Was ist Krieg?

Ob in Schulbüchern, der Tagesschau oder Guido-Knopp-Dokus – Krieg wird regelmäßig als „Unglück“ oder „Katastrophe“ dargestellt. Kriege erscheinen als etwas Unergründbares, in das die Menschheit regelmäßig „hineinschlittert“. Dementsprechend oberflächlich definiert die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) den Krieg als „einen organisierten, mit Waffen gewaltsam ausgetragenen Konflikt zwischen Staaten bzw. zwischen sozialen Gruppen der Bevölkerung eines Staates“.1 Das Wesentliche an dieser Definition ist, dass sie zwar den Krieg darstellt, jedoch der wichtigsten Aufgabe einer Definition ausweicht, nämlich das Wesen des Krieges festzuhalten und damit den Schlüssel zur Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“ zu finden.

Diese Kriegsdefinition von 2015 fällt hinter den historischen Verdienst des preußischen Generals und Militärtheoretikers Carl v. Clausewitz zurück, der 1832 einen wichtigen Beitrag zur Definition des Krieges geleistet hat – aufbauend auf die Erkenntnisse früherer Philosophen wie Macchiavelli und in bemerkenswerter Übereinstimmung mit dem chinesischen General und Kriegsphilosophen wie Sun Tsu. Für Clausewitz ist Krieg „eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“2. Krieg ist also kein „Zufall“ sondern die konsequente Fortsetzung der vorherigen Politik – nur eben mit anderen – und zwar militärischen – Mitteln.

Damit sind wir schon einen Schritt weiter als die BPB auf der Spurensuche nach den Ursachen des Krieges: Wir müssen ihn also in der Politik suchen, die mit verschiedenen Mitteln ausgetragen wird.

An diesem Punkt kommen wir auch mit der Clausewitzschen Definition nicht weiter, da er davon ausgeht, dass es eine „allgemeine“, über den Klassen stehende Politik geben könne, weshalb die Ursachen für diese oder jene Politik bei ihm im Dunkeln bleiben.

Um diese zu ergründen, müssen wir auf das Handwerkszeug der materialistischen Analyse von Karl Marx zurückgreifen. Er geht davon aus, dass in einer Klassengesellschaft Träger der Politik immer Klassen bzw. politischen Gruppierungen innerhalb dieser Klassen sind. Der wesentliche Inhalt der Politik ist also je nach Klassenlage dementsprechend darauf bedacht, entweder die eigene Klassenherrschaft aufrecht zu erhalten, oder aber die eigene Unterdrückung zu mildern oder zu überwinden.

Wir können also sagen, dass der Krieg die Fortsetzung der Politik einer Klasse, die ihre Klassenziele verfolgt, mittels organisierter bewaffneter Gewalt ist.

Warum gibt es Krieg?

In alltäglichen Diskussionen finden sich vielfältige Erklärungsansätze über die Ursachen von Krieg. Auf die am weitesten verbreitete, die Erklärung von der „Natur des Menschen“, der nun mal „aggressiv“ und „machtgierig“ sei, wollen wir wir kurz eingehen. Dieser „biologistische“ Erklärungsansatz geht von einem „Aggressionstrieb“ aus, der vom Menschen nicht kontrollierbar sei und deshalb immer wieder zu brutalen Auseinandersetzungen führe.

Nach den Erkenntnissen von Marx und Engels ist jedoch die „Natur des Menschen“ keineswegs biologisch ein für allemal festgelegt, sondern das Ergebnis der komplexen gesellschaftlichen Wechselbeziehungen, welche die Menschen im Zuge der Produktion ihrer Lebensmittel zueinander eingehen.

Aus diesen Gründen müssen wir die gesellschaftlichen Bedingungen analysieren, die zum Krieg führen.

