Im Dezember 2024 veröffentlichten wir unsere erste Stellungnahme in Bezug auf die gegen unsere Organisation und gegen die FKO veröffentlichten Vorwürfe von „Täter Stoppen“. In dieser erklärten wir unsere grundlegende Herangehensweise an die Arbeit zu patriarchaler Gewalt und patriarchalem Fehlverhalten. Auch wenn wir uns seit dieser Stellungnahme bewusst nicht mehr öffentlich dazu verhalten haben, befanden wir uns in der permanenten Auseinandersetzung mit den Vorwürfen und unseren Prinzipien im Umgang mit patriarchalem Fehlverhalten und Gewalt. Diese erfolgte nicht nur intern, sondern auch im (selbst-)kritischen Austausch mit anderen Organisationen, im direkten oder indirekten Austausch mit Betroffenen unserer und anderer Strukturen. Ein Widerspruch in den Darstellungen von uns und „Täter stoppen“ bleibt die Frage danach, inwieweit es ein Interesse oder Bestrebungen gab, das Gespräch zu den Betroffenen im Kontext der Veröffentlichungen selbst zu suchen. Gerade bei den Versuchen dies zu tun wurde uns entweder über andere Organisationen, über Dritte oder auch von Betroffenen selbst deutlich gemacht, dass wir entweder von der Kontaktaufnahme abzusehen haben oder – aus unterschiedlichen Gründen – Gesprächsangebote nicht wahrgenommen wurden. Das haben wir akzeptiert und aus diesem Grund erfolgte von unserer Seite aus keine weitere Initiative. Für Gespräche stehen wir als Organisation weiterhin bereit.
Selbstkritische Auswertung
Unabhängig von dem Kontakt zu Betroffenen rund um die Veröffentlichungen haben unter anderem auf unserer ersten Frauenkonferenz im Herbst 2024 Diskussionen über den weiteren Umgang mit patriarchalem Fehlverhalten und Gewalt stattgefunden. Aufbauend auf den Konferenzdiskussionen wurden und werden diese mit der nötigen Priorität weitergeführt. Da die Veröffentlichung der Überarbeitung unserer Prinzipien und Leitlinien jedoch mehr Zeit in Anspruch nehmen wird, haben wir uns dazu entschieden, einen Zwischenstand der Auswertung und damit einhergehend eine ausführlichere Selbstkritik zu veröffentlichen.
In unserer ersten Stellungnahmen haben wir den Anspruch formuliert, uns allen Vorwürfen von patriarchaler Gewalt und Fehlverhalten zu widmen von denen wir mitbekommen, sowie uns ernsthaft mit den an uns geleisteten Kritiken auseinander zusetzen. Ebenso haben wir dargelegt, dass unsere Kritik an der Form der Veröffentlichung und unsere Einordnung des Accounts „Täter Stoppen“ nichts daran ändert, dass wir den Inhalt, also die einzelnen Vorwürfe, ernst nehmen und diese auswerten werden. An dieser Ausrichtung orientieren wir uns weiterhin. Inzwischen haben wir einen Stand der Auswertung erreicht, an dem wir es für sinnvoll halten, diesen öffentlich zu teilen. Wir halten dabei weiterhin an unserem Prinzip fest, dass wir die konkrete Aufarbeitung der einzelnen Fälle nicht im Internet teilen werden, vielmehr wollen wir allgemeine Auswertungen transparent machen. Daran anschließend werden wir auf erste neue Richtlinien eingehen, die wir bereits im Dezember 2024 als erste Konsequenz beschlossen haben und welche seit dem zur Anwendung kommen.
In Bezug auf die noch laufenden Diskussionen und die Veröffentlichung der Zwischenergebnisse stellt sich eine begriffliche Schwierigkeit, bei der wir es für den folgenden Teil wichtig finden, kurz darauf einzugehen. In den Auseinandersetzungen der vergangenen Zeit hat sich immer wieder gezeigt, dass von unterschiedlichen Begriffen unterschiedlichste Vorstellungen und Verwendungen bestehen. Täter, Täterarbeit, Betroffene, Gewalt, die Definition einzelner patriarchaler Vergehen – egal, mit welchen Personen oder auch Organisationen wir gesprochen haben – das, was konkret unter den Begriffen verstanden und damit assoziiert wird, unterscheidet sich zum Teil recht grundlegend. Die einen verbinden den Täterbegriff etwa automatisch mit schweren patriarchalen Vergehen, die anderen fassen auch patriarchales Fehlverhalten darunter. Das ist deshalb ein Problem, weil dadurch das Verständnis von dem, was wir sagen und veröffentlichen, durch eben diese Assoziationen gefärbt ist. Für uns ist es eine noch zu leistende Aufgabe, Klarheit in Bezug auf diese Bezeichnungen zu schaffen und Begriffe genauer zu definieren.
