Mitten in Deutschland: NSU – (K)eine Filmkritik

Anfang April lief zur besten Sendezeit der mit großem Aufwand produzierte ARD-Dreiteiler „Mitten in Deutschland: NSU“ im Fernsehen. Auch wenn der Vergleich zum „Tatort“ öfters gezogen wurde und Krimi-Elemente verwendet werden, handelt es sich dabei weder um einen Krimi noch im klassischen Sinne um eine Trilogie, d.h. eine Fortsetzung der erzählten Geschichte in drei abendfüllenden Spielfilmen.

Ähnlich wie bei Wolfgang Schorlau’s literarischem Gegenstück „Die Schützende Hand – Denglers achter Fall“, welches mit der selten gelungen Mischung zwischen dokumentarischem Sachbuch und Krimi beinahe ein neues Genre schafft, wird in dem Film neben der Berücksichtigung von einigen politischen Vorgaben gerade so viel verfremdet, dass die Persönlichkeitsrechte von Beteiligten durch einige fiktionale Elemente gewahrt bleiben. Mitten in Deutschland erzählt also die Realität; natürlich die politisch gewollte des deutschen Imperialismus, und die weist bekanntlich im Fall des NSU von einigen unbedeutenden Details abgesehen keinerlei Übereinstimmung mit der Wahrheit auf.

Die drei Teile wollen den ZuschauerInnen unterschiedliche Sichtweisen nahe bringen. Der Stoff des NSU wird daher aus drei Perspektiven erzählt. Es beginnt mit „Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“ vom Regisseur Christian Schwochow, dem – sprechen wir es doch einfach mal auf den Punkt gebracht aus – vermutlich besten jugendfreien Rekrutierungsfilm für faschistische Paramilitärs, der jemals gedreht wurde. Der zweite Teil „Die Opfer – Vergesst mich nicht“ von Regisseur Züli Aladag bildet den Gegenpol zur offenen faschistischen Propaganda der netten ‚Taten statt Worte‘-Kameraden von nebenan im 1. Teil. In Anlehnung an Buch „Schmerzliche Heimat“ von Semiya Şimsek, der Tochter des ersten Opfers der NSU-Mordserie Enver Şimsek in Nürnberg, wird mit viel Empathie die Geschichte der vom deutschen Imperialismus elf Jahre lang terrorisierten Familie Şimsek erzählt. Bewusst soll so der Stimme der Opfer, die in der Realität nicht gehört wurden und im Imperialismus niemals gehört werden, Platz gegeben und ein Publikum verschafft werden. Der dritte Teil „Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch“ von Regisseur Florian Cossen liefert dann sozusagen die politische Einordnung mit einem grandiosen Finale. Der endlich zum Reden bereite, im Zeugenschutz auf einem abgelegenen Bauernhof lebende V-Mann Corelli, wird vor den Augen des hilflos über den Acker rennenden ehrlichen Ermittlers liquidiert. Der tiefe Staat hat gesiegt – ganz wie im echten Leben.

Wir sind keine Feuilletonisten und wollen keine Filmkritik schreiben. In der ‚Trotz Alledem‘ Nummer 72 vom Mai 2016 haben die GenossInnen der ‚Bolschewistischen Initiative‘ (BI) eine solche Filmkritik geschrieben, in der sie auch auf den inhaltlich deutlich empfehlenswerteren Kinofilm „Der Kuaför aus der Keupstrasse“1 eingehen. Die drei Teile von „Mitten in Deutschland: NSU“ sind professionell gemachte und im Hinblick auf die Zielgruppe – das Massenpublikum – sehr gute Filme. Ob die SchauspielerInnen nun nur gut waren oder dafür einen Oscar verdient hätten; ob die Zeitsprünge im dritten Teil nun gelungen sind oder eher die Story „verwirrt verwoben“ haben (wie die GenossInnen von BI meinen): Solche Fragen können angesichts der beabsichtigten Wirkung imperialistischer Propaganda letztlich offen bleiben. Auch die politische Frage, ob der Zugang von Regisseur Schwochow „Man macht es sich zu einfach, wenn man die mutmaßlichen Täter als drei empathielose Monster ansieht (…) Man muss sich mit diesen Leuten beschäftigen (…) mit ihren Sehnsüchten und Ängsten.“2 als Rechtfertigung für faschistische Propaganda trägt, führt letztlich in die Irre. Ebenso wie ein kleinliches Rummäkeln, dass z.B. im ersten Teil die inzwischen tausendfach widerlegte Lüge eines Trios aufrecht erhalten wird oder im dritten Teil der ganze Kontext des tiefen Staats ausgeblendet und auf Widersprüche zwischen VS und LKA in Thüringen umgebogen wird, nicht wirklich zielführend ist.

Imperialistische Propaganda at it’s best

Die NSU-Triologie ist imperialistische Propaganda in Höchstform. Sie spricht auf unterschiedliche Weise verschiedene Teile der Massen direkt an. Die Mehrheit der Bevölkerung wendet sich scheinbar apolitisch von dem ganzen Geschehen ab und interessiert sich nur noch begrenzt für immer neue Enthüllungen. So waren die Zuschauerzahlen mit 2,6 bis 2,8 Millionen im Vergleich zu 9 Millionen bei einem neuen ‚Tatort‘ eine Enttäuschung für die Herrschenden. Dennoch machen sie sich natürlich Gedanken, wie sie das Thema im Hinblick auf die Massen und die Stimmungen in den Massen behandeln sollen.

