Sun Tsu besucht Garmisch – hybride Kriegsführung im 21. Jahrhundert

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Ein Diskussionsbeitrag von Hans Kippenberger

Vorbemerkungen

1. Einleitung

Der nachfolgende Diskussionsbeitrag von Hans Kippenberger versucht die konkreten Erfahrungen der G7-Gipfelproteste vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung der modernen imperialistischen Kriegsführung zu reflektieren und so zu tiefer gehenden Erkenntnissen zu gelangen. Solche Erscheinungen wie z.B. die Einordnung der zivilen Komponenten der gegnerischen Streitmacht (u.a. Bergwacht, DRK) erschließen sich nicht ohne weiteres auf der Oberfläche der Geschehnisse. Wie sein Urgroßvater gleichen Namens (Siehe dazu ‚Der bewaffnete Aufstand – Versuch einer theoretischen Darlegung‘, Bericht über den Hamburger Aufstand S. 66 bis 94, Neuauflage Frankfurt am Main, Europäischen Verlagsanstalt, 1971) ist der Genosse Hans für ihn recht überraschend in die Gipfelproteste hineingeworfen worden. In einem Brief an die Redaktion erklärt er:

„Im Gegensatz zu meinem Urgroßvater, der als militärischer Experte für die KI tätig gewesen ist, verfüge ich nicht über einen solchen Hintergrund. Die LeserInnen mögen mir daher verzeihen, wenn mein angelesenes Wissens über strategische und militärische Fragen doch recht bescheiden ist. Durch die praktische Erfahrung bei der Durchführung der Gipfelproteste ist mir aber manches klarer geworden, was vorher nur halb verdaute Theorie gewesen ist. Mit dem nachfolgenden Bericht und Diskussionsbeitrag versuche ich diese mir persönlich wichtig erscheinenden Erkenntnisse der revolutionären und kommunistischen Bewegung zur Verfügung zu stellen.

Erfahrene GenossInnen mögen mir subjektive Einseitigkeiten, Überspitzungen und unklare Gedankengänge als teilweise unvermeidliche Fehler eines Frischlings nachsehen. Vor allem aber bitte ich sie und alle GenossInnen darum, solche eventuellen Fehler zu korrigieren und den Text als das zu nehmen, was er ist: ein Erfahrungsbericht, der ein Aufschlag für eine notwendige Debatte sein soll und nicht mit deren zukünftigen Ergebnissen zu verwechseln ist. Sollte es mir gelungen sein, damit einen brauchbaren Beitrag zur Herausbildung der revolutionären Strategie im imperialistischen Zentrum im 21. Jahrhundert leisten zu können, wäre ich glücklich.“

2. Sun Tsu, Clausewitz und Urlaub in Garmisch-Partenkirchen

Der chinesische General und Philosoph Sun Tsu lebte vor mehr als 2500 Jahren in China. In der Armee des Königs Wu in der Provinz Ghi diente er als General. Über sein Leben ist sonst wenig bekannt. Er hinterließ sein philosophisches Werk „Über die Kriegskunst“ auf Bambusstäben. In 13 Kapiteln behandelt er darin die politischen, psychologischen und materiellen Aspekte bewaffneter Konflikte. Seine Militärphilosophie hat die asiatische Kriegsführung bis heute beeinflusst, nicht zuletzt weil über Jahrhunderte und Jahrtausende militärische Führer der chinesischen Kaiser in der ‚verbotenen Stadt‘ (Peking) auf Grundlage seiner Thesen ausgebildet wurden. Auch Mao Tse-Tung, der mit seinem Konzept des Guerillakriegs (langandauernder Volkskrieg) die gesamte Kriegsführung der Menschheitsgeschichte revolutioniert und weiterentwickelt hat, ist in vielen seiner Gedanken von Meister Sun Tsu beeinflusst worden.

Ähnlich wie bei seinem europäischen Gegenstück, dem preußischen Militärphilosophen Carl von Clausewitz (Siehe dazu: Vom Kriege, Carl von Clausewitz, Taschenbuchausgabe bei RoRoRo-Verlag, geht Sun Tsu dabei weit über das Militärische im engeren Sinne hinaus. Auch deshalb sind die Schriften beider Militärphilosophen wichtige Werkzeuge, um den antagonistischen Klassenkampf als politisch-militärische Auseinandersetzung zu durchdringen und für die Praxis auf Grundlage des dialektischen Materialismus (Das muss betont werden, da Clausewitz als Hegelianer und Sun Tsu geprägt durch etwas, was man als primitive Dialektik des Taoismus bezeichnen könnte, zwar spontan dialektisch dachten, aber nicht auf wissenschaftlicher Grundlage des dialektischen Materialismus ihre Analysen und Thesen erstellten. zu richtigen Schlüssen zu gelangen.

Beide Philosophen werden im nachfolgenden zitiert bzw. es wird Bezug auf ihre Gedanken genommen. Damit stellt sich die Frage, ob es überhaupt zulässig ist, Sun Tsu im Juni 2015 Garmisch-Partenkirchen besuchen zu lassen?

Die Dialektik lehrt uns, dass das Allgemeine im untrennbaren Zusammenhang mit dem Besonderen steht als zwei gegensätzliche Pole eines Widerspruchs. Insofern ist grundsätzlich davon auszugehen, dass philosophische Thesen über Strategie und Kriegsführung sich im Besonderen, der nicht-militärischen, aber doch gewaltförmigen, politisch-polizeilichen Strategie und Taktik zur Neutralisierung der Gipfelproteste in den bayerischen Alpen 2015 widerspiegeln müssten.

Konkret hilft die Darstellung strategischer und militärphilosophischer Thesen in Anwendung auf die realen Abläufe in Garmisch etwas zu verstehen, was an der Oberfläche nicht zu sehen und subjektiv für die meisten GenossInnen nicht ohne weiteres zu erkennen ist.

Oberflächlich gesehen bleibt von den Gipfelprotesten auch bei vielen TeilnehmerInnen der Eindruck zurück, dass nicht viel gelaufen ist, auch weil die Polizeikräfte die Region besetzt hatten. Es ist halt ein schöner Urlaub vor fantastischer Bergkulisse in einem netten Camp gewesen. Im Wesen der Sache haben wir dort aber eine hybride Kriegsführung in einer neuartigen und bisher nicht erreichten Qualität erlebt – eine These, die im nachfolgenden auch mit Hilfe von Sun Tsu erläutert werden wird.

Der Aufbau des Textes orientiert sich dabei grob an den klassischen Themen der operativen Strategie. Konkret bedeutet dies, dass im Rahmen der Vorbemerkungen als nächstes ein Abschnitt zur hybriden Kriegsführung folgt. Die LeserInnen mögen dies als eine Art Begriffsdefinition betrachten, deren Sinnhaftigkeit sich erst beim weiteren Lesen erschließen wird.

Im zweiten Kapital wird es um den Ablauf der Ereignisse gehen, wobei wir uns auf vier strategisch wichtige Elemente begrenzen und das Kriegstheater, die feindliche Streitmacht, unsere Streitmacht und die Gefechte betrachten werden.

Im dritten Kapitel ‚Psychologie, Willen und Widerstandskraft‘ dreht sich alles um das „moralische Element des Krieges“ (Clausewitz). Aufbauend auf der Analyse eines doch recht paradoxen Ablaufs – wir marschieren in eine Falle, greifen ohne Überraschungsmoment einen vorbereiteten Gegner frech an, kommen trotz mancher Fehler und einer massiven zahlenmäßigen Unterlegenheit unversehrt aus dem Gefecht raus, nur um unmittelbar danach über eine mit Hilfe eines Gewitters geschickt erzeugte Panikstimmung in den eigenen Reihen beinahe Alles zu verlieren – wird untersucht werden, wie der Feind versucht, unseren revolutionären Willen und Widerstandsgeist zu brechen.

Im vierten und letzten Kapitel ‚Asymetrischer totaler Krieg‘ wird durch Übersetzung dieser taktisch-operativen Erfahrungen auf die Ebene der Strategie versucht werden, erste strategische Schlussfolgerungen zu ziehen. Denn wenn unsere Einschätzung zutrifft, dass das Auftreten des Feindes beim G7-Gipfel die erstmalige und etwa im Vergleich zum G8-Gipfel in Heiligendamm weitgehend reibungslose Umsetzung der hybriden Kriegsführung im Rahmen der inneren Klassenauseinandersetzung gewesen ist, haben die Gipfelproteste 2015 eine weit über das konkrete Geschehen hinausgehende Bedeutung als Pilotprojekt für zukünftige Klassenschlachten.

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3. Hybride Kriegsführung

Die Zuspitzung der allgemeinen Krise des Imperialismus, die Verschärfung innerimperialistischer Widersprüche bis hin zu militärischen (Stellvertreter)kriegen wie aktuell in Syrien und im Donbass und die Vorboten eines neuen revolutionären Aufschwungs befeuern die aktuelle Strategiedebatte imperialistischer Militärs und Wissenschaftler in den entsprechenden Stäben und Denkfabriken. So arbeitet die Bundeswehr z.B. gerade an einer Anpassung ihrer Strategie durch die Herausgabe eines neuen „Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“. Am 17.2.2015 forderte Kriegsministerin Ursula von der Leyen eine Weiterentwicklung der Bundeswehr-Strategie unter dem Schlagwort der vernetzten Sicherheit:

„Der vernetzte Ansatz deutscher Militärpolitik unterscheidet nicht mehr zwischen innen- und außenpolitischen Bedrohungen, sondern favorisiert gesamtstaatliche Strategien, die militärische, polizeiliche und geheimdienstliche Operationen ebenso beinhalten wie diplomatische und entwicklungspolitische Maßnahmen.“ (Zusammenfassende sinngemäße Wiedergabe, zitiert nach: Modernes Strategieverständnis (I), in german-foreign-policy vom 23.6.2015, siehe auch die Rede auf www.bmvg.de 17.2.2015; Rede der Verteidigungsministerin anlässlich der Auftaktveranstaltung Weißbuch 2016)

Insbesondere anhand des Ukraine-Konflikts mit Russland diskutieren NATO-Strategen unter dem Stichwort hybride Kriegsführung die Zukunft des Krieges.

