Ökonomische und philosophische Grundlagen
Wollen wir uns heute den Fragen von Geschlecht und Sexualität widmen, dann benötigen wir ein gewisses Maß an Grundlagenwissen. Um unsere Ausarbeitungen nachvollziehbar zu gestalten, wollen wir die wichtigsten dieser Grundlagen in den folgenden Absätzen kurz erläutern – das ersetzt natürlich kein umfassendes Studium dieser Fragen.
Als Marxist:innen stützen wir uns dabei auf die Philosophie des dialektischen Materialismus. Dieser erfasst die Welt auf der Grundlage der Analyse der objektiven Realität und stellt keine vorher konstruierten Prinzipien auf, die dann versucht werden, zu untermauern. Hierbei wird sich auf die Erkenntnisse der Wissenschaft gestützt, diese verallgemeinert und so die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der Welt herausgearbeitet.
In Bezug auf Geschlecht und Sexualität scheint es besonders viel Verwirrung zu geben, weshalb wir uns für einen kurzen Exkurs über die objektive Realität und den damit einhergehenden Materiebegriff entschieden haben. Außerdem denken wir, dass für das heutige Geschlechtsverständnis eine kurze Einführung in die marxistische Persönlichkeitstheorie unabdinglich ist.
Materielle Grundlage von Geschlecht und Sexualität
Wollen wir uns der Frage des Geschlechts und der Sexualität widmen, sie innerhalb des Kapitalismus analysieren und schlussendlich eben auch Grundlagen für die Befreiung und Revolutionierung der Geschlechter legen, dann müssen wir uns mit ihrer materiellen Basis auseinandersetzen. Vereinfacht bedeutet das, zu untersuchen, was über verschiedene Gesellschaftsformen hinweg die Grundlage für die Entwicklung des menschlichen Geschlechts und der Sexualität bildet.
Damit kein Interpretationsspielraum offen bleibt, möchten wir bereits von Beginn an darüber Klarheit schaffen, was wir als materielle Grundlage verstehen. Denn insbesondere in der Debatte rund um Geschlecht, aber eben auch Sexualität, wird der Begriff immer wieder nach verschiedenen Spielarten des Idealismus fehlinterpretiert. Die Spannweite dieser Fehler reicht hier über verschiedene postmoderne Ansätze bis weit in die kommunistische Bewegung hinein.
Während durch den Postmodernismus die Existenz einer objektiven Realität in verschieden starken Abstufungen geleugnet wird, wird in der kommunistischen Bewegung vor allem in Fragen des Geschlechts und der Sexualität mit einem einseitig verzerrten und letztlich verfälschten Materiebegriff gearbeitet. Gerade hier können wir häufig Schritte zurück zu einem rein mechanischen Materialismus beobachten, bei welchem sich „Materie“ und „materielle Grundlagen“ nur noch auf das oberflächlich empirisch Untersuchbare beziehen.
Dieses Verständnis steht einem marxistischen Verständnis von Materie diametral entgegen. Es klammert die tiefer liegenden dialektischen Prozesse der gesellschaftlichen Verhältnisse als Teil der objektiven, materiellen Realität aus. Wir wollen dem einen marxistischen Materiebegriff entgegenstellen: Wenn wir philosophisch von Materie sprechen, meinen wir mit dem Begriff Materie die gesamte Außenwelt mit allen ihren Erscheinungen (im Folgenden auch als objektive Realität bezeichnet). Sie besteht unabhängig vom menschlichen Bewusstsein und wird durch dieses abgebildet. Als Menschen sind wir zwar Bestandteil der natürlichen Umwelt, aber ab der Entstehung menschlicher Gesellschaften wurden diese zu den bestimmenden Verhältnissen. Wiederum für diese Gesellschaften ist die Produktionsweise das Fundament, auf dem alle weiteren Elemente aufbauen. Zu diesen Elementen gehören auch die Geschlechterverhältnisse und darauf aufbauend die dadurch geprägte menschliche Sexualität.
Ausbeutung / Unterdrückung – Basis / Überbau
Die Produktionsweise ist die Basis der Gesellschaft. Sie ist die Art und Weise, wie die Mittel für das Überleben der Menschen gewonnen werden. Zur Produktionsweise gehören die Produktivkräfte (Werkzeuge, Arbeitsmittel, Menschen) und die Produktionsverhältnisse (Eigentumsverhältnisse, Arbeitsteilung, Verteilungsverhältnisse). Auf ihrer Grundlage entwickeln sich die gesellschaftlichen Einrichtungen und Ideen, die auch als Überbau bezeichnet werden. Hierzu zählen zum Beispiel der Staat, Moral, Kunst und Kultur oder politische Parteien. Basis und Überbau befinden sich in einer dialektischen Einheit. Das bedeutet, dass sie in ständiger Bewegung sind und in gegenseitiger Wechselwirkung stehen, wobei die Basis in letzter Instanz den Ursprung des Überbaus darstellt. So entstehen neue gesellschaftliche Ideen erst, nachdem die bisherige Produktionsweise die Menschen vor neue Herausforderungen stellt. Dann jedoch können diese Ideen zu einer bedeutenden Kraft zur Veränderung der Gesellschaft werden.
In Bezug auf Geschlecht und Sexualität ist das wichtig zu verstehen, da das Patriarchat als besonderes menschliches Verhältnis ebenfalls Teil der ökonomischen Basis ist, und nicht nur Teil des gesellschaftlichen Überbaus. Es ist schon mit seiner Entstehungsgeschichte in der Produktionsweise verankert, da es mit der Entwicklung des Privateigentums und der ersten gesellschaftlichen Arbeitsteilung nach Geschlecht einhergeht. Im Kapitalismus führt die vorrangig von Frauen privat geleistete Reproduktionsarbeit zu einer Senkung des Werts der Arbeitskraft aller Arbeiter:innen, weshalb es für die Kapitalist:innen ein ökonomisches Interesse ist, diese mehrfache Form der Ausbeutung aufrecht zu erhalten. Aus der ökonomischen Grundlage folgen die gesellschaftliche Unterdrückung und die verschiedenen patriarchalen Ideen, Vorstellungen und Theorien des Überbaus.
Das Geschlecht und seine Dimensionen
Als Marxist:innen machen wir einen klaren Unterschied zwischen Menschen und Tieren, vor allem auf Grund unserer Fähigkeit, komplexe Gedanken und soziale Beziehungen zu entwickeln. Wir sind zwar Bestandteil der natürlichen Umwelt, aber ab der Entstehung menschlicher Gesellschaften wurden diese zu den bestimmenden Verhältnissen. Wiederum für diese Gesellschaften sind die Produktionsverhältnisse das grundlegende Fundament, auf dem alle weiteren Elemente aufbauen.
Zu diesen Elementen gehören auch die Geschlechterverhältnisse. Um diese in ihrer Entwicklung und in ihrer heutigen Form richtig analysieren zu können, brauchen wir zu Beginn ein Verständnis dafür, womit wir es bei der Frage nach dem Geschlecht überhaupt zu tun haben. Dabei wollen wir uns an dieser Stelle zunächst nicht damit aufhalten, alle möglichen kursierenden idealistischen Definitionen darzustellen. Stattdessen werden wir unseren Ansatz skizzieren und darlegen, was wir im weiteren Verlauf meinen, wenn wir von Geschlecht sprechen.
Drei Dimensionen
Was wir mit dem Begriff Geschlecht heute ausdrücken, ist ein Komplex aus drei Dimensionen, die sich gegenseitig in unterschiedlichem Maße beeinflussen. Wir sprechen von körperlichen Geschlechtsmerkmalen, der gesellschaftlichen Geschlechtsfunktion und der geschlechtlichen Ebene der Persönlichkeit.
Erste Dimension: Körperliche Geschlechtsmerkmale
Die körperlichen Geschlechtsmerkmale werden oftmals auch als „biologisches Geschlecht“ bezeichnet. Die Biologie als „Wissenschaft der Lebewesen“ ist als wissenschaftliche Disziplin jedoch genauso den Klassen- und Geschlechterverhältnissen unterworfen, weswegen wir „körperlich“ als den konkreteren Ausdruck verstehen, um auszudrücken, dass es sich hierbei um die Frage der Fortpflanzungsorgane, Hormone, Chromosomen usw. handelt. Diese Merkmale treten bei verschiedenen Lebewesen meist in ähnlichen Kombinationen auf. Bei Säugetieren wird heute in der Regel weiblich über die Bereitstellung von Eizellen und männlich über die Beisteuerung von Samenzellen definiert, also die Beiträge zur Reproduktion der Spezies.
Diese unterschiedlichen Beiträge zur Fortpflanzung gibt es auch beim Menschen. Als am häufigsten auftretende Merkmalskombinationen gibt es zwei Pole, die wir uns als zwei Enden eines Spektrums vorstellen können. Der männliche Pol mit den klassischen Merkmalen Penis, Hoden, XY-Chromosomen usw. und der weibliche Pol mit Vulva, Eierstöcken, XX-Chromosomen usw. Darüber hinaus gibt es jedoch auch andere Merkmalskombinationen als diese. Hier lassen sich zwei Arten von „Abweichungen“ unterscheiden: Zum einen gibt es zum Beispiel Menschen, die sowohl Hoden als auch Eierstöcke besitzen oder die mit XY-Chromosomen geboren werden, aber keinen Penis haben. Diese Art der angeborenen körperlichen Ausprägung wird als intergeschlechtlich bezeichnet. Zum anderen können transgeschlechtliche Personen, auf die wir an späterer Stelle noch genauer eingehen werden, ebenfalls unterschiedliche Kombinationen an körperlichen Merkmalen aufweisen. Diese sind bewusst herbeigeführt und beruhen u. a. auf der gleichartigen Wirkung von Hormonen in allen menschlichen Körpern. So ist es zum Beispiel für trans Frauen möglich, durch eine Hormontherapie mit Östrogen Brustwachstum zu entwickeln.
Körperliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechtern sind seit den ersten Schritten der Medizin und der Biologie Forschungsfeld. Mithilfe ihrer Entdeckungen wurde das jeweilige zum Zeitpunkt herrschende patriarchale Geschlechterverhältnis begründet und gerechtfertigt. So wurde sich zum Beispiel im 18. und 19. Jahrhundert viel mit der Größe und dem Gewicht des Gehirns beschäftigt, und aus geringeren Durchschnittswerten bei Frauen auf eine geringere Intelligenz geschlossen. Die Entdeckung der X und Y Chromosome, die erst am Ende des 20. Jahrhundert erfolgte, hatte zudem weitreichende Konsequenzen für Menschen, bei denen allein durch ihr Äußeres kein Zweifel an ihrem
Geschlecht aufgekommen wären.
Der Unterschied zwischen Zweigeschlechtlichkeit und binärem Geschlechtersystem
Als zweigeschlechtlich wird die sexuelle Fortpflanzung von Lebewesen mit einem Zellkern (wie dem Menschen) bezeichnet, da zwei unterschiedliche Geschlechtszellen gebildet werden, die bei der Befruchtung zu einer Zelle verschmelzen, aus der ein neues Lebewesen entsteht.
Im Unterschied dazu wird mit binärem Geschlechtersystem nicht die Art der Fortpflanzung bezeichnet, sondern die daraus abgeleitete gesellschaftliche Vorstellung, dass es auf allen Ebenen nur genau zwei Geschlechter – Mann und Frau – gebe.
Zweite Dimension: Gesellschaftliche Geschlechtsfunktionen
Die gesellschaftlichen Geschlechtsfunktionen bauen auf den körperlichen Merkmalen auf und weisen den beiden Polen Männer und Frauen gesellschaftliche Funktionen im herrschenden System zu, auf die wir noch genauer eingehen werden. Seit Jahrtausenden führen die äußerlich sichtbaren körperlichen Unterschiede dazu, dass jedes geborene Kind einem Geschlecht zugeordnet wird. Kinder, bei denen die Geschlechtsorgane „eindeutig“ zugeordnet werden können, werden entweder als Jungen oder als Mädchen aufgezogen. Mit Kindern mit „uneindeutigen“ Geschlechtsorganen wurde in der Geschichte unterschiedlich umgegangen. Sie konnten als so etwas wie ein „schlechtes Omen“ betrachtet und ermordet werden, oder es wurde festgelegt, im Sinne welchen Geschlechts sie aufwachsen sollen. In seltenen Fällen konnten sie in vereinzelten Völkern auch besondere gesellschaftliche Rollen einnehmen. Heute werden bei diesen Kindern in sehr vielen Fällen sofort Operationen vorgenommen. Die allermeisten von ihnen sind nicht dazu da, fehlende notwendige Funktionen herzustellen, wie zum Beispiel das Urinieren, sondern sind ausschließlich kosmetischer Natur. Sie dienen also rein dem Zweck, dass die Geschlechtsorgane möglichst der Norm entsprechend aussehen sollen. Intergeschlechtliche Personen berichten dabei häufig von entstandenen Traumata durch mehrfache Operationen in einem Alter, in dem Eltern diese Entscheidung treffen, ohne dass die Kinder ihren Willen dazu äußern konnten. In Deutschland gilt seit 2021 ein Gesetz, das einige nicht medizinisch notwendige Eingriffe verbietet. Dieses bietet jedoch nur bedingten Schutz für inter Personen, da nicht alle nicht notwendigen Eingriffe verboten wurden.1 Dadurch werden auch heute noch die meisten intergeschlechtlichen Kinder nach Entscheidung der Ärzt:innen und ihrer Eltern einem Geschlecht zugeordnet. Auch die Möglichkeit, den dritten Geschlechtseintrags „divers“ zu nutzen, der nach langen gesellschaftlichen Kämpfen eingeführt wurde, hat daran bisher kaum etwas geändert. Darüber hinaus kann Intergeschlechtlichkeit jedoch auch erst im Verlauf des Lebens „bemerkbar“ werden, etwa während der Pubertät, zum Beispiel durch besonders starken Haarwuchs oder Ähnliches. Wenn wir davon sprechen, dass die gesellschaftliche Geschlechtsfunktion auf den körperlichen Merkmalen aufbaut, dann handelt es sich dabei um eine allgemein-gesellschaftliche sowie eine konkret-individuelle Entwicklung. So basieren die gesellschaftlichen Funktionen für Mann und Frau auf den zwei biologischen Polen männlich und weiblich. Aber auch wird, wer als Kind mit männlichen/weiblichen Merkmalen auf die Welt kommt, als Junge/Mädchen erzogen. Ziel davon ist, dass in Zukunft die gesellschaftliche Funktion eines Mannes/einer Frau erfüllt wird. In unserer Analyse zum Postmodernismus haben wir bereits festgestellt, dass insgesamt die gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen die bestimmende Rolle gegenüber den physiologischen Merkmalen und biologischen Funktionen erlangen:
„Die Daseinsweise bei Pflanzen und Tieren ergibt sich im wesentlichen aus ihren biologischen Merkmalen, auch wenn diese bei höheren Pflanzen und Tieren immer komplexer werden und z. B. das Zusammenleben von Tieren in Gruppen auf sie zurückwirkt. Im Gegensatz dazu ergibt sich die menschliche Daseinsweise im wesentlichen aus den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen die Menschen leben, arbeiten, essen, sich fortpflanzen usw. und die vor allem durch die Produktionsverhältnisse bestimmt werden.“2
Das gilt auch beim Geschlecht. Die gesellschaftliche Funktion nimmt beim Menschen gegenüber der Natur die bestimmende Rolle ein. Erscheinungen wie zum Beispiel patriarchale Gewalt sind nicht das Ergebnis bestimmter Hormone oder Organe, sondern entstehen in erster Linie aus den gesellschaftlichen Verhältnissen.
Dritte Dimension: Geschlechtliche Ebene der Persönlichkeit
Auf Grundlage der Bedeutung der Geschlechterverhältnisse innerhalb der menschlichen Gesellschaft in den letzten Jahrtausenden führt das Zusammenspiel von körperlichen Merkmalen und gesellschaftlichen Funktionen dazu, dass das eigene Geschlecht zu einem prägenden Merkmal für die Persönlichkeitsstruktur der Menschen wird. Diese geschlechtliche Ebene der Persönlichkeit wird heute im Sinne eines Selbstverständnisses allgemein auch als „Geschlechtsidentität“ bezeichnet. Wir verzichten auch an dieser Stelle auf den sich bereits im Umlauf befindenden Begriff, da er unserer Meinung nach irreführend ist. Die meisten Ansätze, „Identität“ zu definieren, laufen auf idealistische Konzepte hinaus (siehe Kasten). Unter Persönlichkeit hingegen verstehen wir das Grundgerüst, auf dem das alltägliche Bewusstsein einer Person aufbaut. Das Bewusstsein wiederum umfasst alle sinnlichen und rationalen Widerspiegelungsformen sowie den Bereich der menschlichen Emotionen und des Willens. Die Psyche, das Bewusstsein und die Persönlichkeit jedes einzelnen Individuums werden durch all jene natürlichen und gesellschaftlichen Einflüsse, die es umgeben, geprägt. Dabei spielen nicht nur die jeweils gegebenen Verhältnisse, gesellschaftlichen Strukturen und Widersprüche, sondern auch ihre historische Entstehung und dauerhafte Veränderung eine entscheidende Rolle3. So ist es auch beim Verhältnis eines Individuums zum eigenen Geschlecht. Das „gesellschaftliche Geschlecht“ als Funktion, die es in der patriarchalen Gesellschaft zu erfüllen gilt, wird sich in dem Sinne zu eigen gemacht, dass es von einem äußeren Zwang zu einer vermeintlich natürlichen Tatsache wird. Über die enorme Bedeutung dieser Funktion wird sie zudem auch zu einem bedeutendem Teil der Persönlichkeit. Welches Geschlecht das Individuum hat, hat in jedem Bereich des Lebens Konsequenzen.
Dabei macht es einen qualitativen Unterschied, inwieweit die drei skizzierten Dimensionen von Geschlecht bei einem Individuum miteinander übereinstimmen. Es macht einen Unterschied, ob die geschlechtliche Ebene der Persönlichkeit mit der gesellschaftlichen zugewiesenen Rolle, die aufgrund der körperlichen Merkmale bestimmt wird, übereinstimmt, oder ob diese weitgehend davon abweicht. Trans Personen, die nicht der ihnen aufgrund ihrer körperlichen Merkmale zugewiesenen gesellschaftlichen Rolle entsprechen, befinden sich in einem tiefgreifenden Widerspruch. Innerhalb der auf Geschlecht beruhenden Arbeitsteilung in der patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft haben sie keine Funktion. Dabei spielt es erst einmal keine Rolle, ob wir von trans Männern, trans Frauen oder nicht-binären Personen sprechen. Transgeschlechtliche Arbeiter:innen befinden sich dadurch heute in dem dauerhaften Widerspruch, Teil einer Gesellschaft und ihrem Anpassungsdruck ausgesetzt zu sein, und gleichzeitig aber aufgrund ihres Geschlechts und seiner mangelnden Funktion aus dieser Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. Dieser Widerspruch spielt sich in allen Dimensionen des Geschlechts ab und kann in verschiedene Richtungen aufgelöst werden, wobei durch die bürgerliche Gesellschaft sehr enge Grenzen gesetzt sind.
Identität und Geschlechtsidentität
In Kommunismus #22 wurden bereits Erkenntnisse zu Fragen einer marxistischen Psychologie festgehalten. Darin wird festgestellt, dass in der idealistischen bürgerlichen Philosophie die Identität eines Individuums zu einem rein gedanklich veränderbaren Phänomen gemacht wird. Das ist zu sehen, wenn man verschiedene bürgerliche Erklärungsansätze der letzten Jahrzehnte betrachtet. Auch wenn es keine klare Definition des Identitätsbegriffs gibt, haben die meisten Theorien gemein, dass die Identität eines Menschen alle seine Eigenschaften umfassen soll, die ihn als Individuum von anderen unterscheidet. Gleichzeitig besteht sie nicht einfach so, sondern muss permanent hergestellt werden, je nach Theorie zum Beispiel durch Sprache oder durch Selbstreflexion des Individuums. Die materiellen Grundlagen der Gesellschaft und ihre bestimmenden Eigenschaften werden dabei entweder außen vor gelassen und gleichrangig neben Erscheinungen des Überbaus genannt.
