Fällt das Wort „Klassenkampf“, sind die ersten Bilder, die die meisten von uns vor Augen haben, wahrscheinlich Demos, Streiks, Barrikaden, „Gipfel stürmen“, bewaffnete Kämpfe oder ähnliches. Neben dieser „politisch-praktischen“ Seite hat der Klassenkampf jedoch noch eine weitere Dimension, nämlich die ideologische. Hier kommen vielleicht als erstes Bilder von staubigen Büchern in den Sinn, oder von Karl Marx, wie er in einer altehrwürdigen englischen Bibliothek sitzt und mit dem Füllfederhalter in unleserlicher Schrift das „Kapital“ zu Papier bringt. Die ideologische Seite des Klassenkampfes beschränkt sich jedoch keinesfalls auf das Bücher lesen und schreiben oder das Diskutieren von philosophischen Fragen. Der ideologische Klassenkampf findet vielmehr ständig statt, ob bewusst oder unbewusst, im Uni-Seminar oder im Betrieb, im Lesekreis oder auf der Straße. In diesem Kampf sind wir ständig massiven Angriffen durch den Imperialismus ausgesetzt, und das häufig, ohne es überhaupt zu bemerken. Vielleicht bemerken wir es noch irgendwie, wenn wir einen viel zu kompliziert geschriebenen Uni-Text über (post)koloniale „Denkmuster“ lesen müssen? Wenn wir uns darüber ärgern, dass die Redner:innen bei der Antifa-Demo inhaltlich wieder mal bei „Das Problem ist der Rassismus“ stehen geblieben sind? Oder wenn wir im Bündnis darüber diskutieren, welche Teile der LGBTI+ Community beim nächsten Frauenstreik mitmachen dürfen? Aber wie tief durchdringen wir das Problem an dieser Stelle überhaupt? Und wer denkt noch an ideologischen Klassenkampf, wenn er sich abends mit Freund:innen „Black Panther“ im Kino ansieht? Oder in seiner Firma ins Diversity-Seminar geschickt wird?In diesem Artikel wird es um eine bestimmte Art von Angriffen der bürgerlichen Ideologie gehen. Sie zielen darauf ab, das Bewusstsein der Arbeiter:innenklasse und der fortschrittlichen Kräfte zu zersetzen, und uns damit geistig zu entwaffnen. Diese Angriffe sind besonders heimtückisch, weil sich die zugrundeliegende Ideologie als fortschrittlich tarnt, in Wirklichkeit aber den Kern des Marxismus frontal angreift. Dies geschieht zum Beispiel, indem sie die Bestandteile des Marxismus – Philosophie, politische Ökonomie und wissenschaftlicher Sozialismus – auseinanderreißt und gegeneinander ausspielt, und indem sie die revolutionären Seiten des Marxismus-Leninismus abschleift, nämlich die Lehre von der Revolution und der Diktatur des Proletariats. Ideologien dieser Art, welche auf die geistige Entwaffnung der kommunistischen Bewegung und der Arbeiter:innenklasse abzielen, gab es in den letzten Jahrzehnten viele. Zu ihnen gehören die verschiedenen Spielarten des Linksreformismus, der Trotzkismus, der moderne Revisionismus, der (Post)operaismus1, die „Kritische Theorie“ und viele weitere.In diesem Artikel, wollen wir uns mit der ideologischen Strömung des Postmodernismus beschäftigen, hinter der sich ein Sammelsurium von unterschiedlichen, teils gegensätzlichen philosophischen Richtungen wie der (Post)strukturalismus, Dekonstruktivismus u.a. verbirgt, und die heute einen dominierenden Einfluss in der politischen Widerstandsbewegung innehat, etwa in Gestalt der bürgerlichen Gendertheorie, Postcolonial Studies und Critical Whiteness. Das Vordringen des Postmodernismus baute auf der Zersetzungsarbeit auf, die die oben genannten Strömungen (Trotzkismus u.a.) in der Arbeiter:innen- und politischen Widerstandsbewegung angerichtet hatten, und gegen die der ideologische Widerstand der Kommunist:innen spätestens seit den 1950er Jahren immer schwächer wurde oder selbst in Teilen revisionistisch verzerrt war.2 Die fortschreitende Trennung zwischen Arbeiter:innenbewegung und politischer Widerstandsbewegung, die das Ergebnis dieser Entwicklung ist, wird durch den Postmodernismus zementiert. Die ideologische und kulturelle Dominanz des Postmodernismus führt heute dazu, dass auch Teile der kommunistischen Bewegung von ihm beeinflusst sind. Es gibt heute nicht nur kein Bündnistreffen und keine Demo mehr, auf der Kommunist:innen nicht postmodernen Positionen ausgesetzt wären. Der Postmodernismus ist heute vielmehr schon zum bürgerlichen Mainstream geworden. Seine Präsenz erstreckt sich nicht nur bis in die Unis, sondern auch in Betriebe, Netflix und Pop-Kultur. Vielfach ist es der Postmodernismus, der vorgibt, wie und über was in der Bewegung überhaupt diskutiert wird.Die Gefährlichkeit des Postmodernismus besteht in philosophischer Hinsicht darin, dass er jedes Konzept einer einheitlichen Weltanschauung angreift, wie sie der dialektische Materialismus gerade darstellt. Stattdessen entnimmt er zum Schein einzelne Elemente aus dem Marxismus, die er bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, und bringt sie mit reaktionären bürgerlichen Ideengebäuden wie etwa der Philosophie Friedrich Nietzsches zusammen. Verwirrung und innere Widersprüchlichkeit sind definierende Grundprinzipien des Postmodernismus, was ihn für viele schwer greifbar macht.Auf der politischen Ebene sind die wichtigsten Merkmale und Konsequenzen des Postmodernismus heute die folgenden:

  • Die materialistische Analyse der Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse im Kapitalismus wird weggeworfen. Die Zusammenhänge zwischen Lohnarbeit, Patriarchat und besonderen Unterdrückungverhältnissen wie dem Rassismus werden auseinandergerissen. Stattdessen werden diese Verhältnisse idealistisch als rein moralische Fragen nebeneinander gestellt.
  • Die materialistischen Begriffe von Klassengesellschaft und Ausbeutung werden dementsprechend durch das idealistisch-moralische Konzept der „Privilegien“ ersetzt. Die „Privilegierten“ sind je nach Betrachtung Weiße, (Cis-)Männer, „alte weiße Männer“ und andere. Weite Teile der Arbeiter:innenklasse werden damit zur Ursache der Unterdrückung erklärt, während die Bourgeoisie in der Betrachtung verschwindet.
  • Damit wird die Arbeiter:innen-klasse als revolutionäres Subjekt geistig eliminiert. Bezugspunkte in postmodernen Ideologien sind häufig allein die „Communities“ aus unterdrückten Minderheiten wie z.B. Schwarze, LGBTI+, u.a., bei denen die bürgerlichen und reaktionären Teile eingeschlossen sind.
  • Die genannten „Communities“ werden häufig ausgesprochen idealistisch definiert, etwa indem „Schwarze“, „Weiße“ oder Geschlechter als gedankliche oder sprachliche Konstrukte hingestellt werden.
  • Die Quelle gesellschaftlicher Veränderungen ist nach postmodernen Vorstellungen das Individuum, nicht ein kollektives Subjekt.
  • Da die Bourgeoisie in der postmodernen Ideologie nicht vorkommt, darf sie auch ihre Macht behalten. Die sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats werden üblicherweise vom Standpunkt des Antitotalitarismus aus abgelehnt.
  • Der Klassenkampf wird fallen gelassen und durch Identitätspolitik, das heißt einen diffusen Kulturkampf innerhalb des kapitalistischen Systems ersetzt. Dieser erschöpft sich für gewöhnlich darin, dass Individuen ihre Privilegien hinterfragen sollen.
  • Ausdruck der Identitätspolitik ist daneben eine einseitige Fixierung auf die Veränderung der Sprache, hinter der, wie wir sehen werden, ein ausgefeiltes idealistisches Konzept steckt.

Diese Grundzüge des politischen Postmodernismus finden sich in der politischen Widerstandsbewegung vor allem als dominierende Tendenz wieder. Die entsprechenden Positionen werden dabei häufig gar nicht als konsequente, in sich schlüssige Linie vertreten, auf die man sich festnageln lässt, sondern wiederum willkürlich mit kommunistischen und anarchistischen Versatzstücken zusammengepanscht. Auch dies ist Ausdruck des erklärten Ziels des Postmodernismus, einheitlichen Weltanschauungen prinzipiell den Kampf anzusagen.Wir wollen die Positionen des Postmodernismus im folgenden als das entlarven, was sie sind, nämlich als Ausdruck des Eindringens der feindlichen, imperialistischen Ideologie in die Reihen der politischen Widerstandsbewegung. Zu diesem Zweck werden wir im 1. Teil dieses Artikels die philosophischen Wurzeln dieser Ideologie aufzeigen. Diese bestehen im engeren Sinne im (Post)strukturalismus (vertreten durch Lévi-Strauss, Foucault, Derrida, Chomsky, u.w.) und verwandten Richtungen, die ab den 1960er Jahren vor allem in Frankreich entstanden sind und sich in den Jahrzehnten danach zunächst über die Unis über den Globus verbreitet haben – wobei die imperialistischen Geheimdienste hier fleißig mitgeholfen haben. Verallgemeinert handelt es sich beim Postmodernismus um die Vermengung eines Pseudomarxismus mit idealistischen Philosophien des späten 19. und des 20. Jahrhunderts (u.a. Nietzscheanismus, Lebensphilosophie, Neopositivismus, Phänomenologie Husserls, Existentialismus). Dieser Teil ist philosophisch recht anspruchsvoll, behandelt jedoch die Tragweite des ideologischen Angriffs, um den es hier geht, und ist deshalb für ein vertieftes Verständnis der folgenden Teile notwendig. Im 2. Teil werden wir die politischen Folgen des Eindringens des Postmodernismus in die Bewegung betrachten.Wir zeigen dabei auf, wie die idealistischen Positionen in der deutschen politischen Widerstandsbewegung, insbesondere der bürgerlichen Gendertheorie und der Critical-Whiteness-Strömung, aus den philosophischen Grundzügen des Postmodernismus folgen, und stellen ihnen die marxistisch-leninistische Herangehensweise an die entsprechenden Kampffelder entgegen. Eine solche marxistisch-leninistische Herangehensweise beinhaltet auch, dass wir eigene Fehler und ideologische Schwachstellen kritisieren, an denen der Imperialismus uns über den Postmodernismus in der Vergangenheit angreifen konnte. Diese Fehler zu beheben ist notwendig – wir dürfen dies jedoch nicht auf der Grundlage postmoderner Strömungen tun, sondern müssen uns hierbei auf die Grundlage unserer eigenen marxistisch-leninistischen Ideologie stellen. Wir betrachten in diesem Teil nicht zuletzt, wie der Postmodernismus Einzug in die bürgerliche Mainstream-Kultur erhalten hat. Im 3. Teil ziehen wir politische Schlussfolgerungen aus unserer Analyse.

Postmodernismus als Frontalangriff auf die wissenschaftliche Weltanschauung – Das letzte Gefecht der bürgerlichen Ideologie

Die Entwicklung der bürgerlichen Philosophie seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert lässt sich nur im Zusammenhang mit dem Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat, der Entstehung des Marxismus sowie dem Übergang des Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium richtig begreifen. Jede geistige Strömung der Bourgeoisie musste sich seitdem mit dem Umstand auseinandersetzen, dass das materielle, gesellschaftliche Leben vor allem durch den Kampf des Proletariats gegen die kapitalistische Ordnung bestimmt wird. Seit den Arbeiten von Marx und Engels verfügt das Proletariat zudem über eine einheitliche Weltanschauung, den dialektischen Materialismus, der diesem Kampf eine wissenschaftliche Grundlage liefert. Die Strömungen der bürgerlichen Philosophie „nach 1848“ sind deshalb immer als reaktionäre Antworten auf den Marxismus entstanden, die das Interesse der Bourgeoisie am Erhalt ihrer Klassenherrschaft widerspiegeln. Ausdruck hiervon ist eine allgemeine Tendenz der bürgerlichen Philosophie, sich gegen den Materialismus zu wenden: Das heißt gegen die philosophische Auffassung, dass die Welt

  • tatsächlich existiert,
  • aus sich selbst heraus, das heißt unabhängig von jedem Bewusstsein existiert, und sich durch innere Widersprüche weiterentwickelt, und
  • durch das Bewusstsein erkennbar ist – dass es also objektive Wahrheiten gibt, die sich in der Praxis als solche herausstellen.

Schon in den ersten Sätzen seines 1908 geschriebenen philosophischen Hauptwerks „Materialismus und Empiriokritizismus“ sah sich Lenin zu der Feststellung genötigt: „Wer einigermaßen mit der philosophischen Literatur vertraut ist, muß wissen, daß es heutzutage kaum einen Professor der Philosophie (…) geben dürfte, der sich nicht direkt oder indirekt mit der Widerlegung des Materialismus befaßt.“3 Der Kampf des philosophischen Idealismus4 bzw. Agnostizismus gegen den dialektischen Materialismus erstreckte sich damals nicht nur auf bürgerliche Gelehrte, sondern auch auf die sozialistische Bewegung (z.B. Mach, Bogdanow), was Lenin zum Verfassen seiner Schrift veranlasst hatte. Darin zeigte er, dass die Hinwendung zum (subjektiven) Idealismus für die bürgerliche Philosophie einen großen Schritt zurück bedeutete, nämlich zurück hinter die Philosophie von Kant, dem wichtigsten Vertreter der bürgerlichen Aufklärung in Deutschland.5 Damit wird zugleich die große philosophische Errungenschaft der Aufklärung, nämlich das Konzept der Wissenschaft verworfen und buchstäblich zurückgegangen in die irrationale Welt des Feudalismus, wo Glaube, Mystik und subjektive Dogmen die geistigen Leitlinien bildeten. Dies gilt es im Hinterkopf zu behalten, wenn wir im folgenden den Postmodernismus genauer betrachten.Neben dem allgemeinen Zweck des Kampfes gegen den Marxismus spiegeln die bürgerlichen Philosophien immer auch die jeweilige gesellschaftliche Konjunktur und die konkreten Tagesinteressen der imperialistischen Bourgeoisie wider. Das führte zum Beispiel dazu, dass der ideologische Bedarf nach einer „sinnstiftenden“ Philosophie – die solche Fragen wie etwa die nach dem „Sinn des Lebens“ oder dem „Zweck der Geschichte“ auf reaktionär-idealistische Weise beantworten und damit in die Massen wirken sollte – Ende des 19. Jahrhunderts von Nietzsche, und später vor allem vom Existentialismus (z.B. Heidegger, Sartre) gedeckt wurde. Daneben drückt sich der Bedarf des Kapitals an verwertbaren Erkenntnissen durch die bürgerlichen Einzelwissenschaften darin aus, dass neben dem allgemeinen Trend zum Idealismus einerseits ein mechanischer, vormarxistischer Materialismus weiter existiert, und andererseits der Positivismus zu einer einflussreichen Strömung in der Wissenschaft geworden ist, welcher die selbständige Bedeutung der Philosophie überhaupt verneint.6 Diesen geistigen Hauptströmungen der bürgerlichen Philosophie entsprechen immer auch bestimmte Richtungen in der Kunst, Musik und Literatur, wie etwa die Romantik des ausgehenden 19. Jahrhunderts: Richard Wagner z.B. lieferte so etwas wie den „Soundtrack“ für die irrationalistische Philosophie Nietzsches vom „Willen zur Macht“ – und später buchstäblich für die Eroberungsfeldzüge des deutschen Imperialismus.7

Einschub 1: Zu einigen wichtigen
philosophischen Grundbegriffen in diesem Artikel

Materialismus, Idealismus, Agnostizismus

Die Grundfrage der Philosophie ist das Verhältnis von Denken und Sein, von Bewusstsein und Materie. Die großen Strömungen der Philosophie lassen sich danach unterscheiden, wie sie diese Grundfrage beantworten: Der Materialismus hält, wie im Haupttext beschrieben, die Natur für das Ursprüngliche (Primäre) und das Denken als Produkt der Entwicklung der Natur für sekundär. Der Idealismus dagegen hält den Geist, das Denken für das Ursprüngliche und die Materie, die Natur für sekundär. Dabei unterscheidet man zwei verschiedene Versionen: Der objektive Idealismus (wie z.B. bei dem deutschen Philosophen Hegel) geht von einem geistigen Prinzip (“Weltgeist”) aus, das unabhängig vom menschlichen Bewusstsein besteht und die Welt erschaffen hat. Der subjektive Idealismus hält wiederum das menschliche Bewusstsein für ursprünglich und bestreitet entweder die Existenz der Außenwelt überhaupt oder behauptet, diese würde erst durch unser Bewusstsein erschaffen. Der Agnostizismus wiederum ist eine Strömung in der Erkenntnistheorie, welche die Grundfrage der Philosophie nach dem Verhältnis von Denken und Sein mit „Weiß nicht“ beantwortet und damit letztlich dem Idealismus verhaftet bleibt. Der Agnostiker sagt: Ich weiß nicht, ob es eine objektive Realität gibt, die durch unsere Empfindungen widergespiegelt wird. Deshalb hält es der Agnostizismus für unmöglich, zu objektiven Wahrheiten zu gelangen.

Rationalismus, Empirismus, Sensualismus

Der Rationalismus ist eine Strömung in der Erkenntnistheorie, welche die rationale Stufe der Erkenntnis verabsolutiert. Nach Auffassung des Rationalismus ist nur das Denken (die Vernunft) in der Lage, die Wahrheit zu finden. Das Denken ist nach dieser Auffassung auch das alleinige Kriterium der Wahrheit. Der Rationalismus steht damit im Gegensatz zum Empirismus, der die messende und beobachtende Erfahrung verabsolutiert, sowie zum Sensualismus, der nur die unmittelbar sinnliche Erfahrung anerkennt. Der Rationalismus hält die messende, beobachtende und sinnliche Erfahrung dagegen für trügerisch. Philosophische Vertreter des Rationalismus waren vor allem Descartes, Spinoza und Leibniz, während die Briten Hobbes, Locke und Hume dem Lager des Empirismus zugerechnet werden. Erst der dialektische Materialismus schaffte es, die Einseitigkeit beider Strömungen in der Erkenntnistheorie zu überwinden und den korrekten Zusammenhang zwischen sinnlicher, beobachtender Erfahrung und rationaler Erkenntnis herauszuarbeiten.

Irrationalismus

Der Irrationalismus wiederum ist die schematische Verneinung des Rationalismus und verwirft damit auch dessen fortschrittliche, korrekte Seiten. Unter dem Begriff des Irrationalismus verstehen wir unterschiedliche Weltanschauungen, die das wissenschaftliche Denken für unfähig erklären, die objektive Realität bzw. deren grundlegende Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Stattdessen werden vermeintlich „höhere Erkenntnisformen“ wie die Intuition, das Erleben oder die „Wesensschau“ für das Erkennen der Welt propagiert. Der Irrationalismus nimmt an, dass entweder die gesamte objektive Realität oder bestimmte ihrer Bereiche (wie z.B. das Leben, die Psyche oder die Geschichte) nicht von Gesetzmäßigkeiten beherrscht, sondern „irrational“ seien.8 In der spätbürgerlichen Philosophie ist Friedrich Nietzsche der wichtigste Vertreter des Irrationalismus.

Einschub 2: Die philosophischen Wurzeln des Postmodernismus

Die reaktionäre bürgerliche Philosophie nach 1848 teilt sich in eine Vielzahl unterschiedlichster Schulen und Richtungen auf. Ebenso vielfältig sind auch die Wurzeln des Postmodernismus. Zu den bürgerlichen Schulen, aus denen die Philosoph:innen des Postmodernismus sich in diffuser, sehr unterschiedlicher Weise bedienen, werden vor allem die Philosophie Nietzsches, die Lebensphilosophie, der Neukantianismus, der Neopositivismus, die Phänomenologie Edmund Husserls, der Existentialismus, der logische Positivismus sowie die Psychoanalyse gezählt.9Als gemeinsame Merkmale dieser Richtungen, die der Postmodernismus übernommen hat, können insbesondere die Hinwendung zum Agnostizismus oder Idealismus, der Irrationalismus, sowie die Ablehnung der Geschichtlichkeit herausgestellt werden. Charakteristische Vertreter dieser Tendenzen in der Philosophie sind Nietzsche, Husserl und Heidegger. Darüber hinaus ist Freud, der Begründer der Psychoanalyse, eine wichtige Quelle für einige postmoderne Philosoph:innen.

Friedrich Nietzsche10 (1844 – 1900) war der erste und konsequenteste Verfechter einer Abkehr von den fortschrittlichen Traditionen der bürgerlichen Philosophie, deren wichtigste Vertreter Kant und Hegel waren. Nietzsche, ein Verherrlicher des großen Kapitalismus und entschiedener Gegner der Arbeiter:innenbewegung, forderte eine radikale „Umwertung“ der bürgerlichen Philosophie. Die Wirklichkeit erklärte er für eine Illusion. Für ihn gab es nur eine chaotische Welt der Empfindungen, die mit Hilfe der Vernunft „logisiert“ werden. Obwohl er damit auf dem Boden des Idealismus stand, erklärte er, dass sein System über den Rahmen von Materialismus und Idealismus hinausgehe. Zur Grundlage alles Seienden sowie zur einzigen Triebkraft von Natur und Gesellschaft erklärte er einen mystischen „Willen zur Macht“. Er bekämpfte heftig die Tradition des Rationalismus und die Auffassung, dass die Welt mit dem Verstand begriffen werden könnte. Wissenschaftliche Wahrheit gibt es nach Nietzsche nicht. Dem Verstand setzte er den „Instinkt“ und die „Intuition“ entgegen, was charakteristisch für die Richtung des Irrationalismus ist. Daneben ist seine Philosophie auf der Grundlage seines Konzepts vom Willen zur Macht von einem ausgeprägten Hang zum Voluntarismus geprägt. In der Gesellschaft sah Nietzsche eine Anhäufung von Individuen mit egoistischen Instinkten, die sich nicht wesentlich von Tieren unterscheiden. Leben war für ihn das „Streben nach Macht“, die Geschichte ein ewiger Kreislauf, jede Entwicklung überhaupt das Produkt der zufälligen Aufeinanderfolge von „Überwältigungsprozessen“.11 Für die Massen und ihre Bedeutung in der Geschichte hatte Nietzsche nur Verachtung übrig: „Die Massen scheinen mir nur in dreierlei Hinsicht einen Blick zu verdienen: einmal als verschwimmende Copien der grossen Männer, auf schlechtem Papier und mit abgenutzten Platten hergestellt, sodann als Widerstand gegen die Grossen und endlich als Werkzeuge der Grossen; im Uebrigen hole sie der Teufel und die Statistik! Wie, die Statistik bewiese, dass es Gesetze in der Geschichte gäbe? Gesetze? Ja, sie beweist, wie gemein und ekelhaft uniform die Masse ist: soll man die Wirkung der Schwerkräfte Dummheit, Nachäfferei, Liebe und Hunger Gesetze nennen? Nun, wir wollen es zugeben, aber damit steht dann auch der Satz fest: so weit es Gesetze in der Geschichte giebt, sind die Gesetze nichts werth und ist die Geschichte nichts werth. Gerade diejenige Art der Historie ist aber jetzt allgemein in Schätzung, welche die grossen Massentriebe als das Wichtige und Hauptsächliche in der Geschichte nimmt und alle grossen Männer nur als den deutlichsten Ausdruck, gleichsam als die sichtbar werdenden Bläschen auf der Wasserfluth betrachtet.“ 12 Nietzsches Philosophie ist geprägt von einer Anbetung der „Starken“ und ihrer „Herrenmoral“, über die er sich insbesondere in seiner Schrift „Zur Genealogie der Moral“ ausführlich auslässt. Diese zählt neben dem Aufsatz „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ zu den einflussreichsten Texten Nietzsches für den Postmodernismus. Auch die Verabsolutierung der Rolle der Sprache ist ein Konzept, das der Philologe Nietzsche als einer der ersten entwickelt hat. Nietzsches Schriften sind durchsetzt von Rassismus und Zynismus – und bildeten nicht zuletzt deshalb ein ideologisches Fundament für den späteren völkischen Rassismus.13

Edmund Husserl14 (1859 – 1938) begründete mit der „Phänomenologie“ ebenfalls eine irrationalistische Philosophie. Ausgangspunkt der Phänomenologie ist die Frage nach dem „Wesen des Logischen“. Husserl verwirft jede materialistische Begründung der Logik. Er geht davon aus, dass die logischen Formen und Gesetze vor jeder Erfahrung existieren (was er mit Kant gemeinsam hat), behauptet aber darüber hinaus, dass das Gebiet des Logischen sowohl von der Natur als auch vom Menschen völlig unabhängig sei. Er verabsolutiert also das Logische im idealistischen Sinne als besonderes Reich der Wahrheiten, als „reines Bewußtsein“, das ebenfalls nur mittels Intuition erschlossen werden könne. Das heißt: Man muss sich nach Husserl von den wissenschaftlichen Vorstellungen über die Natur und den Menschen sowie von der wissenschaftlichen Methodik lossagen, um in das Reich des „reinen Bewußtseins“ vorzudringen. In der Nachfolge Husserls wurde das Reich des Logischen häufig mit der Sprache identifiziert.

