden und für die Bemühungen, den dementsprechenden eigenen, besonderen Weg der organisatorischen, politischen und theoretischen Entwicklung zu finden. Die Beschlüsse, Perspektiven und den Geist der Konferenz zu begreifen, sich zu eigen zu machen und umzusetzen ist die dringendste Aufgabe bei der Stärkung unserer Frauenbefreiungsfront.

Revolutionärer Realismus und der Vorstoßgeist der Konferenz

In der Deklaration der 1. Kommunistischen Frauenkonferenz werden die Bedingungen, unter denen die Konferenz organisiert wurde, folgendermaßen zusammengefasst: „Wie jede revolutionäre Aktion trat unsere Konferenz nicht unter Bedingungen zusammen, die sie sich ausgesucht hat, sondern unter den gegebenen Umständen. Die Probleme, die unsere Partei und unsere Frauenfront in der Zeit davor erlebt haben, sowie einige ungünstige Folgen haben sich auch in der Vorbereitungsphase der Konferenz widergespiegelt. Die schweren Folgen der Zeit eines fehlenden Zentrums, die unsere Partei durchlebt hat und die die Frauenbefreiungsfront doppelt getroffen haben sowie die Schwierigkeiten, die zu einer zersplitterten Entwicklung des Frauenverständnisses und Willens geführt haben, haben die Konferenz ebenfalls beschäftigt. Aber diese Situation hat die Konferenz nicht davon abgehalten, den Willen zu zeigen, ihre Aufgabe eines neuen Sprungs zu erfüllen! (…) Das ist die wichtigste Realität des Konferenzwillens.“

Der 4. Parteitag der MLKP hat die auch heute für die Konferenzbeschlüsse und die KKÖ richtungweisenden Ansichten in den Grundzügen dargelegt. Ausgehend davon hat er auf die Notwendigkeit einer Diskussion über ein neues Organisationsmodell hingewiesen und dieses beschlossen. Obwohl die Beschlüsse des 4. Parteitages grundsätzlich die Genossinnen in den verschiedenen Kampffronten geleitet, ihr Geschlechtsbewusstsein und ihr Niveau, sich mit dem Frauenbefreiungskampf auseinander zu setzen, erhöht haben, so blieben der Frauenverstand und Wille unter den Bedingungen der vergangenen Zeit dennoch zersplittert zwischen den verschiedenen Fronten. Dass diese Zersplitterung des Verständnisses, die teilweise bis zu Differenzen einer auf den eigenen Bereich beschränkten Sichtweise ausuferten, nicht durch die Durchführung einer internen Debatte im Vorfeld der Konferenz überwunden werden konnten, dass es vorher kein gegenseitiges aufeinander Einwirken gab, stellt ein Handicap der Konferenz dar. Andererseits konnte durch die aktive Teilnahme von Genossinnen aus allen Kampffronten an der Konferenz, das Zusammenbringen verschiedener Erfahrungen mit den Beschlüssen des 4. Parteitages in den verschiedenen Fronten und der auf der Grundlage sozialistischer Demokratie erfolgten Interaktion eine gedankliche Vertiefung erlangt werden, aus der sich ein gemeinsames Verständnis herauskristallisierte. Vielleicht war ein noch größerer Nachteil der Konferenz als das gerade erwähnte die Probleme, die sich in folgenden Formen entwickelten: das nach Innen gekehrt Sein, dass der Zeitraum davor bewirkt hatte, das sich angehäuftes Misstrauen der Genossinnen ineinander, in die Entwicklung, das Potential des Frauenfreiheitskampfes, in die Frauenmassen, das Brechen des Willens hier und da, das Zurückgehen der revolutionären Zusammenarbeit unter den Frauen und der Gefühle der Frauengenossenschaftlichkeit, Misstrauen in das Verständnis der Partei, das sich in sich selber Zurückziehen, keine Auseinandersetzungen bezüglich der Themen und Fragen des Frauenfreiheitskampfes in den Parteiorganen zu führen, was alles mehr und mehr dazu führte, dass die Hoffnung und der Wille, im Freiheitskampf der Frauen etwas zu erreichen, schwächer wurden.

