Die Leser:innen können in diesen Grundlagentext mit einer Frage einsteigen: „Warum interessiere ich selbst mich eigentlich für den Sozialismus und beschäftige mich mit diesem Text?“. Darauf wird es vielfältige Antworten geben. Doch in jedem Fall sind wir auf unserem Weg mit kommunistischer Agitation und Propaganda in Kontakt gekommen. Sei es in Form von Flyern, Texten, Reden, Social-Media-Beiträgen, Stickern, Graffiti, Vorträgen oder der einfachen Diskussion mit Freund:innen, Bekannten oder Familie. Gerade das persönliche Gespräch – also mündliche Agitation – war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Grund dafür warum wir heute diesen Text in den Händen halten. Aber warum ist das eigentlich so? Wieso sind wir nicht von klein auf Kommunist:innen?
Schon in dem Werk „Die deutschen Ideologie“ (1846) schrieben Karl Marx und Friedrich Engels dazu: „Nicht das Bewußtsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewußtsein“1. Wir werden nicht als Kommunist:innen geboren, sondern von den gesellschaftlichen Verhältnissen geprägt, die auf uns einwirken. Das „menschliche Wesen“ ist nach Marx und Engels „kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.“2
Diese gesellschaftlichen Verhältnisse – der Kapitalismus, das Patriarchat usw. – machen uns zu dem Menschen, der wir sind. Die patriarchale Familie lehrt uns Über- und Unterordnung, die kapitalistische Schule sortiert uns vor für den Arbeitsprozess, bürgerliche Medien lehren uns die Ideen der herrschenden Klasse, in der Lohnarbeit erleben wir die Konkurrenz usw. Durch all diese gesellschaftlichen Institutionen zieht sich die bürgerliche Ideologie, welche uns formt. Doch nicht nur diese wirkt auf uns ein, sondern auch der sich gesetzmäßig im Kapitalismus entwickelnde Klassenkampf.
Lenin entwickelte, dass dieser Klassenkampf eine „Keimform der Bewußtheit“3 hervorbringt, welche jedoch begrenzt bleibt: „Die Geschichte aller Länder zeugt davon, daß die Arbeiterklasse ausschließlich aus eigener Kraft nur ein trade-unionistisches Bewußtsein hervorzubringen vermag, d. h. die Überzeugung von der Notwendigkeit, sich in Verbänden zusammenzuschließen, einen Kampf gegen die Unternehmer zu führen, der Regierung diese oder jene für die Arbeiter notwendigen Gesetze abzutrotzen u. a. m.“4
Laut Lenin lägen die Gründe dafür darin, dass „die bürgerliche Ideologie ihrer Herkunft nach viel älter ist als die sozialistische, weil sie vielseitiger entwickelt ist, weil sie über unvergleichlich mehr Mittel der Verbreitung verfügt.“5 Aufgrund dieser Analyse kommt der russische Revolutionär dann zu dem Schluss:„Das politische Klassenbewußtsein kann dem Arbeiter nur von außen gebracht werden das heißt aus einem Bereich außerhalb des ökonomischen Kampfes, außerhalb der Sphäre der Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern. Das Gebiet, aus dem allein dieses Wissen geschöpft werden kann, sind die Beziehungen aller Klassen und Schichten zum Staat und zur Regierung, sind die Wechselbeziehungen zwischen sämtlichen Klassen.“6
Von „außen“ bedeutet also dabei nicht, dass das Klassenbewusstsein von außerhalb der Klasse hineingetragen werden muss. Selbstverständlich sollten hier die Fortgeschrittensten unserer Klasse führend sein. Laut Lenin entsteht aber das proletarische Klassenbewusstsein nicht spontan im ökonomischen Kampf, sondern es benötigt eine allseitige Bewusstseinsarbeit, welche alle Fragen des politischen Lebens von einem Klassenstandpunkt beantwortet und diese Gedanken konkret und verallgemeinert in die Klasse hineinträgt. Dies geschieht eben vermittels kommunistischer Agitation und Propaganda.
Was ist Agitation? Was ist Propaganda?
Die Begriffe „Agitation“ und „Propaganda“ sind in der heutigen bürgerlichen Gesellschaft meist negativ konnotiert. Der Duden definiert „Agitation“ als „Hetze“. „Propaganda“ wird oft im Zusammenhang mit dem Hitlerfaschismus im Schulunterricht genannt. In diesem Text und der marxistisch-leninistischen Literatur werden die Begriffe anders verwendet, nämlich als zwei Methoden kommunistischer Bewusstseinsbildung.
Sowohl Agitation als auch Propaganda wecken, beziehungsweise schärfen, das Klassenbewusstsein. Durch konkrete logische Argumente und entsprechende Schlussfolgerungen wird unsere Rationalität und das Denken angesprochen. Beide Formen wollen letzten Endes auch bewirken, dass eine Handlung daraus folgt. Also zum Beispiel zu einer Demonstration zu gehen, sich zu organisieren, sich zu bilden, zu eine:r Kader:in zu werden usw. Allerdings haben sie dabei verschiedene Ansatzpunkte und setzen unterschiedliche Schwerpunkte, die wir uns im Folgenden genauer anschauen wollen.
Beginnen wir damit, uns eine klassische Definition von Agitation und Propaganda aus der kommunistischen Geschichte anzusehen. In seinem Werk „Was tun“ schrieb Lenin im Jahr 1902:
„[der Propagandist] muß „viele Ideen“ vermitteln, so viele, daß sich nur (verhältnismäßig) wenige Personen alle diese Ideen in ihrer Gesamtheit sofort zu eigen machen werden.
Der Agitator hingegen, der über die gleiche Frage spricht, wird das allen seinen Hörern bekannteste und krasseste Beispiel herausgreifen – z. B. den Hungertod einer arbeitslosen Familie, die Zunahme der Bettelei usw. – und wird alle seine Bemühungen darauf richten, auf Grund dieser allen bekannten Tatsache der „Masse“ eine Idee zu vermitteln: die Idee von der Sinnlosigkeit des Widerspruchs zwischen der Zunahme des Reichtums und der Zunahme des Elends, er wird bemüht sein, in der Masse Unzufriedenheit und Empörung über diese schreiende Ungerechtigkeit zu wecken, während er die restlose Erklärung des Ursprungs dieses Widerspruchs dem Propagandisten überlassen wird.