„Mit dem Begriff der hybriden Kriegsführung oder hybrider Kriege soll also etwas Neues dargestellt werden, für das die militärischen Strategien noch nicht gewappnet sind bzw. auf das sie nicht angemessen reagieren können. Im Grunde bedeutet hybride Kriegsführung eine Ausweitung des militärischen Handelns in zivile Bereiche, also dass ‚Kriege‘ eben nicht mehr nur mit Soldaten und Waffen, sondern mit allen Mitteln, gewissermaßen als totaler Krieg, geführt werden, mithin auch Zivilisten, zivile Infrastruktur oder auch Medien Kriegsmittel werden und als solche bekämpft werden müssen/dürfen.“ (Hybride Kriegsführung, Florian Rötzer, Telepolis 12.09.2014, www.heise.de/tp/artikel/42/42753/1.html)

Ähnliche Gedanken werden in einem Artikel in dem bürgerlichen Leitmedium ‚ZEIT‘ ausgeführt, der einen guten Einstieg ins Thema bietet :

„Neben der Diskussion, was das eigentlich ist: hybride Kriegsführung, muss die Frage nach den damit verbundenen politischen Zielen stehen. Auch der Westen hat die einzelnen Elemente des hybrid warfare in seinem Repertoire, und er hat sie in der Vergangenheit nicht immer zu edlen Zwecken eingesetzt. Lange vor dem russischen Generalstabschef Gerassimow war die ‚irreguläre Kriegsführung‘ Thema amerikanischer Militärdoktrinen. Ihre ‚unkonventionellen‘ Methoden wurden in US-Militärhandbüchern unter Stichwörtern wie sixth-generation warfare, non-contact warfare, sub-conventional warfare abgehandelt.

(…)

Was heute anders ist, was die hybride Kriegsführung so gefährlich macht, ist die Schnelligkeit, mit der ein Konflikt in der digitalisierten Welt eskalieren kann. (…) Alles ist mit allem verbunden: Wirtschaft, Diplomatie, Finanzen, Militär, Nachrichtendienste, Kommunikation, Cyberraum. Und alles kann in den Dienst einer Aggression gestellt werden. „Wenn man das zu Ende denkt, kommt man bei Ludendorff raus: totaler Krieg“, sagt Friedensforscher Hans-Georg Ehrhart. „Dann wird alles mobilisiert für den Krieg.“ (NATO – Das neue Gesicht des Krieges, ZEIT Nr.11 vom 12.03.2015; www.zeit.de/2015/11/nato-ukraine-krieg-russland)

Der Hinweis auf Ludendorff geht insoweit fehl, als er und die deutsche Oberste Heeresleitung im 1. Weltkrieg bekanntlich den Militärphilosophen Clausewitz und dessen tiefgründige dialektische Analyse des Wesens des Kriegs gründlichst falsch verstanden, mechanisch einseitig und militaristisch ausgelegt und damit totalen Schiffbruch erlitten hatten. Insofern ist es konsequent, wenn Oliver Tamminga von der Stiftung Wissenschaft und Politik Clausewitz folgend zutreffend darauf hinweist, dass die Regeln des Kriegs sich nicht verändert haben und folgende Definition zitiert:

„Er definierte hybride Kriegsführung als zumeist gleichzeitige und synergetische Kombination konventioneller und irregulärer Kampfweise in Verbindung mit terroristischen Aktionen und kriminellem Verhalten in einem Kampfgebiet, all dies, um politische Ziele zu erreichen.“ (Oberstleutnant i.G. Oliver Tamminga, Hybride Kriegsführung – Zur Einordnung einer aktuellen Erscheinungsform des Kriegs, in SWP Aktuell Nr. 27, März 2015, www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A27\_tga.pdf)

Ein im Zusammenhang mit dem G7-Gipfel wichtiger Teilaspekt der hybriden Kriegsführung wird unter dem Schlagwort strategische Kommunikation gefasst („So hat die lettische Regierung in Riga mit finanzieller Hilfe von sechs Nato-Staaten ein Zentrum für Strategische Kommunikation gegründet. Es soll erforschen, wie man Desinformation und Propaganda am besten entgegentreten kann.)

Denn hierin unterscheidet sich die hybride von der traditionellen Kriegsführung ganz fundamental: Mithilfe des Internets und ganz besonders der Sozialen Medien kann ein Aggressor ein Maß an Verwirrung stiften, „wie es in dieser Form bisher nicht möglich war.“; (zitiert nach NATO – Das neue Gesicht des Krieges, ZEIT Nr.11 vom 12.03.2015; Seite 2 und von ‚Telepolis‘ anhand des Beispiels „Neurussland“ kritisch beleuchtet:

„Russland würde nicht Desinformation, Lügen, Leaks und Cybersabotage einsetzen, sondern ‚Realität erfinden‘, eine ‚Massenhalluzination‘ schaffen, die dann in politische Realität übersetzt wird. Er will dies an der Einführung des Begriffs „Neurussland“ belegen. Das sei zwar ein alter Begriff, niemand, der in dieser einst so benannten Region lebe, habe bislang jedoch geglaubt, in Neurussland zu sein. Jetzt aber werde es „über Bilder ins Sein“ umgesetzt, was allerdings voraussetzt, dass die Menschen in einer Medienglocke leben und medial gesteuert werden können (…)“ (Florian Rötzer, Telepolis, a.a.O. bezieht sich dabei auf den NATO-Autor Peter Pomerantsev und dessen Artikel in der defenseone; www.defenseone.com/threats/2014/09/how-russia-revolutionizing-information-warfare/93635/?oref=d-channelriver)

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Damit wollen wir die Welt der militärischen Think-Tanks verlassen und für uns ein vorläufiges Zwischenfazit festhalten.

Der moderne Krieg, den die Konterrevolution gegen die revolutionäre Seite abstrakt immer führt und der sich in Garmisch im feindlichen Vorgehen gegen uns in bemerkenswerter Weise in eine materielle Realität verwandelt hat, basiert auf der Kombination von militärischen, polizeilichen, politischen, ökonomischen, psychologischen usw. Mitteln. Besonderes Gewicht erhält dabei die Einbindung aller entsprechenden Akteure, um uns so den feindlichen Willen aufzuzwingen. Zentral dafür ist die sogenannte ’strategische Kommunikation‘, d.h. die Schaffung einer künstlichen Realität, durch die wir und/oder die Massen umfassend nach den operativen und strategischen Zielsetzungen des Feindes manipuliert werden sollen.

Ablauf der Ereignisse

Das Kriegstheater

4. Das Territorium

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Schloss Elmau, das Werdenfelsener Land und Garmisch-Partenkirchen als Territorium auf dem sich die Konfrontation abspielen sollte, bieten auf den ersten Blick dem Feind allerlei Trümpfe. Es fängt schon damit an, dass die Region im äußersten Süden der Republik liegt und damit mobilisierungtechnisch sehr weit weg von den Zentren der Protestbewegung. München als nächstgelegene Großstadt ist ca. 100 km entfernt. Am Ende eines Alpentals liegt Garmisch-Partenkirchen, von wo es immer noch zwischen 10 km (Luftlinie) und 20 km (über die deutsche Alpenstraße B2 und die Mautstraße) und 500 Höhenmeter (!) bis zum Almhotel Elmau sind.

Die Zufahrt in die Region ist nur über wenige Straßen möglich, die von dem Feind im Vorfeld dicht gemacht wurden, so dass nur die Hauptverbindung über die Autobahn nach München als Zugang offen geblieben ist, die mit einem engmaschigen Netz von Kontrollstellen und Streifen komplett überwacht und kontrolliert wurde. Vermutlich wird man keinen zweite Region in Deutschland mit 100.000 EinwohnerInnen finden, wo es von der Geografie her möglich ist, alle Schleichwege abzusperren und die anreisenden DemonstrantInnen auf eine einzige Zufahrtsroute zu zwingen.

Auch Garmisch-Partenkirchen selbst weist für uns einige Tücken auf. Eben auf dem Talgrund sich an zwei Hauptstraßen entlangziehend mit gut überschaubarer Bebauung von Mehrfamilienhäusern wird der Ort durch die Loisach und die Bahnlinie quasi geteilt. Sich hier überraschend zu bewegen wäre selbst ohne Totalüberwachung von den geografischen Gegebenheiten her schwierig geworden.

Das Camp war zwar an einer romantischen Stelle gelegen (Wiese mit Gebirgsfluss im Rücken vor traumhafter Kitschkulisse am nördlichen Ortsrand von Garmisch), operativ aber leicht zu kontrollieren. Es gab nur zwei Wege raus (nach Süden am Fluss lang zum Ortsrand, wo regelmäßig das USK unsere Spontis erstmal gestoppt hat und nach Norden auf einem Trampelpfad an eingezäunten Kuhweiden vorbei) sowie nach Osten die Wiese, wo im Halbkreis die Heuschober standen, hinter denen sich die Observationsteams des Feindes mit Richtmikros und Kameras niedergelassen hatten. Aufgrund der starken Strömung bildete die Loisach nach Westen eine natürliche Sperre und die einzige Fußgängerbrücke über den Fluss wurde konsequent von den riot cops bewacht/blockiert.