Es gab verschiedene Möglichkeiten, den Weg fortzusetzen. Der erste Weg wäre zu sagen „das haben wir uns durch unsere mutigen Schritte eingehandelt“, die Schwächung des Willens und das Misstrauen noch weiter zu vertiefen und den Rückweg anzutreten! Die zweite Möglichkeit wäre gewesen, gar nicht auf die Existenz dieser Probleme einzugehen, das Ideale in Worten zu wiederholen und auf der Basis eines abstrakten Verstehens etwas zu sagen! Die dritte Möglichkeit bestand darin, die objektive Realität richtig zu definieren, ausgehend von dieser realen Situation zu handeln und sich darauf zu konzentrieren, diese Realität, diese Situation verändernd vorwärts zu gehen! Wie auch in den Dokumenten der Konferenz betont wird, wurde der dritte Weg gewählt. Mit der Herangehensweise eines revolutionären Realismus entschied die Konferenz, die gegebene Realität mit einem revolutionären Angriffsgeist zu sprengen und zu verändern.

Die Frauenrevolution mit den Frauenmassen vereinen

Frau Waffe

Das Hauptthema, auf das die Konferenz ihr Augenmerk richtete, war die Frauenrevolution und die Kommunistinnen – egal in was für einem Modell sie organisiert sind – organisatorisch und politisch mit ihrer eigenen gesellschaftlichen Stütze zu vereinen, also mit den Arbeiterinnen, den werktätigen Frauen aus Stadt und Land, den Hauswerktätigen, den jungen Frauen, den Alevitinnen und den Frauen anderer unterdrückter Glaubensrichtungen, den Frauenmassen des kurdischen Volkes und der anderen unterdrückten nationalen Gemeinschaften. Die Frauenrevolution zu einer materiellen Kraft werden zu lassen, ihr die Gestalt einer konkreten politischen Bewegung zu geben.

Ununterbrochene politische Arbeit, anders ausgedrückt eine systematische kontinuierliche politische Massenarbeit unter den Frauenmassen und Kontinuität der politischen Arbeit im Bezug auf Frauen an allen Fronten den ihnen eigenen Besonderheiten entsprechend ist der Motor sowohl der organisatorischen Arbeit als auch der ideologischen Arbeit und des ideologischen Kampfes.

Unsere Konferenz hat die kommunistischen Frauen und unsere Partei vor die Aufgabe gestellt, die ideologischen Erkenntnisse, die wir auf der Grundlage der Beschlüsse des 4. Parteitages erlangt haben und die politischen, organisatorischen Erfahrungen und Errungenschaften unserer Parteigeschichte an dieser Front auf dem Weg der Vereinigung der Frauenmassen mit der Idee der Frauenrevolution in einen politischen Vorstoß zu verwandeln.

Sie hat auf die Aufgaben hingewiesen, die Frauenrevolution als eine politische Bewegung aufzufassen und zu gestalten und die Gewinnung der Frauenmassen für den revolutionären Kampf ins Zentrum zu stellen.

Unsere Konferenz ruft zum Kampf gegen jede Form von verdecktem Misstrauen und Entfremdung von den Frauenmassen in unseren Reihen auf und betont in diesem Zusammenhang das Bedürfnis, Politik auf lokaler Ebene zu entwickeln und die Mittel für die Agitation, Propaganda und Organisierung der Frauenmassen zu bereichern.“ (aus den Dokumenten der 1. Kommunistischen Frauenkonferenz)

Die Kommunistische Frauenorganisation und organisatorische Leitlinien

Wenn die erste Frage, auf die die Konferenz sich konzentriert hat, die politische Kontinuität, die Aufgabe war, politisch und organisatorisch mit den Massen der Frauen zusammen zu kommen, so bestand die zweite Frage darin, in welcher organisatorischen Form diese Phase ohne Unterbrechungen angeleitet werden kann, also in der Problematik der organisatorischen Kontinuität.