Im Folgenden wollen wir allgemeine selbstkritische Auswertungen teilen in Bezug auf unsere Arbeitsweise und Herangehensweise sowohl an die Betroffenen-, als auch die Täterarbeit.
Verhältnis von Betroffenen- und Täterarbeit – Fehler in zwei Richtungen
Die Fehler im richtigen Verhältnis von Betroffenen- und Täterarbeit lassen sich allgemein wie folgt zusammenfassen: Prinzipien die wir hatten wurden entweder dogmatisch und starr angewandt, was zu einer schematischen Trennung von Betroffenen- und Täterarbeit geführt hat. Oder aber die Prinzipien wurden zu flexibel im Sinne von nicht konsequent genug angewandt. Diese zwei Richtungen haben sich in unterschiedlichen Problemen ausgedrückt, die wir im folgenden darstellen werden.
Einer der ausgewerteten Fehler besteht darin, dass wir in der Vergangenheit die Betroffenenarbeit zu schematisch von der Täterarbeit getrennt haben und anders herum. Das bedeutet, dass Betroffene zu wenig miteinbezogen wurden in die Arbeit, die mit Tätern gemacht wurde. Es wurde zu wenig Transparenz darüber hergestellt, wie genau mit einem Täter gearbeitet wird, warum zu welchem Zeitpunkt welche Beschlüsse getroffen wurden und wie konkret diese umgesetzt werden sollen. Vor allem wurde zu wenig miteinbezogen, wie sich die Täterarbeit und die getroffenen Beschlüsse auf die Betroffene und somit auch auf die Arbeit mit der Betroffenen zurückwirken. Wir halten das Prinzip, dass getroffene Maßnahmen gegen Beschuldigte sich an dem orientieren müssen, was sie getan haben und nicht an dem, wie die subjektive Empfindung der Betroffenen ist, weiterhin für richtig. Dennoch darf die Situation der Betroffenen vor allem in Bezug auf den kurzfristigen Umgang, bei dem der Fokus auf der Stabilisierung und Stärkung der Betroffenen liegen muss, nicht ignoriert werden. Hier wurde aus unserem Prinzip ein Dogma. Es wurde zu wenig differenziert zwischen solchen Konsequenzen, die sich an der Sicherstellung der politischen Beteiligung der Betroffenen orientieren und solchen Konsequenzen bzw. Strafen, die sich an dem orientieren, was der Beschuldigte getan hat. Diese starre Anwendung eines Prinzips hat dazu geführt, dass der Fokus nicht ausreichend auf der Stärkung von und die Arbeit mit der Betroffenen gelegt wurde.
Für eine erfolgreiche Betroffenenarbeit ist es außerdem notwendig, eine Vermittlung zu schaffen, bei der die Entwicklung des Täters sowie die Täterarbeit für die Betroffene nachvollziehbar wird, wenn sie das möchte. Dafür wiederum benötigt die Betroffene Informationen, um ihr diese Möglichkeit überhaupt erst zu geben. In einigen der veröffentlichten Fälle gehört das zu den zentralen Fehlern, die wir in der Arbeit mit der Betroffenen gemacht haben – es gab zum Teil deutlich mehr Konsequenzen, Beschlüsse, monatelange Arbeit und Gespräche mit Beschuldigten, als es den Betroffenen zu bestimmten Zeitpunkten und zum Teil auch bis heute bekannt war und ist. Besonders erschwerend kommt hinzu, wenn Betroffene und Täter nicht Teil der gleichen Organisation waren und somit die Vermittlung der Information zusätzlich über eine andere Organisation gelaufen ist. Auch hier ist es in der Vergangenheit nicht gelungen, schnelle und zuverlässige Kommunikationswege herzustellen und sicherzustellen, dass Informationen auch tatsächlich bei Betroffenen ankommen. Wir wollen an der Stelle jedoch klar stellen, dass es sich bei den Fehlern in der Betroffenenarbeit nicht einfach nur um ein paar Missverständnisse handelt oder darum, dass einfach nur ein paar Infos nicht angekommen sind. Auch wenn wir denken, dass einige der veröffentlichten Kritiken und Vorwürfe tatsächlich nicht zustande gekommen wären, wenn Betroffene den entsprechenden Kenntnisstand über die Arbeit mit Beschuldigten gehabt hätten, so ist uns dennoch bewusst, dass wir auch unabhängig davon unserem Anspruch in der Arbeit mit Betroffenen nicht gerecht geworden sind, wir Fehler gemacht haben in der Einschätzung von Beschuldigten, der Vorwürfe und der Möglichkeit, wie und ob dazu von unserer Seite aus überhaupt gearbeitet werden kann.
