Seit dem Karl Marx und Friedrich Engels vor über 150 Jahren die grundlegenden Ökonomische Gesetze des Kapitalismus analysiert haben, hat sich die Gesellschaft stark verändert. Und doch bieten uns ihre Analysen auch heute eine wissenschaftliche Herangehensweise zum Verständnis der Gesellschaft und der Lage der verschiedenen Klassen in ihr. Dabei muss klar sein, dass die Definitionen, Erklärungen und Einschätzungen von Marx und Engels nicht dogmatisch übernommen, sondern dialektisch angewendet und weiterentwickelt werden müssen. Neue Entwicklungen und Erscheinungen müssen analysiert und eingeordnet werden.
Entwicklung von Gesellschaft und ArbeiterInnenklasse
Seit Jahrzehnten verkünden bürgerliche Politiker, Wissenschaftler und Medien das verschwinden der ArbeiterInnenklasse. Trotz all dieser Behauptungen ist die ArbeiterInnenklasse heute größer denn je, sowohl im Weltmaßstab, als auch in Deutschland. Das wollen wir im Folgenden näher aufzeigen. Die Geschichten über das verschwinden der ArbeiterInnenklasse sind ein direkter ideologischer Angriff auf diese. Sie sollen die ArbeiterInnenklasse spalten, um die Ausbeutung der Arbeitskraft steigern zu können. Sie sollen den Zusammenschluss der ArbeiterInnen und das Bewusstsein eine Klasse zu sein verhindern und vereinte Klassenkämpfe unterbinden.
So wie der Kapitalismus entwickelt sich auch die ArbeiterInnenklasse immer weiter. Jede Erneuerung der Technik, jede Veränderung in der Produktion, führt zu einer Veränderung der Klasse, ihrer Zusammensetzung und ihrer Lebensrealität. Der absolute, wie prozentuale Rückgang der Anzahl der ArbeiterInnen in der direkten Industrieproduktion in den imperialistischen Staaten leitet keinesfalls das Ende der ArbeiterInnenklasse ein, sondern ist nur der Ausdruck der in den vergangenen Jahrzehnten neu organisierten internationalen Produktion. Mit diesem Rückgang Schrumpft die ArbeiterInnenklasse auch nicht, sondern entwickelt sich nur weiter. In den letzten Jahrzehnten hat das Kapital immer mehr Bereiche der Wirtschaft durchdrungen, die ihm lange Zeit verwehrt wurden und gleichzeitig immer mehr Menschen in sein Ausbeutungssystem mit einbezogen.
Durch die Veränderung der Produktion und Reproduktion sind die Bereiche, die im marxistischen Sinne produktive Arbeit leisten, also Arbeit die Kapital produziert, massiv gewachsen. Sowohl in der materiellen, als auch in der immateriellen Produktion, sowohl in der direkten Produktion, als auch in der Reproduktion. Dies schließt auch die weitere Ausbreitung der Bereiche die direkt Mehrwert realisieren ein.
Definition Klassen
Wladimir I. Lenin versuchte im Jahr 1919 eine allgemeine Definition für die sich gegenüberstehenden Klassen in der Klassengesellschaft des Kapitalismus fest zu halten:
„Als Klassen bezeichnet man große Menschengruppen, die sich voneinander unterscheiden nach ihrem Platz in einem geschichtlich bestimmten System der gesellschaftlichen Produktion, nach ihrem (größtenteils von Gesetzen fixierten und formulierten) Verhältnis zu den Produktionsmitteln, nach ihrer Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und folglich nach der Art der Erlangung und der Größe des Anteils am gesellschaftlichen Reichtum, über den sie verfügen. Klassen sind Gruppen von Menschen, von denen die eine sich die Arbeit einer anderen aneignen kann infolge der Verschiedenheit ihres Platzes in einem bestimmten System der gesellschaftlichen Wirtschaft“ 1.
Auch heute können wir von dieser allgemeinen Definition Lenins ausgehen, denn auch heute definiert sich die Stellung in der Gesellschaft nach dem Verhältnis in welchem die Menschen zu den Produktionsmitteln stehen, welche Rolle sie in den heute oftmals international organisierten Arbeitsprozessen einnehmen und über welchen Anteil am gesellschaftlichen Vermögen sie verfügen. Dabei stehen sich auch heute die Klasse der Kapitalisten (Bourgeoisie) und die der ArbeiterInnen (Proletariat) gegenüber. Auch heute gibt es weiterhin bestimmte Bevölkerungsschichten welche zwischen diesen beiden Klassen stehen. In der Tendenz werden diese Teile der Bevölkerung jedoch immer kleiner bzw. tendieren in ihrer Mehrzahl zu den Arbeits- und Lebensbedingungen des Proletariats (Proletarisierung des Kleinbürgertums) und steigen vereinzelt in die Klasse der Bourgeoisie auf.
Zur ArbeiterInnenklasse zählen wir demnach alle Menschen, die keine Produktionsmittel besitzen und dementsprechend gezwungen sind von dem Verkauf ihrer Arbeitskraft zu leben. Die sich zudem in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit in einer im wesentlichen ausführenden oder produzierenden Funktion befinden. Und deren Anteil am gesellschaftlichen Vermögen sich im wesentlichen auf die Möglichkeit der Reproduktion ihrer Arbeitskraft (der Erfüllung ihrer grundsätzlichen Bedürfnisse) und der ihrer Familien beschränkt.
Im weiteren Sinne sind auch die Familienangehörigen der ArbeiterInnenklasse Teil der selbigen. Das betrifft in erster Linie die mitversorgten Familienmitglieder wie Kinder, nicht für Lohn arbeitende PartnerInnen und in Rente gegangene ArbeiterInnen. Bei der Zugehörigkeit zu den Klassen, spielen bürgerliche Kategorien wie „ArbeiterInnen“, „Angestellte“, „Auszubildende“ keine Rolle.
ArbeiterInnenklasse in Zahlen
Zunächst müssen wir feststellen, dass die bürgerliche Statistik uns keine verlässlichen Zahlen zur Größe und Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse geben kann. Die Kategorien der bürgerlichen Statistik orientieren sich an formalen und juristischen Kriterien die jedoch in keiner Weise das Verhältnis der Menschen zum Kapital und ihre Stellung im Produktionsprozess und der Verteilung des produzierten Reichtums berücksichtigen. Aus Ermangelung eigener Zahlen, müssen wir dennoch auf diese zurückgreifen. Trotzdem können uns diese Zahlen einen ungefähren Eindruck von den grundsätzlichen Entwicklungstendenzen denen die ArbeiterInnenklasse in Deutschland unterworfen ist geben. Es kann uns jedoch nicht darum gehen, jede Arbeiterin und jeden Arbeiter einzeln zu zählen, sondern ein Gefühl für die Zusammensetzung der Klassengesellschaft in Deutschland zu bekommen.
Laut den Zahlen des Statistischen Bundesamtes hat sich die Zahl der erwerbstätigen Personen (alle selbstständig und nicht selbstständig arbeitenden Menschen, mit ständigem deutschen Wohnsitz) in Deutschland wie folgt entwickelt (in Millionen):2
Damit arbeiten heute mehr als die Hälfte der in Deutschland lebenden Menschen in einem offiziellen Anstellungsverhältnis oder als „Selbstständige“. Zu den oben genannten Zahlen kommen nochmal rund 39 Millionen Menschen hinzu, die nicht arbeiten. Das sind vor allem SchülerInnen, Studierende, RentnerInnen, Arbeitslose, Kinder und Hausfrauen/-männer.
Die ArbeiterInnenklasse wächst
Sehen wir uns die Zahlen und die Entwicklungen in unserer Gesellschaft an, dann können wir feststellen, dass nicht nur die Anzahl der arbeitenden Menschen stetig steigt, sondern vor allem der Anteil der ArbeiterInnen im marxistischen Sinne an dieser immer weiter zunimmt. Wir werden diese Zunahme weiter unten im jeweiligen Punkt genauer nachweisen und hier nur auf allgemeine Aspekte eingehen.