Der Propagandist wirkt darum hauptsächlich durch das gedruckte, der Agitator durch das gesprochene Wort.“7
Fassen wir diese klassische Passage des Marxismus-Leninismus zum besseren Verständnis noch einmal in eigenen Worten zusammen:
Die Agitation richtet sich an möglichst große Teil der breiten Arbeiter:innenmassen und setzt sich zum Ziel ihr Klassenbewusstsein herauszubilden. Dafür werden meist konkrete Situationen aus dem Alltag und der Lebensrealität der Klasse aufgegriffen, anhand derer dann ein größerer Zusammenhang herausgestellt wird. Dabei geht es darum, einzelne Gedanken des wissenschaftlichen Sozialismus verständlich herzuleiten und erfahrbar zu machen. Bei Lenin wurde etwa der Hungertod als extremste Auswirkungen des Kapitalismus als Beispiel gewählt und anschließend wird der größere Zusammenhang zum Kapitalismus hergestellt.
Ausgehend von einer rationalen Komponente, also einem kapitalistischen Widerspruch, wird dabei insbesondere auch versucht, die Gefühle der Menschen anzusprechen, Empörung hervorzurufen, sie aufzurütteln. Deshalb werden bei der Agitation oft auch besonders starke Ausdrucksformen wie intensive Reden mit großen Gesten und Stimmbetonung verwendet. Zudem wird oft bildlich verdeutlicht, das selber Erlebte und persönlich Erfahrene etc. aufgenommen, um eine Verbindung zu den Zuhörer:innen aufzubauen.
Die Propaganda richtet sich dagegen insbesondere an die fortgeschrittensten Teile der Klasse, das heißt: diejenigen Teile, welche das System hinterfragen, allseitig interessiert sind und bereit sind aktiv zu werden; diejenigen Teile die bereits in der klassenkämpferischen Arbeiter:innenbewegung aktiv sind; bis hin zu den organisierten Kommunist:innen. Dementsprechend richtet sie sich tendenziell an weniger Personen als die Agitation. Ziel ist es hierbei das Klassenbewusstsein allseitig herauszubilden, zu schärfen und auf eine noch höhere Stufenleiter zu heben. Es geht darum, nach und nach immer mehr Menschen unserer Klasse dazu zu befähigen, die Welt aus einer marxistischen Perspektive zu analysieren, ihre eigene Rolle darin zu verstehen und schließlich einzunehmen, in dem sie zu kommunistischen Anführer:innen werden.
Im Unterschied zu Agitation wird hier nicht von einer einzelnen Auswirkung auf das System geschlossen, sondern es werden größere, komplexe Zusammenhänge und Ideen vermittelt. Auch bei der Propaganda werden Emotionen angesprochen, wenngleich die wissenschaftliche Herleitung und die aufklärerische Arbeit – und damit die Ansprache des rationalen Denkens – im Vordergrund stehen.
Wir können also sehen, dass in der Agitation und Propaganda jeweils unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden und unterschiedliche Zielgruppen angesprochen werden. Zugleich ist es wichtig zu betonen, dass zwischen beiden Vermittlungsmethoden keine „chinesische Mauer“ liegt, sondern unterschiedliche Herangehensweisen, die beide notwendig sind, um das Klassenbewusstsein in die verschiedenen Teile der Arbeiter:innenklasse hineinzutragen und die Arbeiter:innen anhand ihres jeweiligen Bewusstseinsstandes zu erreichen und diesen weiterzuentwickeln.
Verschiedene Formen der Agitation und Propaganda
Es gibt unterschiedliche Wege, wie wir unsere Standpunkte in die Massen und fortgeschrittensten Teile der Klasse tragen können. Lenin sprach 1902 davon, dass der „Propagandist hauptsächlich durch das gedruckte, der Agitator durch das gesprochene Wort“ wirke. Dies ist im Grundsatz auch weiterhin richtig. Seit dem haben sich jedoch die Kommunikationsmittel und -methoden um einiges erweitert bzw. entwickelt und wir finden heute eine noch breitere Vielfalt an Möglichkeiten, die wir im Bereich der Agitation und Propaganda nutzen können. Sehen wir uns dabei verschiedene Formen an.
Mündliche Agitation und Propaganda
Die direkte, persönlich Ansprache der Klasse, die mündliche Agitation, ist Kernbestandteil jeglicher kommunistischer Massenarbeit. Hierunter fällt die klassische Rede oder Moderation auf einer Demonstration ebenso wie das persönliche Gespräch am Infostand, im Betrieb, in der Schule oder Universität, mit der Familie, mit Freund:innen usw. Insbesondere auch im Streitgespräch mit den politischen Gegner:innen kommen viele agitatorische Mittel zum Einsatz. In dieser Agitationsform werden Inhalte sowohl verbal (durch den Inhalt und die Argumentation), paraverbal (durch Tonlage und Sprechgeschwindigkeit), als auch nonverbal (durch Mimik und Gestik usw.) vermittelt.
Doch es gibt auch Methoden der mündlichen Propaganda, etwa durch längere Vorträge, Seminare, Workshops oder Lesekreise, bei der über das Gelesene diskutiert wird. Hier werden komplexere Zusammenhänge an eine kleinere Anzahl an Menschen in der unmittelbaren Diskussion vermittelt und vertieft.
Schriftliche Agitation und Propaganda
Zeitschriften, lange Texte bis hin zu ausführlichen Büchern – all dies fällt klassischerweise in den Bereich der schriftlichen Propaganda. Durch die schriftliche Form, bei der – im Gegensatz zum gesprochenen Wort – die Inhalte auch wiederholt gelesen werden können, ist es möglich, kompliziertere Gedanken besonders gut ausführlich darzulegen.
Doch auch Agitation kann schriftlich stattfinden. Flyer mit Kurzaufrufen gehören ebenso zur Agitation wie ein großer Teil der Artikel in der kommunistische Massenpresse in Form von politischer Tagespresse, aber auch Schüler:innenzeitungen, Betriebszeitungen, Stadtteilzeitungen usw. Zudem haben politische Erklärungen von Organisationen – etwa zu aktuellen Ereignissen – meist eher einen agitatorischen Charakter.
Audiovisuelle und kulturelleAgitation und Propaganda
Durch die Entwicklung der Produktivkräfte und Technik hat heute der Bereich der audiovisuellen Agitation und Propaganda stark an Bedeutung gewonnen. Es werden in der audiovisuellen Agitation „Sharepics“, oder kurze Videos ebenso eingesetzt wie Aufkleber, Plakate, Graffiti und Transparente um kurze Losungen zu vermitteln. Schrifttypen, Farbwahl, oder das Nutzen von Symbolik (Faust, Hammer & Sichel, neue Symbole) – all dies spielt in diesem Bereich eine wichtige Rolle und sendet verschiedene Signale an die Person, welche die audiovisuelle Agitation empfängt.
Natürlich können Elemente wie Video oder Audio auch für die Verbreitung von audiovisueller Propaganda genutzt werden: Erklärvideos, Onlinevorträge, längere Podcasts bis hin zu ganzen Video-Dokumentationen sind möglich um die kommunistische Weltanschauung zu verbreiten.