Die organisatorische Logik der KKÖ besteht nicht einfach darin, den Bereich der „Frauenarbeit“ anzuleiten und sich darauf zu konzentrieren. Es handelt sich um ein organisatorisches Verständnis mit dem Ziel, in der Partei in organisatorischer, politischer und ideologischer Hinsicht das Frauenverständnis und die Frauenaktion anzuleiten, die Frauenaktion in der Gesamtheit dieser Kampfbereiche zu erhöhen. Zum einen die Bemühungen, die Frauenrevolution zu einer tatkräftigen politischen Bewegung zu machen, in deren Zentrum steht, die Frauenmasse für den Kampf zu gewinnen und zum anderen ihre organisatorische Struktur und Führung zu bilden. Die Ganzheit von Organisationspolitik, also dass es für politische Kontinuität organisatorischer Kontinuität bedarf und die Beziehung von organisatorischer Kontinuität mit unterbrochener politischer Aktion, hat sich in unserer Geschichte von Zeit zu Zeit dadurch gezeigt, dass wenn man mit einem der beiden Glieder oder sogar mit beiden gebrochen hat, es zum Rückgang der jeweiligen Front geführt hat. Das richtige Herangehen an die Schaffung der Einheit von Organisation und Politik ist der wichtigste Weg dafür, dass sich die sich an dieser Front ansammelnden ideologischen Erkenntnisse materialisieren. Die KKÖ ist eben das Ergebnis des Strebens danach, diese Einheit von Organisation und Politik zu schaffen.

Warum keine unabhängige Frauenorganisation sondern organisatorische Autonomie? Oder warum keine Unterorganisation wie angegliederte Frauenverbände oder Sektionen, sondern eine in organisatorischer und politischer Sicht autonome Organisationsform als die Hälfte der Partei?

Der Inhalt der politischen Aktion bildet die Grundlage für die Antwort auf die Frage „was für eine Organisation“. Da der Inhalt unserer politischen Aktion, unseres Frauenbefreiungsprogramms, nicht darin besteht, die Frauenmassen zur „Reserve“ für die gesellschaftliche Revolution zu machen, sondern da die Frauenrevolution eine gesellschaftliche Revolution zum Ziel hat, die die gesellschaftliche Geschlechtertrennung aufhebt, muss die Frage „was für eine Organisation“ so beantwortet werden, dass sie mit diesem Ziel übereinstimmt.

Die kommunistische Frauenbewegung ist in ihrer eigenen Geschichte im Wesentlichen nicht über zwei Organisationstypen hinausgegangen.

Auf der einen Seite stehen unabhängige Frauenvereine, Gewerkschaften und ähnliche Kampfmittel, die die Frauenmassen im politischen Kampf oder im Rahmen ihrer eigenen frauenspezifischen Teilforderungen und Themen organisieren. Obwohl solche unabhängigen Frauenorganisationen auch heute noch unverzichtbare Mittel dafür sind, die Frauenmassen im politischen und gesellschaftlichen Kampf für Veränderung zu mobilisieren, so sind dies doch keine Mittel, die den Marsch der Frauen ins Zentrum des Kampfes um die politische Macht, die Vorhut und Führung eines gesellschaftlichen Umsturzes in dem Ausmaß der Frauenrevolution tragen können.

Auf der anderen Seite gibt es Organisationsformen vom Typ wie Kommissionen und Sektionen, in der Form von „Unterorganisationen“, „Teilgebilden“ verschiedener Arten gesellschaftlicher Organisationen wie Parteien, Gewerkschaften u.ä. Diese Arten von Organisationen sind Teilorganisationen, sie entsprechen nicht dem Bedarf nach einer parteiartigen politischen Organisation, die dem Frauenbefreiungsprogramm entspricht, seine politische Führung übernehmen kann. Um den Kampf um ein weitergehenderes politisches Programm herum sprunghaft zu entwickeln war es nötig, eine weitergehende Organisationsform, eine politische Vorhut, ein Subjekt zu gründen, welches dem Programm einer gesellschaftlichen Revolution entspricht.

Andererseits ist die organisatorische Auffassung, die der Gestaltung der KKÖ zugrunde liegt, für unsere Partei keine neue Auffassung. Sie ist sowohl ein normales Ergebnis der Geschichte und Linie ihres Frauenbefreiungskampfes als auch in Grundzügen in den Beschlüssen des 4. Parteitages enthalten. In der Phase nach dem 4. Parteitag haben sich ausgehend von dem gleichen Verständnis einige organisatorische Erfahrungen in den einzelnen Frontorganisationen angesammelt. Worin bestehen also für die Parteifrauenorganisierung die Unterschiede in der organisatorischen Funktionsweise, welche konkreten Veränderungen gibt es und was sind die organisatorischen Hauptlinien der KKÖ?