So sieht es ebenfalls beim Begriff der Geschlechtsidentität aus, der im Allgemeinen alle irgendwie mit dem Geschlecht zusammenhängenden Aspekte der Identität umfassen soll. Eine Grundlage für diese Form der Identität wird ebenfalls gar nicht oder nur in Form von Gefühlen, die einfach „da“ seien, gegeben. Zusätzlich kann der Begriff der Geschlechtsidentität einen besonders individualistischen Umgang ausdrücken: Ist die Identität etwas individuelles, ist es somit auch die Geschlechtsidentität. Konsequent zu Ende gedacht hätte damit jedes menschliche Individuum seine eigene Geschlechtsidentität, die sich von allen anderen unterscheidet. Dabei gibt es sicherlich Unterschiede, so wie jeder Mensch eine eigene Persönlichkeit hat. Trotzdem sind wir alle Teil der objektiven Realität und werden durch diese geformt. So wird auch unser Verständnis von unserem eigenen Geschlecht durch die objektive Realität geformt, wodurch diese eben keine individuelle Frage unseres Gefühls ist.
Begriffserklärungen
Geschlechterverhältnisse:
Umfasst die gesellschaftliche Stellung der Geschlechter und ihre Beziehung zueinander, sowie die Frage, für welche Geschlechter eine Funktion vorhanden ist.
Körperliche Geschlechtsmerkmale (Erste Dimension):
Alle Bestandteile des Körpers, die jeweils einem Geschlecht zugeordnet werden, wie Fortpflanzungsorgane oder Chromosomenpaare, aber auch Dinge, deren Ausprägung bzw. Menge im Körper einem Geschlecht zugeordnet werden, wie zum Beispiel Stimmlage, Barthaare, Hormone usw.
Gesellschaftliche Geschlechtsfunktion (Zweite Dimension):
Die Funktion, die aufgrund der gesellschaftlichen Arbeitsteilung einem Geschlecht zugeordnet wird. Sie umfasst neben der ökonomischen Aufteilung (produktive und reproduktive Arbeit) auch weitere darauf aufbauende Funktionen (Männer als Unterdrücker in persönlichen Beziehungen usw.).
Geschlechtliche Ebene der Persönlichkeit (Dritte Dimension):
Die Widerspiegelung und Verarbeitung aller durch Körper und Gesellschaft bestehenden Eindrücke zum eigenen Geschlecht. Hier entwickelt sich die Erkenntnis über das eigene Geschlecht.
Geschlechtsbewusstsein:
Im weiteren Sinne ein Teil des Klassenbewusstseins. Politisches Bewusstsein über die Funktion des eigenen Geschlechts im Patriarchat, die Konsequenzen daraus für das eigene Denken, Fühlen und Handeln und die Einsicht in die Notwendigkeit, die eigenen patriarchalen und bürgerlichen Vorstellungen und Verhaltensweisen zu revolutionieren.
Historische Entwicklung der Geschlechterverhältnisse
Bevor wir diese Aspekte weiter vertiefen und ihre Zusammenhänge detaillierter betrachten, wollen wir an dieser Stelle unter Berücksichtigung des bisher gesagten die historische Entwicklung der Geschlechterverhältnisse knapp darstellen. Die Darstellung hat für unseren Zweck nicht den Anspruch, vollständig zu sein. Dazu kommt insgesamt eine mangelhafte Quellenlage der bürgerlichen Geschichtswissenschaft bezogen auf die Untersuchung der Geschlechterverhältnisse. Trotzdem soll sie uns helfen zu verstehen, wie wir überhaupt zu unserem heutigen Verständnis der Geschlechterfrage gekommen sind.
Die Geschichte der Menschheit beginnt mit ihrer Lösung aus dem Tierreich durch die Arbeit. Ab dem Zeitpunkt dieser Trennung entwickelt sich das menschliche Dasein im Wesentlichen aus den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen sie leben, welche wiederum durch die Produktionsverhältnisse bestimmt werden. Alle Aspekte des menschlichen Lebens entstehen hauptsächlich auf dieser Grundlage – so auch alles rund um das menschliche Geschlecht. Die Geschlechterverhältnisse ergaben und ergeben sich aus den Produktionsverhältnissen. Mit der Entstehung von Klassen unterscheiden sie sich zusätzlich nach der Klassenzugehörigkeit.
Urgesellschaft
Die Urgesellschaft stellt die erste Gesellschaftsformation der Menschheit dar. Aufgrund der niedrigen Entwicklung der Produktivkräfte, dem Leben von der Hand in den Mund, war sie die bisher einzige klassenlose Gesellschaft. Die Anhäufung von Reichtum war unmöglich, es gab weder Ausbeutung noch Privateigentum an Produktionsmitteln. Unterdrückung des Menschen durch den Menschen war unbekannt, da es an der materiellen Grundlage für ihre Aufrechterhaltung fehlte.
Die einzig relevante Dimension des Geschlechts waren zu diesem Zeitpunkt körperliche Unterschiede, die allein für die Fortpflanzung eine Rolle spielten. In der weiteren Entwicklung entstanden in manchen Gemeinschaften später zwar erste Hierarchien und ein Matriarchat, welches durch den Vorsitz einer Gemeinschaft durch eine gemeinsame Mutter gekennzeichnet war. Es gab aber keine Unterdrückung oder Ausbeutung auf der Grundlage des Geschlechts. Für die Entwicklung des Patriarchats, der Vorherrschaft der Männer, mangelte es noch an zwei Faktoren: Dem Privateigentum und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Entgegen verbreiteten bürgerlichen Darstellungen dieser Epoche der Menschheit mussten alle Mitglieder einer Gemeinschaft jagen und sammeln gehen. So lange die Menschen vor ihrer Sesshaftigkeit lebten, konnten auch Schwangerschaften nur zu kurzen Unterbrechungen dieser Tätigkeiten führen. Jede Kraft wurde für die Nahrungsversorgung gebraucht, da keine Reserven angelegt werden konnten.
Die Produktivkräfte blieben aber nicht auf ihrem geringen Niveau stehen. Ackerbau und Viehzucht entstanden, man erfand neue Werkzeuge und es gelang, mehr zu produzieren, als zu verbrauchen. Der überschüssige Teil, das Mehrprodukt, führte zur Entstehung des Privateigentums und einer neuen gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Das Patriarchat war ein Produkt dieser beiden Entwicklungen.4 Die Aufspaltung in produktive und reproduktive Arbeit fand anhand der sich entwickelnden gesellschaftlichen Aufgaben und damit anhand der Geschlechter statt. Schwangere oder Frauen mit kleinen Kindern blieben nun eher an einem Ort und kümmerten sich vorrangig um die Versorgung der Gemeinschaft und häusliche Aufgaben. Es war der Beginn der Entwicklung der gesellschaftlichen Geschlechtsfunktion, das heißt der Kategorien Mann und Frau mit jeweils unterschiedlichen enthaltenen gesellschaftlichen Funktionen.
Als zentrale Säule der neuen Geschlechterverhältnisse entsteht die patriarchale Familie mit dem Mann als Oberhaupt.
Der Mann wird zum Unterdrücker und die Frau zur Unterdrückten in der Gesellschaft. Andere Geschlechter konnten nur noch insofern existieren, als dass ihnen andere gesellschaftliche Funktionen, zum Beispiel religiöser Art, zugewiesen wurden. Solche „dritten“ Geschlechter gab es zu verschiedenen Zeitpunkten in unterschiedlichen Regionen der Welt und sie existieren teilweise heute noch, müssen jedoch als Überbleibsel älterer Gesellschaftsformationen angesehen werden und unterscheiden sich in ihrer gesellschaftlichen Funktion von trans- und intergeschlechtlichen Personen im Imperialismus5. Wer ohne einen besonderen Status von den vorherrschenden Normen abwich, wurde nun ebenfalls unterdrückt. Der Ursprung der Unterdrückung menschlicher Geschlechter jenseits von Mann und Frau liegt also ebenfalls in der Entstehung des Privateigentums und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung.
Das Patriarchat durchzieht ab dem Zeitpunkt seiner Entstehung alle Stufen der menschlichen Entwicklung als Teil der ökonomischen Basis und des gesellschaftlichen Überbaus und wird erst im Kommunismus aufhören zu existieren. Das unterscheidet das Patriarchat im Gesamten von anderen Unterdrückungsmechanismen. In seinen Erscheinungen hat es sich immer wieder angepasst und auch heute noch erleben wir die Flexibilität, mit der seine Herrschaft aufrechterhalten wird.
Sklavenhaltergesellschaft
Auf die Urgesellschaft folgte die Sklavenhaltergesellschaft, welche die erste Ausbeuter:innengesellschaft darstellt. In der Übergangsperiode zwischen ihnen entstanden die gesellschaftlichen Klassen und der Staat, welche auch neue Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse mit sich brachten. Es entwickelten sich Ideologien der Herrschenden, die zu den herrschenden Ideologien wurden, welche die Ideen der Menschen über sich selbst und das Zusammenleben mit anderen massiv beeinflussten.
In Europa spielen insbesondere die griechische und römische Antike eine bedeutende Rolle. Die Quellenlage ist hier ebenfalls begrenzt, einige Aussagen über die Geschlechterverhältnisse sind uns dennoch möglich. Ab jetzt müssen wir nach den verschiedenen Klassen der Gesellschaften unterscheiden, da die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Klasse wichtige Unterschiede für die konkreten Geschlechterverhältnisse bedeutet. Es lässt sich an dieser Stelle feststellen, was auch für alle weiteren Klassengesellschaften gilt: Die Kämpfe der ausgebeuteten und unterdrückten Klassen gegen die Herrschenden müssen von allen Geschlechtern gemeinsam geführt werden. Währenddessen profitieren die Frauen der herrschenden Klasse vom Patriarchat, da es der Aufrechterhaltung der jeweils bestehenden Ordnung dient. Gleichzeitig sind sie innerhalb ihrer Klasse gesellschaftlich unterdrückt.
