„Wer eine ‚reine‘ soziale Revolution erwartet, der wird sie niemals erleben. Der ist nur in Worten ein Revolutionär, der versteht nicht die wirkliche Revolution.“
Seit Mitte November gehen Woche für Woche zehntausende Menschen in Frankreich auf die Straße. Sie blockieren Straßen, Tankstellen und Fabriken. Sie weichen nicht der immer weiter eskalierenden Polizeigewalt, sondern schlagen zurück. Die Bewegung ist ein spontaner Aufstand, eine spontane Volksbewegung gegen die immer schärferen Angriffe der Herrschenden. Ihr Kampf gegen den von oben mit bestialischer Härte geführten Klassenkampf ist legitim und notwendig um die weitere Verelendung der französischen ArbeiterInnenklasse aufzuhalten. Er ist zudem ein Kampf der absteigenden Schichten des Kleinbürgertums, welche durch ihren Ruin gezwungen sind, sich nun in die Reihen des Proletariats einzureihen.
Die Bewegung der „Gelben Westen“ und ihre Aktionsformen umfassen viel mehr, als die in den bürgerlichen deutschen Medien gezeigten Samstags-Riots auf der Pariser Prachtstraße Champs-Elysees. Sie umfasst die Blockaden von Straßen und Autobahnen, von Tankstellen, Raffinerien und Häfen. Sie umfasst die Blockaden und Besetzungen von Fabriken, Schulen und Universitäten im ganzen Land. Sie umfasst die spontane Organisierung der kämpfenden Massen in Stadtteil- und Betriebsversammlungen, in Schul- und Universitätsräten.
Die politische Widerstandsbewegung und selbst große Teile der revolutionären Bewegung in Deutschland reagierten extrem zurückhaltend auf die spontane Massenbewegung in Frankreich. Wochenlang wurde über die Beteiligung rechter und reaktionärer Kräfte diskutiert, anstatt sich mit dem legitimen Kampf der Menschen in Frankreich und ihren gerechten Forderungen zu solidarisieren. Dies zeigt ein grundsätzlich fehlendes Verständnis spontaner Volksbewegungen und eine Hilflosigkeit mit ihnen umzugehen.
„Wer eine ‚reine‘ soziale Revolution erwartet, der wird sie niemals erleben. Der ist nur in Worten ein Revolutionär, der versteht nicht die wirkliche Revolution. (…) Die sozialistische Revolution in Europa kann nichts anderes sein als ein Ausbruch des Massenkampfes aller und jeglicher Unterdrückten und Unzufriedenen. Teile des Kleinbürgertums und der rückständigen Arbeiter werden unweigerlich an ihr teilnehmen – ohne eine solche Teilnahme ist ein Massenkampf nicht möglich, ist überhaupt keine Revolution möglich“ (Wladimir Iljitsch Lenin, Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung, Juli 1916)
Lenin bringt es hier bereits vor über 100 Jahren auf den Punkt. Wer eine rein fortschrittliche ArbeiterInnenbewegung oder gar eine durch und durch revolutionäre Volksbewegung erwartet, der kann lange warten, denn so etwas wird es nicht geben, weder in Frankreich, noch in Deutschland. Vielmehr muss es die Aufgabe der RevolutionärInnen und KommunistInnen sein, von Anfang an untrennbarer Teil solcher spontanen Bewegungen zu sein, mit ihrer Erfahrung und ihrem ideologischem und organisatorischen Rüstzeug auf sie einzuwirken und sie zu entwickeln.
Die französische ArbeiterInnenklasse und selbst die kleinbürgerlichen Schichten in Frankreich haben eine lange Kampftradition. Von der französischen Revolution 1789, der Pariser Kommune 1871 über den Widerstand der Resistance gegen den deutschen Faschismus und der 1968er Bewegung bis zu den militanten Klassenkämpfen der vergangenen Jahre. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der französischen Bevölkerung mit der Bewegung sympathisiert und ein großer Teil findet selbst ihre spontane Militanz begrüßenswert.
Mit der aktuellen Bewegung der „Gelben Westen“ hat die ArbeiterInnenklasse auch das Korsett der gewerkschaftlichen Forderungen und Protestformen gesprengt. Sie ist einen Schritt weiter gegangen, in Richtung einer politischen Bewegung. Doch was der Bewegung bisher fehlt, wird auch ihr vermutliches Scheitern bestimmen.
Der Bewegung fehlt eine vereinheitlichte revolutionäre Programmatik und eine vereinheitlichende revolutionäre Führung welche in der Lage ist, die Bewegung zum Sieg zu führen. Es fehlt die Kraft, die aus der spontanen Protestbewegung eine bewusste und revolutionär kämpfende ArbeiterInnenbewegung wachsen lassen kann. Es fehlt die Kraft, die aus dem Aufstand eine Revolution formen könnte.
Trotz all den Mängeln dieser Bewegung und der fehlenden revolutionären Perspektive stehen wir in vollster Solidarität an der Seite unserer Klassengeschwister in Frankreich und ihrem gerechten Kampf gegen die Angriffe der Herrschenden. Für uns heißt es heute: Lernen wir zu kämpfen wie in Frankreich!
Auch in Deutschland gibt es heute genug Gründe, gegen die Angriffe der Herrschenden auf die Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse, gegen die Ausbeutung unserer Klasse und aller unterdrückten Massen auf die Straßen zu gehen und für unsere Rechte und Interessen zu kämpfen. Es ist dabei schon heute unsere Aufgabe, erste Ansätze zur Organisierung unserer Klasse zu schaffen und so eine wesentliche Grundlage für erfolgreiche Kämpfe in der kommenden Zeit zu legen. Vorallem aber wird es, sobald der untergründig köchelnde Zorn über die Angriffe der Herrschenden auch in unserem Land zum Ausbruch kommt, unsere Aufgabe sein, mit voller Energie, ohne falsche Zurückhaltung und ohne uns vor den Wutausbrüchen unserer eigenen Klasse zu fürchten, in diese Bewegung zu stürzen; stets mit dem Ziel, den Sozialismus als einzige wirkliche ALternative zu propagieren und alle reaktionären Elemente, die mit vollkommener Sicherheit versuchen werden, Einfluss zu nehmen, genau daran zu hindern.