Gute Pflege im Kapitalismus?!

Als Kommunistischer Aufbau sind wir auf die kürzlich gegründete ‚Initiative Kämpferische Pflege‘ (IKP) aufmerksam geworden. Dabei handelt es sich um einen klassenkämpferischen Organisierungsansatz von Pflegerinnen und Pflegern aus verschiedenen Arbeitsbereichen und Krankenhäusern. Wir drucken in dieser Ausgabe ein Interview der IKP mit zwei KollegInnen aus dem Krankenhaus ab, sowie einen kapitalismuskritischen Artikel dieser Initiative. Bitte sendet Rückmeldungen direkt an die Initiative unter organisierte.pflege@gmx.de

Die moderne kapitalistische Gesellschaft ist geprägt von einem tiefen Widerspruch zwischen einer zahlenmäßig relativ kleinen Kapitalistenklasse, die die Produktion kontrolliert und in der Machtposition ist, die Arbeitskraft von uns ArbeiterInnen zu kaufen, um davon zu leben und mehr Reichtum anzuhäufen – und der ArbeiterInnenklasse, die den gesellschaftlichen Reichtum schafft,. Diesen Interessensgegensatz finden wir in fast allen aktuellen politischen Fragen und Streitpunkten wieder. In diesem Artikel tragen wir einige Gedanken zum heutigen deutschen Gesundheitssystem zusammen. Das tun wir von einem Klassenstandpunkt aus; also parteiisch vom Standpunkt unserer Klasse, der Arbeiterinnen und Arbeiter.

Das deutsche Gesundheitssystem ist das Ergebnis einerseits der langjährigen Kämpfe der ArbeiterInnenklasse für eine staatliche Gesundheitsversorgung und andererseits dem rationellen Interesse der Kapitalistenklasse, die nicht mehr darauf verzichten kann, dass verletzte/erkrankte Arbeitskräfte zuverlässig wiederhergestellt werden.

In Deutschland konkret macht der Gesundheitssektor (also Ärzte, Krankenhäuser, Krankenkassen und Pharmakonzerne usw.) mehr als ein Zehntel der Volkswirtschaft aus.1

Das hohe ökonomische Gewicht kommt hier zusammen mit einer hohen Bedeutung für die Gesellschaft insgesamt, denn jedeR ist auf dieses Gesundheitssystem auf die ein oder andere Weise angewiesen. Die Klassenwidersprüche äußern sich in diesem System auf sehr vielfältige Weise.

Eine interessante statistische Größe ist, dass der Frauenanteil in den Pflegeberufen bei 85% liegt.2 Das macht die Pflege zu einem der sogenannten typischen „Frauenberufe“. Bereits in der letzten Ausgabe der Kommunismus wurde ausgeführt, dass gewerkschaftlich durchgesetzt werden konnte, dass Männer und Frauen im exakt gleichen Beruf heute normalerweise nicht mehr unterschiedlich entlohnt werden. Die für den Kapitalismus typische niedrigere Entlohnung von Frauen hat nun andere Formen angenommen, wie zum Beispiel, dass Berufe wie die Krankenpflege deutlich niedriger bezahlt werden als solche in der Industrie.

Wenn wir den Wiederaufbau einer kämpferischen Arbeiter-Frauenbewegung notwendig finden, ist somit die Arbeit im Pflegebereich eine wichtige Aufgabe, um diesem Ziel näher zu kommen.

Seit etwa den 70er Jahren spielt sich hier ein Prozess ab, der sinnbildlich für die Widersprüchlichkeit steht, die der Kapitalismus mit sich bringt. Einerseits steigen durchschnittliche Lebenserwartung und das Rentenalter an. Es ist damit logisch, dass der Bedarf eines funktionierenden Gesundheitssystems, um die ArbeiterInnenklasse arbeitsfähig zu halten ansteigt. Zum anderen geht es auch, wenn ein größtenteils staatlicher Sektor im Spiel ist, unterm Strich immer um die Frage, wie sich der gesellschaftliche Reichtum zwischen zwei großen Lagern, nämlich der ArbeiterInnenklasse und der Kapitalistenklasse, verteilt. Konkret können Ausgaben, die der Staat im Gesundheitswesen für die Versorgung der ArbeiterInnen einspart, auf anderem Wege (z.B. Subventionen) den Kapitalisten zugeführt werden. Das Ergebnis ist ein Prozess, in dem bei steigendem Bedarf, insbesondere der ArbeiterInnenklasse der Zugang zu medizinischer Betreuung eingeschränkt wird. Während auf der anderen Seite ein zunehmender Sektor von „Leistungen für Privatversicherte“ entsteht, der garantiert, dass die Kapitalistenklasse und ihre Angehörigen nicht direkt von ihrer eigenen Kürzungspolitik betroffen sind. Seinen politischen Ausdruck fand dieser Prozess in dem seit 1970 immer nur für einige Jahre unterbrochenen Prozess der sogenannten „Gesundheitsreformen“.

