Das Leben des internationalen Kommunisten Leo Jogiches
– In Gedenken an seine Ermordung am 11. März 1919
„Als ich die Zelle betrat, habe ich Leo im ersten Moment gar nicht bemerkt; in der Zelle war es völlig dunkel. Leo lag auf der Pritsche, krank, mit einer starken Influenza und 39° Fieber. ‘Im Namen des revolutionären Proletariats befreien wir Sie aus dem Gefängnis’, sagte ich ihm. Leo war erregt, entgegnete jedoch sofort: ‘Wie könnt ihr Zeit für meine Befreiung verlieren; ich nehme an, es gibt wichtigere Arbeit.’ Wir fuhren sofort in unsere Zentrale, wo sich Rosa, Liebknecht und andere aufhielten, und Tyszka stürzte sich in den Hochbetrieb, als sei nichts geschehen.”
(Ein Befreier von Jogiches aus der Haft am 9.11.1918)
Leo Jogiches hatte viele Namen: Jan Tyszka, Grozowski, W. Kraft, Kazimir Krzystalowicz, A. Krumbügel, A. Storm und weitere. Er war als führender Revolutionär in der russischen, polnischen und deutschen ArbeiterInnenbewegung aktiv. Er war Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei in Litauen und Polen. Er war Mitglied im ZK der russischen Sozialdemokraten. Er war Mitbegründer und Anfüh
rer der Kommunistischen Partei Deutschlands. Er war enger Freund und Kampfgefährte der deutschen KommunistInnen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Er wurde im Kampf um die sozialistische Revolution in Deutschland ermordet. Trotzdem ist er weitgehend unbekannt. Um ihm zu gedenken, veröffentlichen wir aus Anlass des einhundertsten Todestags einen Beitrag über das Wirken dieses bedeutenden Kommunisten.
Revolutionäre Jugend
Leo Jogiches wurde am 17. Juli 1867 im russisch-polnischen Wilna geboren, welches damals Teil des russischen Zarenreichs war. Er wuchs in einem jüdischen Elternhaus in wohlhabenden Verhältnissen auf und besuchte das Gymnasium. Hier kam er erstmalig mit den revolutionären Ideen der sogenannten „Volkstümmler“ in Kontakt. Diese wollten mit individuellem Terror den russischen Zaren stürzen, um gestützt auf die Bauernschaft den Sozialismus aufzubauen. Doch bevor Jogiches wirklich in den Kampf gegen den Zaren ziehen konnte, brachen die Organisationen der „Volkstümler“ zusammen – die Bewegung geriet in eine Krise. Damals begann Plechanow, welcher die Ideen des Marxismus in die russische revolutionäre Bewegung einführte, eine immer bedeutendere Rolle zu spielen. Auch Jogiches nahm die marxistische Weltanschauung an.
Mit 18 Jahren beteiligte er sich in revolutionären Zirkeln, die mit der 1882 gegründeten Internationalen Sozial-Revolutionären Partei „Proletariat” in Verbindung standen. Dies war die erste polnische sozialistische Partei, deren Programm im wesentlichen auf marxistischen Grundlagen beruhte.
Er wurde 1888 und ein Jahr später erneut wegen „revolutionärer Umtriebe“ verhaftet und zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. 1890 wurde er zum Militär nach Turkestan eingezogen, doch noch auf dem Sammelpunkt gelang ihm die Flucht. Er setzte sich nach Zürich in die Schweiz ab. Dort arbeitete er unter dem Pseudonym „Grozowski“ mit der marxistischen russischen Gruppe „Befreiung der Arbeit“ zusammen, welche von Plechanow geführt wurde. Dabei setzte er die finanzielle Unterstützung, die er von seinem Elternhaus erhielt, für den Aufbau der Gruppe ein. Gleichzeitig suchte er organisatorische Verbindungen mit den in Russland wirkenden Zirkeln zu schaffen, um auch die praktische Arbeit voranzutreiben.
