Zum Einstieg
Die Lage in Kurdistan, der islamische Fundamentalismus und der Kampf um Einfluss in Ostasie,n die wir in unserer Kommunismus-Ausgabe #11 analysieren, haben eine gemeinsame Grundlage, die in den Begriffen Geopolitik und Geostrategie zum Ausdruck kommt. Daher sollen zunächst beide Begriffe, ihr Zusammenhang und ihre Bedeutung für die KommunistInnen erläutert werden.
Geopolitik beschäftigt sich mit dem Einfluss geografischer Faktoren auf die gesellschaftliche Ordnung. Ein einfaches Beispiel wären Flüsse, die geschichtlich als natürliche Handels- und Kommunikationswege Lebensadern der gesellschaftlichen Entwicklung gewesen sind. In Deutschland z.B. laufen die drei großen Flüsse Rhein, Donau und Elbe auseinander. Dies hat die dezentrale Struktur des Landes, die eine Besonderheit des deutschen Imperialismus bildet, sozusagen geografisch vorher bestimmt.
Geopolitik reicht über solche einfachen Faktoren hinaus zu komplexeren Zusammenhängen. Ein aktuelles Beispiel wäre die Ausbeutung unkonventioneller Öl- und Gasvorkommen durch Fracking. Solche Vorkommen befinden sich insbesondere auf dem nordamerikanischen Kontinent. Dieser geografische Faktor hat gewaltige geopolitische Auswirkungen. Sehr stark verkürzt formuliert bietet Fracking die Möglichkeit für den US-Imperialismus, seine globale Strategie in Bezug auf Westasien („Mittlerer Osten“) zu ändern. Die jahrzehntelange Abhängigkeit vom arabischen Öl schwindet. Damit verschwindet auch die Notwendigkeit, die Region selbst zu kontrollieren. Stattdessen genügt es zukünftig zu verhindern, dass imperialistische Konkurrenten die Kontrolle über die Region erlangen.
Geostrategie kann man als die Staats- und Kriegskunst in großen geografischen Räumen beschreiben. Sie wird von den globalen imperialistischen Playern im Weltmaßstab und von kapitalistischen Regionalmächten – dann begrenzt auf angrenzende Gebiete – betrieben. Wenn man Strategie vereinfacht als den Weg zum Ziel umschreibt, dann bildet die „kreative Zerstörung“ eine indirekte Strategie des US-Imperialismus. Durch das sogenannte „Greater Middle East Project“ wird Westasien durch Entfesselung von Kriegen, Auflösung von relativ starken, arabischen Zentralstaaten, Schüren regionaler Konkurrenz (z.B. zwischen Schiiten und Sunniten bzw. Iran und Saudi-Arabien) usw. ins Chaos gestürzt. Auf diesem Weg soll verhindert werden, dass eine feindliche Macht (z.B. ein Bündnis von Russland und China) die Kontrolle über das dortige Öl übernimmt. U.a. mit dieser geostrategischen Ausrichtung soll das Ziel der Aufrechterhaltung der weltweiten Vorherrschaft des US-Imperialismus im 21. Jahrhundert erreicht werden.
Viele politische Erscheinungen können nicht verstanden werden, ohne sich zumindest ein Grundverständnis über Geopolitik und Geostrategie und ihrer Bedeutung in der imperialistischen Konkurrenz anzueignen. Am offensichtlichsten wird dies vielleicht anhand der hochkomplexen und sehr dynamischen Lage in Kurdistan, an deren widersprüchlicher Realität sich eine dogmatische deutsche Linke regelmäßig die Zähne ausbeißt.
Aus kommunistischer Sicht gehört die Beschäftigung mit Geopolitik und Geostrategie zur Feindanalyse. Sie ersetzt nicht den historischen Materialismus – der Klassenkampf bleibt Triebfeder der gesellschaftlichen Entwicklung. Aber sie ist ein notwendiges Teilgebiet, um uns selbst in widersprüchlichen und dynamischen Verhältnissen zurecht zu finden und unseren Weg zum Ziel der sozialistischen Revolution korrekt zu bestimmen.