Eine Stellungnahme der Kommunistischen Frauen
Im September diesen Jahres wurde auf verschiedenen Kanälen in den Sozialen Medien eine Stellungnahme veröffentlicht, in welcher ernste Vorwürfe in Bezug auf den Umgang mit einem Fall von patriarchalem Fehlverhalten/Gewalt geäußert wurden. Die darin beschuldigte Person war bis zu diesem Zeitpunkt ein Teil der Föderation klassenkämpferischer Organisationen (FKO). Die FKO hat bis heute keine eigenen Strukturen, die systematisch zu Vorfällen patriarchaler Gewalt arbeiten, weshalb in der Vergangenheit wir für diese Arbeit hinzugezogen wurden. Die dort genannten Kritiken richteten sich also bereits in der ersten Veröffentlichung insbesondere an unsere Organisation – ohne dass diese explizit genannt wurde.
Nach der ersten Veröffentlichung haben wir uns bewusst dagegen entschieden, ein öffentliches Statement zu den Vorwürfen zu verfassen. Stattdessen folgte eine interne Auswertung, in welcher wir als Kommunistische Frauen (KF) gegenüber unserer Organisation, dem Kommunistischen Aufbau (KA), und der kommunistischen Jugend (KJ) Rechenschaft abgelegt haben und unsere Fehler im Umgang mit dem konkreten Fall aus der ersten Veröffentlichung selbstkritisch ausgewertet haben. Außerdem wurde eine Statement gegenüber der FKO abgelegt.
Wir haben darüber hinaus einige Gespräche geführt mit anderen Organisationen und ihnen unsere Fehler und Selbstkritiken transparent dargelegt. Dies geschah mit dem Ziel, dass sie uns auf dieser Grundlage an dem Anspruch, den wir selbst an uns stellen, messen und daraus Schlüsse für ihre Arbeit mit uns ziehen können.
Anfang Dezember folgte nun eine weitere Veröffentlichung, in welcher grundlegendere Kritiken geäußert wurden. Diese richten sich insbesondere gegen unseren Umgang mit patriarchalem Fehlverhalten/Gewalt und die Prinzipien, nach welchen wir als Kommunistische Frauen in diesem Bereich arbeiten – auch wenn noch die FKO, sowie einige Kultur- und Medienprojekte genannt werden.
In Bezug auf die zweite Veröffentlichung sind wir nun jedoch zu der Einschätzung gekommen, dass wir uns öffentlich zu einigen der genannten Punkte verhalten wollen, um allen die Möglichkeit einer Einordnung der genannten Vorwürfe zu geben. Hierfür werden wir notwendigerweise viele verschiedene Themen anschneiden müssen.
Da sich die zweite Veröffentlichung sowohl konkret auf uns bezieht, als auch auf die Organisationen der FKO, sehen wir hier zunächst die Notwendigkeit, das Verhältnis der KF zu der FKO in Bezug auf den Umgang mit patriarchaler Gewalt zu klären. Das lässt sich nicht ohne den Kontext der Entwicklung der jeweiligen Strukturen verstehen, insbesondere auch deshalb, da die in beiden Veröffentlichungen erwähnten Vorfälle jeweils einige Jahre in der Vergangenheit liegen. Viele der Fehler, die im Nachhinein ausgewertet werden können, waren auch ein Ergebnis von Erfahrungsschwäche und dem Fehlen von Prinzipien und Strukturen im Umgang mit patriarchaler Gewalt. Das rechtfertigt jedoch keinen dieser Fehler und bedeutet auch nicht, dass heute mit entwickelten Prinzipien und mit entwickelteren bestehenden Strukturen auf Seite der Kommunistischen Frauen keine Fehler mehr gemacht werden würden.
Bei allen Kritiken, die es aktuell an uns gibt, waren und sind wir aufgrund unserer Erfahrungen in der antipatriarchalen Arbeit dennoch besser geschult im organisierten Umgang mit Vorfällen, weshalb wir von den Genoss:innen der FKO hinzugezogen wurden, um die Arbeit zu einem konkreten Fall politisch anzuleiten. Dieses Verhältnis zueinander zu verstehen ist deshalb notwendig, weil demnach auch wir diejenigen sind, die den Großteil der Auswertungsarbeit zu Fehlern, die gemacht wurden, leisten müssen und die Strukturen der FKO dies aufgrund unserer Führung des Prozesses schlicht nicht können. Dies ist ein anderes Problem, was an dieser Stelle jedoch nicht von uns stellvertretend für die FKO diskutiert werden soll, sondern wofür die Genoss:innen in Zukunft selbst Lösungen entwickeln müssen.