Einige Eckpunkte sind hier die 1977 und seitdem immer weiter gesteigerte Beteiligung der Erkrankten an den Therapiekosten (Medikament-Zuzahlungen, Zahlungen für Krankenhausbesuche etc.). 1993 wurde der Grundstein gelegt für eine Auseinanderentwicklung der Leistungen verschiedener Krankenkassen und somit ein wichtiges Element für die Vertiefung des Systems der Klassenmedizin. 2004 wurde die Praxisgebühr eingeführt und beschlossen, dass erstmals ArbeiterInnen 0,9% höhere Anteile am Krankenkassenbeitrag zahlen müssen als die Kapitalisten. 2011 mit der letzten großen Gesundheitsreform wurden diese Maßnahmen logisch weitergeführt, in dem beschlossen wurde, dass die Krankenkassen zur Deckung ihrer Kosten individuelle Zusatzbeiträge erheben könnten. Auch hier wurde die Tendenz weiter gefördert, dass die Krankenkassen, die höhere Leistungserstattungen anbieten auch höhere Beiträge von den Versicherten fordern.

All das sind nur Ausschnitte. Ein Schritt, der für die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus von besonders hoher Bedeutung war, soll hier aber hervorgehoben werden. Nämlich die Reform der Zuteilung von Krankenhausbudgets ab den 2000er Jahren. Die Finanzierung der Krankenhäuser vor 2003 hing hauptsächlich (80%) von der Verweildauer der PatientInnen ab und wurde durch Zulagen nur ergänzt. 2003 wurde dieses Verhältnis praktisch umgedreht und die sogenannten Fallpauschalen machen nun den Löwenanteil der Erstattung durch die Krankenkassen aus.3 Das erklärte Ziel der Bundesregierung, die Liegedauer der PatientInnen zu verkürzen wurde erreicht. Ökonomisch wird das Krankenhaus dazu gedrängt, PatientInnen so schnell wie möglich zu entlassen und möglichst viele Fälle mit möglichst wenig Material- und Personalkosten zu „behandeln“. Eine häufige Konsequenz sind sogenannte „blutige Entlassungen“, bei denen PatientInnen ohne dass ihre Erkrankung ausgeheilt wäre, entlassen werden. Dies führt zum sogenannten ‚Drehtüreffekt‘, nach dem ,statt einem längeren Krankenhausaufenthalt, viele kleinere Aufenthalte notwendig werden, da diese dann separat abgerechnet werden können. Die bedeutet natürliche einen erhöhten Aufwand und eine zusätzliche Belastung für die PatientInnen.

Seit den 2000ern massiv stärker betrieben wird die Privatisierung von Krankenhäusern. Mit den zockenden Bankern und den angeblich bösen Börsenspekulanten ist ins Alltagsbewusstsein eingedrungen, dass der Kapitalismus Schwierigkeiten hat, noch Investitionsmöglichkeiten zu finden, die ihm ausreichend Profite garantieren und somit zu relativ verzweifelten Mitteln greift. Die Privatisierungen im Gesundheitssektor sind ein anderer Ausdruck dieser Entwicklung. Sie bedeuten vor allem, dass das Privatkapital auch in Sektoren eindringt, die zuvor aus verschiedenen Gründen weniger Profite als andere versprochen hatten. Durch das allgemeine Fallen der Profitrate werden auch diese jetzt im Verhältnis zu anderen Sektoren profitabel.

