Antimilitarismus

Was können wir von Karl Liebknecht für unseren heutigen Kampf gegen den deutschen Militarismus lernen? – Ein Beitrag der Kommunistischen Jugend

Was können wir von Karl Liebknecht für unseren heutigen Kampf gegen den deutschen Militarismus lernen? – Ein Beitrag der Kommunistischen Jugend

Nahezu zeitgleich entstanden in vielen Ländern Europas Ende des 19. Jahrhunderts revolutionäre Jugendorganisationen. In ihrem Kampf widmeten sie sich der Verbesserung ihres allgemeinen und beruflichen Lebens. Auch aufklärerische Tätigkeiten und Selbstbildung stand für sie auf dem Programm. Ihr Hauptaugenmerk richtete sich jedoch, anders als bei den sozialdemokratischen Erwachsenen, auf den Antimilitarismus. Sie weigerten sich nicht bloß, als Rekruten zu dienen, sondern arbeiteten auch generell gegen den Krieg.

Dem in der Sozialdemokratie aufkeimenden Opportunismus war die Jugendbewegung ein Dorn im Auge. Ihnen ging die revolutionäre Gesinnung der Jugend zu weit und so versuchten sie, eine Vormundschaft über diese zu erlangen. Ihre meist radikaleren Ansichten wurden als anarchistisch bezeichnet. Selbst Karl Liebknecht, damals Teil des linken Flügels der SPD, kritisierte zunächst die grundsätzliche Ablehnung jedes imperialistischen Krieges und Kampfmittel, um die eigene Front zu untergraben, damals als Linksabweichung. Genau diese Politik sollte sich aber später in der revolutionären Antikriegsarbeit der russischen KommunistInnen als richtig erweisen.

Die Jugend war nicht nur im Bereich des Antimilitarismus den ArbeiterInnenparteien voraus. Sie nahm in vielen Ländern auch später eine wichtige Rolle bei der Schaffung der Kommunistischen Parteien nach der Spaltung der II. Internationale ein.

Um von der damaligen proletarischen Jugendbewegung zu lernen, schauen wir uns die Erkenntnisse von Karl Liebknecht1 zu diesem Thema an und übertragen sie auf unsere heutige Situation.

Militarismus

Der Militarismus dient der Sicherung (oder Erweiterung) der bürgerlichen Herrschaftsverhältnisse. Nach außen wird dabei gegen die Bourgeoisie anderer Staaten gekämpft – nach innen gegen das eigene Proletariat.

Hinter dieser doppelten Funktion des Militarismus verbirgt sich ein Widerspruch für die heute herrschende Klasse. Sie steht vor der Frage, ob sie die gleichen Menschen, im gleichen Sinne erzogen, für den Krieg nach außen wie für die Unterdrückung des eigenen Proletariats nutzen kann.

Noch schwerwiegender ist aber, dass der Imperialismus keine Armee kennt, die sich nur aus Teilen der herrschenden Klasse zusammensetzen würde. Der Militarismus muss Teile der ArbeiterInnenklasse gegen sich selbst bewaffnen:

So steht der moderne Militarismus vor uns, der nicht mehr und nicht weniger sein will als die Quadratur des Zirkels, der das Volk gegen das Volk selbst bewaffnet, der den Arbeiter, indem er eine Altersklassenscheidung mit allen Mitteln künstlich in unsere soziale Gliederung hineinzutreiben sucht, zum Unterdrücker und Feind, zum Mörder seiner eigenen Klassengenossen und Freunde, seiner Eltern, Geschwister und Kinder, seiner eigenen Vergangenheit und Zukunft zu machen sich vermisst, der gleichzeitig demokratisch und despotisch, aufgeklärt und mechanisch sein will, gleichzeitig volkstümlich und volksfeindlich.“2

Liebknecht berichtet für den Anfang des 20. Jahrhunderts davon, dass die deutschen Militaristen die Sozialdemokratie als eine massive Bedrohung für ihre Pläne sahen. Schätzungen gingen zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass etwa ein Drittel der Reichswehr Anhänger der Sozialdemokratie seien.