Martin Heidegger15 (1889 – 1976) war der wichtigste deutsche Vertreter des Existentialismus. Dieser tritt Anfang des 20. Jahrhunderts als Ausdruck der allgemeinen Krise des Kapitalismus auf den Plan, die durch die Brille des Existentialismus als mystische „Krise des Menschen“ erscheint.Methodisch startet der Existentialismus mit der Untersuchung des Unterschieds zwischen Wesen und Existenz, also den Fragen „Was ist der Gegenstand?“ bzw. „Ist der Gegenstand?“. Diese Frage wendet Heidegger in seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ (1926) auf das „Sein“ an sich an und kommt auf diesem Wege ebenfalls bei einer Absage an die fortschrittlichen Seiten der Lehren Kants und Hegels und des Rationalismus heraus. Heidegger kritisiert die klassische deutsche Philosophie etwa dafür, dass sie die Erkenntnis als Bewegung von der Erscheinung zum Wesen auffasst. Wissenschaft und Weltanschauung sind für den Existentialismus Gegensätze. Die Philosophie müsse sich von der Gegenständlichkeit der Wissenschaft lossagen. Das Mittel der philosophischen Erkenntnis kann für den Existentialismus nur die irrationale Intuition sein. Daneben untersuchen Heidegger und andere Existentialist:innen die Frage der menschlichen Freiheit. Die Versachlichung der menschlichen Beziehungen im Kapitalismus bezeichnet Heidegger als das „Man“ bzw. als die „uneigentliche Daseinsweise“ des Menschen. Diese sieht er jedoch in der Natur des Menschen selbst, nicht in den Produktionsverhältnissen, begründet. Der Mensch kann sich nach Auffassung des Existentialismus jedoch befreien, indem er die „Sphäre der Alltäglichkeit“ verlässt und sich von der „inneren Stimme“ seiner eigenen Existenz leiten lasse. Damit wird die Frage der Umgestaltung der Welt in eine rein geistige, moralische Frage verwandelt. Die praktischen Schlussfolgerungen, welche die verschiedenen Vertreter:innen des Existentialismus daraus gezogen haben, unterschieden sich sehr stark: Jean-Paul Sartre (1905 – 1980), der wichtigste Vertreter des französischen Existentialismus, war während der deutschen Besetzung Frankreichs mit dem antifaschistischen Widerstand verbunden und bis zu seinem Tod eine wichtige Figur der politischen Linken in Frankreich, wenn auch als „Antistalinist“ und Vertreter des „Dritten Weges“. Heidegger dagegen war ein Verherrlicher patriarchaler Gesellschaftsstrukturen und der „Gemeinschaft“. Er wurde Mitglied der NSDAP und der deutsche Vorzeigephilosoph zur Zeit des Hitlerfaschismus.

Sigmund Freud16 (1856 – 1939) war ein bekannter Arzt und Psychologe, der die spekulative, idealistische Theorie der Psychoanalyse begründete. Abgesehen von allen wissenschaftlichen Unzulänglichkeiten bei der Entwicklung dieser Theorie, deren Diskussion den Rahmen dieses Einschubs sprengen würde, handelt es sich bei der Psychoanalyse um eine besondere Erscheinungsform der philosophischen Strömung des Irrationalismus. Im Kern besagt die Psychoanalyse, dass die Gesetzmäßigkeiten des Psychischen völlig unabhängig von materiellen Erscheinungen seien und deshalb nicht durch objektive Methoden untersucht werden könnten. Das Wesen des Menschen sei nicht von den materiellen Verhältnissen bestimmt, in denen er lebt und arbeitet, sondern von unbewussten Instinkten und Trieben, die auf sexuelle Erlebnisse in der Kindheit zurückzuführen seien. Die Psyche des Menschen (das „Ich“) bestehe nach Freud aus einem bewussten und einem unbewussten Teil, die sich im ständigen Kampf miteinander befänden. Das psychische Leben aller Menschen sei von diesem Kampf bestimmt. Während des ganzen Lebens würden die Wünsche und Triebe des Menschen durch einen „Zensor“, der das Bewusste vom Unbewussten trennt, eingeschränkt („verdrängt“), machten sich aber in veränderter Form (z.B. im Traum oder als Neurosen) geltend. Die „Verdrängung“ sieht Freud als die Hauptfunktion des Bewusstseins an. Das Leben des Menschen sei demnach eine Geschichte verdrängter Triebe, die sich auf die eine oder andere Art rächen. Aus dieser idealistischen Theorie der Psyche des Individuums will Freud dann die Gesetzmäßigkeiten der Gesellschaft herleiten. Die wichtigste Funktion der Gesellschaft sei die Unterdrückung der Triebe, insbesondere des Sexualtriebs. Die menschliche Geschichte fasst Freud als zufällige Aneinanderreihung von Kämpfen zwischen dem Sexualtrieb („Eros“) und dem Todestrieb („Thanatos“) auf. Besonders absurde Züge nimmt schließlich Freuds Theorie vom Ursprung der Gesellschaft, der Moral und der Kultur an, die er in seiner Schrift „Totem und Tabu“17 darlegt. Diesen Ursprung sieht er im „Ödipuskomplex“ und im Vatermord. In der frühen Geschichte hätten die Menschen in patriarchalen Horden gelebt, die von grausamen Vätern beherrscht worden seien. Diese hätten alle Frauen für sich behalten und die Söhne, sobald sie erwachsen waren, davon gejagt. Am Ende hätten sich die Söhne jedoch miteinander verbündet, den Vater getötet und gegessen. Die Handlung des Vatermordes sei der Ursprung der sittlichen Einschränkungen, der sozialen Organisationen und der Religion gewesen – eine Story, die an den biblischen Sündenfall erinnert. So absurd diese Theorie auch klingen mag und so überholt Freuds Lehren in der praktischen bürgerlichen Psychologie heute auch sind, ist sein philosophischer Einfluss auf die Kritische Theorie und den Postmodernismus enorm. Herbert Marcuse hat Freuds Urvater-Theorie in seiner Schrift „Eros and Civilization“ in weiten Teilen übernommen.18 Jacques Lacan wiederum übernimmt Freuds Theorie des Unbewussten, das er als „Effekt der spezifisch menschlichen Sprache“,19 und die Psychoanalyse folglich als „Sprachanalyse“ interpretiert. Judith Butler widmet der kritischen Auseinandersetzung mit Freuds Ödipuskomplex-Theorie und den Arbeiten Lacans wiederum das zweite Kapitel ihres Werks „Gender trouble“20.

Einschub 3: Lenin über die Stellung Kants in der bürgerlichen Philosophie

„Der Grundzug der Kantschen Philosophie ist die Aussöhnung des Materialismus mit dem Idealismus, ein Kompromiß zwischen beiden, eine Verknüpfung verschiedenartiger, einander widersprechender philosophischer Richtungen zu einem System. Wenn Kant zugibt, daß unseren Vorstellungen etwas außer uns, irgendein Ding an sich, entspreche, so ist er hierin Materialist. Wenn er dieses Ding an sich für unerkennbar, transzendent, jenseitig erklärt, tritt er als Idealist auf. Indem Kant die Erfahrung, die Empfindungen als die alleinige Quelle unserer Kenntnisse anerkennt, gibt er seiner Philosophie die Richtung zum Sensualismus und über den Sensualismus unter bestimmten Bedingungen auch zum Materialismus. Indem Kant sich für die Apriorität von Raum, Zeit, Kausalität usw. ausspricht, lenkt er seine Philosophie auf die Seite des Idealismus. Wegen dieser Halbheit Kants führten sowohl die konsequenten Materialisten als auch die konsequenten Idealisten (und ebenso die ‚reinen‘ Agnostiker, die Humeisten) einen schonungslosen Kampf gegen ihn. Die Materialisten machten Kant seinen Idealismus zum Vorwurf, sie widerlegten die idealistischen Züge seines Systems, sie wiesen nach, daß das Ding an sich erkennbar, diesseitig ist, daß kein prinzipieller Unterschied zwischen ihm und der Erscheinung besteht und daß die Kausalität usw. nicht aus apriorischen Denkgesetzen [Denkgesetzen, die vor jeder Erfahrung existieren, Anm. d. Verf.], sondern aus der objektiven Wirklichkeit abzuleiten ist. Die Agnostiker und Idealisten machten Kant seine Annahme des Dings an sich als Zugeständnis an den Materialismus, den ‚Realismus‘ oder ‚naiven Realismus‘ zum Vorwurf, wobei die Agnostiker außer dem Ding an sich auch den Apriorismus verwarfen, während die Idealisten die konsequente Ableitung nicht nur der apriorischen Anschauungsformen, sondern der ganzen Welt überhaupt aus dem reinen Denken verlangten (indem sie das menschliche Denken zu einem abstrakten Ich oder zu einer ‚absoluten Idee‘ oder zu einem universalen Willen usw. ausdehnten).“21

 

Entstehung des Postmodernismus

Die Verwendung des BegriffsPostmoderne“ geht in ihren ersten Ursprüngen ebenfalls auf das späte 19. Jahrhundert und zunächst auf die Literatur zurück: „In diesem aufgeregten Zusammenhang [der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung der damaligen Zeit, Anm. d. Verf.] entstehen fast gleichzeitig die Wörter ‚Modernismus‘ und ‚Postmodernismus‘, anfänglich fast ausschließlich in der Literatur, insbes. in der Poesie. Hauptfigur dieser Bewegung – um 1890, kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch Spaniens als Kolonialmacht 1898 – wird der Nicaraguaner Rubén Darío, der die Einführung der französischen Schulen der Parnasianer und Symbolisten gegen die veraltete und spätromantische Rhetorik der span. Dichtung verteidigt. Innerhalb dieser Strömung prägt erstmals der Literaturkritiker Federico de Onís in seiner Antología de la Poesía Española e Hispanoamericana (1934) das Wort ‚Postmodernismus‘.“ 22Etwa ab der Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich der Postmodernismus dann zu einer einflussreichen Bewegung in der Kunst und Architektur, bevor er nach 1968 vor allem in Frankreich in Gestalt des Strukturalismus als philosophische Strömung auf den Plan trat: „Seit den 1960er Jahren – signifikant der Mai 1968 – ist das Wort ‚Postmoderne‘ in theoretischen Diskussionen über die Bestimmung der Epoche zentral geworden; es bezeichnet zunächst in erster Linie Erscheinungen im Gebiet der Ästhetik (insbes. der Architektur) und wird dann zunehmend zum Titel für soziologische, technologische, philosophische und theologische Analysen; darüber hinaus bezeichnet es einen Lebensstil in den sog. ‚entwickelten Gesellschaften‘ (bzw. ‚Konsum‘- oder ‚Informationsgesellschaft‘). Zentren der Ausstrahlung des Begriffs sind Frankreich (v.a. in theoretischer) und die Vereinigten Staaten in praktischer Hinsicht.“23 . Gemeinsamer Nenner der „postmodernen“ Richtungen in Philosophie und Kunst ist die Ausrichtung gegen die „Moderne“ – ein Begriff, der in der Szene unterschiedlich definiert wird, wobei das einigende Merkmal der Definitionen ein diffuses und idealistisches Vermischen von Erscheinungen in Basis und Überbau des Kapitalismus ist, nämlich von kapitalistischer Gesellschaftsordnung, bürgerlicher Aufklärung, Kultur, Bewusstsein und Lebensweise.24 In der Formulierung des postmodernen Vordenkers Jean-François Lyotard, der selbst ein Gegner des Strukturalismus war, bedeutet ‚Postmoderne“, „dass man den Meta-Erzählungen keinen Glauben mehr schenkt“25. Unter „Meta-Erzählungen“ fallen für ihn die „Aufklärung“, der „Idealismus“ und der „Historismus“, womit er letztlich die fortschrittlichen Traditionen der bürgerlichen Philosophie meint, die vor allem durch Kant und Hegel begründet worden sind: „Die ‚Metaerzählungen‘, von denen im ‚Postmodernen Wissen‘ die Rede ist, sind das, was die Moderne ausgezeichnet hat: progressive Emanzipation von Vernunft und Freiheit, progressive oder katastrophische Emanzipation der Arbeit (…), Bereicherung der gesamten Menschheit durch den Fortschritt der kapitalistischen Techno-Wissenschaft und sogar, wenn man das Christentum selbst zur Moderne zählt (…), Heil der Kreaturen durch die Bekehrung der Seelen zur christischen Erzählung von der Märtyrerliebe. Hegels Philosophie vereinigt in sich all diese Erzählungen, und in dem Sinne konzentriert sich in ihr die spekulative Moderne.“26. Die Beschreibung dieser philosophischen Systeme mit dem Begriff „Erzählungen“ ist auf eine Verabsolutierung der Rolle der Sprache zurückzuführen, die allen postmodernen Strömungen eigen ist. Lyotards grundlegende Schrift „Das postmoderne Wissen“ von 1979, in der er diese inhaltliche Ausrichtung formulierte, war eine Auftragsarbeit für die kanadische Regierung.Obwohl das philosophisch-künstlerische Lager des Postmodernismus sehr diffus und widersprüchlich ist, bildet die Ausrichtung gegen die fortschrittlichen Traditionen der bürgerlichen Philosophie, und insbesondere der Aufklärung und des Rationalismus, ihr einigendes Band. Damit richtet sich der Postmodernismus ausdrücklich auch gegen den Marxismus, der die fortschrittlichen Traditionen der bürgerlichen Philosophien gerade dialektisch aufgehoben, „vom Kopf auf die Füße gestellt“ hat. Der Postmodernismus lehnt in der Tradition der reaktionären Philosophien des ausgehenden 19. Jahrhunderts die objektive Realität und objektive Wahrheiten ab, ebenso die Moral, die Vernunft und überhaupt den Anspruch, eine zusammenhängende, einheitliche Weltanschauung zu formulieren. Stattdessen predigt er den Subjektivismus, nämlich das Nebeneinanderstellen verschiedener, entgegengesetzter, aber „gleichberechtigter“ Wahrheiten.27 Der Postmodernismus trägt mit dieser Grundlinie entscheidend zu einem heute vorherrschenden Trend in der bürgerlichen Philosophie und den bürgerlichen Wissenschaften bei, der darin besteht, sich gar nicht mehr um eine klare Definition des eigenen Forschungsgegenstandes zu scheren oder eine solche ausdrücklich abzulehnen. Damit besitzt er einen zutiefst wissenschaftsfeindlichen Charakter.28

Der Postmodernismus legt nicht einmal für sich selbst fest, ob er jetzt eine Philosophie, eine Wissenschaft, eine „interdisziplinäre Methode“, eine Kultur, eine Lebensweise oder alles irgendwie auf einmal sein möchte.

Einschub 4: Lucien Sève über den Reifegrad einer Wissenschaft

Die Reife einer Wissenschaft ist ein präziser, objektiver, beweisbarer Sachverhalt. Die entsprechenden Kriterien können aus der Wissenschaftsgeschichte und aus der Erkenntnistheorie gewonnen werden. So war die politische Ökonomie vor Marx nicht voll ausgereift; mit seinem Werk kam sie zur Reife, hatte sie ihre wesentlichen Organe voll herausgebildet, konnte sie folglich alles das hervorbringen, was von einer derartigen Wissenschaft erwartet wird. Was sind nun diese wesentlichen Organe einer Wissenschaft? Das sind eine Definition, mittels derer das spezifische Wesen ihres Gegenstandes exakt erfaßt wird, und, im Zusammenhang mit dieser Definition, die angemessene Untersuchungsmethode für diesen Gegenstand. Das sind weiter die Grundbegriffe, mittels derer die Hauptelemente und vor allem die bestimmenden Widersprüche dieses Wesens zum Ausdruck gebracht werden – insgesamt also jene Organe, die es ermöglichen, mit Aussicht auf Erfolg nach den grundlegenden Entwicklungsgesetzen des untersuchten Gegenstands zu forschen und dadurch den Weg zur theoretischen und praktischen Beherrschung dieses Gegenstandes zu bahnen, soweit dies von der betreffenden Wissenschaft abhängt – darauf zielt die Wissenschaft.“29

Französische bürgerliche Philosophie nach 1968

Im engeren Sinne verstehen wir unter dem Begriff des Postmodernismus seine philosophischen Hauptrichtungen, die ab den 1960er Jahren schwerpunktmäßig in Frankreich entstanden sind. Zu diesen Hauptrichtungen gehören der (Post)strukturalismus und der Dekonstruktivismus, die im Widerstreit miteinander vor allem von Jacques Lacan, Claude Lévi-Strauss, Michel Foucault, Gilles Deleuze, Jacques Derrida, Félix Guattari und anderen entwickelt worden sind. Auch die in der politischen Widerstandsbewegung bekannten US-amerikanischen Philosoph:innen Noam Chomsky und Judith Butler sowie der Slowene Slavoj Žižek werden zu den Vertreter:innen dieser Richtungen gezählt.Uneinheitlichkeit, fehlende Konsistenz sowie zahlreiche gegenseitige Überschneidungen gehören zu den ersten Merkmalen, die bei den genannten philosophischen Richtungen ins Auge stechen. Auffallend ist z.B., dass die Philosoph:innen aus der obigen Aufzählung zum Teil mehreren, sich widersprechenden Richtungen des Postmodernismus zugeordnet werden und ihre Grundpositionen im Laufe ihres Lebens mehrfach radikal geändert haben, so z.B. Foucault. Strukturalismus, Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus werden von ihren Entwickler:innen ferner überhaupt nicht als philosophische Systeme verstanden, sondern als Sammlungen unterschiedlicher „Ansätze“ in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Es geht ihnen ähnlich wie dem postmodernen Vordenker Lyotard gerade darum, philosophischen Systemen („Erzählungen“) eine grundlegende Absage zu erteilen: „Charakteristisch für den Strukturalismus ist nicht so sehr die Verkündung einer ‚neuen Philosophie‘ als vielmehr das Bestreben, die bestehenden philosophischen Konzeptionen im Lichte der von den Wissenschaften über den Menschen gesammelten Kenntnisse, die als unbestreitbar und unwiderlegbar dargeboten werden, als unhaltbar nachzuweisen.“30 Dennoch ist den meisten Vertreter:innen gemeinsam, dass sie sich in der Tradition sowohl von Marx als auch von antimarxistischen, idealistischen Philosophen des Imperialismus, insbesondere von Nietzsche, Heidegger, u.a. verstehen. Schlägt man einen beliebigen Text von Judith Butler, Michel Foucault oder Jacques Derrida auf, findet man jedoch vor allem letztere Richtung zitert.31 Ein häufiges Merkmal von postmodernen Philosophien ist außerdem die Beimischung von Elementen der bürgerlichen Psychologie, insbesondere der Psychoanalyse (z.B. bei Lacan und Foucault).Mit diesen charakteristischen Merkmalen unterscheiden sich die philosophischen Richtungen des Postmodernismus von revisionistischen Ideologien, die den Marxismus verfälschen, ohne dabei den Materialismus grundsätzlich in Frage zu stellen. Die Kritische Theorie von Marcuse, Adorno, Horkheimer u.a. kann wiederum in gewisser Hinsicht als Vorläuferin des Postmodernismus betrachtet werden – schon Marcuse etwa versuchte, den Marxismus mit dem Existentialismus Heideggers und der Psychoanalyse Freuds zusammenzubringen.32 Ebenso mühte sich Jean-Paul Sartre, einer der Hauptvertreter des französischen Existentialismus, zeitlebens ab, die idealistischen Grundlagen seiner Philosophie mit dem Marxismus zu verheiraten. Hier finden wir also bereits gewisse Ähnlichkeiten mit dem Postmodernismus. Trotzdem müssen wir feststellen, dass der Postmodernismus mit seiner Ablehnung einheitlicher Weltanschauungen überhaupt im Angriff auf den Materialismus noch einen deutlichen Schritt weiter geht, als Sartre und die Kritische Theorie es tun.Der marxistische Philosoph Lucien Sève gibt für den Übergang vom subjektiven Idealismus Sartres zum Strukturalismus unter den spezifischen gesellschaftlichen Bedingungen in Frankreich eine materialistische Erklärung: „Es ist gesetzmäßig, daß die Ideen des Strukturalismus im ideologischen Leben Frankreichs erst dann in den Vordergrund rücken konnten, als der Subjektivismus, diese letzte Abzweigung der großen idealistischen Systeme der Vergangenheit, zum erstenmal seit Bestehen der bürgerlichen Philosophie nicht mehr imstande war, seine Positionen zu verteidigen. Damit wurde praktisch der Leitsatz Friedrich Engels‘ vom unvermeidlichen Zusammenbruch aller spekulativen Systeme der Philosophie bestätigt. Es war kein Zufall, daß die Ideen von Lévi-Strauss gerade dann Aufmerksamkeit erregten, als der verzweifelte Versuch Sartres, das subjektiv-idealistische Prinzip vom Primat des individuellen Bewußtseins zu retten, offensichtliches Fiasko erlitt. (…) Lévi-Strauss gab im Schlußkapitel seines Buches ‚Das Urdenken‘ im Namen der Wissenschaften vom Menschen der gesamten subjektivistischen Ideologie in Gestalt ihres letzten namhaften Vertreters, des Sartreschen Existentialismus, den Abschied. Das geschah, als sich in verschiedenen Lebensbereichen der französischen Nation immer deutlicher die Ergebnisse der unmittelbaren Herrschaft der Monopole im Staatsorganismus bemerkbar machten. Das Wachstum des staatsmonopolistischen Kapitalismus bedeutet einen raschen Niedergang der traditionellen Mittelschichten und der alten Gruppen der Bourgeoisie, ihrer politischen Institutionen, ihrer ‚klassischen‘ Ideologie, deren wichtigster Wortführer in Frankreich lange Zeit die akademische Philosophie war. Von nun an wurde der utopische Charakter des ‚dritten Weges‘ bei der Lösung der ‚französischen Probleme‘ – auf halbem Wege zwischen den Monopolen und der Arbeiterklasse – ganz offenkundig. Im Zusammenhang damit offenbarte sich erst recht die Unhaltbarkeit der spekulativen Philosophie im allgemeinen wie auch der im Existentialismus Sartres verkörperten typischen Philosophie des ‚dritten Weges‘ im besonderen.“33Ganz platt könnte man also sagen, dass die bürgerliche Ideologie mit dem Postmodernismus dazu übergegangen ist, angesichts des Zusammenbruchs der idealistischen Systeme die Grundlagen der Philosophie überhaupt anzugreifen – nach dem Motto: Wenn unser Idealismus schon nicht mehr funktioniert, machen wir die Philosophie insgesamt kaputt! In diesem Sinne erscheint der Postmodernismus auf besondere Art als bürgerliches Gegenstück zum dialektischen Materialismus, der die spekulativen Philosophien in positiver Weise aufgehoben hat. Der Postmodernismus stellt eine Art „letztes philosophisches Mittel“ des Imperialismus dar und ist Ausdruck seiner lähmenden, zersetzenden Wirkung auf die geistige Entwicklung.

Strukturalismus

Da sich Strukturalismus, Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus in ihren Hauptmerkmalen aus marxistischer Sicht nur wenig voneinander unterscheiden, werden wir uns im folgenden darauf fokussieren, die Grundzüge des Strukturalismus mit kurzen Verweisen auf die Übergänge zum Poststrukturalismus darzustellen. Eine marxistische Analyse des Strukturalismus findet sich in der Arbeit „Über den Strukturalismus“ von Lucien Sève34 (ferner im „Philosophischen Wörterbuch“ von Klaus/Buhr35 sowie in: Albrecht, „Bestimmt die Sprache unser Weltbild?“36). Deshalb beschränken wir uns hier darauf, im wesentlichen die Ergebnisse aus diesen Arbeiten zusammenzufassen und für nähere Details auf sie zu verweisen.Die Grundzüge des Strukturalismus lassen sich hinsichtlich ihrer (erkenntnistheoretischen) Theorie und ihrer philosophischen Methode vom Marxismus abgrenzen.Hinsichtlich seiner Theorie baut der Strukturalismus auf einer Verabsolutierung der Sprache auf – ein Konzept, das auf Nietzsche37 sowie den Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure38 zurückgeht und sich in zahlreichen Strömungen der bürgerlichen Philosophie des 20. Jahrhunderts wiederfindet (z.B. Existentialismus, Phänomenologie, logischer Positivismus).39 Anstatt bei der materialistischen Beantwortung der Grundfrage der Philosophie zu bleiben – dass nämlich die Materie das Primäre ist, das dem Bewusstsein vorausgeht – wird in der Ideenwelt der Strukturalist:innen ein verallgemeinertes Konzept von Sprache zum Primären, das die Wirklichkeit erschafft bzw. dieser zugrunde liegt. Der Strukturalismus sieht, wie es in einem Reader der Technischen Universität Darmstadt von 2014 heißt, „hinter den Erscheinungen der Welt eine in sich logische Struktur, die über die Sprache dem Menschen zugänglich gemacht werden kann“40 41.Diese Theorie ist letztlich nichts anderes als objektiver Idealismus, das heißt die Rückkehr zu der Vorstellung, dass ein universelles geistiges Prinzip (wie ein Weltgeist) der Materie zugrunde liegt, nur dass dieses geistiges Prinzip hier in der abstrakten Sprache, der logischen Struktur besteht.Diese erkenntnistheoretische Festlegung äußert sich auch in der entsprechenden idealistischen Geschichtsauffassung: Anstatt im marxistischen Sinne die Produktionsverhältnisse der Menschen als Grundlage (Basis) der gesellschaftlichen Beziehungen zu untersuchen, sieht der Strukturalismus die „linguistischen Strukturen […] gegenüber allen anderen sozialen Faktoren als bestimmend [an] […] Daraus folgt auch das Grundaxiom des Strukturalismus: Die Linguistik sei die führende Wissenschaft des gesamten großen Bereichs der Gesellschaftswissenschaft.“.42 Es ist bezeichnend, dass der Strukturalismus mit dieser Ausrichtung auf die Sprache als allgemeinen Erklärungsansatz für die Erscheinungen der Welt und der Gesellschaft seinem eigenen Anspruch zuwiderläuft, universelle „Erzählungen“, also den Materialismus und Idealismus abzulehnen.Der Poststrukturalismus als Strömung, die auf dem Fundament des Strukturalismus aufbaut, wendet sich in der erkenntnistheoretischen Grundausrichtung wiederum mehr dem subjektiven Idealismus zu, der in letzter Konsequenz nur das individuelle Bewusstsein anerkennt und den Erscheinungen der Welt lediglich in diesem Bewusstsein eine Existenz zuerkennt. Der Poststrukturalismus erklärt die „logische Struktur“ hinter der Welt zu einer „Hypothese (…), abhängig in der Wiedergabe von den individuellen Sichtweisen.“ Damit „dekonstruiert (…) [er] die Zuschreibung von Sinn als individuellen Akt des jeweiligen Diskursteilnehmers“43. Mit anderen Worten: Jede:r Teilnehmer:in eines Diskurses entwirft nach der Vorstellung des Poststrukturalismus eine eigene Logik, die er:sie der Welt zugrunde legt, und all diese unterschiedlichen Sichtweisen stehen gleichberechtigt nebeneinander.