So weit, so schlecht. Allerdings hat es auch zwei Faktoren gegeben, wo uns das Territorium Möglichkeiten geboten hat, die wir allerdings nur teilweise ausgenutzt haben. Zum einen bedeuten die wenigen Verkehrswege und vor allem die Tatsache, dass es faktisch mit B2 und Mautstraße nur einen Hauptweg von Garmisch, wo ein Großteil der Gipfellogistik untergebracht war, zum Schloss Elmau gibt, dass diese Lebensader des Feindes ihn sehr verwundbar macht. Nur aufgrund dieser speziellen geografischen Gegebenheiten wird verständlich, dass und warum der Feind aufgrund einer kleineren friedlichen Sitzblockade am Sonntag früh dazu übergegangen ist, die Medienvertreter per Hubschrauber auf die Alm zu fliegen.

Der zweite Faktor ist der teils steile Bergwald und allgemein die voralpine, überwiegend dicht bewaldete Gebirgslandschaft. Wie von revolutionären GenossInnen mit Erfahrung im Gelände voraus gesagt, (Siehe z.B. den Mobilisierungsartikel ‚Auf zum Schloss Elmau!‘ in der Zeitung des Revolutionären Aufbau Schweiz, Nr. 81, Mai/Juni 2015, S. 8: „Die bergige Region, der angrenzende Wald und das offene Feld bieten zudem ungeahnte Möglichkeiten für kreativen Protest (…) und schon jetzt liess der Landespolizeipräsident verlauten, dass wer sich im dichten Wald verstecke nur schwerlich festgenommen werden könne.“) hatte die Polizei vor diesem Territorium allergrößten Respekt. Dies zeigen u.a. die Erfahrungen der 400 bis 500 GipfelstürmerInnen in verschiedenen Wandergruppen am Sonntag, die Polizeisperren durch den Wald umgangen sind oder jene Sambatruppe, die von Camp aus querfeldein bis zum Zaum vordrang, ohne von PolizistInnen aufgehalten zu werden.

Der Grund liegt darin, dass der Feind im steilen Bergwald sehr viele seiner militärischen Vorteile verliert, u.a. den wichtigsten eines geschlossenen Verbands und sich ein Kampf tendenziell in den Nahkampf zweier EinzelkämpferInnen auflösen kann (Damit entsteht je nach Häufigkeit solcher Situationen die relativ hohe Wahrscheinlichkeit, dass GenossInnen solche Einzelkämpfe gewinnen und sich der Schusswaffen des Feindes bemächtigen – der Alptraum jedes polizeilichen Einsatzleiters schlechthin.. Wald und Berge waren schon immer günstig für moralisch hochmotivierte, zahlen- und waffentechnisch stark unterlegene PartisanInnen.

Militärisch gilt es daher ins Bewusstsein der revolutionären GenossInnen wie der politischen Widerstandsbewegung zu tragen, dass der Kampf auf der Straße keineswegs nur im uns bekannten Terrain einer Großstadt bei zahlenmäßiger Überlegenheit möglich ist.

5. Die Bevölkerung

Die Reaktion der Massen auf die Tatsache, dass ihre Heimat unversehens zum Schlachtfeld zwischen dem imperialistischen System und der revolutionären Avantgarde und aktionsorientierten AktivistInnen der politischen Widerstandsbewegung im Herzen der Bestie geworden war, gehört zu den großen Überraschungen der Gipfelproteste. Statt reaktionären Bauern mit Mistgabeln, Bürgerwehren und organisierten Faschos empfingen uns brave BürgerInnen, die sich für uns und unsere Inhalte interessiert und offen zeigten, menschlich solidarisch waren und z.B. private Übernachtungsplätze nach dem Unwetter bereit gestellt haben. Sie haben sich sogar in bemerkenswert großer Zahl unseren Demos angeschlossen. (Dies gilt insbesondere für die Spontandemo zur Solidarität mit der HDP am Freitagabend, die auf dem Weg auf ca. 1.000 DemonstrantInnen anwuchs, was bedeutet, dass sich eine hohe zwei- bis dreistellige Zahl von PassantInnen, vor allem Jugendliche, in die Demo eingereiht haben.)

Verkehrte Welt in der tiefsten bayerischen Provinz – es ist sehr wichtig, diese Reaktion der Massen möglichst objektiv und exakt einzuschätzen.

Daher müssen wir uns zunächst vergegenwärtigen, dass wir nur einen Teil der Einheimischen erlebt haben. Konkret vor allem die BewohnerInnen von Garmisch-Partenkirchen, einer Kleinstadt, die vom Tourismus lebt. Wie es in den Dörfern stimmungsmäßig ausgesehen hat, wo die CSU locker Wahlergebnisse von über 90\% einfährt, wissen wir nicht. Die Annahme einer uns gegenüber negativeren bis ablehnenden Haltung scheint aber plausibel. Weiterhin haben wir nur jenen Teil erlebt, der uns gegenüber aufgeschlossen gewesen ist. Wie GenossInnen aus der Region berichten, gab es z.B. eine Bürgerwehr, die bei den ersten Besuchen und Infoaktionen der GipfelgegnerInnen vor Ort anwesend war und sie beobachtet hatte, sich dann aber während des Gipfelprotestes völlig zurückgezogen hat und so für die allermeisten AktivistInnen unsichtbar geblieben ist. Schließlich muss man berücksichtigen, dass die SPD-Bürgermeisterin von Garmisch-Partenkirchen dazu aufgerufen hatte, nachdem das Camp vom Verwaltungsgericht am Dienstag erlaubt wurde, sich als anständige Gastgeber zu zeigen.

Im wesentlichen dürften zwei Ursachen die positive Reaktion in Teilen der Massen bewirkt haben: die Zuspitzung gesellschaftlicher Widersprüche führt auch in der allertiefsten Provinz zur Herausbildung eines oppositionellen Bewusstseins und der Polizeistaat ruft Ablehnung hervor (Siehe dazu die Einschätzung der Organisierten Autonomie aus Nürnberg, die auch von anderen GenossInnen aus der Region bestätigt wird, die in der Camp-AG die Infrastruktur vor Ort auf die Beine gestellt haben:

„In Garmisch wurde klar, dass die Propaganda der CSU nicht lückenlos aufgegangen war. (…) Immer wieder erzählten AktivistInnen von sehr positiven Gesprächen mit AnwohnerInnen. Doch es blieb nicht bei Gesprächen. So besuchten viele GarmischerInnen das Camp und diskutierten dort mit den Leuten. Dies trug dazu bei, dass sich die AnwohnerInnen mehr mit den politischen Inhalten der Proteste auseinandersetzen konnten. Schnell wurde klar, dass die CSU sich nicht nur FreundInnen gemacht hatte mit ihrer Polizeistaatstaktik. Monatelang mussten sich die Menschen damit abfinden permanent kontrolliert und schikaniert zu werden. Die Stimmung schlug in eine für uns positivere Richtung um, (…)“ (Zitiert nach barricada, zeitung für autonome politik und kultur, Juli + August 2015, S. 2.)

Sei es der Bauer, der seine Wiese als Campfläche zur Verfügung stellte. Er war zuvor angeblich wegen einer Abzocke mit einer Almhütte mit den örtlichen Honoratioren in Konflikt geraten und hat es nun mit einer gewissen Bauernschläue den Großkopferten heimgezahlt. Oder jene angesehene, örtliche CSU-Rechtsanwältin, die entgegen ihrer Parteilinie als aufrechte Demokratin nicht nur die Meinung vertrat, auch in Bayern dürfe jede/R friedlich demonstrieren, sondern damit wir das auch praktisch tun können, unserem Legal Team die perfekte Büro-Infrastruktur 3 Minuten gegenüber der GESA organisierte. Oder jener Landrat der Freien Wähler, der die Instruktion der bayrischen Staatsregierung bei einem Treffen aller Landräte öffentlich machte, wonach die Verhinderung der Vermietung von Campflächen durch private Landbesitzer notfalls per sozialem Mobbing sicherzustellen sei. Sie alle fallen in die Kategorie eines im einzelnen sehr unterschiedlichen und diffusen oppositionellen Bewusstseins. Dies führt bei den Betroffenen dazu, dass sie zumindest gefragt werden und sich ein eigenes Bild machen wollen. So etwas kann, wenn es um Dinge geht, die den Menschen wichtig sind, schnell Massencharakter annehmen, wie z.B. die am Widerspruch der Bevölkerung gescheiterte Olympiabewerbung von Garmisch-Partenkirchen zeigt.

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Daneben gibt es sicherlich eine Reihe weiterer Faktoren, wie z.B. die vor allem für die Dorfjugend hochinteressante Tatsache, dass jetzt endlich mal was los gewesen ist in der öden Langeweile des Alltags. Auch die Erleichterung über die ausgebliebenen Krawalle bzw. das Kalkül damit, dass man mit Freundlichkeit die „bösen Chaoten“ vielleicht besänftigen und so sein Eigentum vor Brandschatzung retten könne, mag bei dem einen oder anderen eine Rolle gespielt haben. Auch muss man den großen Anteil an Neugier berücksichtigen, der in der positiven Reaktion der Passantinnen vorhanden gewesen ist und den man natürlich nicht umstandslos als Zustimmung für unsere Inhalte interpretieren darf.