Insbesondere zwei Aspekte zeigen diesen Trend besonders deutlich auf. Seit Jahrzehnten nimmt die Zahl der arbeitenden Frauen immer weiter zu. Lag ihre Erwerbsquote 1991 noch bei 57% (bei den 15-65 jährigen), stieg sie bis ins Jahr 2010 auf 66% und lag im Jahr 2016 bei 70,6%. Demgegenüber liegt sie bei Männern bei 78% und hat sich in den vergangenen fünf Jahren kaum verändert.3 Durch die Einbeziehung von immer mehr Frauen in den Arbeitsmarkt steigt insbesondere der Anteil der ArbeiterInnenklasse an den Erwerbstätigen. Noch immer arbeitet ein Großteil der Frauen in schlecht bezahlten Berufen. Dazu unten mehr.
Hinzu kommt als zweiter Aspekt die immer weitere kapitalistische bzw. profitorientierte Durchdringung jedes Arbeits- und Wirtschaftsbereichs. Insbesondere durch die Privatisierung von Staatseigentum und die Öffnung des traditionellen Handwerks hat diese Durchdringung in den vergangenen Jahrzehnten massive Fortschritte gemacht. So sind heute die meisten Teile des Gesundheitssektors und der Reproduktion vollkommen vom Kapital durchdrungen und unterworfen („Weiße Fabriken“). Auch diese „Weißen Fabriken“ arbeiten rein profitorientiert und existieren auf der Grundlage der Abschöpfung des durch die dort arbeitenden Menschen geschaffenen Mehrwerts.
Ähnlich sieht es im Handwerk aus, welches nach wie vor durch feudalistische Überbleibsel wie den „Meisterzwang“ für die Durchdringung von Kapital begrenzt ist. Auch hier gab es bereits 2004 mit der Handwerksnovelle im Rahmen der Agenda 2010 eine erste Weichenstellung, um diese Hemmnisse nach und nach abzubauen. Damit steigt auch in den traditionellen Handwerksberufen die Anzahl der ArbeiterInnen massiv an.
Beschäftigte nach Branchen
Doch schauen wir uns an, wie sich die Erwerbstätigen auf die jeweiligen Wirtschaftsbereiche verteilen [Siehe TABELLE 1, S.41]. Auch hier muss gesagt werden, dass die bürgerlichen Zahlen verfälscht sind und eine wirkliche Einteilung der Produktionszweige aus marxistischer Sicht nicht wiedergeben können. Die Angaben stammen vom Institut der Deutschen Wirtschaft (in Millionen)4.
Unter der Rubrik „Sonstige Branchen“ sind hier unter anderem Information und Kommunikation, Finanz- und Versicherungsdienstleister, Grundstücks- und Wohnungswesen, Unternehmensdienstleister und sonstige Dienstleister zusammengefasst. Zudem stellt die Tabelle1 natürlich nicht die Anzahl der ArbeiterInnen dar, sondern die Anzahl aller arbeitenden Menschen. Dazu zählen außer den ArbeiterInnen vor allem Manager der verschiedenen Managementebenen im Betrieb. Hinzu kommen hier auch alle kleinbürgerlichen Schichten und selbst die Kapitalisten werden hier mitgezählt (letztere machen jedoch einen minimalen Teil aus).
Schauen wir uns die oben genannten Zahlen im Verhältnis zu einander an, kommen wir zu weiteren Ergebnissen [Siehe TABELLE 2, S. 41]5: Wir können sehen, dass der Anteil der Menschen, welche etwa im produzierenden Gewerbe (also vor allem der Industrie, dem Baugewerbe und dem Handwerk, sowie der Energiegewinnung) arbeitet zwar im Vergleich der Verteilung der Arbeitskräfte um 11,53 Prozentpunkte abgenommen hat, in realen Zahlen aber nur um 3,3 Millionen, was heute einem Anteil von 7,56% entspricht. Parallel dazu sind die Menschen welche als „Unternehmensdienstleister“ arbeiten von 2,31 Millionen auf 5,9 Millionen gestiegen. Haben sich also auf mehr als 255% gesteigert. Das hängt damit zusammen, dass die meisten größeren Betriebe und Monopole Teile der notwendigen Arbeiten wie Reinigungsdienste, Wachdienste und die Logistik an externe Firmen auslagern. Das ändert allerdings nichts daran, dass diese Teile zur notwendigen Arbeit gehören und entsprechend der jeweiligen Branche zugerechnet werden müssen.
Auch wenn wir uns die Anteile der Branchen an der Wertschöpfung, also die Gesamtheit der im Produktionsprozess erzeugten Waren und Dienstleistungen anschauen, sehen wir die weiterhin zentrale Bedeutung des produzierenden Gewerbes6
[Siehe TABELLE 3].
Für diese Zahlen gilt zudem das Selbige wie für die vorhergehenden. Auch hier sind unter den sonstigen Branchen 11% Unternehmensdienstleistungen versteckt, die zu einem großen Teil direkt die notwendige aber ausgelagerte Arbeit anderer Unternehmen darstellt und damit oftmals direkt zur Produktion gehört.7
Trotz vieler Mängel zeigen jedoch auch diese Zahlen ganz deutlich, dass alle Geschichten von Deutschland als reiner Dienstleistungsgesellschaft nichts anderes sind als Märchen. Es findet nicht nur ein Großteil der Wertschöpfung im produzierenden Gewerbe statt, sondern auch ein großer Teil der ArbeiterInnen ist hier beschäftigt.
Weder die Verlegung von Produktionsketten ins Ausland, noch die Technisierung haben zu einem wirklich drastischen Bedeutungsverlust dieses Sektors auf dem deutschen Arbeitsmarkt geführt.
Wie wenig Aussagekräftig die Zahlen der einzelnen Branchen sind, zeigten auch die Berechnungen von Jörg Miehe in seinem Artikel in dem Buch „Arbeitende Klasse in Deutschland“.8 Miehe kritisiert dort ebenso wie wir hier, die mehr oder weniger wahllose Einteilung bestimmter Wirtschaftszweige in die oben genannten Branchen. Miehe guckt sich daher die einzelnen Zweige der deutschen Wirtschaft im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) genauer an und teilt diese neu in die drei Sektoren Materielle Produktion, Vermittlung und Dienste ein. Daraus ergibt sich bei Miehe folgende Tabelle für die Verteilung der Erwerbstätigkeit (in Millionen):
Miehes Auflistung, welche auf der selben bürgerlichen Datenbasis (VGR) wie die oben stehenden Tabellen beruhen, weisen jedoch eine deutlich unterschiedliche Verteilung der Erwerbstätigen aus. Laut dieser Aufstellung arbeiteten selbst im Jahr 2004 immer noch leicht mehr Menschen in Deutschland in der materiellen Produktion, als in „Dienstleistungsberufen“. Das widerlegt zudem den Mythos der „Dienstleistungsgesellschaft“, sowie den der vollautomatischen Produktion.
Gerade die Technisierung und Automatisierung der Produktion stößt entgegen der bürgerlichen Propaganda in der Umsetzung an ihre Grenzen. Dies musste erst kürzlich der Technologiekonzern Tesla feststellen. Er hat bei der Produktion seiner neuen Elektroautos fast ausschließlich auf automatisierte Produktion und den Einsatz von Robotern statt Menschen gesetzt. Nun musste Tesla eingestehen, dass dadurch die Produktion sogar verlangsamt und ungenauer wurde9. Grundsätzlich geht es unserer Meinung nach bei den Diskussionen um Automatisierung und Digitalisierung nicht um eine Ersetzung des Menschen durch Maschinen, sondern um eine Verlagerung von Arbeitsplätzen und -tätigkeiten. Das Kapital kann nicht auf die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft verzichten, da es seinen ganzen Reichtum daraus zieht.
