Lesetipp: Die Wolokolamsker Chaussee

17543628473Alexander Bek Erzählung ‚Die Wolokolamsker Chaussee‘ schafft ein seltenes Kunststück. Seine biografische Schilderung der Erlebnisse des kasachischen Komandeur Baurdshan Momysch-Uly, der unter enormen Zeitdruck aus dem „Nichts“ eine Truppe formt, die im verzweifelsten Moment des Durchbruchs der faschistischen Wehrmacht auf Moskau im Spätherbst 1942 in die Schlacht geworfen und über sich hinaus wächst; die von dem großen General und Kommunisten Panfilow angeleitet werden und die wiederum dialektisch in der Praxis eine neue Form der Kriegsführung entwickeln, die Panfilow dann strategisch verallgemeinert ist nicht nur ein großes Wer der Kriegsliteratur. Es ist vielmehr eine meisterhafte theoretische Ausarbeitung vieler Fragen des Marxismus-Leninismus wie z.B. des Revolutionärsseins, der Kaderpolitik, kommunistischer Führung, der Dialektik von Avantgarde und Massen in literarischer Form.

Das Buch ist hart, ungeschönt, ehrlich, es beschreibt den revolutionären Kampf so wie er ist und verweigert sich jeder Idealisierung. Schon der Einstieg ist ein Schock und auch im Verlauf sterben die Guten reihenweise, darunter auch Panfilow, der wusste wie wichtig es für die Moral der Geführten sein kann, dass die Führer an der vorderen Front verweilen und von einer feindlichen Granate weggerafft wird.

Zum einstieg haben wir eine der wenigen „soften“ Stellen aus der Ausbildung des Bataillons ausgesucht, die nichts desto trotz sehr viel mit ganz brennenden fragen der heutigen Bewegung zu tun hat.

Der Tabakmarsch

Ich werde nicht alle Einzelheiten über die Ausbildung der Soldaten erzählen. Nur über einen Marsch will ich sprechen, der in der bis jetzt ungeschriebenen Bataillonschronik der ‚Tabakmarsch‘ heißt.

Es waren etwa sieben oder acht Tage vergangen, seitdem ich das Bataillon übernommen hatte. Wir waren schon ausgerüstet. Wir übten uns im Schießen, lernten robben, marschieren, im Sprung vorgehen und uns verschanzen.

Eines Abends bekamen wir den Befehl: im Morgengrauen aufbrechen, fünfzig Kilometer bis zu einem Kennzeichen im Flußtal marschieren, dort nächtigen und gegen Abend des nächsten Tages den Rückmarsch antreten. Ebenso schwere Märsche waren auch anderen Bataillonen befohlen worden – General Panfilow hatte sie angesetzt.

Die Soldaten bereiteten sich auf den Marsch vor, legten sich frühzeitig schlafen, und noch vor Sonnenaufgang stand das Bataillon marschbereit.

Einer, der nie Soldat gewesen ist, wäre sicherlich von der Truppe beeindruckt gewesen: Die ‚Reihen waren gut ausgerichtet; an den Karabinern blinkten die Bajonette; die Soldaten standen wie ein Mann in voller Ausrüstung, mit eingerollten Mänteln, mit Schutzmasken und Feldspaten in grünlichen, noch nicht verblaßten Hüllen, mit Stahlhelmen, die am Rucksack befestigt waren; an den Koppeln hingen Handgranaten und schwere Patronentaschen. Bei vielen schien mir die Patronentasche besonders schwer zu sein: Sie zog das Koppel übermäßig tief herunter. Ich sah lose eingerollte, wulstig überstehende Mäntel, Rucksäcke mit nicht festgespannten Tragriemen, Brotbeutel, die auf dem Bauch hingen. Nur wenige Soldaten zeichneten sich durch wirklich soldatische Korrektheit aus. Unter ihnen befand sich Kurbatow.

Ich rief ihn aus der Reihe und sagte: „Genossen! Hier steht ein Gruppenführer, der sich so ausgerüstet hat, wie es sich für einen Soldaten gehört; ihm wird der Marsch leichter fallen als anderen. Sehr nur her, wie bei ihm alles sitzt, wie festgezogen die Riemen sind! Ich habe euch das zwanzigmal erklärt und gezeigt; aber ihr versteht es trotzdem nicht. Wahrscheinlich ist meine Sprache nicht hart genug. Ich werde nun nicht mehr mit euch reden, sondern überlasse dies euren Mänteln, euren Spaten, euren Rucksäcken. Mögen sie mit euch reden. Ihr glaubt, sie hätten keine Zunge? Sie haben eine! Eine schärfere als meine! Soldat Garkuscha, zu mir!“

Der immer lächelnde, stupsnasige Garkuscha lief herbei. Der brotbeutel rutschte nach vorn und pendelte beim Laufen.

Marschfertig?“

Marschfertig, Genosse Bataillonskommandeur.“

Stell dich neben Kurbarow. Soldat Golubzow, zu mir!“

Golubzows eingerollter Mantel war so dick, daß er ihm fast auf die Backe rutschte. Der Rucksack hing nicht auf dem Rücken, sondern tief im Kreuz.

Marschfertig?“

Marschfertig, Genosse Bataillonskommandeur.“

Stell dich neben Garkuscha.“

Nachdem ich zehn Soldaten vorgerufen hatte, an denen alles besonders auffällig baumelte, stellte ich sie an die spitze der Kolonne.

Bataillon stillgestanden! Rechts – um! Im Gleichschritt – marsch!“

Es ging los. Ich blieb an der Spitze und beobachtete die zehn Soldaten. Garkuscha rückte fortwährend seinen Brotbeutel zur Seite, der ihm gegen die Beine schlug.

Golubzow wollte die Mantelrolle wegschieben, da die groben Stichelhaare des Mantelstoffs seinen Hals scheuerten.

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