Der Imperialismus geht dabei so an die Massen heran, dass er ihre verschiedenen Teile mit unterschiedlichem Bewusstsein und unterschiedlichen Ideologien im Kopf auch mit unterschiedlichen Mitteln beeinflussen und kontrollieren muss, das spiegelt sich auch in den drei Teilen (Täter-Opfer-Ermittler) wieder:

Ein Teil der Massen, die FaschistInnen nämlich, wird durch den ersten Teil, in dem die Politisierung des „NSU-Trios“ nachgestellt wird, bestärkt, und der Rassenkrieg wird als erstrebenswert dargestellt bis hin zur Erwähnung des „Field Manuals“ und der „Turner Tagebücher“ (zwei Bücher, in denen das Konzept des führerlosen Widerstands erläutert wird). Ein anderer Teil der Massen wird durch den gleichen Film in der Sorge vor der Radikalisierung ihrer Jugendlichen (nicht nur nach rechts, auch nach links) bestärkt. Als Gegenmittel für die Radikalisierung wird die Integration ins Berufsleben und den Kapitalismus samt bürgerlicher Kleinfamilie propagiert.

Den Opfern gegenüber wird zum Teil ihre Machtlosigkeit und dass sie dem Staat ausgeliefert sind nochmal vor Augen geführt. Ein Teil der MigrantInnen weiß aus ihren Herkunftsländern was ein tiefer Staat ist und soll sich mit den bestehenden Machtverhältnissen und dem Platz ganz unten in der rassistischen und kapitalistischen Mehrheitsgesellschaft abfinden. Ein anderer Teil wird durch den scheinbaren Aufklärungswillen des Staates eingebunden, insbesondere jene Intellektuellen und natürlichen Führerinnen wie Semiya Şimsek, die ihrer Community eine Stimme verschaffen könnten. Sie bekommen zwar keine politische Macht, aber dafür wird ihrer Geschichte in der Öffentlichkeit Raum gegeben und ihnen wird – ausnahmsweise einmal – zugehört.

Die Ermordung von ZeugInnen in aller Öffentlichkeit ist eine ganz klare Machtdemonstration gegenüber allen Beteiligten im Staatsapparat, die vermittelt, dass ihnen das gleiche Schicksal blüht, wenn sie nicht bei der offiziellen Story bleiben. Je nach Bewusstsein kann man z.B. als liberaler Bildungsbürger den dritten Teil durchaus aber auch so verstehen, dass am Ende in einer Demokratie immer alles rauskommt.3

Imperialistische Propaganda greift am vorhandenen Bewusstsein der jeweiligen Zielgruppe an, um es in die gewünschte Richtung zu beeinflussen. Angesichts der vielfältigen und krassen Widersprüche, die der Kapitalismus in seiner letzten und höchsten Phase – dem Imperialismus – hervorbringt und die sich für alle spürbar auch in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend verschärfen, ist das Bewusstsein in den Massen im Allgemeinen auch sehr widersprüchlich. Es gleicht häufig einem Flickenteppich von richtigen und falschen Gedanken, in dem sich alle möglichen, darunter auch direkt gegenseitig ausschließenden, ideologischen und politischen Haltungen bzw. Versatzstücke davon wiederfinden. So ein Denken kann man nicht mit plumpen Gut-Böse- bzw. Richtig-Falsch-Schemata und vorgegebenen Antworten lenken. Der Imperialismus ist vielmehr gezwungen, in seiner strategischen Kommunikation sogenannte „Narrative“ einzusetzen, d.h. Erzählungen, die auf die Brüche im Denken und die offenen Fragen der Massen eine in sich schlüssige Erklärung liefern, die in der Regel nicht ausgesprochen wird. Propaganda wirkt stärker, wenn der letzte Schritt der Schlussfolgerung scheinbar von den Betroffenen selbst vollzogen wird, nachdem man sie vorher subtil dahin geführt hat.

In diesem Sinn ist der NSU-Dreiteiler ganz großes Kino, schafft er es doch in weniger als 6 Stunden massentauglich alle Erzählungen des Imperialismus über die bürgerliche Gesellschaft und den Kapitalismus zu verbreiten, die heute in die Massen getragen werden müssen, um die gesellschaftliche Gärung in für die Herrschenden unkritische Bahnen zu lenken.

1Dokumentarfilm Deutschland 2015, Regie Andreas Maus, 92 Min., deutsch/türkisch mit Untertiteln, www.realfictionfilme.de und www.facebook.com/keuptstrasse.film

2Drei Regisseure, drei Filme, ein Fernsehereignis, DIE ZEIT, _Nr. 13, 17.03.2016, S. 52

3Diese Propagandaebene wird allerdings in dem Film „Der blinde Fleck“ von Daniel Harrich und Ulrich Chaussy über das staatsterroristische Oktoberfestattentat viel stärker betont; siehe dazu auch Kommunismus Nr. 2 ‚Tiefer Staat?! Oktoberfestbombe, NSU und der tiefe Staat‘, S. 5

Erschienen in Kommunismus #6 08/2016

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