Eine neue Krise hat die kapitalistische Wirtschaft erfasst und hält auch Deutschland bereits im Griff. Noch lässt sich nicht ganz absehen, ob es sich um einen kurzfristigen Einbruch handelt, der im nächsten Jahr mehr oder weniger überwunden sein wird – oder ob er das Ausmaß der jahrelangen Weltwirtschaftskrise nach 2009 sogar noch übertrifft. Der Bundesfinanzminister Scholz (SPD) hat die Deutschen aber bereits im Januar davor gewarnt, dass „die fetten Jahre“ nun vorbei seien.
Und in der Tat sieht es nicht gut aus: Seit Anfang des Jahres hat die Bundesregierung ihre Konjunkturprognosen für Deutschland scheibchenweise nach unten korrigiert: Erst erwartete sie 1,8 Prozent Wirtschaftswachstum für 2019, im Januar dann 1,0 Prozent, im April schließlich nur noch 0,5 Prozent. Und auch dieses magere Wachstum sei laut Medienberichten nur noch darauf zurückzuführen, dass der Staat seine Ausgaben gesteigert habe1. Sonst würde die Wirtschaft sogar schrumpfen. Dies könnte im zweiten Quartal 2019 bereits geschehen sein. Hier liegen die Schätzungen zwischen minus 0,1 und plus 0,1 Prozent.
Auch die bürgerlichen Wirtschaftsexperten sind von der negativen Entwicklung zunehmend überrascht: Die deutsche Industrie kämpfte im Mai mit einem deutlichen Auftragseinbruch von 2,2 Prozent gegenüber dem Vormonat2 – ein Rückgang, den so niemand erwartet hatte. Insbesondere die Nachfrage nach Maschinen, Investitionsgütern und Autos ist zurückgegangen. Dass die Chemieindustrie eine schwächere Nachfrage nach Grundstoffen verzeichnet, lässt erwarten, dass viele Industriezweige bald Produktionsrückgänge melden werden. Die „Industrieflaute“ hält länger an als erwartet, schreibt Deutschlands führende Wirtschaftszeitung3.
Stellenstreichungen und Kurzarbeit – Die Kapitalisten schicken uns die Rechnung
Schon jetzt ist klar, dass es die Arbeiterinnen und Arbeiter sind, die nach dem Willen der Kapitalisten für die Folgen der Wirtschaftskrise bezahlen sollen: Z.B. durch Kurzarbeit. Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts erwägen 8,5 Prozent der befragten Industrieunternehmen, in den kommenden drei Monaten Kurzarbeit einzuführen. Bereits im April sei nach Daten der Bundesagentur für Arbeit an 44.000 ArbeiterInnen Kurzarbeitergeld ausbezahlt worden – im Vorjahr waren es noch 13.000 gewesen4. Dies sind zwar noch deutlich weniger als die 1,5 Millionen ArbeiterInnen in Kurzarbeit während der letzten großen Krise – aber auch hier werden die Zahlen im Zweifel noch steigen.
Weitaus verheerender ist aber, dass die Unternehmen schon jetzt massive Stellenstreichungen für die nächsten Jahre angekündigt haben:
- Die Deutsche Bank plant den Abbau von 18.000 Stellen.
- Der Chemiekonzern BASF hat angekündigt, bis 2021 rund 6000 Stellen zu streichen – davon 3000 in Deutschland.
- Bayer, ebenfalls ein Chemieriese, will bis Ende 2021 zehn Prozent seiner Belegschaft loswerden. Das sind 12.000 Arbeitsplätze.
- Der Softwarekonzern SAP kündigte bereits im Februar ein „Restrukturierungsprogramm“ an: 4.400 Beschäftigte sollen den Konzern verlassen – darunter 1000 bis 1200 in Deutschland.
- Das Energieunternehmen RWE hat seit dem letzten Jahr in mehreren Schritten angekündigt, insgesamt rund 10.000 Arbeitsplätze weltweit zu streichen. Den Kohleausstieg wird RWE eventuell als Vorwand heranziehen, um diese Zahl noch deutlich zu erhöhen. Sein Konkurrent E.on will 5000 MitarbeiterInnen loswerden und deshalb ältere Beschäftigte in den Vorruhestand schicken.
