Der Rassismus ist in allen kapitalistischen Staaten eine ständige Erscheinung des politischen und gesellschaftlichen Lebens. Überall dort, wo verschiedene ethnische Gruppen in einem Staat zusammenleben oder wo es Migration gibt, bringt der Kapitalismus unweigerlich auch rassistische Unterdrückung und rassistische Ideologien hervor. Migrantische Arbeiter:innen und Angehörige unterdrückter Nationen erleben den Rassismus in den vielfältigsten Formen: Er beginnt bei der alltäglichen Diskriminierung durch Polizei und Behörden, in der Schule, am Arbeitsplatz oder bei der Wohnungssuche. Er befördert die systematische Spaltung und das Misstrauen zwischen Arbeiter:innen verschiedener Herkunft und ist als Unterdrückungsideologie eng mit dem Faschismus als politischer Bewegung verbunden. Seine extremsten Erscheinungsformen sind Pogrome, rassistisch-faschistische Terroranschläge und die rassistische Aufstachelung zu Kriegen. Die Übergänge zwischen Nationalismus und Rassismus sind dabei meist fließend.
Im vorliegenden Artikel wollen wir die Ideologie des Rassismus als gesetzmäßiges Produkt des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium untersuchen. Der Rassismus liegt nicht in der Natur des Menschen. Er ist keine zufällige Erscheinung oder ein diffuses „strukturelles Problem“, für das am Ende alle und damit keine:r verantwortlich sind. Sondern er bringt die Interessen einer herrschenden Klasse, des imperialistischen Finanzkapitals, zum Ausdruck – nämlich das Interesse an der Spaltung der Arbeiter:innenklasse zwecks ihrer Beherrschung sowie an der Eroberung anderer Länder im Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Der Kampf gegen den Rassismus erfordert deshalb den Kampf gegen das imperialistische System.
Nach einer kurzen begrifflichen Klärung diskutieren wir die Entwicklung des Rassismus – von früheren geschichtlichen Formen hin zu einer zusammenhängenden Weltanschauung im Imperialismus. Die erste Ideologie dieser Art, die auf die Herrschaftsinteressen des Monopolkapitals zugeschnitten war, war in Deutschland der völkische Rassismus. Er wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt und später von den Hitlerfaschisten übernommen. Deutschland war damit dasjenige imperialistische Land, in dem die rassistische Ideologie als erstes und am konsequentesten entwickelt wurde, und hatte damit die Rolle eines ideologischen Zentrums der internationalen Reaktion inne.
Im zweiten Schritt betrachten wir mit der Ideologie der „Neuen Rechten“, darunter dem sogenannten Ethnopluralismus, eine modernisierte, angepasste Form der rassistischen Ideologie. Diese wurde in den 1960er Jahren vor allem in Frankreich entwickelt. Sie dient den Zwecken des Imperialismus unter veränderten politischen Bedingungen, insbesondere nach der Diskreditierung des „klassischen“ völkischen Rassismus infolge der Niederlage des Hitlerfaschismus im Zweiten Weltkrieg.
Was verstehen wir unter Rassismus?
Der Begriff des Rassismus hat eine politisch-ökonomische und eine ideologische Dimension. Unter dem Rassismus als einer politisch-ökonomischen Erscheinung verstehen wir alle Praktiken der besonderen Ausbeutung, Diskriminierung und Unterdrückung bis hin zur Vernichtung bestimmter Bevölkerungsgruppen entlang ethnischer Grenzen, das heißt die Unterdrückung nationaler oder sprachlich-kultureller Gemeinschaften.1 Mit einigen Aspekten dieser Seite des Rassismus, wie etwa der ökonomischen Segregation (Absonderung) oder den rassistischen Alltagserfahrungen von Migrant:innen in Deutschland, haben wir uns bereits in unserem Artikel „Imperialismus und Migration“ beschäftigt.
Der Rassismus als ideologische Erscheinung umfasst dagegen alle Theorien, die der Rechtfertigung solcher Unterdrückungsverhältnisse dienen: Dies ist historisch vor allem die Rassentheorie, die eine qualitative biologische Andersartigkeit verschiedener Menschengruppen behauptet. Sie will hieraus einen gesellschaftlichen Führungsanspruch z.B. der „weißen Rasse“ ableiten.2 Unabhängig von dieser politischen und unwissenschaftlichen Rassentheorie war der Begriff der Rasse noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein auch in der seriösen Wissenschaft ein gängiger Begriff zur Unterscheidung von Menschengruppen anhand biologisch-geographischer Kriterien.3 Dieser gilt aber heute durch die Erkenntnisse der Genetik als wissenschaftlich überholt.4 Eine abgeschwächte Form der Rassentheorie behauptet die Überlegenheit bestimmter Kulturen gegenüber anderen, ohne sich dabei notwendigerweise biologischer Argumente zu bedienen. Solche Theorien können wir unter dem Begriff des Kulturchauvinismus zusammenfassen.
Wir unterscheiden den Rassismus als ethnische Unterdrückung und zugehörige Ideologie begrifflich von Unterdrückungsverhältnissen hinsichtlich anderer Merkmale, wie z.B. der reinen Unterdrückung von Religionsgemeinschaften – wobei sich diese Unterdrückungsverhältnisse in der Praxis häufig stark überschneiden. Begrifflich unterscheidet sich die rassistische Unterdrückung auch von der Unterdrückung von Nationen, die eine ganz bestimmte Fragestellung in der marxistisch-leninistischen politischen Theorie bezeichnet.5 Wie aus der obigen Definition ersichtlich ist, gibt es hier zwar sehr große Überschneidungen. Rassistische Unterdrückung kann jedoch auch dort stattfinden, wo es keine ungelöste nationale Frage gibt, z.B. in Form der Unterdrückung von Migrant:innen. Der Rassismus als ideologische Erscheinung ist darüber hinaus üblicherweise mit irgendeiner Form der Rassentheorie oder des Kulturchauvinismus verbunden. Hiervon ist – trotz gewisser Überschneidungen – der Nationalismus oder Nationalchauvinismus zu unterscheiden, der vor allem die (eigene) Nation verabsolutiert oder deren Überlegenheit propagiert.