Im Ergebnis können wir trotzdem festhalten, dass die Massen nicht einfach willenlose, total manipulierbare und reaktionär mobilisierbare BefehlsempfängerInnen sind. Die ideologische Hegemonie der Bourgeoisie hat sogar in der tiefsten Provinz Risse bekommen. Sie weist Brüche auf, die es ermöglichen, dass wir überall in Deutschland Einzelne finden werden, die uns bewusst helfen und zumindest eine gewisse Minderheit in den Massen uns gegenüber offen ist.

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Diese Erkenntnis ist taktisch wie strategisch sehr bedeutsam.

Taktisch müssen wir die sich uns dadurch bietenden Möglichkeiten zukünftig viel bewusster ausnutzen, weil wir so Handlungsspielräume gewinnen. Ein Denken, dass wir uns im Feindesland bewegen und von der reaktionären Bevölkerung nichts zu erwarten haben, müssen wir ablegen, da es nicht nur Möglichkeiten verschenkt, sondern auch zur negativen, sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird. Wenn Menschen, die uns gegenüber neutral bis offen sind, unsere Ablehnung spüren, werden sie sich gegen uns stellen. Eine taktische Stärke der Gipfelproteste ist gewesen, dass wir unsere falsche Erwartungshaltung vor Ort sehr schnell korrigiert haben und auf die Einheimischen zugegangen sind.

Strategisch ist vor allem relevant, dass die potenziellen revolutionären Brandherde in den Städten und Ballungsgebieten in Deutschland wie in einer Inselstruktur von einem Meer der Provinz umgeben sind. Mag diese Provinz auch auf lange Zeit eine Bastion der Konterrevolution und ihr Rückzugsgebiet sein, so ist es sehr wichtig, dass wir dort zumindest auch UnterstützerInnen finden werden und so z.B. die Verbindung zwischen den Städten auch unter faschistischen Bedingungen bzw. im Bürgerkrieg aufrecht erhalten können.

Die feindliche Streitmachtg7-3

Der Feind hat zur Absicherung des G7-Gipfels eine veritable Bürgerkriegsarmee von 25.000 bis 30.000 Männern und Frauen (Je nach Quelle und Zählweise schwanken die Zahlen in diesem Bereich und umfassen die eingesetzte Bereitschaftspolizei, Bundespolizei, Spezialkräfte wie BKA-Personenschützer, Geheimdienste (deutsche wie ausländische), aber auch Staatsanwälte und Richter für Schnellgerichte, d.h. jene Kräfte, deren Aufgabe es gewesen ist, Störern entgegen zu treten und Störungen zu verhindern. Nicht mitgezählt werden dabei die „zivilen“ Hilfstruppen wie die Junge Union, das DRK und die Bergwacht sowie die kommunalen Stellen, die aber von uns als Teil der gegnerischen Armee betrachtet werden müssen (siehe dazu Abschnitt 7, Zivil-militärische Integration) aufgeboten, was u.a. bedeutet, dass er nach seiner Niederlage am 18. März 2015 in Frankfurt bei Blockupy seine zuvor angedachte Streitmacht nochmals um ca. 50\% aufgestockt hat. Wenn wir uns diese Bürgerkriegsarmee genauer anschauen, kommt es nicht auf 1.000 Feinde mehr oder weniger an. Auch die Beschreibung der bereitgehaltenen Waffen können wir uns sparen. Sie hatten von Wasserwerfern über Räumpanzer alles aufgeboten und bereitgehalten, was sie aufbieten können. Höchstens die US-Hubschrauber mit den Doppelpropellern, die man sonst nur aus Afghanistan oder dem Irak kennt, waren diesmal eine Überraschung und sorgten für teils surreale Bilder.

Wichtig bei der Einschätzung der gegen die Gipfelproteste aufgebotenen bewaffneten Macht sind zwei andere Aspekte: die Totalüberwachung samt Echtzeitauswertung und die zivil-militärische Integration.

6. Totalüberwachung und Echtzeitauswertung

Ab Betreten des Kriegstheaters (Ich verwende den Begriff Kriegstheater hier im Sinne der Definition von Clausewitz, wonach das Kriegstheater jenen Teil des ganzen Kriegsraumes umfasst, der „selbst ein kleines Ganzes“ ist und sich dadurch auszeichnet, dass Änderungen im übrigen Kriegsraum keine direkten Auswirkungen auf ihn haben sondern nur mittelbaren Einfluss (Siehe dazu Clausewitz, Vom Kriege, Fünftes Buch, Kapitel II, ‚Armee, Kriegstheater, Feldzug‘). Konkret gehörten Garmisch-Partenkirchen, das Werdenfelsener Land samt Wettersteingebirge, die südlichen Teile des Estergebirges und das Alpental mit Bahn- und Autobahnverbindung bis etwa in Höhe von Murnau dazu. unterlagen wir einer nahezu lückenlosen Überwachung. Dies klingt in Zeiten von NSA fast schon langweilig, ist aber ziemlich wörtlich zu verstehen. Die Totalüberwachung wurde durch eine Vielzahl sich ergänzender Maßnahmen durchgesetzt.

Ab Donnerstag waren alle Zufahrtsstraßen (Mittenwald/Krün, Oberammergau, Grenzübergang nach Österreich westlich der Zugspitze) außer dem Hauptweg über die Autobahn von München nach Garmisch komplett für den Verkehr gesperrt. Dadurch war sichergestellt, dass alle DemonstrantInnen auf einem Weg anreisen mussten, entweder per Auto oder mit dem Zug. Die Autobahn sowie die letzten Kilometer Landstraße vor Garmisch-Partenkirchen waren mit 3 bis 4 festen Kontrollstellen, gesperrten Abfahrten und auf der Autobahn patrouillierenden Streifen sowohl von Zivis wie durch Streifenwagen und Kolonnen von Einsatzfahrzeugen so weit abgeriegelt, dass dort niemand unbemerkt durchschlüpfen konnte.

Das Netz war so dicht, dass der Feind es sich sogar leisten konnte, auf umfangreiche Durchsuchungen der Busse zu verzichten, da klar war, dass dort kein Material reingeschmuggelt wird. Am massivsten waren die Vorkontrollen (Die Vorkontrollen dienten nicht nur der Einschüchterung, sondern engten auch unseren Bewegungsraum ein. Sie hatten darüber hinaus eine direkte „militärisch“ Komponente in dem Sinn, dass sie dem Feind einige Zufallsfunde einbringen sollten. dann für einzelne PKW’s und „verdächtige“ Leute wie jenem am Mittwoch anreisenden Reporter, dem wegen seines Helms ein pauschaler Platzverweis erteilt wurde, da er ja ein getarnter Demonstrant sein könnte. (Nachdem er die Geschichte per Twitter öffentlich gemacht hatte, prüfte die Einsatzleitung seine Akkreditierung und rudert – ebenfalls via twitter kommuniziert – schnell zurück. Interessant ist dabei die von ihm veröffentlichte Anlage des Platzverweises. Das Formblatt umfasst große Teile des in FN 15 beschriebenen Kriegstheaters. (Siehe dazu Bericht auf Beobachternews, wo auch ein Foto des Platzverweises dokumentiert ist unter www.beobachternews.de/2015/06/03/verstoss-gegen-pressefreiheit-im-vorfeld-des-g7-gipfels/)

Visuell wurde Videoüberwachung flächendeckend nicht nur auf den Demonstrationen und Aktionen eingesetzt, sondern im gesamten Stadtgebiet von Garmisch über zahlreiche neu installierte feste Kameras sowie an anderen Orten z.B. durch Polizeifahrzeuge mit Kamera. Dazu kommen einige Hubschrauber der Polizei, die teils über dem Camp gekreist sind.

Akustisch wurde das Camp von permanent von im Halbkreis hinter den Heuschobern im Abstand von 200 bis 400 m positionierten Zivilfahrzeugen mit Richtmikrofonen und vermutlich auch Kameras überwacht. Inwieweit es auch feste Wanzen im Camp gab, ist ebenso offen wie die Frage, ob es auch menschliche Späher mit eingeschalteten Mikros gab, um zufällig Gespräche aufzuzeichnen. Beides scheint naheliegend für jene Stellen zu sein, die durch Richtmikrophone gegebenenfalls unzureichend abgedeckt gewesen sind.

Die unverzichtbare direkte Aufklärung, d.h. das Gewinnen von Eindrücken und aggregierten Informationen (Mit ‚Aggregieren‘ meinen wir die politische Auswertung einer Vielzahl von Detailinformationen als Grundlage für die Anpassung der staatlichen Taktik. mittels menschlicher Intelligenz durch Spione, wurde ebenfalls massiv eingesetzt. Zahlreiche Zivis, Spitzel und feindliche Späher waren im Camp und auf den Aktionen.

Unsere elektronische Kommunikationsstruktur wurde komplett überwacht, wobei der Feind uns durch Ausschalten der verschlüsselten Internettelefonie Redphone gezwungen hat offen zu kommunizieren. Dasselbe gilt für den Funkverkehr und das keineswegs nur in Bezug auf die von uns eingesetzten Funkis der Ordnerstruktur. Vielmehr wurden alle Funkkanäle in der Region flächendeckend überwacht, wie das Leaken der Verbreitung von Goebbelssprüchen über private Walkie-Talkies durch PolizistInnen zeigt!

Im Ergebnis dieser Überwachung sowie dem flächendeckenden Abfilmen und Auswerten der beiden Demonstrationen am Freitag dürfte die Polizei vermutlich mehr als 90% der ca. 800 Campteilnehmer am Freitagabend identifiziert haben, ohne dass umfangreiche Personalienkontrollen notwendig waren.