Für Marxisten entspringt jeder heutige Krieg unserer kapitalistischen Klassengesellschaft und vor allem seiner aktuellen Phase, dem Imperialismus. Um in der kapitalistischen Konkurrenz zu existieren, sind Kapitalisten gezwungen (und auch subjektiv bereit dazu), nach immer größeren Profiten zu streben. Es gilt das Prinzip: „Fressen oder gefressen werden“. Um in diesem internationalen Wettkampf zu bestehen, ordnen sich die größten Monopole die Staatsapparate unter, um sie im Kampf um die Eroberung neuer Märkte (imperialistischer Eroberungskrieg) und die Neuaufteilung der Welt (zwischenimperialistischer Krieg) zu nutzen. Ebenso führt die Jagd nach Maximalprofit dazu, dass die ArbeiterInnen aufs äußerste ausgepresst werden und es somit gesetzmäßig zu Widerstandshandlungen kommt, welche sich in Klassenkämpfen niederschlagen (Unterdrückungs- bzw. Befreiungskrieg).

Die Jagd nach dem Maximalprofit ist eine ökonomische Gesetzmäßigkeit, die existiert, solange das Privateigentum an Produktionsmitteln besteht. Dieses Gesetz funktioniert unabhängig vom menschlichen Willen und kann deshalb auch nicht durch „politische Gegenmittel“ beeinflusst werden, solange nicht seine Wurzel verändert wird. Somit sind Kriege im Imperialismus unvermeidlich und es wird Kriege geben, solange es Imperialismus gibt.

Demonstation anlässlich des 100. Jahrestages der Zimmerwalder Konferenz
Demonstation anlässlich des 100. Jahrestages der Zimmerwalder Konferenz

Was für Kriege gibt es?

Als Marxisten gehen wir davon aus, dass es verschiedene Formen von Kriegen gibt: ungerechte, reaktionäre Kriege und gerechte, revolutionäre Kriege.

„Der Charakter eines Krieges (ob er ein reaktionärer oder ein revolutionärer Krieg ist) hängt nicht davon ab, wer der Angreifer ist und in wessen Land der ‚Feind‘ steht, sondern davon, welche Klasse den Krieg führt, welche Politik durch diesen Krieg fortgesetzt wird.“3

Reaktionäre Kriege dienen der Erhaltung bzw. Wiederherstellung der vergehenden Gesellschaftsordnung, dem Kapitalismus und dem parasitären Dasein einer kleiner Minderheit und hemmen somit den gesellschaftlichen Fortschritt. Diese Kriege sowie eine irgendwie geartete Beteiligung, Unterstützung, Duldung solcher Kriege lehnen wir auf das entschiedenste ab.

Unter reaktionären Kriegen verstehen wir:

  1. Imperialistischer Eroberungskrieg:
    Auf Grundlage der Notwendigkeit, die Produktion immer mehr zu erweitern und immer mehr Waren abzusetzen und somit den Profit zu steigern, bedarf der Imperialismus neuer Rohstoffe und Absatzmärkte. Es kommt zum Kampf um die Beherrschung des Weltmarktes, die Energieproduktion, Pipelines usw. Gelingt dies nicht durch „friedliche“ Mittel der ökonomischen, kulturellen und politischen Unterwerfung anderer Völker und Länder, ist es für ein imperialistisches Land nötig, zu „militärischen“ Mitteln zu greifen – einen imperialistischen Eroberungskrieg zu führen.
  2. Zwischenimperialistischer Krieg
    Heute ist die Welt unter verschiedenen imperialistischen Mächten durch Eroberungskriege (siehe 1.) weitgehend aufgeteilt. Eine neue Eroberung kann also nur auf Kosten des anderen Imperialisten geschehen. Gelingt dies nicht durch „friedliche“ Mittel des ökonomischen Konkurrenzkampfs, bedienen sich die Imperialisten der „anderen“ militärischen Mittel im Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Dadurch, dass heute die imperialistischen Mächte der G7-Staaten mit ökonomischen Mitteln immer schlechter gegen die aufstrebenden imperialistischen Mächte wie z.B. China und das mit ihnen verbündete Russland vorgehen können, finden regelmäßig Stellvertreterkriege zwischen diesen Mächten statt (Syrien, Libyen…). Die Gefahr eines direkten zwischenimperialistischen Krieges, also eines neuen Weltkrieges, der möglicherweise sogar mit Nuklearwaffen ausgetragen wird, erhöht sich stetig.
  3. Unterdrückungskrieg
    Durch das ständige Streben nach Maximalprofit kommt es zur Verschärfung der Widersprüche zwischen Kapital und Arbeiterklasse. Wird der Klassenkampf, wenn er unentwickelt ist, vor allem versucht durch Betrug und Integration niedergehalten, werden von der Bourgeoisie bei Verschärfung des Klassenkampfs verstärkt andere, militärische Mittel eingesetzt – es kann zu einem Unterdrückungskrieg der Bourgeoisie gegen die eigene Bevölkerung kommen.