Aus diesem Grund werden auch wir – und nicht die Genoss:innen der FKO – im Folgenden ausführlicher darauf eingehen, was unser Umgang mit patriarchalem Fehlverhalten und Gewalt ist, welche Prinzipien wir dabei verfolgen und welche nicht, wo uns das heute noch nicht ausreichend gelingt und was das für die Weiterentwicklung der antipatriarchalen Arbeit als KF bedeutet. Wir verfolgen hier also nicht das Ziel, uns zu den einzelnen Prozessen und Vorwürfen im Detail zu verhalten. Wir vertreten weiterhin den Standpunkt, dass die tiefergehende inhaltliche Diskussion patriarchaler Gewaltfälle und Details zu Täterprozessen im Internet nichts zu suchen haben. Die Verbreitung von Details zu patriarchalen Gewaltfällen nützt dabei in der Regel niemandem. Im Gegenteil führt sie in einer patriarchalen Gesellschaft vor allem zu Spekulationen und Lästereien und verhindert einen zielgerichteten politischen Umgang.
Stattdessen wollen wir insbesondere inhaltlich Stellung beziehen. Die Veröffentlichung beinhaltet mehrere verschiedene Ebenen der Kritik, für die es jeweils einen gesonderten Umgang braucht. Auf der einen Seite sind da die konkreten Vorwürfe, zu denen wir im Folgenden aus den genannten Gründen nur kurz Stellung beziehen werden. Auf der anderen Seite sind da die grundsätzlichen Kritiken an unseren Prinzipien, welche die Autor:innen des zweiten Statements zu dem Schluss kommen lassen, dass wir systematischen Täterschutz betreiben würden. Wir denken, dass es sich hier auch um einen inhaltlichen Dissens handelt, dem ein unterschiedliches Verständnis davon zugrunde liegt, was Täterarbeit überhaupt bedeutet, warum wir unsere Prinzipien anwenden und wie wir sie anwenden. Wir wollen deshalb in dieser Stellungnahme auf ein paar dieser Prinzipien genauer eingehen, dabei aber auch nicht verschweigen, dass diese Lücken und Mängel aufweisen, welche überwunden werden müssen. Wir wollen Fehler nicht verschweigen, sondern den Beitrag dafür nutzen, unseren Anspruch darzulegen, dem wir selbst heute nicht immer gerecht werden und worüber wir uns bewusst sind.
Wie gesagt, werden wir zu den konkreten Fällen öffentlich keine detaillierte Auswertung machen und auch nicht auf falsche Informationen, die dazu im Umlauf sind, eingehen. Was wir an der Stelle aber sagen können ist, dass es zu beiden Personen auf Grundlage der Informationen, die wir haben, Einschätzungen und eine selbstkritische Haltung gibt und wir bereit sind, darüber in allgemeiner Form mit allen Personen und Organisationen zu sprechen, die ein aufrichtiges Interesse daran haben.