Sie hatten also ein hinreichend genaues Bild über unsere Streitmacht, vor allem weil es ihnen diesmal gelungen ist, alle zusammengetragenen Informationen beinahe in Echtzeit auszuwerten. Bisher auf vielen Demos/Aktionen erlebt und allgemein bekannt ist, dass die Bullen Videobilder noch während der Aktion auswerten und oft schon wenige Stunden später mit gestochen scharfen Portraits Jagd auf „StraftäterInnen“ machen. Das ist auch diesmal passiert, wie das Rausgreifen einzelner GenossInnen bei der Abreise zeigt.

Diesmal haben wir jedoch eine Echtzeitauswertung in einem qualitativ anderem Maß erlebt. Es ging nicht nur darum, ‚Straftaten‘ beweissicher zu dokumentieren, um die GenossInnen später rausgreifen zu können, oder die TeilnehmerInnen unauffällig zu identifizieren. Das Ziel der Auswertung und Aufbereitung der in der polizeilichen Einsatzzentrale, die über ca. 100 Bildschirm-Arbeitsplätze verfügte, zusammenfließenden Daten ist die Gewinnung von aggregierten „politischen“ Informationen im Sinne einer hybriden Kriegsführung gewesen.

Die vielleicht beste Beispiel dafür ist der Abzug der Wache am Nordausgang des Camps kurz vor der Landstraße nach Farchant, durch den der scheinbare Erfolg des Blockadeversuchs (Einerseits wurde dadurch die Möglichkeit geschaffen, auf einem Feld südlich von Farchant Polizeikräfte und -reihen zu um- bzw. durchfließen und andererseits wurde durch die Aufstellung der Polizei abgesichert, dass keine größere Blockade auf der B2 an dieser Stelle erfolgen würde. Der Clou dabei war, dass der Feind bei der Masse der AktivistInnen den Eindruck erzeugen konnte, das Ganze hätte klappen können und sei nur durch einen dummen Zufall einer auf der Landstraße vorbeifahrenden Streife gescheitert, die uns einige wenige Minuten zu früh entdeckt hätte. So hatten See Red bzw. die IL ihre Bestätigung, dass die Aktionsform Massenblockade/ziviler Ungehorsam Sinn macht und effektiv sein kann. am Sonntag früh ermöglicht wurde. Nachdem am Abend vorher auf dem Camp-Plenum der Zeitpunkt bekannt gegeben wurde und es ca. 20 Minuten dauerte bis sich ca. 250 DemonstrantInnen im Camp sammelten und losgingen, kann ein Zufall ausgeschlossen werden. Polizeitaktisch macht das ebenfalls keinen Sinn. Immerhin war ja eine Blockadeaktion angekündigt und wie man zumindest im Nachhinein sagen kann, hat die Polizei ihre Ankündigung wahr gemacht und Blockaden während des Gipfels nicht toleriert. Faktisch hat der Feind unsere aktuellen Kräfte, unsere Moral, die Stimmung im Camp, die Spaltungen usw. in einen sehr umfassenden Sinn ausgewertet (Selbstkritisch müssen wir feststellen, dass ihre Auswertung am frühen Sonntagmorgen präziser und zutreffender gewesen ist als die jedes einzelnen Teils der im Camp versammelten politischen Widerstandsbewegung. Insbesondere der revolutionäre Pol hat mit der Absage der zweiten Welle eine Fehlentscheidung getroffen. und politisch scharfsinnige Schlüsse für seine Handlungsweise daraus gezogen. (Der Zweck dieses Vorgehens wird im nachfolgenden Kapital ‚Psychologie, Willen und Widerstandskraft‘ genauer ausgeführt.

7. Zivil-militärische Integration

Der polizeiliche Einsatzleiter Robert Heimberger hat sich bei der abschließen Pressekonferenz sehr zufrieden über die reibungslose Zusammenarbeit aller staatlichen, halbstaatlichen und zivilen Stellen gezeigt.

„Der größte Polizeieinsatz in Bayern war nur mit Hilfe der ehrenamtlichen und hauptamtlichen Einsatzkräfte von Feuerwehr, Rettungsdiensten und Hilfsorganisationen, dem THW und der Bundeswehr möglich. Die Bundespolizei und die Österreichischen Polizeikräfte ließen uns ebenfalls große Unterstützung zukommen. Ein großer Dank geht aber auch an meine Einsatzkräfte, ganz gleich ob sie von der Nordseeküste angereist sind, oder aus der Region stammen. Ich möchte mich an dieser Stelle bei der Bevölkerung im Werdenfelser Land für deren Verständnis und Offenheit gegenüber den Einsatzkräften ganz herzlich bedanken.“ (Einsatzleiter zieht positive Bilanz zum Polizeieinsatz rund um den G7-Gipfel 2015, zitiert nach: www.wochenblatt.de/nachrichten/regensburg/ueberregionales/Einsatzleiter-zieht-positive-Bilanz-zum-Polizeieinsatz-rund-um-den-G7-Gipfel-2015;art5578,310439)

[su_spoiler_title =“Einschub – NATO Großmanöver Trident Juncture: Bundeswehr und Rotes Kreuz über hybride Kriegsführung“]

Die Bundeswehr übernimmt eine Führungsrolle bei dem für Ende September anberaumten NATO-Großmanöver „Trident Juncture“. Die Leitung der Kriegsübung, an der sich mehr als 36.000 Soldaten beteiligen werden, liegt bei dem deutschen NATO-General Hans-Lothar Domröse; für die Koordination ist das im baden-württembergischen Ulm stationierte „Multinationale Kommando Operative Führung“ der deutschen Streitkräfte maßgeblich verantwortlich. Geprobt wird eine Militärintervention in einem fiktiven Staat am Horn von Afrika unter Einsatz der vorrangig aus Bundeswehrangehörigen bestehenden ‚Speerspitze‘ der NATO-Eingreiftruppe. Dem Manöverszenario zufolge sehen sich die westlichen Einheiten dabei sowohl mit regulären Truppen als auch mit einer Guerillaarmee konfrontiert und haben außerdem mit ‚mangelnder Ernährungssicherheit‘, ‚Massenvertreibungen‘, ‚Cyberattacken‘, ‚chemischer Kriegsführung‘ und ‚Informationskrieg‘ zu kämpfen. (…)

Wie die Bundeswehr mitteilt, wird sie sich in der Zeit vom 28. September bis zum 6. November mit rund 3.000 Soldaten, Kriegsschiffen, Kampfjets und amphibischen Panzerfahrzeugen an der NATO-Übung ‚Trident Juncture‘ (TRJE 15) beteiligen. Bei TRJE 15 handelt es sich um das größte Manöver des westlichen Militärbündnisses seit mehr als einem Jahrzehnt; insgesamt trainieren dabei 36.000 Armeeangehörige aus NATO-Mitgliedsstaaten und formal neutralen „Partnernationen“ wie Österreich und Schweden den Einmarsch in ein fiktives Land am Horn von Afrika. (…)

Hybrides Szenario

Dem von Generalleutnant Roßmanith formulierten weltweiten Herrschaftsanspruch der NATO trägt auch das Übungsszenario von TRJE 15 Rechnung. Dieses firmiert unter der Bezeichnung ‚Sorotan‘ und beinhaltet eine westliche Militärintervention in der fiktiven Region ‚Cerasia‘ am Horn von Afrika. Laut dem vom ‚Joint Warfare Centre‘ der NATO im norwegischen Stavanger entwickelten Drehbuch spielt sich hier eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den Staaten ‚Kamon‘ und ‚Lakuta‘ ab: ‚Der Kampf um Trinkwasser facht den Konflikt in der Region Cerasia an. Diese leidet unter Wüstenbildung, Bodenaustrocknung und Streit um Gewässergrenzen. Der Staat Kamon tritt als Aggressor in der Region auf und verweigert ein internationales Schlichtungsverfahren. Um wichtige Staudämme in Lakuta einzunehmen, ist Kamon nach Süden in das Land eingerückt. Lakuta war auf diese Invasion nicht vorbereitet.'[4] Der Bundeswehr zufolge wird daher die NATO ‚zur Hilfe gerufen, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen‘ [5], wobei die westlichen Truppen mit einer ‚hoch komplexen Bedrohungslage‘ und den Methoden ‚hybrider Kriegsführung‘ konfrontiert sind: ‚Das Szenario sieht eine Pattsituation im Osten von Cerasia vor und damit einhergehend zahllose Probleme wie die wachsende Instabilität in der Region, Verletzungen der territorialen Integrität und eine Verschlechterung der humanitären Lage. Außerdem bedrohen feindliche Schiffe und Flugzeuge die Freiheit der Schifffahrt und bergen die ständige Gefahr einer Eskalation des Konflikts im Roten Meer.‘ Die NATO-Einheiten müssten daher nicht nur gegen reguläre Truppen und Guerillaeinheiten kämpfen, sondern auch ‚mangelnder Ernährungssicherheit‘, ‚Massenvertreibungen‘, ‚Cyberattacken‘, ‚chemischer Kriegsführung‘ und ‚Informationskriegen‘ begegnen, heißt es. (…)

Um die besagten ‚hybriden Bedrohungen‘ zu kontern, ist laut Bundeswehr allerdings der ‚Einsatz rein militärischer Mittel nicht erfolgversprechend‘. Schon auf der vom ‚Multinationalen Kommando Operative Führung‘ in Ulm organisierten zentralen Planungskonferenz für TRJE 15 wurde daher die ‚Zusammenführung ziviler, humanitärer, juristischer, verwaltungstechnischer, politischer und wirtschaftlicher Konfliktlösungsansätze‘ gefordert.[8] Dieser sogenannte vernetzte Ansatz (‚comprehensive approach‘) ist mittlerweile integraler Bestandteil der NATO-Militärdoktrin. Entsprechend werden an TRJE 15 sowohl Staatenbünde wie EU und Afrikanische Union (AU) als auch Hilfsdienste wie das Rote Kreuz beteiligt sein. (…)

(Quelle: Botschaft an die Weltöffentlichkeit; German Foreign Policy, 03.09.2015, Eigener Bericht mit Quellennachweisen in www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59189; Hervorhebung von uns.)