Parteigründer in Russisch-Polen
Ebenfalls in Zürich lernte er 1891 Rosa Luxemburg kennen. Über die nächsten Jahrzehnte sollte die Beiden eine lange Freundschaft und bei Zeiten auch eine Liebesbeziehung verbinden.
Luxemburg vertrat mit anderen KommunistInnen in Zürich die russisch-polnische Sozialdemokratie im Ausland. Jogiches entschied sich für den vertieften Kampf innerhalb der polnischen ArbeiterInnenbewegung. Er wurde Mitherausgeber der ersten polnischen sozialdemokratischen Zeitung „Sprawa Robotnicza“, welche in der Schweiz gedruckt und in Russisch-Polen illegal verbreitet wurde. 1894 gehörte er zu den Mitbegründern der „Sozialdemokratie des Königreiches Polen“, die ab 1900 den Parteinamen „Sozialdemokratie des Königreiches Polen und Litauens“ (SDKPiL) annahm.
Im Jahre 1897 wurde die polnische Sozialdemokratie durch Verhaftung und Verfolgung zerschlagen. Jogiches emigrierte nach Berlin, wo er sich dem Studium der marxistischen Geschichte und der deutschen ArbeiterInnenbewegung widmete.
Im Jahr 1901 flammte der Kampf in Russisch-Polen wieder auf. Die KommunistInnen vor Ort wandten sich unter anderem an ihre GenossInnen Luxemburg und Jogiches mit der Bitte um Herausgabe einer Zeitung. Die „Sozialdemokratische Rundschau“, die unter Jogiches Leitung bis zur gescheiterten Revolution 1905 erschien, ist trotz ihres kleinen Umfanges eine der besten marxistischen Zeitschriften der damaligen Zeit. Eine ganze Generation polnischer Sozialisten wuchs unter Einfluss dieses Organs auf. 1903 wurde Jogiches dann zum ersten mal in die Zentrale der polnischen Sozialdemokratischen Partei gewählt, deren Mitglied er bis 1918 blieb. Insbesondere von 1905 bis 1915 bestimmte er ihre politische Linie und die organisatorische Arbeit maßgeblich mit.
Als es 1905 zur Revolution in Russisch-Polen kommt, siedelte Jogiches zusammen mit Rosa Luxemburg illegal erst nach Krakau und später nach Warschau um. Hier leitete er als Chefredakteur die „Volkstribüne“. Jogiches galt als außerordentlich fähig in der konspirativen Arbeit. So soll über ihn gewitzelt worden sein, dass er so illegal unterwegs sei, dass er selbst nicht wisse wo er wohne. 1906 wurde er zusammen mit Rosa Luxemburg verhaftet und für mehrere Monate in Untersuchungshaft gesperrt. Später wurde er zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Doch im Februar 1907 gelang ihm die Flucht nach Berlin. Geholfen hatte ihm dabei unter anderem ein Gefängniswärter, den er überzeugen konnte.
Kurz darauf nahm Jogiches als Delegierter der SDKPiL an dem Parteitag der russischen Sozialdemokratie, der SDAPR, in London teil. Dort wurde er auch in das Zentralkomitee der SDAPR gewählt. Jogiches nahm in den innerparteilichen Fraktionskämpfen Platz auf der Seite der Bolschewiki.
Die Führung der mittlerweile illegalisierten Partei in Russisch-Polen erfolgte derweil – sowohl auf organisatorischem Gebiet als auch in den schriftlichen Publikationen – aus dem Ausland. Hier kam es zu einer Entfremdung zwischen einigen der illegal kämpfenden RevolutionärInnen in Polen und der Zentrale im Ausland. Auch die schärfer werdenden Auseinandersetzungen in der SDAPR zwischen Bolschewiki und Menschewiki färbten auf die polnische Partei ab. Im Jahr 1911 spaltete sich die Organisation in zwei Teile, als sich das Warschauer Komitee vom im Ausland sitzenden Zentralkomitee abwandte.