Die Realität des Patriarchats anerkennen
In einer patriarchalen Gesellschaft zu leben bedeutet, dass es überall Täter gibt und das wird auch so bleiben, solange das Patriarchat existiert. Jede Frau wird in ihrem Alltag mit irgendeiner Form von grenzüberschreitendem Verhalten konfrontiert. Diese Erfahrungen sind nichts abstraktes, sondern hier gibt es ausübende Personen – in der Regel Männer. Wenn alle Frauen Erfahrungen mit patriarchalem Fehlverhalten oder Formen der Gewalt machen, dann stellt sich die Frage, wo all diejenigen sind, die dieses Verhalten ausüben? Sie sind überall, auch in der Arbeiter:innenklasse, welche wir organisieren wollen und in jeder einzelnen linken, fortschrittlichen oder revolutionären Struktur. Zu denken, dass es gemischtgeschlechtliche Organisationen geben kann, in welchen es keine Männer gibt, die in irgendeiner Form schon mal die Grenzen einer Frau überschritten haben, ist fernab der Realität und verschließt einem letztlich die Möglichkeit, sich für einen Umgang damit entscheiden zu können. Wir normalisieren patriarchales Fehlverhalten und Gewalt nicht, sondern in der patriarchalen Gesellschaft, in der wir leben, ist das „normal“ im Sinne von Realität – ob wir das wollen oder nicht. Wir können uns aber dafür entscheiden, mit dieser Realität einen Umgang zu finden. Wir können uns aktiv dafür entscheiden, Strukturen zu schaffen, die es uns ermöglichen, mit Teilen der Männer, die sich falsch verhalten haben oder die Täter geworden sind, so zu arbeiten, dass sie sich verändern. Dies ist nicht nur notwendig für eine kommunistische Bewegung in ihrer Keimform, sondern auch notwendig, wenn wir zehntausende organisieren wollen – und erst recht im Sozialismus. Die Erkenntnis über das, was ist und wo wir hin wollen, verpflichtet uns, unser Handeln und unsere Strukturen dementsprechend auszurichten. Sich dieser Realität zu entziehen bedeutet, Verantwortung abzugeben. Wir bekennen uns also dazu, dass Täterarbeit richtig und notwendig ist. Dabei ist klar, dass diese Arbeit Grenzen hat. Das ist jedoch abhängig von der konkreten Tat an sich, aber auch von einer Einschätzung der Möglichkeiten die man selber als Struktur hat, um eine Arbeit mit einem Täter überhaupt leisten zu können. Unter Anderem in diesem Punkt haben wir in der Vergangenheit Fehler gemacht und falsche Einschätzungen über mögliche Täterprozesse getroffen, die früher hätten abgebrochen werden müssen.
Täterarbeit – Was verstehen wir darunter und wie sieht sie aus?
Ob eine Arbeit mit einem Täter angestrebt wird oder nicht ist eine Frage, die sich immer konkret stellt und von verschiedenen Faktoren abhängig ist. Dabei kann es aus unterschiedlichen Gründen zu der Entscheidung kommen, dass eine solche Arbeit nicht stattfinden kann, zum Beispiel die Schwere der Tat, eine Einschätzung des Täters, die eine erfolgreiche Arbeit grundsätzlich verhindert, eine fehlende Veränderungsbereitschaft des Täters, die Einschätzung, dass der Struktur bestimmte Fähigkeiten oder Kapazitäten fehlen, um die Arbeit umfassend leisten zu können oder der Bruch mit im Täterprozess vereinbarten Prinzipien durch den Täter.
Kommen wir zu der Entscheidung, eine Täterarbeit zu beginnen, dann gehört dazu die Aufarbeitung einer konkreten Tat bzw. eines Fehlverhaltens. Die bloße Aufarbeitung einer Tat ändert jedoch kein Verhalten einer Person. Die ideologische Diskussion ist also unbedingt Bestandteil der Täterarbeit. Das Ziel dieser Arbeit ist es, das Denken, Fühlen und Handeln einer Person zu beeinflussen und letztlich zu verändern. Hierfür benötigt es eine allumfassende Einschätzung der Persönlichkeit einer Person und ihres Bewusstseinsstandes, um überhaupt festlegen zu können, welche Themen diskutiert und welche Fragen geklärt werden müssen. Mit einer Person, die schon seit Jahren in einer Organisation ist und sich regelmäßig mit dem Patriarchat auseinandergesetzt hat, muss anders gearbeitet werden als mit einer Person, die zum ersten mal mit dem Thema Patriarchat konfrontiert ist und noch kein Geschlechtsbewusstsein hat. Wenn wir den Anspruch ernst nehmen, Bewusstsein bei Tätern für die eigene Tat schaffen zu wollen, dass sie lernen Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen – dann gehört dazu auch eine grundsätzliche Auseinandersetzung damit, was die Rolle des eigenen Geschlechts in der Gesellschaft überhaupt ist und welche Auswirkungen die patriarchale Sozialisation auf die eigene Persönlichkeit hat. Das bedeutet, dass wir die Täterarbeit vor allem ausgehend von dem Ziel der Veränderung diskutieren.