Alle Formen der Überhöhung der eigenen ethnischen Herkunft, Nation, Kultur, Religion, des Geschlechts oder anderer Einteilungsmerkmale, die mit der Herabminderung der jeweils anderen Gruppe(n) einhergehen, werden unter dem Oberbegriff des Chauvinismus zusammengefasst.
Die Entstehung und Entwicklung des Rassismus
Vorimperialistische Formen des Rassismus
Frühe Formen des Rassismus haben schon in den vorkapitalistischen Klassengesellschaften existiert. Bekannt ist z.B. der aus dem Griechischen stammende Ausdruck „Barbaren“ (wörtlich: „Stammler“). Damit wurden in der griechischen Sklavenhaltergesellschaft Angehörige anderer Völker, die der griechischen Sprache nicht mächtig waren, als „roh“ und „ungebildet“ verächtlich gemacht. Die römischen Sklavenhalter übernahmen den Begriff später. Sie benutzten ihn als abwertende Bezeichnung für die Völker in den eroberten Provinzen oder den Gebieten außerhalb des Römischen Reiches. Er gehörte zur Ideologie, sich selbst als die „Zivilisation“ und die fremden Völker als „unzivilisiert“ zu betrachten. Diese Ideologie wiederum brachte das Klasseninteresse der Sklavenhalter an der Eroberung immer neuer Territorien zum Ausdruck, um dort neue Sklav:innen als Arbeitskräfte heranzuschaffen. Ähnliche Beispiele für die Herabwürdigung fremder Völker in der herrschenden Ideologie sind auch aus anderen Sklavenhalter- und Feudalgesellschaften bekannt, wie z.B. aus China oder Japan.
Der frühe Kapitalismus wiederum brachte nicht nur die Zwangsenteignung großer Teile der kleinen Bauernschaft in Europa und ihre Verwandlung in Lohnarbeiter:innen durch brutale staatliche Repression,6 sondern baute international auf der Unterwerfung der Kolonien und der millionenfachen Versklavung vor allem von Afrikaner:innen auf: „Während sie die Kindersklaverei in England einführte, gab die Baumwollindustrie zugleich den Anstoß zur Verwandlung der früher mehr oder minder patriarchalen Sklavenwirtschaft der Vereinigten Staaten in ein kommerzielles Exploitationssystem. Überhaupt bedurfte die verhüllte Sklaverei der Lohnarbeiter in Europa zum Piedestal [Sockel] die Sklaverei sans phrase [ohne Hülle] in der neuen Welt.“7 Im Zusammenhang mit Kolonialismus und Sklavenhandel entwickelten sich auch offen rassistische Weltanschauungen, so z.B. im 17. Jahrhundert die christlich-fundamentalistischen Sklavenhalterideologien in Nordamerika.8 In Europa selbst war die herrschende bürgerliche Ideologie bis ins 19. Jahrhundert noch stark durch die gegen den Feudalismus gerichtete Aufklärung und den Liberalismus geprägt. Hier machte sich der Rassismus zunächst vor allem darin bemerkbar, dass die Ideale von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ zwar für die „zivilisierten“ Nationen eingefordert wurden – jedoch nicht für die Kolonien oder die Sklav:innen, die für die europäische Bourgeoisie eben eine äußerst lukrative Handelsware darstellten. Dieser Widerspruch, der die bürgerlichen Klasseninteressen zur damaligen Zeit zum Ausdruck brachte, äußerte sich besonders deutlich z.B. bei Napoleon: Auf seinen Eroberungsfeldzügen durch Europa exportierte er auch zahlreiche Errungenschaften der französischen Revolution, führte das bürgerliche Recht ein und beseitigte feudale Gesellschaftsstrukturen. Dies brachte Friedrich Engels dazu, seine Rolle gegenüber Deutschland als „Repräsentant der Revolution, […] Verkünder ihrer Grundsätze, […] Zerstörer der alten feudalen Gesellschaft“9 zu bezeichnen. In den französischen Kolonien dagegen führte er im Jahr 1802 die Sklaverei ausdrücklich wieder ein, die der französische Nationalkonvent 1794 (zumindest formell) noch abgeschafft hatte. Der „Repräsentant der Revolution“ schickte auch 20.000 Soldaten nach Haiti, um die dortige Sklavenrevolution blutig niederzuschlagen, womit er jedoch letztlich scheiterte, und Haiti zum ersten unabhängigen Staat Lateinamerikas wurde.10
Auch vor der frühen Arbeiter:innenbewegung machte dieser Widerspruch der bürgerlichen Revolution nicht halt. Die Haltung der sozialdemokratischen Parteien Europas gegenüber den Kolonialvölkern lässt sich wohl am besten mit „weitgehender Missachtung“ beschreiben, wie Stalin später darlegte: „Früher beschränkte sich die nationale Frage gewöhnlich auf einen engen Kreis von Fragen, die hauptsächlich die ‚zivilisierten‘ Nationalitäten betrafen. Irländer, Ungarn, Polen, Finnen, Serben und einige andere Nationalitäten Europas – das war der Kreis der nicht vollberechtigten Völker, für deren Schicksal sich die Führer der II. Internationale interessierten. Die Millionen und aber Millionen der Völker Asiens und Afrikas, die unter der nationalen Bedrückung in ihrer rohesten und grausamsten Form litten, blieben gewöhnlich außerhalb ihres Gesichtsfeldes. Man konnte sich nicht entschließen, Weiße und Farbige, ‚Zivilisierte‘ und ‚Unzivilisierte‘ auf eine Stufe zu stellen. Zwei, drei nichtssagende und süßsaure Resolutionen, die die Frage der Befreiung der Kolonien geflissentlich umgingen – das war alles, womit die Führer dcer II. Internationale paradieren konnten.“11 Die genannten frühen, vormonopolistischen Formen des Rassismus bestehen bis heute in verschiedensten Schattierungen weiter und prägen das spontane, bürgerliche Bewusstsein der Massen in allen Teilen der Welt. Dieser spontane Rassismus bildet einen wichtigen Anknüpfungspunkt für die imperialistische, rassistische Ideologie, mit der wir uns im folgenden beschäftigen.