Auch der gesamte Bereich der Kunst, Musik, Literatur und Film kann eine Form sein, mit der einzelne Ideen bis hin zu komplexen Zusammenhängen vermittelt werden können. So kann politische Musik breite Massen auf eine einfache und zugleich besondere Art ansprechen. Kurzgeschichten, Romane bis hin zu Spielfilmen können Inhalte über das Kommunist:in-Sein ebenso deutlich machen, wie Probleme im sozialistischen Aufbau. Alle diese Formen kultureller Agitation und Propaganda können in Form von Gedenkveranstaltungen, Konzerten, Ausstellungen, Lesungen, Filmabenden oder Festivals zudem zusammengefasst werden und dadurch sowohl einer breiteren Masse bekannt gemacht werden, als auch durch die Veranstaltung selbst die revolutionäre Kultur, Zusammenhalt und Optimismus gestärkt werden.
Zudem hat das eigene Auftreten, etwa auf Demonstrationen, verschiedene agitatorische Komponenten: Mit Transparenten, Schildern und Parolen soll auf bestimmte Missstände und Themen aufmerksam gemacht werden und gleichzeitig die eigene Organisation bekannt gemacht und der notwendige Zusammenhalt und die gemeinsame Organisiertheit etwa durch einheitliche Fahnen, Westen oder rote Halstücher nach außen getragen werden.
Die „Propaganda der Tat“
Eine Sonderform der Agitation und Propaganda ist die Propaganda der Tat. Diese stammt ursprünglich aus der anarchistischen Bewegung8. Unter diese Taktik wurden sowohl Attentate auf Repräsentanten des Staates, als auch Banküberfälle zur „Enteignung“ gefasst. Sie sollten den Staat als angreifbar entlarven und die Massen zu weiteren Aktionen animieren. In den 1970er Jahren war dieses Konzept ein leitendes Prinzip verschiedenen Stadtguerilla-Gruppen.
Die Bolschewiki kritisierten die frühen Anarchist:innen für ihren „individuellen Terror“. Jedoch nicht weil Repräsentanten des Staates nicht angegriffen werden sollten9, sondern weil dies nicht als Teil einer organisierten Arbeiter:innenbewegung und eines Aufstands und losgelöst von der Entwicklung des revolutionären Prozesses stattfand. Banküberfälle spielten so bei den Bolschewiki eher die Rolle, die Bewegung dadurch zu finanzieren.
Heute finden in Deutschland noch immer regelmäßig Aktionen statt, die als „Propaganda der Tat“ auf niedriger Stufenleiter verstanden werden können: Zum Beispiel ein bengalisches Feuer in einer Demonstration zu zünden, das Parteibüro einer Regierungspartei zu markieren oder einen Farbbeutel auf einen faschistischen Politiker zu werfen usw. Sie sollen zum einen praktisch symbolisieren, dass man in der Lage ist, kollektiv den vorgegeben Rahmen zu überwinden und zugleich soll die Aktion als solche eine politisch-antagonistische Botschaft vermitteln. Aus kommunistischer Sicht können diese Aktionen eine geeignete Form von Agitation und Propaganda sein, wo sie helfen das Klassenbewusstsein sowohl einer fortschrittlichen Minderheit zu erhöhen, als auch eine Vermittlung in der breiteren Masse zu fördern.
Die Presse neuen Typs
Die Herrschenden verfügen über eine Reihe an Institutionen, um die bürgerliche Ideologie direkt und bewusst in die Klasse zu tragen und eine bürgerliche Hegemonie herzustellen: das staatliche und private Bildungssystem; staatliche und private Massenmedien; kapitalistische Film- und Musikindustrie; Religion und Kirche; Parlamentarismus sowie bürgerliche (konservative, sozialdemokratische wie faschistische) Parteien usw. Wir müssen ebenso vielfältige Kanäle schaffen, um die kommunistische Weltanschauung in jeden Lebensbereich unsere Klasse zu tragen. Doch wie gelingt das?
Die Frage der erfolgreichen kommunistischen Agitation und Propaganda kann von der Organisationsfrage nicht getrennt betrachtet werden. Als Lenin etwa den Plan für eine gesamtrussische Zeitung in „Was tun“ entwickelte, ging es ihm nicht nur darum, eine besonders gute Agitations- und Propagandaplattform zu schaffen. Die Zeitung sollte auch als kollektiver Organisator, als Methode für den Parteiaufbau, wirken.
Zum einen sollte dadurch die Führung der Partei geschaffen und verbreitert werden: durch inhaltliche Vereinheitlichung der Anführer:innen der revolutionären Kräfte in Russland, im dauerhaften Austausch in der Zeitungsredaktion. Sowie deren Ausbildung vermittels der ständigen Bewertung der aktuellen Lage, sodass diese in die Lage kommen, jede Wendung im Klassenkampf nachzuvollziehen und in einem revolutionären Prozess leiten zu können.10
Zum anderen sollte der Prozess der Herstellung und Verbreitung der Zeitung dazu dienen, ein verdeckten Organisationsgerüsts einer russlandweiten Organisation aufzubauen. Dies sollte durch den Aufbau von konspirativen Verbindungen zwischen den Städten zur Verbreitung der Zeitung geschehen, welches die systematische Schaffung von Berufsrevolutionär:innen unterstützt.11 Dadurch, sowie durch die Einbeziehung lokaler Zirkel und ihrer Korrespondent:innen sollten alle revolutionären Kräfte in den Parteiaufbau integriert werden und zugleich eine faktische Einheit geschaffen werden.12 Die verschiedenen Bereiche Agitation und Propaganda sowie Organisation bedingten und ergänzten sich hier gegenseitig.
Aus dieser erfolgreichen Methode sowohl zur Schaffung einer qualitativ hochwertigen (weil allseitigen und von erfahrenen Führer:innen verfassten) Agitation und Propaganda, sowie einer revolutionären Organisation können wir bis heute lernen. Auch heute müssen kommunistische Agitation, Propaganda und Organisationsaufbau im engen Zusammenhang gedacht und entwickelt werden. Es gibt jedoch auch einige wichtige Aspekte, in denen sich die damalige Situation von unserer Lage heute unterscheidet, die wir bei der revolutionären Verwertung von Lenins Konzept berücksichtigen müssen.
Ein dialektischer Umgang mit Lenins Plan einer gesamtrussischen Zeitung
Im zaristischen Russland im Jahre 1902 war aufgrund der Produktivkraftentwicklung und anhaltenden Repression eine zentrale Zeitung sehr aufwendig zu produzieren (und machte einen breiten konspirativen Apparat notwendig), zog aber umso größere Aufmerksamkeit auf sich, wenn sie beispielsweise Arbeitsstätten erreichte, wo es sonst gar keine anderen Informationen gab.