Einschub 5: Nietzsche und die Verabsolutierung der Sprache

Nietzsche verabsolutiert die Sprache bzw. die Grammatik als die bestimmende Grundlage für die Entwicklung philosophischer Auffassungen, die er als ewigen Kreislauf auffasste. Welche Philosophien bestimmte Völker hervorbringen könnten, sei demnach durch ihre Sprache festgelegt, die wiederum von ihren „Rasse-Bedingungen“ abhänge. Nach marxistischer Auffassung müssen das Denken und seine Wechselwirkung mit der Sprache dagegen im Zusammenhang mit der Entwicklung der menschlichen Produktionsverhältnisse, den Verhältnissen, die die Menschen bei der Herstellung der für sie lebensnotwendigen Güter miteinander eingehen, als bestimmendem Faktor analysiert werden. In seiner Schrift „Jenseits von Gut und Böse“ fasst Nietzsche seine Auffassung von der absoluten Rolle der Sprache zusammen: „Dass die einzelnen philosophischen Begriffe nichts Beliebiges, nicht Für-sich-Wachsendes sind, sondern in Beziehung und Verwandschaft zueinander emporwachsen, dass sie, so plötzlich und willkürlich sie auch in der Geschichte des Denkens anscheinend heraustreten, doch eben so gut einem Systeme angehören als die sämmtlichen Glieder der Fauna eines Erdtheils: das verräth sich zuletzt doch darin, wie sicher die verschiedensten Philosophen ein gewisses Grundschema von möglichen Philosophien immer wieder ausfüllen. Unter einem unsichtbaren Banne laufen sie immer von Neuem noch einmal die selbe Kreisbahn: sie mögen sich noch so unabhängig von einander mit ihrem kritischen oder systematischen Willen fühlen: irgend Etwas in ihnen führt sie, irgend Etwas treibt sie in bestimmter Ordnung hinter einander her, eben jene eingeborne Systematik und Verwandtschaft der Begriffe. Ihr Denken ist in der That viel weniger ein Entdecken, als ein Wiedererkennen, Wiedererinnern, eine Rück- und Heimkehr in einen fernen uralten Gesammt-Haushalt der Seele, aus dem jene Begriffe einstmals herausgewachsen sind: – Philosophiren ist insofern eine Art von Atavismus höchsten Ranges. Die wunderliche Familienähnlichkeit alles indischen, griechischen, deutschen Philosophirens erklärt sich einfach genug. Gerade, wo Sprach-Verwandschaft vorliegt, ist es gar nicht zu vermeiden, dass, Dank der gemeinsamen Philosophie der Grammatik – ich meine Dank der unbewussten Herrschaft und Führung durch gleiche grammatische Funktionen – von vornherein Alles für eine gleichartige Entwicklung und Reihenfolge der philosophischen Systeme vorbereitet liegt: ebenso wie zu gewissen andern Möglichkeiten der Welt-Ausdeutung der Weg wie abgesperrt erscheint. Philosophen des ural-altaischen Sprachbereichs (in dem der Subjekt-Begriff am schlechtesten entwickelt ist) werden mit großer Wahrscheinlichkeit anders ‚in die Welt‘ blicken und auf andern Pfaden zu finden sein als Indogermanen oder Muselmänner: der Bann bestimmter grammatischer Funktionen ist im letzten Grunde der Bann physiologischer Werturtheile und Rasse-Bedingungen.“ 44

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Zu welchen Konsequenzen die Verabsolutierung der Sprache in der politischen Theorie führt, lässt sich an der Gendertheoretikerin Judith Butler studieren, für die der „Diskurs“ und die Sprache als Machtstrukturen die grundlegenden Konstruktionsprinzipien von Wirklichkeit darstellen. Butler versteht Geschlechterkategorien bis hin zum körperlichen Geschlecht („sex“) als Produkte der Wiederholung von Sprechakten, als durch den herrschenden „Diskurs“ konstruiert, und nicht als natürliche, unausweichliche Erscheinungen.45 Diese Auffassungen legt sie in ihrem Hauptwerk „Gender trouble“46 („Das Unbehagen der Geschlechter“) ausführlich dar, auf dessen dekonstruktivistische Methodik wir in Einschub 7 näher eingehen. Entgegen einem häufigen Missverständnis will Butler damit zwar nicht aussagen, dass die Welt an sich ein Ergebnis von Sprechakten sei, wohl aber die Normierung menschlicher Körper in binäre Geschlechter und heterosexuelle Orientierung. Das Problem daran ist wiederum nicht, dass eine solche Normierung in der kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft nicht stattfinden würde, und dass es nicht auch eine Rückwirkung der gesellschaftlichen Geschlechtsfunktion („gender“) auf die menschlichen Körper gäbe (was sich nämlich allein schon an der zunehmenden Auseinanderentwicklung männlicher und weiblicher Körper seit der Urgesellschaft sehen lässt47). Die Tatsache, dass Butler diese gesellschaftliche Normierung der Geschlechter und sexuellen Orientierungen thematisiert und damit Lücken auch in der bisherigen marxistischen Theorie angreift, erklärt gerade die Anziehungskraft ihrer Positionen für viele Intellektuelle mit Bezug zu LGBTI+ Fragen. Das Problem dieser Theorie ist jedoch, dass Butler die Unterdrückung von Geschlechtern und Menschen, die aus der heterosexuellen gesellschaftlichen Norm herausfallen, nicht aus den kapitalistischen Produktionsverhältnissen und ihrem Zusammenhang mit dem Patriarchat herleitet, sondern idealistisch zum Ergebnis von Sprache bzw. von „Diskursen“ verklärt. Der Gipfel dieses Idealismus ist, wenn Butler und andere postfeministische Theoretiker:innen das gesellschaftliche Geschlecht auf das grammatische Geschlecht (Genus) zurückführen oder beides gleichsetzen wollen – mit dem Argument, dass beide im Englischen mit demselben Wort „gender“ bezeichnet werden. Butlers deutsche Übersetzerin führt diese gleiche Begriffsbezeichnung sogar quasi als „Beweis“ für die angebliche sprachliche Bedingtheit des gesellschaftlichen Geschlechts an: „Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß gender ursprünglich das ‚grammatische Geschlecht‘ meint und somit im Englischen immer schon die sprachliche Verfaßtheit der Geschlechtsidentität konnotiert.“48 Tatsächlich sind grammatisches Genus und körperliches bzw. gesellschaftliches Geschlecht aber begrifflich ganz verschiedene Dinge, deren Zusammenhang sich in verschiedenen Sprachen zudem völlig unterschiedlich darstellt (in der deutschen Sprache etwa können die Worte „der Tisch“, „die Tafel“ und „das Büffet“, die sich durch ihr Genus unterscheiden, denselben – geschlechtslosen – Gegenstand bezeichnen). Das Geschlecht ist nicht gleich dem Genus, oder gar durch das Genus bestimmt. Der „Beweis“ für die „sprachliche Verfaßtheit“ von Geschlechtern entpuppt sich damit als Pseudoargument, als rhetorischer Taschenspielertrick. Viel wichtiger aber noch als dieser inhaltliche Fehler ist, dass mit der dargestellten idealistischen Sichtweise, der alleinigen Fokussierung auf die Sprache, die Zusammenhänge von materiellen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen nicht begriffen und diese Verhältnisse erst recht nicht bekämpft werden können. Denn gegen was kann man eigentlich noch kämpfen, wenn alle Unterdrückungsverhältnisse angeblich aus der Sprache folgen? Soll man eine neue Sprache erfinden, die alle Unterdrückungsverhältnisse aufhebt, ohne dass man an den materiellen Produktionsverhältnissen irgendetwas verändert? Es ist offensichtlich, dass diese inhaltliche Ausrichtung zu nichts führen kann außer abgehobenen intellektuellen Debatten, die von der gesellschaftlichen Praxis wegführen, sowie zur Entstehung pseudo-fortschrittlicher Gelehrtensprachen, mit denen sich die politische Widerstandsbewegung vollständig von der Arbeiter:innenklasse entfernt. Genau das ist aber die Konsequenz, die wir in der Praxis der postmodernen Linken tagtäglich sehen, und das nicht nur im Bereich der Genderfragen. Ganz ähnlich wie Judith Butler führen nämlich auch Vertreter:innen der „Postcolonial Studies“ und der Critical Whiteness (z.B. Achille Mbembe, Homi K.Bhabha, die „Subaltern Studies Group“ u.a.) die Kategorien „Schwarze“ und „Weiße“ oder gleich den gesamten (Neo)kolonialismus auf „Herrschaftsdiskurse“ und Sprache zurück. Auch hiermit werden alle Möglichkeiten der Analyse der realen Zusammenhänge zwischen Rassismus, Kolonialismus und Kapitalismus schon von der philosophischen Grundausrichtung her ausgeschlossen, und statt auf den praktischen Kampf zur Veränderung der Wirklichkeit wird auf die Veränderung der Sprache und des „Diskurses“ orientiert.Damit kommen wir zur philosophischen Methode des Strukturalismus, die auf den ersten Blick, in ihrer allgemeinen Formulierung eine Ähnlichkeit zum dialektischen Materialismus vortäuscht:

„Das Wesen der Methode des Strukturalismus legt Lévi-Strauss wiefolgt dar: Erstens muß man einzelne Fakten sammeln und analysieren und eine möglichst vollständige Liste derselben aufstellen; zweitens muß man die Wechselbeziehungen zwischen den Fakten ermitteln, sie in Gruppen zusammenfassen und die inneren korrelativen Beziehungen klären; drittens muß man alles zu einem einheitlichen Ganzen synthetisieren, ein System entsprechender Elemente aufbauen und damit das einheitliche, ganzheitliche Forschungsobjekt schaffen. (…) Damit wird der zentrale Begriff der Methode definiert, die der gesamten Richtung den Namen gegeben hat – der Begriff der Struktur als eines bestimmten Systems, das durch einen gesetzmäßigen Zusammenhang gesteuert wird. Im weiten Sinne des Wortes bedeutet der Begriff ‚Struktur‘ ein System stabiler innerer Beziehungen, die wesentliche Merkmale des Gegenstands bestimmen und ein einheitliches Ganzes bilden, das sich nicht auf die bloße Summe seiner Elemente zurückführen läßt, ein System, das die Elemente lenkt, ob es sich nun um ihre Existenzweise oder ihre Entwicklungsgesetze handelt.“49Wie Sève mit Verweis auf Marx‘ Methode im „Kapital“ feststellt, bedeutet dieser Strukturbegriff für den Marxismus nicht wirklich etwas Neues, auch wenn der philosophische Inhalt der Kategorie Struktur50 erst in den 1960er Jahren von Philosoph:innen und Naturwissenschaftler:innen in der Sowjetunion genauer entwickelt wurde, nämlich als Antwort auf den Strukturalismus.Der Kernpunkt, der die strukturalistische Methode von der Dialektik unterscheidet, liegt jedoch, wie Sève herausarbeitet, darin

  • dass der Strukturalismus die Analyse der inneren Struktur von Erscheinungen (in der Sprache des Strukturalismus: „synchronisches Herangehen“) und der zeitlichen Entwicklung derselben Erscheinungen („diachronisches Herangehen“) mechanisch voneinander trennt bzw. beide „Herangehensweisen“ einander entgegenstellt. Der Marxismus dagegen betont, dass die zeitliche Entwicklung von Erscheinungen nur aus den inneren, dialektischen Widersprüchen dieser Erscheinungen begriffen werden kann. Der Strukturalismus jedoch „kennt keinen dialektischen Widerspruch (…) Er erkennt nur eine sich gegenseitig ergänzende Gegenüberstellung von Fakten, Erscheinungen und Strukturen, d.h. nur die äußere Form oder einen blassen Abklatsch des dialektischen Widerspruchs, an.“51. Dass die Struktur als ganze mehr ist als die Summe ihrer Teile, kann der Strukturalismus so zwar benennen, aber nicht erklären, da hierfür das Konzept des Umschlagens quantitativer Entwicklungen in qualitative Sprünge notwendig wäre, das zum dialektischen Widerspruch gehört.
  • In der Konsequenz ist der Strukturalismus unfähig, die historische Entwicklung von Strukturen, z.B. von gesellschaftlichen Erscheinungen, richtig zu verstehen. Er erkennt zwar eine Entfaltung von Strukturen in der Zeit an, sieht diese aber nicht „als einen in die Zukunft gerichteten Prozeß“, sondern als „eine Bewegung zur Vollendung und damit zur Stagnation“52. Damit fällt er in der Tradition von Philosoph:innen wie Nietzsche letztlich darin zurück, die Geschichte als einen „ewigen Kreislauf“ oder Aneinanderreihung von Zufälligkeiten zu sehen – während der Marxismus die geschichtliche Entwicklung als einen aufsteigenden Prozess versteht, der sich infolge des Umschlagens quantitativer Entwicklungen in qualitative Sprünge vom Einfachen zum Komplizierten, vom Niederen zum Höheren entwickelt.
  • Damit verhindert das Eindringen des Strukturalismus in die Sozial- und Geisteswissenschaften, dass die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins, der menschlichen Kultur, der gesellschaftlichen Vorstellungen etc. in Abhängigkeit von der materiellen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, d.h. ihrer Produktionsverhältnisse, begriffen werden – womit wir wieder beim Grundfehler der strukturalistischen Theorie, der Verabsolutierung der Sprache angelangt wären. Der Strukturalismus „negiert faktisch den Fortschritt und die Entwicklung der Menschheit. Unter dem Einfluss seiner Ideen erleben in den Gesellschaftswissenschaften mystische Geschichtsvorstellungen ihre Wiedergeburt, wird der wirkliche Sinn der Geschichte entwertet, das Bewußtsein des Menschen von den realen Strukturen losgelöst und mit einem autonomen Charakter versehen.“53 In letzter Konsequenz kommt man also bei nichts anderem als Nietzsches „Willen zur Macht“ als bestimmender Triebkraft von Natur und Gesellschaft heraus.

Das Zusammenwirken von (idealistischer) Theorie und (mechanischer) Methode beim Strukturalismus führt in der Wissenschaft von der Gesellschaft also dazu, dass die zentralen Zusammenhänge zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, Produktionsverhältnissen und gesellschaftlichen Klassen, zwischen Basis und Überbau einer Gesellschaft völlig vernebelt werden bzw. diese Fragestellungen aus der Betrachtung von vornherein ausgeschlossen werden. Stattdessen soll die Wissenschaft sich auf die Sprache konzentrieren, wie es z.B. Foucault mit seiner „Diskursanalyse“ propagiert. Damit erfüllt der Strukturalismus als Ausdruck der bürgerlichen Ideologie einen äußerst materiellen Zweck: Er soll den Eindruck erwecken, er sei eine mit dem Marxismus verwandte Methode, dabei aber wesentliche Grundbausteine des Marxismus wie die Lehre vom Klassenkampf und die sozialistische Revolution im Geiste vernichten.

Einschub 6: Die Position des historischen Materialismus zur Rolle der Sprache

Wir haben im Text gesehen, dass die Verabsolutierung der Sprache ein kennzeichnendes Merkmal postmoderner Philosophien ist und sich schon bei älteren bürgerlichen Philosophen wie Nietzsche findet. Charakteristisch ist hier erstens, dass Sprache und Denken einander absolut gegenübergestellt werden, so als ob es ein Denken ohne Sprache oder umgekehrt geben könnte. Zweitens werden jegliche materiellen gesellschaftlichen Erscheinungen einseitig als Ergebnisse von Sprache betrachtet. Der Standpunkt des historischen Materialismus zum Verhältnis von Sprache, Denken und Gesellschaft ist dagegen ein völlig anderer. Marx und Engels haben herausgearbeitet, dass die Sprache die „unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens“54, das heißt die konkrete Realität des menschlichen Bewusstseins ist: „Die Sprache ist so alt wie das Bewußtsein – die Sprache ist das praktische, auch für andere Menschen existierende, also auch für mich selbst existierende wirkliche Bewußtsein, und die Sprache entsteht, wie das Bewußtsein, erst aus dem Bedürfnis der Notdurft des Verkehrs mit andern Menschen.“55 Arbeit, Sprache und Denken haben sich beim Menschen in enger Wechselwirkung miteinander herausgebildet, wobei die Arbeit das bestimmende Moment ist: „Arbeit zuerst, nach und dann mit ihr die Sprache – das sind die beiden wesentlichsten Antriebe, unter deren Einfluß das Gehirn eines Affen in das bei aller Ähnlichkeit weit größere und vollkommenere eines Menschen allmählich übergegangen ist.“ 56 Mit der Entwicklung des Gehirns vollzieht dann auch die Arbeit und die Sprache einen qualitativen Sprung. Der Mensch entwickelt – in den Worten des ungarischen marxistischen Philosophen Béla Fogarasi – „die Fähigkeit zur Abstraktion und zum Bilden von Schlüssen – das Denken“ 57. Stalin hat diese Erkenntnisse von Marx und Engels in seiner Schrift „Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft“ später ausgeführt und weiterentwickelt: „Man sagt, daß die Gedanken im Kopf des Menschen entstehen, bevor sie in der Rede ausgesprochen werden, daß sie ohne sprachliches Material, ohne sprachliche Hülle, sozusagen in nackter Gestalt entstehen. Aber das ist völlig falsch. Welche Gedanken im Kopf des Menschen auch immer entstehen mögen, sie können nur auf der Grundlage des sprachlichen Materials, auf der Grundlage der sprachlichen Termini und Sätze entstehen und existieren. Gedanken, frei vom sprachlichen Material, frei von der sprachlichen ‚natürlichen Materie‘, gibt es nicht. ‚Die Sprache ist die unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens‘ (Marx). Die Realität des Gedankens offenbart sich in der Sprache. Nur Idealisten können von einem Denken, das mit der ‚natürlichen Materie‘ der Sprache nicht verbunden ist, von einem Denken ohne Sprache sprechen.“ 58In derselben Schrift führt Stalin aus, dass die Sprache weder zu den Erscheinungen der gesellschaftlichen Basis, noch zu denen des Überbaus gezählt werden kann, das heißt sie erfährt keine wesentliche, qualitative Veränderung beim Übergang von einer Gesellschaftsformation zur anderen.59 Das unterscheidet die Sprache von den konkreten Inhalten der Gedanken, wie z.B. dem Wissen, den herrschenden Ideen oder der Philosophie, die bekanntlich zu den Erscheinungen des gesellschaftlichen Überbaus zählen und beim Übergang von einer Gesellschaftsformation zur anderen qualitative Sprünge durchlaufen. Dass die Sprache weder zur Basis noch zum Überbau der Gesellschaft gehört, bedeutet jedoch nicht, dass sie etwas Statisches wäre, dass sie im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung keinen Veränderungen unterliegen würde – ganz im Gegenteil. Die Sprache befindet sich, da sie unmittelbar mit der menschlichen Produktionstätigkeit und allen gesellschaftlichen Aktivitäten des Menschen verbunden ist60, in einem nahezu ununterbrochenen Veränderungsprozess, nämlich hinsichtlich ihres Wortbestandes: „Der Wortbestand der Sprache verändert sich jedoch nicht wie der Überbau, nicht durch die Beseitigung des Alten und den Aufbau des Neuen, sondern durch die Ergänzung des bestehenden Wortbestandes durch neue Wörter, die im Zusammenhang mit den Veränderungen der sozialen Ordnung, mit der Entwicklung der Produktion, mit der Entwicklung der Kultur, der Wissenschaft usw. entstanden sind. Hierbei kommt, obgleich gewöhnlich eine gewisse Anzahl veralteter Wörter aus dem Wortbestand der Sprache verschwindet, eine viel größere Anzahl neuer Wörter hinzu. Was aber den grundlegenden Wortschatz betrifft, so bleibt er in allem Wesentlichen erhalten und wird als Grundlage des Wortbestandes der Sprache benutzt“ 61. Die ununterbrochene Veränderung des Wortbestandes geht also einher mit einem Bestehenbleiben des grundlegenden Wortschatzes über viele gesellschaftliche Epochen. Im Zuge des Aufbaus sozialistischer Produktionsverhältnisse in der Sowjetunion und anderen Staaten sind etwa zahlreiche neue Wörter aufgekommen – vom „Fünfjahresplan“ über den „Subbotnik“ bis zur „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft“. Man kann aber keinesfalls sagen, dass der Wortschatz irgendeiner Sprache im Zuge des sozialistischen Aufbaus ein grundlegend anderer geworden wäre als im Kapitalismus. Letzteres, also die Stabilität der Sprache über historische Epochen hinweg, gilt natürlich umso mehr für die Grammatik, das heißt die Regeln für die Beugung der Wörter und die Verbindung der Wörter zum Satz. Die Sprache ist zudem nicht die Sprache nur einer bestimmten Klasse, sondern dient grundsätzlich den Bedürfnissen aller Klassen einer Gesellschaft.62 Zwar entstehen in verschiedenen Klassen und auch innerhalb dieser Klassen immer wieder unterschiedliche „Jargons“ oder Slangs, z.B. in verschiedenen Berufsgruppen, Wohngegenden, sozialen Umfeldern oder in Stadt und Land. Das Aufkommen solcher Slangs bedeutet jedoch nicht, dass der grundlegende Wortschatz der Sprache (geschweige denn die Grammatik) sich zwischen diesen Gruppen qualitativ voneinander unterscheiden würde, sodass man von verschiedenen Sprachen sprechen müsste. Trotzdem macht der Klassenkampf auch vor der Sprache nicht halt. Die herrschenden Klassen versuchen beispielsweise, der Alltagssprache bestimmte Ausdrücke aufzuzwingen, mit denen falsche, demagogische Inhalte vermittelt werden. Die Wörter „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ zum Beispiel stellen heute das tatsächliche Verhältnis zwischen Kapitalist:innen und Arbeiter:innen auf den Kopf. Ebenso dient das Wort „Verteidigungsministerium“ dazu, jede kriegerische Aktivität eines imperialistischen Staates als „Akt der Verteidigung“ zu bemänteln. Für die Arbeiter:innenklasse ist es von entscheidender Bedeutung, solche irreführenden Bezeichnungen als imperialistische Demagogie zu enttarnen, durch Aufklärung und praktische Übung aus dem alltäglichen Sprachgebrauch zu verdrängen und durch korrekte, die Realität widerspiegelnde Begriffe zu ersetzen. Dasselbe gilt für zahlreiche Bezeichnungen, die Unterdrückungsverhältnisse verfestigen oder verherrlichen – von offen rassistischen, sexistischen und anderen beleidigenden Wörtern bis zu subtileren diskriminierenden Sprachgebräuchen. Beim Kampf gegen demagogische und unterdrückerische Sprachgebräuche dürfen wir jedoch nicht der Illusion verfallen, man könnte durch die Ächtung des Gebrauchs einzelner Wörter das zugrundeliegende Unterdrückungsverhältnis aufheben oder verschwinden lassen. Eine solche illusorische und idealistische Auffassung trägt die bürgerliche Ideologie heute über den Postmodernismus sehr massiv in die politische Widerstandsbewegung, was dazu führt, dass die Aufmerksamkeit von Teilen der Bewegung vom Kampf gegen die materielle Seite der Unterdrückungsverhältnisse weggeleitet wird. Stattdessen ist häufig eine überwiegende Fokussierung auf die Veränderung von Sprache anzutreffen, die sich als Endlosdiskussion über „politisch korrekte“ Bezeichnungen und Sprachregeln äußert. Diese reichen im Extremfall bis hin zur künstlichen Entwicklung neuer Grammatikregeln, die mit der Alltagssprache kaum noch etwas zu tun haben und im Zweifel nur noch dazu führen, dass politische Aktivist:innen sich in der Bevölkerung nicht mehr verständlich machen können. Eine solche falsche und einseitige Ausrichtung kann in letzter Konsequenz nur zu einer Trennung von Bewegung und Massen und zur Verfestigung der Unterdrückung führen und muss von uns entschieden bekämpft werden. Doch es gibt noch weitere falsche Auffassungen zur Sprache und ihrem Verhältnis zum Denken und zur materiellen Welt, denen wir entgegentreten müssen. Ebenso wie es kein Denken ohne Sprache geben kann, kann auch keine Sprache ohne Denken existieren: Etwa als abstrakte logische Struktur, die jeglichem Denken oder gar der materiellen Welt vorausginge. Ein gegensätzlicher, ebenfalls häufig anzutreffender Fehler in der bürgerlichen Philosophie ist es, das Denken mit der Sprache gleichzusetzen, so z.B. die Logik mit der Grammatik.63 Vom Standpunkt des Marxismus muss man auch die Auffassungen einiger Philosoph:innen wie des Dekonstruktivisten Derrida bekämpfen, welche die Sprache grundsätzlich für ungeeignet halten, die Gedanken adäquat auszudrücken. Diese Auffassung geht meistens damit einher, auch das Denken für unfähig zu halten, die Wirklichkeit adäquat widerzuspiegeln, ist also ein Ausdruck des philosophischen Irrationalismus: „Am klarsten zeigt sich dieser Zusammenhang bei Bergson. Ihm zufolge bedeuten Verstand und Sprache die Einwirkung der sozialen Außenwelt, die die unmittelbaren Gegebenheiten des individuellen Seelenlebens bzw. die reine Intuition verdunkeln“.64

Ebenso ist zu betonen, dass sprachliche Namengebung und Gegenstand nicht dasselbe sind, dass der sprachliche Ausdruck für einen Gegenstand kein Bestandteil von dessen Wesen ist: „‚Der Name einer Sache ist ihrer Natur ganz äußerlich. Ich weiß nichts vom Menschen, wenn ich weiß, daß ein Mensch Jakobus heißt.‘ Warum macht Marx auf diese Tatsache aufmerksam? Weil in der Ökonomie und überhaupt der Irrglaube verbreitet ist, es bestehe eine geheimnisvolle wesentliche Verbindung zwischen den Dingen und den Namen der Dinge. Dies lehrte die Kabbala des Mittelalters, und darum nannte Marx diesen Glauben einen kabbalistischen. Die naive Identifizierung von Gegenstand und Name ist die Quelle vieler Irrtümer; ihre trügerische Identifizierung aber ein beliebter Kniff der Demagogie.“ 65 Wir haben dieses Vorgehen bei Judith Butlers Übersetzerin kennengelernt, die das gesellschaftliche auf das grammatische Geschlecht zurückgeführt hat, weil beide im Englischen mit demselben Wort „gender“ bezeichnet werden. Tatsächlich hat die grammatische „Geschlechts“form von Wörtern – das Genus – aber häufig gar nichts mit einem (biologischen oder gesellschaftlichen) Geschlecht der damit bezeichneten Gegenstände zu tun. Ein korrektes historisch-materialistisches Verständnis der Rolle der Sprache kann uns also davor bewahren, auf solche verbreiteten Wortklaubereien und falschen Argumente hereinzufallen.