Die Täterarbeit und die damit verbundenen Maßnahmen und Konsequenzen, die getroffen werden, orientieren wir dabei also bewusst nicht ausschließlich an dem, was die Betroffene fordert. Dadurch kommen wir durchaus immer wieder in die Situation, sowohl Entscheidungen zu treffen, die den Betroffenen nicht weit genug gehen, als auch Entscheidungen zu treffen, die über das hinaus gehen, was eine Betroffene fordert. Das ist das Ergebnis, wenn politische Einschätzungen eines Verhaltens gemacht werden, d. h. Einschätzungen, die möglichst objektiv festhalten, was genau passiert ist und basierenden auf diesen Einschätzungen Konsequenzen gezogen werden. Um das wiederum machen zu können, sind wir angewiesen auf einen gewissen Grad an Information über eine Situation. Der alleinige Vorwurf „das war ein sexualisierter Übergriff“ oder „es gab eine Belästigung“ reicht hierfür nicht aus. Auf Grundlage dessen kann keine Einschätzung getroffen werden und ohne diese Einschätzung ist die konkrete Aufarbeitung eines Fehlverhaltens oder einer Tat mit der beschuldigten Person kaum umsetzbar. Dennoch bleibt es unser Prinzip, dass die Betroffene allein entscheidet, wie viele Informationen sie preisgeben möchte. In der Arbeit mit der Betroffenen ist es die Aufgabe, ein Vertrauensverhältnis herzustellen, so dass sie die Möglichkeit hat sich zu öffnen und über das Erlebte zu berichten.
Sich dafür zu entscheiden mit Tätern zu arbeiten ist kein Täterschutz. Hierzu haben wir eine klare Haltung. Dass in der zweiten Veröffentlichung so vehement von systematischem Täterschutz gesprochen wird ist auch das Ergebnis einer inhaltlichen Differenz. Es ist ein Unterschied darüber zu sprechen, wo konkret in der Täterarbeit Fehler gemacht wurden – oder aber die Arbeit mit Tätern auf Basis von antipatriarchalen Prinzipien grundsätzlich abzulehnen. Dass wir in einzelnen Fällen in der Täterarbeit Fehler gemacht haben ist uns bewusst und wir sind bereit, daraus zu lernen und Konsequenzen für die weitere Arbeit daraus zu ziehen. Unter Täterschutz verstehen wir aber im Gegensatz dazu das bewusste Ignorieren und konsequente Nicht-Bearbeiten von Vorwürfen gegenüber einer Person, zum Beispiel, um ihren Status oder Ruf zu schützen. In keinem uns bekannten Fall haben wir bewusst und absichtlich die Arbeit mit einer beschuldigten Person ignoriert oder Konsequenzen nicht gezogen, um ihren Ruf oder Status zu schützen.
Arbeit mit der Betroffenen
In der Arbeit zu patriarchalen Gewaltfällen muss die Arbeit mit Betroffenen eine besondere Priorität haben. Dabei gilt grundsätzlich das Prinzip, dass wir parteiisch auf der Seite der Betroffenen stehen wenn sie Vorwürfe schildert. Dadurch soll das bürgerliche Recht umgekehrt werden. Nicht die Betroffene muss beweisen, dass ihr etwas passiert ist, sondern der Täter muss glaubhaft darlegen, dass er eine Tat nicht begangen hat.
In der Arbeit mit der Betroffenen sehen wir es als unsere Aufgabe Frauensolidarität zu leben. Wir unterstützen Betroffene in der Aufarbeitung, indem wir mit ihnen gemeinsam die Tat politisch einordnen und ihr nicht die alleinige Verantwortung aufbürgen zu definieren, was passiert ist. Darüber hinaus sind wir allerdings nicht in der Lage, Geschehnisse psychologisch aufzuarbeiten. In Fällen, in denen das gewünscht ist unterstützen wir dabei die notwendige Hilfe von Außen zu finden.