Im Vergleich dazu kann eine gedruckte und/oder online erscheinende Zeitung heute, unter den Bedingungen der bürgerlichen Demokratie in Deutschland, verhältnismäßig leicht hergestellt werden, während es zugleich ein potenzielles Überangebot an Informationen gibt.
Auch zahlreiche Medienformate, die Anfang des 20. Jahrhunderts nicht existent waren oder noch kaum ausgereift waren, haben sich seitdem entwickelt und müssen von uns gezielt eingesetzt werden, dazu zählen Film und Video-Formate, über Radioformate (oder Podcasts) bis hin zum gesamten Bereich der sogenannten sozialen Medien.
Bei all den uns heute zur Verfügung stehenden modernen Möglichkeiten der Agitation und Propaganda mittels Sozialer Medien, digitaler Medienplattformen und weiterer moderner Kommunikationsmittel dürfen wir nicht vergessen, dass diese jeweils selbst kapitalistische Monopole sind, die uns prinzipiell feindlich gegenüberstehen. Insbesondere in Zeiten, in denen sich die Klassenkämpfe zuspitzen oder der Staat gezielt gegen uns vorgeht, können uns die Möglichkeit von heute auf morgen weitgehend wieder komplett genommen oder zeitweise eingeschränkt werden. Es muss uns also bei der Frage der Mittel und Methoden der Agitation und Propaganda immer auch darum gehen, diese so breit und vielfältig – und da wo es uns möglich ist, auch technisch und organisatorisch unabhängig – aufzubauen, so dass wir sie jeder Repression und Zensur zum Trotz nutzen und einsetzen können. In dieser Hinsicht müssen wir uns bei allen gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen ganz in die Tradition der Bolschewiki stellen.
Zudem existierte Anfang des 20. Jahrhunderts in Russland eine breite spontane Arbeiter:innenbewegung mit regelmäßigen – teilweise bewaffneten – Massenstreiks, in welchen die Sozialdemokrat:innen verstreut in zahlreiche kleine Zirkel wirkten. Die Frage der Vereinigung dieser Zirkel war damals eine andere als heute, wo zwar auch Zirkel bestehen, aber die Frage des Parteiaufbaus zeitgleich mit der Frage des Wiederaufbaus einer klassenkämpferischen Arbeiter:innenbewegung gestellt werden muss.
Heute ist es so, dass unsere Klasse sehr viel stärker ausdifferenziert ist, als noch vor 100 Jahren – und deshalb gerade auch die Vielfalt und Ausdifferenziertheit von Agitations- und Propaganda-Kanälen wichtig ist. Das bedeutet nicht, dass es keine einzelnen starken und bekannten Zeitungsorgane geben kann und muss – diese müssen wir jedoch eher breiter als ein allseitiges Agitations- und Propagandanetzwerk verstehen, welches die Pressearbeit als ein zentrales Element beinhaltet. Heute bieten sich besonders im imperialistischen Zentrum, mit all seinen technischen Verbreitungsmöglichkeiten sehr viele breite und kreative Möglichkeiten zur Agitation und Propaganda an, die wir als Kommunist:innen nutzen können und müssen.
Ein Netzwerk revolutionärer Medien
Es gilt deshalb heute nach und nach ein ganzes Netzwerk aus Organen und Trägern der kommunistischen Agitation und Propaganda zu schaffen, welche der bürgerlichen Ideologie in allen Lebensbereichen etwas entgegensetzt und Räume für unsere Agitation und Propaganda schafft. Das umfasst beispielsweise Massenorganisationen welche die kommunistische Weltanschauung überall dorthin tragen, wo unsere Klasse lebt und arbeitet. Es muss uns also auf dem Weg des Parteiaufbaus auch darum gehen, ein eigenes revolutionäres Bildungswesen und ein Netzwerk kommunistischer Medien- und Kultureinrichtungen zu schaffen.
Die einzelnen Teile dieses Netzwerk sollten jedoch dabei nicht einfach Lose nebeneinander existieren, sondern benötigen ein revolutionäres Zentrum, welches die verschiedenen Bereiche systematisch aufbaut und organisch mit der Schaffung einer Aufbauorganisation und perspektivisch einer Kommunistischen Partei verbindet. Alle Agitations- und Propagandakanäle die wir heute schaffen, müssen auf dieses Ziel ausgerichtet sein. Dabei müssen alle Teile des Netzwerks von einer einheitlichen politischen Linie durchdrungen, aber auf verschiedene Teile unserer Klasse bzw. verschiedene Methoden und Schwerpunkte, diese zu gewinnen, ausgerichtet sein.
Von unserem Ziel ausgehend ist unsere hauptsächliche Zielgruppe heute der fortgeschrittenste Teil der Arbeiter:innenklasse. Wie oben ausgeführt, wird diese vor allem vermittels Propaganda geformt und gewonnen.13 Das bedeutet jedoch nicht, dass wir heute nur Propaganda betreiben sollten. Die politisch Fortgeschrittensten finden sich nämlich nicht nur auf politischen oder gewerkschaftlichen Demonstrationen und Aktionen der politischen Widerstandsbewegung oder in linken Zentren, wo man ihnen einfach eine Zeitung verkaufen muss. Sie finden sich auch und vor allem in den noch nicht politisch organisierten Teilen unserer Klasse.
Um allseitig die Fortgeschrittensten auf uns aufmerksam zu machen, benötigt es auch heute schon konkrete Agitation. Zudem werden sich die Fortgeschrittensten nicht zu kommunistischen Führer:innen, die wir für eine Kommunistische Partei benötigen, entwickeln können, wenn sie nicht auch lernen, Massenarbeit unter den politisch gesehen weniger fortschrittlichen Teilen der Arbeiter:innen zu machen und dort Agitation und Propaganda zu treiben. Wenn es uns gelingt, den fortgeschrittensten Teil der Klasse zu gewinnen, dann wird es uns auch gelingen, rückschrittlichere Teile immer mehr anzusprechen und zu organisieren. Dann werden auch immer vielfältigere Kanäle der Agitation noch weiter an Bedeutung gewinnen, um in die Breite der Arbeiter:innenklasse wirken zu können.
