Diejenigen Teile der Politiker, die sich als Freunde der Flüchtlinge, als menschlich, als demokratisch präsentieren wollen, machen immer wieder einen sehr großen Unterschied zwischen verschiedenen Arten von Geflüchteten, sie unterscheiden in Kriegs- und sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“. Über ihre Zeitungen verbreiten sie die Geschichten von Menschen, die ihre Heimat illegal verlassen, Stacheldrähte, Flüsse und tausende Kilometer überwinden, nur um der Armut, die sie zuhause ertragen mussten zu entfliehen. Sie fliehen, weil sie die Hoffnung haben, in Deutschland würdig leben zu können.
Wer aus Hunger oder Armut flieht, hat kein Recht in Europa zu bleiben, das ist ihre Logik.
Die Protestierenden Geflüchteten haben bei ihren Protesten immer sehr klar geäußert, dass „Sie hier sind, weil Deutschland ihre Länder zerstört hat“. Das ist offensichtlich, oder? Es ist offensichtlich, dass deutsche Soldaten Afghanistan besetzt halten, dass deutsche Waffen im Syrienkrieg verwendet werden, um die Interessen der NATO durchzusetzen. Aber was ist mit den Herkunftsländern der angeblichen Wirtschaftsflüchtlinge? Hat Deutschland diese Länder etwa nicht auch zerstört?
Als Beispiel wollen wir uns etwas länger mit Jugoslawien beschäftigen. Es ist ein wichtiges Beispiel, das eine große symbolische Bedeutung hat. Der Jugoslawienkrieg war der erste Krieg, seit dem 2. Weltkrieg, an dem Deutschland wieder aktiv als Kriegstreiber teilgenommen hat. Erstmals seit dem 2. Weltkrieg hat Deutschland wieder gemeinsam mit seinen militärischen Verbündeten aus der NATO um einen größeren Einfluss gekämpft – und zwar auf dem Balkan. Und die meisten der sogenannten „Wirtschaftsflüchtlinge“ stammen heute aus dieser Region.
Der Zerfall Jugoslawiens beginnt um das Jahr 1991; Jugoslawien war ein Staat mehrerer Nationen, wie der Kroatischen, Slowenischen, serbischen und bosnischen Nation. Muslime, orthodoxe und katholische Christen lebten jahrzehntelang gemeinsam in Jugoslawien.
Ab dem Jahr 1991 brach ein Bürgerkrieg in Jugoslawien aus, bei dem verschiedene Nationen ihre Unabhängigkeit als Staaten erklärten; führend waren dabei die Faschisten und Nationalisten in der kroatischen und serbischen Regierung, die UCK (gespr. :Uh-Tsche-Ka) oder muslimische Fundamentalisten, die schon damals in Bosnien kämpften.
Tatsächlich haben viele Führungspersönlichkeiten des faschistischen IS damals ihre ersten Schritte in den bosnischen Kampfverbänden gemacht. Allerdings wurden sie nicht wie heute von den USA bombardiert, sondern von ihnen mit Waffen beliefert und vom CIA ausgebildet. Die kroatischen Faschisten wurden von Deutschland und Österreich mit Waffen beliefert und ausgebildet; und die kroatische und slowenische Regierung wurden vom deutschen Außenministerium darin bestärkt ihre Unabhängigkeit zu erklären und militärisch durchzusetzen.
Wir sehen das Jugoslawien ein Musterbeispiel der brutalen und rücksichtslosen Strategien der NATO-Imperialisten ist. Seit 1991 hat der Balkan einen Bürgerkrieg erlebt, in dem verschiedene Faschisten und Nationalisten sich in paramilitärischen Freiwilligenverbänden organisierten und einander schlachteten, gelitten haben darunter vor allem die Massen. Ein bekanntes Beispiel ist das Massaker von Srebrenica in Bosnien, das serbische Faschisten an der bosnischen Bevölkerung verübten – obwohl es nicht das einzige geblieben ist. Nicht ganz so bekannt ist, dass die UNO Truppen, die bereits im Land waren, diesem Massaker tatenlos zusahen und damit der NATO und der EU später einen Vorwand lieferten Bosnien bis heute militärisch besetzt zu halten und mit einer Kolonialverwaltung zu kontrollieren.