Exkurs: Zum Begriff der Menschenrassen
Die Ansicht, dass Menschen biologisch oder geographisch in verschiedene „Rassen“ eingeteilt werden können, war über lange Zeit der Standard in der bürgerlichen ebenso wie in der marxistischen Wissenschaft, und hat auch das Alltagsdenken geprägt. Das „Philosophische Wörterbuch“ definiert den Rassenbegriff im Jahr 1976 wie folgt: „Menschenrassen als biologische Kategorie sind Gruppen von Menschen, die Herkunft und einen Komplex von charakteristischen Merkmalen des physisch-biologischen Typs gemeinsam haben.“12 Diese würden sich im Zuge der Entwicklung der menschlichen Produktivkräfte immer mehr vermischen und in soziale Klassen umwandeln. Die „Rasse“ sei daher ein historischer Begriff, der in unterschiedlichen Gesellschaftsformationen einen unterschiedlichen Inhalt habe. Zu den physisch-biologischen Merkmalen, welche die Menschenrassen unterscheiden, wurden üblicherweise die Hautfarbe, Augenform u.ä. gezählt. In dem genannten Sinne wird das Wort „Rasse“ auch häufig in älterer kommunistischer Literatur verwendet. Dieser Rassenbegriff ist für sich genommen nicht mit einer gesellschaftlichen Wertung, also einer Hervorhebung oder Herabsetzung bestimmter Bevölkerungsgruppen verbunden. Eine gesellschaftlich-politische Wertung wird erst durch die idealistische Rassentheorie eingeführt, wie sie an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert entwickelt und politisch von den imperialistischen Staaten sowie der faschistischen Bewegung propagiert wurde. Diese Rassentheorie hat jedoch nichts mit biologischer Wissenschaft zu tun.
Der biologische Rassenbegriff basiert geschichtlich auf den Arbeiten des schwedischen Naturforschers Carl von Linné (1707 – 1778), der in seinem Werk „Systema Naturae“ die Tier- und Pflanzenwelt sowie die Mineralien nach verschiedenen Rangstufen (Klasse, Ordnung, Gattung, Art, Varietät) klassifizierte. Darin teilte er die Menschen in die „Varietäten“ Europäer, Amerikaner, Asiaten und Afrikaner ein und ordnete jeder dieser Varietäten eine Hautfarbe, ein bestimmtes Temperament und eine Körperhaltung zu. „Arten“ definieren sich nach diesem System vor allem dadurch, dass Lebewesen einer Art den größten Teil ihrer biologischen Eigenschaften teilen und sich miteinander fortpflanzen können, während Lebewesen verschiedener Arten dies nicht können. Lebewesen unterschiedlicher „Varietäten“ oder „Rassen“ können sich dagegen miteinander fortpflanzen, würden aber dennoch qualitative Unterschiede aufweisen.
Seit der Entwicklung der Genetik kann die Frage der qualitativen Verschiedenheit von Menschen unterschiedlicher geographischer Herkunft auf einer tiefer gehenden Grundlage untersucht werden als bloß äußerliche Merkmale zu vergleichen. Hier stellt sich heraus, dass alle Menschen zu mehr als 99 % genetisch identisch sind. Tatsächlich gibt es zwar gewisse genetische Unterschiede zwischen Menschen, die Vorfahr:innen aus verschiedenen Teilen der Welt haben. Dabei ist jedoch bemerkenswert, dass diese genetischen Unterschiede nicht mit unterschiedlichen physisch-biologischen Merkmalen wie der Hautfarbe einhergehen. Stattdessen beziehen sie sich vor allem auf Gene, die Einfluss auf bestimmte Erbkrankheiten oder die Veranlagung für gewisse psychische Erkrankungen haben. Zum Beispiel ist inzwischen bekannt, dass weiße Europäer:innen mit ostafrikanischen Menschen trotz unterschiedlicher Hautfarbe genetisch wesentlich enger verwandt sind als Ostafrikaner:innen mit indigenen Südafrikaner:innen. Die größten genetischen Unterschiede finden sich demnach innerhalb des Kontinents Afrika, wo die Vorfahr:innen aller Menschen bis vor circa 80.000 Jahren gelebt haben.
Craig Venter, einer der beteiligten Wissenschaftler:innen an der Entschlüsselung der menschlichen DNA zu Beginn der 2000er Jahre, erklärte dazu: „Es gibt mehr Unterschiede zwischen Menschen schwarzer Hautfarbe als zwischen Menschen schwarzer und heller Hautfarbe. Und es gibt mehr Unterschiede zwischen den sogenannten Kaukasiern als zwischen Kaukasiern und Nicht-Kaukasiern.“13
Mit diesen Erkenntnissen gilt der Begriff der menschlichen Rassen heute als überholt. Zwar haben Menschen unterschiedlicher geographischer Herkunft im Sinne der oben genannten Definition tatsächlich verschiedene äußerliche Merkmale entwickelt. Diese sind jedoch verhältnismäßig oberflächliche Unterschiede, die sich erst später herausgebildet haben, nicht mit einer anderen genetischen Struktur einhergehen und daher biologisch keine sinnvolle qualitative Unterscheidung zwischen den in Frage stehenden Menschengruppen begründen.