Die technologischen Veränderungen und die Entwicklung des Bildungsniveaus der Arbeiter:innenklasse in Deutschland haben natürlich direkte Rückwirkungen auf die Art und Weise wie wir Kommunist:innen heute auf unsere Klasse einwirken können und müssen. Wir haben oben bereits entwickelt, dass heute eine einzige zentrale Zeitung nicht ausreicht, um unserer Klasse zu erreichen, zu politisieren und zu organisieren. Wir sprechen daher heute nicht von der Aufgabe der notwendigen Schaffung einer Zeitung, sondern einer Presse neuen Typs, in Anlehnung an das von Lenin entwickelte Konzept in „Was tun?“. Denn alle technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen führen nicht dazu, dass wir heute den Aufbau einer kommunistischen Partei und einer klassenkämpferischen Arbeiter:innenbewegung ohne eine zentrale Presse mit ihren Funktionen als kollektiver Agitator, Propagandist und Organisator angehen können. Auch wenn wir die kommunistische Presse heute wie oben beschrieben in ein Netzwerk von vielfältigen Agitations- und Propagandaformen einbinden müssen, so bleibt sie doch eine eigenständige zentrale mediale Kampffront. Nach dem leninschen Konzept begreifen wir die Aufgabe der kommunistischen Presse nicht alleine beschränkt auf die Verbreitung von Informationen oder Ideen, sondern als ein Mittel der politischen Erziehung, Entwicklung und der Gewinnung neuer Mitstreiter:innen.
Kollektive Agitatorin, Propagandistin und Organisatorin
In diesem Sinne muss die revolutionäre Presse in ihrer Funktion die Rolle einer Agitatorin einnehmen. Dass heißt konkret, dass sie den proletarischen und unterdrückten Massen als Enthüllungsorgan dienen muss. Sie muss die „Schweinereien“ und katastrophalen Auswirkungen des kapitalistischen Systems auf das Leben der Massen und ihre Umwelt aufdecken. Sie muss am konkreten Beispiel die fatalen Auswirkungen auf jeden einzelnen Menschen, auf jeden Bereich des Lebens konkret darlegen. Sie muss tagespolitische, lokale, regionale und internationale Ereignisse in die Funktionsweise und Abläufe des kapitalistischen Systems einordnen und den Massen die Systematik dieser Ereignisse klar vor Augen führen. Sie muss die einzelnen Elemente der marxistisch-leninistischen Ideologie, der Weltanschauung der Arbeiter:innenklasse, praktisch erfahrbar machen. Sie muss die Arbeiter:innen, die proletarischen Frauen und Jugendlichen, über ihre eigene Situation zum Nachdenken bringen, helfen, ihr Bewusstsein zu schärfen und sie zum Kampf gegen die sie unterdrückenden Mechanismen des kapitalistischen Systems ermutigen und mobilisieren. Sie muss immer verständlich und konkret geschrieben sein. Sie darf nicht an der Lebensrealität der Massen vorbei gehen.
Die revolutionäre Presse muss in ihrer Funktion zudem die Rolle einer Propagandistin einnehmen. Das heißt konkret, dass sie die Ideologie des Marxismus-Leninismus den Massen bekannt machen und nahe bringen muss. Sie muss die Standpunkte und Ziele der Kommunist:innen den Massen erläutern. Sie muss über die Aktivitäten der kommunistischen Organisation berichten, über ihre konkrete Strategie und Taktik aufklären und die Übereinstimmung dieser mit den objektiven Interessen der Unterdrückten in Theorie und Praxis beweisen. Sie muss die konkreten Erfolge der historischen Versuche, den Sozialismus aufzubauen ebenso wie die dabei gemachten Fehler analysieren und vermitteln. Sie muss die historischen und aktuellen Beispiele der demokratischen und sozialistischen Revolutionen bekannt machen und sie als Beispiel der Kampfkraft und der Notwendigkeit des Sieges über den Kapitalismus propagieren. Sie muss die Erfahrungen der internationalen Arbeiter:innenbewegung, die internationalen Kampferfahrungen und die Entwicklung der kommunistischen Weltbewegung veröffentlichen und kritisch beleuchten. Durch diese Funktion als Propagandistin schult die kommunistische Presse die Arbeiter:innenklasse und die unterdrückten Massen, schafft Ansätze, ihr Bewusstsein zu erhöhen und bewaffnet sie nach und nach mit den theoretischen und ideologischen Werkzeugen, um sie in die Lage zu setzen, sich selber zu befreien.
Die revolutionäre Presse muss darüber hinaus in ihrer Funktion die Rolle einer Organisatorin einnehmen. Das heißt konkret: Sie muss ein Sammelpunkt für die verstreuten Kommunist:innen und fortschrittlichen aktivistischen Massen sein. Sie muss die fortschrittlichsten Aktivist:innen in ihren Stamm der Mitarbeiter:innen aufnehmen und sie durch ihre kontinuierliche Arbeit in und mit der Presse zu den zukünftigen Kader:innen der Kommunistischen Partei erziehen. Die Presse muss so als Kader- und Talentschule für die heranreifenden Berufsrevolutionär:innen dienen. Sie ist einer der Orte, an dem sich die elementaren Fähigkeiten für die allseitigen Anforderungen der Kommunist:innen herausbilden lassen. Die revolutionäre Presse muss Aktivist:innen aus dem ganzen Land zu einer gemeinsamen Arbeit heranziehen. Sie muss die Verbindung zwischen der Organisation und noch vereinzelten, vielleicht sogar noch unorganisierten Revolutionär:innen und fortschrittlichen Arbeiter:innen, die der allgemeinen oder kontinuierlichen revolutionären Arbeit noch fern stehen, schaffen. Sie muss den ersten Berührungspunkt zwischen den aktivistischen unterdrückten Massen und der sich entwickelnden revolutionären Organisation schaffen. Dabei bietet sie Möglichkeiten der niedrigschwelligsten Organisation bis hin zur Schule für Kader:innen.
Damit die Presse neuen Typs jedoch tatsächlich diese Aufgaben und Funktionen erfüllen kann, muss sie organisch verschmolzen sein mit der kommunistischen Massenarbeit und in einer lebendigen Wechselwirkung mit dieser stehen. Nur so kann sie durch ein Netzwerk von Aktivist:innen und Korrespondent:innen regelmäßig mit aktuellen Informationen aus den verschiedenen Regionen, Städten und Vierteln, den verschiedenen Arbeits- und Kampffeldern versorgt werden und gleichzeitig über dieses Netzwerk wieder in die Massen getragen werden und dort ihre Wirkung entfalten.
Wie gelingt kommunistische Agitation und Propaganda?
Um professionell kommunistische Agitation und Propaganda zu betreiben benötigen wir eine Reihe an Fertigkeiten. Zwar gibt es durchaus besondere Talente und Menschen, die durch eine bestimmte Sozialisation einen natürlicheren Zugang zum Beispiel zum Halten von Agitationsreden vor vielen Menschen haben. Grundsätzlich kann und muss kommunistische Agitation und Propaganda jedoch von allen Genoss:innen erlernt und Fähigkeiten in diesem Bereich ausgebildet werden, da es eben zentrale Methoden der kommunistischen Bewusstseinsbildung sind. Im Folgenden werden mehrere Aspekte genannt, die für eine gelingende kommunistische Agitation und Propaganda notwendig sind.