Einschub 7: Poststrukturalismus konkret – Derridas Dekonstruktion der Dialektik

Die Strömungen des Poststrukturalismus zeichnen sich gegenüber dem „klassischen“ Strukturalismus häufig nicht nur durch einen Schwenk vom objektiven zum subjektiven Idealismus aus, sondern auch dadurch, dass sie die dialektische Methode noch konsequenter verwerfen. Ein Beispiel hierfür ist die Dekonstruktion (auch: Dekonstruktivismus) des französischen Philosophen Jacques Derrida (1930 – 2004). An der lässt sich auch gut aufzeigen, wie hinter einem scheinbar fortschrittlichen, „gegen Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse“ gerichteten philosophischen Ansatz in Wahrheit reaktionärste bürgerliche Ideologie steckt.Der Ausgangspunkt von Derridas Denken66 ist der Antitotalitarismus, das heißt die gleichzeitige Ablehnung von Herrschaftsstrukturen im Kapitalismus und Sozialismus. Kapitalistische Erscheinungen wie Nationalstaaten, Kolonialismus, Rassismus und Faschismus werden im Antitotalitarismus aus dem Zusammenhang mit dem Kapitalverhältnis gerissen und mit der Diktatur des Proletariats auf eine Stufe gestellt, in der die Arbeiter:innenklasse die politische Macht besitzt und sie zur Niederhaltung der Bourgeoisie einsetzt. Derrida richtet sich gegen beide Arten von Herrschaftsstrukturen, die er idealistisch als Ausdruck von Theorien mit universalem Geltungsanspruch, und damit letztlich als Ausdruck von Sprache, als „Text“ betrachtet.67 Seine Methode (die laut Derrida keine Methode ist, weil er Methoden an sich als „totalisierend“ ablehnt) ist darauf ausgerichtet, „Texte“ zu „dekonstruieren“. Dabei grenzt er sich vom Strukturalismus ab, der in der Tradition Ferdinand de Saussures eine universale logische Struktur hinter der Sprache, und damit hinter der Welt, sieht. Derrida bestreitet das mit dem Argument, dass Sprache niemals genau den Sinn dessen vermitteln kann, was der Sprecher sagen will, weil jeder Zuhörer das Gehörte gemäß seinem eigenen persönlichen Kontext interpretiert.68 Einen absoluten Sinn des Gesagten, des Textes, gebe es nicht, sondern nur ein „Spiel“ mit Bedeutungen (wobei dieser Begriff des „Spiels“ direkt auf Nietzsche zurückgeht69). Die Annahme des Strukturalismus, dass es einen absoluten Sinn hinter der Sprache gebe, kritisiert Derrida und benutzt hierfür den Begriff Logozentrismus – was in etwa die Überhöhung des Verstandes als herrschende Denkform bezeichnen soll. Mit der Dekonstruktion will Derrida diese Denkform überwinden, indem Texte „neu“ gelesen werden.Konkret läuft die Methode der Dekonstruktion darauf hinaus, vor allem Gegensatzpaare wie Subjekt – Objekt, Natur – Kultur u.ä. zu hinterfragen und letztlich „aufzulösen“. In solchen „binären“ Gegensatzpaaren gebe es nämlich immer eine Seite, die im Text höher bewertet werde, z.B. weil sie häufiger vorkomme. Diese Höherbewertung soll bei der Dekonstruktion in Frage gestellt, umgekehrt und in einer diffusen Suche nach dem „Nicht Gesagten“ überwunden werden. Auch wenn dieser Ansatz schwer verständlich ist und wir hier nur eine sehr grobe Zusammenfassung der Dekonstruktion geben können, ist unschwer zu erkennen, dass sich diese Methode direkt gegen die Dialektik, das heißt gegen die materialistische Analyse dialektischer Widersprüche richtet. Den materiellen Widersprüchen in Natur und Gesellschaft gesteht Derrida nur eine Existenz innerhalb der Sprache zu, und er will sie mittels der Dekonstruktion auflösen, oder polemisch gesagt: zerreden.Wozu das im konkreten Anwendungsfall führt, lässt sich an der Gendertheoretikerin Judith Butler sehen. Butler greift die Methode Derridas in ihrem Hauptwerk „Gender trouble“70 auf, in dem sie den Begriff der „Frau“ und die feministische Theorie (inklusive ihrer fortschrittlichen Elemente) der Dekonstruktion unterzieht: „Die feministische Theorie ist zum größten Teil davon ausgegangen, daß eine vorgegebene Identität existiert, die durch die Kategorie ‚Frau(en)‘ bezeichnet wird. Diese Identität soll nicht nur die feministischen Interessen und Zielsetzungen in der Welt des Diskurses anleiten, sondern auch das Subjekt bilden, dessen politische Repräsentation angestrebt wird.“71 Butler löst die in der feministischen Theorie relativ gängige und grundsätzlich richtige Unterscheidung zwischen körperlichem Geschlecht (Englisch: sex) und gesellschaftlichem Geschlecht (Englisch: gender) in Richtung des subjektiven Idealismus auf: Auch „sex“ sei durch Sprache, durch den Herrschaftsdiskurs konstruiert. Patriarchale Unterdrückung führt Butler im Zuge ihrer Argumentation letztlich auf die (männliche) Struktur der Sprache zurück, für die sie den kreativen Begriff des Phallogozentrismus benutzt – eine künstliche Wortschöpfung aus „Phallus“ und „Logozentrismus“. Ein Ausdruck hiervon sei etwa, dass bei den binären Gegensätzen sex – gender bzw. Natur – Kultur der erste Teil des Gegensatzpaares immer für die weibliche, passive, und der zweite Teil für die aktive, männliche Seite stehe. Damit werden dialektische Widersprüche bei Butler ebenfalls zum reinen Konstrukt der Sprache, und zwar der männlichen Sprache. Konsequent zu Ende gedacht würde das Verwerfen der Dialektik damit zu einer Art von postfeministischem Befreiungsakt.

Der Imperialismus und die Verbreitung des Postmodernismus

„Somit faßten breite Kreise der Intelligenz Mitte der 60er Jahre den Strukturalismus als eine neue und besondere Form des Anschlusses an den Marxismus unter maßgeblicher Leitung bekannter Wissenschaftler und Hochschuldozenten auf. Eine spezifische ideologische Konjunktur führte dahin, daß fortschrittliche Geister etwas dem Marxismus von Grund auf Entgegengesetztes für die neueste Entwicklung des Marxismus zu halten begannen. Und dieses Etwas, der Strukturalismus, will die herrschende Ideologie werden, wobei er gleichzeitig das Ende der Ideologie überhaupt verkündet. Unter den Bedingungen einer Monopolisierung der Verlagstätigkeit und der Ideenverbreitung leitete das die populärste ideologische Mode ein, die Frankreich jemals gekannt hat.“72 Angesichts der objektiven Funktion des Postmodernismus – eine antimarxistische Philosophie im Gewand eines Pseudo-Neo-Marxismus zu liefern – ist es kein Wunder, dass der Imperialismus an seiner Verbreitung höchst interessiert war. Der US-Geheimdienst CIA befasste in den 1980er Jahren eine eigene Arbeitsgruppe mit der Erforschung der philosophischen Entwicklungen in Frankreich und ihres möglichen Nutzens für die strategischen Interessen der USA. Dies betraf einerseits das Zurückdrängen marxistischer Einflüsse durch die postmodernen Philosophen Foucault, Lévi-Strauss und weitere, andererseits die „intellektuelle Renaissance“ der französischen Rechten, aus der schließlich dauerhaft die ideologische Strömung der „Neuen Rechten“ hervorgegangen ist. Ein mittlerweile veröffentlichtes, internes CIA-Arbeitspapier73 von 1985 über beide Richtungen kommt bezüglich der „untergegangenen marxistischen Lehre“ zu folgenden Feststellungen: „Unter den französischen Nachkriegshistorikern hat die einflussreiche Denkschule von Marc Bloch, Lucien Febvre und Fernand Braudel die traditionellen marxistischen Historiker überwältigt. Die ‚Annales‘-Schule (…) hat die französische Geschichtswissenschaft in den 1950er und 1960er Jahren auf den Kopf gestellt [sic!], vor allem indem sie die bis dahin dominanten marxistischen Theorien vom historischen Fortschritt zunächst angefochten und dann zurückgewiesen hat. (…) Auf dem Feld der Anthropologie hat die einflussreiche strukturalistische Schule von Claude Lévi-Strauss, Foucault und anderen genau dieselbe Mission ausgeführt. Obwohl sowohl der Strukturalismus als auch die ‚Annales‘-Schule auf schwere Zeiten gestoßen sind (Kritiker werfen ihnen vor, zu kompliziert zu sein, als dass Einsteiger ihnen folgen könnten), glauben wir, dass ihre kritische Zerstörung des marxistischen Einflusses in den Sozialwissenschaften mit hoher Wahrscheinlichkeit fortdauern wird, als tiefgehender Beitrag zur modernen Wissenschaft sowohl in Frankreich als auch anderswo in Westeuropa.“74 Dass diese Einschätzung leider korrekt war, lässt sich heute zweifelsfrei feststellen, wenn man den Einfluss des Postmodernismus in der akademischen Welt und der politischen Widerstandsbewegung betrachtet. Beides geht Hand in Hand miteinander: An den Unis bilden die Institute für Geistes- und Sozialwissenschaften mit „linker“ Orientierung heute eine Art staatliche akademische Industrie zur Produktion antimarxistischer Theorien, die über studierende Aktivist:innen in die politische Widerstandsbewegung einsickern. Wer fit ist und gute Hausarbeiten in Postcolonial oder Genderstudies schreibt, oder sogar einen Hiwi-Job zur Finanzierung seines politischen Aktivismus ergattern konnte, bringt die nötige Autorität mit, um die eigene Antifa-Gruppe auf die postmoderne Linie einzuschwören. Damit reproduziert sich am Ende eine akademisch-intellektuelle linke Parallelwelt, die keine Berührungspunkte mehr mit der Arbeiter:innenklasse hat, deren ideologische Verwirrung aber weit über den eigenen Tellerrand hinausstrahlt (z.B. über die Linkspartei).So entfaltet sich ein imperialistisches System der ideologischen Zersetzung der politischen Widerstandsbewegung, das mit der Analyse antimarxistischer Denkschulen durch die Geheimdienste begonnen hat.Neben der Beobachtung und Bewertung der philosophischen Entwicklung hat es während des Kalten Krieges übrigens auch direkte Kontaktaufnahmen von CIA-Mitarbeitern mit französischen Intellektuellen gegeben. Dies ist zumindest für den antimarxistischen Philosophen Raymond Aron dokumentiert, nämlich durch die britische Historikerin Frances Stonor Saunders in ihrem Buch „The Cultural Cold War“– einer ausführlichen Studie über das gezielte „Pushen“ bestimmter Künstler:innen, Musiker:innen, Schriftsteller:innen und Philosoph:innen durch den US-Geheimdienst während des Kalten Krieges, das ebenfalls der Zurückdrängung marxistischer Einflüsse diente (gepusht wurden demnach u.a. George Orwell, Bertrand Russell und Hannah Arendt)75. Die geheimdienstliche Einbeziehung von Intellektuellen, die der politischen Widerstandsbewegung nahe standen, dabei aber Antimarxisten waren, ist zudem für Herbert Marcuse, Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, die wichtigsten Vertreter der Kritischen Theorie, dokumentiert. Marcuse war von 1942 bis 1945 Mitarbeiter des CIA-Vorläufers OSS (Office of Strategic Services) und arbeitete danach für das Office of Research and Intelligence (ORI) im US-Außenministerium: „Marcuse gehörte (…) zu einer Gruppe exilierter deutscher Intellektueller, die gemeinsam mit US-Kollegen für die Abteilung Research and Analysis (R&A) des OSS wissenschaftliche Studien und Einschätzungen über den Nationalsozialismus und das von den Nazis besetzte Europa erstellten und nach dem Krieg Expertisen über den Sowjetkommunismus und die Verhältnisse in den von ihm beherrschten Satellitenstaaten anfertigten.“76 Adornos und Horkheimers Frankfurter Institut für Sozialforschung war in den 1950er Jahren sogar an der Erarbeitung des Konzepts „Innere Führung“ der Bundeswehr beteiligt.77Es ist also offensichtlich, dass der Imperialismus die Bedeutung des ideologischen Klassenkampfes schon sehr lange durchschaut hat und konsequent daran weiterarbeitet. Dass er dabei erfolgreich vorgegangen ist, zeigt nicht nur die ideologische Verwirrung, die er in der politischen Widerstandsbewegung der imperialistischen Länder angerichtet hat, der wir uns im 2. Teil dieses Artikels widmen. Vielmehr konnte der Postmodernismus auch ideologischen Einfluss auf bedeutende kämpfende Bewegungen in unterdrückten Ländern gewinnen, wie z.B. die mexikanischen Zapatist:innen oder die kurdische nationale Befreiungsbewegung.78

Zusammenfassung: Die Kernelemente postmoderner Philosophie

Wir können an dieser Stelle die wesentlichen Elemente der postmodernen philosophischen Strömungen zusammenfassen, die wir am Beispiel des Strukturalismus genauer betrachtet haben. Diese bestehen in:

  • der Absage an einheitliche philosophische Weltanschauungen, womit vor allem der Marxismus und die fortschrittlichen Traditionen der bürgerlichen Philosophie (v.a. Kant, Hegel) gemeint sind. Stattdessen stellt sich der Postmodernismus in die Tradition der reaktionären bürgerlichen Philosophien ab dem späten 19. Jahrhundert (vor allem Nietzsche, Phänomenologie, Existentialismus).
  • der Ersetzung der Suche nach objektiven Wahrheiten durch das gleichberechtigte Nebeneinanderstellen sich widersprechender Auffassungen (vor allem beim Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus). Aufgabe des Anspruchs auf innere Schlüssigkeit.
  • der gleichzeitigen Hinwendung zum Idealismus durch die Verabsolutierung der Sprache in Erkenntnistheorie und Gesellschaftswissenschaften. Daraus folgt die Ersetzung des historischen Materialismus in der Geschichtswissenschaft durch Sprachforschung.
  • der Ablehnung einer fortschreitenden Entwicklung in der Geschichte, einer Entwicklung vom Niederen zum Höheren. Da der Postmodernismus die Sprache als den bestimmenden Faktor für die Struktur der Gesellschaft versteht, betrachtet er die geschichtliche Entwicklung als „ewigen Kreislauf“. Abwesenheit qualitativer Sprünge in der geschichtlichen Entwicklung.
  • der Ersetzung der dialektischen Methode durch mechanische Ansätze (z.B. Strukturanalyse). Ersetzung der Herausarbeitung dialektischer Widersprüche durch die formale Gegenüberstellung von Elementen. Mechanisches Auseinanderreißen der Analyse innerer Strukturen und der Zeitentwicklung von Strukturen.
  • der Verabsolutierung der Rolle des Individuums, die aus der Nietzscheanischen Geschichtsauffassung („Willen zur Macht“), der Hinwendung zum subjektiven Idealismus sowie aus den Einflüssen der bürgerlichen Psychologie folgt.

Abkehr von Proletariat und Klassenkampf – Der Postmodernismus in der politischen Praxis

Der Kampf gegen den Kapitalismus und seine besonderen Unterdrückungsverhältnisse kann nur dann erfolgreich sein, wenn er sich auf die Arbeiter:innenklasse stützt und einer klaren, revolutionären Strategie folgt. Eine solche Strategie muss die richtige Antwort auf die objektiven Verhältnisse in einem gegebenen kapitalistischen Land geben, diese also richtig widerspiegeln. Sie kann diese Bedingung nur dann erfüllen, wenn ihr eine korrekte Analyse der Zusammenhänge zwischen den gesellschaftlichen Verhältnissen im Kapitalismus zugrunde liegt. Das gilt insbesondere für solche Fragen wie den Zusammenhang zwischen rassistischer Unterdrückung und kapitalistischer Ausbeutung, zwischen Kapitalismus und Patriarchat, sowie zwischen Kapitalismus, Patriarchat und der Unterdrückung von LGBTI+ Menschen. Konkret geht es darum, zu verstehen, warum die vollständige Befreiung vom Patriarchat, von der Unterdrückung von LGBTI+ Menschen sowie von rassistischer Unterdrückung im Kapitalismus nicht möglich ist. Es geht auch darum, Kampfziele und Forderungen, die innerhalb des Kapitalismus erreichbar sind, von solchen Fragen zu unterscheiden, die erst durch die sozialistische Revolution oder im Kommunismus vollständig gelöst werden können. Am Ende geht es darum, die Kämpfe und Forderungen von Migrant:innen und LGBTI+ Menschen mit dem Kampf der Arbeiter:innenklasse insgesamt zu verbinden, sodass im Ergebnis eine einheitliche, revolutionäre Strategie des Proletariats und der unterdrückten Schichten entsteht.All diese Fragen machen den ideologischen Kampf um ein richtiges, korrektes Verständnis der objektiven Realität, der objektiven Zusammenhänge im Kapitalismus notwendig. Aus unserer Betrachtung der philosophischen Grundzüge des Postmodernismus folgt unmittelbar, dass dieser sich ideologisch frontal gegen die genannten Aufgabenstellungen richtet, dass er auf eine Verhinderung der Kampfeinheit von Migrant:innen, LGBTI+ Menschen und Arbeiter:innen ausgerichtet ist. Dies folgt aus den Feststellungen, dass der Postmodernismusdas Herausarbeiten von Zusammenhängen zwischen gesellschaftlichen Erscheinungen prinzipiell bekämpft,den Materialismus verwirft und durch (objektiven und subjektiven) Idealismus ersetzt,deshalb auch die bestimmende Rolle der Produktionsverhältnisse für die Herausbildung aller gesellschaftlicher Beziehungen und Zusammenhänge ablehnt, undqualitative Sprünge und eine Vorwärtsentwicklung in der Geschichte ignoriert, sodass er in der Konsequenz auch Revolutionen ablehnen muss.Statt der Produktionsverhältnisse propagiert der Postmodernismus entweder die Sprache als solche, oder aber individuelle „Sprechakte“ und Diskurse als die bestimmenden Faktoren für die Struktur der Gesellschaft. Diese idealistische, wissenschaftsfeindliche Ideologie übersetzt sich in die entsprechenden politischen Theorien, die in der politischen Widerstandsbewegung heute einen dominierenden Einfluss haben, nämlich vor allem die bürgerliche Gendertheorie, die Critical-Whiteness-Ideologie und das übergreifende Konzept der „Identitätspolitik“. In der Denktradition des Postmodernismus verstehen sich all diese Strömungen nicht als das, was sie sind, nämlich politische Theorien, sondern als irgendetwas zwischen „Studienfeldern“, „Ansätzen“ und „sozialen Bewegungen“. Wir haben oben bereits einen kurzen Blick auf die idealistische, sprachtheoretische Auffassung von den Geschlechtern sowie von den Kategorien „Schwarze“ und „Weiße“ bei den Ideolog:innen des Postmodernismus geworfen. Die Behauptung, Geschlechter würden durch „Sprechakte“ konstruiert, ist in der politischen Praxis sicher eine Extremposition. Doch auch dort, wo die gröbsten philosophischen Entgleisungen nicht mitgegangen werden, ist das Endergebnis des Postmodernismus idealistische Vorstellungen in der politischen Widerstandsbewegung.

Klassengesellschaft oder Nebeneinander von moralischen Abwertungen?

Besonders sichtbar wird der postmoderne Idealismus in der politischen Widerstandsbewegung, wenn Unterdrückungsverhältnisse auf Diskriminierung reduziert, aus sich selbst erklärt und zusammenhanglos nebeneinander gestellt werden: „Das Problem ist der Rassismus“. Daneben gibt es noch den Sexismus, die Homophobie, den Antisemitismus, die Islamfeindlichkeit, die Abwertung von Behinderten und – neben weiteren, neuerdings – den „Klassismus“. Bei all diesen Feldern geht es nach postmoderner Sichtweise nicht darum, materielle Ausbeutungsverhältnisse anzugreifen. Die politische und gesellschaftliche Unterdrückung bestimmter Teile der Bevölkerung wiederum wird auf die „gruppenbezogene Abwertung“79, das heißt eine moralische Frage, reduziert. Den postmodernen Kritiker:innen des „Klassismus“ geht es nicht um die Aufhebung des Lohnarbeitsverhältnisses, sondern darum, dass Arbeiter:innen aufgrund ihrer „sozialen Herkunft“ nicht herabwertend behandelt werden sollen. Postmodernen „Sexismus“-Kritiker:innen geht es im Sinne des bürgerlichen Feminismus nicht um die materielle Überwindung des Patriarchats – die ohne den Sturz des Kapitalismus gar nicht möglich ist -, sondern um die Beendigung der Abwertung von Frauen im Kapitalismus und im schlimmsten Fall um ihre gleichberechtigte Einbeziehung in die Schaltzentralen imperialistischer Macht (z.B. Vorstände, Aufsichtsräte, Regierungen). Postmoderne „Rassismus“-Kritiker:innen wiederum befassen sich neben unpassenden Karnevalskostümen zwar häufig auch mit rassistischer Polizeigewalt und Diskriminierung im Betrieb, jedoch in den seltensten Fällen mit der Frage, warum Arbeiter:innen aus anderen Ländern in Deutschland überhaupt die dreckigsten Jobs in der Schlachtindustrie, im Transport oder in der Landwirtschaft machen müssen, geschweige denn damit, wie man diesen Umstand ändern kann?Natürlich bilden Antirassismus und Antisexismus wichtige Bestandteile des Klassenkampfes, und der Kampf gegen die konkreten Formen der Diskriminierung ist ein wichtiges Element dieser Kämpfe. Es ist ein hart erkämpfter gesellschaftlicher Fortschritt, dass die offene Diskriminierung von Frauen, LGBTI+ Menschen, Menschen mit Behinderung und Migrant:innen in vielen Betrieben heute – zumindest offiziell – geächtet ist, dass abwertende Bezeichnungen verpönt sind und dass rassistische 50er-Jahre-Lieder immer mehr aus den Schulmusikbüchern verschwinden. Der marxistische Kritikpunkt ist deshalb nicht, dass diese Kämpfe gegen Diskriminierung aus der politischen Widerstandsbewegung heraus geführt werden, sondern dass

  • die Zusammenhänge zwischen diesen Kämpfen ausgeblendet werden,
  • die Kämpfe an der Oberfläche verbleiben, indem sie auf moralische Fragen reduziert werden,
  • die politischen und ökonomischen Grundlagen von Diskriminierung nicht in den Blick genommen werden,
  • und, was am schwersten wiegt, diese Oberflächlichkeit und Zusammenhanglosigkeit unter dem Einfluss des Postmodernismus theoretisiert wird.