In diesem Sinne verwenden wir den biologisch-geographisch begründeten Begriff der „Rasse“ heute nicht mehr. In der deutschen Alltagssprache spielt er ebenfalls kaum mehr eine Rolle. Hier muss jedoch berücksichtigt werden, dass dies in anderen Sprachen nicht der Fall ist. Im Englischen etwa ist der Begriff „race“ heute durchaus noch üblich.
Rassismus als imperialistische Ideologie
Obwohl der Rassismus als Unterdrückungsverhältnis und Merkmal der herrschenden Ideologie schon früher bestanden hat, erhält er seine „eigentliche ideologische und soziale Basis und internationale Verbreitung“ erst Ende des 19. Jahrhunderts, als der Kapitalismus in sein monopolistisches, imperialistisches Stadium übergeht:14 Die Konzentration und Zentralisation des Kapitals führt zur Herausbildung von Monopolen, das monopolistische Industrie- und Bankkapital verschmelzen zum Finanzkapital. Der Export von Kapital tritt gegenüber dem Warenexport in den Vordergrund, während die koloniale Aufteilung der Welt abgeschlossen ist. Das Finanzkapital der verschiedenen kapitalistischen Staaten wirft sich in den Kampf um die Verteilung der Weltproduktion und des Weltmarktes. Die Staaten selbst treten in den aggressiven Kampf um die Neuaufteilung der Welt, um Rohstoffwege, Absatzmärkte und geostrategische Einflusssphären. Dieser Kampf kann nur bis zu einem gewissen Grad friedlich verlaufen. Kriege um die Neuaufteilung der Welt werden im Imperialismus also unvermeidlich.15 Vor diesem Hintergrund entsteht das Interesse des imperialistischen Monopolkapitals an der Entwicklung des Rassismus zu einer zusammenhängenden Ideologie und ihrer systematischen Verbreitung in der Bevölkerung. Dies geschieht sowohl aus „inneren“ als auch aus „äußeren“ Gründen:
Der Imperialismus benötigt den Rassismus als Mittel zur Spaltung der Arbeiter:innenklasse im eigenen Land, zur Zurückdrängung des Klassenkampfes und des Sozialismus sowie als direktes Repressionsinstrument. Die Verknüpfung mit dem Antikommunismus ist daher das „politisch-ideologische Hauptmerkmal“ des imperialistischen Rassismus, ebenso wie „seine Pervertierung zum blutigen Instrument des inneren Terrors“16, wie z.B. gegen die Jüd:innen in Deutschland oder gegen die schwarze Bevölkerung in den USA.17
Die imperialistischen Staaten sind darauf angewiesen, möglichst breite Teile ihrer Bevölkerung ideologisch hinter der Unterwerfung anderer Länder und den anstehenden Kriegen um die Neuaufteilung der Welt zu versammeln: Und zwar als entschiedene Unterstützer:innen des eigenen Imperialismus, die bereit sind, selbst für diesen in die Schlacht zu ziehen oder an der „Heimatfront“, wie z.B. in der Kriegsproduktion, Opfer zu bringen.
Der grundlegende Widerspruch in dieser ideologischen Aufgabenstellung liegt darin, die Arbeiter:innenklasse und andere werktätige Teile der Bevölkerung für Ziele zu begeistern, welche die Machtstellung des Finanzkapitals vergrößern und die kapitalistische Ausbeutung verschärfen, die eigene Klassenlage also verschlechtern. Diese Aufgabe erscheint umso komplizierter, da das Bildungsniveau der Massen in den imperialistischen Ländern steigt und der Einfluss des Sozialismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts beträchtlich ist. Aus diesem Grund wird die Rassentheorie, die im 19. Jahrhundert zunächst von Vertretern des Feudaladels entwickelt worden ist, im Laufe der Entwicklung mit einer demagogischen Version des „Sozialismus“ zusammengebracht, um massentauglich und verbreitungsfähig zu werden.
Bezüglich der Entstehung des imperialistischen Rassismus, seiner Ausarbeitung zur völkischen Weltanschauung (v.a. in Deutschland) und deren Popularisierung und Verbreitung in den Massen sind die folgenden zentralen Entwicklungspunkte zu nennen:
In den Jahren 1853-55 veröffentlicht der französische Adelige Joseph Arthur Graf Gobineau (1816 – 1882) die Buchreihe „Die Ungleichheit der Menschenrassen“, die sich gegen den Gleichheitsgedanken der französischen Revolution richtet und – dem Titel entsprechend – eine natürliche Ungleichheit verschiedener Menschenrassen behauptet. Nach Gobineau komme aller Kulturverfall von der Vermischung der höheren „weißen Rasse“ mit niederen Rassen. Die Kultur könne daher nur durch die Herrschaft des Adels aufrechterhalten werden, der die „weiße Rasse“ über Generationen am konsequentesten „rein“ gehalten habe.18– In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewinnt der Sozialdarwinismus in reaktionären bürgerlichen Kreisen an Popularität. Dieser überträgt die Lehren Darwins über die Entwicklung der Arten im Tier- und Pflanzenreich in mechanischer und verfälschter Form auf die menschliche Gesellschaft. Die Entwicklung der Gesellschaft sei durch einen Kampf aller gegen alle ums Überleben gekennzeichnet, bei dem sich die Starken gegen die Schwachen durchsetzen. Es ist augenfällig, dass der Sozialdarwinismus vor allem die Gesetze des kapitalistischen Konkurrenzkampfs auf die Gesellschaft überträgt und daher nicht zufällig in dieser Entwicklungsphase des Kapitalismus entstanden ist. Als Begründer des Sozialdarwinismus gilt der englische Philosoph Herbert Spencer (1820 – 1903).