Marxistisches Verständnis und konkrete Analyse
Um kommunistische Agitation und Propaganda zu treiben, benötigt es natürlich in erster Linie ein grundlegendes theoretisches Verständnis unserer Weltanschauung. Ohne ein grundlegendes Verständnis der Ökonomie des Kapitalismus und seiner Gesetzmäßigkeiten wird es kaum möglich sein, einer Mitschülerin überzeugend darzulegen, warum das Klima im Kapitalismus nicht gerettet werden kann. Ohne ein Verständnis des Imperialismus wird man in allen Kriegs-Fragen ständig dazu gedrängt werden, sich dem einen oder anderen bürgerlichen Lager unterzuordnen. Ohne ein Verständnis des historischen Materialismus wird man die immer wiederkehrende Frage nach der „Natur des Menschen“ nicht grundlegend diskutieren können; ohne Verständnis des Patriarchats wird man keine Antworten darauf finden können, wie Gewalt gegen Frauen grundsätzlich überwunden werden kann. Ohne Verständnis des Sozialismus und wie er aussehen könnte, wird man Niemanden für diese konkrete Vision der Zukunft, für die es sich zu kämpfen lohnt begeistern können; ohne Einsicht in die Grundlagen von Strategie und Taktik wird es schwierig sein, Motivation bei Menschen zu schaffen, sich gemeinsam und langfristig zu organisieren. Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Der Sozialismus ist eben eine Wissenschaft und als solche muss er studiert werden. Aus diesem Grund ist für eine erfolgreiche Agitation und Propaganda kollektive Bildung und das individuelle Selbststudium absolut notwendig.
Im Selbststudium ist auch die Entwicklung eines sich immer weiter verfeinernden Verständnisses unserer marxistischen Methode, dem dialektischen Materialismus, notwendig. „Die Marxsche Methode besteht vor allem darin, dass der objektive Inhalt des geschichtlichen Prozesses im jeweiligen konkreten Augenblick, in der jeweiligen konkreten Situation berücksichtigt [wird]“14.
Um eine konkrete Ausrichtung für die kommenden Klassenkämpfe zu geben, ist es also nicht ausreichend oder zweckmäßig, die allgemeinen Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise und Lehrbuchdefinitionen in- und auswendig zu lernen und dann aufzusagen. Denn erst durch die Verbindung der allgemeinen ideologischen Grundlagen des Marxismus-Leninismus mit der Analyse und dem Verständnis der konkreten Realität wird unsere Agitation und Propaganda lebendig.
Unsere Aufgabe bei der konkreten Analyse besteht dabei darin, den Klassenstandpunkt zu erkennen. Das bedeutet, herauszufinden, wie ausgehend von unserem objektiven Klasseninteresse – das heißt dem Ziel der revolutionären Überwindung des Kapitalismus und den darauf folgenden Schritten hin zu einer sozialistischen Gesellschaft – ein Umstand zu bewerten ist. Dafür sind Kenntnisse der aktuellen Lage aller Klassenbewegung der Gesellschaft notwendig: sowohl im Lager unserer Feinde, als auch die aktuellen Probleme und Hoffnungen unserer Klasse. Um dieses Verständnis zu erlangen, ist nicht nur ein dauerhaftes Verfolgen von bürgerlicher und kommunistischer Tagespresse notwendig, sondern auch das regelmäßige Gespräch mit unterschiedlichsten Teilen der Arbeiter:innen und anderer Klassen. Dies legt die Grundlage für ein Verständnis des Bewusstseinsstands unserer Klasse zu einem konkreten Thema. Dann gilt es dort anknüpfen, wo sich die Klasse gerade befindet – an ihren Gedanken, Emotionen und Handlungsweisen – und die richtigen Losungen zu entwickeln, welche das Bewusstsein unserer Klasse (und insbesondere der Fortgeschrittensten) höher entwickeln kann.
Richtige Inhalte und Losungen
Das Aufstellen richtiger Losungen, also knapper und klarer Formulierungen der nächsten oder entfernteren Ziele unseres Kampfes, ist eine zentrale Aufgabe in der kommunistischen Agitation und Propaganda, mit welcher jede:r Kommunist:in in der Praxis konfrontiert ist. Dabei geht es darum, die Losungen so aufzustellen, dass sie den Tageskampf in den revolutionären Kampf zur Überwindung des Kapitalismus einbetten und die Arbeiter:innenklasse organisatorisch, politisch und ideologisch auf den Kampf um die Macht vorbereiten. Das ist in der Praxis nicht immer einfach.
Grundsätzlich können wir dabei zwei verschiedene Dimensionen von Losungen unterscheiden:15
Zum einen den Typ der Losung (Endlosungen, Teillosungen, Übergangslosungen): Endlosungen sind prägnante Zusammenfassungen von Aufgaben, die unmittelbar nach der Eroberung der Macht durch die Arbeiter:innenklasse anstehen. Teillosungen bringen die sofortigen Bedürfnisse der Massen aus einer Klassenposition zum Ausdruck und können zugleich noch innerhalb des Kapitalismus verwirklicht werden. Übergangslosungen sind Losungen des Kampfs um die Macht.
Zum anderen die Rolle der Losung (Propagandalosung, Agitationslosung, Aktionslosung, Direktive): Die Propagandalosung zielt darauf ab, die fortgeschrittensten Teile der Klasse für die Partei und den Kommunismus zu gewinnen. Die Agitationslosung zielt auf die Gewinnung der Millionenmassen ab. Die Aktionslosung zielt darauf ab, die Millionenmassen in Bewegung für eine konkrete Aktion zu setzen. Die Direktive ist ein direkter Aufruf an die Partei- bzw. Organisationsmitglieder und Sympathisant:innen, unverzüglich in Aktion zu treten.
Je nachdem in welcher strategischen Phase wir uns im revolutionären Prozess gerade befinden, gilt es eine Losung auf unterschiedliche Art in unserer Agitation und Propaganda herauszugeben und zu nutzen.
Schauen wir uns z. B. den Umgang mit Endlosungen an:
Unsere Endlosungen wie „Für die sozialistische Räterepublik“ oder „Sozialistische Planwirtschaft statt Kapitalismus“ müssen wir heute schon als Propagandalosungen herausgeben, denn nur so können wir die fortschrittlichsten Teile der Arbeiter:innenklasse für die kommunistische Organisation gewinnen und ihnen Orientierung geben. Dies geschieht zum Beispiel, wenn wir in der kommunistischen Massenarbeit direkt auf der Straße oder im Betrieb mit der Arbeiter:innenklasse über die Notwendigkeit des Sozialismus diskutieren oder eben durch Texte wie diesen hier.