Jogiches in Deutschland
– Mitbegründer der KPD
Jogiches verblieb in Deutschland. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 und dem daraus entstehenden Frontverlauf wurde er zusammen mit Rosa Luxemburg komplett von der polnischen ArbeiterInnenbewegung abgeschnitten. Dies führte dazu, dass sich beide auf die deutsche ArbeiterInnenbewegung konzentrierten. Im Jahr 1915 gehörte er zusammen mit Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Ernst Meyer, Wilhelm Pieck, Clara Zetkin und anderen zu den BegründerInnen der Gruppe “Internationale”, einer Organisation von InternationalistInnen und KriegsgegnerInnen in der SPD. Gemeinsam mit Liebknecht und Luxemburg gründete Jogiches dann 1916 die kommunistische „Spartakusgruppe“. Dort gab er unter den Pseudonymen „A. Krumbügel“ und „W. Kraft“ die Spartakusbriefe heraus. Nach der Verhaftung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurde Jogiches zum Führer der Organisation der deutschen KommunistInnen. Er kümmerte sich um die Herausgabe von Propagandaschriften und dem Aufbau illegaler Druckereien und Zellen. Obgleich er ständig von der deutschen Polizei gesucht wurde, konnte er sich beinahe zwei Jahre bis zum März 1918 verstecken und den illegalen Organisationsaufbau und die Massenpropaganda der „Spartakusgruppe“ energisch vorantreiben.
Am 24. März 1918 wurde Jogiches dann mit anderen GenossInnen auf einer Konferenz der Spartakusgruppe verhaftet. Jogiches machte keine Aussagen, belastende Unterlagen wurden bei ihm nicht gefunden. Am 9. November wurde Jogiches im Zuge der Novemberrevolution befreit. Keine zwei Tage später beteiligte er sich am 11.November an der Gründung des Spartakusbundes. Er wurde in die Leitung der Organisation gewählt und für den Bereich „Reichsagitation“ verantwortlich.
Während der Jahreswende 1918/1919 wurde Jogiches zum Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands. Auch hier wurde er in das Zentralkomitee gewählt. Nur zwei Wochen später wurde Jogiches am 13.01.1919 während der Kämpfe in Berlin verhaftet. Am gleichen Tag wurden die führenden KommunistInnen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von faschistischen Freikorps ermordet. Doch Jogiches konnte erneut fliehen und übernahm umgehend die Leitung der Kommunistischen Partei Deutschlands.
Anfang März beschlossen Berliner ArbeiterInnen den Generalstreik für die Anerkennung der Arbeiter-und Soldatenräte. Der Belagerungszustand wurde über Berlin verhängt und dem SPD-Mann Noske, der von sich selbst sagte, dass „einer den Bluthund spielen muss“, die vollziehende Gewalt übergeben. Im Angesicht der Konterrevolution und aufgrund der Spaltung durch die SPD musste der Generalstreik am 8. März abgebrochen werden. Einige hundert ArbeiterInnen leisteten bewaffneten Widerstand gegen die faschistischen Freikorps. Am 9. März wurde das Standrecht ausgerufen und über 1.000 ArbeiterInnen, Matrosen, Soldaten von der Konterrevolution ermordet. Am 10. März traf es auch Jogiches. Er wurde verhaftet und hinterrücks im Untersuchungsgefängnis in Berlin Moabit erschossen. Die von Jogiches hinterlassene Lücke im ZK der KPD wurde inmitten der revolutionären Kämpfe sogleich gefüllt. In seine Fußstapfen trat die deutsche Kommunistin Clara Zetkin.
Heute befindet sich das Grab dieses großen Revolutionärs auf dem Friedhof der Sozialisten in Berlin. Neben Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht liegt er nun begraben, als eine Leitfigur der ArbeiterInnenbewegung und als kommunistischer Führer, welcher in mehreren Länder zu Aufständen aufrief, die illegale Parteiarbeit unerschrocken unter schwierigsten Bedingungen leitete und die Unterdrückung der Herrschenden nie akzeptierte. Er stand immer eisern gegen Unterdrückung, Verelendung und Krieg, bis zu seinem Tode war er überzeugt von der Sache des Kommunismus. Er dient uns als Vorbild und wird nie vergessen werden.