Zum wichtigsten Begründer einer radikalen Abkehr der bürgerlichen Philosophie von den Positionen der Aufklärung wird Ende des 19. Jahrhunderts schließlich Friedrich Nietzsche (1844 – 1900). Im Zentrum von Nietzsches Philosophie steht der „Wille zur Macht“ als mystische Triebkraft von Natur und Gesellschaft. In enger Verwandtschaft mit dem Sozialdarwinismus sieht Nietzsche die menschliche Gesellschaft als Anhäufung von Individuen mit egoistischen Instinkten und die Geschichte als das Produkt der zufälligen Aufeinanderfolge von „Überwältigungsprozessen“.19 Nietzsche idealisiert die „Starken“, die „vornehmen Rassen“ und ihre „Herrenmoral“, verkörpert durch die „prachtvolle nach Beute und Sieg lüstern schweifende blonde Bestie“, die für ihn in verschiedenen Gestalten daherkommt – als „römischer, arabischer, germanischer, japanesischer Adel, homerische Helden, skandinavische Wikinger“.20
Nach dem kapitalistischen Kriseneinbruch von 1873 („Gründerkrach“) geht das deutsche Großkapital vermehrt dazu über, die Verantwortung für die Krise gegenüber der mittleren Bourgeoisie und dem Kleinbürgertum auf das Judentum zu schieben. Seit dieser Zeit kommt es zur Theoretisierung eines rassistisch begründeten Antisemitismus von Seiten bürgerlicher und adliger Autoren, darunter Wilhelm Marr (1819 – 1904, „Der Sieg des Judenthums über das Germanentum“), Eugen Dühring (1833 – 1921) und Houston Stewart Chamberlain (1855 – 1927, „Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“), 21 einem britischen Schwiegersohn Richard Wagners. Chamberlain wird zu einem wichtigen Ideologen speziell des deutschen Imperialismus, indem er Gobineaus Modell einer Höherwertigkeit der „weißen Rasse“ weiter auf das „Germanentum“ einengt.22
Das „Kunststück […], die Arbeiterschaft im Namen des Sozialismus für den Imperialismus“23 zu gewinnen, geschieht in Deutschland schließlich durch die Verbindung von rassistischem Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Pseudo-Sozialismus zur völkischen Ideologie: Diese behauptet im direkten Angriff auf den Marxismus, dass nicht Klassen das Subjekt der menschlichen Geschichte seien, sondern „Blutsgemeinschaften“ oder „Rassen“. Der fundamentale Kampf spiele sich zwischen der germanischen und der jüdischen Rasse ab, die es auf die Eroberung der Weltherrschaft und die Vernichtung des Germanentums abgesehen habe. Zu diesem Zweck bediene sich das Judentum zweier Mittel, um die germanische Rasse zu zersetzen, nämlich des Internationalismus und des Klassenkampfs. Der marxistische Sozialismus sei daher ein „jüdisch verfälschter“ Sozialismus, bestimmt zur Schwächung des Germanentums. Die sozialistischen Führer seien dementsprechend jüdische Agenten. Ein „wahrer Sozialismus“ müsse sich dagegen auf den Kampf der Rassen ums Dasein, um den „Raum auf der Erde“ stützen. Er müsse ein nationaler und klassenübergreifender Sozialismus sein, der die militärische Stärkung der Volksgemeinschaft anstrebe – ein völkischer Sozialismus. Ein wichtiges Hindernis auf dem Weg zur Errichtung eines solchen völkischen Sozialismus seien soziale Ungerechtigkeiten gegenüber der Arbeiterschaft, die darauf zurückzuführen seien, dass das Judentum auch in das Kapital, nämlich vor allem das „raffende“ Großkapital eingedrungen sei. Für die Erringung des „Sozialismus“ müsse die Arbeiterschaft den jüdischen Marxismus aus ihren Reihen verbannen, sich mit dem „schaffenden“ deutschen Kapital zusammentun und das Judentum aus der Volksgemeinschaft ausrotten. 24
Imperialistischer Rassismus, Antisemitismus und „völkischer Sozialismus“ werden in Deutschland ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert durch Propagandaorganisationen und politische Parteien popularisiert und planmäßig in die Bevölkerung getragen. Eine zentrale Rolle vor allem gegenüber bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kreisen spielt hierbei der 1891 auf Betreiben von Alfred Hugenberg (Krupp-Konzern) und Emil Kirdorf gegründete Alldeutsche Verband als „ideologische Dachorganisaton aller chauvinistischen Verbände“.25 Dieser verfolgt unter anderem die Ziele, das „vaterländische Bewusstsein in der Heimat“ zu beleben, alle „der nationalen Entwicklung entgegengesetzten Richtungen“ zu bekämpfen26 und den deutschen Expansionismus voranzubringen. Ideologisch steht der Verband fest auf der Grundlage der Theorie des Rassenkampfes, der Höherwertigkeit der germanischen Rasse27 und, unter dem späteren Vorsitzenden Heinrich Claß, des Antisemitismus.28 Claß und die Alldeutschen treten auch schon weit vor dem Aufkommen des Faschismus in Italien für die Errichtung einer „antidemokratischen Diktatur“ in Deutschland ein. Der Verband verbreitet die imperialistische Rassenlehre unter anderem durch die gezielte Rekrutierung von Professoren, Lehrern, Ärzten, Pfarrern und anderen Berufsträgern mit gesellschaftlichem Einfluss als Multiplikatoren; durch Propaganda unter Soldaten; durch die Verbreitung pseudowissenschaftlicher Schriften auf rassistischer Grundlage u.a. durch den Verlag seines bayrischen Landesvorsitzenden Julius Friedrich Lehmann (hier erscheint u.a. 1922 die „Rassenkunde des deutschen Volkes“ von Hans Günther, die später programmatische Grundlage der NSDAP wird); sowie durch das organisierte Eindringen rassistischer Inhalte in die Wissenschaft, vor allem die Anthropologie und die Medizin.29 Der Verband wird vom deutschen Industriekapital maßgeblich gefördert, das sich auch selbst ganz offen an der Verbreitung des Rassismus beteiligt: „In diesem Jahr [1903] veranstaltete der Stahlindustrielle Krupp ein öffentliches Preisausschreiben, das die beste Arbeit über‚ die Anwendung von Erkenntnissen der Abstammungs- und Erblichkeitslehre auf das soziale Leben‘ zu prämiieren versprach“. Kreise des deutschen Kapitals sind es schließlich auch, die ab dem Ende des 19. Jahrhunderts versuchen, Arbeiterparteien auf der Grundlage des „völkischen Sozialismus“ aufzubauen: „Der erste Gründungsversuch dieser Art datiert aus dem Jahre 1878. Es war der Versuch des intim mit Kaiser Wilhelm II. befreundeten und ihm zuarbeitenden Berliner Hofpredigers Adolf Stoecker, eine ‚Christlichsoziale Arbeiterpartei‘ auf antisemitischer Basis zu gründen.“30 Es folgen viele weitere Gründungen dieser Art,31 bis sich ab den 1920er Jahren schließlich die NSDAP als führende politische Kraft im völkisch-faschistischen Spektrum durchsetzen kann.