In der Klasse der Sklav:innen waren alle, ganz unabhängig von ihrem Geschlecht, gleich rechtlos. Sie galten als Werkzeuge und konnten nach Belieben ihrer Besitzer:innen verkauft, missbraucht oder getötet werden.
In der Klasse der Sklavenhalter:innen gab es größere Unterschiede. Im Allgemeinen waren Frauen von Bürgerrechten ausgeschlossen und gezwungen, sich auf das Hauswesen und die Reproduktionsarbeit zu beschränken. Ausnahmen gab es zum Beispiel bei religiösen Priesterinnen oder in Phasen, in denen die ökonomische Situation Anpassungen verlangte und Frauen gewisse Rechte eingeräumt wurden, wie zum Beispiel Land zu besitzen. Auch hier gilt wieder für alle Entwicklungsstufen: Je nach den Bedürfnissen der ökonomischen Situation und Interessen der herrschenden Klassen kann es sowohl zu Fortschritten als auch Rückschritten kommen, was die Stellung der unterdrückten Geschlechter in der Gesellschaft anbelangt.
In der entstehenden Wissenschaft ging es vor allem um die Untersuchung der Fortpflanzung des Menschen. Grund dafür war die Frage der Vererbung, die nur an den legitimen, also vom Mann als Oberhaupt der Familie gezeugten Nachwuchs geschehen sollte. Allein über den Vater gab es jedoch keine Möglichkeit, diese Legitimität einwandfrei festzustellen. Aufgrund dessen wurde sich zum Beispiel viel damit beschäftigt, wie viel Mutter und Vater jeweils zum Aussehen des Kindes beitragen, und ob dementsprechend eine mangelnde Ähnlichkeit zum Vater berechtigte Zweifel bei der Abstammung aufwarf.
Zu Menschen mit nicht eindeutig einzuordnenden Genitalien gibt es Überlieferungen, dass sie im Kindesalter ausgesetzt oder ertränkt und Erwachsene getötet wurden. Im römischen Recht gab es zwar zeitweise Regelungen für „Hermaphroditen“, die entweder als Männer oder als Frauen vor dem Gesetz behandelt wurden. Hier gibt es jedoch keine Hinweise auf die Existenz eines juristischen „dritten“ Geschlechts6.
Feudalismus
Im Feudalismus bildeten die abhängigen Bäuer:innen und die Feudalherren, die von der Arbeit der Bäuer:innen lebten, die Hauptklassen der Unterdrückten und der Unterdrücker. Im Vergleich zu den Sklav:innen waren die Bäuer:innen nicht mehr vollständig rechtlos und die patriarchale Familie machte auch hier die Bäuerin zum Eigentum des Bauern. Die gesellschaftliche Arbeitsteilung schlug sich aber in einer neuen Form nieder: Bäuerinnen mussten sowohl im Haus als auch auf dem Feld arbeiten, um die eigene Versorgung zu sichern und die Abgaben an den Feudalherren produzieren zu können. Dies unterschied sie von den Frauen der Händler als Zwischenklasse oder des Hochadels, welche wiederum nur für die reproduktive Arbeit zuständig waren und keiner produktiven Tätigkeit nachgingen.
Eine Besonderheit stellten die Frauen im Handwerk da. Hier entstanden ganze Zünfte (Gemeinschaften im Handwerk, die Regeln für u. a. die Produktion, Löhne und Preise festlegen), die nur aus Frauen bestanden, während wiederum zeitweise Frauen aus anderen Zünften ausgeschlossen und Frauenarbeit komplett verboten wurde.
Betrachtungen und Forschungen der sich entwickelnden Wissenschaften Biologie und Medizin wurden immer wieder als Begründung für das gesellschaftliche Geschlechterverhältnis genutzt. So wurde die Minderwertigkeit der Frau für angeboren und unabänderlich erklärt, welche dann die dauerhafte Unterstellung unter männliche Vormünder rechtfertigte. Diese Vorstellung der Frau als „Mangelversion“ des Mannes wandelte sich dann teilweise zur Vorstellung, die Frau sei in ihrem Körper perfekt von Gott für ihre Aufgaben geschaffen, so wie der Mann für seine Aufgaben. Minderwertig war sie im Vergleich zum Mann aber weiterhin. Juristische Prozesse und medizinische Prüfungen für Menschen mit geschlechtlich „uneindeutigen“ körperlichen Merkmalen sind in dieser Zeit ebenfalls für Europa belegt7.
Kapitalismus
Mit dem Sieg der Bourgeoisie über den Adel in den verschiedenen bürgerlichen Revolutionen beginnt die Epoche des Kapitalismus im 16. Jahrhundert. Heute herrscht er auf der gesamten Welt und zwingt die Arbeiter:innenklasse in die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft durch die Kapitalist:innen.
In unserer Analyse der Situation der Frau im Kapitalismus haben wir uns bereits mit den Frauen der Arbeiter:innenklasse beschäftigt. Dort haben wir herausgearbeitet, dass das Patriarchat Bestandteil der Basis im Kapitalismus ist, da die massenhaft von Arbeiterinnen geleistete unbezahlte private Reproduktionsarbeit notwendiger Bestandteil der Produktionsweise ist. Sie senkt den Wert der Ware Arbeitskraft für die gesamte Arbeiter:innenklasse und ist notwendig für die kapitalistische Akkumulation. Ebenso benötigt das Kapital die Kleinfamilie als grundlegende Organisationsform der patriarchalen Unterdrückung. Ihre Funktion ist die Reproduktion der Ware Arbeitskraft, die Erziehung der nächsten Generation von Arbeiter:innen und die Spaltung der Arbeiter:innenklasse durch die Unterdrückung der Frau durch den Mann auch innerhalb der Klasse. Die Funktion des persönlichen Unterdrückers nimmt der Mann ebenfalls in Beziehung zu trans- und intergeschlechtlichen Personen ein, deren Unterwerfung unter die patriarchalen Geschlechterverhältnisse sichergestellt werden soll.
Im Vergleich zu früheren herrschenden Klassen ist der Unterschied nach Geschlecht innerhalb der Kapitalist:innenklasse sehr viel geringer. Menschen aller Geschlechter sind prinzipiell in der Lage, Produktionsmittel und große Anteile am gesellschaftlichen Vermögen zu besitzen und zu kontrollieren. Hierbei gibt es heute jedoch große Unterschiede zwischen verschiedenen Staaten, einerseits zwischen imperialistischen und unterdrückten Nationen, aber auch je nachdem auf welche Spielart der bürgerlichen Ideologie sich gestützt wird.
In imperialistischen Staaten wie den USA und Deutschland finden wir einerseits Menschen verschiedener Geschlechter in ökonomischen und politischen Spitzenpositionen, teils wird genau mit dieser „Diversität“ Werbung oder Wahlkampf betrieben und soll die Überlegenheit des eigenen Imperialismus beweisen. In Russland hingegen wird mehr auf die Repression als Integration der Frauen- und LGBTI+ Bewegung gesetzt. So wurde die gesamte LGBTI+ Bewegung 2023 zu einer „terroristischen Organisation“ erklärt8. Hier soll der Abwehrkampf gegen den „degenerierten Westen“ und für die „traditionellen russischen Werte“ die Arbeiter:innenklasse hinter den Interessen der russischen Kapitalist:innen versammeln.
In (neo)kolonial ausgebeuteten Staaten ist die Situation von unterdrückten Geschlechtern meist besonders schlecht. Der Grund dafür ist, dass die imperialistischen Räuber die ökonomische Entwicklung dieser Länder verhindern und Extraprofite aus ihnen schlagen. Dadurch kann die eigene herrschende Klasse dort den Unterdrückten und Ausgebeuteten weitaus weniger Zugeständnisse machen, will sie ihre Macht aufrecht erhalten. So unterstützen und konservieren die Imperialisten rückständige ökonomische Verhältnisse, welche wiederum reaktionäre Ideen und Haltungen aufrecht erhalten und zum Beispiel für eine striktere Arbeitsteilung sorgen.
Im Allgemeinen unterscheiden sich die Auswirkungen des Patriarchats auf die Kapitalist:innenklasse aber überall deutlich von denen auf die Arbeiter:innenklasse. So sind Kapitalistinnen in der Lage, sich weitgehend von der Reproduktionsarbeit frei zu kaufen. Ihre ökonomische und politische Machtstellung macht es zudem möglich, bestimmte Formen patriarchaler Unterdrückung zu umgehen. Dennoch gibt es keine vollkommene Gleichberechtigung und innerhalb ihrer Klasse haben Männer im Konkurrenzkampf bis heute durchweg bessere Chancen. So lag 2023 in Deutschland der Frauenanteil in „Führungspositionen“ (Geschäftsführung kleiner Unternehmen, Geschäftsführung oder Bereichsleitung großer Unternehmen und leitende Positionen im Verwaltungsdienst) bei 28,7 Prozent. In den Vorständen der 200 umsatzstärksten deutschen Unternehmen (ohne Banken und Versicherungen) lag der Frauenanteil 2023 bei rund 18 Prozent9. Folge dieses Zustandes ist zum Beispiel das Fortbestehen einer bürgerlichen feministischen Bewegung, deren Forderungen Frauenquoten in Vorständen und Aufsichtsräten großer Unternehmen sind. Die hauptsächliche Seite des Kampfes der Kapitalistinnen ist dabei der Kampf gegen die Männer ihrer eigenen Klasse anstelle des Patriarchats. Sie profitieren schließlich von ihm, da sie genauso von der Ausbeutung der Arbeiter:innen leben. Da die Bedingungen für seine Zerschlagung erst im Sozialismus geschaffen werden können, haben alle Kapitalist:innen, egal welchen Geschlechts, daran kein objektives Interesse.