Erstens ist die KKÖ nicht nur die Organisation der kommunistischen Frauen in dem Bereich der Massenarbeit unter den Frauen, sondern die Organisation aller Komunistinnen aus allen Bereichen, von den Kommunistinnen im Untergrund bis zu denen in der offenen Arbeit, von Europa bis Kurdistan, von der Presse bis zu der Front des politisch-militärischen Kampfes.

Zweitens stützt sie sich infolge davon auf ein Frauen- und Führungsverständnis, das alle Fronten anleitet.

Die Bemühungen, die sich in der Art der Organisierung als angegliederter Flügel ausdrücken, wo im Wesentlichen versucht wird, ausgehend von dem Teil der Frauenmassenfront das Ganze zu verändern, zu leiten, zu gestalten, stoßen an die natürlichen Grenzen ihrer organisatorischen Form. Der Widerspruch zwischen Inhalt und Form, zwischen politisch/ideologischem Inhalt und organisatorischer Gestalt wird so zu einer objektiven Grenze der Bemühungen der Kommunistinnen. Die Frauenführung, die alle Fronten anleitet und als Teil der Partei von ihr angeleitet wird, leitet in einer zweiseitigen Beziehung gleichzeitig innerhalb des Ganzen diese an und ist eine Lösungsform, die der angestrebten Veränderung des gesellschaftlichen Geschlechterproblems entspricht. In diesem Sinne hat die Frauenführung im Unterschied zu den vergangenen Erfahrungen, als sie im Wesentlichen darauf beschränkt war, die Massenfront der Frauen organisatorisch anzuleiten und für das Ganze politische Vorschläge auszuarbeiten, jetzt die Stellung einer politischen und organisatorischen Führung des Frauenfreiheitskampfes sowie eines funktionellen und vervollständigenden Elementes der Verwirklichung der Führung in der aktuellen Organisationsform der Partei und gleichzeitig die Stellung eines verändernden ideologischen Zentrums für die gesamte Partei inne.

Drittens ist die Qualität der Organisationen zu nennen, auf die das neue Organisationsmodell sich stützt. Der 4. Parteitag hatte von der zentralen Frauenorganisation angefangen die Beschränkung der Frauenorganisationen auf Kommissionen aufgehoben, aber die Organisationen haben weder den Geist einer Kommission überwunden, noch die damit verbundene Arbeitsweise, noch hat die Partei den Weg dafür freigemacht, dass diese Organisationen eine weitergehende Rolle als Kommissionen spielen konnten. Die Organisierung unserer Frauenfront blieb auf einer halb-autonomen Ebene stehen und war nicht mit den für die Durchsetzungskraft ihrer Beschlüsse nötigen Mechanismen und Rechten ausgestattet. Unser neues Organisationsmodell stützt sich im Kern auf befugte Organe, so wie der 4. Parteitag es vorher gesehen hatte. Zusammen mit den anderen Elementen des Modells und insbesondere zusammen mit der organisatorischen Autonomie ist jedoch wirklich eine Gesamtheit aus Rechten, Befugnissen und Verantwortungen entstanden und es wurde ermöglicht, dass die beabsichtigten Qualitäten auch in Funktion treten können.

Viertens wollen wir auf die Form der organisatorischen Hierarchie eingehen. Das vorherige Organisationssystem hat es lediglich in dem Ausmaß wie sie Organe gründen konnte, die direkt für die Frauenarbeit verantwortlich waren, ermöglicht, eine organisatorische Beziehung zwischen der Frauenleitung und den Frauenkräften in einem bestimmten Bereich herzustellen. Da die Befugnisse und Verantwortung sowie Dinge wie Planung, Anleitung und Kontrolle unter verschiedenen Organen verteilt waren, konnte der Frauenfreiheitskampf nicht allumfassend angeleitet werden. Das neue Organisationsmodell hingegen bindet alle Frauenkräfte in verschiedenen Formen an die Frauenführung und öffnet die gesamte Parteiarbeit direkt der Kontrolle durch das Frauenverständnis. Dadurch ist gleichzeitig das direkte Eingreifen der Frauenorganisation und der Frauenführung in die Prozesse der Herausbildung der nötigen Frauenqualität und –quantität für die Gründung der erforderlichen Organe an allen Fronten möglich geworden.