Wie das Interview mit Onur und Inga gut veranschaulicht, wirkt sich diese Entwicklung auch spürbar auf die Arbeitssituation der PflegerInnen aus. Wir haben uns in dieser Ausgabe aus verschiedene Gründen entschieden, einen genaueren Blick darauf zu werfen. Mit über 1.200.000 Personen ist die Berufsgruppe der PflegerInnen eine der größten in Deutschland4, gleichzeitig gibt es ein sehr weit verbreitetes Bewusstsein darüber, dass die Arbeitsbedingungen nicht hinnehmbar sind und die Arbeit derjenigen, die andere gesund pflegen sollen, sie selber krank macht. Wie aber wirkt sich das auf das politische Bewusstsein und die Kampfbereitschaft der Pflegenden aus?

Eine der wichtigsten Tendenzen der letzten Jahre ist, dass unter dem Deckmantel der Professionalisierung und Modernisierung des Pflegeberufs die Berufsgruppe der PflegerInnen in zwei Lager aufgetrennt werden soll5: einen kleineren Teil von hochqualifizierten medizinischen Experten, auf die auch zunehmend Funktionen der Ärzteschaft abgewälzt werden einerseits und einen größeren Teil, der sich aus niedriger qualifizierten Pflegekräften (z.B. PflegehelferInnen) und neu geschaffenen Berufsgruppen, die überhaupt keinen Pflegeberuf gelernt haben, zusammensetzen soll. Diese zweite Gruppe soll die zeitintensiven Tätigkeiten wie Körperpflege, Essensversorgung und psychische Betreuung abdecken. Für einen deutlich geringeren Lohn, versteht sich.

Vielerorts sind diese „Rationalisierungsmaßnahmen“ mit Outsourcing verbunden worden, also dass zum Teil von den Krankenhäusern selbst gegründete Tochterfirmen Bereiche wie Reinigung oder Patientenservice übernehmen und somit das bisher erkämpfte Lohnniveau in Frage gestellt werden kann.

Dieser Prozess bringt nach dem Willen der Unternehmer mit sich, dass sich die Krankenhaus-ArbeiterInnen in immer kleinere Beschäftigtengruppen aufteilen, die folglich weniger in der Lage sind, ihre Interessen durchzusetzen. Eine schlagkräftige Antwort ist nicht, sich auf dieses Spiel einzulassen und sich von nun an als hochgradig qualifiziferte Pflegekraft und somit etwas besonderes zu fühlen, sondern erstens dieser Aufsplittung entgegenzutreten und sie zweitens zu durchbrechen, wo sie schon durchgesetzt wurde, also immer wieder den Kontakt zu den KollegInnen Pflegehilfen, Servicekräften, Reinigungspersonal usw. suchen.

Wie das Interview mit den beiden PflegerInnen zeigt, ist die Situation im Krankenhaus zunehmend für Beschäftigte wie für Patienten unerträglich. Das ist weitläufig bekannt. Die Frage nach den Ursachen für diese Situation und nach Möglichkeiten von Veränderung sind aber für die meisten viel schwieriger zu beantworten. Meistens werden wahlweise zu unfähige Krankenhausvorstände, korrupte Krankenkassen, gierige Pharmakonzerne oder die mangelnde „Lobby“ der PflegerInnen als Ursache gesehen. All das beschreibt zwar Symptome des Problems, drückt sich aber um die bittere Wahrheit herum: Gute Pflege für alle geht im Kapitalismus auf Dauer nicht. Wie oben erwähnt auch in noch nicht privatisierten Krankenhäusern und Pflegeheimen nicht.

Es bleibt also ein großer Ausweg: Wir müssen uns organisieren und kämpfen – am Ende gegen den Kapitalismus. Aber auch jede uns genommene Errungenschaft, die wir uns auf dem Weg dahin zurückerobern, werden wir gegen den Widerstand der kapitalistischen Politik und Unternehmen durchsetzen müssen.

Niemand kann behaupten, dass die Lage gut ist, aber hoffnungslos ist sie eben auch nicht. Das Gesundheitssystem betrifft die ganze ArbeiterInnenklasse sehr direkt und an potentiellen Verbündeten mangelt es somit nicht.

2Ver.di Broschüre: Allein unter Frauen – Männer in der Pflege

5Ver.di Broschüre : Neue Arbeitsteilung im Gesundheitswesen Interview  51

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