Weitere Punkte, die wir kritisch ausgewertet haben sind die fehlende Kontinuität, Planmäßigkeit und Zuverlässigkeit in der Betroffenenarbeit. Außerdem hat eine zu schematische Arbeitsweise dazu geführt, dass in einzelnen Fällen Beschlüsse und Maßnahmen gegen Beschuldigte erst nach ein paar Wochen getroffen wurden, also Vorwürfe zu spät mit Konsequenzen beantwortet wurden. Kostbare Zeit, die eigentlich dafür hätte da sein muss, der Betroffenen den nötigen Raum zur Verarbeitung und Stärkung durchs politische Kollektiv zu geben.
Die andere falsche Richtung, die im Verhältnis zwischen Betroffenen- und Täterarbeit eingeschlagen wurde, bezieht sich weniger auf die veröffentlichen Vorwürfe, sondern auf andere Fälle, die wir im Rahmen der Aufarbeitung neu diskutiert haben. Denn während es Fälle gab, wo Betroffene zu wenig miteinbezogen wurden, gab es ebenso Fälle, in denen Beschlüsse und Maßnahmen fast ausschließlich an den Forderungen der Betroffenen festgemacht wurden. Das ist deshalb ein Problem, weil damit die Last, den richtigen Umgang mit einer Ausnahmesituation zu finden, auf die Betroffene abgewälzt wird. Dieses Vorgehen begünstigt einen liberalen Umgang mit Tätern, da Betroffene häufig aufgrund der patriarchalen Sozialisation Angst davor haben „überzureagieren“ und das Erlebte vor sich selbst und anderen herunterspielen. Wenn Betroffenen die alleinige Verantwortung gegeben wird, den Umgang mit einem Täter zu bestimmen, dann geht das oft mit ungerechtfertigten Gewissensbissen einher, wenn Täter Konsequenzen erfahren. Wir denken, dass unter anderem aus diesem Grund immer ein organisierter Umgang mit Entscheidungen über einen Täter gefunden werden müssen, bei dem die Organisation die Verantwortung für alle Entscheidungen und Maßnahmen übernehmen muss, und nicht die Betroffene. Dieses unserer Meinung nach richtige Vorgehen führt dann jedoch dazu, dass deutlich härtere Konsequenzen getroffen werden können, als die Betroffene fordert. Auch das gab es bereits in der Vergangenheit, bis hin zu Ausschlüssen von Tätern, ohne dass die Betroffene dies gefordert hätte. Das führt wiederum zu neuen Widersprüchen, mit denen ein Umgang gefunden werden muss.
Die Arbeit mit Betroffenen anderer Organisationen und unorganisierten Personen
Unsere Auswertung zur Frage, wie wir mit Betroffenen arbeiten, wenn diese nicht Teil unserer Organisation sind, wollen wir an der Stelle etwas vertiefen. Unsere grundsätzliche Haltung dazu ist, dass die hauptsächliche Betroffenenarbeit immer über ihr eigenes Kollektiv erfolgen muss. Betroffenenarbeit beinhaltet mehr als die Aufarbeitung einer konkreten Situation, sondern bedeutet vor allem die kontinuierliche Unterstützung und Stärkung durch das Kollektiv, in welches die Betroffene eingebettet ist. Dieser Grundsatz hat in der Vergangenheit zu einer schematischen Trennung geführt, so dass es quasi keinen organisierten Kontakt zwischen uns und Betroffenen gab, wenn diese Teil einer anderen Organisation waren. Diskussionen und die Weitergabe von Informationen erfolgten also vermittelt über die jeweilige Organisation der Betroffenen. Vor allem müssen wir an der Stelle selbstkritisch auswerten, dass wir nicht die Verantwortung übernommen haben, dass notwendige Informationen auf dem schnellsten Weg bei der Betroffenen ankommen. Bei mindestens einem der veröffentlichten Fälle ist bei Betroffenen erst nach der Veröffentlichung angekommen, dass es deutlich früher als ihnen bekannt war Beschlüsse bis hin zu Ausschlüssen gegen den jeweiligen Täter gab. Diese Fehler der zu langsamen Kommunikation mit Betroffenen sind nicht nur ein „technisches“ Problem, sondern Ausdruck dessen, dass das Bewusstsein über die Bedeutung und den Inhalt der Betroffenenarbeit nicht ausreichend entwickelt war und sicherlich auch immer noch nicht ist. Dieses Verständnis haben wir bereits begonnen, zu verändern.