Fünftens ist die organisatorische Autonomie das, was diesem ganzen Mechanismus die Eigenschaft einer wirklichen Organisation verleiht, was den Organen, den organisatorischen Strukturen eine reale materielle Existenz, eine wirkliche Funktionalität verschafft.

Das neue Organisationsmodell hat – sofort mit der Bekanntmachung und unausweichlich – Zweifel und Fragen zu der „doppelten Last“ aufgeworfen. Warum konzentrieren sich nicht eine bestimmte Anzahl von Genossinnen nur auf die Fragen dieser Front und die anderen ausschließlich auf die Probleme anderer Fronten? Warum sind zusätzlich zu den Genossinnen, die an dieser Front arbeiten, die Genossinnen an allen Fronten mit einer weiteren organisatorischen Verantwortung und Verpflichtung konfrontiert? Werden mit diesem Modell die Genossinnen, die in verschiedenen Organisationen Aufgaben inne haben, zusätzlich zu ihren existierenden mit weiteren Verantwortungen ausgestattet? Ist zu Dutzenden von Aufgaben noch eine weitere dazu gekommen? Ja, aber das Problem ist, das ist objektiv so. Ein anderes Geschlechtsbewusstsein und einen anderen Geschlechterkampf kann es nicht geben. Das ist auch für die Frauen nicht anders, die eine komplett getrennte Organisierung gewählt haben, auch mit einer Praxis, die bei den anderen gesellschaftlichen Kämpfen außen vor bleibt, auch bei den Frauen, die sich dazu entschieden haben, sich komplett als Unterorganisation zu organisieren und in diesem Bereich eine Teilarbeit ausführen. Ja, in allen Bereichen vertreten zu sein und zu Wort zu kommen, bedeutet objektiv zusätzliche Aufgaben, zusätzliche Verantwortungen, „doppelte Arbeit, Doppelschicht“.

Dies ist jedoch kein Problem, das durch das neue Modell geschaffen wurde, es ist dadurch lediglich sichtbarer geworden. Wenn es gestern nicht so aussah oder nicht so deutlich war, weil das neue Modell die Aufgaben, die auch gestern galten, heute sichtbarer macht, sollte es für die Kommunistinnen heute noch weniger legitim sein, sich der Verantwortung zu entziehen. Das neue Modell hat diese Nachteile nicht geschaffen, im Gegenteil, es bietet uns eine reale, konkrete Grundlage, um diese zu überwinden. Eine organisatorische Kette der Frauenfront mit einer Führung, die tatsächlich über die Bedingungen verfügt, diese anzuleiten, mit der dafür nötigen Voraussetzung der organisatorischen Autonomie. Wie sehr daraus Nutzen gezogen werden wird hängt allerdings unausweichlich von dem Frauenwillen ab. Es stimmt, dass das real gestern auch nicht anders war. Auf den Punkt gebracht erfordern doppelte Aufgaben doppelte Rechte. Von den Kommunistinnen wird erwartet, an allen Fronten den Frauenfreiheitskampf zu erhöhen, eine besondere Rolle in der Ausbildung von Kaderinnen zu spielen, die Fragen der Frauenbefreiung auf die Tagesordnung zu bringen und Lösungen zu produzieren bezüglich der Kader. Wenn sie trotz „zusätzlicher Aufgaben“ keine „zusätzlichen Befugnisse“ haben, sie also anders gesagt entsprechend der Aufgaben, für deren Erfüllung sie verantwortlich sind, kein Mitspracherecht über die Kader haben, die diese ausführen sollen oder dieses Mitspracherecht nicht an konkrete organisatorische Mechanismen gebunden ist, sondern von Vorsätzen, dem Begreifen, der Fähigkeit von diesem oder jenem Organ oder Kader „Prioritäten zu erkennen“ abhängt und nur begrenzt umgesetzt wird, dann würde das die Voraussetzungen zur Erfüllung ihrer Aufgaben von Anfang an einschränken. Organisatorische Autonomie beruht im Unterschied dazu auf der Auffassung, dass die Sichtweise, der Verstand und die Prioritäten der Frau als Grundlage für die Ausbildung, Anleitung von Kommunistinnen, und der Lösung ihrer Probleme genommen wird. In gewisser Hinsicht beruht sie auf der Einsicht in die potentielle Überlegenheit der Frauen in der Auseinandersetzung mit Frauenfragen. Die organisatorische Autonomie ist eine Antwort auf die Notwendigkeit eigene Beschlüsse zu fassen, die Verantwortung für diese Beschlüsse zu tragen, zu lernen, auch indem man Irrtümer begeht, gestützt auf die eigenen Erfahrungen, die eigene Kraft vorwärts zu gehen und die Basis der revolutionären Zusammenarbeit unter den Frauen auf diesem Wege zu stärken. Eine solche Organisierung der Frauen erfordert eine hohe Kaderqualität und gleichzeitig bringt sie diese hervor.