- Bei der Deutschen Telekom soll jetzt ein Viertel der 4500 Stellen in den Innenstadt-Shops wegfallen. Das Tochterunternehmen T-Systems hatte schon im vergangenen Sommer angekündigt, weltweit 10.000 Stellen zu streichen.
- Siemens will 2000 Arbeitsplätze in der Energiesparte vernichten, davon 1400 in Deutschland. In der Kraftwerkssparte wurden bereits 5000 Stellen gestrichen.
- Der Autobauer Ford plant den Abbau von 5000 Stellen in Deutschland.
- Besonders heftig trifft es die Beschäftigten bei Volkswagen: Der Konzern will in Deutschland insgesamt 27.000 Stellen bis Ende 2023 streichen.
Zwar erklären einige der genannten Unternehmen, dass sie auch neue Stellen schaffen wollen, z.B. Volkswagen rund um die Herstellung von Elektroautos. Das sind aber erstens deutlich weniger als die gestrichenen Stellen. Zweitens ändert das nichts daran, dass durch den Kahlschlag in den nächsten Jahren mehrere zehntausend ArbeiterInnen auf die Straße gesetzt werden und die Reihen der Arbeitslosen füllen. Selbst, wenn der Kelch an einem vorübergeht und der eigene Job nicht gestrichen wird: Die Stellenstreichungen werden die Lebensbedingungen der ArbeiterInnenklasse insgesamt verschlechtern und unsicherer machen: Immer mehr ArbeiterInnen werden im Laufe ihres Erwerbslebens Phasen der Arbeitslosigkeit durchmachen und auch noch miesere Jobs annehmen müssen – vor allem, wenn ihre Qualifikation nicht mehr gefragt ist. Die Arbeitslosigkeit und der Niedriglohnbereich werden anwachsen – und damit der Druck auf die Löhne von allen.
Die Folgen können aber noch weitaus gravierender und die Angriffe heftiger werden, wenn die Krise sich verschlimmert und vielleicht sogar Flaggschiffunternehmen der deutschen Industrie vom Markt fegt.
Der Grund für die Krise ist der kapitalistische Zwang zur Überproduktion
Krisen sind im Kapitalismus keine Betriebsunfälle. Sie entstehen nicht zufällig, sondern sind die gesetzmäßige Verlaufsform der kapitalistischen Wirtschaft. Sie entstehen aus dem Zwang des Kapitals, Profit zu erwirtschaften. Dieser Zwang treibt die Unternehmen dazu, ihre Produktion schrankenlos auszudehnen. Die Entwicklung des Marktes ist jedoch gleichzeitig beschränkt.
Der Grund hierfür liegt in der Quelle des Profits – der Produktion von Mehrwert durch die Ausbeutung von LohnarbeiterInnen: Der Wert der Waren, den die ArbeiterInnen produzieren, ist deutlich höher als das, was sie als Lohn für den Arbeitstag erhalten, nämlich den Wert ihrer Arbeitskraft. Sie sind daher überhaupt nicht in der Lage, so viel an Wert zu konsumieren, wie sie produzieren.
Dieser Widerspruch eskaliert heute alle vier bis fünf Jahre in einer Wirtschaftskrise: Die Entwicklung der Produktion und des Marktes fangen mit dem Beginn jedes Krisenzyklus an, auseinander zu laufen. Die Krise ist dann der Moment, in dem der Widerspruch gewaltsam aufgelöst wird – nämlich durch die Vernichtung von Kapital: Überschüssige Waren werden zerstört. Zahlreiche Unternehmen gehen pleite und werden von ihren Konkurrenten aufgekauft. Diese sanieren sich auf Kosten ihrer ArbeiterInnen: Viele werden auf die Straßen geworfen und später zu schlechteren Bedingungen wieder eingestellt. Durch die Einführung neuer Produktionstechnik nach der Krise machen die Unternehmen immer mehr ArbeiterInnen auf Dauer überflüssig.
Der Grund für die Krisen im Kapitalismus ist also der Zwang des Kapitals zur Überproduktion: Die ArbeiterInnen werden auf die Straße gesetzt, weil sie im Auftrag der Unternehmen zu viel hergestellt haben. Dieses Grundproblem wird durch zahlreiche Entwicklungen des modernen Kapitalismus wie die massive Ausweitung von Kreditgeschäften und die Bildung von Monopolen noch verschärft5.