In Fällen, in denen sich für eine Arbeit mit dem Täter entschieden wird, unterscheidet sich unser kurzfristiger und langfristiger Umgang. Kurzfristig setzen wir dabei stärker einen Fokus auf die Bedürfnisse der Betroffenen, zum Beispiel in Form einer unmittelbaren vorübergehenden räumlichen Trennung in bestimmten Bereichen. Dadurch soll es ihr ermöglicht werden, sich weiterhin an der politischen Arbeit beteiligen zu können. Wenn das Ziel der weiteren gemeinsamen politischen Arbeit besteht, muss diese Trennung langfristig wieder aufgehoben werden, was nicht bedeutet, dass Täter und Betroffene in der Zukunft wieder gemeinsam Aufgaben erledigen müssen. Auch hierfür können längerfristige Lösungen gefunden werden, die jedoch immer konkret und gemeinsam mit der Betroffenen diskutiert und entschieden werden müssen.
In der Betroffenenarbeit und der Täterarbeit entsteht also häufig der Widerspruch, dass sowohl die Bedingungen für die Betroffene geschaffen werden müssen, sich weiter an der politischen Arbeit zu entwickeln, als auch die Bedingungen für den Täter, sich im Kollektiv verändern zu können. Die Arbeit muss also auf eine Art und Weise gestaltet werden, dass sich die jeweils beschlossenen Zielsetzungen und Maßnahmen nicht gegenseitig ausschließen. Dabei verfolgen wir den Anspruch, die Betroffenen- und die Täterarbeit nicht gegeneinander zu diskutieren.
Unsere Haltung zur Transparenz nach Außen und nach Innen
Die häufigste Form, wie Transparenz nach Außen gefordert oder auch hergestellt wird ist über sogenannte Outcalls, auch „Outings“ genannt. Sie werden in der feministischen Bewegung häufig gegen Personen verwendet, welchen patriarchales Fehlverhalten und/oder Gewalt vorgeworfen wird. In diesen Fällen verfolgen Outings in der Regel das Ziel, eine Person sozial zu isolieren, also aus sozialen Zusammenhängen auszuschließen, zu bestrafen oder andere Personen vor dieser Person zu warnen. Diese Vorgehensweise geht meistens damit einher, dass auch in irgendeiner Form im Internet oder auch „offline“ – etwa in einem bestimmten Szenekreis – viele Debatten über einen Vorwurf geführt werden. Auf der einen Seite denken wir, dass Outings dabei meist nicht mal ihr eigenes Ziel wirklich erfüllen, da der Effekt erstens sehr gering ist und zweitens einen kleinen Wirkungskreis gar nicht erst überschreitet. Selbst wenn dem aber so wäre, würden wir diese Vorgehensweise in den aller meisten Fällen ablehnen, und das aus mehreren Gründen: Einmal denken wir, dass Outings die Verantwortung letztlich abgeben an andere Personen, die mit dem Outing und mit der geouteten Person selbst einen Umgang finden müssen. Mit dem Outing einer Person verschwinden weder die Person noch ihr Verhalten. In der von uns beobachtbaren Praxis gehen Outings selten mit einem organisierten Umgang oder einer politischen Zielstellung einher, in welcher sich auch die Frage nach der Veränderung eines Verhaltens gestellt wird und wie die Bedingungen für diese Veränderung geschaffen werden können.
Außerdem denken wir, dass diese Form der Transparenz nach außen – seien es Outings oder die hier thematisierte Veröffentlichung – auch aus Repressionsgründen abgelehnt werden muss. Denn gerade solche Fälle sind bekannt dafür, dass sie gezielt vom Staat für die Zersetzung und Spaltung von ganzen Strukturen verwendet werden. Dabei ist es unser Ziel, dass der Schutz vor Repression nicht gegen den Kampf gegen das Patriarchat ausgespielt wird. Vielmehr denken wir, dass beides nur gemeinsam gewährleistet werden kann. So ist der Schutz revolutionärer Strukturen eine grundlegende Voraussetzung für zielgerichtete antipatriarchale Arbeit. Die antipatriarchale Arbeit wiederum ist notwendig für eine erfolgreiche revolutionäre Arbeit mit dem Ziel der Befreiung aller Geschlechter und unserer Klasse.