In der Phase des revolutionären Aufschwungs müssen wir unsere Endlosungen dann von Propagandalosungen zu Agitationslosungen werden lassen, da eine viel größere Masse in die revolutionäre Bewegung hineingezogen wird. Millionen beginnen offen für die Endziele der Kommunist:innen zu werden.
Nach der sozialistischen Revolution, nach der Machtübernahme durch die Arbeiter:innenklasse, sind die Bedingungen dafür geschaffen, die reale Umsetzung unserer Endlosungen vorzubereiten und diese dann zu gegebener Zeit als Aktionslosung aufzustellen, die unmittelbar in die Tat umgesetzt werden müssen. Dies geschieht insbesondere durch Direktiven der Partei, welche alle Kommunist:innen in Bewegung setzen und aufrufen an der konkreten Umsetzung der Endlosungen zu arbeiten.
Es ist klar, dass der Kampf um die Macht agitatorisch, propagandistisch und organisatorisch vorbereitet werden muss; dass die fortgeschrittensten Teile der Arbeiter:innenklasse sich über den Prozess der Revolution, den Ablauf der Machteroberung im Klaren sein müssen, bevor wir von einem erfolgreichen revolutionären Prozess ausgehen können. Das bedeutet, dass auch Übergangslosungen in Verbindung mit den Endlosungen schon heute durchaus als Propagandalosungen aufgestellt werden müssen, um den fortgeschrittensten Teilen der Massen den konkreten Weg des Übergangs zur Räterepublik aufzuzeigen.
In der politischen Praxis kämpfen wir jedoch nicht nur für Endlosungen, sondern auch für Teillosungen, wo unsere Aufgabe eben genau darin besteht, sie geschickt in den allgemeinen Kampf für den Sozialismus einzubetten. Bei der Aufstellung von Teillosungen (z. B. „Zehn Prozent mehr Lohn!“) setzen wir an den sofortigen Bedürfnissen, konkreten Problemen und unmittelbaren Nöten unserer Klasse an, die wir aufgrund der Analyse der Klassenlage und der Verankerung in der Arbeiter:innenklasse erfassen. Hier stellen wir solche Teillosungen auf, welche diese Nöte kurzfristig lindern können.
Unsere Aufgabe als Kommunist:innen ist es dann, in den Kämpfen um diese Teillosungen argumentativ herauszuarbeiten, warum die Ursachen dieser Probleme letztlich dauerhaft nur durch die Revolution zu lösen sind, warum es keine andere Lösung geben kann als unsere Endlosung, den Sozialismus. Am Beispiel des Kampfes gegen Teuerungen von Lebensmitteln usw. erklärte Lenin beispielsweise:„Wir sind nicht (…) gegen Reformen zur Milderung der Teuerung, aber an die erste Stelle setzen wir die wahrheitsgetreue Aufklärung der Massen, nämlich darüber, daß es unmöglich ist die Teuerung anders zu überwinden als durch die Expropiierung der Banken und Großbetriebe, d. h. durch die sozialistische Revolution“.16
Bei der Nutzung von Losungen in der Agitation und Propaganda gibt es eine Reihe an Fallen und historischen Fehlern, welche die kommunistische Bewegung bis heute prägen.
Die rechtsopportunistische Abweichung besteht darin, auf die Propagierung von End- oder Übergangslosungen vor dem unmittelbaren Kampf um die Macht zu verzichten oder diese hinten anzustellen. Oft wird von dieser Position aus damit argumentiert, man dürfe die Menschen nicht „abschrecken“ und müsse sich deshalb mit der Propagierung des Sozialismus zurückhalten.
Eine solche Haltung widerspricht den Grundaufgaben der Kommunist:innen in der aktuellen Zeit: die fortgeschrittensten Teile für den Aufbau einer Kommunistischen Partei gewinnen. Wie sollen diese denn gewonnen werden, wenn man nie über den Kommunismus und Sozialismus spricht? Es ist klar, dass eine solche Position eine Kapitulationserklärung vor dem Antikommunismus ist.
Die Gefahr in die andere Richtung einer linkssektiererischen Abweichung ist, in jedem Gespräch, unabhängig von der Person, sofort zu dem Ziel Sozialismus zu springen, ohne sich den Ausgangspunkt des Gegenübers zu vergegenwärtigen, ohne Anknüpfungspunkte wie ökonomische Forderungen, tagesaktuelle Kämpfe und Teillosungen zu suchen. In so einem Fall werden wir nur als Phrasendrescher wahrgenommen werden, die keine Ahnung vom tatsächlichen Leben der Klasse und auch keine konkreten Antworten auf ihre Sorgen und Nöte zu haben scheinen.
Zudem kann eine Kombination beider Abweichungen auftreten: Hierbei werden einfach nur ausführlich die Probleme der Klasse dargelegt, dann eine Reihe an Teillosungen aufgestellt, um am Ende noch kurz einen „roten Rattenschwanz“ anzuhängen, dass wir auch noch den Sozialismus benötigen. Mit dieser Methode wird versucht, sowohl Rechtsopportunismus als auch Linkssektierertum zu vermeiden, doch da es an einer organischen Verbindung fehlt, gelingt dies eben gerade nicht.
Stattdessen muss es uns gelingen, die Perspektive einer sozialistischen Gesellschaft greifbar zu machen, sie argumentativ aus der konkreten Realität der Klasse herzuleiten und vor den Augen unserer Klasse entstehen zu lassen – und dem auch genügend Platz in unseren Aufrufen, Reden, Diskussionen, Vorträgen usw. einzuräumen.
Lenin stellte dazu in „Die große Initiative“ (1919) zu Beginn des sozialistischen Aufbaus heraus: „Weniger politisches Wortgeprassel und mehr Aufmerksamkeit für die einfachsten, aber lebendigen, dem Leben entnommenen, durch das Leben erprobten Tatsachen des kommunistischen Aufbaus – diese Losung müssen wir alle, unsere Schriftsteller, Agitatoren, Propagandisten, Organisatoren und so weiter, unablässig wiederholen“17.
Wenn wir zeigen, dass wir den Sozialismus im Denken, Fühlen und Handeln mit dem hier und heute verbinden können, wissen was wir wollen und wie wir es umsetzen können, gelingt uns auch eine organische und überzeugende Verbindung von Tageskampf und Revolution.
Die richtige Haltung und Methode
Damit unsere Linie in der Agitation und Propaganda auch wirklich ankommt, benötigt es nicht nur richtige Inhalte und Losungen, sondern auch eine kommunistische innere Haltung und Methode der Vermittlung. Je nach nachdem, ob man eine Agitationsrede hält, eine propagandistische Broschüre schreibt oder ein fortschrittliches Lied komponiert, sind hier natürlich sehr unterschiedliche Qualitäten gefragt. Einige gelten jedoch für (fast) alle Elemente der Agitation und Propaganda und schlagen sich in den Ergebnissen nieder.