Die einzige Antwort ist der Klassenkampf
Der einzige Weg, die Angriffe des Kapitals zurück zu schlagen, ist der entschiedene Klampf. Die Kapitalisten werden uns erzählen, dass wir den „Gürtel enger“ schnallen müssen, um unsere Jobs zu retten. In Wahrheit wird jedes Nachgeben unsererseits die Unternehmen nur dazu einladen, ihre Angriffe noch zu verschärfen. Die Krise ist eine Gesetzmäßigkeit des Kapitalismus, die regelmäßig alle paar Jahre eintritt. Die nächste Krise wird weder ausbleiben, nur weil wir jetzt nachgiebig sind. Noch wird irgendeine Krise den Kapitalismus von selbst zu Fall bringen und unsere Probleme lösen. Alles, worauf es ankommt, ist, dass wir als ArbeiterInnen dagegen halten – und zwar so früh und so entschieden wie möglich.
Folgende Punkte sind dabei wichtig:
- Die Forderung, dass das Kapital die Krise bezahlen soll, gehört nicht nur auf Flugblätter, sondern wir müssen sie aktiv in allen konkreten Kämpfen in Betrieben und Stadtteilen mit Leben füllen!
- Wir dürfen uns nicht darauf beschränken, nur unseren jetzigen Lebensstandard zu verteidigen, der im Kapitalismus immer und zwangsläufig bedroht ist. Wir kämpfen um unsere Arbeitsplätze. Aber das eigentliche Ziel ist die Inbesitznahme aller Produktionsmittel durch die ArbeiterInnenklasse. Die Krise führt uns vor Augen, dass der Kapitalismus die Lebenslage der ArbeiterInnen immer weiter verschlechtern wird. Nur der offensive Kampf gegen das Kapital, der Sturz des Systems wird die Lösung bringen!
- Wir lassen uns nicht vormachen, dass eine Lösung des Problems im Kapitalismus möglich wäre: Wer verspricht, er könne die Lebenslage der ArbeiterInnenklasse verbessern, aber den bürgerlichen Staat nicht anfassen will, der den Kapitalismus gewaltsam aufrecht erhält – der wird morgen die Angriffe auf die ArbeiterInnen mittragen. Der Kapitalismus hat uns nichts mehr zu bieten und muss beseitigt werden. Dazu gibt es keine Alternative.
- Faschistische Kräfte werden in den nächsten Monaten und Jahren hergehen und behaupten, dass sie die Interessen der ArbeiterInnen vertreten und das System stürzen wollen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Der Faschismus steht für die heftigsten Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse. Überall, wo faschistische Kräfte in den letzten Jahren an Regierungen beteiligt waren (wie in Polen, Ungarn, Österreich, Italien, Brasilien) haben sie die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung im Interesse der Unternehmer offensiv verschlechtert.
- Wir machen keine Abstriche bei der Klassensolidarität und beim Internationalismus! Wir treten allen Versuchen des Kapitals entgegen, Teile der ArbeiterInnen anhand ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihres Alters, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Religion gegeneinander auszuspielen! Wir treten ebenso allen Versuchen entgegen, Betriebsstandorte oder Berufsgruppen gegeneinander auszuspielen! Nein, es sind nicht unsere KollegInnen aus anderen Branchen, an anderen Standorten, aus anderen Ländern oder etwa Geflüchtete, die unsere Arbeitsplätze bedrohen. Es ist das Kapital.
1 „In Deutschland wächst nur noch der Staat“, www.welt.de/wirtschaft/article192063283/Konjunktur-In-Deutschland-waechst-nur-noch-der-Staat.html
2 „Aufträge an deutsche Industrie gehen deutlich zurück“, www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/auftraege-der-deutschen-industrie-brechen-ein-a-1275967.html
3 „Trendwende am Arbeitsmarkt“, www.handelsblatt.com/politik/deutschland/arbeitsmarkt-trendwende-am-arbeitsmarkt-angst-vor-massenentlassungen-waechst/24512150.html
4 „Deutsche Industrie rechnet mit mehr Kurzarbeit“, www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/konjunktur-deutsche-industrie-rechnet-mit-mehr-kurzarbeit-a-1275753.html
5 Siehe hierzu die aktuelle Ausgabe unserer Zeitschrift „Kommunismus“, die sich intensiv den kapitalistischen Wirtschaftskrisen und ihren Folgen widmet: https://komaufbau.org/kommunismus-15-juli-2019