Dieses Theoretisieren läuft in letzter Konsequenz darauf hinaus, die Interessengemeinschaft der Unterdrückten und damit das Kampfprinzip der Solidarität anzugreifen, die beide wesentliche Elemente der marxistischen Lehre vom Klassenkampf sind. Judith Butler gehört zu den postmodernen Theoretiker:innen, die diesen Schritt ausdrücklich gehen und anstelle der Arbeiter:innensolidarität die Fragmentierung des politischen Widerstands zu einem erstrebenswerten Prinzip erheben: „Von vornherein auf einer Bündnis-‘Einheit‘ als Ziel zu bestehen, setzt voraus, daß Solidarität – um jeden Preis – eine unerläßliche Vorbedingung für das politische Handeln ist. Doch stellt sich die Frage, welche Art Politik eigentlich diese Art Vorwegnahme der Einheit erfordert. Vielleicht ist es für ein Bündnis gerade notwendig, die eigenen Widersprüche anzuerkennen und mit diesen ungelösten Widersprüchen zum Handeln überzugehen. Vielleicht gehört es auch zur dialogischen Verständigung, daß man die Divergenzen, Brüche, Spaltungen und Splitterungen als Teil des oft gewundenen Demokratisierungsprozesses akzeptiert.“80 In der Praxis der politischen Widerstandsbewegung führt diese ideologische Ausrichtung zu den schlimmsten spalterischen Konsequenzen. In der LGBTI+ sowie der Antira-Bewegung sind „Divergenzen, Brüche, Spaltungen und Splitterungen“ aus Prinzip heute an der Tagesordnung – z.B. wenn Arbeiter:innen ohne Migrationshintergrund die Solidarisierung mit den Kämpfen ihrer migrantischen Kolleg:innen kategorisch verweigert wird und Bündnisse an dieser Frage zerbrechen, oder aber wenn Aktivist:innen aus Bündnissen ausgeschlossen werden, weil sie die gerade jeweils aktuelle politisch korrekte Sprache nicht perfekt beherrschen. Die Liste an Beispielen für politischen Unfug und Spaltertum, die aus den postmodernen Theorien entstehen, ließe sich beliebig erweitern.Im Gegensatz zu diesen zutiefst bürgerlichen Theorien ist es der Marxismus, der die Frage nach dem Zusammenhang von Kapitalismus und Rassismus, Kapitalismus und Patriarchat, sowie Kapitalismus, Patriarchat und Unterdrückung von LGBTI+ Menschen präzise beantworten kann.

Imperialismus, Kolonialismus und Rassismus

Bei der Frage des Rassismus etwa geht es nicht darum, dass sich unterschiedliche Völker in der Geschichte immer schon gegenseitig mit Ablehnung begegnet sind oder die Köpfe eingeschlagen haben. Der Rassismus als ideologisches Element im Kapitalismus muss vielmehr im Zusammenhang mit dem Kolonialismus, der Entstehung des Imperialismus sowie der Bedeutung der Arbeitsmigration im Imperialismus analysiert werden. Es war die Schaffung weltweiter Kolonialreiche durch die europäischen Mächte des Spätfeudalismus, durch welche die rassistische Herabwürdigung der unterdrückten Völker zu einer ständigen politischen Erscheinung geworden ist (wobei dies in früheren Kolonialreichen, z.B. bei den Römern, natürlich auch schon der Fall war). Mit der Entwicklung des Kapitalismus, und insbesondere dem Übergang in sein imperialistisches Stadium, wird das Interesse der Bourgeoisie an der Spaltung der Arbeiter:innenklasse zu einer zusätzlichen Triebkraft für die systematische Verbreitung rassistischer Ideologien. Der Imperialismus geht mit der Arbeitsmigration und der zunehmenden multiethnischen Zusammensetzung der Arbeiter:innenklasse im eigenen Land so um, dass er Arbeiter:innen mit Migrationshintergrund sowie ethnische Minderheiten tendenziell in die schlechtesten Jobs steckt, ihnen die niedrigsten Löhne bezahlt und damit die Hierarchie in den Lohnarbeitsverhältnissen „ethnisch“ unterlegt. Die ökonomische Grundlage hierfür ist das Gefälle zwischen den Lohnniveaus unterschiedlicher kapitalistischer Nationen. Rassismus, Nationalismus und Chauvinismus dienen in diesem Zusammenhang wiederum als ideologische Werkzeuge. Dabei knüpft der Rassismus zwar sowohl an historisch bestehende Vorbehalte gegenüber Fremden sowie an die spontane Konkurrenz unter den Arbeiter:innen an, wird aber vor allem gezielt von oben, durch den Imperialismus, zu einer zusammenhängenden Ideologie weiterentwickelt und als solche in die Bevölkerung getragen. Ein historisches Beispiel hierfür ist die Entwicklung des „völkischen Rassismus“ durch Ideologen des deutschen Imperialismus und ihre Verbreitung durch Propagandaorganisationen des Monopolkapitals, allen voran den Alldeutschen Verband. Diese systematische ideologische Kriegsführung durch den deutschen Imperialismus begann im ausgehenden 19. Jahrhundert, dauerte über Jahrzehnte an und legte schließlich das Fundament für die Demagogie des Hitlerfaschismus. Die Verbreitung des völkischen Rassismus und des Antisemitismus diente dem deutschen Imperialismus nicht nur zur Spaltung der Arbeiter:innenklasse im Inneren, sondern auch zur geistigen Mobilisierung weiter Teile der Bevölkerung für die imperialistischen Eroberungsfeldzüge. Heute ist die Ideologie der Neuen Rechten, die Ideologie des „Kampfes der Kulturen“ in die Fußstapfen des völkischen Rassismus getreten, der daneben jedoch weiter existiert.81Der Rassismus ist also nicht „das Problem“, das im Kapitalismus aus sich selbst heraus existiert, als eine „schlechte Idee“, die zufällig in den Köpfen der Menschen schwirrt. Er ist vielmehr der geistige Ausdruck der kolonialen Unterwerfung anderer Völker, der Konkurrenz und des unterschiedlichen Entwicklungsgrades zwischen den kapitalistischen Nationen, der Bestrebungen des Kapitals zur Spaltung der Arbeiter:innenklasse sowie zur Verhetzung der Bevölkerung für imperialistische Eroberungskriege. Rassismus und Kolonialismus sind keine „diskursiven Akte“, die entstehen, weil die eine Seite sich zu einem zufälligen Zeitpunkt als „Weiß“ und die andere als „Schwarz“ definiert hat (wobei die schematische Gegenüberstellung Weiß-gegen-Schwarz selbst dort falsch ist, wo es konkret um den Kampf gegen die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung geht, wie z.B. in den USA). Sie folgen aus dem Drang des Kapitals nach Verwertung, nach Ausbeutung von Lohnarbeit, der es gesetzmäßig über die Grenzen des eigenen Landes hinaus zur Ausbeutung anderer Völker treibt. Der Rassismus als Element der bürgerlichen Ideologie und die rassistische Unterdrückung als Element der bürgerlichen Politik sind im Kapitalismus Erscheinungen des gesellschaftlichen Überbaus, womit die politischen, juristischen und Bewusstseinsformen bezeichnet werden, die sich auf der Basis der Produktionsverhältnisse einer bestimmten Gesellschaftsformation und bedingt durch sie erheben. Rassismus und rassistische Unterdrückung sind also keine inneren Eigenschaften der Produktionsverhältnisse, wirken aber in gewisser Weise auf diese zurück, z.B. wenn, wie oben beschrieben, die Organisation der Arbeitsteilung in Betrieb und Gesellschaft zu einer ethnischen Hierarchie innerhalb der Lohnarbeitsverhältnisse führt.Unter dem Druck jahrzehntelanger, antirassistischer Kämpfe, z.B. der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA82, ist der Imperialismus heute gezwungen, gewisse oberflächliche Zugeständnisse bei der rassistischen Unterdrückung zu machen. Hier spielen postmoderne Ideologien eine zentrale Rolle, auf der heute Anti-Diskriminierungs-Richtlinien, Seminare für Mitarbeiter:innen in Großunternehmen u.v.m. beruhen. Ein bekannter Influencer dieser Richtung ist z.B. Stephan Anpalagan, der als Aktivist auf Twitter aktiv ist und gleichzeitig als Unternehmensberater mit dem Slogan „Demokratie in Arbeit“ Seminare gegen „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ anbietet.83 Hollywood stellt seit einigen Jahren gezielt schwarze Protagonist:innen ins Zentrum von Blockbuster-Filmen wie „Black Panther“ oder „Tenet“. Netflix hat als erstes die Diversität als Geschäftsmodell entdeckt und spricht mit seinen Serien gezielt Minderheiten an.84 Barack Obama konnte der erste schwarze US-Präsident werden, Kamala Harris die erste schwarze Vizepräsidentin. Der kanadische Premierminister Trudeau, ansonsten eine Ikone des postmodernen, liberalen Mainstreams, musste sich dafür entschuldigen, dass er sich vor zwanzig Jahren bei einer Kostümparty als Schwarzer verkleidet hatte („Blackfacing“). Während aber mit all diesen Zugeständnissen der Eindruck erweckt wird, rassistische Unterdrückung würde nicht mehr toleriert und der Imperialismus könnte gleiche Rechte für alle herstellen, geht die materielle rassistische Unterdrückung, die Arbeit in den miesesten Jobs, das Leben in den Vorstadt-Ghettos, die rassistische Polizeigewalt weiter. Der Polizeimord an George Floyd in den USA hat das im Sommer 2020 wieder einmal für alle Welt sichtbar gemacht.Rassismus und rassistische Unterdrückung folgen als Erscheinungen des Überbaus der bürgerlichen Gesellschaft also in letzter Instanz aus den kapitalistischen Produktionsverhältnissen und können deshalb nicht durch einen „Sprechakt“ oder gutwillige Selbstreflexion, sondern können auf gesellschaftlicher Ebene nur durch die Schaffung neuer Produktionsverhältnisse, den Sturz des Kapitalismus und den Aufbau des Sozialismus, beseitigt werden.

Kapitalistisches Patriarchat und LGBTI+ Unterdrückung

Ähnlich verhält es sich mit dem Patriarchat und der besonderen Unterdrückung von LGBTI+ Menschen im Kapitalismus. Wir haben in früheren Artikeln herausgearbeitet, warum das Patriarchat, das ein viel älteres Unterdrückungsverhältnis als der Kapitalismus ist, zum fundamentalen ökonomischen Bestandteil des letzteren wird. Nämlich weil die Auslagerung reproduktiver Arbeit (z.B. Kochen, Waschen, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen) in die private Sphäre (die Sphäre außerhalb der Warenproduktion), wo sie von den Frauen unentgeltlich ausgeführt wird, den Wert der Ware Arbeitskraft senkt und damit die kapitalistische Akkumulation begünstigt. Der Kleinfamilie aus Vater, Mutter und Kindern kommt im Kapitalismus die Funktion zu, die Ware Arbeitskraft zu produzieren – und zwar unter den vorkapitalistischen Bedingungen der unentgeltlichen Ausbeutung der Arbeit von Frauen. Daneben zieht das Kapital die Frauen je nach seinen Akkumulationsbedürfnissen als Arbeiterinnen in die gesellschaftliche Produktion hinein, was wiederum der Spaltung der Arbeiter:innenklasse nach Geschlechtern dient.85 Die Unterdrückung der Frauen ist im Kapitalismus also ein Bestandteil der Produktionsverhältnisse, eine Erscheinung der ökonomischen Basis des Kapitalismus, und nicht eine Erscheinung, die im gesellschaftlichen Überbau, wie z.B. den politischen Formen oder der bürgerlichen Ideologie wurzelt. Das unterscheidet die Frauenunterdrückung von anderen Unterdrückungsverhältnissen wie z.B. der rassistischen Unterdrückung. Natürlich bedingt die Unterdrückung der Frauen innerhalb der kapitalistischen Produktionsverhältnisse gleichwohl, dass das Patriarchat auch alle Erscheinungen des Überbaus, also z.B. die Politik, die Gesetzgebung sowie die bürgerliche Ideologie durchdringt.Die Kleinfamilie hat sich mit dem Übergang zum Kapitalismus als grundlegende Organisationsform der patriarchalen Unterdrückung in dieser Gesellschaft etabliert. Sie dient der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems neben ihrer ökonomischen Funktion auch dadurch, dass sie die elementarste Organisationsform von Macht- und Unterordnungsverhältnissen darstellt. Hier wird die Persönlichkeit im Kindesalter durch Macht und Unterdrückung geformt, und damit die Lohnsklav:innen und Staatsbürger:innen von morgen produziert.86

Gleichgeschlechtliche Beziehungen und die unterschiedlichen Rollen, die sie in verschiedenen menschlichen Gesellschaftsformationen gespielt haben, sind ein Gegenstand der historischen Forschung. Es ist heute bekannt, dass die gleichgeschlechtliche Liebe in allen früheren Klassengesellschaften und auf allen Kontinenten ein alltäglicher Bestandteil des Lebens war, der von weiten Teilen der Bevölkerung neben der Liebe zwischen Mann und Frau selbstverständlich praktiziert wurde. Gleichgeschlechtliche Beziehungen waren historisch also keineswegs das Alleinstellungsmerkmal einer besonderen, abgegrenzten Gruppe. In Abhängigkeit von Klasse, Geschlecht und Lebensphase kam ihnen oft sogar eine bestimmte gesellschaftliche Funktion zu: In der griechischen Sklavenhaltergesellschaft, insbesondere in Athen, waren sexuelle Beziehungen älterer Sklavenhalter mit jungen Männern eine öffentlich angesehene Form der gleichgeschlechtlichen Liebe und dienten der Heranführung letzterer an ihre künftige gesellschaftliche Rolle. Beziehungen zwischen gleichaltrigen, freien, erwachsenen Männern galten hingegen zwar als unehrenhaft. Insbesondere war es für erwachsene Männer als „weibisch“ verpönt, eine sexuell passive Rolle einzunehmen87 – was ein offensichtlicher Ausdruck des Patriarchats war. Verfolgt wurden solche Beziehungen nach heutigem Kenntnisstand aber nicht. Auch die Verbreitung von Beziehungen zwischen Frauen im alten Griechenland ist überliefert, insbesondere für Sparta und die Insel Lesbos. Hier liegt auch der Ursprung des Begriffs „lesbisch“.Im europäischen Feudalismus wiederum waren nicht nur Liebesbeziehungen zwischen adeligen Männern gang und gäbe, die unter dem Begriff der „Freundschaften“ gefasst wurden und während eines langen historischen Zeitraums in einer idealisierten, vergeistigten Form selbst von der Kirche anerkannt waren. Dies reichte bis hin zu offiziellen kirchlichen Treueschwüren zwischen Männern als heiratsähnlichem Ritual, die in England noch bis zum 16. Jahrhundert zusätzlich zur Mann-Frau-Ehe praktiziert wurden, sowie gemeinsamen Bestattungen von „Freunden“.88 Gesellschaftlicher Zweck dieser Liebesbeziehungen war vor allem das Schmieden politischer Bündnisse zwischen Herrschaftshäusern. Während sich Adelige im Feudalismus also ganz offiziell leidenschaftlich lieben durften und die Kirche dabei nicht so genau hinsah, was hinter den feudalen Schlossmauern zwischen den Freunden im einzelnen vor sich ging, erließ sie gleichzeitig drakonische Strafen gegen die sogenannte „Sodomie“. Dieser Begriff bezeichnete nach kirchlicher Auffassung „widernatürlichen“, das heißt nicht der Fortpflanzung dienenden Sexualverkehr, wurde jedoch nie sehr genau festgelegt. Er umfasste neben dem Verkehr von Menschen mit Tieren z.B. sowohl den Sex zwischen Männern als auch (zum Teil) den Analverkehr zwischen Männern und Frauen. Die offiziellen Strafen für Sodomie waren der Scheiterhaufen, Enthauptung, Verbrennung oder Verstümmelung, denen in verschiedenen Verfolgungswellen, vor allem zur Zeit der Kreuzzüge gegen die als „Sodomiten“ verschrienen Muslime89, vermutlich Zehntausende zum Opfer fielen. Außerhalb dieser Verfolgungswellen wurde einvernehmliche „einfache Sodomie“ jedoch auch bei den unterdrückten Klassen in der Praxis häufig toleriert – denn ansonsten hätte man andauernd weite Teile der Bevölkerung hinrichten müssen, was sich z.B. während einer schärferen Verfolgungswelle in Florenz eindrücklich zeigte: „Während des späten 15. Jahrhunderts war so jeder zweite männliche Florentiner wenigstens einmal in seinem Leben der gleichgeschlechtlichen Sodomie beschuldigt worden. Die Untersuchungsprotokolle, weit davon entfernt, bloße Phantasieprodukte zu sein, geben dabei einen ebenso pittoresken wie realitätsnahen Eindruck von der engen Verwobenheit sodomitischer Handlungen in die alltägliche Lebenswelt der städtischen Bevölkerung.“90Das Entscheidende an dieser über Jahrhunderte eher laxen Umsetzung der Sodomie-Gesetze war, dass im Feudalismus noch kein Bedarf der herrschenden Klasse an einer umfassenden Unterdrückung gleichgeschlechtlicher Beziehungen bestand. Diese war ja im Gegenteil sogar Bestandteil der adeligen Lebensweise! Ein solcher Bedarf entstand erst später. Wie Georg Klauda in seiner Arbeit „Die Vertreibung aus dem Serail“ darlegt, ging die gesellschaftliche Tabuisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen weltweit von Europa aus, von wo aus sie durch den Kolonialismus in die gesamte Welt exportiert wurde (so z.B. auch in die islamischen Länder, wo gleichgeschlechtliche Liebe noch sehr lange eine Selbstverständlichkeit blieb). Diese Tabuisierung in Europa lässt sich ziemlich genau auf das frühe 18. Jahrhundert datieren. Sie fiel also in die Zeit des Aufstiegs des Kapitalismus und der bürgerlichen Aufklärung. Zwar wurden „widernatürliche“ Handlungen zwischen Personen desselben Geschlechts jetzt auch formell nicht mehr mit dem Scheiterhaufen bedroht. Aufbauend auf dem christlichen Konzept der „Sodomiten“ – der Konstruktion einer besonderen Personengruppe, die mit den sodomitischen Handlungen identifiziert wurde – erfolgte nun aber die systematische gesellschaftliche Ausgrenzung und Stigmatisierung gleichgeschlechtlicher Liebe und der Personen, die bei ihrer Ausübung ertappt wurden, bis hin zu Pogromen. Im 18. Jahrhundert mussten plötzlich sogar englische Adelige ihre „Freundschaften“ geheim halten.91 Der Begriff „queer“ (ursprünglich: Blüte, Falschgeld) geht auf Charles Spencer, den dritten Graf von Sunderland zurück, der einer solchen Romanze überfuhrt wurde und daraufhin 1722 in den Selbstmord getrieben wurde: „Sunderland war in den Augen der Öffentlichkeit ein ‚Falschmünzer‘ im doppelten Wortsinn: nicht nur hat er mit seinem wertlosen Papiergeld, das er als Erster Lord des Schatzamtes in England einzuführen versuchte, eine Reihe von Bürgern um ihr Vermögen gebracht; er hat sie auch über seine ‚wahre Natur‘ hinters Licht geführt.“92 Später, im Jahr 1870, erfand der deutsche Psychiater Carl Westphal den Begriff der „Homosexualität“, mit der er die gleichgeschlechtliche Sexualität zu einer medizinischen Neigung erklärte, die nur einer bestimmten Minderheit zu eigen sei.93 Schon ab ca. 1700 war die Ausübung gleichgeschlechtlicher Sexualität in den europäischen Städten innerhalb weniger Jahrzehnte nahezu vollständig an den gesellschaftlichen Rand, ins Verborgene abgedrängt worden, wo sie sich als besondere Subkultur, z.B. in Form der Londoner „Molly Houses“ etablierte: „In den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts erfuhr Londons Öffentlichkeit durch die Presse von der Existenz eines ganzen Netzwerks von Häusern, in denen Sodomiten gleichsam eine eigene Gesellschaft bildeten. (…) Privat unterhaltene Einrichtungen dieser Art existierten seit etwa 1700 und waren als Teil einer neuen Tanzstätten- und Caféhauskultur entstanden. Zugelassen wurden Besucher nur, wenn sie einen Bürgen vorweisen konnten. In den Häusern entwickelte sich schon damals so etwas wie eine Szenesprache. (…) Am auffälligsten war (…) an dieser Sprache der Einschlag eines femininen Dialekts. (…) So bezögen sich diese ‚vertierten Menschen‘ aufeinander, indem sie sich mit ‚Madam‘ oder ‚Miss Betty‘ anredeten und während eines Streits solche Dinge zueinander sagten wie ‚O du freches Huhn, ich zerbrech dir deine Eier.‘ Der weibliche Dialekt der Mollies (…) hatte ebenso wohl soziale wie psychologische Gründe. Nicht nur schuf er Selbstbewusstsein und eine gemeinsame Identität. Er erlaubte es auch, in einer Gesellschaft, in der ‚die Frau‘ nunmehr das ausschließliche Objekt männlichen Begehrens symbolisierte, für sich als Sexualpartner zu werben. (…) Nahezu alle Mollies entstammten den unteren Klassen, waren Bedienstete, Handwerker, Krämer, Händler oder Straßengauner und, mit Ausnahme ihrer Sexualität, fest in die arbeitende Bevölkerung integriert.“94 Die „Molly Houses“ gelten als die frühen Vorläufer der heutigen Schwulenszene. Aus ihrer Geschichte wird deutlich, wie sich das Selbstverständnis als „Schwule“ inklusive einer entsprechenden Kultur – man denke z.B. an die heutigen Drag Queens – gerade als Gegenbewegung, als Antwort Betroffener auf die gesellschaftliche Unterdrückung der gleichgeschlechtlichen Liebe entwickelt hat, und dass diese Bewegung ihren Ursprung in den unterdrückten Klassen hatte. Diese Tendenz setzte sich bis in die Gegenwart fort. Der Stonewall-Aufstand von 1969 ging gerade von den unterdrücktesten Schichten in der Szene der New Yorker Christopher Street aus, wie es z.B. im Hollywood-Blockbuster „Stonewall“ von 2015 zutreffend dargestellt wird. Auch die Begriffe „schwul“ und „queer“, die ursprünglich als Schimpfwörter zur Diffamierung von Homosexualität entstanden sind, wurden von einem Teil der Menschen, die sich als homosexuell verstehen oder gleichgeschlechtliche Liebe praktizieren, als Eigenbezeichnung übernommen und sind so mittlerweile in den alltäglichen, nicht diskriminierend gemeinten Sprachgebrauch übergegangen.Die systematische Unterdrückung der alltäglichen gleichgeschlechtlichen Liebe, die in den vorkapitalistischen Gesellschaften in allen Klassen praktiziert und dort eher sporadisch unterdrückt wurde, ist also ein Produkt der bürgerlichen Gesellschaft, des Kapitalismus. Man kann sie mit dem Begriff der Heteronormierung bezeichnen: Beziehungen zwischen Mann und Frau sind in der bürgerlichen Gesellschaft als die einzige gesellschaftlich akzeptierte, für „normal“ angesehene Form der Sexualität („Heterosexualität“) durchgesetzt worden, von der die „Homosexualität“ in Weiterentwicklung des christlichen Sodomiten-Begriffs abgegrenzt wird. Im Gegensatz zu diesem religiös begründeten Begriff gilt der verwissenschaftlichte Terminus der Homosexualität als besondere psychologische oder medizinische Eigenschaft einer klar abgegrenzten Gruppe von Menschen. Der gesellschaftliche Zweck der Heteronormierung im Kapitalismus ist die Durchsetzung der Kleinfamilie als Institution zur Produktion der Ware Arbeitskraft, zur Erzeugung einer möglichst großen industriellen Reservearmee für die Befriedigung der Akkumulationsbedürfnisse des Kapitals. Es ist also das Bedürfnis des Kapitals nach Arbeitskraft, das es gesellschaftlich erforderlich machte, die Sexualität vor allem der Arbeiter:innen auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau einzuengen. Damit ist auch die Homophobie ein Erzeugnis des Kapitalismus, das auf den Zusammenhang von Kapitalverhältnis, Patriarchat und Kleinfamilie zurückzuführen ist.Die Funktion der Kleinfamilie bedingt auch heute die besonderen Widersprüche in der Lage von Menschen, die sich als homosexuell oder bisexuell definieren, sowie von allen Menschen, die im Zuge der Heteronormierung ihre Neigungen und Gefühle für Personen desselben Geschlechts unterdrücken, weil diese im Widerspruch zu ihrem heterosexuellen Selbstverständnis stehen.95 Dem einzelnen kapitalistischen Unternehmen für sich genommen kann die sexuelle Orientierung seiner Arbeiter:innen zwar völlig egal sein. Für das Kapital insgesamt und für das Gesamtgefüge der kapitalistischen Gesellschaft ist jedoch die Existenz der Kleinfamilie als Organisationsform des Patriarchats und daher die Heteronormierung unabdingbar. Und hier stößt die Möglichkeit gleichgeschlechtlicher Beziehungen, sich zu entfalten, eben an ihre Grenzen. Am Anfang stand deshalb in fast allen Ländern die offene Kriminalisierung und Verfolgung der Homosexualität, in Deutschland etwa nach dem berüchtigten Paragraphen 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern in der Tradition der mittelalterlichen Sodomie-Gesetzgebung unter Strafe stellte. Diese offene Kriminalisierung ist zwar mittlerweile unter dem Druck jahrzehntelanger, teils militanter Kämpfe der Schwulen- und Lesbenbewegung in vielen kapitalistischen Ländern gefallen. Homosexuelle Beziehungen dürfen dort legal in Form einer eigenen „Identität“ neben heterosexuellen Beziehungen existieren. Der fortgesetzte Bedarf des Kapitalismus an der Kleinfamilie als Produzentin der Ware Arbeitskraft und „Keimzelle der bürgerlichen Ordnung“ bedingt aber erstens, dass ständig reaktionäre Gegenbewegungen für die Einschränkung der Rechte von Schwulen und Lesben entstehen – siehe die LGBTI+ feindliche Gesetzgebung der letzten Jahre in Ungarn, Polen und Russland. Zweitens könnte von einer vollständigen „Befreiung“ der gleichgeschlechtlichen Beziehungen auch dann keine Rede sein, wenn die offene Verfolgung und gesellschaftliche Diskriminierung dauerhaft zurückgedrängt werden könnte. Denn gleichgeschlechtliche Beziehungen müssen sich nun entweder selbst in das Korsett der Ehe und Kleinfamilie zwängen lassen – was unter dem Schlagwort der „Homo-Ehe“ als Riesenfortschritt verkauft wird und bezeichnenderweise heute sogar vom Papst befürwortet wird -, oder aber sie stehen außerhalb der bürgerlichen Familienordnung, und spätestens dann stößt auch die gesellschaftliche Toleranz an ihre Grenzen. Nicht zuletzt ändert auch die fortschrittlichste Gesetzgebung gegenüber homosexuellen Paaren nichts an der Heteronormierungs-Problematik in der bürgerlichen Gesellschaft. Das Praktizieren gleichgeschlechtlicher Liebe gilt in der bürgerlichen Ideologie quasi als Eigenschaft einer besonderen Art von Menschen. Das bedeutet, um seine Neigungen und Gefühle für Menschen desselben Geschlechts in dem dargestellten engen, bürgerlichen Rahmen überhaupt ausleben zu können, muss man sich zunächst einmal – vor anderen und vor sich selbst – „outen“, also als Zugehörige:r zu einer Gruppe von „Anderen“, von Menschen außerhalb der heterosexuellen Norm bekennen, was für sehr viele nach wie vor eine große Hürde und erhebliche innere Konflikte bedeutet96. Das alles macht deutlich, dass eine freie Entfaltung der Sexualität und der Liebesbeziehungen, welche Formen sie dann auch immer annehmen mögen, erst mit der Überwindung der Kleinfamilie, und folglich erst mit der Überwindung des Kapitalismus möglich sein werden.Die Frage gleichgeschlechtlicher Beziehungen führt an die Frage heran, was materialistisch überhaupt unter Geschlechtern zu verstehen ist. Wie stehen das Geschlecht, die sogenannte Geschlechtsidentität, die Sexualität und die sexuelle Orientierung beim Menschen im Verhältnis zueinander? Diese Frage lässt sich am besten anhand der Entwicklung der Arten – von Pflanzen und Tieren zum Menschen – verstehen. Bei höheren Pflanzen und Tieren ist das Geschlecht eine rein biologische Kategorie und unterscheidet innerhalb einer Spezies die unterschiedlichen Funktionen verschiedener Gruppen von Organismen in Bezug auf die Fortpflanzung. Diese lassen sich nach den verschiedenen Typen von Zellen unterscheiden, welche die Organismen zur Fortpflanzung beisteuern. Bei der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung, wie sie z.B. bei Säugetieren die Regel ist, definiert sich das weibliche Geschlecht über die Bereitstellung von Eizellen, die eine bestimmte Struktur aufweisen, während das männliche Geschlecht die Samenzellen beisteuert, die eine andere Struktur haben. Diese unterschiedlichen Funktionen äußern sich in der Entwicklung entsprechender verschiedener Organe und weiterer biologischer Merkmale, die wiederum nach primären, sekundären und tertiären Geschlechtsmerkmalen klassifiziert werden. Primäre Geschlechtsmerkmale sind die unmittelbar zur Fortpflanzung notwendigen Organe, im Falle des Menschen z.B. Penis, Hoden, Nebenhoden, Samenwege, sowie Vulva, Vagina, Eierstöcke, Gebärmutter. Sekundäre Geschlechtsmerkmale sind physische Merkmale, die nicht unmittelbar für die Fortpflanzung notwendig sind, sich jedoch bei der Geschlechtsreife entwickeln, wie z.B. der Bartwuchs und das Brustwachstum. Unter tertiären Geschlechtsmerkmalen werden weitergehende physiologische Unterschiede verstanden, die sich häufig erst im Laufe der Entwicklung einer Spezies herausgebildet haben, wie z.B. der unterschiedliche Körperbau bei unterschiedlichem Körpergeschlecht.Die Daseinsweise bei Pflanzen und Tieren ergibt sich im wesentlichen aus ihren biologischen Merkmalen, auch wenn diese bei höheren Pflanzen und Tieren immer komplexer werden und z.B. das Zusammenleben von Tieren in Gruppen auf sie zurückwirkt. Im Gegensatz dazu ergibt sich die menschliche Daseinsweise im wesentlichen aus den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen die Menschen leben, arbeiten, essen, sich fortpflanzen usw.97 , und die vor allem durch die Produktionsverhältnisse bestimmt werden. Dieses materialistische Verständnis, dass das menschliche Wesen das „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ ist98, hat weitreichende Folgen für den Begriff des Geschlechts. Im Gegensatz zum Tierreich ist das Geschlecht beim Menschen nicht mehr nur eine biologische, sondern auch eine gesellschaftliche Kategorie. Das heißt, die menschlichen Geschlechter unterscheiden sich nicht mehr nur in Bezug auf ihre Funktion bei der Fortpflanzung, sondern erhalten darüber hinaus unterschiedliche gesellschaftliche Funktionen. Männer und Frauen haben seit der Entstehung des Patriarchats nämlich verschiedene Funktionen in Bezug auf die gesellschaftliche Arbeitsteilung, die sich von Klassengesellschaft zu Klassengesellschaft weiter verändern.99 Diese konkreten Funktionen bezüglich der Arbeitsteilung sind wiederum die Basis für die verschiedenen Stellungen, die Männer und Frauen in einer bestimmten Gesellschaftsformation einnehmen, für die „Rollenbilder“, denen sie entsprechen sollen, für das damit einhergehende Selbstverständnis, das man mit dem Begriff Geschlechtsidentität bezeichnen kann, usw. Wir können vom Körpergeschlecht (englisch: „sex“) also das gesellschaftliche Geschlecht (englisch: „gender“) unterscheiden, das begrifflich die verschiedenen gesellschaftlichen Funktionen innerhalb einer Formation mitsamt ihres Überbaus umfasst. Das gesellschaftliche Geschlecht baut auf dem Körpergeschlecht als seiner materiell-physiologischen Grundlage auf. Ebenso wie jedoch – auf der allgemeinen Ebene – die gesellschaftlichen Verhältnisse beim Menschen die bestimmende Rolle gegenüber den biologischen Merkmalen und Funktionen erlangen, erhält das gesellschaftliche Geschlecht im Besonderen die bestimmende Rolle gegenüber dem Körpergeschlecht. Das bedeutet, dass sich die konkreten Individuen anhand ihres Körpergeschlechts in die gesellschaftlichen Funktionen einordnen, bzw. dass sie entsprechend ihres Körpergeschlechts in ein gesellschaftliches Geschlecht hinein erzogen werden. Das gesellschaftliche Geschlecht wirkt auch unmittelbar auf das Körpergeschlecht zurück. So haben sich einige sekundäre und tertiäre Geschlechtsmerkmale wie die unterschiedliche Behaarung, die Muskulatur und der Körperbau verschiedener Körpergeschlechter erst aufgrund ihrer unterschiedlichen Stellung in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung in den letzten Jahrtausenden herausgebildet.100