Gerade in der mündlichen Agitation und Propaganda spielt die eigene Authentizität eine entscheidende Rolle. Die Person die uns gegenüber steht, nimmt nicht nur die Inhalte wahr, über die man spricht, sondern die gesamte eigene Haltung: Ob man selber von dem überzeugt ist, was man gerade sagt? Ob Wort und Tat im Einklang stehen? In solchen Situationen agitiert unsere ganze Persönlichkeit, mit allen Qualitäten, Fehlern, Unsicherheiten, Träumen und Erfahrungen.
Desto besser es uns gelingt selber unser Denken, Fühlen und Handeln in Einklang zu bringen, desto stärker kann auch die Anziehungskraft unserer mündlichen Agitation und Propaganda werden. So kann es uns gelingen, revolutionären Optimismus und Siegesbewusstsein, welche notwendig für die sozialistischen Revolution sind, tatsächlich nicht nur in uns, sondern auch in der Klasse zu wecken.
Bei unserem Gegenüber haben wir es (vermutlich) mit einer Person aus unserer Klasse zu tun, mit der wir letztlich zusammen die Welt aus den Angeln heben wollen. So sollten wir ihr also auch auf einer Augenhöhe gegenübertreten. Wir sind keine Sozialarbeiter:innen oder karitativen Almosengeber:innen, die „helfen“ wollen; keine Interessens- oder Stellvertreter:innen, die einfach eine Stimme in der nächsten Wahl brauchen; keine religiösen Prediger:innen die nur Anhänger:innen benötigen; keine Verkäufer:innen welche den Meistbietenden suchen – sondern wir sind Klassengeschwister. Mit dieser Haltung sollten wir beispielsweise an eine mündliche Diskussion eben so herangehen wie an eine schriftliche Ausarbeitung.
Der Kopf eines unserer Klassengeschwister ist eben nicht einfach ein Trichter, in den wir nur das richtige Wissen schütten müssen. Wir wollen überzeugen, nicht missionieren, wir wollen eine bewusste Klasse. Unser Stil muss deshalb davon geprägt sein, die Person uns gegenüber zu aktivieren – zur Tat und zum selber denken, zur Vereinheitlichung von Denken, Fühlen und Handeln anzuregen. Um dies zu erreichen ist es zentral unser gegenüber nicht von oben herab zu behandeln, sondern anhand der eigenen Lebensbedingungen, Kritiken und Wünschen aufzuzeigen, dass eine andere Welt möglich ist.
Dafür benötigt es nicht nur eine richtige Politik unsererseits, sondern das Entstehen einer gegenseitigen Vertrauensbeziehung. Damit dies gelingt, sollten wir eine Empathie, ein bestimmtes Verständnis, ein ehrliches Interesse für die Gedanken unserer Klassengeschwister entwickeln, das heißt Fragen zu stellen und auf Antworten einzugehen. Dabei gilt es offen für Unerwartetes zu bleiben und selber von der Klasse zu lernen. Hierbei müssen wir die Klasse nehmen wie sie ist und nicht wie wir sie uns wünschen. Im Bewusstsein aller Menschen bestehen fortschrittliche neben reaktionären Gedanken und Verhaltensweisen („Patchworkbewusstsein“). Hier ist es unsere Aufgabe, die fortschrittlichen Seiten zu fördern, Gemeinsamkeiten zu finden und die reaktionären Seiten zurückzudrängen.
Es gilt dabei unsere eigene Wohlfühlzone verlassen, sowohl wenn wir unsere Klassengeschwister besser kennenlernen (und diese uns besser kennenlernt), als auch dann wenn wir grundsätzlich aus unserem eigenen Milieu, unserer eigenen „Insel“ innerhalb der Klasse ausbrechen. Das bedeutet, dass wir die Isolation zwischen verschiedenen Segmenten unserer Klasse durchbrechen und Brücken zwischen diesen bilden (zwischen Geschlecht, Subkultur, Altersgruppe, Herkunft usw.) müssen, um uns als Klasse zusammenschließen zu können.
Erfolgreiche Agitator:innen oder Propagandist:innen haben niemals ausgelernt. Die genannten Qualitäten müssen sowohl erlernt, als auch durch vielfache Praxis vertieft und entwickelt werden. Jede Kommunist:in sollte sich das Ziel setzen, bei der Agitation und Propaganda voranzugehen, Bereiche und Formen zu entdecken und auszufüllen in denen man besondere Talente hat und auch solche Facetten anzugehen, die einem schwerfallen. So wird es uns gelingen die fortgeschrittensten Teile unserer Klasse anzusprechen, zu sammeln, zu organisieren und die Arbeiter:innenklasse von der Klasse an sich, zur Klasse für sich werden zu lassen.
1Die Deutsche Ideologie, MEW 3, S. 26f
2Thesen über Feuerbach, MEW 3, S. 5
3Was tun?, LW 5, S. 385
4Was tun?, LW 5, S. 385f
5Was tun?, LW 5, S. 397f
6Was tun?, LW 5, S. 436
7Was tun?, LW 5, S. 423
8So erklärte der frühe Anarchist Michail Bakunin: „Wir müssen unsere Prinzipien nicht mit Worten, sondern mit Taten verbreiten, denn dies ist die populärste, stärkste und unwiderstehlichste Form der Propaganda.“ Bakunin- Brief an einen Franzosen zur aktuellen Krise. https://www.marxists.org/reference/archive/bakunin/works/1870/letter-frenchman.htm
9So erklärte Lenin etwa Lehren aus dem Moskauer Aufstand: „die sozialdemokratische Presse hat bereits seit langem (…) darauf hingewiesen, dass während des Aufstands die rücksichtslose Vernichtung ziviler und militärischer Führer der Gegenseite unsere Pflicht ist.“ (Lenin – Lehren des Moskauer Aufstands. LW 11, S. 162)
10Vgl. Lenin- Was tun?, LW 5, S. 519
11Vgl. Was tun?, LW 5, S. 528
12Vgl. Was tun?, LW 5, S. 537
13Stalin sprach für die erste Phase des Parteiaufbaus von „Propaganda als Grundform der Arbeit“. Ausführlich dazu: Kommunistische Partei im 21. Jahrhundert. 3. Schaffung der Kommunistischen Partei. Zwei Phasen des Parteiaufbaus. https://komaufbau.org/partei/
14Unter fremder Flagge. LW 21, S. 132
15Kommunistischer Aufbau: Revolution und Tageskampf – wie stellen wir richtige Losungen auf?; https://komaufbau.org/revolution-und-tageskampf-wie-stellen-wir-richtige-losungen-auf
16Offener Brief an Charles Naine. LW 23, S. 230 f.
17Die große Initiative. LW 29, S. 408