Bei einer Annäherung an eine konkrete Zahl oder einen prozentualen Anteil der ArbeiterInnenklasse an den Erwerbstätigen bzw. der in Deutschland lebenden Bevölkerung helfen uns die oben genannten Ausführungen von Jörg Miehe jedoch kein bisschen weiter. Miehe versteht in einem dogmatischen Sinne nur die ArbeiterInnen, „die entweder der materiellen Produktion zugehören oder damit produktiv verbunden sind“ als Teil einer „Arbeiterklasse im orthodoxen und modernen Sinn“. Miehe zählt hier 1,4 Millionen technische Angestellte und 5,2 Millionen Arbeiter. Dabei geht Miehe weder darauf ein, zu welchen Klassen die restlichen 38 Millionen arbeitenden Menschen gehören, noch was mit den 39 Millionen offiziell nicht arbeitenden Menschen in Deutschland ist. Miehe zeigt hier ein äußerst dogmatisches und falsches Verständnis von ArbeiterInnenklasse, welches schon den Definitionen von Marx und Engels widerspricht. Auch auf die Herausforderung diese allgemeinen Definitionen auf die heutige Realität und Veränderungen anzuwenden und zu konkretisieren gibt Miehe damit keinerlei Antworten. Auch wir haben heute noch keine endgültigen Antworten, können jedoch erste Einschätzungen treffen, die in Zukunft weiter konkretisiert werden müssen.
Bildung
Mit der Veränderung der Produktion und seinen Bedingungen, ändern sich auch die Anforderungen an die ArbeiterInnen. Insbesondere die immer weiter fortschreitende Spezialisierung macht eine allgemeine Hebung des „Bildungsniveaus“ notwendig. Während viele ArbeiterInnen im 19. und Anfang des 20. Jahrhundert kaum lesen und schreiben konnten, sind heute immer höhere Schul- und Universitätsabschlüsse gefordert. Nichtsdestotrotz gibt es auch in Deutschland im 21. Jahrhundert immer noch rund 2 Millionen AnalphabetInnen, Probleme beim lesen und schreiben sollen insgesamt 7,5 Millionen Menschen in Deutschland haben.10 Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung der Verteilung der Schulabschlüsse welche in den Jahren 2005 und 2015 gemacht wurden:11
Im Wintersemester 2017/2018 studierten in Deutschland 2,84 Millionen Menschen an Hochschulen und Fachhochschulen. So viele Menschen, wie noch nie. Seit 1991 hat die Anzahl der Studierenden um 60% zugenommen.12 Heute beginnt fast jeder zweite Jugendliche ein Studium. Die Studienanfängerquote betrug im Jahr 2016 45%.
Im Jahr 2006 arbeiteten bereits 9 Millionen Erwerbstätige mit einem Hochschulabschluss, dass entspricht 21% aller arbeitenden Menschen. Seit 2007 ist die Anzahl der Menschen mit einem akademischen Abschluss in Deutschland um rund 40% (2,6 Millionen) gewachsen. Diese Tendenz wird auch in den kommenden Jahren weiter anhalten, insbesondere weil die Nachfrage nach hochqualifizierten Beschäftigten immer weiter steigt.13 Diese Entwicklung führt insbesondere zu einem Abbau der Privilegien der „Intelligenz“ und verschärft die Tendenzen der Proletarisierung solcher Berufe, welche seit langem hohe Bildungsabschlüsse voraussetzen. Dazu unten mehr.
Ökonomische Schichtung der ArbeiterInnenklasse
Heute zeichnet sich die Schichtung der ArbeiterInnenklasse vor allem durch die immer komplexere Verflechtung verschiedener Arbeitsverhältnisse aus. Dabei wurden insbesondere seit dem Beschluss der Agenda 2010 gezielt „flexible“ Arbeitsmodelle etabliert und ausgebaut. Zudem wird der Lohn der ArbeiterInnenklasse gezielt nach unten gedrückt. Die Agenda 2010 ist also nicht nur eine massive Umverteilung bei den Arbeitslosen und der Grundsicherung gewesen, sondern vor allem ein Angriff auf Löhne und Arbeitsbedingungen der ArbeiterInnen. Die Ergebnisse dieser Angriffe lassen sich prozentual wie in [TABELLE 4] darstellen14:
Unter normal Beschäftigte fallen alle ArbeitnehmerInnen, welche in Vollzeit arbeiten, einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben und nicht in Leiharbeit arbeiten. Zur atypischen Beschäftigung werden hingegen alle Arbeitsverhältnisse gezählt, die in Teilzeit, als geringfügige oder befristete Beschäftigung, sowie als Leiharbeitsverhältnis durchgeführt wird. Heute bekommen 44% der neue eingestellten Beschäftigten nur noch einen befristeten Vertrag. Damit wird die atypische Beschäftigung immer mehr zum neuen „Normalarbeitsverhältnis“. Die hier genannten Selbstständigen unterteilen sich nochmal in 54,4% ohne Angestellte und 45,6% mit eigenen Angestellten und decken damit einen großen Bereich von den durch staatliche Gelder mitfinanzierten „Ich-AGs“ bzw. die Schein-Selbstständigen bis zu großen Inhaber-geführten Unternehmen ab. Dadurch hat diese Kategorie nur eine sehr begrenzte Aussagekraft.
Festangestellte
Die Zahl der arbeitenden Menschen steigt seit 1991 kontinuierlich an. Parallel dazu sinkt der Anteil der Menschen mit einem „normalen“Arbeitsplatz, den Festangestellten. So arbeiten heute rund 8,5% der Beschäftigten weniger in einem solchen. Da atypische Arbeitsverhältnisse dazu genutzt werden den Lohn der ArbeiterInnen massiv zu drücken, steigt mit dem Abbau der Normalarbeitsverhältnisse auch der Druck auf diese massiv an. Wer heute seinen Job in Festanstellung verliert, hat schlechte Chancen wieder einen solchen zu bekommen. So vermitteln die Arbeitsagenturen und Jobcenter seit Jahren mehr als 30% aller Arbeitslosen in den Leiharbeitssektor. Mit dem Abbau der Festangestellten und Vollzeitjobs, sinkt auch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Sie ist parallel zur Normalbeschäftigung seit 1991 gesunken. Eine Folge davon ist unter anderem die steigende Erwerbsarmut bzw. Renten, welche nicht mehr zum leben reichen. 1991 haben rund 28,9 Millionen Beschäftigte Vollzeit gearbeitet, im Jahr 2016 waren es nur noch 25,6 Millionen (Da immer mehr Menschen arbeiten, jedoch mit steigender Tendenz nicht in Vollzeit).
Leiharbeit
Insbesondere durch staatliche Subventionierungen und die zwangsweise Vermittlung der Arbeitsagenturen und Jobcenter ist der Bereich der Leiharbeit in den vergangenen Jahren massiv angewachsen und ersetzt immer mehr Stellen von zuvor Festangestellten. Sie ist zudem ein adäquates Mittel um die Löhne der ArbeiterInnenklasse massiv zu senken. So verdienen LeiharbeiterInnen im Durchschnitt monatlich 1.300 Euro weniger als ihre festangestellten KollegInnen. Das entspricht einem Lohngefälle von 42%.15 Hinzu kommt die dauerhafte Angst innerhalb weniger Wochen oder Monate wieder auf der Straße zu stehen und kein Einkommen mehr zu haben. Allein 35% der Arbeitsverhältnisse enden in den ersten drei Monaten.
Im Jahr 2017 haben im Jahresdurchschnitt mehr als 1,13 Millionen Menschen als LeiharbeiterInnen gearbeitet. Das entspricht seit dem Jahr 1994 einer Zunahme von fast 1.000%.16 Die Leiharbeit ist nach wie vor ein Feld, dass vor allem männliche Arbeiter betrifft. So waren 2017 70% der Leiharbeiter männlich und 30% weiblich.
Laut der Bundesagentur für Arbeit werden 42% der LeiharbeiterInnen direkt in Produktionsberufen eingesetzt. Hinzu kommen 31% in „sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungsberufen“, welche vielfach ebenfalls direkt zur Produktionssphäre gehören.
Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung
Auch die Teilzeitarbeit, sowie die geringfügige Beschäftigung ist ein gigantisches Ausbeutungsfeld menschlicher Arbeit. Allein mit der Begründung der nicht Existenz eines Normalarbeitsverhältnisses werden hier ebenso wie in der Leiharbeit deutlich niedrigere Löhne (und keine oder kaum Sozialabgaben) gezahlt. Laut dem Wissenschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung17 arbeiteten 2016 in Deutschland mehr als 8,4 Millionen Menschen in Teilzeit. Das entspricht einem Zuwachs von 184% seit dem Jahr 2003. Damit arbeitet fast jede fünfte Erwerbsperson in Teilzeit. Hinzu kommen nochmal 5,14 Millionen ausschließlich geringfügig Beschäftigte, sowie 2,6 Millionen nebenberuflich geringfügig Beschäftigte. Seit 1991 hat die Teilzeitquote der Beschäftigten massiv zugenommen. Waren 1991 gerade einmal 17,9% der Beschäftigten in Teilzeit tätig oder geringfügig beschäftigt, so sind es heute etwa 39%.
Allein 6,72 Millionen der Teilzeitbeschäftigen in Deutschland sind Frauen, das entspricht einem Anteil von 80%. Bei den ausschließlich geringfügig Beschäftigten machen Frauen mit 3,2 Millionen einen Anteil von 62,3% aus. Insgesamt müssen also 13,54 Millionen Menschen in Deutschland mit dem auskommen, was sie durch die Teilzeitarbeit oder geringfügige Beschäftigung verdienen, bzw. sind auf staatliche Unterstützung angewiesen und den Schikanen der Jobcenter ausgeliefert.
Arbeitslose
Spätestens mit der Entwicklung des Kapitalismus zum Imperialismus ist die Arbeitslosigkeit eine chronische und dauerhafte Erscheinung geworden. Sie nutzt der herrschenden Klasse ganz konkret um die Löhne der gesamten ArbeiterInnenklasse zu senken. Vor allem in ökonomischen Krisen steigt die Arbeitslosigkeit massiv an und erhöht damit auch den Druck auf den Teil der Klasse, welcher noch Arbeit hat. Der deutsche Staat hat mit der Agenda 2010 den Druck auf alle Menschen ohne Arbeit massiv erhöht und versucht diese seit dem möglichst gewinnbringend auszubeuten. Dazu zählen etwa auch Zwangsmaßnahmen und Zwangsarbeit in Form von sogenannten Ein-Euro-Jobs.
Laut den offiziellen Statistiken der Bundesagentur für Arbeit waren im Jahresdurchschnitt 2017 mehr als 2,53 Millionen Menschen in Deutschland Arbeitslos.18 Hinzu kommen nochmal eine Millionen Menschen, welche sich in Maßnahmen der Arbeitsagenturen und Jobcenter befinden oder kurzzeitig Arbeitsunfähig sind. Insgesamt lag die Anzahl der Arbeitslosengeld II-BezieherInnen (Hartz IV) im Jahr 2017 bei 4,37 Millionen Menschen und damit bei rund 10% der Erwerbspersonen. Dabei geht ein großer Teil der BezieherInnen arbeiten, jedoch reicht der dafür erhaltene Lohn nicht zum leben, so dass mit Hartz IV „aufgestockt“ werden muss.
Insgesamt waren im Jahr 2016 mehr als 6 Millionen Menschen auf Sozialleistungen des Staates angewiesen und lebten überwiegend davon. Dazu zählen BezieherInnen von Arbeitslosengeld I und II, Sozialgeld, Sozialhilfe, Elterngeld, der Pflegeversicherung und BAföG.
Informeller Sektor
Laut einer Studie des Entwicklungszentrums der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahr 2009 sollen weit mehr als die Hälfte aller arbeitenden Menschen weltweit im „Informellen Sektor“ arbeiten. Informell bedeutet dabei, dass kein offizielles Arbeitsverhältnis besteht und somit insbesondere keine Steuern oder Sozialabgaben gezahlt werden. Weltweit sollen rund 1,8 Milliarden Menschen informeller Arbeit nachgehen, hinzu kommen 1,2 Milliarden Menschen mit offiziellen Arbeitsverhältnissen.19
Laut Berechnungen des Tübinger Institut für angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) für das Jahr 2016 soll der Umfang des Informellen Sektors in Deutschland rund 336 Milliarden Euro umfassen. Dass entspricht rund 10,8% des deutschen Bruttoinlandsproduktes (BIP).20 Die Schätzungen des Instituts gehen davon aus, dass der informelle Sektor in Deutschland im Verhältnis zum BIP seit dem Jahr 2009 kontinuierlich geschrumpft ist. Von einem Umsatz 2009 von 352 Milliarden Euro auf 336 Milliarden Euro 2016. Laut verschiedenen Studien in den Jahren 2001 bis 2008 gaben 13-25% der Männer und 6-16% der Frauen an, in den vergangenen 12 Monaten illegal beschäftigt gewesen zu sein.21
Inwieweit diese Berechnungen bzw. Schätzungen realistisch sind, oder viel zu gering ausfallen, kann hier nicht beurteilt werden, sie zeigen aber, dass Millionen Menschen unter oftmals sehr prekären Bedingungen und mit keinerlei Rechten arbeiten. Rund 90% der häuslichen Betreuung, Gartenarbeiten und Nachhilfe soll zum Beispiel als informelle Arbeit („Schwarz“) stattfinden.
Lumpenproletariat
Das Lumpenproletariat ist eine grundsätzlich andere Kategorie als die Arbeitslosen, es handelt sich dabei nicht um einen rein ökonomischen Begriff. Wie bereits oben beschrieben, ist die Arbeitslosigkeit heute chronisch und kann insbesondere in Krisenzeiten große Teile der ArbeiterInnenklasse treffen (Siehe etwa Griechenland und Spanien seit der letzten Krise). In die Kategorie des „Lumpenproletariats“ fallen all jene Kleinkriminellen, Drogendealer und kriminellen Straßenbanden, die durch ihre Lage der Käuflichkeit durch die Herrschenden ausgesetzt sind. Sie bilden eine Reserve der Bourgeoisie im Kampf gegen die RevolutionärInnen und KommunistInnen und die in revolutionäre Aktion versetzte ArbeiterInnenklasse. Ebenso fallen tendenziell Bettler, Obdachlose, Drogenabhängige und auch ein Teil der Langzeitarbeitslosen in diese Kategorie.
Die gemachten Ausführungen sollen weder aussagen, dass sie diese Menschen kein Interesse daran haben, dieses System zu überwinden oder etwa nicht organisiert werden können. Es sind jedoch aus ihrer ökonomischen Lage heraus grundsätzlich schwankende Elemente, welche der Bourgeoisie und hier insbesondere dem „tiefen Staat“, den besten Ansatzpunkt gibt, diese für die Konterrevolution zu „kaufen“.
Das Lumpenproletariat darf jedoch nicht mit der großangelegten und nach kapitalistischer Profitlogik strukturierten sogenannten „Organisierten Kriminalität“ verwechselt werden. Mafiastrukturen, großangelegter Drogen-, Waffen- und Menschenhandel sind viel mehr der schwarze Teil der kapitalistischen Produktion. Sie ist oftmals direkt in die kapitalistischen Staatsapparate eingebunden und teil davon. Sie funktionieren ähnlich wie die kapitalistischen Monopole und haben mit abgestiegenen Elementen des Proletariats nichts mehr zu tun. Die untersten Glieder der „Organisierten Kriminalität“ hingegen fallen wie beschrieben in die obige Kategorie.
RentnerInnen
In Deutschland steigt die Anzahl der RentnerInnen von Jahr zu Jahr an und das trotz der mehrfachen Anhebung des Renteneintrittalters. Während es 1992 noch 19,27 Millionen Renten gab, wuchsen diese bis ins Jahr 2016 auf 25,65 Millionen an.22 Ein Anstieg um 33%. Die RentnerInnen machen mit 31% fast ein Drittel der gesamten Bevölkerung aus.