Die bestimmende Rolle der gesellschaftlichen Verhältnisse und des gesellschaftlichen Geschlechts beim Menschen kann man sich außerdem an der Ausdifferenzierung von Geschlecht, Fortpflanzung und Sexualität verdeutlichen. Diese drei Begriffe fallen bei Tieren zunächst noch weitgehend zusammen. Geschlechter sind dort durch ihre Rolle bei der Fortpflanzung bestimmt, die durch Sexualverkehr vollzogen wird. Sexualverkehr dient der Fortpflanzung. Erst bei höheren Tieren, wie z.B. den Bonobos, erhält der Sexualverkehr eine gewisse eigenständige Funktion, nämlich zur Bewältigung von Konflikten im Rudel. In diesem Moment, da Sexualität nicht mehr allein der Fortpflanzung dient, fangen auch Tiere desselben biologischen Geschlechts an, miteinander Sex zu haben.101 Beim Menschen wiederum sind Fortpflanzung und Sexualität schon im wesentlichen zu eigenständigen, voneinander unabhängigen gesellschaftlichen Erscheinungen geworden. Die Fortpflanzung geschieht zwar weiter (überwiegend) durch Sexualverkehr, aber der Sexualverkehr dient nicht mehr allein der Fortpflanzung. Deshalb gibt es keinen zwingenden Grund mehr, der Menschen auf Sex mit dem jeweils anderen Körpergeschlecht festlegt. Das Sexualverhalten ergibt sich stattdessen aus den gesellschaftlichen Verhältnissen. Das Ergebnis haben wir oben dargestellt: In allen vorkapitalistischen Klassengesellschaften ist Sex mit dem gleichen Geschlecht ein klassenübergreifendes, alltägliches Massenphänomen. Der gleichgeschlechtlichen Liebe werden zwar auch in früheren Klassengesellschaften, z.B. durch die kirchliche Sodomie-Gesetzgebung, Grenzen gesetzt. Die umfassende Heteronormierung findet aber erst mit dem Übergang zum Kapitalismus statt. Erst jetzt entsteht die sexuelle Orientierung als Begrifflichkeit auf der Grundlage der Unterscheidung zwischen Hetero- und Homosexualität. „Heterosexuelle“ Beziehungen zwischen Mann und Frau werden als gesellschaftliche Norm durchgesetzt. „Homosexualität“ wird von der bürgerlichen Gesellschaft dagegen als abweichende sexuelle Orientierung definiert und ausgegrenzt. In der Gegenbewegung der Ausgegrenzten verfestigt sich diese Orientierung als sexuelle Identität. Analog entsteht die Bisexualität als sexuelle Identität. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wiederum entwickeln sich dann immer neue sexuelle Identitäten und zugehörige Subkulturen, die sich vielfach über die Neigung zu Menschen bestimmter Geschlechtsidentitäten definieren (z.B. Polysexualität, Pansexualität).Wie verhält es sich nun mit menschlichen Geschlechtern, die nicht in das zweigeschlechtliche Mann-Frau-Schema passen? Bei der Untersuchung dieser Frage stößt man auf mehrere Arten von Erscheinungen. Die erste Erscheinung ist, dass bei zweigeschlechtlichen Spezies im allgemeinen auch Individuen auftreten, die doppelgeschlechtlich sind, also z.B. die primären Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter aufweisen. Dieses Phänomen wird in der Biologie als Hermaphroditismus bezeichnet. Ebenso gibt es Individuen, bei denen die Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig ausgeprägt sind, oder bei denen sekundäre und tertiäre Geschlechtsmerkmale (z.B. die genetische Struktur) einem anderen Körpergeschlecht angehören als die primären Geschlechtsmerkmale. In all diesen Fällen ist eine eindeutige biologische Zuordnung als Mann oder Frau nicht möglich. Sie werden unter dem Begriff der Intergeschlechtlichkeit zusammengefasst. Fällt die eigene Geschlechtsidentität wiederum nicht mit dem durch äußerliche Körpermerkmale bedingte Behandlung durch die Gesellschaft zusammen, spricht man von Transgeschlechtlichkeit. Eine andere Erscheinung, die mit der ersten Gruppe nur bedingt in einem Zusammenhang steht, ist, dass es in früheren Klassengesellschaften neben den gesellschaftlichen Geschlechtern Mann und Frau mitunter noch weitere Geschlechtsfunktionen gegeben hat. Ein Beispiel hierfür sind die Eunuchen, unter denen in den meisten Fällen kastrierte Männer verstanden werden. In einigen Gesellschaften, wie z.B. im Byzantinischen Reich oder im chinesischen Kaiserreich, nahmen Eunuchen eine klar definierte, gehobene Stellung ein, z.B. als Hofbeamte in Herrscherpalästen oder als Heeresführer. Diese Stellung erklärte sich aus dem Umstand, dass sie keine Kinder zeugen und sich deshalb nicht zu Rivalen für die Herrscherdynastie entwickeln konnten. In manchen Gesellschaften wurden Eunuchen jedoch auch unterdrückt, wie z.B. im Juden- und Christentum. Teilweise werden auch solche Menschen als Eunuchen bezeichnet, die keine kastrierten Männer, sondern trans- oder intergeschlechtlich sind, wie z.B. die Hijra, die in Indien und Pakistan als drittes Geschlecht anerkannt, jedoch massiver Unterdrückung ausgesetzt sind.Die heutige Unterdrückung von trans- und intergeschlechtlichen Menschen folgt ebenfalls aus der Funktion des Patriarchats im Kapitalismus. Mit dem Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft und der Durchsetzung der Kleinfamilie ist für Funktionen jenseits von Mann und Frau kein gesellschaftlicher Bedarf mehr vorhanden. Alles was zählt ist die Kapitalakkumulation, die einen andauernden Nachschub der Ware Arbeitskraft erfordert. Alle, und vor allem die Arbeiter:innen, müssen sich deshalb in die Kleinfamilienordnung und in den Dualismus der gesellschaftlichen Geschlechter Mann und Frau einordnen. Mit dem gesellschaftlichen Geschlecht einher gehen der entsprechende Platz in der Ehe und Kleinfamilie, die besonderen Unterdrückungsverhältnisse und Rollenzuschreibungen. Inter- und transgeschlechtliche Menschen passen hier nicht ins Schema. Die bürgerliche Gesellschaft reagiert auf sie, indem man ihr Körpergeschlecht per Operation zwangsweise anpasst, oder indem man sie ausstößt. Der deutsche Staat führte 1981 das Transsexuellengesetz ein. Darin war festgelegt, dass trans Menschen nur dann ihren Personenstand ändern durften, wenn sie ihr Körpergeschlecht operativ angeglichen und sich sterilisieren lassen haben. Das Gesetz besteht heute in veränderter Form fort. Wer seinen Personenstand ändern lassen möchte, muss sich noch immer einem entwürdigenden staatlichen Begutachtungsverfahren unterziehen. Die Erscheinung des Ausstoßens von trans- und intergeschlechtlichen Menschen, aber auch Menschen mit abweichender sexueller Identität lässt sich an Statistiken zur Obdachlosigkeit ablesen. Bis heute liegt der Anteil von LGBTI+ Menschen unter obdachlosen Jugendlichen in den USA, Kanada und dem Vereinigten Königreich bei 20 bis 40 Prozent und damit überdurchschnittlich hoch.102 Inter- und transgeschlechtliche Menschen stehen zudem besonders häufig finanziell unter Druck und sind besonders häufig Diskriminierung im Job und gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt.103Mittlerweile sind kapitalistische Staaten unter dem Druck der LGBTI+ Bewegung dazu übergegangen, politisch eine dritte Geschlechtskategorie „divers“ einzuführen, die man sich auf dem Personalausweis eintragen lassen kann. Universitäten und große Unternehmen in Deutschland haben ebenfalls schon länger auf Gender-Diversity umgestellt. Ähnlich wie bei der Frage der gleichgeschlechtlichen Liebesbeziehungen und sexuellen Identitäten ändert das alles jedoch rein garnichts daran, dass das kapitalistische Patriarchat weiterhin nur gesellschaftliche Funktionen für Männer und Frauen bereit hält und damit nicht in der Lage ist, den vielfältigen inter- und transgeschlechtlichen Menschen gesellschaftlich irgendeine Perspektive zu bieten außer dem Label: „Sonstige“. Auf dieser Basis kann auch die materielle und politische Unterdrückung von inter- und transgeschlechtlichen Menschen nicht überwunden werden. Eine Perspektive kann ihnen nur eine Gesellschaft bieten, in der das Kapitalverhältnis, das Patriarchat und die bürgerliche Kleinfamilienordnung aufgehoben sind.Die Unterdrückung von LGBTI+ Personen wurzelt also, ebenso wie die rassistische Unterdrückung, im gesellschaftlichen Überbau des Kapitalismus, der sich auf der Basis der kapitalistisch-patriarchalen Produktionsverhältnisse erhebt. Anders als bei Frauen ist die Unterdrückung von LGBTI+ Personen kein innerer Bestandteil der Produktionsverhältnisse. Da ihre Unterdrückung aber aus den gesellschaftlichen Formen und der Ideologie folgt, die sich auf der Basis dieser Produktionsverhätltnisse erheben, sind sie eine direkte Konsequenz der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Ebenso wie die rassistische Unterdrückung erfordert die Unterdrückung von LGBTI+ Personen zu ihrer Aufhebung also den revolutionären Sturz des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft.

Kampf gegen die imperialistische Bourgeoisie oder Kampf gegen „Privilegien“?

Wir haben gesehen, dass die LGBTI+ Frage sich keineswegs in der Diskriminierung, der „Abwertung von Menschengruppen“ erschöpft, sondern dass hinter dem Kürzel LGBTI+ verschiedene materielle, das heißt in den objektiven gesellschaftlichen Verhältnissen liegende Unterdrückungsverhältnisse stehen, deren Grundlagen im Kapitalismus und der Aufrechterhaltung des Patriarchats zu suchen sind. Ebenso erschöpft sich der Rassismus nicht in Diskriminierung, sondern ist ideologischer Ausdruck der besonderen materiellen Unterdrückung von Arbeiter:innen mit Migrationshintergrund und der Unterdrückung anderer Völker durch den Imperialismus. Die Diskriminierung basiert in beiden Fällen auf den materiellen Unterdrückungsverhältnissen und kann ohne deren Beseitigung nicht unterbunden werden.

Diese materiellen Zusammenhänge herauszuarbeiten ist die grundlegende Aufgabe für eine wirklich revolutionäre, ideologische Arbeit. Der Postmodernismus dagegen ist, wie wir gesehen haben, darauf ausgerichtet, die Herausarbeitung solcher Zusammenhänge zu verhindern, die materiellen Unterdrückungsverhältnisse letztlich zu leugnen und nur die moralische Seite der Unterdrückung, die Diskriminierung anzuerkennen. Das Ergebnis des Wirkens des Postmodernismus ist theoretische Hilflosigkeit in der politischen Widerstandsbewegung. Stellenweise wird dann versucht, die Fragen, die der Postmodernismus auseinandergerissen hat, mechanisch wieder zusammenzukleben. Dabei entstehen dann solche eher peinlichen Begriffsungetüme wie die „Gesamtscheisse“ für den Komplex aus Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat.Schlimmer aber noch, wenn der Einfluss des Postmodernismus dazu führt, dass Zusammenhänge gar nicht mehr hergestellt werden und der Blick vom Kapitalismus und vom Klassenkampf überhaupt weggerichtet wird. Dies geschieht mit dem „Privilegien“-Konzept, das postmoderne Theorien vertreten. Nach diesem Konzept werden für jedes besondere Unterdrückungsverhältnis die jeweils Betroffenen und die Nicht-Betroffenen in klassenübergreifende Gruppen zusammengefasst und einander entgegengestellt, worin sich die Problembeschreibung gemäß der rein moralischen Betrachtung von Unterdrückungsverhältnissen dann auch erschöpft. Auf der einen Seite steht dann z.B. die von Rassismus betroffene „Community“, zu denen Kapitalist:innen mit Migrationshintergrund ebenso wie Arbeiter:innen gezählt werden, und auf der anderen Seite die privilegierten Deutschen, „Weißen“ oder andere, die aus moralischer Sicht „das Problem“ darstellen, weil sie den Rassismus fortwährend durch ihr Verhalten reproduzieren. Fügt man das Patriarchat und die Unterdrückung von LGBTI+ Menschen zur Betrachtung hinzu, sind die „weißen Männer“, die „weißen (cis-)Männer“ oder die berühmten „alten weißen Männer“ das Problem. Das Maß an „Privilegiertheit“ ist nach dieser Theorie das Maß aller Dinge – und mittlerweile gibt es sogar Internet-Seiten, auf denen jede:r seinen eigenen Privilegiertheits-Score ausrechnen kann.104Das Problem bei dieser Auffassung ist aus marxistischer Sicht nicht, dass es falsch wäre, die soziale Hierarchie innerhalb der Arbeiter:innenklasse105 zu untersuchen und den Rassismus von deutschen Arbeiter:innen, das patriarchale Verhalten von männlichen Arbeitern oder die Homo- und Transphobie unter Arbeiter:innen zu thematisieren und zu bekämpfen. Es ist im Gegenteil äußerst wichtig, gerade in der kommunistischen und Arbeiter:innenbewegung diese Fragen aufzuwerfen, den Genoss:innen und Kolleg:innen, die sich patriarchal oder diskriminierend verhalten und damit die entsprechenden Unterdrückungsverhältnisse stärken, ihre Fehler aufzuzeigen und sie zu Verhaltensänderungen zu erziehen. Dafür kann es auch sinnvoll sein, einzelne Elemente aus der bürgerlichen Gendertheorie und Critical-Whiteness-Strömung zu übernehmen und mit materialistischem Inhalt zu füllen, wie z.B. die Thematisierung alltäglicher, teils unbewusster herabsetzender Verhaltensweisen gegenüber Frauen, LGBTI+ Menschen oder Migrant:innen. Das fundamentale Problem bei der postmodernen Privilegien-Theorie ist, dass

  • diese keinen Unterschied zwischen der Klassenzugehörigkeit macht,die Frage der Betroffenheit oder Nicht-Betroffenheit von bestimmten Unterdrückungsverhältnissen verabsolutiert,
  • damit die Arbeiter:innen, die von verschiedenen Unterdrückungsverhältnissen betroffen sind, gegeneinander ausspielt,
  • damit in letzter Konsequenz darauf ausgerichtet ist, einen echten Kampf um die Überwindung dieser Unterdrückungsverhältnisse zu verhindern, und
  • folglich keinen Ausweg aus der Unterdrückung aufzeigt.

Auch wenn der Begriff mittlerweile auch unter Kommunist:innen populär geworden ist: „Alte weiße Männer“ sind nicht die herrschende Klasse im Kapitalismus. Herrschende Klasse sind diejenigen, die die Produktionsmittel oder die Verfügungsgewalt über sie besitzen und diese zur Ausbeutung von Lohnarbeit einsetzen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie männlich, weiblich, trans- oder intergeschlechtlich sind, auf Männer, Frauen oder beides stehen, eine Behinderung haben oder nicht, oder welcher Nationalität sie angehören. Egal ob Tim Cook oder Uğur Şahin, Kamala Harris oder Jens Spahn – Kapitalist:innen und ihre politischen Vertreter:innen bauen ihre Existenz nicht nur auf der Ausbeutung von Lohnarbeit auf, sondern profitieren auch vom Patriarchat sowie von allen besonderen Unterdrückungsverhältnissen, die das kapitalistische System aufrecht erhalten. Davon, dass migrantische Arbeiter:innen in der Schlachtindustrie unter katastrophalen Bedingungen und zu miserablen Löhnen schuften müssen, profitieren die türkischen Bosse der Fleischfabrik Egetürk ebenso wie Clemens Tönnies. Beide profitieren auch davon, wenn die Arbeiter:innen in Deutschland durch das Schüren von Rassismus, z.B. in Form des neurechten „Kulturkampfes“, gegeneinander aufgehetzt werden, und wenn diese Verhetzung durch Polizeischikanen und faschistischen Terror unterstützt wird.Das einzige „Privileg“ (zu deutsch: „Vorrecht“) deutscher Arbeiter:innen besteht darin, dass sie persönlich nicht von einem besonderen Unterdrückungsverhältnis, der rassistischen Unterdrückung, betroffen sind. Sie geraten deshalb nicht in rassistische Polizeikontrollen, werden auf Ämtern nicht rassistisch schikaniert, sind nicht die Sündenböcke in der Bild-Zeitung und nicht die Zielscheibe von NSU-Terrorist:innen (wenn auch vielleicht von islamischen Fundamentalisten). Im Durchschnitt wenigstens haben sie auch einen besseren Job und einen höheren Lohn als ihre migrantischen Kolleg:innen. Das alles zusammengenommen führt tatsächlich zu erheblichen Unterschieden in der Lebensweise deutscher und migrantischer Arbeiter:innen. Es führt dazu, dass die spontane, bürgerliche Konkurrenz unter den Arbeiter:innen angefacht wird, dass deutsche Arbeiter:innen sich in der sozialen Hierarchie als „die Besseren“ fühlen, dass sie auf ihre migrantischen Kolleg:innen herabblicken können. Die Kommunist:innen müssen diese sozialen Mechanismen und ihre Wirkungen auf das Bewusstsein der Arbeiter:innen genau kennen und in der Massenarbeit angehen.Nur: Das alles ändert nichts daran, was deutsche und migrantische Arbeiter:innen gemeinsam haben, nämlich das Lohnarbeitsverhältnis, das ihr Dasein als Ausgebeutete bestimmt. Und hier führt das idealistische Privilegien-Verständnis zu zwei schweren Fehlern, nämlich 1. zu der Annahme, dass deutsche Arbeiter:innen ein objektives Interesse an der rassistischen Unterdrückung ihrer migrantischen Kolleg:innen hätten, und 2. zu der logischen Konsequenz, dass die Lösung in einem pauschalen Abbau von Privilegien liegen würde.Beides muss entschieden zurückgewiesen werden: Denn erstens führt die besondere Unterdrückung von Teilen der Arbeiter:innen dazu, dass die Bourgeoisie die Ausbeutung der Arbeiter:innenklasse als ganzer aufrechterhalten kann, egal ob alt oder jung, weiß oder schwarz, männlich, weiblich, trans- oder intergeschlechtlich. Die Arbeiter:innenklasse als ganze hat also ein objektives Interesse an der Beseitigung aller Unterdrückungsverhältnisse. Zweitens würde die pauschale Forderung nach Privilegienabbau nichts anderes bedeuten, als dass auch die Löhne und Arbeitsbedingungen der deutschen Arbeiter:innen schlechter werden und sie sich verschärfter Repression und ähnlichem unterwerfen müssten. Das wäre natürlich der gröbste Unsinn, und in dieser Konsequenz zieht kaum ein postmodern verblendeter Linker diese Schlussfolgerung.Tatsächlich muss man in einer materialistischen Analyse der Verhältnisse innerhalb der Arbeiter:innenklasse genau untersuchen, welche konkreten Vorrechte und Unterdrückungsverhältnisse existieren, was also der materielle Inhalt konkreter „Privilegien“ ist und welche politischen Schlussfolgerungen daraus im einzelnen zu ziehen sind. Bei der Bekämpfung des Patriarchats etwa kann man in der Tat davon sprechen, dass es darum geht, ein materielles Vorrecht männlicher Arbeiter, nämlich ihre Befreiung von einem Teil der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, zu beseitigen – hier ist der Begriff Privileg also tatsächlich eine präzise Beschreibung der objektiven Verhältnisse. Auch diese Aufgabe ist nur im Zusammenhang mit dem Kampf der Arbeiter:innenklasse als ganzer um den Sturz des Kapitalismus möglich. Die sozialistische Revolution schafft durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Einführung einer gesellschaftlichen Planung der Produktion die Bedingungen dafür, dass Arbeiterinnen voll berufstätig sein und damit materiell unabhängig von den Männern werden können. Dies ist eine notwendige Bedingung für die vollständige Abschaffung des Patriarchats, die jedoch erst infolge eines noch viel tiefer gehenden Kampfes gegen das männliche Privileg sowie die politischen und ideologischen Formen, die es reproduzieren, Realität werden kann. Diese Aufgabe wird erst mit dem Übergang zum Kommunismus gelöst werden.In anderen Fällen als dem Patriarchat geht es darum, die Unterdrückung z.B. von migrantischen Arbeiter:innen und LGBTI+ Arbeiter:innen schon heute so weit es geht zu bekämpfen und zurückzudrängen, und im Sozialismus schließlich völlig zu beseitigen: Also um den Kampf gegen besondere Nachteile von Teilen der Arbeiter:innenklasse, die sich aus dem gesellschaftlichen Überbau des Kapitalismus ergeben – hier ist der Begriff Privileg irreführend. Führt man eine solche Analyse konkret und differenziert anhand der objektiven gesellschaftlichen Zusammenhänge weiter, wird man den Begriff Privilegien in den meisten Fällen materialistisch aufheben und durch bessere Begriffe wie „soziale Hierarchie“ ersetzen, um die vielfältig ausgestaltete, relativ bessere Stellung bestimmter Teile der Arbeiter:innenklasse innerhalb der kapitalistischen Ausbeutung zu bezeichnen. Es ist notwendig, diese relativ bessere Stellung zu begreifen, um alle Hürden auf dem Weg zur Einheit der Arbeiter:innenklasse im Kampf gegen das kapitalistische System beiseite zu räumen. Durch eine solche Analyse und teilweise Aufhebung des Begriffs „Privilegien“ landen wir also bei völlig anderen Inhalten, als es die postmoderne politische Theorie tut!