Der Krieg wurde 1995 vorerst damit beendet, dass Jugoslawien aufgeteilt wurde in sechs verschiedene Länder; Bosnien wurde von NATO und EU Truppen besetzt und eine Kolonialverwaltung wurde eingerichtet.
Wenige Jahre später im Jahr 1999 setzte die NATO diese Politik fort, in dem sie unter dem Vorwand einen Völkermord im albanisch besiedelten Kosovo vermeiden zu wollen, Serbien bombardierten. Heute ist klar und auch von hochrangigen deutschen Militärs der damaligen Zeit bezeugt, dass 1999 im Kosovo keine „humanitäre Katastrophe“ unmittelbar bevorstand, diese Katastrophe wurde vielmehr erst durch die Bomben der NATO geschaffen.
Nach dem Motto „Teile und Herrsche“ setzten die Imperialisten alles daran jedes einzelne dieser neu enstandenen Länder von ihnen abhängig zu machen. Den vom Krieg zerstörten Ländern wurden Kredite gewährt aber unter der Bedingung, dass sie durch Reformen optimale Anlagemöglichkeiten für ausländische Kapitalisten vorallem aus Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern schaffen sollten. Das bedeutet, dass die Löhne gesenkt und die Sozialleistungen zusammengekürzt wurden. Die verbliebene Industrie und die Banken aus der jugoslawischen Zeit wurden privatisiert und zu Spottpreisen verkauft. Noch heute sieht man überall auf dem Balkan diese verlassenen Fabrikgebäude, in denen zum Teil noch Produkte auf dem Boden verstreut liegen, aber alle Maschinen verschwunden sind. Den Käufern aus dem Ausland konnte es nicht schnell genug gehen, die Industrie dieser Länder, die sie zum Schnäppchenpreis gekauft hatten aus dem Land zu schaffen. Andere Fabriken wurden nun von deutschen, österreichischen, amerikanischen, russischen oder chinesischen Konzernen weiter betrieben; allerdings zu den erzwungenen niedrigeren Löhnen. In diesen Jahren begann somit die Entwicklung, deren Ergebnisse wir heute sehen: Auf dem ganzen Balkan leben die Menschen in krasser Armut und werden hauptsächlich von ausländischen Konzernen ausgebeutet, die den Reichtum, den sie schaffen aus dem Land ziehen.
Sehen wir uns die heutigen Lebensbedingungen auf dem Balkan genauer an. Ein Genosse, der aus Serbien stammt, hat uns einen Brief geschrieben, in dem er die Bedingungen unter denen seine Familie und seine Freunde in Serbien leben schildert. Seine Eltern sind selbst als sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“ nach Deutschland gekommen:
„Vielen Leuten in Serbien fällt es extrem schwer ständige Arbeit zu finden. Noch schwieriger, Arbeit mit einem Arbeitsvertrag. Meistens arbeiten die Menschen, de nicht in Großstädten leben, in der Landwirtschaft, in der Gastronomie, auf dem Bau oder als selbstständige Kleinunternehmer. Es kommt immer wieder vor, dass man Monate lang keine Arbeit findet und so müssen die Menschen ihr hart erarbeitetes Geld über mehrere Monate aufteilen. Als Beispiel stelle ich euch die Situation eines Freundes dar. Wie es so oft der Fall ist, findet man meist Arbeit über die Familie. Mein Freund ist über seinen Onkel auf einen Job in einem Restaurant gekommen. Dort hat er ca. 2-3 Wochen als Aushilfe in der Küche gearbeitet. In diesen zwei Wochen hat er täglich bis zu 18 Stunden Arbeit geleistet. Für die 18 Stunden am Tag bekam er 2000 serbische Dinar, umgerechnet sind das ungefähr 16-18 Euro. Während diesen zwei bis drei Wochen hat sich mein Freund so kaputt gearbeitet, dass er dadurch körperlich und psychisch am Ende war. Er hat nun dauerhaft Schwindelgefühle, Müdigkeit und Gelenkschmerzen.
Am Ende hat er nur 2/3 seines Lohns ausbezahlt bekommen.