Immer mehr RentnerInnen können nicht oder kaum noch von ihrer Rente leben. Laut dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) arbeitete 2017 jede/r neunte RentnerIn zwischen 65 und 74 Jahren (942.000 Menschen). Für 37% der arbeitenden RentnerInnen ist die Arbeit weiterhin die Hauptquelle ihrer Einkünfte. 18,3% der über 65 Jährigen waren 2016 in Deutschland armutsgefährdet bzw. von erheblicher materieller Entbehrung betroffen. Dabei sind mit 20,8% Frauen deutlich öfter betroffen als Männer (15,6%). Die Bertelsmann-Stiftung sagt für die kommenden Jahre eine deutliche Steigerung der Altersarmut voraus. Demnach könnte bis 2036 jede/r fünfte RentnerIn von Altersarmut betroffen (20%). Bei den alleinstehenden Frauen wird die Quote voraussichtlich auf 28% ansteigen.23 Damit wäre fast jede dritte alleinstehende Frau von Altersarmut betroffen.
Seit Jahrzehnten sinkt dabei das Rentenniveau immer weiter ab. Das Rentenniveau richtet sich dabei am vorher verdienten Durchschnittsverdienst aus. Laut der Deutschen Rentenversicherung ist eine weitere Absenkung des Rentenniveaus bis ins Jahr 2030 geplant. Während das Rentenniveau im Jahre 1978 noch bei 59,5% lag, ist es bis 2016 auf 48% geschrumpft. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Deutsche Rentenversicherung rechnen mit einer weiteren Absenkung bis ins Jahr 2030 auf 44,3%. Das bedeutet zwar nicht das die Renten real sinken, sie steigen jedoch weit weniger als die Löhne und die steigenden Lebenserhaltungskosten im selben Zeitraum. Damit werden zusätzlich zu anderen Faktoren perspektivisch immer mehr Menschen von Altersarmut betroffen sein.
Arbeiteraristokratie
Auch heute gibt es einen Teil der ArbeiterInnenklasse, welcher von der Bourgeoisie besonders bestochen wird und dadurch nicht im Sinne seiner eigentlichen Interessen, sondern im Sinne der Herrschenden handelt.
Dazu gehört in allen imperialistischen Ländern heute die Gewerkschaftsbürokratie der „gelben“ Gewerkschaften, die sich zwar als Vertreterin der ArbeiterInnenklasse gibt, aber objektiv nicht als Kampfinstrument der Klasse wirkt, sondern diese wo es geht verhindert und die Wut der ArbeiterInnen mit faulen Kompromissen erstickt. Ähnlich sieht es mit einem Großteil der freigestellten BetriebsrätInnen, insbesondere in den großen Monopolbetrieben aus. Diese BetriebsrätInnen werden gemäß dem Betriebsverfassungsgesetz genauso bezahlt wie vergleichbare KollegInnen. Da der Betriebsrat im Zuge der Mitbestimmung auch bei der Beförderung dieser „vergleichbaren KollegInnen“ mitzubestimmen hat, ist er in der immer wiederkehrenden Situation quasi über seine eigenen Beförderung mit zu entscheiden.
Nicht allein und in erster Linie die Höhe des Gehalts, sondern vielmehr die Funktion und Stellung im Betrieb sind ausschlaggebend für das Hinüber schwanken auf die Seite der Bourgeoisie. Zur Arbeiteraristokratie kann ihrer Funktion nach auch der Apparat der Sozialdemokratie (heute in erster Linie SPD und Die Linke) gezählt werden.
Verteilung von Einkommen und Vermögen
Wie bereits oben bei der Definition der Klassen geschrieben, gehört zu ihrer Einteilung auch der Anteil am gesellschaftlichen Reichtum. Diesen wollen wir uns hier etwas genauer ansehen.
Verteilung auf die Bevölkerung
Schauen wir uns die Entwicklung der Stundenlöhne in den vergangenen Jahrzehnten an, so sieht man auch hier eine klare Entwicklung. Laut dem Verteilungsbericht 2017 des DGB hat sich der reale Bruttostundenlohn in den Jahren 1995-2015 wie folgt verändert: Bei den Ärmsten 40% der Bevölkerung sind die realen Bruttostundenlöhne um durchschnittlich 6% gefallen. Gleichzeitig sind sie bei den reichsten 40% um 9% gestiegen. Dadurch verteilt sich auch der jeweilige Anteil am Gesamtvermögen immer weiter ungleichmäßig.
Allgemein können wir feststellen, dass es seit Jahrzehnten eine Tendenz gibt, dass die Zwischenschichten zwischen den sehr niedrigen und sehr hohen Einkommen und Vermögen immer weiter schwinden. Ein Teil verliert deutlich und sinkt hinab, während ein anderer Teil deutlich gewinnt. Damit schmilzt eine vorhandene „Einkommens-Mittelschicht“ immer weiter zusammen.
Laut Angaben der Deutschen Bundesbank verteilte sich das Vermögen wie folgt auf die deutschen Haushalte24:
Das hier benannte Netto-Vermögen umfasst dabei alle Vermögensarten eines Haushaltes. Dazu zählen Geld- und Immobilienvermögen, sowie Betriebs- und Sachvermögen. Der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung25 wird hier sogar noch genauer und Schlüsselt das Pro-Kopf-Nettohaushaltsvermögen auf. Demnach haben die ärmsten 23% der Bevölkerung in Deutschland gar kein Vermögen (bzw. Schulden). Hinzu kommen weitere 38% der Bevölkerung mit einem Vermögen zwischen 1.000 und 50.000 €.
Geografische Unterschiede
Auch geografisch können wir große Unterschiede in der Beteiligung am gesellschaftlichen Einkommen und Vermögen feststellen. So gibt es einerseits ein deutliches Armutsgefälle zwischen Ost-West, aber auch Nord-Süd, dazu kommen extrem arme Städte und Regionen wie Bremen oder große Teile des Ruhrgebiets.
Doch sehen wir uns zunächst die Entwicklung der Armutsquote in Deutschland (Ost-West) an. Die statistische Armutsgrenze in Deutschland lag im Jahr 2015 bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 1033 €.26
Wir sehen also auch 27 Jahre nach der Einverleibung der DDR in die BRD gibt es weiter eine deutlich höhere Armutsquote in Ostdeutschland, als im Westen. Hintergrund davon ist einerseits eine höhere Arbeitslosigkeit (West 4,9% – Ost 7,1%) und Unterbeschäftigung (West 6,8% – Ost 9,7%)27 und andererseits die deutlich niedrigeren Löhne. Laut der Bundesagentur für Arbeit verdienten 2015 Beschäftigte in Ostdeutschland im Durchschnitt 24% weniger als in einem vergleichbaren Arbeitsverhältnis in Westdeutschland.
Doch auch in Westdeutschland gibt es Städte und Regionen, welche eine mit Ostdeutschland vergleichbare ökonomische Situation aufweisen. Dazu gehören etwa das Bundesland Bremen mit einer Arbeitslosenquote von 10% und einer Unterbeschäftigungsquote von 13,9%. Oder Teile von Nordrhein-Westfalen, hier insbesondere die ehemaligen Industriestädte im Ruhrgebiet. Allen voran Gelsenkirchen und Duisburg mit einer Arbeitslosenquote von 13,8% bzw. 11,8% und einer Unterbeschäftigungsquote von 18,5% bzw. 15,3%.
Zudem entwickelt sich in einer Gegenbewegung seit Jahren ein immer weiter wachsendes Süd-Nord Gefälle, welches perspektivisch auch das West-Ost Gefälle überlagern kann. Diese Entwicklung geht insbesondere auf eine deutlich höhere Industrialisierung Süddeutschlands zurück. Dabei entwickeln sich auch die südlich gelegenen ostdeutschen Bundesländer deutlich positiver als die nördlichen.28
Tendenzen der Proletarisierung
Die Konzentration und Zentralisation des Kapitals führt nicht nur unweigerlich zur Bildung von Monopolen, sondern auch zum tendenziellen Abstieg großer Teile des Kleinbürgertums und der kleineren und mittleren Bourgeoisie.