Dieser Widerspruch führte bei der deutschen Sozialdemokratie und letztlich bei der ganzen II. Internationale zu einer sehr optimistischen Sichtweise auf die nähere Zukunft. Man ging davon aus, dass es eine Sache von einigen Jahren sei, bis die Sozialdemokratie das Heer letztlich kontrolliere und vor allem führte man abstrakte und utopische Diskussionen darüber, welche Mittel im Falle eines Weltkriegs angewendet werden könnten.3

Die Geschichte ist ganz anders gelaufen: Die II. Internationale hat ihre heiligen Schwüre zur internationalen Solidarität verraten und nur in Russland gelang es, dass die Soldaten im umfangreichen Sinne ihre Gewehre umdrehten – nicht nur gegen eine Regierung, sondern gegen den Imperialismus als System. Die oben genannten Widersprüche bleiben bestehen und müssen für die Entwicklung einer antimilitaristischen Politik auch heute einen Ausgangspunkt bilden. Jedoch haben sich bürgerliche Ideologie und die Mittel zu ihrer Verbreitung enorm entwickelt, was es anders als Liebknecht 1907 analysiert hat, durchaus möglich macht, bürgerliche Soldaten heranzuziehen, die gebildet sind, eigenständig agieren und keinerlei Gewissensbisse bei der Unterdrückung der eigenen Klassengeschwister haben. Der Faschismus als besondere Form der bürgerlichen Ideologie ist in dieser Hinsicht eine mächtige Waffe des Imperialismus und eine direkte Schlussfolgerung aus seiner bitteren Niederlage in Russland 1917-1921.

Institutionen zur Bekämpfung des sozialdemokratischen bzw. kommunistischen Einflusses auf die Armee bestanden Anfang des 20. Jahrhunderts noch in vergleichsweise unsystematischer Weise. Es gibt zwar Berichte, dass die Liga zur Bekämpfung der Sozialdemokratie in einzelnen Rüstungsbetrieben massiven Einfluss ausübte und auch für die Entlassung sozialistischer Arbeiter sorgte. Es ist dies jedoch nichts im Vergleich zum MAD, einem eigenen Geheimdienst, der letztlich nur die Aufgabe hat, die deutsche Bundeswehr ideologisch rein zu halten.4

Da die herrschende Klasse mit allen Mitteln versucht, ihre Macht zu erweitern, wird es auch militärische Interventionen geben, bis diese Klasse entmachtet ist. Folglich kann konsequenter Antimilitarismus nur mit einer Revolution erkämpft werden. Dies soll jedoch nicht heißen, dass wir uns den antimilitaristischen Kampf nicht heute schon auf die Fahne schreiben.

Imagewechsel bei der
Bundeswehr heute

Die militaristische Propaganda zielt damals wie heute auf mehrere gesellschaftliche Ebenen ab: Die erste Ebene sind die Soldaten selbst, die zweite Ebene ist das Potential für weitere Rekruten und die dritte Ebene ist die Gesellschaft als ganzes, in der die Akzeptanz für den Krieg und die Armee gesteigert werden soll.

Logischerweise ist eine bestimmte Generation dabei stets Hauptzielgruppe der Propaganda: Die Jugend. Sie sind die ersten, die in den Krieg geschickt werden und diejenigen, deren Ideologie noch am stärksten geformt werden kann. Aus Sicht der KommunistInnen gilt das aber in ganz ähnlicher Weise, das heißt wir konkurrieren mit der bürgerlichen Ideologie insbesondere um die Herzen und Köpfe der Jugend.

Im Anbetracht von verschärften internationalen Widersprüchen, Deutschlands imperialistischen Groß -machtansprüchen, die aber im scharfen Gegensatz zu seinen momentanen militärischen Kapazitäten stehen, treibt die Regierung eine in den letzten Jahren beispiellose Aufrüstungskampagne voran. Neben schief schießenden Gewehren und kaputten Hubschraubern ist dabei die Haltung zu Krieg und Bundeswehr in allen Teilen der Gesellschaft ein zentrales Problem.

Dies äußert sich unter anderem darin, dass die Soldatenstellen bei der Bundeswehr mehrmals im Jahr erhöht werden, sie jedoch nicht gefüllt werden können, weil zu wenig Rekruten zur Verfügung stehen. Ein Reflex auf dieses Problem ist die Diskussion über die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht. Momentan liegt jedoch der Schwerpunkt auf dem Versuch, einen Imagewechsel herbeizuführen.