Dem gegenüber stehen verschiedene Formen revolutionärer Kriege, die dem gesellschaftlichen Fortschritt dienen, indem sie dabei behilflich sind, das imperialistische Weltsystem zu schwächen oder ihm gleich ganz den Todesstoß zu versetzen. Solche Kriege befürworten und unterstützen wir:

  1. Revolutionäre Befreiungskriege gegen nationale Unterdrückung
    In Ländern, die einer nationalen Unterdrückung durch den Imperialismus (ob militärisch oder nur „ökonomisch“) unterliegen, entwickeln sich auf Grundlage der besonders intensiven Auspressung nationale Befreiungsbewegungen. Sie setzen sich zum Ziel, die Imperialisten aus ihrem Land hinauszuwerfen und eine eigene Wirtschaft aufzubauen. Auch wenn es sich hierbei um ein Bündnis von verschiedenen Klassen (Arbeiterklasse, Bauernschaft, nationale Bourgeoisie) handelt, schwächen diese Kämpfe den Imperialismus und sind somit objektiv fortschrittlich. Das sind heute z.B. die Kämpfe in Kurdistan und Palästina.
  2. Revolutionärer Klassenkrieg der ArbeiterInnen und Werktätigen gegen die Unterdrückung durch die Kapitalisten
    Um die Unterdrückung durch die Kapitalisten zu beenden, müssen die ArbeiterInnen und Werktätigen den Kapitalismus als System stürzen. Die Geschichte hat hinlänglich bewiesen, dass ihnen dies nicht durch das Parlament oder auf „friedlichem“ Wege gelingen kann, sondern nur durch einen revolutionären Krieg, die Vorbereitung, Durchführung und Verteidigung der proletarischen Revolution.
  3. Antifaschistischer Befreiungskampf
    Wenn in einem Land eine faschistische Diktatur herrscht, so muss der bewaffnete Befreiungskampf ebenfalls von uns unter allen Umständen verteidigt werden. Unter diesen Umständen muss unsere Perspektive die demokratische Revolution zur Beseitigung des Faschismus sein, die – falls möglich – ununterbrochen in die sozialistische Revolution übergehen sollte.
  4. Verteidigung eines sozialistischen Landes
    Es ist klar, dass ein sich entwickelndes sozialistisches Land ein leuchtendes Beispiel und Vorbild für alle Unterdrückten in der Welt darstellt. Dieses Beispiel zu zerstören, ist deshalb das ureigenste Interesse der imperialistischen Mächte. Die Verteidigung des sozialistischen Landes, in dem die Arbeiterklasse bereits gesiegt hat, muss dann ebenso zum ureigensten Interesse aller Unterdrückten werden.

Solange verschiedene Arten von Kriegen existieren, ist die Definition ihres Charakters und unserer Haltung ihnen gegenüber von prinzipieller Bedeutung. Wenn wir aufhören, gerechte Kriege, die dem gesellschaftlichen Fortschritt dienen und die Geschichte vorantreiben, zu unterstützen hören wir auf, real für die tatsächliche Befreiung der ArbeiterInnenklasse zu sein.


Wie gegen den Krieg kämpfen?