Zur Frage der Transparenz im Inneren werden wir hier ein paar grundsätzliche Punkte benennen. Es ist richtig, dass es diese vollumfängliche Transparenz nach Innen nicht gibt und das ist unserer Meinung nach auch richtig so. Wir haben den Anspruch an alle Revolutionär:innen, einen organisierten Umgang mit Vorwürfen zu entwickeln, da die Gefahr von unkontrollierbaren Dynamiken gerade in Bezug auf Vorwürfe zu patriarchalem Fehlverhalten und Gewalt besonders hoch ist. Diejenigen, welche zu einem patriarchalem Fall arbeiten, müssen jedoch die Möglichkeit haben, gezielt Debatten zu führen, ohne sich zusätzlich um das Management eben dieser Dynamiken kümmern und zusätzliche Brandherde löschen zu müssen, die zwangsläufig entstehen, wenn einfach wahllos an allen möglichen Stellen Gemauschel und Gerüchte über einen Vorfall entstehen. Das verhindert letztlich einen Umgang zu finden, durch welchen die Situation in eine klare Richtung geklärt werden kann und geht im Zweifel immer auf Kosten der Betroffenen selbst, da Informationen an Stellen landen, an welchen sie nicht landen sollten. Wir sind allerdings auch der Auffassung, dass wir nicht nur Betroffenen gegenüber, sondern auch beschuldigten Personen gegenüber eine Verantwortung haben. Diese hat beispielsweise das Recht sich zu einem Vorwurf zu äußern, wenn nicht wichtige Gründe dagegen sprechen.
Wie gehen wir vor?
Anhand von den Schilderungen der Betroffenen wird ein Vorwurf definiert. Der Beschuldigte hat das Recht, sich zu diesem zu äußern und ist in der Verantwortung glaubhaft darzulegen, dass die Vorwürfe nicht stimmen. Auf Grundlage der Informationen wird eine Einschätzung zu dem Fall gemacht, was dieser für einen weiteren Umgang bedarf und welche Konsequenzen und Maßnahmen erforderlich sind. Die breite Beteiligung von möglichst vielen Leuten an solchen Diskussionen führt dabei zu keinem produktiven Umgang, weshalb für die Bearbeitung eines Falls einige Verantwortliche festlegen werden, die konzentriert an diesem Fall arbeiten können.
Die Arbeit, die mit einem Täter gemacht wird sowie die Konsequenzen, die aus einer Tat resultieren, müssen sich dabei neben der Einschätzung der schwere der Tat am Bewusstseinsstand des Täters orientieren. Die Konsequenzen für eine Person mit höherem Organisierungsgrad müssen also dementsprechend härter sein, da hier ein höheres Bewusstsein für das eigene Verhalten vorausgesetzt werden kann.
Das Spektrum an patriarchalen Verhaltensweisen und Formen von Gewalt ist dabei sehr breit. Daraus ergibt sich, dass es auch eine relativ große Bandbreite an Maßnahmen und Konsequenzen geben kann. Diese können zum Beispiel einzelne Gespräche und die Entbindung von einzelnen Aufgaben umfassen, aber auch monatelange Prozesse oder Ausschlüsse aus der Organisation, ihrem Umfeld und allen Veranstaltungen, auf die man Einfluss hat.
Auf der Grundlage unserer allgemeinen Prinzipien haben in vergangenen Jahren Prozesse mit verschiedenen Personen stattgefunden, in denen sich diese Breite an Maßnahmen widergespiegelt hat. Dabei sind in der Vergangenheit immer wieder Personen kurzfristig und auch langfristig ausgeschlossen worden, ebenso gab es auch viele Gespräche und Prozesse, welche mit positiven Veränderungen und Entwicklungen abgeschlossen werden konnten.
Das in der feministischen Bewegung teilweise vertretene Prinzip der „Definitionsmacht“ lehnen wir ab. Definitionsmacht bedeutet, dass Betroffene eine Situation alleine abschließend einschätzen und den Umgang mit dieser definieren dürfen bzw. müssen. Das bedeutet in der Praxis, dass den Betroffenen alleine die Verantwortung aufgebürdet wird eine Situation einzuschätzen und zu entscheiden, was der Umgang mit dieser ist. Das Prinzip der Definitionsmacht widerspricht einer politischen Entscheidung auf Grundlage einer kollektiven, möglichst objektiven Einschätzung der Situation und dementsprechend auch einer kollektiven Verantwortungsübernahme für die darauf folgenden Entscheidungen und Konsequenzen. Die Definitionsmacht abzulehnen bedeutet dabei nicht, über den Kopf von Betroffenen hinweg zu entscheiden, sondern es bedeutet im besten Fall gemeinsam zu einer politischen Einschätzung zu kommen.