Die Propaganda erstreckt sich dabei in verschiedene Bereiche. So sind jedem schon mal die großen Werbeplakate aufgefallen, die der Jugend suggerieren sollen, dass man innerhalb der Bundeswehr Karriere machen kann. Auch durch YouTube-Serien soll die Jugend beeinflusst werden. Krieg wird hier als gemeinschaftliches Abenteuer dargestellt.

Gerade der Sprung auf die Ebene der sozialen Medien wird von den Rekrutierungsbüros der Bundeswehr als sehr positiv bewertet und hat nach ihren Angaben tatsächlich zu mehr Interessenten geführt. Diese neue Schlagrichtung der militaristischen Propaganda ist dabei auch ein deutlicher Bruch mit dem relativ altbackenem „Wir.Dienen.Deutschland“-Slogan, mit dem noch vor einigen Jahren geworben wurde.

Schauen wir uns die heutige Bundeswehr an, so sehen wir, dass sie breit gefächert in alle Bereiche eindringt. Die Berufe, die dort erlernt werden können, sind sehr vielseitig. Sei es das Medizinstudium oder die Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker. Durch die hohe Technologie innerhalb der Bundeswehr benötigt sie zudem zunehmend hochqualifiziertes Personal.

Nicht nur durch die breite Propaganda versucht die Bundeswehr neue Bewerber zu finden. Auch wird allgemein versucht, den Soldatenberuf „attraktiver“ zu gestalten. Dabei soll zum Beispiel die Vereinbarkeit mit Beruf und Familie erleichtert werden und der Sold weiter angehoben werden.

Vor allem wird aber auf Studierende abgezielt, die an einer herkömmlichen Hochschule an den hohen Notenanforderungen (NC) scheitern. Ihnen wird für ihre Verpflichtung zu militärischen Diensten nicht nur ein Sold ausgezahlt, sondern auch das NC-freie Studieren ermöglicht. Dies ist für die Bundeswehr auch vonnöten, da durch die sich entwickelnden Technologien in den nächsten Kriegen diverse technische Experten gebraucht werden.

Diese neuen Maßnahmen stehen jedoch nicht im Gegensatz zu Maßnahmen, die kontinuierlich vom Kaiserreich über den Faschismus bis heute bestehen: So werden Rekruten weit weg von der Familie in Kasernen isoliert, wo ihnen die faschistische Ideologie eingetrichtert wird und es allzu oft zu Misshandlungen und psychischem Druck kommt.

Unsere Aufgaben im
antimilitaristischen Kampf

Seit Karl Liebknecht vor über hundert Jahren sein Buch „Militarismus und Antimilitarismus“ geschrieben hat, hat sich vieles verändert: Es ist sicher wahr, dass durch die Verkleinerung der Bundeswehr, die Aussetzung der Wehrpflicht und die Weiterentwicklung der Propaganda und Überwachung innerhalb der Bundeswehr die Chancen, spontan zur Seite der Revolution neigende Soldaten zu finden, äußerst gering geworden sind. Wir werden heute weit mehr bewusste Konterrevolutionäre in ihren Reihen finden.

Dennoch greift es viel zu kurz, einfach nur die Parole „Soldaten sind Mörder“ zu verbreiten, Angehörige der Bundeswehr zur Rede zu stellen, zu beschimpfen, zu bespucken oder ihnen die Mütze zu klauen, wenn wir sie in der Bahn sehen. Das ist vielmehr die hilflose Realität von vielen irgendwie „links“ eingestellten Jugendlichen heute.

Stattdessen müssen wir uns die damalige Sichtweise der Sozialdemokratie und der KommunistInnen auf das Heer wieder ein Stück weit aneignen. Wir müssen uns vor Augen führen, dass einfache Soldaten in fast allen Fällen Teile unserer Klasse sind, die für ihren eigenen Unterdrückungsapparat geworben werden.

Es gilt somit besonders bei den Jugendlichen zu entlarven, dass die Bundeswehr ein Instrument zur Unterdrückung der deutschen Bevölkerung und der anderer Länder ist. Langfristig werden wir auch eine Propaganda in der Bundeswehr entwickeln müssen, ganz im Sinne der Arbeiterparteien von damals: „Schießt nicht auf eure Klassengeschwister! Zieht nicht in den imperialistischen Krieg!“

Schwer einzuschätzen ist, wie groß die Erfolge dabei sein werden; aber auch wenn sich die revolutionäre Armee heute nicht einfach aus der Bundeswehr rekrutieren lässt, hat diese Arbeit strategische Bedeutung, da sie die Moral in der Bundeswehr zersetzt und Einfluss darauf haben wird, wie lange und wie entschlossen im imperialistischen Krieg und im Bürgerkrieg der Widerstand der Armee sein wird.