Im Übergang des 19. zum 20. Jahrhundert trat der Kapitalismus in ein neues Stadium, den Imperialismus ein. Er ist die Epoche, in der wir leben und kämpfen. Die Frage des Geschlechts ist heute ein breit diskutiertes Thema. Viele der biologischen Forschungsergebnisse, auf die sich dabei berufen wird, wurden erst in diesem und im letzten Jahrhundert erzielt. Auch eine organisierte LGBTI+ Bewegung sowie ein allgemeines Verständnis, was trans- und intergeschlechtliche Menschen sind, sind erst in diesem Zeitraum entstanden. Zwar gab es wie bereits erwähnt innerhalb der Urgesellschaft teils andere Geschlechterverhältnisse, die zum Beispiel bei indigenen Völkern heute noch eine Rolle spielen, oder historische Persönlichkeiten, die in verschiedener Art und Weise aus den in ihrer Zeit vorherrschenden Verhältnissen ausbrachen. Diese Beispiele dürfen wir jedoch nicht einfach mit Menschen unterdrückten Geschlechts im Imperialismus gleichsetzen. Stattdessen wollen wir die heute herrschenden Geschlechterverhältnisse an dieser Stelle weiter analysieren, um auf dieser Grundlage den Weg für ihre Überwindung zu finden.
Geschlecht im Zeitalter des Imperialismus
Die Frage, welche Geschlechter es zu welcher Zeit gibt, lässt sich nicht auf individueller Ebene beantworten, sondern nur in Hinblick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Betrachten wir die Geschlechterverhältnisse heute genauer, werden wir feststellen, dass sie komplexer geworden sind. Zwar hat sich an der patriarchalen Grundlage, es gibt Männer und Frauen, und Männer stehen notwendigerweise über den Frauen, nichts
verändert. Darüber hinaus hat sich aber spätestens mit dem Imperialismus:
1. der Spielraum innerhalb dieser Kategorien erweitert (Wie haben Männer und Frauen zu sein, wie auszusehen, usw.)
2. überhaupt erst der Raum für transgeschlechtliche Personen geöffnet. Zu transgeschlechtlichen Personen zählen wir trans Männer, trans Frauen und alle nicht-binären Personen.
Die Erweiterung der gesellschaftlichen Freiräume, die der Imperialismus in Ländern wie Deutschland mit sich brachte, hängt mit seiner im Allgemeinen flexibleren Herrschaftsform im Vergleich zu früheren Systemen zusammen, die vor allem auf dem Auspressen von Extraprofiten aus abhängigen Ländern basiert. Dazu kommen erkämpfte Rechte, die von der Arbeiter:innenbewegung sowie der Frauenbewegung durchgesetzt wurden.
Trotzdem ist es weiterhin so, dass die gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung in produktive und reproduktive Arbeit als Grundlage des Patriarchats jeweils auf Männer und Frauen aufgeteilt wird. Dabei wälzt die gesamte Kapitalist:innenklasse sowohl die produktive als auch die reproduktive Arbeit auf die Arbeiter:innenklasse ab. Dazu profitiert das Kapital von der privaten und unbezahlten Reproduktionsarbeit, da diese den Wert der Ware Arbeitskraft senkt. Wir werden uns im Weiteren auf die Verhältnisse innerhalb der Arbeiter:innenklasse konzentrieren.
Der Wert der Ware Arbeitskraft
Der Wert der Ware Arbeitskraft bestimmt sich durch den Wert der Dinge, die zur Erhaltung der Menschen und Reproduktion der Arbeitskraft in Form von materiellen Gütern benötigt werden. Hierzu gehören Nahrung, Bildung, Kleidung, Wohnung, usw. Heute ist nur ein Teil der Reproduktionsarbeit gesellschaftliche Arbeit: Also Arbeit, deren Produkt einen Wert darstellt. Nicht inbegriffen sind alle Dinge, die in Form von privater Arbeit erledigt werden, da diese zwar einen Gebrauchswert haben, also ein gesellschaftliches Bedürfnis befriedigen, aber keinen Wert produzieren. Die Hausarbeit, Pflege von Angehörigen, Erziehung der Kinder usw. findet größtenteils in Form von privater Arbeit statt. Das bedeutet, sie findet außerhalb des gesellschaftlichen Gesamtarbeitstages, nicht im Rahmen der Warenproduktion, statt. Bei der Ermittlung des Wertes der Ware Arbeitskraft spielt diese private Arbeit folglich keine Rolle. Genau daran haben die Kapitalist:innen ein Interesse, denn der Wert der Ware Arbeitskraft wird dadurch gesenkt und in Folge auch der Lohn, den sie an die Arbeiter:innen bezahlen müssen.
Im Patriarchat gehört zum Geschlecht Mann somit die produktive Arbeit, die im Lohnarbeitsverhältnis das Kapital der Kapitalist:innen vermehrt und wofür der Arbeiter das nötige gezahlt bekommt, um am nächsten Tag wieder zur Arbeit zu erscheinen, sowie dafür, dass seine Kinder in der nächsten Generation ebenfalls ausgebeutet werden können. Der Mann erhält zusätzlich die Funktion des Unterdrückers im Verhältnis zu allen anderen Geschlechtern. Er soll innerhalb der Familie, aber auch in allen anderen Bereichen der Gesellschaft direkt zur Aufrechterhaltung des Patriarchats beitragen. Dabei gibt es verschiedene Mittel, die Unterdrückten dazu zu bringen, ihren Platz einzunehmen: Durch Erziehung, formulierte Erwartungen und Anforderungen bis hin zu Gewalt und Mord.
Dem Geschlecht Frau wird die reproduktive Arbeit zugeordnet. Sie ist die Arbeit, die verrichtet werden muss, um tatsächlich die Arbeitskraft wiederherzustellen und die nächste Generation an Arbeiter:innen entstehen zu lassen. Gleichzeitig leben die allermeisten Frauen heute nicht allein als klassische Hausfrauen, sondern sind ebenfalls gezwungen, einer Lohnarbeit nachzugehen. Auch innerhalb einer Beziehung ist dies notwendig, da ein Lohn allein oftmals nicht zum Überleben reicht, insbesondere dann, wenn noch die Versorgung von Kindern dazukommt. Den Kapitalist:innen kommt das gelegen. Der Familienlohn, der vorher nur an die Männer bezahlt wurde, wird nun auf beide Geschlechter aufgeteilt. Das führt dazu, dass aus der gleichen Menge an variablem Kapital, also dem Teil des Kapitals, der dazu genutzt wird, Arbeiter:innen einzustellen, nun mehr Mehrwert gezogen werden kann. Die Mehrwertrate der Kapitalist:innen steigt, während die Lebenssituation der Arbeiter:innen sich nicht verbessert. Die Veränderung der Rolle der verschiedenen Geschlechter in der Lohnarbeit führt aufgrund der jahrtausendelangen patriarchalen Arbeitsteilung nicht dazu, dass die Männer anfangen, ebenfalls zu gleichen Teilen die Reproduktionsarbeit zu übernehmen. Stattdessen müssen Frauen jetzt beiden Arbeiten nachgehen. Dazu kommt, dass sie besonders häufig auch einer Lohnarbeit in den Bereichen der Gesellschaft nachgehen, die zur gesamtgesellschaftlichen Reproduktion notwendig sind, wie der Alten- und Krankenpflege oder im Sozialen, Bildungs- und Erziehungsbereich, anstelle der klassischen Industrieproduktion. Hier spiegelt sich die Arbeitsteilung auf einer anderen Ebene wider, besteht aber weiter. Die Frau befindet sich innerhalb der Geschlechterverhältnisse in der Position der Unterdrückten.
Wie verhält es sich nun mit weiteren Geschlechtern? In unserer Analyse zum Postmodernismus haben wir bereits festgestellt, dass im Kapitalismus für Funktionen jenseits von Mann und Frau kein gesellschaftlicher Bedarf vorhanden ist. „Alles was zählt ist die Kapitalakkumulation, die einen andauernden Nachschub der Ware Arbeitskraft erfordert. Alle, und vor allem die Arbeiter:innen, müssen sich deshalb in die Kleinfamilienordnung und in den Dualismus der gesellschaftlichen Geschlechter Mann und Frau einordnen.“10 Das bedeutet nicht, dass es in der Realität nicht trotzdem Zwischenformen gibt, Menschen ihr Geschlecht „wechseln“ oder es Geschlechter gibt, die sich nicht in das Mann-Frau-Schema einordnen lassen.
Historisch ist die Existenz von trans Personen vor allem seit den 1910er Jahren in Deutschland Thema öffentlicher Debatten. Die Kriminalisierung von trans Personen fand damals über verschiedene Wege statt. Das Tragen der Kleidung des „anderen“ Geschlechts wurde auf Grundlage des § 360 (Grober Unfug) und § 183 (Erregung öffentlichen Ärgernisses) verfolgt. Aber auch die Strafbarkeit der (vermuteten) sexuellen Handlungen zwischen Männern brachte eine große Gefahr mit sich, auch für trans Personen. Früh wurde versucht, Wege zu finden, den rechtlichen Konsequenzen zu entkommen. So initiierten der jüdische schwule Arzt und Aktivist Dr. Magnus Hirschfeld und der Rechtsanwalt Walter Niemann einen sogenannten Transvestitenschein, der ein medizinisches Gutachten darstellen sollte. Der Schein sollte den Inhaber:innen erlauben, Kleidung des anderen Geschlechts zu tragen und damit vor Strafen diesbezüglich geschützt zu sein. Er wurde vorrangig in Berlin ausgegeben, wohl aber auch in anderen großen Städten wie Hamburg, München, Köln und Essen. 1921 wurde es in Preußen sogar in bestimmten Fällen möglich, den Vornamen zu einem „neutralen“ Namen wie Alex oder Toni zu ändern. Gleichzeitig ging damit eine Veröffentlichung in den Verwaltungszeitungen einher, die den Klarnamen sowie die Wohnadresse der betroffenen Personen enthielten11. Trans Personen waren trotz dieser Maßnahmen weiterhin der Verfolgung durch den Staat und der Willkür der Polizei ausgesetzt. Im Hitler-Faschismus wurden sie teilweise Opfer der Verfolgung von Homosexuellen oder von „Asozialen“.