Das gilt genauso für die Verantwortung gegenüber unorganisierten Betroffenen, bei welchen nicht einmal der Kontakt über eine andere Organisation hergestellt werden kann. Auch hier muss der Kontakt und die Informationsweitergabe sichergestellt werden, wenn die Betroffene das möchte.
Mangelnde Transparenz gegenüber dem jeweiligen politischen Kollektiv
Ein Teil der selbstkritischen Auswertung ist ebenso, wann wem gegenüber welche Informationen transparent gemacht wurden und wann nicht. Für den richtigen Umgang, sowohl mit Betroffenen als auch mit Tätern, ist es unbedingt notwendig, als politisches Kollektiv einen politischen Umgang mit Vorwürfen zu entwickeln. Um so größer der Kreis an Personen ist, an den man Informationen weitergibt, um so schwieriger wird es den Umgang mit diesen zu kontrollieren. In Fällen von patriarchaler Gewalt und patriarchalem Fehlverhalten führt das immer wieder dazu, dass Personen einen unverantwortlichen Umgang mit sensiblen Informationen pflegen und daraus Lästerdynamiken und Gerüchte entstehen, die einen organisierten Umgang verhindern und sich negativ sowohl auf die Betroffene, als auch auf die Täterarbeit auswirken.
Besteht der politische Anspruch Arbeit mit Betroffenen und Tätern zu machen, funktioniert das nur, wenn es einen bewussten Umgang mit Vorwürfen gibt. Das ist der Grund dafür, warum wir zu der – dennoch falschen – Herangehensweise gekommen sind, die Arbeit auf einen kleinen Teil zu begrenzen und möglichst wenig Informationen in ein breites Kollektiv zu tragen. Wir haben in der Reflektion unserer Arbeit festgestellt, dass letztlich genau diese Vorgehensweise den Nährboden für einen unproduktiven und falschen Umgang geschaffen hat. Lästerei wurde dadurch eher bestärkt, als entgegengewirkt. Denn dort, wo Informationen fehlen, entsteht die Grundlage für Spekulation. Darüber hinaus hat unser Vorgehen es erschwert, dass das jeweilige politische Kollektiv überhaupt Verantwortung übernehmen konnte, dass ein kollektives Bewusstsein über den richtigen Umgang mit Vorwürfen, Betroffenenarbeit und Täterarbeit entwickelt werden konnte. Es gab zwar auch in der Vergangenheit Gespräche mit dem jeweiligen politischen Kollektiv von Beschuldigten, das in allgemeiner Form informiert wurde. Hier wurden allerdings häufig Informationen in einer Art und Weise weitergegeben, die nicht ausgereicht haben, um genauer einordnen zu können, um was es geht und auf welcher Grundlage welche Entscheidungen getroffen wurden. Hieraus ergibt sich die Konsequenz für uns, dass eine erhöhte Transparenz in der Arbeit mit Betroffenen und Tätern hergestellt werden muss. Zum einen, um den politischen Kollektiven, in denen sich Betroffene und Täter bewegen, die Möglichkeit zu geben Verantwortung zu übernehmen. Zum Anderen um nicht selbst dazu beizutragen, dass patriarchale Gewalt und patriarchales Verhalten als Einzelfälle erscheinen und kein Bewusstsein darüber entstehen kann wie notwendig ein konsequenter und konstanter Kampf dagegen ist und in welcher Form er statt findet. Aus unserer Auswertung ergibt sich jedoch auch, dass wir zu keinem Zeitpunkt aus bösem Willen und mit der Absicht, Fälle unter den Teppich zu kehren, den Zugang zu Informationen auf einen kleinen Kreis an Verantwortlichen begrenzt haben, sondern aus den eben beschriebenen Gründen, die politisch dennoch falsch waren.