Ausgehend von diesen grundlegenden Anschauungen hat unsere Konferenz ein Modell gebildet. Dieses Modell ist gleichzeitig in jeglicher Hinsicht ein Übergangszustand. Es ist ein Übergangszustand in Bezug auf den Einklang mit der Gesamtfunktionsweise und dem Statut der Partei. Das Modell, das heute mit den vorliegenden Erfahrungen in seinen Grundzügen entworfen wurde, wird in der Anwendung noch reale, konkretere Formen finden und ist auch in dieser Hinsicht ein Übergangszustand. Die Bemühungen, dieses Modell mit starkem Willen umzusetzen, werden die Grundlage dafür schaffen, dass es noch weitergehende Qualitäten erlangt.

Die 1. Kommunistische Frauenkonferenz und Aufklärung der Frau

Die 1. KFK hat zusammen mit der intensiven Auseinandersetzung mit den zentralen organisatorischen und politischen Fragen, die die Strategie der Frauenrevolution im 21. Jahrhundert umfassen, auch einige theoretische Fragen aufgeworfen. Die Konferenz skizziert dabei ihre Haltung wie folgt: Wir gehen an die theoretischen Fragen heran nicht mit den traditionellen Grenzen, sondern mit der Einstellung, die Frauenrevolution zu entwickeln, in der Praxis mehr Klarheit zu schaffen, mit Selbstverständlichkeit, Selbstvertrauen und Mut an all die Themen und Fragen, die der Strom des Frauenfreiheitskampfes in der Türkei, Kurdistan und weltweit in individueller, spontaner oder in verschiedenen politischen Strömungen organisierter Form hervorgebracht hat, heranzugehen und zu deren bedeutenden Teil die kommunistische Bewegung bis heute nur begrenzt Stellung bezogen hat.“

Die Konferenz hat sich auch einige Themen vorgenommen, die in Zeit davor auf der Tagesordnung der Kommunistinnen waren, bei denen es aber nicht gelungen ist, ein gemeines Verständnis zu erreichen und eine Methode zu finden, durch die der Verstand aller kommunistischen Frauen mobilisiert, ihre Energie in Bewegung gesetzt und so der kollektive Frauenwille gestärkt wird.

Die Konferenzbeschlüsse „mit Leben erfüllen“

Grab Ulrike Meinhofs
Grab Ulrike Meinhofs

Es ist auffällig, dass jeder Schritt, der unternommen wird, um die organisatorische Funktionsweise und das Verständnis der Frauenfront vorwärts zu bringen (von inhaltlichen Auseinandersetzungen, Differenzen oder patriarchalen Herangehensweisen und Widerständen einmal abgesehen) von skeptischen Diskussionen darüber begleitet wird, ob das in der Praxis umsetzbar ist, ob das durchführbar ist und Hand in Hand mit einem rückschrittlichen Realismus geht.