Wir sehen, dass der Rassismus an der Schwelle zum 20. Jahrhundert nicht nur einen neuen klassenmäßigen Zweck erhält. Aufbauend auf philosophischen und anthropologischen Vorarbeiten imperialistischer Ideologen (Nietzsche, Gobineau, Marr, Chamberlain) wird er zudem zu einer zusammenhängenden Weltanschauung weiterentwickelt und – von finanzkapitalistischen Kreisen organisiert – planmäßig, gezielt und massenhaft in die Bevölkerung getragen. Rassismus und Antikommunismus sind dabei von Anfang an zwei Seiten derselben Medaille und werden ergänzt durch imperialistisches Großmachtstreben und das Programm für die Errichtung einer reaktionären Diktatur.
Deutschland bildet damit spätestens seit Nietzsche und (dem Wahldeutschen) Chamberlain das reaktionäre ideologische Zentrum des Imperialismus. Von hier aus verbreiten sich die völkischen Ideen über den Globus, werden – durch den italienischen Faschismus weiter befruchtet – von den Imperialisten und Reaktionären verschiedener Länder begierig übernommen und auf die eigenen Zwecke angepasst (wie z.B. durch den amerikanischen Ku-Klux-Klan, die südafrikanische Ossewabrandwag-Bewegung oder die faschistischen Diktaturen Lateinamerikas32). In Deutschland selbst kann der Hitlerfaschismus auf der jahrzehntelangen propagandistischen Vorarbeit von Organisationen wie dem Alldeutschen Verband aufbauen.33 Er setzt die alldeutschen Pläne einer auf Antikommunismus und Rassismus aufbauenden reaktionären bürgerlichen Diktatur ab 1933 in die Tat um – bis hin zur Entfesselung eines neuen Weltkriegs und der millionenfachen Ermordung der europäischen Jüd:innen, Sinti und Roma und vieler anderer.
„Moderner“ Rassismus – die Ideologie der Neuen Rechten
Nach der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg und der Aufdeckung der Gräueltaten des Hitlerfaschismus ist die völkische Ideologie in ihrer ursprünglichen Form diskreditiert und kann, wenigstens in den imperialistischen Staaten, nur noch in sehr engen Grenzen für propagandistische Zwecke und zur politischen Mobilisierung benutzt werden. Ab den 1960er Jahren kommt es daher ausgehend von Frankreich zur ideologischen Erneuerung des Faschismus. 1968 gründet eine Gruppe faschistischer Intellektueller um den Publizisten Alain de Benoist in Nizza den Theoriezirkel Groupement de recherche et d‘études pour la civilisation européenne (GRECE), der als Wiege der sogenannten „Neuen Rechten“ gilt. Die Gruppierung stützt sich in der Ausarbeitung ihrer Positionen einerseits auf intellektuelle Wegbereiter des deutschen Faschismus wie Oswald Spengler, Carl Schmitt, Ernst Jünger oder Arthur Moeller van den Bruck (die Vertreter der sogenannten „Konservativen Revolution“), andererseits auf Vordenker des italienischen Faschismus. Nicht zuletzt bedienen sie sich auch an den kulturtheoretischen Arbeiten des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci (1891 – 1937), die sie für ihre Vorhaben zweckentfremden.
Das Ergebnis dieser Arbeiten ist eine rassistische Ideologie, die sich als solche nicht offen zu erkennen gibt, da sie den Rassenbegriff durch alternative Konzepte wie „Kultur“, „Ethnie“ oder „Nation“ ersetzt. Nichtsdestoweniger handelt es sich um eine angepasste Form der völkischen Ideologie.
Die wichtigsten Elemente der Ideologie der „Neuen Rechten“ sind die folgenden:34
1. Das „biologische“ oder „realistische“ Menschenbild: Der Mensch ist ein vor allem durch Evolution, Rasse und Instinkt bestimmtes Wesen. Alle gesellschaftlichen und staatlichen Normen müssen seinen natürlichen Gesetzmäßigkeiten entsprechen, darunter Territorialtrieb, Dominanztrieb, Besitztrieb, Aggressionstrieb, Trieb zum Erhalt von Familie und Volk, Sexualtrieb.
2. Die „okzidentale Erkenntnistheorie“: Durch das Zusammenwirken von Leistungsorientierung, Individualismus und biologische Veranlagung ist Europa zum Zentrum der Weltzivilisation geworden. Dieses „okzidentale Syndrom“ bildet das Wesen der „europäischen Identität“. Die Völker unterscheiden sich insgesamt durch ihre „Intelligenzstrukturen“. Asiat:innen und Afrikaner :innen etwa hätten eine geringere Fähigkeit zum logisch-abstrakten Denken, seien aber in manueller Geschicklichkeit überlegen. Die Gesellschaftsordnung in Deutschland und Großeuropa müsse dem Rechnung tragen und in eine „Leistungsgemeinschaft“ ohne Vermischung mit anderen Kulturen umgeformt werden.