Verzögerte Beschlussfassungen und Entscheidungen über Konsequenzen
Beschlüsse über Strafen, Konsequenzen und Ausschlüsse müssen auf der Grundlage einer politischen Einschätzung des Vorwurfs erfolgen. Hieraus ergibt sich der Anspruch, ein möglichst konkretes und objektives Bild eines Vorfalls zu erarbeiten, auf dessen Grundlage weitere Konsequenzen gezogen werden können. In der Arbeit zu patriarchalem Fehlverhalten und Gewalt ist die Erfüllbarkeit des Anspruchs, etwas möglichst objektiv festzustellen, jedoch naturgemäß begrenzt. Es gibt häufig keine unmittelbaren Zeug:innen, womit in der Regel die Aussage der Betroffenen gegen die Aussage des Beschuldigten steht.
An dieser Stelle halten wir an unserem Prinzip fest: Wir stehen parteiisch auf der Seite der Betroffenen und glauben ihr. Das bedeutet für uns, dass wir an dieser Stelle das bürgerliche Recht umkehren. Es ist nicht die Betroffene die beweisen muss, dass sie recht hat, sondern der Beschuldigte ist in der Verantwortung darzulegen, dass Vorwürfe nicht stimmen. Basierend darauf hat der Beschuldigte das Recht, sich zu äußern und seine Sicht der Dinge darzulegen. Er hat die Möglichkeit, glaubhaft darzulegen, dass gegen ihn erhobene Vorwürfe nicht stimmen. Wenn er das nicht kann, dann gilt: Im Zweifel für die Betroffene.
Mit diesem grundlegenden Prinzip gab es in der Vergangenheit jedoch keinen richtigen Umgang in der Praxis. Zu oft wurden Entscheidungen erst dann getroffen, wenn ein möglichst konkretes Bild über eine Situation vorlag, was jedoch Zeit beansprucht. Auch wenn wir den Anspruch, sich dieses Bild zu machen für richtig halten, war es ein Fehler, dass Maßnahmen häufig erst verzögert während eines Untersuchungsprozess getroffen wurden und nicht unmittelbar nach Erhalt eines Vorwurfs. In der Konsequenz hat das im Umgang in einigen Fällen dazu geführt, dass Betroffene nicht den benötigten Raum erhalten haben, in welchem sie sicher sein konnte, dass der Beschuldigte dort nicht ist. Dadurch sind wir unserem Anspruch, vor allem die Betroffene zu stärken, nicht immer gerecht geworden. In Reaktion darauf haben wir bereits neue Richtlinien beschlossen, die zu schneller Reaktion verpflichten, auch wenn noch nicht geklärt ist, was der genaue Inhalt eines Vorwurfs ist.
Formalistische Arbeitsweise
Bei den meisten Fällen waren Genossinnen beteiligt oder verantwortlich, die wenig Erfahrung in dieser Arbeit hatten. Zum Teil waren sie sogar zum ersten mal mit Vorwürfen und dem Bearbeiten von Fällen konfrontiert und haben nach bestem Wissen versucht, die vorhandenen Prinzipien und Leitlinien anzuwenden. Es ist natürlich klar, dass gerade im Bereich der antipatriarchalen Arbeit wünschenswerterweise keine Fehler passieren sollten, doch ist dieser Anspruch schlicht nicht erfüllbar. Gerade bei Unsicherheiten und der Angst, Fehler zu machen, neigen viele dazu, sich starr an einzelnen Schemata festzuklammern und diese auf die konkrete Situation anzuwenden, anstatt die vorhandenen Leitlinien entsprechend der Situation und was diese konkret erfordert anzuwenden. Im Zweifel äußert sich das im Verweis auf Beschluss xy, und Vorgehen xy, welches „immer so ist“. Es führt zusätzlich zu einem erhöhten Bedürfnis nach Rückversicherung, bevor Entscheidungen getroffen werden. Auch dadurch sind Verzögerungen entstanden, es wurde nicht schnell genug reagiert und es wurde nicht schnell genug im Sinne der Betroffenen entschieden. Gleichzeitig ist es nicht gelungen, unerfahrene Genossinnen so anzuleiten und zu begleiten, dass diese Fehler vermieden werden. Es fehlten klare, eindeutige Handreichungen, die bei Unerfahrenheit Handlungssicherheit geben können, durch welche genügend Spielraum zur Prüfung und Bearbeitung eines Falls gegeben wird.