In den 1980er Jahren wurde dann das „Transsexuellengesetz“ eingeführt, das Namens- und Personenstandsänderungen regelte und 2024 durch das „Selbstbestimmungsgesetz“ ersetzt wurde. Seit 2018 gibt es in Deutschland auch den juristischen Geschlechtseintrag „divers“.
Diese Veränderungen fanden alle innerhalb des Patriarchats statt, das seinen Charakter dadurch aber nicht verändert hat. Als Gesellschaftssystem kennt es weiterhin nur zwei „natürliche“ Geschlechter, mit zwei festen Funktionen, die weder von Individuen gewechselt werden sollen, noch sich überschneiden oder ineinander übergehen dürfen. Die Realität des menschlichen Lebens steht damit im Widerspruch zu dem System, welches genau dieses Leben aber seit Jahrtausenden prägt.
Diesem Widerspruch entspringt die Notwendigkeit der besonderen Unterdrückung dieser Realität, der Unterdrückung von trans- und intergeschlechtlichen Personen, um die patriarchale Ordnung aufrechtzuerhalten. Diese Unterdrückung unterscheidet sich von der Unterdrückung der Frauen, hat mit ihr aber gemein, dass sie ebenfalls aufgrund des Geschlechts erfolgt. Darauf werden wir an späterer Stelle noch genauer eingehen. Ohne gesellschaftliche Geschlechtsfunktion im Patriarchat stellen sich für trans Personen vor allem zwei Möglichkeiten innerhalb des Systems dar, darauf zu reagieren: Entweder es kommt zur erzwungenen Anpassung, in der man sich besonders bemüht, doch die eine oder andere Rolle auszufüllen, in der Hoffnung, einen Platz unter den Anderen zu ergattern. Das kann sich zum Beispiel durch einen als besonders groß empfundenen Druck ausdrücken, sein Aussehen möglichst den Vorstellungen von Männern und Frauen anzupassen. Die andere Option ist, sich dem zu verweigern, dafür aber vollständig an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden.
Welches Geschlecht hat ein Mensch?
An dieser Stelle wollen wir auf eine Frage eingehen, die vor allem rund um die Diskussion um Transgeschlechtlichkeit immer wieder aufgeworfen wird, aber keinesfalls nur trans Personen betrifft: Wie wird bestimmt, welches Geschlecht eine Person hat?
Wir haben am Anfang des Textes davon gesprochen, dass Geschlecht ein Komplex aus körperlichen Merkmalen, gesellschaftlichen Funktionen und einem Selbstverständnis als Teil der Persönlichkeit ist. Wichtig dabei ist, dass alle diese Aspekte zusammenwirken und isoliert voneinander keine Aussagekraft über das Geschlecht haben. So definiert der Körper nicht ausschließlich das Geschlecht.
Aus diesem dialektisch-materialistischen Verständnis von Geschlecht folgt: Welches Geschlecht eine Person hat, weiß die Person selbst am besten. So haben wir bereits festgestellt, dass ein Individuum sich in Abhängigkeit und Wechselwirkung mit den es umgebenden gesellschaftlichen Strukturen und Verhältnissen entwickelt und definiert, und nicht durch sich selbst geprägt wird. Außerdem haben wir in unserem Artikel zu marxistischer Psychologie festgestellt: „Bei dieser Betrachtung dürfen wir indes nicht dahin geraten, metaphysische Standpunkte einzunehmen, welche davon ausgehen, dass die Psyche des Menschen einmal grundlegend in seiner Kindheit und Jugend geformt und geprägt wird und dadurch sein gesamtes Denken und die Rückwirkungen der Psyche auf sein Handeln festgelegt wären. Solchen zum Teil in der bürgerlichen Wissenschaft vertretenen Ansätzen müssen wir eine klare Absage erteilen. Denn aus einer dialektisch-materialistischen Analyse der Psyche, des Bewusstseins und der Persönlichkeit wird schnell klar, dass sich diese unser ganzes Leben über verändern und auf die von uns gemachten Erfahrungen reagieren.“12
Das komplexe Zusammenwirken zwischen dem eigenen Körper, den von der Gesellschaft gestellten Erwartungen, den zu erfüllenden Funktionen in der kapitalistischen Gesellschaft, den persönlichen Bedürfnissen und die Widersprüche zwischen diesen Aspekten spiegeln sich alle in der Persönlichkeit wider und ergeben die Erkenntnis für das Individuum, welchem Geschlecht es zugehört. Darüber hinaus ist das individuelle Verständnis des eigenen Geschlechts vollständig durch den Kapitalismus und das Patriarchat geformt und in diesem Sinn auch ein konkreter Ausdruck der allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnisse.
Dieses eigene Verständnis bildet heute den entscheidenden Bezugspunkt für das Individuum. Für Menschen, bei denen dieses nicht in bedeutendem Widerspruch zu den vorherrschenden gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen steht, stellt sich die Frage „Welches Geschlecht habe ich?“ meist gar nicht erst. Für trans Personen wiederum spielt sie eine bedeutende Rolle im Leben. Ist die Antwort auf die Frage nach dem eigenen Geschlecht die, transgeschlechtlich zu sein, ist dies der Ausgangspunkt zum Beispiel für die Änderung des Vornamens oder einer medizinischen Transition. Diese Maßnahmen haben den Zweck, für das Individuum selbst sowie für das soziale Umfeld den Widerspruch zwischen den verschiedenen Dimensionen des Geschlechts zu verringern oder aufzulösen, wobei – wie bereits geschrieben – diese Auflösung innerhalb des Patriarchats unmöglich ist. Wann genau für ein Individuum die Erkenntnis zu Tage tritt, trans zu sein, kann sehr unterschiedlich sein (Kindheit, Jugend, frühes oder spätes Erwachsenenalter) und hängt von vielen Faktoren ab, spielt aber für die Tatsache des Transseins keine zentrale Rolle.
Es handelt sich beim geschlechtlichen Selbstverständnis also nicht um eine Frage des Willens. Was bestimmt werden kann und worauf wir als Menschen Einfluss haben, ist aber der jeweilige Umgang damit. Das Individuum kann sich dazu entscheiden, zum Beispiel diese Frage beiseite zu schieben und diesen Teil der eigenen Persönlichkeit möglichst zu verdrängen, oder sich sehr stark damit nach außen zu wenden. Auf den Umgang anderer Menschen mit dem eigenen Selbstverständnis hat man sehr viel weniger Einfluss; der hat aber wiederum sehr viel Einfluss zum Beispiel auf das eigene psychische Wohlbefinden.
Auch Ideologien oder ihre Versatzstücke können auf diese Dimension Einfluss nehmen. So wird das Vertreten von zum Beispiel besonders konservativen patriarchalen Vorstellungen Menschen eher dahingehend lenken, das eigene geschlechtliche Selbstverständnis diesen entsprechend zu bewerten und zu entwickeln. Postmoderne liberale Weltanschauungen hingegen können Menschen dazu führen, zu erklären, sie hätten zum Beispiel grundsätzlich kein Geschlecht mehr („Agender“) oder ihr Geschlecht würde sich teils täglich verändern bzw. von willkürlichen Faktoren abhängen („Genderfluid“). Diese Erscheinungen sind ein Ausdruck idealistischer Ideen bezüglich Geschlecht, wobei ihren Vertreter:innen dies selten bewusst ist und diese Ideen stattdessen als willkommene, vermeintliche Auflösung ihrer persönlichen Widersprüche angesehen werden.
Geschlecht ist dennoch keine unbewegliche, unveränderliche Tatsache – historisch-gesellschaftlich sowie individuell. So wie es sich durch das Zusammenwirken verschiedener Faktoren ergibt, so kann es sich ebenfalls durch quantitative oder qualitative Unterschiede der Faktoren und in ihrem Verhältnis zueinander verändern. Diese Unterschiede müssen eine gewisse Dauer und Intensität haben. Insbesondere auf gesamtgesellschaftlicher Ebene müssen Generationen vergehen, um wirklich bemerkbare Wandlungen beobachten zu können. Auch auf individueller Ebene ändert sich keine Dimension in ihrer Qualität von heute auf morgen. Veränderungen sind aber immer möglich:
1. Die körperlichen Geschlechtsmerkmale von Menschen bilden sich im Laufe des Lebens aus. Durch Pubertätsblocker, Hormontherapien, Operationen, aber auch Stimmtrainings usw. sind heute weitere Veränderungen möglich, die je nachdem zu sehr verschiedenen Merkmalskombination führen können.
2. Die gesellschaftliche Geschlechtsfunktion verändert sich nicht auf individueller Ebene, sie kann aber von Individuen mehr oder weniger ausgefüllt werden. Es können zum Beispiel bewusste Entscheidungen getroffen werden, sich der eigenen Erziehung zu widersetzen oder sich in der vorgegebenen Funktion einzurichten. Auch die Erwartungen von außen, welche und inwiefern die Funktion ausgefüllt werden muss, kann sich verändern, was wiederum Rückwirkungen auf das Individuum hat.
3. Die geschlechtliche Ebene der Persönlichkeit ist, wie oben angeführt, durch viele Faktoren beeinflusst und dementsprechend veränderlich, wobei oberflächliche Erscheinungen wie der eigene Kleidungsstil o. ä. sich in einem deutlich kürzeren Zeitraum verändern können als die grundsätzliche Persönlichkeit, das tiefer liegende Grundgerüst. Sie wird geformt und entwickelt sich durch anerzogene, verinnerlichte und gebildete Eigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen.
Der Zustand und Veränderungen einer Dimension führen wiederum zu Wechselwirkungen mit den anderen. Große Widersprüche zwischen den Dimensionen (zum Beispiel zwischen den eigenen körperlichen Merkmalen und dem geschlechtlichen Selbstverständnis) oder auch innerhalb einer Dimension (zum Beispiel Geschlechtsmerkmale eines Körpers, die jeweils
unterschiedlichen Geschlechtern zugeordnet werden) können für Menschen zu besonderem psychischen Leiden führen.