Es gilt weiterhin, jeden Skandal in der Bundeswehr – sei es um Faschismus, patriarchale Gewalt, Misshandlungen, Traumata und Selbstmorde unter Soldaten oder schlechte Lebensbedingungen – zu sammeln und auszunutzen, um die Bemühungen des Verteidigungsministeriums, die Bundeswehr zu einem „normalen“ und „attraktiven“ Arbeitgeber zu machen, zu durchkreuzen.

Das Eindringen der Bundeswehr in andere Teile der Gesellschaft auf Jobmessen, in Schulen und auch in Universitäten muss dabei ebenfalls als ein Kampffeld angesehen werden. Hier bietet sich uns die Chance, die Bundeswehr als imperialistisches Kriegsinstrument zu ächten und Aufklärungsarbeit zu leisten.

Die Tatsache, dass ein großer Teil der aktiven Soldaten aus Ostdeutschland stammt, zeigt unter anderem auf, dass dieser Schritt oft von Menschen gegangen wird, die sonst keine ökonomische Perspektive in ihrem Leben sehen. Dementsprechend ist der Wiederaufbau einer kämpfenden Arbeiterbewegung eine ganz allgemeine Aufgabe, die Alternativen zum Eintritt in die Armee entstehen lässt.

Die Entwicklung einer organisierten Arbeit in der Bundeswehr muss in der revolutionären Bewegung diskutiert werden, sie setzt aber ein hohes organisatorisches Niveau voraus, genauso wie gefestigte und ausgebildete GenossInnen, die diese Aufgabe übernehmen. Das wird auf absehbare Zeit keine Aufgabe sein, zu der wir die breiten Massen unserer Klasse aufrufen könnten.

Berücksichtigen müssen wir dabei, dass durch die Weiterentwicklung der Kriegsführung, den höheren Grad der Technologisierung, der militärische Apparat als ganzer stärker über die Grenzen der Bundeswehr hinaus wächst. Vermeintlich zivile Forschung wird bedeutsamer ebenso wie die Rolle der Rüstungsindustrie.

Die genannten Aufgaben müssen im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der kommunistischen Bewegung in unserem Land angegangen werden. Bricht in den nächsten Jahren ein zwischenimperialistischer Krieg aus bzw. intensivieren sich die Kriegsvorbereitungen weiter, so ist klar, dass sowohl radikalere Kampfformen propagiert und möglichst massenhaft durchgeführt werden müssen, als auch, dass Dinge, die heute noch als banal erscheinen wie Reden halten oder Flugblätter gegen den Krieg zu verteilen zu einem Verbrechen im Sinne der bürgerlichen Rechtsordnung werden können.

1 Insbesondere folgendes Werk: Karl Liebknecht, Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Jugendbewegung (1907)

2 Karl Liebknecht: Militarismus und Antimilitarismus, Karl Liebknecht Werke Band 1, S. 277

3 Eines dieser Konzepte ist ein gleichzeitiger Soldatenstreik aller Kriegsmächte, deren Organisierung man sich um 1905 noch von der II. Internationalen erhoffte. Bezeichnend ist, dass selbst Karl Liebknecht in seinem Hauptwerk zum Militarismus, die Argumentation späterer Sozialchauvinisten teilweise übernimmt. So sei ein allgemeiner Soldatenstreik zwar gut, ein Streik jedoch, der in nur einigen besonders klassenbewussten Ländern durchgeführt würde schlecht, da dieser die Zerstörung der Länder, in denen die Sozialdemokratie bereits stark ist durch die Länder, in denen sie schwächer ist, nach sich ziehen würde.

4 In welchem Sinne diese Aufgabe gelöst wird, nämlich durch die Förderung faschistischer Gedanken in der Armee, ist zu erahnen, wenn man sich vor Augen führt, dass bei einem Großteil der größeren und kleineren Skandale um „Rechtsextremismus“ in der Bundeswehr, von Franco A. bis hin zum Schattenarmee Verein „Uniter e.V.“, MAD-Agenten ihre Finger im Spiel hatten.

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