Erste getroffene Maßnahmen seit Dezember 2024
Als Ergebnis der ersten Frauenkonferenz der Kommunistischen Frauen und abgleitet aus diesen allgemeinen selbstkritischen Auswertungen bezüglich der Betroffenen- und Täterarbeit haben wir bereits Anfang Dezember 2024 neue Richtlinien ausgearbeitet, die seitdem verbindlich gelten und angewandt werden.
1. Vorübergehende Entbindung von Beschuldigten ab dem Erhalt eines Vorwurfs unabhängig vom Schweregrad
Auch in der Vergangenheit gab es das Vorgehen, dass bei schweren Anschuldigungen und Vorwürfen Beschuldigte vorübergehend entbunden, für einen Zeitraum oder auch für immer ausgeschlossen wurden. Jedoch gab es hierfür keine verbindlichen Richtlinien und somit auch keine verbindliche Anwendung. Dadurch kam es in einzelnen Fällen dazu, dass Maßnahmen gegen den Beschuldigten erst verzögert getroffen wurden und erst auf Grundlage der Einschätzung eines Vorwurfs. Diese Einschätzung benötigt jedoch Zeit und diese Zeit ging auf Kosten der Betroffenen. Deswegen gilt seit Dezember die Richtlinie, dass ab Erhalt eines Vorwurfs – unabhängig von der konkreten Einschätzung – ein Beschuldigter für einen definierten Zeitraum von allen Aufgaben und Aktivitäten entbunden wird. Dieser definierte Zeitraum stellt ebenso den verbindlichen Rahmen für die verantwortlichen Genoss:innen fest, den Fall zu bearbeiten und unter anderem folgenden Aufgaben nachzukommen:
- Festlegen von Verantwortlichen und Ansprechpersonen für die Arbeit mit dem Täter und mit der Betroffenen
- Einschätzen des Vorwurfs / Definieren des Vorwurfs
- Festlegen von Maßnahmen, durch welche die Beteiligung der Betroffenen am politischen Organisationsleben gewährleistet werden kann
- Verbindliche Kommunikation aller Beschlüsse und Einschätzungen gegenüber der Betroffenen
- Festlegen eines weiteren Vorgehens, Maßnahmen und Konsequenzen
- Kommunikation in alle notwendigen Gremien
Dieser Zeitraum erfüllt also einen doppelten Zweck. Einmal soll es den Verantwortlichen für diese Arbeit überhaupt die nötige Zeit geben, um Einschätzungen treffen zu können und die weitere Arbeit mit der Betroffenen und dem Beschuldigten zu organisieren. Zweitens soll durch diese Richtlinie der Fokus stärker auf die Arbeit mit der Betroffenen gelegt werden, indem unmittelbar, unabhängig von der konkreten Einschätzung eines Vorwurfs, welche im Rahmen des vorgegeben Zeitraums getroffen werden muss. Hierfür benötigt es jedoch im wahrsten Sinne des Wortes den Raum, indem der Beschuldigte eben nicht ist und die Arbeit mit der Betroffenen überhaupt stärkend gemacht werden kann.
Die vorübergehende Entbindung einer Person grenzen wir ab von temporären und unbegrenzten Ausschlüssen als Konsequenz bzw. Strafe für das patriarchale Vergehen. Die Entbindung dient den oben beschriebenen Zwecken und Ausschlüsse werden auf Grundlage der in diesem Zeitraum getroffenen Einschätzung beschlossen.
2. Verbindliche Kommunikationswege
Mit der Einführung verbindlicher Kommunikationswege wird sichergestellt, dass Informationen über Vorwürfe und getroffene Maßnahmen in den Bereichen ankommen, wo sie für die Arbeit sowohl mit der Betroffenen als auch mit dem Täter benötigt werden. Das unmittelbare politische Kollektiv muss über den Vorwurf sowie die getroffenen Maßnahmen und den weiteren Umgang informiert werden, damit einerseits eine kollektive Bewusstseinsentwicklung, die kollektive Kontrolle der Arbeit und die kollektive Verantwortungsübernahme in der Arbeit mit Betroffenen und Beschuldigten entwickelt werden kann. Eine noch zu klärende Frage bleibt hierbei, wie in Zukunft die Kommunikation und Informationsvermittlung an Betroffene sichergestellt werden kann, wenn die Betroffene Teil einer anderen Organisation ist. Dies muss im einzelnen mit der jeweils anderen Organisation diskutiert und festgelegt werden, wobei Wege gefunden werden müssen, die eine unmittelbare Informationsvermittlung gewährleisten und diese Verantwortung vor allem bei uns selber liegt. Wenn Betroffene den Erhalt von Informationen ablehnen, dann muss das akzeptiert werden.