Bei trans Personen führt zudem der Widerspruch, ein Leben als Teil dieser Gesellschaft zu führen, aber keine gesellschaftliche Funktion und dadurch auch keinen Platz in ihr zu haben, zu einem besonderen Umgang. Der Ausschluss von trans Männern und Frauen von ihren Geschlechtergruppen und das vollständige Fehlen von direkten Bezugspunkten für
nicht-binäre Personen führt zum Versuch einer individualisierten Auflösung des Widerspruchs, der verstärkt wird durch den besonders starken Individualismus und die Präsenz der „Identitätsfrage“ im Imperialismus. Daraus entstehen zum Beispiel die unzähligen Begriffe für „Geschlechtsidentitäten“, mit denen Personen jeweils versuchen, ihre individuelle Lebensrealität zu beschreiben und einen vergleichbaren Bezugspunkt zu etablieren, wie es ihn für cis13 Männer und Frauen gibt. Da jedoch auch die Etablierung von neuen Begriffen für verschiedene konkret gelebte Erfahrungen nicht in der Lage ist, die Grundlagen des Patriarchats zu verändern, bleiben sie in ihrer Wirkung stark auf Individuen begrenzt und führen nicht dazu, gesamtgesellschaftlich den Raum für weitere Geschlechter zu öffnen. Im Umgang mit zum Beispiel einer psychischen Krise, die die Erkenntnis hervorrufen kann, nicht in die vorgegebenen Kategorien von Mann oder Frau zu passen, haben sie dabei für individuelle Personen sicher ihre Berechtigung, indem sie zumindest ein bestimmtes Maß an verlorener Stabilität wiedergeben können.
Die Ablehnung von verschiedenen patriarchal-kapitalistischen Erwartungen an Männer und Frauen durch cis Personen ist dabei eine qualitativ andere Frage als die nach dem eigenen Geschlecht, wobei es aufgrund der Widersprüchlichkeit der Anforderungen (zum Beispiel zwischen der Erziehung und Ansprüchen an das eigene Leben) auch zu „Grenzfällen“ kommen kann. Mit diesen muss innerhalb des Patriarchats aber vom Individuum ein konkreter Umgang gefunden werden, da eine gesamtgesellschaftliche Lösung unter heutigen Bedingungen nicht möglich ist.
Unterdrückung und Ausbeutung aufgrund des Geschlechts
Mit der mehrfachen Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen haben wir uns an verschiedenen Stellen bereits detaillierter auseinander gesetzt14. Das werden wir an dieser Stelle nicht wiederholen, sondern um eine Einschätzung zu trans- und intergeschlechtlichen Personen ergänzen.
Das Patriarchat unterdrückt trans- und intergeschlechtliche Personen auf besondere Art und Weise aufgrund ihrer Abweichung von den Geschlechterverhältnissen, welche die Grundlage für das Patriarchat bildet. Ihre Existenz stellt in Frage, warum die gesellschaftliche Arbeitsteilung nach Geschlecht so weiterbesteht, wenn es erstens mehr als zwei menschliche Geschlechter gibt und zweitens Geschlecht nicht starr, sondern in verschiedenen Dimensionen veränderlich ist. Für den Verwertungsprozess des Kapitals braucht es vor allem Arbeiter:innen, die ihre „naturgegebenen“ Aufgaben der Produktion und Reproduktion erfüllen. Dabei schafft der Kapitalismus nicht nur ökonomisch mit der arbeitenden Klasse seine eigenen Totengräber:innen – durch den Einzug der Frauen in die Produktion und die weitere Annäherung der Lebensweise von Männern und Frauen in allen Klassen bereitet er selbst den Boden für die Auflösung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung anhand des Geschlechts. Die Widersprüche des patriarchal-kapitalistischen Systems bieten Ausgangspunkte für das Entstehen politischer Kämpfe.
Im Unterschied zur Unterdrückung von Frauen als Geschlecht werden trans und inter Personen bereits vor bzw. in ihrer Entstehung als weitere Geschlechter unterdrückt. Der Imperialismus ist heute zwar flexibel genug, ihre Existenz anzuerkennen und angesichts lang andauernder Protestbewegungen Zugeständnisse einzuräumen (zum Beispiel das „Selbstbestimmungsgesetz“ in Deutschland), jedoch sind die Grenzen dieser „Existenz“ sehr eng gesteckt und sie kann im Zweifelsfall auch sehr schnell wieder zurückgenommen werden. Auch hier verläuft die Unterdrückung besonders auf individueller Ebene, innerhalb der Kleinfamilie und in zwischenmenschlichen Beziehungen, und besonders häufig gewaltsam. Wird trans Männern und Frauen nicht von vornherein das Transsein verwehrt, wird wiederum erwartet, dass sie sich dann möglichst „vollständig“ allen mit ihrem Geschlecht verbundenen Vorstellungen unterordnen. Für nicht-binäre trans Personen stellt das noch einmal eine besondere Herausforderung dar, da es schlichtweg keinen Bezugspunkt gibt. Hier ist der gesellschaftliche Druck besonders groß, sich doch irgendwann zu „entscheiden“. Die gesellschaftliche Unterdrückung führt unter anderem zu unsicheren Lebenssituationen und Problemen bei der Lohnarbeits- und Wohnungssuche. Hier können Namen auf dem Personalausweis und ein vermeintlich nicht dazu passendes äußeres Erscheinungsbild ein Problem sein, oder direkte Outings zu besonderer Diskriminierung führen. In allen Lebensbereichen kann es zu psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt kommen. Durch die besondere psychische Belastung durch den permanent drohenden Ausschluss aus der Gesellschaft aufgrund des eigenen Geschlechts liegt zusätzlich die Suizidrate unter trans Personen deutlich über dem gesellschaftlichen Durchschnitt15.
Ein verstärkender Faktor für die negative Reaktion auf trans Personen innerhalb der Gesellschaft ist die Tatsache, dass das vermeintliche Wissen darüber, was ein Mann und was eine Frau ist, für viele Menschen auf den ersten Blick durch nichts zu erschüttern ist – insbesondere nicht auf das eigene Geschlecht bezogen. Wie wir bereits an früherer Stelle geschrieben haben, stellt sich für viele nie bewusst die Frage, ob sie wirklich ein Mann oder eine Frau sind. Sie erleben die Infragestellung ihres Wissens darüber, was Geschlecht und vielleicht auch ihr eigenes Geschlecht ist, meist als erstes vermittelt durch die Existenz von trans Personen. Dadurch wird für sie Transgeschlechtlichkeit aber zur Zielscheibe für alle möglichen Gefühle, die diese Erschütterung bei ihnen auslöst. Insbesondere Faschist:innen und andere reaktionäre Kräfte machen sich das in ihrer Agitation zu nutze, wenn sie vom „Genderwahn“ sprechen und so vor allem die Angst vor dem Verlust der stabilen Mann-Frau-Ordnung ansprechen. Trans Personen werden wahlweise zur gefährlichen Verbrecher:innen oder zur Verkörperung des Zerfalls der westlichen Welt.
Oben im Text haben wir bereits festgehalten, dass das Patriarchat Bestandteil der ökonomischen Basis im Kapitalismus ist, da die massenhaft von Arbeiterinnen geleistete unbezahlte private Reproduktionsarbeit notwendiger Bestandteil der Produktionsweise ist. Es existiert damit eine mehrfache Ausbeutung der Frau im Kapitalismus. In Bezug auf trans Arbeiter:innen lässt sich kaum von einer Verankerung einer mehrfachen Ausbeutung sprechen, da vielmehr in der Basis der Gesellschaft verankert ist, dass es diese Geschlechter so gar nicht gibt bzw. geben darf. Ihnen wird nicht die Reproduktionsarbeit zugewiesen und darüber ihre Unterdrückung aufrecht erhalten, sondern eine Funktion und ein Platz in der Gesellschaft grundsätzlich verweigert. Trotzdem müssen sie selbstverständlich als Arbeiter:innen ebenfalls Reproduktionsarbeit leisten und stehen als trans Personen dazu in einem besonderen Verhältnis, da mit diesen Arbeiten eben vor allem geschlechtsbezogen viele gesellschaftliche Erwartungen und Ansprüche verknüpft sind. So kann z. B. von einer trans Frau besonders viel Reproduktionsarbeit verlangt werden, um dadurch „zu beweisen“, dass sie wirklich eine Frau ist. Das Maß an individueller Ausführung von reproduktiver Arbeit steht zudem nicht in direktem Zusammenhang mit Erfahrungen patriarchaler Unterdrückung – auch nicht bei cis Männern oder Frauen.
Grundsätzlich überschneiden sich Fragen der Frauen- und Transunterdrückung aufgrund ihres gemeinsamen Ursprungs und haben auch in ihren eventuell gesonderten Formen einen Einfluss aufeinander. Das war zum Beispiel in den USA zu sehen, als auf die massenhafte Verabschiedung von transfeindlichen Gesetzen in zahlreichen Bundesstaaten die landesweite Abschaffung des Rechts auf Abtreibungen folgte.
Was bedeutet das für uns?
An dieser Stelle wollen wir einige Schlussfolgerungen und Ziele formulieren, die sich für unseren politischen Kampf zur Überwindung von Kapitalismus und Patriarchat aus dieser, unsere bisherigen Ausarbeitungen ergänzenden Analyse, ergeben. Ebenfalls wollen wir einige Grundzüge skizzieren, inwiefern im Sozialismus bestimmte Widersprüche bereits überwunden werden können und mithilfe welcher Mittel und Maßnahmen.
Konsequenzen für den politischen Kampf heute
Patriarchale Ausbeutung und Unterdrückung sind heute allgegenwärtig. Männer haben grundsätzlich andere Voraussetzungen innerhalb des Patriarchats als Frauen und transgeschlechtliche Menschen. Diesen unterschiedlichen Ausgangspunkten müssen wir dementsprechend begegnen, wollen wir das Ziel erreichen, wirkliche alle Teile der Arbeiter:innenklasse zu erreichen, für ihre eigene Befreiung zu organisieren und auch Kader:innen für den Aufbau der Kommunistischen Partei aus ihnen zu entwickeln.