Diese Entwicklungstendenz wird durch zahlreiche Gesetzesveränderungen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten begünstigt und beschleunigt. Diese Gesetzesänderungen erleichtern es den Monopolen bisher reglementierte Bereiche der Wirtschaft vollkommen zu durchdringen. Zu diesen Gesetzen gehört z.B. die im Rahmen der Agenda 2010 angenommene Handwerkerrechtsnovelle ebenso, wie die massiven Privatisierungen im Bildungs-, Beförderungs- und Versorgungsbereich.
„Selbstständige“
Laut den offiziellen bürgerlichen Statistiken arbeiten rund 10% aller Erwerbspersonen als Selbstständige. Dabei sind Selbstständige nicht einfach mit Kapitalisten gleichzusetzen, denen große Monopole und Fabriken gehören, sondern es ist zunächst eine bürgerlich-juristische Definition. Selbstständig sind demnach alle Menschen, welche nicht in der Abhängigkeit eines Vorgesetzten und auf eigene Rechnung arbeiten. Dazu zählen große Kapitalisten genauso wie einfache FreiberuflerInnen. Also sowohl MillionärInnen, als auch SchuhputzerInnen oder StraßenkünstlerInnen. Von den 4,14 Millionen Selbstständigen im Jahr 2016 haben mit 55,9% deutlich mehr als die Hälfte selber gar keine Angestellten. Sie verkaufen selber nur ihre Arbeitskraft, in Form von Dienstleistungen bzw. die Produkte ihrer Handarbeit.29
Ein beträchtlicher Teil der Selbstständigen bzw. Freiberuflichen, sind eigentlich lediglich scheinselbstständig. Schätzungen gehen von bis zu 20% aller Selbstständigen aus. Scheinselbstständige unterscheiden sich lediglich dadurch von angestellten ArbeiterInnen, dass sie keinen festen Arbeitsvertrag haben, sondern auf eigene Rechnung arbeiten. Sie arbeiten weit überwiegend nur für einen oder wenige Auftraggeber und sind deshalb finanziell vollkommen von diesem Abhängig. Wir sehen also, auch unter den sogenannten „Selbstständigen“ gibt es viele Arbeiterinnen und Arbeiter, welche in keinem anderen Ausbeutungsverhältnis stehen, wie andere ArbeiterInnen, nur tragen sie hier zusätzlich alle Risiken der Kapitalisten. Die bürgerliche Kategorie der Selbstständigen fast hier sowohl ArbeiterInnen, als auch Kleinbürger und Kapitalisten zusammen.
Handwerk
Jahrhunderte lang war das Handwerk durch die Einrichtung von sogenannten Gilden und später den „subjektiven Berufszulassungsschranken“ (wie dem heutigen Meisterzwang) der Vorherrschaft des Bürgertums und später der Kleinbürger unterworfen. Im Rahmen der Agenda 2010 wurde 2004 durch die Handwerkerrechtsnovelle diese Bastion des Kleinbürgertums angegriffen und damit die Barrieren für die Durchdringung mit Kapital und die Monopolbildung abgebaut. Zunächst wurden durch die Gesetzesänderung 53 der 94 in Deutschland zulassungspflichtigen Handwerksberufe vom Meisterzwang und dem Inhaberprinzip befreit. Die beratende Monopolkommission hatte der Bundesregierung nahegelegt, den Meisterzwang bei allen Berufen des Handwerks aufzuheben und damit einen Jahrzehntelangen „Mittelstandsprotektionismus“ aufzubrechen. Auch wenn dies bisher nur bei rund 56% der Berufe der Fall ist, wird das Gesetz perspektivisch auf alle Berufe ausgeweitet werden.
Bereits jetzt sieht man das Vordringen der Monopole im Handwerk. Als ein Beispiel sei hier das Bäckerei-Handwerk genannt. So sind von den Mitte der 1990er Jahre existierenden rund 26.000 Meisterbetrieben im Jahr 2016 nur noch 11.737 übrig.30 Das entspricht einem Rückgang von 55%. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Verkaufsstellen an. Monopolisierung konkret: heute haben 52% der Betriebe einen Marktanteil von 15%, demgegenüber stehen 2,2% der Betriebe mit einem Marktanteil von mehr als 52%. Ähnlich sieht es zum Beispiel auch im Kfz-Handwerk aus. Hier verringerte sich die Anzahl der Kfz-Werkstätten von 40.800 im Jahr 2005 auf 38.400 im Jahr 2015. Ein Rückgang um 5,88%. Gleichzeitig stieg die Anzahl der Beschäftigten von 169.195 im Jahr 2005 auf 283.701 im Jahr 2015. Eine Zunahme von 67,7%.31
Diese beiden Beispiele zeigen nicht nur eine massive Monopolisierung des Handwerks, sondern auch die Proletarisierung der dort arbeitenden Bevölkerung. Das Handwerk verliert damit tendenziell seinen Stand als Bastion des Kleinbürgertums. Diese Tendenzen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Prozess noch lange dauern wird und auch widersprüchlich verlaufen kann. So werden gerade in ländlichen Gebieten die Familienbetriebe wohl noch lange Zeit das klassische Handwerk dominieren, während die Entwicklung in den großen Städten und Ballungsräumen deutlich schneller vonstatten gehen wird.
Bauern/Landwirtschaft
Auch in der Landwirtschaft sehen wir ganz ähnliche Tendenzen. Während es vor 20 Jahren noch rund 654.000 landwirtschaftliche Betriebe gab, waren es im Jahr 2016 gerade noch 275.000. Eine Abnahme von 58%. Von den heute noch existierenden Betrieben bewirtschaften 9% der Betriebe mehr als die Hälfte der gesamten Nutzfläche in Deutschland.
Heute arbeiten noch knapp 940.000 Menschen in der Landwirtschaft. Davon 449.100 Familienarbeitskräfte, 204.600 ständig angestellte Arbeitskräfte und 286.300 Saisonarbeitskräfte. Das entspricht etwa 1,5% der Erwerbspersonen die dauerhaft in der Landwirtschaft arbeiten (ohne Saisonarbeitskräfte). Im Vergleich zu 2,3% 1995 und 24,6% 1950 sehen wir hier eine deutliche Veränderung. Auch hier führt die Monopolisierung zum Ruin hunderttausender Bauernfamilien und ihrem gesellschaftlichen Abstieg ins Proletariat.
Intelligenz
Ähnlich wie in anderen Bereichen ist auch der Bereich der „intellektuellen Berufe“ von Tendenzen der Proletarisierung betroffen. Sei es in der Forschung, an den Universitäten, den Krankenhäusern oder immer größeren Anwalts- und Versicherungsfabriken. Kaum ein Bereich ist heute nicht vom Kapital durchdrungen und wie eine „Fabrik“ organisiert. Die studentischen Hilfskräfte etwa an den Universitäten in Berlin haben seit 17 Jahren keine Gehaltserhöhungen bekommen. Befristete Verträge sind in diesen Berufen die Regel und keine Ausnahme. Selbst ProfessorInnenstellen werden heute vermehrt nur noch mit einem Grundgehalt vergeben, alles darüber hinaus muss durch Sponsoring und Kooperationsprojekte mit großen Monopolen „erwirtschaftet“ werden. Im Jahr 2016 waren bereits 10% aller akademischen Arbeitsverträge befristet. Zudem arbeiteten 25% der beschäftigten mit Hochschulabschluss in Teilzeit und weitere 7% ausschließlich als geringfügig Beschäftigt.32
Insbesondere durch die oben aufgezeigte Tendenz zur immer weiter voranschreitenden „höheren“ bzw. spezialisierteren Bildung der gesamten Gesellschaft, werden auch die finanziellen Privilegien der Intelligenz Stück für Stück abgebaut. Sicherlich trifft das nicht für alle Bereiche und Personen gleichermaßen zu, in der Masse ist es jedoch eine fortschreitende Tendenz.