Die Entwicklung des Imperialismus Anfang des 19. Jahrhunderts führte zur Herausbildung von Monopolen, die anschließend im ersten Weltkrieg um die Neuaufteilung der Erde rangen. In der ArbeiterInnenbewegung entbrannte ein scharfer Kampf um die Haltung gegenüber dem herannahenden Völkergemetzel, an dessen Ende die Spaltung der sozialistischen Bewegung in einen revolutionären Teil und einen reformistischen, sozialchauvisistischen Teil stand.

Die damals ausstrahlungskräftigste Arbeiterpartei der Welt, die SPD, war vor dem 1. Weltkrieg eine kräftige Verfechterin der Notwendigkeit, auf den imperialistischen Weltkrieg mit der sozialistischen Revolution zu antworten – in Worten. Als es dann jedoch daran ging, auch in Taten gegen den Krieg vorzugehen, verriet die SPD die Arbeiterklasse und stimmte den notwendigen Kriegskrediten im Parlament zu. Der weltbekannte SPD-Führer Karl Kautsky sprach damals vom „fatalen Dilemma zwischen der Notwendigkeit, den eigenen Herd zu verteidigen und der internationalen Solidarität“4 und rief die Arbeiter zur „Vaterlandsverteidigung“ auf.

Innerhalb nahezu aller sozialdemokratischen Parteien bildeten sich revolutionäre, internationalistische Gruppen heraus, die sich gegen den Verrat stellten. An deren Spitze standen die russischen Bolschewiki, deren Linie man mit einem Satz auf den Punkt bringen konnte: „Der beste Krieg gegen den Krieg: Revolution”5

Sie gingen davon aus, dass der Krieg ein imperialistischer Raubkrieg war und dem Wesen des Imperialismus entsprang. Deshalb war es notwendig, mit dem Imperialismus Schluss zu machen, um den Krieg zu beenden. Ziel war es, das revolutionäre Potenzial des reaktionären Kriegs für einen revolutionären Krieg zu nutzen. Der imperialistische Krieg beinhaltet eine massive Anspannung aller Kräfte und führt im Fall einer Niederlage zum Heranreifen einer revolutionären Situation, da er die Herrschenden in eine Krise stürzt und im Volk den Kampfeswillen entflammt, mit dem Mördersystem ein für alle mal Schluss zu machen.

Auf ihrer Auslandskonferenz 1915 beschlossen die russischen Kommunisten dementsprechend folgendes Aktionsprogramm:

Als erster Schritt in Richtung auf die Umwandlung des gegenwärtigen imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg sind zu bezeichnen:

1. unbedingte Ablehnung der Kriegskredite und Austritt aus den bürgerlichen Kabinetten;

2. völliger Bruch mit der Politik des ’nationalen Friedens‘;

3. Bildung illegaler Organisationen überall dort, wo Regierung und Bourgeoisie unter Verhängung des Belagerungszustandes die verfassungsmäßigen Freiheiten aufheben;

4. Unterstützung der Verbrüderung der Soldaten der kriegsführenden Nationen in den Schützengraben und auf den Kriegsschauplätzen überhaupt;

5. Unterstützung aller revolutionärer Massenaktionen des Proletariats überhaupt.“6

Der Kampf für die Niederlage der eigenen Regierung, das Einstehen für die Geschwisterlichkeit der ArbeiterInnen der kriegsführenden Länder, der Bruch mit der Politik des ‚Burgfriedens‘, Sabotage und Streik-Aktionen geführt durch eine illegal arbeitende Kampforganistion und letztendlich die Vorbereitung des bewaffneten Aufstands – dass sind die wesentlichen Eckpunkte der kommunistischen Strategie und Taktik, die damals erkämpft wurden und noch heute gültig sind.

 

1 www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/17756/krieg

2 Clausewitz, Carl von: Vom Kriege, 1957; 8. Buch S.33f

3Lenin, Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky, LW Bd. 28, S. 287

4Karl Kautsky, Der Krieg, www.marxists.org/deutsch/archiv/kautsky/1914/08/krieg.pdf

5LW Ergänzungsbd. I, S. 340

6Lenin, Die Konferenz der Auslandssektion der SDAPR, LW 21, S.150