3. Der „Bio-Humanismus“: Der Mensch ist primär ein Natur- und erst danach ein Kulturwesen. Er besitzt einen Brutpflege-Komplex zur Bildung von Familie, Volk, Nation und europäischer Völkergemeinschaft. Das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur muss wieder hergestellt, „Techno-Marxismus“ und Intellektualismus müssen zurückgedrängt werden.
4. Der „Ethnopluralismus“: Gemäß dem „realistischen Menschenbild“ muss die Politik nach innen und außen auf die Durchsetzung des Prinzips der „nationalen Identität“ ausgerichtet sein. Die Vermischung der Kulturen wird abgelehnt. Außenpolitisch werden „Volks-Identitäten“ durch Anpassung der Staatsterritorien an die Siedlungsgebiete der Völker angestrebt. Die Staatenwelt soll nach dem ethnischen Ordnungsprinzip der „völkischen Selbstbestimmung“ neu gegliedert werden. Auf Deutschland bezogen bedeutet das (bis 1989) die Vereinigung von BRD und DDR sowie den Zusammenschluss Deutschlands, Österreichs und Südtirols. Auf europäischer Ebene sollen die „Vielvölkerstaaten“ wie das frühere Jugoslawien, aber auch Spanien, das Vereinigte Königreich und andere Länder in kleinere, „ethnisch“ homogene Einheiten zerlegt werden. Diese „völkische“ Staatenordnung soll dann ein Vorbild für die ganze Welt sein.
5. Der „Befreiungsnationalismus“: Die ethnopluralistische Neuordnung Europas wird nicht spontan entstehen, sondern muss durch einen „revolutionären“ „europäischen Nationalismus“ erkämpft werden. Als Vorbild für derartige Kämpfe gilt lange Zeit vor allem der konterrevolutionäre Umsturzversuch in der DDR vom 17. Juni 1953. Später werden vor allem die erfolgreichen Umsturzbewegungen in den revisionistischen Staaten Osteuropas und der Sowjetunion von 1989/90 zum Bezugspunkt des „Befreiungsnationalismus“. Die Neue Rechte übernimmt damit den Revolutionsbegriff der sozialistischen Bewegung und deutet ihn in ihrem Sinne ins Gegenteil um, um sich als „revolutionäre“ Kraft in Szene zu setzen.
6. Der „Europäische Sozialismus“: Dem marxistischen Klassensozialismus wird ein nationalistischer „Volkssozialismus“ entgegengestellt, dessen Träger das „ungeteilte Volk“ ist. Grundprinzip des „Sozialismus“ ist die Hierarchie, worunter die Übertragung des Dominanztriebs aus dem Menschenbild auf die Wirtschaftsordnung verstanden wird. Der „sozialistische Maßstab für den Wert des einzelnen Menschen“ ist die „Bereitschaft, nationale Solidarität zu üben“. Die parlamentarische Demokratie wird abgelehnt. Für den „Befreiungsnationalismus“ müssen fünf Einzelforderungen in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden: Ethnopluralismus, ökologische Lebensgestaltung, humaner Sozialismus (realistisches Menschenbild), dezentrale Wirtschaftsordnung, kulturelle Erneuerung und Basisdemokratie.
Ähnlich wie der klassische völkische Rassismus seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert durch Propagandaorganisationen des Monopolkapitals und politische Parteien planmäßig in alle Teile der Gesellschaft getragen wurde, verbreitet auch die Neue Rechte ihre Inhalte über eine systematische Verankerung in Staat und Medien in den Massen. Kennzeichnend ist hierbei, dass sie dabei gezielt kulturelle Formen der Linken kopiert und für ihre Zwecke nutzt. In Deutschland sind die wichtigsten Organe der „Neuen Rechten“ heute die Zeitschriften Junge Freiheit und Compact, die inzwischen zum Umfeld der AfD gehören.
Eine deutliche ideologische Nähe zu staatlichen Institutionen ist darüber hinaus schon lange feststellbar: Die vom deutschen Außenministerium finanzierte „Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen“ (FUEV) fördert innerhalb Europas die praktische Verwirklichung einer „ethnischen Neuordnung“, nämlich durch die Unterstützung der politischen Bestrebungen von nationalen Minderheiten in den deutschen Nachbarstaaten. Es ist überdies kein Zufall, dass die Europaorientierung der Neuen Rechten den geostrategischen Interessen des deutschen Imperialismus nach dem Zweiten Weltkrieg entspricht.
Der frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hat wesentliche Inhalte der neurechten Programmatik in einer Reihe von Büchern popularisiert, die von 2010 bis 2016 vom DVA-Verlag, der zum Bertelsmann-Konzern gehört, breit vermarktet wurden.35 In den USA wiederum hat der Geostratege Samuel Huntington nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in seiner Schrift „The Clash of Civilizations“ die geopolitisch-ideologische Linie des Imperialismus für das 21. Jahrhundert ausgegeben: Das neue Jahrhundert werde vom Kampf zwischen verschiedenen Zivilisationen oderSKulturräumen (christlich-jüdischer Westen, islamische Länder und China) bestimmt, auf den die westlichen imperialistischen Staaten mit einer Stärkung der „westlichen Identität“ und einer von den USA angeführten Geopolitik der Macht reagieren müssten.36 Auch hier kommt die Nähe zwischen neurechter und offizieller staatlicher Ideologie nicht von ungefähr.