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Welche Quantensprünge der Feind in zivil-militärischen Zusammenarbeit im Sinne der hybriden Kriegsführung gemacht hat, wird am besten im direkten Vergleich mit dem letzten Gipfeltreffen der G8 in Heiligendamm deutlich. Damals sorgten die öffentlich ausgetragenen Widersprüche innerhalb des Polizeiapparates zwischen der besonderen Aufbauorganisation Kavala und dem Einsatzleiter bei der Migrationsdemonstration am Montag, der kurzerhand einfach mal entmachtet wurde, noch für einen handfesten Skandal. (Siehe dazu die Presseerklärung des Republikanischen Anwaltsvereins vom 4.6.2007 ‚Migrationsdemonstration: Polizeieinsatzleitung vor Ort wird von Kavala entmachtet‘: „Im Verlauf behauptete die Pressestelle von Kavala, die Demonstration sei aufgehalten worden, da sich darin 2.500 vermummte, gewaltbereite TeilnehmerInnen befänden. Vor Ort bestätigte jedoch der Gesamteinsatzleiter, dass es zu keinerlei Straftaten gekommen sei und sich in der Demonstration kein einziger Vermummter befunden habe.“; (download unter www.anwaltskanzlei-adam.de/index.php?id=81,118,0,0,1,0 bzw. über http://de.indymedia.org/2007/06/181249.shtml; siehe dazu auch zusammenfassenden Bericht auf indymedia unter http://de.indymedia.org/2007/06/185734.shtml)

Konkret ging es damals um jenen kleinen Block von KommunistInnen, die sich am Samstag bei der Großdemo in Rostock am Stadthafen spontan und erfolgreich gegen das USK im Nahkampf verteidigt und danach die Parole ‚Wir lassen uns nicht verprügeln‘ ausgegeben hatten. Sie sollten am Montag aus politischen Gründen rausgezogen werden, da ihre Position den Erfolg der spalterischen Gewaltdebatte in der politischen Widerstandsbewegung gefährdet hat (Siehe dazu auch unseren strategischen Vorschlag für einen neuen Aktionskonsens ‚Ob friedlich oder militant, gemeinsam und koordiniert organisieren wir den Widerstand‘. Das ist letztlich am solidarischen Verhalten vieler GenossInnen und mittels einer Kriegslist gescheitert (Konkret konnte die Polizei nur einen türkischen Genossen durch einen Fehler von uns festnehmen, der dann einige Wochen in U-Haft saß, bevor er mit einer Bewährungsstrafe rausgekommen ist..

Entscheidend ist, dass es damals im Polizeiapparat, geschweige denn über alle staatlichen und zivilen Stellen hinweg, noch nicht möglich gewesen ist, eine solche hybride Kriegsführung im Sinne einer einheitlich handelnden Struktur umzusetzen. Vielmehr wurde Kavala als Einsatzzentrale installiert, die zwar die letzte Entscheidungsgewalt hatte, aber eben noch über die normale Struktur drüber gestülpt wurde und so im Konfliktfall ein Fremdkörper war.

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In Garmisch haben wir die zivil-militärische Zusammenarbeit, wie sie der deutsche Imperialismus insbesondere im Laufe des Afghanistan-Krieges entwickelt hat, erstmalig im Krieg nach innen und dann gleich in höchster Perfektion erlebt. Wir standen nicht nur einem einheitlich agierenden Feind gegenüber, sondern waren auch damit konfrontiert, dass sie unterschiedlichste Ressourcen in einer totalen Mobilmachung aktiviert und je nach Lage gegen uns ins Feld geführt haben. Dass das THW den ökologisch nachhaltigen Sperrzaun um die rote Zone errichtet hat, ist da noch das Geringste. Ob Besuch der Jungen Union im Camp am Mittwoch (Siehe dazu den Bericht des Bayerischen Rundfunks www.br.de/mediathek/video/sendungen/nachrichten/protestcamp-g-7-besuch-ju-100.html oder das Verhalten der SPD-Bürgermeisterin in der Auseinandersetzung um das Camp sowie während des Unwetters, die freundliche und natürlich völlig neutrale Bergwacht, die Wasser an wandernde GipfelstürmerInnen verteilt hat oder das DRK, welches sich sehr kooperativ gegenüber unseren Sanistrukturen zeigte: Sie alle waren eingebunden in eine Gesamtstrategie der Einsatzleitung und haben – bewusst oder unwissentlich (Selbstverständlich ist nicht jede/R Ehrenamtliche z.B. bei der Bergwacht eingeweiht gewesen bzw. wurde instruiert.) Das ist aber auch gar nicht notwendig, da es zur Lenkung solcher halbstaatlichen Institutionen wie auch ziviler Strukturen wie z.B. der Jungen Union völlig ausreicht, die Führung einzubinden. – ihre Funktion darin erfüllt.)

Das war die Voraussetzung dafür, dass die oben zitierte Einschätzung des Einsatzleiters mit dem nachfolgenden Satz endet, der zugleich ihre Erzählung (Siehe dazu unten das Kapitel ‚Die Erzeugung einer Scheinwelt‘, wo die Funktion ihrer Erzählung analysiert und eingeordnet wird. der Geschehnisse darstellt:

„Bayern hat gezeigt, dass friedliche Proteste und ein sicherer Ablauf eines Gipfeltreffens vor spektakulärer Bergkulisse möglich sind.“

Unsere Streitmacht

Gegen diesen Feind konnten wir bis zu 500 GenossInnen aus den Reihen der aktionsorientierten radikalen Linken aufbieten, die entweder als revolutionärer bzw. kommunistischer Pol einheitlich agierten oder sich an unseren Strukturen orientierten. Dazu sind dann im Camp vielleicht nochmal doppelt so viele GenossInnen und AktivistInnen aus anderen Strömungen der politischen Widerstandsbewegung gekommen sowie über 5.000 Menschen, die zur Großdemo am Samstag angereist sind.

8. Manipulationsversuche und die Dialektik hochüberwachter Räume

Der Feind hat in einem sehr umfassenden Sinn versucht, auf unser Denken und Handeln einzuwirken und uns so zu manipulieren.

Eine wesentliche taktische Voraussetzung dafür ist gewesen, dass er unsere Kommunikations- und Leitungsstruktur erfasst, aufgedeckt und entschlüsselt hat. Technisch wurde dies durch das Abschalten des red phone servers in der Region erreicht, wodurch wir gezwungen wurden, auf das normale unverschlüsselte Mobilfunknetz auszuweichen. Ein Ausweichen auf Funkgeräte hätte auch nichts gebracht, da die Funknetze ebenfalls flächendeckend überwacht wurden. Die taktische Antwort darauf ist naheliegend und lässt sich in dem Satz zusammenfassen, dass wir eine Kommunikationsstruktur aufbauen müssen, die sich nicht auf eine technische Infrastruktur stützt, die vom Feind kontrolliert wird.

Entscheidend für die Einschätzung des strategischen Handelns des Feindes ist im Rückblick aber, dass wir in Garmisch keine solche sichere Kommunikationsstruktur aufgebaut hatten. Das führte dazu, dass die Aktionsleitung sehr schnell lokalisiert und identifiziert werden konnte. Trotzdem gab es keine Versuche des Feindes, diese Struktur anzugreifen, obwohl dies für ihn leicht möglich gewesen wäre. Es war für seine strategischen Ziele offensichtlich sinnvoller, uns unter Kontrolle zu halten als unsere Strukturen zu zerschlagen.

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Darin drückt sich eine objektive Dialektik in hochüberwachten Räumen aus. Totalüberwachung setzt eben auch voraus, dass es etwas zu überwachen gibt, d.h. sie müssen letztlich gewisse Strukturen, die wir uns schaffen, leben lassen, um sie überwachen zu können. (Das bedeutet natürlich nicht, dass es keine Möglichkeiten auf taktischer Ebene für uns gibt, uns so zu organisieren, dass sie nicht alles mitbekommen. Soweit uns das gelingt, haben wir uns selbst Handlungsspielräume geschaffen. In diesem Abschnitt geht es aber um eine andere Frage, nämlich inwieweit sie uns Spielräume lassen müssen, obwohl sie durch ihre Überwachung auch die Möglichkeit hätten, unsere Struktur zu zerschlagen. Es ist eine wichtige Erfahrung, dass nur weil der Feind alles bzw. in Realität eher vieles mitkriegt, dass noch lange nicht bedeutet, dass wir nicht handeln können. Das beste Beispiel dafür wäre der offensive Blockadeversuch bei der Großdemo, den sie unter den gegebenen Bedingungen (Wichtig ist zu verstehen, dass die Bedingungen nichts Statisches sind. Ganz im Gegenteil, durch unser aktives Handeln haben wir im Vorfeld und vor allem durch die Aktionen am Freitag die Bedingungen schon insoweit verändert, dass wir uns konkrete Handlungsspielräume erkämpft hatten. Noch eine Woche vorher war es durchaus denkbar, dass alle Aktionen samt Großdemo verboten werden oder wir z.B. massenhaft Platzverweise bekommen. Dann hätte unser Handeln anders ausgesehen. eben nicht unterbinden konnten, obwohl sie sich diesen vorher denken konnten.