Besonders ausgebeutete Gruppen
Neben der oben benannten und beschriebenen Aufteilung der arbeitenden Gesellschaft und ihren Entwicklungstendenzen gibt es einige Gruppen in unserer Gesellschaft, die ökonomische besonders unterdrückt und ausgebeutet werden. Wir wollen uns hier besonders folgende Gruppen anschauen: Frauen, Jugendliche und MigrantInnen. Hinzu kommt die ungleiche geographische Einkommens- bzw. Reichtumsverteilung.
Frauen
Auch wenn die Frauen in Deutschland mittlerweile in fast allen Bereichen rein rechtlich den Männern gleichgestellt sind, werden sie real doch in vielen Lebensbereichen besonders ausgebeutet und unterdrückt. Wir werden uns hier allein auf die ökonomische Unterdrückung beschränken.
Mit mehr als 19 Millionen machen die Frauen rund 46,5% der Erwerbstätigen in Deutschland aus. Mit rund 1,2 Millionen Selbstständigen sind Frauen deutlich seltener selbstständig tätig als Männer (2,4 Millionen). Dafür machen sie einen bedeutenden Teil der atypischen Beschäftigten aus. 2017 war fast jede dritte Frau in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis angestellt (31%).33 Diese bringen nicht nur deutlich unsichere Arbeitsverhältnisse, sondern vor allem auch deutlich niedrigere Löhne mit sich.
Im Jahr 2011 arbeiteten allein 46% der erwerbstätigen Frauen in Teilzeit, bei den Männern waren es gerade einmal 10%. Rund 55% der in Teilzeit arbeitenden Frauen geben an, dass sie dies aus familiären Gründen tun, weil sie Kinder oder andere Angehörige versorgen müssen. Rund 1,9 Millionen Frauen gehen wegen „familienbedingter Pflichten“ nicht arbeiten. Demgegenüber stehen 99.000 Männer die Aufgrund ihrer Familie nicht arbeiten gehen.
Auch der sogenannte „Gender Pay Gap“, also der Unterschied im durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von Frauen und Männern lag im Jahr 2017 in Deutschland kaum verändert bei rund 21%. Der „bereinigte Gender Pay Gap“ (bei vergleichbarer Tätigkeit und Qualifikation) liegt aktuell bei rund 6%.
Hinzu kommt die unbezahlte Reproduktionsarbeit. Frauen leisteten laut Berechnungen aus dem Jahre 2012/2013 im Durchschnitt rund 29,5 Stunden unbezahlte Hausarbeit pro Woche. Für Männer wird dieser Wert mit rund 19,3 Stunden angegeben.34
Frauen ohne Kinder verbringen etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit Lohnarbeit und die andere Hälfte mit unbezahlter Arbeit. Frauen mit Kindern hingegen arbeiten durchschnittlich zu 30% für Geld und 70% unbezahlt im Haushalt.
In Deutschland gibt es rund 2,7 Millionen Alleinerziehende, darunter 1,7 Millionen mit minderjährigen Kindern (1,5 Millionen alleinerziehende Mütter und 180.000 alleinerziehende Väter)35. Damit sind zu 90% die Mütter der alleinerziehende Elternteil. Dabei haben 37% der alleinerziehenden Mütter ein monatliches Nettoeinkommen von unter 1.300 Euro für ihre Familie, weitere 52% haben ein Einkommen von 1.300-2.600 Euro. Damit haben fast 90% der alleinerziehenden Mütter weniger als 2.600 Euro im Monat für die Ernährung ihrer Familie zur Verfügung. Bei den alleinerziehenden Vätern sind es 71%. Dies zeigt, dass Frauen allein durch die Eigenschaft das sie ein Kind haben und dieses alleine Großziehen müssen, vor massiven finanziellen Einbußen stehen. Viele Frauen sehen allein aus der finanziellen Abhängigkeit zu ihrem Partner keine Möglichkeit sich von diesem zu trennen. Zur besonderen Betroffenheit von Frauen in der Altersarmut haben wir oben schon etwas geschrieben.
Zur besonderen ökonomischen Ausbeutung von LGBTI-Personen liegen aus der bürgerlichen Statistik leider keine detaillierten und qualitativ/quantitativ verlässlichen Daten vor, so dass diese nicht im Detail betrachtet werden können.
Jugendliche
Auch Jugendliche und junge Erwachsene sind oftmals von besonderer Ausbeutung betroffen. Viele von ihnen verdienen sich ihr Geld durch Schwarzarbeit, bei der der Lohn besonders gedrückt wird. Durch die Veränderungen in der Produktion fällt auch die Möglichkeit als ungelernte bzw. angelernte Beschäftigte in der Produktion zu arbeiten für junge ArbeiterInnen immer mehr weg. Dem entgegen setzen sich auch hier Zeitarbeit, befristete Jobs und Arbeit auf Abruf immer mehr durch. Allein bei den 15 bis 25 jährigen liegt die Quote der atypischen Beschäftigung bei 46,4%.36
Durch immer höhere Anforderungen wird auch der Druck auf die Jugendlichen immer größer einen möglichst hohen Schulabschluss zu schaffen und irgendwie ein Studium zu finanzieren. Viele Jugendliche starten somit schon mit hohen Schulden ins Berufsleben. Für viele ist an eine eigene Wohnung während der Ausbildung kaum noch zu denken.
Auch von Arbeitslosigkeit ist die Jugend besonders betroffen. Die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland ist zwar parallel zur allgemeinen Arbeitslosenquote deutlich zurück gegangen, verteilt sie sich doch sehr ungleichmäßig. So gibt es laut offiziellen Statistiken in Westdeutschland gerade mal 4% Jugendliche ohne Arbeit, Ausbildung oder Schulungsmaßnahmen, in Ostdeutschland hingegen sind es 7,8% (ganz Deutschland 4,5%). Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sind mit 9-10% hier eindeutiger Spitzenreiter. Dicht gefolgt von Bremen mit 8,2%.37
Auch unter jungen ArbeiterInnen sind die Einkommen in Ostdeutschland im Durchschnitt rund 17% niedriger als im Westen. Mehr als 60% aller jungen Beschäftigten müssen regelmäßig Überstunden machen, fast jeder zweite muss in Spät- oder Nachtschichten arbeiten.38
MigrantInnen
Rund 18,58 Millionen der in Deutschland lebenden Menschen haben einen Migrationshintergrund, dass macht rund 22,5% der deutschen Bevölkerung aus. Doch nur etwa die Hälfte davon sind Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, welche in der bürgerlichen Statistik als AusländerInnen geführt werden.39 Im Zeitraum 2006 bis 2016 ist die Zahl der MigrantInnen um 3,5 Millionen angestiegen (davon rund 2 Millionen AusländerInnen). Insgesamt arbeiteten 2016 in Deutschland rund 3,1 Millionen AusländerInnen als sozialversicherungspflichtige Beschäftige (56,4% aus EU Ländern, 28% aus anderen europäischen Ländern, 15,6% aus anderen Ländern).
MigrantInnen haben eine deutlich höhere Armutsgefährdungsrate. Liegt sie bei Personen ohne Migrationshintergrund bei 12,1%, so liegt sie bei Personen mit Migrationshintergrund bei 28% und bei Ausländern bei 36,5%. Bereits im Jahr 2014 lag die Quote der MigrantInnen welche atypisch Beschäftigt waren bei 28,2%, unter AusländerInnen sogar bei 31,6%. Auch unter den Arbeitslosen sind Menschen mit Migrationshintergrund mit 36% (2012) deutlich überrepräsentiert.40 Auch hier gibt es Unterschiede zwischen Ost und West. Im Westen liegt der Anteil der Arbeitslosen mit Migrationshintergrund bei 42%, während er im Osten bei 18% liegt.