Zusammenfassung
Der Rassismus ist keine isolierte, zufällige Erscheinung, sondern muss geschichtlich, im Zusammenhang mit der Entwicklung der Klassengesellschaften analysiert werden. Frühformen finden sich bereits in den Sklavenhaltergesellschaften, wie z.B. in Griechenland und Rom. Doch erst im imperialistischen Stadium des Kapitalismus erhält der Rassismus eine feste gesellschaftliche Basis, wird zu einer zusammenhängenden Ideologie entwickelt und systematisch verbreitet. Dabei dient er den Interessen des imperialistischen Finanzkapitals, nämlich zur Spaltung der Arbeiter:innenklasse, zur Zurückdrängung revolutionärer Bewegungen, als unmittelbares Repressionsinstrument sowie zur ideologischen Vereinnahmung breiter Bevölkerungsteile für die eigenen Kriegspläne und die Unterwerfung anderer Länder. Der Rassismus steht dabei stets in enger Verbindung mit Antikommunismus, Plänen zur Errichtung einer antidemokratischen Diktatur und Kriegsvorbereitungen. Die konkrete Ausarbeitung rassistischer Ideologien findet ab Ende des 19. Jahrhunderts auf der Grundlage der „reaktionären Wende“ in der bürgerlichen Philosophie (Nietzsche) statt und geschieht schrittweise durch bürgerliche und adelige Ideologen (Gobineau, Spencer, Marr, Chamberlain). Deutschland wird zum Entstehungszentrum des imperialistischen Rassismus. Dort wird er schließlich als völkisch-rassistischer Antisemitismus durch monopolkapitalistische Propagandaorganisationen (Alldeutscher Verband) planmäßig in die Massen getragen und, verbunden mit einem demagogischen Pseudo-Sozialismus, zum Aufbau „falscher Arbeiterparteien“ verwendet. Es findet eine jahrzehntelange ideologische Vorarbeit durch imperialistische Organisationen statt, auf der die NSDAP ab den 1920er Jahren politisch aufbauen kann. Nach der Diskreditierung des völkischen Rassismus durch die Hitlerfaschisten findet nach dem Zweiten Weltkrieg, ausgehend von Frankreich, eine „Modernisierung“ der rassistischen Ideologie statt, bei der die Rassentheorie zugunsten des Kulturchauvinismus in den Hintergrund tritt. Diese bildet die Grundlage auch für den Aufstieg heutiger faschistischer Bewegungen und Parteien (wie z.B. der AfD).
1Hierbei ist zu beachten, dass der Begriff der ethnischen (also nationalen oder sprachlich-kulturellen) Gemeinschaften nicht mit dem postmodernen Begriff der „Ethnie“ zu verwechseln ist, der heute in der Ethnologie vielfach anzutreffen ist und auf idealistischen Grundlagen beruht.
2Vgl. Klaus, Buhr, “Philosophisches Wörterbuch”, VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1976, S. 1009
3Ebd.
4Siehe den Exkurs: Zum Begriff der Menschenrassen
5Vgl. „Nationale und koloniale Frage“, aus: „Grundlagen des Marxismus-Leninismus“, Verlag Leo Jogiches 2021, S. 321 ff.
6Marx, „Das Kapital“, Band 1, MEW 23, S. 741 ff.c
7Ebd., S. 787 f..c
8Vertreten z.B. durch den Puritaner John Eliot (1604 – 1690), vgl. Dynnik u.a., „Geschichte der Philosophie“, Band I, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1960, S. 555 f.
9Friedrich Engels, „Deutsche Zustände“, MEW 2, S. 568
10„Napoleon und die Sklaverei: ‚Ganz einfach, ich bin für die Weißen, weil ich weiß bin‘“, Frankfurter Rundschau, www.fr.de/kultur/gesellschaft/napoleon-und-die-sklaverei-ganz-einfach-ich-bin-fuer-die-weissen-weil-ich-weiss-bin-90487618.html
11Stalin, „Über die Grundlagen des Leninismus“, SW 6, S. 122
12Klaus, Buhr, “Philosophisches Wörterbuch”, VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1976, S. 1009
13Vgl. „Es gibt keine Rassen“, Dagmar Röhrlich, www.deutschlandfunk.de/menschheitsgeschichte-es-gibt-keine-rassen.1148.de
14„Philosophisches Wörterbuch”, ebd.
15Vgl. Lenin, „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“, LW 22, S. 189 ff.
16Vgl. “Philosophisches Wörterbuch”, ebd.
17Vgl. „Aktive Selbstverteidigung und Organisierung – Die Black Panther Party“, Kommunismus 10, S. 32 ff.
18Vgl. Reinhard Opitz, „Faschismus und Neofaschismus“, Verlag Marxistische Blätter 1984, S. 13
19Vgl. Nietzsche, „Zur Genealogie der Moral“, dtv de Gruyter 2020, S. 314
20Ebd. S. 275
21Vgl. Opitz, S. 21
22Ebd. S. 19
23Ebd.
24Ebd., S. 26 f.
25Jürgen Kuczynski, „Studien zur Geschichte des deutschen Imperialismus“, Band 2, Dietz 1950, S. 25
26Ebd.
27Ebd., S. 36 f.
28Ebd., S. 99
29Vgl. Opitz, S. 16 f.
30Ebd., S. 29
31Ebd. S. 29 ff.
32Vgl. Eberhard Hackethal, „Faschismus in Lateinamerika“, aus: Eichholtz, Gossweiler (Hrsg.), „Faschismus-Forschung“, Akademie-Verlag 1980, S. 237 ff.
33Vgl. Joachim Petzold, „Die Entstehung der Naziideologie“, ebd., S 261 ff.
34Eine ausführliche Darstellung der Ideologie der „Neuen Rechten“ haben wir gegeben in: „Faschismus reloaded – die AfD und ihre Funktion für das deutsche Kapital“, Kommunismus 6, S. 7 ff.
35Seit 2020 werden Sarrazins Bücher im Langen Müller Verlag herausgegeben. Ab 1936 war der Verlag Teil der faschistischen Deutschen Arbeitsfront
36Samuel Huntington, „The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order“, Simon & Schuster 1997, S. 301 ff.; sowie