Es ist gut, dass das Verständnis der positiven Diskriminierung und Dinge wie Quoten nicht mehr von Absichten und dem Verständnis abhängig sind, sondern durch einen konkreten Mechanismus gestärkt wurden … „aber unter der Voraussetzung, dass es mit Leben erfüllt wird“! Es ist gut, bei der Beauftragung von Genossinnen mutig zu sein … „aber unter der Voraussetzung, dass es mit Leben erfüllt wird“! Autonome Organisierung der Frauen ist gut … „aber unter der Voraussetzung, dass sie mit Leben erfüllt wird“! Kein Parteitag, keine Konferenz, kein ZK, Stadtkomitee und keine Leitung einer Front beschließt etwas unter dem Vorbehalt, dass es „mit Leben erfüllt wird„. Im Gegenteil, einen Beschluss zu fassen bedeutet nichts anderes, als den Anspruch, „ihn mit Leben zu füllen“. Jeder Beschluss ist eine Absichtserklärung. Bei jedem Beschluss gibt es die Problematik, dass er verinnerlicht, verständlich gemacht und praktisch umgesetzt wird. Warum sollte man etwas beschließen, was schon gemacht, fertig, „mit Leben erfüllt ist“! Wenn die Konferenz einen Beschluss fasst, so ist das etwas, was noch nicht mit Leben erfüllt, erledigt ist, sondern eine Aufgabe, die es umzusetzen gilt. Aber wer soll das mit Leben füllen?

Hängen die Zweifel des “mit Leben Füllens” sowohl der Genossinnen als auch unserer Parteiorganisationen nicht mit einer Haltung zusammen, sich keine Aufgaben zuzuschreiben, zurückhaltend zu sein, sich vor der Verantwortung zu drücken, wenn es darum geht, sich daran zu machen, die grundlegenden Probleme der Frauenfront zu begreifen, sie zu lösen, Aufgaben zu übernehmen und konkrete Ziele festsetzend Entschlossenheit zu zeigen anstatt das den Frauen, oder noch schlimmer den Frauenmassenorganisationen zu überlassen?

Bedeutet das nicht, den Beschlüssen und Perspektiven der Konferenz wie ein Schüler zu begegnen, der zur mündlichen Prüfung aufgerufen erst mal „Wer, ich?“ fragt und sich trotzdem erst noch einmal umdreht und sich nicht angesprochen fühlt, um Zeit zu gewinnen?

Alle Genossen sind dazu verpflichtet, die Zweifelsäußerungen, das Ausmachen der Risiken, reine Bestandsaufnahmen zu machen, die Tendenzen daneben zu stehen und zuzugucken bezüglich des „Untermauerns“ der Konferenzbeschlüsse und des neuen Organisationsmodells sein zu lassen und sich in die Arbeit zu stürzen, sie mit Leben zu füllen, und zwar sofort! Sonst werden die Zweifel und das Gerede darüber das Modell zu „untermauern“ nur dazu führen, es zu „unterhöhlen“.

Auf die Probe werden wir bei der Haltung zu den praktischen Aufgaben gestellt. Da die Konferenz und die KKÖ kein Selbstzweck sind, ist das Hauptthema, in dem ihre Linie des Frauenbefreiungskampfes und die unserer Partei auf die Probe gestellt wird, das Niveau der Mobilisierung der Frauenmassen für den Freiheitskampf, das Niveau der politischen und organisatorischen Vereinigung mit den Massen.

Die 1. Kommunistische Frauenkonferenz hat sich weniger darauf konzentriert, Ansichten zu verändern sondern viel mehr auf die Frage, die Situation zu verändern. Eingeschlossen die KKÖ ist kein Beschluss und keine Perspektive der Konferenz eine in Blei gegossene Lösung. Das neue Organisationsmodell ist lediglich darauf fokussiert, unser organisatorisches Niveau mit dem in der Frauenrevolution erreichten gedanklichen Niveau gleichzusetzen. Wie auch in den Unterlagen der Konferenz betont wird: „Es zu erreichen, dass die Konferenzbeschlüsse und ganz besonders die KKÖ ein realer, lebendiger, funktionierender Mechanismus wird, ist nur durch Willen, der stärker ist als früher, durch ein weiter entwickeltes kollektives Frauenbewusstsein und stärkeren Bemühungen einer kollektiven Subjektwerdung möglich.“ (aus den Dokumenten der 1. Kommunistischen Frauenkonferenz)