Ein zentrales Element dabei ist die Entwicklung von Geschlechtsbewusstsein. Geschlechtsbewusstsein ist im weiteren Sinne ein Teil des Klassenbewusstseins. Darunter verstehen wir das Bewusstsein über die Funktion des eigenen Geschlechts im Patriarchat, die Konsequenzen daraus für das eigene Denken, Fühlen und Handeln und die Einsicht in die Notwendigkeit, die eigenen patriarchalen und bürgerlichen Vorstellungen und Verhaltensweisen zu revolutionieren. Es muss genauso beinhalten, den Platz der verschiedenen Geschlechter im Kampf um die Überwindung des Patriarchats zu kennen und dementsprechend zu handeln. Die dauerhafte Arbeit am eigenen Geschlechtsbewusstsein sowie dem der Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, ist eine zentrale Aufgabe von Kommunist:innen.
Im alltäglichen politischen Kampf können wir heute als Kommunist:innen auf Errungenschaften der Frauen- und LGBTI+ Bewegung der letzten Jahrzehnte aufbauen, müssen uns aber bewusst sein, dass diese unter bürgerlicher Herrschaft stehen und von einem Klassenstandpunkt auf Seiten der Arbeiter:innenklasse weit entfernt sind. Wir befinden uns gesamtgesellschaftlich in einer Einkreisung von bürgerlichen Ideologien, die von faschistisch bis zu postmodern reichen, wobei letztere in diesen Bewegungen die vorherrschende Ideologie darstellt. Das bedeutet auch, mit in der politischen Widerstandsbewegung verbreiteten Positionen an den richtigen Stellen zu brechen und ihnen einen marxistisch-leninistischen Standpunkt entgegenzustellen.
Wenn es um die Frage des Kampfes gegen die Unterdrückung von trans Personen geht, müssen wir zum Beispiel die weit verbreitete Losung „Trans Männer sind Männer, trans Frauen sind Frauen“ hinterfragen. Als Kommunist:innen treten wir für das Selbstbestimmungsrecht über das eigene Geschlecht ein und handeln auch heute schon danach. Wir respektieren selbst gewählte Namen und Pronomen und stellen es nicht in Frage, wenn Menschen uns sagen, welches Geschlecht sie haben. Es gibt keinen Grund für uns, an dem patriarchalen Gerüst festzuhalten, dass ein Mann über diese und jene körperlichen Merkmale definiert wird usw. Trotzdem ist diese Losung im Endeffekt viel zu kurz gegriffen und entspricht vielmehr einer Integration in das Patriarchat als einem Ausblick auf seine revolutionäre Überwindung. Wollen wir trans Arbeiter:innen für den Kampf für den Sozialismus gewinnen, geschweige denn zu Kader:innen entwickeln, können wir nicht einfach ihre Transgeschlechtlichkeit ignorieren. Auch hier gilt für uns der Grundsatz, unterschiedliche Voraussetzungen nicht gleich zu behandeln. Wie wir herausgearbeitet haben, bedeutet trans zu sein im patriarchalen Kapitalismus eine besondere Art von Unterdrückung, die sich durch alle Lebensbereiche zieht und eine gesonderte Auseinandersetzung damit verlangt. Dabei muss es eine konkrete Beschäftigung mit den verschiedenen, und in Konsequenz der widersprüchlichen gesellschaftlichen Realität auch widersprüchlichen Bedürfnisse in der Entwicklung von trans Kader:innen geben.
Innerhalb des Kapitalismus wird es keine Lösung der patriarchalen Widersprüche oder eine Befreiung von trans Personen geben. Trotzdem führen wir, wie in allen anderen Bereichen auch, den Kampf für Teillosungen im Rahmen unserer Arbeit für eine sozialistische Revolution. Hier gehört der allgemeine antipatriarchale Kampf dazu, wobei es auch spezifische Losungen im Kampf gegen Transfeindlichkeit benötigt. Juristische Freiräume und einen einfachen Zugang zu medizinischer Versorgung (Hormontherapien, angleichende Operationen, Stimmtrainings usw.) können wir auch dem kapitalistischen System abringen. Gegen patriarchale Ausgrenzung und die verschiedenen Formen patriarchaler Gewalt können wir uns zusammen schließen, uns gegenseitig stärken und Konsequenzen für Täter erwirken. Deshalb muss unser Kampf heute schon an diesen Stellen beginnen und kann nicht auf einen Zeitpunkt X verschoben werden. Innerhalb unserer Strukturen setzten wir heute schon um, was wir von der Gesellschaft verlangen: Jede Person bestimmt über ihr Geschlecht und wird darin respektiert. Gleichzeitig wird bürgerliches und patriarchales Verhalten von allen gegenseitig kritisiert, patriarchale Gewalt wird in keiner Form geduldet. Im Kampf gegen das Patriarchat müssen trans Personen eine aktive Rolle einnehmen und Seite an Seite mit den Frauen an vorderster Front für ihre Befreiung kämpfen.
Geschlecht im Sozialismus
Mit der sozialistischen Revolution wird das Privateigentum an den Produktionsmitteln abgeschafft, und die gesellschaftliche Arbeitsteilung wird mit der beginnenden Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit stückweise abgebaut. Damit verschwindet die ökonomische Grundlage des Patriarchats und es werden grundsätzlich weitere Möglichkeiten eröffnet, den Kampf dagegen in einer neuen Qualität zu führen16. Geschlechtliche Selbstbestimmung wird keine hohle Phrase mehr sein, sondern auf verschiedenen Ebenen real verwirklicht. Für alle Geschlechter gelten die gleichen Rechte und Pflichten. Das bedeutet nicht, dass das Geschlecht von Menschen von heute auf morgen ignoriert wird. Im Gegenteil, unsere Herangehensweise, unterschiedlichen Voraussetzungen mit unterschiedlichen Mitteln zu begegnen, wird von einem begrenzten Rahmen innerhalb der Kommunistischen Partei und der organisierten Arbeiter:innenbewegung auf die gesamte sozialistische Gesellschaft ausgeweitet werden.
Von Beginn des Sozialismus an muss die Frage der Schaffung eines Geschlechtsbewusstseins in der gesamten Bevölkerung eine vordergründige sein. Die Arbeit daran muss sich in allen Lebensbereichen, der Bildung, egal bei welcher Altersgruppe, den sozialen Aktivitäten, in den Betrieben und der Kultur wiederfinden.
Die fortschreitende Aufhebung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung wird zur Aufhebung der gesellschaftlichen Geschlechtsfunktion führen. Das Ziel ist dabei, auf den körperlichen Merkmalen aufbauende gesellschaftliche Funktionen abzuschaffen, sodass nur noch die Fortpflanzung als Funktion übrig bleibt. Dann können die Körper der Menschen auch ihren Bedürfnissen nach existieren, weil sie keine Konsequenzen mehr innerhalb der Produktionsverhältnisse haben. Die starren Grenzen und festen Kategorien von heute werden durch fließende Übergänge ersetzt. Das wird für das Selbstverständnis von Menschen weitreichende Konsequenzen haben, die wir heute noch nicht vorhersagen können, so wie überhaupt der Sozialismus insgesamt auf das gesamte Denken, Fühlen und Handeln der Menschen große Auswirkungen haben wird. Endgültig abgeschlossen wird dieser Prozess aber erst im Kommunismus sein, denn diese Veränderung setzt einen neuen Menschen mit einem neuen Bewusstsein voraus. Haben sich die ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse so weit verändert, werden auch die bestehenden körperlichen Unterschiede zwischen Menschen und die zweigeschlechtliche Fortpflanzung keine Grundlage mehr für eine besondere Unterdrückung bilden.
1 | lto.de/recht/justiz/j/gesetz-zum-verbot-geschlechtszuweisender-operationen-bei-intergeschlechtlichen-kindern-in-kraft-menschenrechte
2 | Kommunismus #20 „¸Diskursanalyse’ oder Revolution?“, S. 37
3 | Ausführlicher in: Kommunismus #22 „Marxismus und Psychologie“
4 | Ausführliche Erklärung zur Entstehung des Patriarchats: Grundlagen des Marxismus-Leninismus – Historischer Materialismus, S. 74
5 | Vgl. Kommunismus #20 „¸Diskursanalyse’ oder Revolution?“, S.38
6 | Vgl.: Heinz-Jürgen Voß: Making Sex revisited – Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive, Kapitel I: Das differenzierte Geschlechterverständnis der Antike – Facetten von Ein- und Zweigeschlechtlichkeit
7 | Vgl. Voß: Making Sex revisited, S. 50 ff.
8 | perspektive-online.net/2023/12/wie-der-russische-nationalismus-lgbti-feindlichkeit-fuer-kriegspropaganda-nutzt/
9 | diw.de/de/diw_01.c.889931.de/publikationen/wochenberichte/2024_03_2/frauenanteil_in_vorstaenden_grosser_unternehmen_gestiegen_meist_bleibt_es_aber_bei_hoechstens_einer_frau.html
10 | Kommunismus #20 „¸Diskursanalyse’ oder Revolution?“, S. 39
11 | dhm.de/blog/2019/07/23/wozu-das-denn-ein-schein-zum-anders-sein
12 | Kommunismus #22 „Marxismus und Psychologie“, S. 28
13 | Cis oder cisgeschlechtlich bezeichnet das Gegenteil von trans, also Personen, die in keinem grundsätzlichen Widerspruch zu ihrem bei Geburt angenommenen Geschlecht stehen. Wir nutzen diesen Begriff hier bewusst, um konkrete Unterschiede zwischen cis und trans Personen deutlich zu machen. Sprechen wir „nur“ von Männern und Frauen, nehmen wir Verallgemeinerungen vor, die sowohl cis als auch einen Teil der trans Personen umfassen.
14 | Siehe Kommunismus #14 „Frau im Kapitalismus“ und Grundlagen des Marxismus-Leninismus – Patriarchat
15 | thepinknews.com/2023/07/19/trans-suicide-study-denmark/
16 | Siehe dazu: Kommunistischer Aufbau – Unsere Alternative: Sozialismus! Broschüre über die Grundzüge der sozialistischen Gesellschaft. S. 40 Die Frau im Sozialismus