Einheitliche revolutionäre Strategie oder Nebeneinander von Communities?

Der Postmodernismus geht in der politischen Praxis so gut wie immer mit dem Antitotalitarismus einher, der Sozialismus und Faschismus miteinander gleichsetzt, die Revolution und die Diktatur des Proletariats entschieden ablehnt. Beides passt hervorragend zusammen. Der Postmodernismus ist nicht darauf ausgerichtet, die Arbeiter:innenklasse im Kampf gegen das kapitalistische System zu vereinigen, sondern sie anhand der verschiedenen besonderen Unterdrückungsverhältnisse im Kapitalismus zu fragmentieren und gegeneinander auszuspielen. Statt Klassenkampf sehen die postmodernen Theorien nur ein diffuses Nebeneinander von Communities im Kampf um ihre Selbstermächtigung vor, d.h. letztlich ihre gleichberechtigte Rolle innerhalb des Kapitalismus. Das ist jedoch erstens reaktionär und zweitens unmöglich, wie wir in den bisherigen Abschnitten herausgearbeitet haben. Den schwarzen Arbeiter:innen in den USA bringt es rein gar nichts, wenn Barack Obama oder Kamala Harris höchste Staatsämter für den Imperialismus übernehmen dürfen. Für die Lage der Arbeiterinnen spielt es keine Rolle, ob mehr Frauen in DAX-Vorständen sitzen. Und ein:e trans-Bundeskanzler:in würde nichts an den gesellschaftlichen Zusammenhängen ändern, die im Kapitalismus zur besonderen Unterdrückung von LGBTI+ Menschen führen.Die Aufgabe der Kommu-nist:innen besteht darin, den Arbeiter:innen und von besonderer Unterdrückung Betroffenen einen Ausweg aus der postmodernen Verwirrung zu weisen, die heute bürgerlicher Mainstream und unheilvoller Standard in der politischen Widerstandsbewegung sind. Es geht darum, die Spaltung zwischen der Arbeiter:innenbewegung, der Frauenbewegung, der LGBTI+ und der antirassistischen Bewegung in Theorie und Praxis zu überwinden. Das Ziel muss darin bestehen, die zahlreichen Initiativen und Selbstorganisationen der von Unterdrückung Betroffenen mit der Arbeiter:innenbewegung im Kampf zusammenzuführen und hinter einer einheitlichen Strategie für die proletarische Revolution zu vereinen.In diesem Kampf müssen wir auch aus den theoretischen und praktischen Fehlern lernen, die Kommunist:innen in ihrer Herangehensweise an die Bewegungen von Frauen, Migrant:innen und LGBTI+ Menschen in der Vergangenheit an den Tag gelegt haben, und an denen uns der Postmodernismus erfolgreich angreifen konnte. Dazu gehört z.B.:

  • die falsche theoretische Erklärung des Patriarchats zum „Nebenwiderspruch“ in der marxistisch-leninistischen Bewegung der 1970er Jahre. Unabhängig von der falschen philosophischen Kategorie des „Nebenwiderspruchs“ liegt dieser Auffassung eine noch deutlich weiter verbreitete und unzutreffende Analyse des Patriarchats zugrunde. Nämlich die, dass das Patriarchat im Kapitalismus eine alleinige Erscheinung des gesellschaftlichen Überbaus, also der politischen und juristischen Formen der bürgerlichen Gesellschaft sowie der bürgerlichen Ideologie wäre. Wie wir oben gezeigt haben, ist das Patriarchat jedoch ein innerer Bestandteil der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, also der ökonomischen Basis des Kapitalismus. Diese Eigenschaft unterscheidet die Unterdrückung von Frauen qualitativ von anderen Unterdrückungsformen wie dem Rassismus oder der Unterdrückung von LGBTI+ Menschen. Letztere können im Kapitalismus zwar ebenfalls nicht aufgehoben, jedoch durch politische Kämpfe bereits relativ weit zurückgedrängt werden. Beim Patriarchat ist dies für gewisse Erscheinungen des Überbaus zwar ebenfalls möglich. Z.B. ist es durchaus möglich, den gleichen Lohn für gleiche Arbeit, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und ähnliche Forderungen der Frauenbewegung schon innerhalb des Kapitalismus durchzusetzen. Es ist jedoch nicht möglich, die Grundfrage der Reproduktionsarbeit – also der Produktion der Ware Arbeitskraft durch die unbezahlte Arbeit der Frauen – ohne Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Planung der gesellschaftlichen Arbeit zu lösen. Dies ist aber die ökonomische Vorbedingung für den Kampf um die gesellschaftliche Gleichstellung der Frauen auf allen Ebenen.
  • Ebenso zählt zu theoretischen und praktischen Fehlern bei den Kommunist:innen ein oberflächliches Verständnis von Kritik und Selbstkritik. Wer Kommunist:in ist, ist deshalb nicht per Definition frei von patriarchalen, homophoben, transphoben oder rassistischen Verhaltensweisen. Es ist essentiell wichtig, solche Verhaltensweisen in der kommunistischen Bewegung bewusst zu bekämpfen und alle Genoss:innen in der Bewegung konsequent in diesem Geist zu erziehen. Hierbei geht es jedoch nicht um eine von der politischen Praxis getrennte individualistische Selbstreflexion wie im Verständnis postmoderner Theorien, die nur das Individuum im Blick haben. Stattdessen ist die Bekämpfung solcher Verhaltensweisen ein Bestandteil des kollektiven Kampfs um die Entwicklung des kommunistischen Klassenbewusstseins, wozu auch das Geschlechtsbewusstsein zählt. Dieser ist wiederum die Aufgabe der kollektiven Persönlichkeitsentwicklung durch Kritik und Selbstkritik.
  • Die Kommunist:innen dürfen an die Selbstorganisationen und Initiativen von Betroffenen nicht von oben herab herantreten, gleichzeitig aber auch nicht der letztlich postmodernen Auffassung nachgeben, dass nur die Betroffenen richtige Kampfziele, Aktionsformen, Strategien und Taktiken definieren könnten. Als Kommunist:innen wissen wir, dass es objektive Wahrheiten gibt, die weder nur durch sinnliche Erfahrung oder Beobachtungen, noch nur durch gedankliche Schlussfolgerungen erkennbar sind (wie es der Sensualismus/Empirismus bzw. der Rationalismus jeweils als einseitige Auffassungen lehren). Die objektive Wahrheit ist nur durch das Zusammenwirken sinnlicher und beobachtender Erfahrung mit der rationalen Verarbeitung dieser Erfahrungen erkennbar, und nur durch die gesellschaftliche Praxis beweisbar. In der Praxis des Kampfes gegen besondere Unterdrückungsverhältnisse kommt es also darauf an, die unmittelbare Erfahrung der Betroffenen mit dem marxistisch-leninistischen Verständnis der gesellschaftlichen Verhältnisse zusammenzubringen und die kämpfenden Arbeiter:innen, Frauen, LGBTI+ Personen und Migrant:innen von der Richtigkeit dieses Verständnisses zu überzeugen! Dafür brauchen wir gute Analysen, eine vorbildliche Praxis, taktische Flexibilität und viel Fingerspitzengefühl!
  • Das bedeutet, dass Kommunist-:innen die systematische Missachtung und Herabsetzung der Erfahrungen, Meinungen, Beiträge insbesondere von Frauen, aber auch von LGBTI+ Menschen und Migrant:innen bekämpfen müssen. Diese ist nämlich Ausdruck des Patriarchats bzw. anderer Unterdrückungsverhältnisse in der politischen Auseinandersetzung und in den Verhaltensweisen. In Bezug auf das Patriarchat hat sich hierfür der Begriff Mansplaining für die kommunikative Machtausübung durch Männer etabliert: Männer erklären Frauen die Welt, auch wenn die Frau mehr über das Thema weiß. Sie ignorieren ihre Argumente, unterbrechen sie u.ä. Philosophisch betrachtet handelt es sich bei diesem Phänomen darum, dass Erfahrungen und Beobachtungen bestimmter Gruppen im Erkenntnisprozess unterdrückt werden, wodurch dieser notwendig verzerrt und verfälscht wird. Nicht nur deshalb kann die marxistische Schlussfolgerung nur sein, dass wir solche Verhaltensweisen im Sinne der kollektiven Persönlichkeitsentwicklung bekämpfen müssen. Diese Schlussfolgerung ist nicht zu verwechseln mit der letztlich subjektivistischen Auffassung, die nur den unmittelbar Betroffenen zugesteht, sich zu einem Thema äußern zu dürfen.
  • Kommunist:innen haben die vertiefte ideologische Auseinandersetzung mit postmodernen Auffassungen in den letzten Jahrzehnten sträflich vernachlässigt. Angesichts des offensichtlichen Idealismus von Judith Butler und anderen haben wir uns damit begnügt, diese philosophischen Strömungen leichtfertig als „Blödsinn“ zu erklären und dabei übersehen, dass und warum sie eine Anziehungskraft auf bestimmte Teile der politischen Widerstandsbewegung und der Massen ausüben. So haben wir es letztlich zugelassen, dass sich der ideologische Einfluss des Postmodernismus immer weiter ausdehnen konnte. Vielfach geschah diese Vernachlässigung des ideologischen Kampfes aus Bequemlichkeit, weil man sich nicht die Mühe machen wollte, sich durch die komplizierten Texte von Foucault und Derrida zu quälen und die von ihnen verfochtenen Konzepte einer gründlichen, materialistischen Analyse zu unterziehen. Diese Nachlässigkeit ist schon allein deshalb nicht zu rechtfertigen, weil gerade wir in Deutschland sowohl die gesamte Literatur der Philosophiegeschichte als auch des Marxismus-Leninismus buchstäblich zu Füßen liegen haben. Wir haben alles, was es braucht, um uns in die Lage zu versetzen, den Postmodernismus ideologisch auseinander zu nehmen und den Marxismus-Leninismus in dieser Auseinandersetzung auf die Höhe der Zeit zu heben: Damit befreien wir ihn in der Wahrnehmung der fortschrittlichen Massen auch von dem Image, eine Philosophie auf dem Stand der 1950er-Jahre zu sein und machen sichtbar, dass es sich um eine lebendige, wissenschaftliche Weltanschauung handelt. Wir müssen einen ideologischen Klassenkampf entwickeln, der es mit dem ideologischen Klassenkampf der imperialistischen Bourgeoisie aufnehmen kann!

Zur Frage der Identität

In diesem Sinne wollen wir uns im letzten Abschnitt dieses Teils einer Frage zuwenden, bei welcher der Postmodernismus Verwirrung schaffen konnte und dabei konkrete Lücken in der theoretischen Arbeit der kommunistischen Bewegung seit den 1950er Jahren aufgegriffen hat. Es geht um die Konzepte der Identität bzw. der Identitätspolitik, die postmoderne Philosoph:innen ebenso propagieren wie die Ideologen der Neuen Rechten.106Gemäß der allgemeinen ideologischen Ausrichtung postmoderner Theorien haben diese keine klare Definition davon, was sie unter der „Identität“ verstehen, jedoch jede Menge konkurrierende „Ansätze“, die alle auf idealistische Konzepte hinauslaufen.107 Der gemeinsame Inhalt dieser postmodernen Diskussionen läuft jedoch immer auf ein Problem hinaus, das man gemäß der (noch unausgereiften) marxistischen Theorie der Persönlichkeit wiefolgt beschreiben kann108: Die Persönlichkeit besteht nach marxistischem Verständnis in den gesellschaftlichen Verhältnissen zwischen den Verhaltensweisen (worunter man alle Aktivitäten des Fühlen, Denkens und Handelns des Menschen fassen kann). Die unauflösbaren Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft bilden deshalb auch die unauflösbaren Widersprüche der Persönlichkeit – ein Phänomen, das von Marxist:innen mit dem Begriff Entfremdung beschrieben wird. Mit der Entwicklung des Kapitalismus verschärfen sich diese Widersprüche gesetzmäßig, was sich in der Persönlichkeit der Arbeiter:innen vielfältig widerspiegelt, z.B. in Form von psychischen Erkrankungen. Eine ganz wichtige Erscheinungsform der sich entwickelnden Widersprüche im Kapitalismus ist, dass sich die Biographien der Arbeiter:innen immer weiter ausdifferenzieren, dass sich Standard-Lebenswege der Arbeiter:innen von früher (etwa: Schule, Lehre, 40 Jahre Lohnarbeit bei VW, Rente) immer weiter auflösen, dass die Brüche in den Arbeiter:innenbiographien sich häufen. Deshalb finden sich einzelne Arbeiter:innen im Laufe ihres Lebens zunehmend mit völlig wechselnden gesellschaftlichen Anforderungen konfrontiert. Das Individuum sieht sich in diesem Umfeld nicht nur mit ökonomischen Fragen wie wachsenden Abstiegsängsten konfrontiert, sondern verliert zunehmend auch die moralische Orientierung: „Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Wie gestalte ich mein Leben?“109 Materialistisch betrachtet führt die allgemeine Krise des Kapitalismus mit ihren zunehmenden Widersprüchen also zu einer Krise der Persönlichkeit der Arbeiter:innen und der Angehörigen anderer unterdrückter Schichten. Diese moralische Krise ist für den Imperialismus nichts Neues. Schon im 19. und 20. Jahrhundert beantwortete er die moralische Krise der Angehörigen der bürgerlichen Klasse und des Kleinbürger:innentums mit reaktionären „sinnstiftenden“ Philosophien wie dem Nietzscheanismus und dem Existentialismus. Heute versuchen die Ideolog:innen des Imperialismus wieder mit verschiedenen idealistischen Konzepten von Identität und Identitätspolitik auf die moralische Krise, die Krise der Persönlichkeit zu antworten. Die Neue Rechte tut dies, indem sie Nationen und Kulturen als „Identitäten“ für die Massen propagiert. Der „linke“ Postmodernismus entwirft, basierend auf seinem sprachtheoretischen Idealismus, die fragmentierten „Communities“ („Weiße“, „Schwarze“, „Gender“) und ergeht sich sonst in endlosen philosophischen Spekulationen rund um den Identitätsbegriff.Beiden gemeinsam ist, dass sie gerade die Klassen verwerfen und damit einen offensichtlichen Zweck für die imperialistische Bourgeoisie verfolgen. Die Arbeiter:innenklasse als kollektives Subjekt, die sich ihrer Lage bewusst wird und für ihre Befreiung kämpft („Klasse an und für sich“), nämlich durch die bewusste Umgestaltung der Gesellschaft im Sozialismus, ist aber offensichtlich die Basis für jede kommunistische Perspektive gegenüber der moralischen Krise der Persönlichkeit. Die Arbeiter:innenklasse, welche die unterdrückten proletarischen Frauen, LGBTI+ Menschen und Migrant:innen sowie alle weiteren ausgebeuteten und unterdrückten Schichten umfasst und um sich sammelt, muss daher im Zentrum jeder marxistisch-leninistischen Antwort auf die bürgerliche Identitätsfrage stehen. Eine solche Antwort auf Grundlage der kommunistischen Klassenanalyse ist eine wichtige theoretische Aufgabe für die Zukunft, um den Einfluss des Postmodernismus nicht nur auf dem Gebiet der Philosophie, sondern auch der Psychologie und der politischen Praxis zu zerstören. Sie ist auch dafür nötig, den Graben zwischen der Arbeiter:innenklasse und der politischen Widerstandsbewegung zu überwinden, der durch den Postmodernismus immer weiter vertieft wurde und den die Faschist:innen genutzt haben, um ihren Einfluss in Teilen der Arbeiter:innenklasse und des Kleinbürger:innentums auszubauen.

Revolutionärer Klassenkampf statt bürgerlicher
Identitätspolitik!- Ideologisch-politische Schlussfolgerungen

Aus unserer Analyse ergeben sich die folgenden Schlussfolgerungen für den ideologisch-politischen Kampf gegen den Postmodernismus, gegen die Spaltung zwischen Arbeiter:innenklasse und politischer Widerstandsbewegung und für den Aufbau einer einheitlichen Bewegung der Arbeiter:innen und Unterdrückten:Der Postmodernismus hat heute nicht nur in der politischen Widerstandsbewegung, sondern auch im bürgerlichen Mainstream eine ideologische Dominanz erreicht. Dies führt dazu, dass sein Einfluss heute weitgehend die politischen Fragen vorgibt, die diskutiert werden, sowie politische Tabus festlegt. Ein Ausdruck hiervon ist eine starke Fokussierung der politischen Widerstandsbewegung auf Sprachregelungen und -sensibilitäten, die ein erhebliches Hindernis für das Zusammenkommen von normalen Arbeiter:innen, unterdrückten Gruppen und postmodern beeinflussten Aktivist:innen bilden können.Für die kommunistische Arbeit ist die postmoderne „Diskursanalyse“ nicht zu gebrauchen. Was wir entwickeln müssen, sind der revolutionäre Klassenkampf und der Kampf um unsere revolutionäre Selbstveränderung. Dafür ist es entscheidend, dass wir uns nicht passiv an den Fragen entlanghangeln, die der Postmodernismus vorgibt, und uns von den Tabus der postmodernen „politischen Korrektheit“ nicht irre machen lassen. Zuallererst müssen wir uns in unserer Arbeit nach den Klasseninteressen des Proletariats richten, aus denen sich ergibt, dass wir für die politische Einheit der Arbeiter:innen und unterdrückten Menschen im Kapitalismus eintreten. In dieser Arbeit dürfen wir keine Berührungsängste mit den Teilen der Massen haben, welche die politische Korrektheit des Postmodernismus nicht verinnerlicht haben oder sogar offen rückschrittliche (rassistische, sexistische) Auffassungen und Verhaltensweisen aufweisen. Auf der anderen Seite müssen wir den von besonderer Unterdrückung Betroffenen mit Empathie und Offenheit begegnen, müssen verstehen, wo bestimmte Verhaltensweisen ihre Unterdrückung objektiv reproduzieren, und diese zurückdrängen. Nur auf dieser Grundlage, dass wir in alle Teile der Massen unsere Fühler ausstrecken und dort eine geduldige ideologische und praktische Arbeit zur Verankerung des Klassenkampfs leisten, können wir Schritt für Schritt die kulturellen und sprachlichen Barrieren zwischen ihnen abbauen.Dort, wo wir in der politischen Arbeit mit den postmodernen Positionen konfrontiert sind, müssen wir die Auseinandersetzung mit ihnen führen und dürfen nicht davor zurückschrecken. Wir müssen ihre Oberflächlichkeit und Mangelhaftigkeit aufzeigen. Wir müssen die Diskussion auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge, auf die Produktionsverhältnisse, auf den Gesamtkomplex aus Ausbeutung und Unterdrückung statt nur auf Diskriminierung ausrichten und die Perspektive der sozialistischen Revolution daraus herleiten.Neben der Auseinandersetzung mit dem Postmodernismus in der praktischen Massenarbeit müssen wir auch den theoretischen Kampf gegen die bürgerliche Ideologie vertiefen. Es ist nicht ausreichend, wenn wir über den Postmodernismus nur lachen oder den Kopf schütteln, gegenüber seiner Ausbreitung aber faktisch die Waffen strecken. Wir müssen die reaktionären, idealistischen Konzepte des Postmodernismus vielmehr in jedem Detail entlarven und ihnen gegenüber den Marxismus-Leninismus weiterentwickeln, auf die Höhe der Zeit heben. Wir müssen die idealistischen Begriffe, die uns in der theoretischen Auseinandersetzung entgegengeschleudert werden, auseinander nehmen, sie einer marxistischen Analyse unterziehen, ihren realen Gehalt vom idealistischen Unrat trennen und auf dieser Grundlage zeitgemäße, marxistische Begriffe entwickeln.Der Marxismus-Leninismus ist nichts Fertiges, nichts ein für alle Mal abgeschlossenes. Auf vielen Gebieten wie der Psychologie und der Sprachwissenschaft ist die Entwicklung einer ausgereiften marxistischen Theorie noch eine ungelöste Aufgabe. Auf anderen Gebieten wie den Naturwissenschaften müssen die philosophischen Verallgemeinerungen im Sinne des Marxismus-Leninismus dringend auf die Höhe der Zeit gehoben werden. Dies alles sind Aufgaben, denen sich neue Generationen von marxistischen Ideolog:innen in Zukunft widmen müssen, auch damit wir dem Einfluss der bürgerlichen Ideologie in der politischen Praxis erfolgreich entgegentreten können.

1 Der Operaismus ist eine in Italien in den 1960er Jahren entstandene ideologische und politische Strömung, die zwischen Marxismus und Anarchismus anzusiedeln ist. Diese Strömung wurde später von Vertretern wie Michael Hardt und Antonio Negri mit Elementen postmoderner Philosophien vermischt und zum „Postoperaismus“ weiterentwickelt. Vgl. Birkner / Foltin, „(Post-)Operaismus“, theorie.org, Schmetterling 2006

2 Häufig gab es nur noch einzelne Theoretiker:innen, die in Teilgebeiten wichtige Beiträge zum Kampf gegen die bürgerliche Ideologie geleistet haben. Hierzu zählen u.a. der ungarische Marxist Béla Fogarasi („Dialektische Logik“), der französische Philosoph Lucien Sève („Marxismus und Theorie der Persönlichkeit“) sowie einige Autoren der DDR-Reihe „Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie“.

3 Lenin, „Materialismus und Empiriokritizismus“, LW 14, S. 12

4 Zu den philosophischen Begriffen in diesem Artikel siehe Einschub 1.

5 Siehe Einschub 3.

6 Vgl. Dynnik u.a., Akademie der Wissenschaften der UdSSR, „Geschichte der Philosophie“, Band V, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1963, S. 457

7 Adolf Hitler war ein begeisterter Wagner-Fan und geschätzter Hausfreund der Wagner-Familie (allerdings mehrere Jahrzehnte nach dem Tod des „Meisters“).

8 Vgl. Klaus, Buhr, „Philosophisches Wörterbuch“, VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1976, S. 586

9 Vgl. den Beitrag „Strukturalismus“ in: Klaus, Buhr, „Philosophisches Wörterbuch“, VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1976, S. 1180 ff.

10 Vgl. Dynnik u.a., Akademie der Wissenschaften der UdSSR, „Geschichte der Philosophie“, Band III, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1961, S. 329 ff.

11 Vgl. Nietzsche, „Zur Genealogie der Moral“, dtv de Gruyter 2020, S. 314

12 Nietzsche, „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“, aus: „Unzeitgemäße Betrachtungen“, dtv 2019, S. 320

13 Vgl. Heinz Malorny, „Friedrich Nietzsche und der deutsche Faschismus“, in: Eichholtz, Gossweiler, „Faschismus-Forschung“, Akademie-Verlag 1980, S. 279 ff.

14 Vgl. Dynnik u.a., Akademie der Wissenschaften der UdSSR, „Geschichte der Philosophie“, Band V, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1963, S. 464 ff.

15 Vgl. Dynnik u.a., Akademie der Wissenschaften der UdSSR, „Geschichte der Philosophie“, Band V, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1967, S. 439 ff.

16 Vgl. Dynnik u.a., Akademie der Wissenschaften der UdSSR, „Geschichte der Philosophie“, Band V, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1967, S. 520 ff.