Ein anderes Beispiel das auch nicht selten vorkommt sollte auch vorgestellt werden. Ein Bekannter von mir der in einer Kanzlei beschäftigt ist geht schon seit Monaten zur Arbeit ohne dafür Geld zu bekommen. Er ist gezwungen, weiter zur Arbeit zu gehen, damit er die Mindestarbeitszeit erreicht, um später seine Rente ausbezahlt zu bekommen.
Wenn man z.B. in den Supermarkt geht oder in einen Klamottenladen zahlt man meist ähnliche Preise wie in Deutschland. Jedoch ist das bei einem Durchschnittslohn von 150-250 Euro extrem teuer.
Alle wünschen sich einen Neuanfang, meist ist ihre Hoffnung irgendwo nach Westeuropa zu kommen, zum Beispiel nach Deutschland. Viele wollen diesen Umständen entfliehen und werden hier als „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnet.“
Nehmen wir noch eine andere Stimme.
Viele von euch haben von den Revolten in Bosnien im Februar 2014 gehört, und einigen sind vielleicht noch die Bilder von brennenden Regierungsgebäuden im Kopf. Einige unserer Genossen haben eine Delegation gebildet und diejenigen besucht, die sie damals in Brand gesteckt haben. In einem Interview vor Ort haben sie uns erklärt, warum die Wut explodiert ist. Sie berichteten uns folgendes:
„Es gab eine Vorgeschichte zu den Protesten. Etwa 150 Arbeiter aus einer privatisierten und danach ruinierten Fabrik, haben sich schon seit Jahren immer wieder in Tuzla getroffen, um zu fordern, dass ihnen ihr Lohn endlich ausgezahlt wird. Immer wurden sie ignoriert. […]
So ist es mehr als ein Jahr gelaufen. Die Arbeiter haben sich jeden Mittwoch in Tuzla versammelt. Für den 7. Februar 2014 haben dann die Arbeiter um Unterstützung für ihren Protest gebeten, vor allem über Facebook. Es gab keinen so großen Andrang, da waren nur etwa 150 Arbeiter und vielleicht 150 Unterstützer, unter denen auch wir waren. Man ist zunächst vor das Gerichtsgebäude gezogen, um die Verurteilung derer zu fordern, die die Unternehmen privatisiert haben, die nun pleite sind. Danach ist man weiter zum Regierungsgebäude gegangen, dort wurden man schon gebührend erwartet. Spezialeinheiten der Polizei warteten dort. Die politisch Verantwortlichen wollten auch gar nicht mit den Arbeitern reden. An diesem Tag wurde zum ersten Mal verlangt, dass man nicht nur Arbeiterdelegationen empfängt, sondern auch andere Delegationen der Studenten, Veteranen etc., um konkret über Möglichkeiten der Veränderung sprechen zu können. Da die Delegationen nicht eingelassen wurden, sind die Protestierenden gewaltsam in das Regierungsgebäude eingedrungen, doch die Spezialeinheiten haben verhindert, dass man bis zu den Politikern vordringen konnte. In der Zwischenzeit hat die Polizei weitere Einheiten hinzu geholt, so dass nun doppelt so viele Polizisten wie Demonstranten vor Ort waren. Sie haben versucht gewaltsam die Demo aufzulösen. Die Polizei hat also angegriffen und das hat dazu geführt, dass man Autos und Reifen angezündet hat. Auch andere Leute haben das gesehen, sind dazu gekommen und haben sich solidarisiert. Die Brutalität der Polizei an diesem Tag war sehr groß. Sie haben auch Tränengas eingesetzt, obwohl überall in der Umgebung Schulen sind und haben so auch viele Schüler getroffen. Sie haben auch einen 17 jährigen Jungen schwer Misshandelt und seinen Kopf immer wieder gegen eine Häuserwand geschlagen. Natürlich war das sehr schnell in allen Medien. Die Taktik der Polizei war es, die Menschen so einzuschüchtern, dass sie sich nicht trauen würden weiter zu demonstrieren.
Am Tag darauf kamen jedoch schon über 1000 Menschen, um sich an dem Protest zu beteiligen. Auch die Polizei hatte noch mehr Einheiten, auch aus anderen Städten in Bosnien, zusammengezogen und versuchte mit noch mehr Brutalität die Proteste zu zerschlagen. Die Polizei ging auch gegen viele unbeteiligte Menschen gewaltsam vor und verletzte viele.