Die Gefechte

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Wenn wir mit Clausewitz die operative Strategie als die Nutzung des Erfolgs oder Misserfolges der Gefechte für die Zwecke des Krieges verstehen, müssen wir uns kurz mit den Zusammenstößen beider Seiten während des G7-Gipfels beschäftigten. Diese lassen sich aus strategischer Sicht in vier Gefechte einteilen: die Vorgeplänkel am Freitag, der Blockadeversuch am Wendepunkt der Großdemo, der Kampf ums Camp und die zersplitterten Aktionen am Sonntag.

9. Die Vorgeplänkel am Freitag

Am Freitag gab es zwei Demonstrationen, die taktisch gesehen aus Polizeisicht relativ unspektakulär verliefen. Den Auftakt bildete die antimilitaristische Demonstration, die unangemeldet quer durch den Ort zum Marshall Center, wo eine Kundgebung angemeldet gewesen ist, und zurück ins Camp führte. Mit 600 TeilnehmerInnen, dem Abbrennen eines Papppanzers und der Rückeroberung der Straße nach dem zuvor aufgebauten enormen Bedrohungsszenario war diese offensive Haltung vor allem nach innen sehr wichtig für den weiteren Verlauf. Verstärkt wurde das durch die Spontandemo zur Solidarität mit der HDP, an der 1.000 Menschen teilnahmen und der sich auch AnwohnerInnen angeschlossen haben.

Der Charakter des gegenseitigen Abtastens hat sich auch beim Rückweg vom Marshall Center gezeigt, als die Polizei kurzzeitig in die Demo rein wollte, aber durch die geschlossen Ketten zurückgedrängt wurde. Scheinbar diente das Ganze eher dem Austesten unserer Geschlossenheit als das es ein ernsthafter bzw. konsequent durchgezogener Versuch gewesen ist, Leute aus der Demo rauszugreifen.

Im Ergebnis war auf unserer Seite klar geworden, dass Protest auch in Garmisch im „Ausnahmezustand“ möglich ist und unsere Stimmung war deutlich besser als noch bei der Anreise. Eine Folge davon war, dass ab diesem Zeitpunkt klar war, dass wir „demonstrieren wie wir wollen – ohne Video und Kontrollen“, d.h. unangemeldet und entschlossen als geschlossene Masse agieren, die ohne massive Gewalteskalation nicht gestoppt werden kann (So wurde z.B. eine unkontrollierte Demo vom Camp zum Auftaktplatz der Großdemo am Samstag durchgesetzt..

Für den Feind hatte sich gezeigt, dass wir organisiert und entschlossen sind und nach politischen Überlegungen handeln. Desweiteren hatte er sich ein klares Bild von unseren Kräften und unserer inneren Leitungsstruktur gemacht.

10. Blockadeaktion am Wendepunkt

Die Blockadeaktion am Wendepunkt der Großdemo am Samstag wird in der politischen Widerstandsbewegung sehr unterschiedlich eingeschätzt. Taktisch wird dieses Gefecht durch unsere Initiative trotz der aufgebauten Falle, einem kurzen, dafür aber heftigen Zusammenstoß, sowie dem geordneten Rückzug ohne eine einzige Festnahme geprägt. Politisch wichtig ist gewesen, dass es gelungen ist, ein breites Bündnis zusammen zu halten und für alle DemonstrantInnen eine Verlässlichkeit herzustellen. Auch die große Masse, die in die Pläne nicht eingeweiht gewesen ist, wurde zu keinem Zeitpunkt in Situationen gebracht, wo nicht jede/R selbst bestimmen konnte, wie er/sie handelt.

Im Ergebnis war das ein klarer Sieg für uns und der Feind war entsprechend sauer. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass aufgrund politischer Faktoren das Eskalationsniveau in Summe begrenzter geblieben ist, als es angesichts der aufgebotenen Kräfte hätte werden können. Militärisch gesehen war es ein kurzes, ernstes Gefecht, aber eben keine Hauptschlacht. Die wurde von beiden Seiten aus unterschiedlichen Gründen nicht geführt.

11. Campräumung

Die Hauptschlacht wurde dann seitens des Feindes auf eine für uns völlig unerwartete Weise durch einen „Flankenangriff“ ins Zentrum unseres Widerstands – das Camp – eröffnet. Auf viele Details können wir hier nicht weiter eingehen und daher mag das Nachfolgende einigen LeserInnen nicht plausibel werden.

Die versuchte Räumung des Camps, um den Widerstand gegen den Gipfel zu zerschlagen, bevor er am Sonntagmorgen anfing, erfolgte in der Form, dass der Feind Kanäle in unser Lager aufgebaut hatte und durch geschickte Manipulation eine Panikstimmung erzeugen konnte. Noch während die Aktionsleitung und der revolutionäre Pol damit beschäftigt waren, den Rückzug aus dem vorbereiteten Polizeikessel durchzuführen, baute der Feind über das vorhergesagte Gewitter ein „Weltuntergangsszenario“ auf. Er bot gleichzeitig ganz integrativ an, gegebenenfalls eine Schule als Notunterkunft zur Verfügung zu stellen. Als das heftige Gewitter gegen 19 Uhr losbrach, geriet die eben noch gut organisierte Demo in totale Panik und löste sich weitestgehend Hals über Kopf auf. Leider bleib nur ein Teil der Revolutionäre auf seinem Posten. Die Aktionsleitung hatte große Mühe, den Riss in den eigenen Reihen zu überwinden und Camp-AG und Sanis klar zu machen, dass nichts geräumt wird und wir nach Genua niemals freiwillig in eine Schule gehen werden. Gleichzeitig war es schwierig, die eigenen Kräfte zusammen zu halten bzw. wieder zu sammeln. Letztlich gelang es, mehrere hundert GenossInnen in der Unterführung zu sammeln. Als geschlossener Demozug ging es zurück, wo wir das Camp durch faktische Belegung der Zelte zurück erobert haben. Mit nachlassendem Gewitter und dem Campplenum um 23 Uhr war die Situation dann wieder einigermaßen stabilisiert.

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Im Ergebnis war dies die Hauptschlacht und eine klare Niederlage für uns. Das zeigt sich u.a. an der falschen Entscheidung, den Nachwirkungen der Panikstimmung in den eigenen Reihen nachzugeben und die für Sonntagmorgen geplante zweite Welle abzusagen. Trotzdem gilt es als positive Tatsache festzuhalten, dass ein gewisser revolutionärer Kern standhaft geblieben ist und es gemeinsam mit der Aktionsleitung geschafft hat, die Disziplin wieder herzustellen. Hätten die Gipfelproteste Samstagabend im Gewitter geendet – und es gab mehrfach kritische Momente, wo alles auf dem Spiel stand – wäre die G7-Kampagne als totale Niederlage ins Bewusstsein der politischen Widerstandsbewegung eingegangen und dies hätte weitreichende negative Folgen für die revolutionären Kräfte bedeutet. (Man denke nur mal an all die Rechten, die bei so einer Niederlage ein lautes Geschrei angefangen hätten, dass es doch vorn vornherein klar gewesen sei, dass man ohne breite Bündnisse nur auf die eigene Kraft gestützt nicht agieren könne.

12. Der Sonntag – Blockaden der B2, Sternmärsche, Demo in Garmisch

Der Sonntag war durch eine Vielzahl von verschiedenen Protestaktionen geprägt, bei der ca. 1.500 bis 2.000 AktivistInnen (Die Zahl der am Sonntag Aktiven ist etwas höher als die der Leute im Camp, da etliche entweder wegen dem Unwetter in Garmisch untergekommen waren oder von vornherein wie einige gewaltfreie Blockadegruppen in den Dörfer unsichtbar geblieben sind, um dann ihre Aktionen überraschend umzusetzen. Auch in den Bergwäldern waren einige GenossInnen unterwegs. eine erstaunliche Entschlossenheit an den Tag gelegt haben. Die Parole ‚Wir sind gekommen, um zu bleiben‘ wurde mit einer gewissen Hartnäckigkeit umgesetzt, was umso bemerkenswerter ist, wenn man bedenkt, dass wir an diesem Tag zahlenmäßig immer in der Unterzahl gewesen sind.

Geprägt wurde die Situation dadurch, dass die Auseinandersetzung in viele einzelne, zeitlich teilweise parallele Aktionen zerfiel, die nicht mehr durch eine Aktionsleitung koordiniert waren.

Im Ergebnis endete das letzte Gefecht wie der ganze „Feldzug“ mit einem unklaren Unentschieden. Wir konnten uns zugute halten, es noch einmal probiert und z.B. mit der Anti-Rep-Demo durch Garmisch einen starken Abschluss hingelegt zu haben. Die Polizei konnte sich den Erfolg auf die Fahnen heften, dass es gelungen war, den Protest in „friedliche“ Bahnen zu lenken und einen effektiven Widerstand weitestgehend verhindert zu haben.

Psychologie, Willen und Widerstandskraft Das moralische Element und seine Bedeutung

13. Angstszenarien zur Lähmung mit dem Ziel, Widerstandskraft zu brechen

„3.1. Sun Tsu sagt: In der wahrhaftigen Kunst des Krieges ist es von jeher die beste Lösung, das Land des Feindes heil und unversehrt zu erobern (…)

3.2. So ist es denn nicht die höchste Meisterschaft, in allen Schlachten zu kämpfen und zu erobern; die \textbf{höchste Meisterschaft aber ist es, des Feindes Widerstand zu brechen, ohne kämpfen zu müssen.