17 Freud, „Totem und Tabu“, Gesammelte Werke IX, Fischer 1999

18 Herbert Marcuse, „Eros and Civilization – A Philosophical Inquiry into Freud“, Beacon Press 1955

19 August Ruhs, „Lacan – Eine Einführung in die strukturale Psychoanalyse“, Löcker 2010, S. 9

20 Vgl. Judith Butler, „Gender trouble – Feminism and the Subversion of Identity“, Routledge 1999, Kapitel 2: „Prohibition, Psychoanalysis and the production of the heterosexual matrix“, S. 45 ff.

21 Lenin, „Materialismus und Empiriokritizismus“, LW 14, S. 195

22 Sandkühler, Enzyklopädie Philosophie, Meiner 1999, S. 861

23 Sandkühler, Enzyklopädie Philosophie, Meiner 1999, S. 859

24 Eine Diskussion des Begriffs „Moderne“ findet sich z.B. in dem kurzen Band „Identität und Identitätspolitik“ des Papyrossa-Verlags: „Meist wird die Moderne auf die europäische Aufklärung zurückgeführt, womit auch ein inhaltlicher Kern dessen gegeben ist, was normalerweise mit Moderne verbunden wird, nämlich die Ideen von Gleichheit, Freiheit und persönlicher Autonomie. Teilweise wird der Begriff Moderne weiter zurückdatiert bis zur Renaissance und zur Reformation. (…) Häufig werden unter Moderne sowohl gesellschaftliche Strukturen, nämlich die Subsysteme der kapitalistischen Gesellschaft – Markt, Produktion, Nationalstaat, Demokratie, rationale Verwaltung – als auch kulturelle Phänomene verstanden. Man sollte aber die gesellschaftlichen Strukturen von kulturellen Antworten auf diese Strukturen unterscheiden. Demnach reflektieren Merkmale der Moderne wie der Individualismus die materielle Form der Vergesellschaftung in der Privatform.“, Auernheimer, „Identität und Identitätspolitik“, Papyrossa 2020, S. 13

25 „Simplifying to the extreme, I define postmodernism as incredulity toward metanarratives.“, Lyotard, „The Postmodern Condition: A Report on Knowledge“, University of Minnesota Press 1984, S. 24

26 Lyotard, „Randbemerkungen zu den Erzählungen“, in: „Postmoderne und Dekonstruktion“, Reclam 2015, S. 49

27 Siehe hierzu die Diskussion des Poststrukturalismus im Abschnitt „Strukturalismus“.

28 Zur Frage der Kriterien für die Reife einer Wissenschaft siehe Einschub 4.

29 Sève, „Marxismus und Theorie der Persönlichkeit“, Dietz 1972, S. 23

30 Séve, „Über den Strukturalismus“, www.trend.infopartisan.net/trd1112/t011112.html

31 Siehe z.B.: Judith Butler, „Gender trouble – Feminism and the Subversion of Identity“, Routledge 1999

32 Z.B. in seinen Hauptwerken „Eros and Civilization“ (1955) und „One-dimensional man“ (1964).

33 Séve, „Über den Strukturalismus“

34 Séve, „Über den Strukturalismus“

35 Klaus, Buhr, „Philosophisches Wörterbuch“, VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1976, S. 1180 ff.

36 Albrecht, „Bestimmt die Sprache unser Weltbild?“, Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie 10, Verlag Marxistische Blätter 1972

37 Siehe Einschub 5

38 Vgl. Ferdinand de Saussure, „Course in general linguistics“, Philosophical Library New York

39 Vgl. Albrecht, „Bestimmt die Sprache unser Weltbild?“, Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie 10, Verlag Marxistische Blätter 1972

40 „Zur Kritik des Poststrukturalismus“, Reader, TU Darmstadt 2014, S. 3, www.asta.tu-darmstadt.de/asta/sites/default/files/atoms/files/reader_bögen-v21.pdf

41 Diese Vorstellung trägt die bürgerliche Philosophie heute auch in die Naturwissenschaften: Dort wird z.B. die Mathematik zur „logischen Struktur“ erklärt, die dem Universum zugrunde liege oder mit diesem sogar identisch sei. Besonders popularisiert hat diese Auffassung der MIT-Kosmologe Max Tegmark, vgl.: „Is the Universe Made of Math?, Scientific American, www.scientificamerican.com/articles/is-the-universe-made-of-math-excerpt

42 Sève, „Über den Strukturalismus“

43 „Zur Kritik des Poststrukturalismus“, Reader, TU Darmstadt 2014, ebd.

44 Nietzsche, „Jenseits von Gut und Böse“, Reclam 1988, S. 25 f.

45 Dargelegt z.B. in: Judith Butler, „Gender trouble – Feminism and the Subversion of Identity“, Routledge 1999, Kapitel 1: „Subjects of Sex / Gender / Desire“, S. 3 ff. Vgl. auch Butlers Erklärung im Video: https://youtu.be/Bo7o2LYATDc oder: Hannelore Bublitz, „Judith Butler zur Einführung“, Junius 2018

46 Judith Butler, „Gender trouble – Feminism and the Subversion of Identity“, Routledge 1999

47 Vgl. „Grundschulung Patriarchat“, https://komaufbau.org/wp-content/uploads/2021/01/GS-3-Patriarchat.pdf

48 Butler, „Das Unbehagen der Geschlechter“, Suhrkamp, S. 15

49 Sève, „Über den Strukturalismus“

50 Vgl.: Owtschinnikow, „Die Kategorie Struktur in den Naturwissenschaften“, erschienen in: Wissenschaftlicher Rat für philosophische Fragen der Naturwissenschaft beim Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, „Struktur und Formen der Materie“, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1969, S. 17 ff.

51 Sève, „Über den Strukturalismus“

52 Ebd.

53 Ebd.

54 Marx, Engels, „Die deutsche Ideologie“, zitiert nach: Béla Fogarasi, „Logik“, Aufbau Verlag 1955, S. 88

55 Ebd.

56 Engels,„Dialektik der Natur“, ebd.

57 Béla Fogarasi, ebd. Zu dieser konkreten Textstelle ist anzumerken, dass Fogarasi den Begriff „Denken“ als Synomym für die „Formen des Denkens“ verwendet, von denen der „Inhalt der Gedanken“ noch einmal zu unterscheiden ist. Dies ist für den dargelegten Zusammenhang mit der Sprache jedoch von untergeordneter Bedeutung, da die Sprache natürlich auch die konkrete Realität der Denkinhalte bildet.

58 Stalin, „Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft“, zitiert nach: Fogarasi, ebd., S. 89

59 Stalin, „Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft“, SW 15, Verlag Roter Morgen 1979, S. 165

60 Stalin ebd., S. 188

61 Stalin, ebd., S. 189

62 Stalin, ebd., S. 173 ff.

63 Vgl.Fogarasi, S. 89

64 Ebd., S. 97 f.

65 Ebd. S. 98

66 Eine einigermaßen verständliche Einführung in die Philosophie Derridas findet sich als Video unter www.youtube.com/watch?v=HKJISY0DBBA

67 „Alles als Text aufzufassen, scheint die grundlegende Haltung zu sein, die die Dekonstruktion als Bedingung ihrer Möglichkeit verlangt: ‘Das, was ich also Text nenne, ist alles, ist praktisch alles…’“, aus: Engelmann (Hrsg.),„Postmoderne und Dekonstruktion“, Reclam 2015, S. 20

68 Diese Argumentation führt Derrida z.B. in den Schriften „Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen“ und „Die Différance“ aus. Erschienen u.a. in: Engelmann (Hrsg.), „Postmoderne und Dekonstruktion“, Reclam 2015, S. 114 ff. bzw. S. 76 ff.

69 Vgl. „Die Struktur, das Zeichen und das Spiel“, in: „Postmoderne und Dekonstruktion“, S. 117

70 Judith Butler, „Gender trouble – Feminism and the Subversion of Identity“, Routledge 1999

71 Ebd., S.3

72 Sève, „Über den Strukturalismus“

73 „France: Defection of the Leftist Intellectuals“, A Research Paper, Office of European Analysis, December 1985, www.cia.gov/library/readingroom/docs/CIA-RDP86S00588R000300380001-5.PDF

74 Ebd., S.6 (Übersetzung aus dem Englischen)

75 Vgl. Frances Stonor Saunders, „The Cultural Cold War – The CIA and the World of Arts and Letters“, The New Press New York, 2000, S. 159, www.redstarpublishers.org/CulturalColdWar.pdf

76 Richard Herzinger, „Warum arbeitete Marcuse für den US-Geheimdienst?“, Welt vom 03.03.2011, https://www.welt.de/kultur/history/article12687621/Warum-arbeitete-Marcuse-fuer-den-US-Geheimdienst.html

77 Ebd.

78 Vgl.: „Perspektive Sozialismus“, Kommunismus 12, S. 8

79 Mittlerweile gibt es in der bürgerlichen Wissenschaft ein bekanntes Schaubild zur sogenannten „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ (GMF), die von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg als zusammenfassende Bezeichnung für „unterschiedliche Formen der Abwertung von konstruierten Menschengruppen“ definiert wird. Vgl.: www.demokratie-bw.de/gmf

80 Butler, „Das Unbehagen der Geschlechter“, Suhrkamp, S. 35

81 Vgl.: „Faschismus reloaded – die AfD und ihre Funktion für das deutsche Kapital“, Kommunismus 6, S. 3 ff., sowie: „Islamischer Fundamentalismus und Imperialismus – Teil 2“, Kommunismus 12, S. 28 ff.

82 Siehe dazu: „Aktive Selbstverteidigung und Organisierung – die Black-Panther-Party“, Kommunismus 10, S. 32 ff.

83 https://demokratie-in-arbeit.de

84 Hernán D. Caro, „Sehen und gesehen werden“, FAZ, 01.04.20, www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/diversitaet-als-geschaeftsmodell-von-netflix-16701341.html

85 Vgl.: “Die Frau im Kapitalismus”, Kommunismus 14, S. 5 ff.

86 Vgl.: „Die Arbeiter:innenklasse als revolutionäres Subjekt“, Kommunismus 19

87 Vgl.: Thomas K. Hubbard, „Homosexuality in Greece and Rome“, University of California Press 2003

88 Vgl.: Georg Klauda, „Die Vertreibung aus dem Serail – Europa und die Heteronormalisierung der islamischen Welt“, Männerschwarm Verlag 2008, S. 80 f.

89 „…und Wilhelm Adam, der vom Papst als Missionar drei Jahre lang nach Persien geschickt worden war, schrieb 1317 in seinem Reisebericht: ‚In der Religion der Sarazenen ist jeder geschlechtliche Akt nicht nur erlaubt, sondern wird ausdrücklich gebilligt und gelobt. Daher haben sie, neben unzähligen Huren, auch zahlreiche effeminierte Männer unter sich, (…) zu denen sie eine schamlose Neigung unterhalten oder mit denen sie zusammenleben, wie hier bei uns öffentlich Mann und Frau.“, Ebd., S. 74

90 Klauda, S. 77

91 Vgl. Klauda, S. 82

92 Ebd.

93 Ebd., S. 86

94 Ebd., S. 84

95 Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass es keine verlässlichen Daten darüber gibt, wie viele Menschen dies betrifft. Laut einer Studie des „Deutschen Ärzteblatts“ von 2017 haben von 2524 befragten Menschen 86 Prozent der Männer und 82 Prozent der Frauen über sich ausgesagt, heterosexuell zu sein: „Fünf Prozent der Männer und acht Prozent der Frauen hatten schon einmal gleichgeschlechtliche Kontakte. Jeweils ein Prozent gab an, rein homosexuell zu sein. Einige machten keine Angaben oder gaben an, dass keine dieser Kategorien zutreffe.“, www.spiegel.de/gesundheit/sex/sex-studie-das-sexleben-der-deutschen-a-1164321.html

96 In den Worten des US-Schriftstellers Rictor Norton: „Die Position schwuler Männer und [lesbischer] Frauen verschlechterte sich während des gesamten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Aussage erscheint vielleicht überraschend, weil wir es gewöhnlich für besser halten, eingesperrt oder mit einer Geldstrafe gelegt als gehängt oder an den Pranger gestellt zu werden. Aber katastrophale Folgen sollten der seit den 1830er Jahren an Boden gewinnenden Theorie der Homosexualität als einer Krankheit entspringen. (…) Die Repression (…) wurde als Scham und Schuldgefühl internalisiert – eine Unterdrückung, aus der es kein Entrinnen gibt. Für viele, insbesondere für die puritanischen Mittelschichten, wurden Angst durch Selbstekel und Hinrichtungen durch Suizide ersetzt.“, zitiert nach: Klauda, S. 85 f.

97 Diese Frage haben wir im Rahmen der Klassenanalyse eingehend diskutiert. Vgl.: „Die Arbeiter:innenklasse als revolutionäres Subjekt“, Kommunismus 19

98 Vgl.: Marx, “Thesen über Feuerbach”, MEW 3, S. 6

99 Vgl. „Grundschulung Patriarchat“, https://komaufbau.org/wp-content/uploads/2021/01/GS-3-Patriarchat.pdf

100 „Auf der ersten und zweiten Entwicklungsstufe der Menschheit, d.h. dem Stadium der Jäger:innen und Sammler:innen („Wildheit“, „Barbarei“), gab es keine größeren Unterschiede zwischen den körperlichen Eigenschaften der Frau und des Mannes, ihrer Stärke und Gelenkigkeit. Viele für die Frau heute in der patriarchalen Gesellschaft wichtige körperliche Züge entwickelten sich erst bedeutend später, seitdem die Frau Generation um Generation mit ihrer Rolle als ‚Hausfrau und Mutter‘ die Fortpflanzung der Menschheit zu garantieren hatte.“, „Grundschulung Patriarchat“, S. 121, https://komaufbau.org/wp-content/uploads/2021/01/GS-3-Patriarchat.pdf

101 Neueren Forschungsergebnissen zufolge kommen gleichgeschlechtliche Paarungen bei etwa 1500 Tierarten vor. Vgl. „Dank Sex mehr Kooperation“, Max-Planck-Gesellschaft, www.mpg.de/13882764/dank-sex-mehr-kooperation, sowie https://www.dw.com/de/schwule-lesben-und-bisexuelle-im-tierreich-ganz-normal/a-39966868

102 Zahlen von 2017 aus: „Obdachlosigkeit – Zahlen und Fakten“, www.suedwind-magazin.at/obdachlosigkeit-zahlen-und-fakten

103 Julius Strupp, „Pride 2020: Kämpfen wir für unsere Rechte als LGBTI+ Personen!“, https://perspektive-online.net/2020/06/pride-2020-kaempfen-wir-fuer-unsere-rechte-als-lgbti-personen

104 https://www.buzzfeed.com/regajha/how-privileged-are-you

105 Vgl.: „Die Arbeiter:innenklasse als revolutionäres Subjekt“, Kommunismus 19

106 „Der Begriff Identitätspolitik ist mehrdeutig. Er wird oft für drei grundlegend verschiedene Bewegungen oder Initiativen verwendet: erstens für soziale Bewegungen, speziell die Frauenbewegung, die Antirassismus-Bewegung und die Schwulenbewegung; zweitens für fundamentalistische Bewegungen; drittens aber auch für rechtskonservative bis rechtsextreme Politikansätze.“, Auernheimer, „Identität und Identitätspolitik“, Papyrossa 2020, S. 16

107 Am klarsten umreißt der Autor des Papyrossa-Bands „Identität und Identitätspolitik“ das, was er unter dem Begriff meint, in dem Abschnitt „Wozu Identität?“: „In der Gesellschaft privater Warenbesitzer, in der der einzelne weitgehend über Ware-Geld-Beziehungen mit den anderen verbunden ist und, bildlich gesprochen, ‚seinen gesellschaftlichen Zusammenhang mit der Gesellschaft in der Tasche mit sich (trägt)‘, sind also persönliche Abhängigkeiten einer abstrakten Abhängigkeit gewichen vom Wohnungsmarkt, vom Arbeitsmarkt, allgemein von der wirtschaftlichen Konjunktur, eventuell von der Entwicklung des Unternehmens, bei dem man beschäftigt ist. Damit ist für das Subjekt die Wahrnehmung einer Trennung von Innen- und Außenwelt verbunden. Im Grund ergeben sich die mit Identität verbundenen Anforderungen an das Subjekt aus der allgemeinen Entfremdung. (…) Mit der Lohnarbeit ist die individuelle Reproduktion in der Privatform verknüpft. Deshalb muss sich in diesem System jedes Individuum als mündiges Vertragssubjekt bewähren. Es wird zwar in eine bestimmte Familie innerhalb einer bestimmten sozialen Schicht hineingeboren, aber dennoch wird von ihm ungeachtet der damit gesteckten Grenzen erwartet, dass es sich die Frage stellt: Wer bin ich, wer möchte ich sein und werden? Wie gestalte ich mein Leben? (…) Der oder die einzelne muss sich (…) ins Verhältnis setzen zu sich selbst und zur Gesellschaft. Das ist anders in traditionellen Gemeinwesen, wo dem einzelnen sein sozialer Ort von der gesellschaftlichen Umwelt zugewiesen wurde.“, Auernheimer, „Identität und Identitätspolitik“, S. 16 f.

108 Vgl.: „Die Arbeiter:innenklasse als revolutionäres Subjekt“, Kommunismus 19

109 Auernheimer, „Identität und Identitätspolitik“, S. 17

110 Mittlerweile gibt es in der bürgerlichen Wissenschaft ein bekanntes Schaubild zur sogenannten „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ (GMF), die von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg als zusammenfassende Bezeichnung für „unterschiedliche Formen der Abwertung von konstruierten Menschengruppen“ definiert wird. Vgl.: www.demokratie-bw.de/gmf

111 Butler, „Das Unbehagen der Geschlechter“, Suhrkamp, S. 35

112 Vgl.: „Faschismus reloaded – die AfD und ihre Funktion für das deutsche Kapital“, Kommunismus 6, S. 3 ff., sowie: „Islamischer Fundamentalismus und Imperialismus – Teil 2“, Kommunismus 12, S. 28 ff.

113 Siehe dazu: „Aktive Selbstverteidigung und Organisierung – die Black-Panther-Party“, Kommunismus 10, S. 32 ff.

114 https://demokratie-in-arbeit.de

115 Hernán D. Caro, „Sehen und gesehen werden“, FAZ, 01.04.20, www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/diversitaet-als-geschaeftsmodell-von-netflix-16701341.html

116 Vgl.: “Die Frau im Kapitalismus”, Kommunismus 14, S. 5 ff.

117 Vgl.: „Die Arbeiter:innenklasse als revolutionäres Subjekt“, Kommunismus 19

118 Vgl.: Thomas K. Hubbard, „Homosexuality in Greece and Rome“, University of California Press 2003

119 Vgl.: Georg Klauda, „Die Vertreibung aus dem Serail – Europa und die Heteronormalisierung der islamischen Welt“, Männerschwarm Verlag 2008, S. 80 f.

120 „…und Wilhelm Adam, der vom Papst als Missionar drei Jahre lang nach Persien geschickt worden war, schrieb 1317 in seinem Reisebericht: ‚In der Religion der Sarazenen ist jeder geschlechtliche Akt nicht nur erlaubt, sondern wird ausdrücklich gebilligt und gelobt. Daher haben sie, neben unzähligen Huren, auch zahlreiche effeminierte Männer unter sich, (…) zu denen sie eine schamlose Neigung unterhalten oder mit denen sie zusammenleben, wie hier bei uns öffentlich Mann und Frau.“, Ebd., S. 74

121 Klauda, S. 77

122 Vgl. Klauda, S. 82

123 Ebd.

124 Ebd., S. 86

125 Ebd., S. 84

126 Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass es keine verlässlichen Daten darüber gibt, wie viele Menschen dies betrifft. Laut einer Studie des „Deutschen Ärzteblatts“ von 2017 haben von 2524 befragten Menschen 86 Prozent der Männer und 82 Prozent der Frauen über sich ausgesagt, heterosexuell zu sein: „Fünf Prozent der Männer und acht Prozent der Frauen hatten schon einmal gleichgeschlechtliche Kontakte. Jeweils ein Prozent gab an, rein homosexuell zu sein. Einige machten keine Angaben oder gaben an, dass keine dieser Kategorien zutreffe.“, www.spiegel.de/gesundheit/sex/sex-studie-das-sexleben-der-deutschen-a-1164321.html

127 In den Worten des US-Schriftstellers Rictor Norton: „Die Position schwuler Männer und [lesbischer] Frauen verschlechterte sich während des gesamten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Aussage erscheint vielleicht überraschend, weil wir es gewöhnlich für besser halten, eingesperrt oder mit einer Geldstrafe gelegt als gehängt oder an den Pranger gestellt zu werden. Aber katastrophale Folgen sollten der seit den 1830er Jahren an Boden gewinnenden Theorie der Homosexualität als einer Krankheit entspringen. (…) Die Repression (…) wurde als Scham und Schuldgefühl internalisiert – eine Unterdrückung, aus der es kein Entrinnen gibt. Für viele, insbesondere für die puritanischen Mittelschichten, wurden Angst durch Selbstekel und Hinrichtungen durch Suizide ersetzt.“, zitiert nach: Klauda, S. 85 f.

128 Diese Frage haben wir im Rahmen der Klassenanalyse eingehend diskutiert. Vgl.: „Die Arbeiter:innenklasse als revolutionäres Subjekt“, Kommunismus 19

129 Vgl.: Marx, “Thesen über Feuerbach”, MEW 3, S. 6

130 Vgl. „Grundschulung Patriarchat“, https://komaufbau.org/wp-content/uploads/2021/01/GS-3-Patriarchat.pdf

131 „Auf der ersten und zweiten Entwicklungsstufe der Menschheit, d.h. dem Stadium der Jäger:innen und Sammler:innen („Wildheit“, „Barbarei“), gab es keine größeren Unterschiede zwischen den körperlichen Eigenschaften der Frau und des Mannes, ihrer Stärke und Gelenkigkeit. Viele für die Frau heute in der patriarchalen Gesellschaft wichtige körperliche Züge entwickelten sich erst bedeutend später, seitdem die Frau Generation um Generation mit ihrer Rolle als ‚Hausfrau und Mutter‘ die Fortpflanzung der Menschheit zu garantieren hatte.“, „Grundschulung Patriarchat“, S. 121, https://komaufbau.org/wp-content/uploads/2021/01/GS-3-Patriarchat.pdf

132 Neueren Forschungsergebnissen zufolge kommen gleichgeschlechtliche Paarungen bei etwa 1500 Tierarten vor. Vgl. „Dank Sex mehr Kooperation“, Max-Planck-Gesellschaft, www.mpg.de/13882764/dank-sex-mehr-kooperation, sowie https://www.dw.com/de/schwule-lesben-und-bisexuelle-im-tierreich-ganz-normal/a-39966868

133 Zahlen von 2017 aus: „Obdachlosigkeit – Zahlen und Fakten“, www.suedwind-magazin.at/obdachlosigkeit-zahlen-und-fakten

134 Julius Strupp, „Pride 2020: Kämpfen wir für unsere Rechte als LGBTI+ Personen!“, https://perspektive-online.net/2020/06/pride-2020-kaempfen-wir-fuer-unsere-rechte-als-lgbti-personen

135 https://www.buzzfeed.com/regajha/how-privileged-are-you

136 Vgl.: „Die Arbeiter:innenklasse als revolutionäres Subjekt“, Kommunismus 19

137 „Der Begriff Identitätspolitik ist mehrdeutig. Er wird oft für drei grundlegend verschiedene Bewegungen oder Initiativen verwendet: erstens für soziale Bewegungen, speziell die Frauenbewegung, die Antirassismus-Bewegung und die Schwulenbewegung; zweitens für fundamentalistische Bewegungen; drittens aber auch für rechtskonservative bis rechtsextreme Politikansätze.“, Auernheimer, „Identität und Identitätspolitik“, Papyrossa 2020, S. 16

138 Am klarsten umreißt der Autor des Papyrossa-Bands „Identität und Identitätspolitik“ das, was er unter dem Begriff meint, in dem Abschnitt „Wozu Identität?“: „In der Gesellschaft privater Warenbesitzer, in der der einzelne weitgehend über Ware-Geld-Beziehungen mit den anderen verbunden ist und, bildlich gesprochen, ‚seinen gesellschaftlichen Zusammenhang mit der Gesellschaft in der Tasche mit sich (trägt)‘, sind also persönliche Abhängigkeiten einer abstrakten Abhängigkeit gewichen vom Wohnungsmarkt, vom Arbeitsmarkt, allgemein von der wirtschaftlichen Konjunktur, eventuell von der Entwicklung des Unternehmens, bei dem man beschäftigt ist. Damit ist für das Subjekt die Wahrnehmung einer Trennung von Innen- und Außenwelt verbunden. Im Grund ergeben sich die mit Identität verbundenen Anforderungen an das Subjekt aus der allgemeinen Entfremdung. (…) Mit der Lohnarbeit ist die individuelle Reproduktion in der Privatform verknüpft. Deshalb muss sich in diesem System jedes Individuum als mündiges Vertragssubjekt bewähren. Es wird zwar in eine bestimmte Familie innerhalb einer bestimmten sozialen Schicht hineingeboren, aber dennoch wird von ihm ungeachtet der damit gesteckten Grenzen erwartet, dass es sich die Frage stellt: Wer bin ich, wer möchte ich sein und werden? Wie gestalte ich mein Leben? (…) Der oder die einzelne muss sich (…) ins Verhältnis setzen zu sich selbst und zur Gesellschaft. Das ist anders in traditionellen Gemeinwesen, wo dem einzelnen sein sozialer Ort von der gesellschaftlichen Umwelt zugewiesen wurde.“, Auernheimer, „Identität und Identitätspolitik“, S. 16 f.

139 Vgl.: „Die Arbeiter:innenklasse als revolutionäres Subjekt“, Kommunismus 19

140 Auernheimer, „Identität und Identitätspolitik“, S. 17