Migrantische ArbeiterInnen sind vor allem in folgenden Branchen überrepräsentativ beschäftigt: Landwirtschaft (27%), Lebensmittelherstellung, -zubereitung und Gastronomie (28%), Reinigungsberufe (29,5%).41 In anderen Branchen wie der öffentlichen Verwaltung, der Sozialarbeit, Rechtsberatung oder bei Finanzdienstleistungen machen sie weniger als 4% aus. Personen mit Migrationshintergrund arbeiten weit öfter im Niedriglohnsektor. Macht die Niedriglohnquote bei AusländerInnen und MigrantInnen 35,5% aus, sie liegt sie bei Menschen ohne Migrationshintergrund nur bei 16,7%.
Aus verschiedenen Gründen sind insbesondere MigrantInnen besonders von der Ausbeutung im informellen Sektor betroffen. Ein Teil von ihnen, insbesondere Geflüchtete und MigrantInnen ohne deutschen Pass (aus Ländern außerhalb der EU) sind durch Arbeitsverbote und bürokratische Hürden zum Teil vom legalen Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Weiter werden ihre Berufsabschlüsse aus ihren Herkunftsstaaten in Deutschland nicht anerkannt und sie kämpfen mit Diskriminierungen bei der Arbeitssuche. Für viele bleibt entsprechend nur der Weg in die Schwarzarbeit.
Schlussfolgerungen
Wir wollen versuchen am Ende dieser quantitativen Analyse der Lage und Zusammensetzung der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland ein zusammenfassendes Fazit zu ziehen.
Diese Analyse belegt die Annahme, dass die ArbeiterInnenklasse in Deutschland weder verschwunden, noch zahlenmäßig dezimiert ist. Ganz im Gegenteil können wir heute davon sprechen, dass sie nicht nur weltweit, sondern auch in Deutschland weiter wächst. Verbunden mit der Entwicklung der Technik, verändert sich die gesamte Produktion und Arbeit und damit auch die Erscheinung und Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse.
Wir können zwar einen relativen und absoluten Rückgang des deutschen Industrieproletariats feststellen, dieser ist jedoch keinesfalls so stark wie allgemein propagiert wird. Auch das Märchen von Deutschland als einer reinen oder überwiegenden „Dienstleistungsgesellschaft“ wird durch die oben genannten bürgerlichen Zahlen widerlegt. Was diese Zahlen jedoch nicht leisten können, ist eine genaue Aufschlüsselung der Klassen in Zahlen. Für uns sind die Größenverhältnisse dabei dabei jedoch sowieso interessanter als der Versuch einzelne ArbeiterInnen zu zählen.
Wir konnten feststellen, dass die ArbeiterInnenklasse heute stark ausdifferenziert ist und sich aus einer breiten ökonomischen Schichtung zusammensetzt. Dabei setzt sich auch hier eine allgemeine Drückung des Lohnes eines Großteils der ArbeiterInnenklasse weiter fort. Ebenso konnten wir die seit Jahrzehnten anhaltenden Proletarisierungstendenzen insbesondere in kleinbürgerlich geprägten Schichten und Branchen aufzeigen, welche die ArbeiterInnenklasse weiter anwachsen lassen. Hinzu kommt die immer weitere kapitalistische bzw. profitorientierte Durchdringung jedes Arbeits- und Wirtschaftsbereichs. Kaum eine Branche ist heute nicht auf die Erwirtschaftung von Profit orientiert. Dazu zählen insbesondere auch große Teile des Bildungs- und Gesundheitssektors und der Reproduktion. Hier entfaltet sich die Tendenz zu „weißen Fabriken“ ganz besonders. Auch hier wird rein profitorientiert gearbeitet und sie existieren auf der Grundlage der Abschöpfung des durch die dort arbeitenden Menschen geschaffenen Mehrwerts.
Parallel dazu kann man feststellen, dass bestimmte Gruppen auf Grundlage von Diskriminierung oder ihrer Stellung im Arbeits- und Produktionsprozess besonders ausgebeutet werden. Dies betrifft zum Beispiel LeiharbeiterInnen oder geringfügig Beschäftigte. Hinzu kommt eine besondere Ausbeutung von Frauen, MigrantInnen, Jugendlichen und RentnerInnen.
1 Die große Initiative, Seite 410, Lenin Werke 29, Berlin 1984
2 Statistisches Jahrbuch 2017 – Arbeitsmarkt, Statistisches Bundesamt
3 Erwerbstätigenquote 1991 bis 2016, destatis.de
4 deutschlandinzahlen.de – Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) – Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen
5 Eigene Berechnungen
6 deutschlandinzahlen.de – Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) – Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen
7 ebd.
8 Zur Struktur der Erwerbstätigkeit und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung in der BRD von 1957/1970 bis 2005, in Arbeitende Klasse in Deutschland, 2008, Pahl-Rugenstein Verlag
9 „Tesla-Chef Musk erklärrt Produktionsprobleme beim Model 3“, handelsblatt.de 16.04.2018
10 Level-One-Studie, Universität Hamburg, 2011
11 Statistisches Jahrbuch 2017 – Bildung, Statistisches Bundesamt
12 Statistisches Bundesamt, lange Reihen, Studierende, destatis.de
13 Akademikerinnen und Akademiker, Blickpunkt Arbeitsmarkt, Mai 2018, Bundesagentur für Arbeit
14 Statistisches Jahrbuch 2017 – Arbeitsmarkt, Statistisches Bundesamt
15 Angaben der Bundesagentur für Arbeit, Antwort Parlamentarische Anfrage Die Linke März 2017
16 Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Bundesagentur für Arbeit, Februar 2018
17 Atypische Beschäftigung in Deutschland, 2017, boeckler.de
18 Presseinfo Nr. 2 2018, Jahresrückblick 2017, Bundesagentur für Arbeit
19 epo.de, OECD: Mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen weltweit arbeiten im informellen Sektor
20 Pressemitteilung IAW Februar 2016
21 Illegale Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen in Deutschland, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2017
22 Anzahl der Renten 1999-2016, de.statista.com
23 Entwicklung der Altersarmut bis 2036, Policy Brief 2017/2, Bertelsmann Stiftung
24 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht März 2016
25 Der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, April 2017
26 Armutsquoten in Ost und West 2005-20016, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut
27 Arbeitsmarkt im Überblick – Berichtsmonat April 2018, Bundesagentur für Arbeit
28 Das wirtschaftliche Süd-Nord-Gefälle in Deutschland, Hamburgisches Welt Wirtschafts Institut (HWWI), 2016
29 Statistisches Jahrbuch 2017 – Arbeitsmarkt, Statistisches Bundesamt
30 Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks e.V.
31 Anzahl der Kfz-Werkstätten in Deutschland / Beschäftigte in Kfz-Werkstätten in Deutschland, de.statista.com.
32 Akademikerinnen und Akademiker, Blickpunkt Arbeitsmarkt, Mai 2018, Bundesagentur für Arbeit
33 Statistisches Jahrbuch 2017 – Arbeitsmarkt, Statistisches Bundesamt
34 Wie die Zeit vergeht, Ergebnisse zur Zeitverwendung in Deutschland 2012/2013, Statistisches Bundesamt
35 Familie, Lebensformen, Kinder, Auszug aus dem Datenreport 2016, destatis.de
36 Arbeitsqualität aus der Sicht von jungen Beschäftigten DGB Dezember 2015
37 Jugendarbeitslosenquote in Deutschland von 1998 bis 2017, de.statista.com
38 Jung und ausgenutzt, Wirtschaftspolitik aktuell, Januar 2016, Ver.di Bundesvorstand
39 Bevölkerung und Erwerbstätigkeit – Bevölkerung mit Migrationshintergrund, Statistisches Bundesamt 2017
40 Arbeitsmarktberichterstattung, Juni 2014, Bundesagentur für Arbeit
41 Statistisches Jahrbuch 2017 – Arbeitsmarkt, Statistisches Bundesamt