Am dritten Tag waren in Tuzla schon 12-15.000 Menschen auf der Straße und es gab in weiteren 32 Städten Proteste in Solidarität mit den Demonstranten in Tuzla und mit eigenen Forderungen der dortigen Bevölkerung. Da es nun in vielen Teilen Bosniens zu großen Protesten und Auseinandersetzungen kam, konnte die Polizei ihre Spezialkräfte nicht mehr in Tuzla konzentrieren, sondern musste sie auf das ganze Land verteilen. An diesem Tag haben die Massen in Tuzla, Sarajevo und drei weiteren Städten die Regierungsgebäude gestürmt, mit Steinen beworfen und zum Teil angezündet. An diesem Tag gab es bereits einen organisierten Kampf gegen die Polizei, an dem auch viele Veteranen aus dem Bürgerkrieg teilgenommen haben.
An diesem Tag hat die Polizei in Tuzla kapituliert, sie hat es aufgegeben die Regierungsgebäude zu schützen, hat ihre Ausrüstung nieder gelegt und sich vor den Demonstranten versteckt. […] In den folgenden Tagen sind 25 Minister und 4 Premierminister in den verschiedenen Regionen Bosniens zurückgetreten. Doch nachdem die Polizei kapituliert hat und die politischen Führer das Land verlassen haben und nach und nach Minister zurücktraten, wusste man nicht was man machen sollte. Darauf war man nicht vorbereitet. Dafür gab es keinen Plan.
Und so ist der Zustand unseres Landes gleich geblieben: Bosnien-Herzegowina ist noch immer kein eigenständiges und souveränes Land. Wir leben hier in einem Protektorat, alle wichtigen Entscheidungen werden von außen diktiert. Sollten irgendwelche politischen Entscheidungen nicht im Sinne der Imperialisten oder regionalen Mächte sein, dann werden sie diese einfach durch den eigentlichen Machthaber im Land, den hohen Repräsentanten der UN, den Österreicher Valentin Inzko, zurückgenommen. Inzko ist dabei mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet, so kann er nicht nur selber Gesetze erlassen und aufheben, sondern auch alle gewählten Parlamentarier und Minister entlassen.
Ein zweiter Schalthebel der Macht, liegt beim Internationalen Währungsfond (IWF) von dessen Krediten das Land und der Staatsapparat vollkommen abhängig ist. Ohne die dauerhafte Freigabe von neuen Geldern können weder die nächsten Renten, noch die Löhne der Staatsbediensteten ausgezahlt werden. So ist das Land in einer vollkommenen Abhängigkeit. Hinzu kommt die noch immer bestehende Besatzung des Landes durch Soldaten der EU-Staaten (EUFOR) und die geheimdienstlichen Tätigkeiten der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und der Geheimdienste zahlreicher Länder.“
Fassen wir zusammen:
Die deutsche Regierung schämt sich nicht, die verarmten Menschen vom Balkan, die nach Deutschland fliehen als „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Asylbetrüger“ zu beschimpfen. Die deutsche Regierung schämt sich nicht, unerwähnt zu lassen, dass diese Menschen aus Ländern stammen, die Deutschland mit seinen militärischen Verbündeten zerstört hat und die Deutschland zum Teil noch heute besetzt hält.
Wo sollen wir die Verantwortung suchen für das Elend auf dem Balkan? Wenn nicht bei den Mächten die dorthin Soldaten, Kredite, Kapital und ihre Waren schicken. Wo, wenn nicht bei den Mächten, die diese Länder unter ihre Kolonialverwaltung gestellt haben?
Fakt ist, die sogenannten „Wirtschaftsflüchtlinge“ fliehen vor den Verbrechen des deutschen Imperialismus – vor den mit Bomben und den mit sauberen Verträgen verübten Verbrechen an den Völkern des Balkans. In Tuzla haben sich die Menschen 2014 erhoben und wir haben gerade gehört, welche Macht sie innerhalb von Tagen entwickelt haben. Beim nächsten Aufstand werden deutsche Soldaten zwischen ihnen und ihren Forderungen stehen.