Zum weiteren Umgang
Als Organisation übernehmen wir die Verantwortung für die Entscheidungen, die wir in den letzten Jahren bezüglich verschiedener Täter und Beschuldigten innerhalb unserer eigenen Reihen und denen der FKO getroffen haben. Wir sind uns darüber bewusst, dass in dieser Arbeit Fehler passiert sind und dass diese insbesondere in diesem Bereich besonders schwer wiegen und unmittelbar zu Lasten von Betroffenen gehen können und gegangen sind. Dafür entschuldigen wir uns.
Das anzuerkennen kann für uns in der Zukunft jedoch nicht bedeuten, keine Arbeit mit Tätern mehr zu machen. Denn das würde letztlich bedeuten, den Anspruch, den männlichen Teil unserer Klasse zu organisieren, in weiten Teilen aufzugeben. Zum einen, weil viele Männer im Laufe ihres Lebens zu Tätern werden, zum anderen weil es unmöglich ist abzuschätzen, wer es noch wird, auch wenn es durch präventive antipatriarchale Arbeit natürlich das Ziel ist, dies zu vermeiden.
Keine Täterarbeit mehr zu machen würde letztlich nicht dazu führen, dass Betroffenen und den Frauen unserer Klasse im Allgemeinen geholfen ist, sondern es würde vor allem dafür sorgen, dass das Patriarchat von den Kommunist:innen unangetastet bleibt. An vielen Stellen unserer dargelegten Prinzipien zeigen sich tiefere inhaltliche Differenzen zwischen unserem Umgang mit patriarchalem Verhalten und patriarchaler Gewalt und der Haltung des Autor:innenkollektivs. Zu diesen Differenzen gehört auch die Art und Weise, wie mit solchen Differenzen umgegangen wird, denn die letzte Veröffentlichung verfolgt nicht mehr das Ziel einer Klärung oder konstruktiven Auseinandersetzung.
Dass wir zu diesen Schlussfolgerungen in Bezug auf die Veröffentlichung kommen bedeutet aber nicht, dass wir einfach weiter machen wie zuvor oder uns jeglicher geäußerter Kritik verschließen. Das haben wir hoffentlich ausreichend darlegen können.
Wir haben unseren Umgang mit den Fällen intern ausführlich ausgewertet. Wir haben die letzte Zeit genutzt, um unsere Arbeitsweise noch ein Mal sehr gründlich zu reflektieren und werden das weiterhin tun. In der letzten Zeit wurden bereits unmittelbare Konsequenzen aus den von uns begangene Fehlern für die Arbeit gezogen und in der Zukunft werden weitere folgen. Die Auswertungen und internen Schlussfolgerungen werden zudem genutzt unsere Prinzipien und Leitlinien weiter auszuarbeiten, welche anschließend auch veröffentlicht werden.
Der Kampf gegen das Patriarchat ist uns weiterhin ein ernsthaftes Anliegen und an unserem gesetzten Ziel, die Frauenrevolution schon heute zu führen, wollen wir gemessen werden. In diesem Sinne stehen wir hinter den Prinzipien, welche wir uns selbst gegeben haben, im Wissen um die Mängel und Lücken, die heute noch bestehen und die geschlossen werden müssen. Wir sind der Überzeugung, dass jede Organisation und alle politischen Strukturen selbständig in der Verantwortung stehen, sich mit dem Umgang mit patriarchaler Gewalt auseinanderzusetzen und für sich zu entscheiden, welche Prinzipien sie dabei richtig finden und welche nicht.
Wir haben weiterhin die Offenheit, mit allen, die das möchten, dazu in die Diskussion zu gehen. Wir sind offen für Kritiken und sind interessiert an einem theoretischen und praktischen Erfahrungsaustausch mit anderen Strukturen, um voneinander zu lernen und die eigene Arbeit dahingehend stetig weiterzuentwickeln und zu verbessern.