Bei diesen Richtlinien handelt es sich wie beschrieben um erste Konsequenzen basierend auf den Auswertungen im vergangenen Jahr. Die Anpassung unserer Richtlinien wird nicht dabei stehen bleiben, sondern muss kontinuierlich diskutiert und und angepasst werden. Wie bei allen Richtlinien in anderen Arbeitsbereichen gilt auch hier, dass die Entwicklung einer richtigen Vorgehensweise nicht einmal begonnen und einmal abgeschlossen werden kann, sondern es sich hierbei für uns, als auch für alle anderen Organisationen um einen kontinuierlichen Prozess handelt und handeln muss.
Umgang mit Repressionsbehörden und professioneller Betroffenen- und Täterarbeit
Auf einen der geäußerten Vorwürfe möchten wir an der Stelle gern noch eingehen und zwar, dass dass Betroffenen verboten würde, in Therapie, bei Beratungsstellen oder gar der Polizei über patriarchale Vergehen zu sprechen. Unsere Haltung und Praxis hierzu war und ist klar und das möchten wir darlegen.
Umgang mit der Polizei
Wenn eine Frau Opfer eines patriarchalen Verbrechens geworden ist und überlegt, sich damit an die Polizei zu wenden, dann ist es die Verantwortung jede:r einzelnen Kommunist:in, das politisch mit ihr zu diskutieren. Dabei geht es jedoch darum, dass vor allem Frauen mit gering ausgebildetem politischen Bewusstsein falsche Hoffnungen auf die Polizeibehörden und die bürgerliche Justiz setzen und sich hiervon Gerechtigkeit erhoffen. Das nicht zu diskutieren führt dazu, Betroffene ins offene Messer laufen zu lassen, sich demütigenden Befragungen oder auch einer Gegenanzeige durch den Täter unvorbereitet auszusetzen. Über diese Risiken muss die Betroffene aufgeklärt werden und wir halten es in den meisten Fällen für richtig, sie von einem Umgang jenseits der Repressionsbehören zu überzeugen. Sollte sie sich trotz allem dazu entscheiden, eine Anzeige aufgeben zu wollen, dann muss sie dabei unterstützt werden. Diese Unterstützungsarbeit haben wir in der Vergangenheit auch geleistet.
Umgang mit Beratungsstellen und Therapie
Als Kommunist:innen können wir solidarische Fürsorge füreinander leisten und einen politischen Umgang mit Betroffenen- und Täterarbeit finden. Was wir jedoch nicht leisten können, ist eine professionelle Traumabearbeitung. Entgegen der Darstellung denken wir also, dass es sogar notwendig sein kann, sich zusätzlich zur politischen Betroffenenarbeit an Beratungsstellen zu wenden oder sich gar in Therapie zu begeben. Bei der Suche nach geeigneten Stellen muss die Betroffene von der Organisation und von ihrem Umfeld unterstützt werden.
Weiterführende Diskussionen in der kommenden Zeit
Zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung gibt es bereits einen weiteren internen Zwischenstand unserer inhaltlichen Diskussion, die über die Auswertung und Aufarbeitung hinaus geht. Wir haben uns dazu entschieden, diesen jedoch erst zu veröffentlichen, wenn die interne Diskussion dazu einen weiteren Stand erreicht hat. Das liegt vor allem daran, dass die inhaltliche Diskussion nicht getrennt werden kann von konkreten Anpassungen und Änderungen unserer Leitlinien und Prinzipien. Um beides jeweils nachvollziehen zu können, ergibt eine Veröffentlichung in ihrem Zusammenhang mehr Sinn. Deshalb belassen wir es an der Stelle bei der allgemeinen Stellungnahme und der Veröffentlichung dieser zwei neuen Richtlinien. Für die kommende Zeit gilt es nun, die Diskussion konzentriert fortzuführen, zu vertiefen und in die Praxis umzusetzen.