3.3. So ist es die höchste Form militärischer Führung, schon die Pläne des Feindes zu durchkreuzen; die nächstbeste Form ist es, die Formierung der feindlichen Kräfte zu verhindern. Es folgt der Angriff gegen die Armeen des Feindes im offenen Kampf und die schlechteste Politik ist es, befestigte Städte zu belagern.“ (Sun Tsu, Über die Kriegskunst, Marix Verlag Wiesbaden 2005, S. 36, 37; Hervorhebung von uns)

Wir haben sowohl beim 1. Mai 2015 in Hamburg wie beim G7-Gipfel gesehen, dass die Brechung unserer Moral das Hauptziel der operativen und taktischen Maßnahmen des Feindes gewesen ist. Das ist insofern logisch, wenn man Clausewitz folgend die Stärke einer Armee als Produkt aus der Moral und Zahl, d.h. die Anzahl der SoldatInnen sowie die Quantität und Qualität der ihnen zur Verfügung stehenden Waffen, versteht. Wobei Produkt auch bedeutet, dass z.B. eine kleine, schlecht bewaffnete Truppe mit hoher Moral eine größere, gut bewaffnete Streitmacht besiegen kann (Anschaulichstes Beispiel ist die Schlacht um Kobane im September/Oktober 2014, wo der Heroismus der kurdischen VerteidigerInnen und internationalen Freiwilligen es ermöglicht hat, eine Unterlegenheit von 1 zu 2,5 auszugleichen. Gleichzeitig ist damit auch eine Grenze dessen erreicht gewesen, was durch revolutionäre Moral machbar ist. Ohne den Serhildan vom 6. bis 8. Oktober 2014 in Nordkurdistan, der die AKP gezwungen hat, den Korridor für Barzanis Peshmergas mit schweren Waffen zu öffnen und den US-Imperialismus zu wirksamen Luftschlägen gegen die Angreifer veranlasste, hätte der IS die Stadt überrannt. Die zugleich heldenhaften wie auch verzweifelten Aktionen von KämpferInnen der Selbstverteidigungskräfte, die sich mit Sprenstoffgürteln unter Panzerketten geworfen haben, hatten in den Tagen zuvor den Vormarsch des IS nur verlangsamen, aber nicht aufhalten können., was sich aber nicht ins Unermessliche steigern lässt. „Denn wisse: Eine kleine Streitmacht mag noch so hartnäckig kämpfen, so wird sie doch am Ende von einer größeren Macht überwältigt.“ (Sun Tsu; a.a.O.; S. 41))

Die Frage, warum die Einsatzleitung z.B. bei der Blockadeaktion am Wendepunkt der Großdemo ihre bereitstehende Übermacht u.a. in Form der Wasserwerfer und Räumpanzer beim Sporthotel nicht eingesetzt hat, soll zunächst allgemein mit einer weiteren Erkenntnis des Meisters Sun Tsu beantwortet werden:

Der kluge Führer wird die Truppen des Feindes ohne Kampf bezwingen, er vereinnahmt seine Städte ohne Belagerung; er besiegt der anderen Reich ohne langen Kampf auf dem Schlachtfeld.“ (Sun Tsu; a.a.O.; S. 39)

Es gilt zu verstehen, wie der Feind einen Sieg über uns ohne Kampf erzielen kann? Dazu muss er unsere Moral zerstören. Diese Widerstandskraft umfasst in der Breite der revolutionären Bewegung samt des von uns mobilisierbaren Spektrums an entschlossenen radikalen, reformistischen Kräften derzeit eine konsequente Protesthaltung, die defensive Militanz und Selbstverteidigung einschließt. Ausdruck dieser Protesthaltung ist unser relativ weitgehender Aktionskonsens gewesen.

Unsere Moral wird dabei auf zweierlei, sich nur scheinbar widersprechende, in Wirklichkeit aber dialektisch ergänzende Arten angegriffen:

– durch den Aufbau einer enormen Drohkulisse und riesiger Angstszenarien, die uns bereits im Vorfeld lähmen sollen und dies durchaus auch geschafft haben (Dass viele von uns mit der Erwartung angereist sind, dass eh nicht viel möglich sein wird, gehört hier genauso dazu wie die Tatsache, dass wir uns aus Angst vor dem Gegner nicht in die Wälder getraut haben, obwohl dieses Terrain uns viele Vorteile geboten hätte.

– direkt durch die Demonstration der Übermacht des Feindes, die jeden Angriff bzw. Widerstand als zwecklos erscheinen lassen soll; durch die gezielte Androhung/Anwendung faschistischer Maßnahmen (Dazu gehört das gezielte Bewusstlosschlagen von hervorgetretenen, die Aktion führenden GenossInnen beim 1. Mai in Hamburg, die mit dem Gesicht nach unten über die Straße und durch die Scherben geschleift und auf der anderen Straßenseite ins Gebüsch geworfen wurden. Eine Festnahme sollte auch hier nicht erfolgen, man will keine KämpferInnen im Knast (politische Gefangene machen viel Ärger), sondern gebrochene Kader oder doch zumindest GenossInnen, die sich zukünftig etwas mehr zurückhalten.

Ein anderes Beispiel ist der Journalist/Aktivist in Garmisch, der hauptsächlich Zivifotos über Twitter verbreitet hat und von 8 Polizisten im Cafe eingekreist wurde. Er solle jetzt aufhören, ansonsten würde er verschwinden gelassen. Zur Unterstreichung ihrer Drohung haben sie sein Handy mitgenommen.; durch Erzeugung von Panik (Dazu diente z.B. die Art und Weise des Einsatzes der Reiterstaffel am 1. Mai 2015 in der Feldstraße oder die Hysterie um das Unwetter und Campräumung., durch Spaltung unserer Einheit in der Aktion auf Grundlage vorhandener politischer Unterschiede

– indirekt durch alle möglichen Formen von Zuckerbrot (Z.B. wurde durch das massive Medieninteresse bei uns eben auch der Eindruck erweckt, dass wir „gehört“ werden und ein konsequenter Protest, der sich gegen massive Einschüchterung durchsetzt, ausreicht. Warum sollte man noch den gefahrvollen und schmerzhaften (weil vorhersehbar mit Verlusten) verbundenen Schritt zur Offensive oder gar zum Widerstand gehen? Wir hatten doch schon mehr erreicht als wir erwarten konnten. , Integration (Z.B. die Zusammenarbeit halbstaatlicher Akteure wie DRK und Bergwacht mit unseren Sanis und auch echten Zugeständnissen (Die bayrischen GenossInnen konnten es nicht glauben, dass durchgängig verknotete Seitentranspis in Bayern möglich sein können. Oder auch allgemein die Abschlussdemo am Sonntag, die nicht nur eine gute Außenwirkung, sondern vor allem für die Moral nach innen enorme Bedeutung hatte.

14. Zuckerbrot und Peitsche – die Integrationsmittel

Ein solches Verhalten von der Polizei wie beim G7-Gipfel war für viele von uns eine neue Erfahrung: Einerseits so ein Angstszenario aufzubauen und andererseits so viel Raum zu geben. Die Methode der Polizei war Zuckerbrot und Peitsche.

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Eine Besonderheit der Polizeitaktik bei G7 hat darin bestanden, dass die „Peitsche“ vor allem auf psychologischer Ebene gegen unser Bewusstsein, d.h. insbesondere unseren Widerstandswillen eingesetzt wurde, während das „Zuckerbrot“ der Integration vor allem materiell in der Aktion erfolgte. Das ist insofern eine deutliche Abweichung von dem üblichen Geschehen, wo die Spaltung in „gute, friedliche DemonstrantInnen“ und „böse, gewalttätige ChaotInnen“ erfolgt. Diese geht in der Regel damit einher, dass die repressive Peitsche in Form offener Polizeigewalt gegen die radikalen Teile der politischen Widerstandsbewegung zum Einsatz kommt und die ReformistInnen integriert werden, z.B. durch lächerliche Dialogangebote am Rande von imperialistischen Gipfeltreffen.

Es wäre zu kurz gegriffen, dass mit den Kräfteverhältnissen in Garmisch erklären zu wollen, wo die üblichen reformistischen Großorganisationen halt abwesend waren. So wäre natürlich in der skizzierten Logik eine Abspaltung des antikapitalistischen Blocks bei der Samstagsdemo samt nachfolgendem Angriff des dreifachen Spaliers vom USK beim Rückzug eine Option gewesen. Den nicht erfolgten Angriff allein oder überwiegend auf unsere Stärke zurück führen zu wollen, wäre ebenfalls ein Trugschluss. (Es stimmt zwar, dass der Block sich nach dem zweiten Polizeiangriff trotz durchmischter Bezugsgruppen wieder erstaunlich gut reorganisiert hatte und geschlossen in Ketten gelaufen ist. Auch hat sich die gesamte Demo sehr solidarisch verhalten. Aber es muss klar sein, dass „eine kleine Streitmacht noch so hartnäckig kämpfen mag, sie wird am Ende doch von einer größeren Macht überwältigt werden.“(Sun Tsu) und wir waren deutlich in der Unterzahl!

Die Integrationsmaßnahmen des Feindes zielten also auf uns, den revolutionären Pol der politischen Widerstandsbewegung, der in Garmisch mehr oder weniger komplett vertreten gewesen ist. Was will der Feind damit erreichen, dass er uns nicht mit seiner zahlenmäßigen überlegenen Polizeiarmee angreift, obwohl er dazu zweifellos die Möglichkeit gehabt hätte? Warum hat die vorbereitete Falle nicht zugeschnappt, obwohl wir Fehler gemacht hatten und der Frontblock von drei Seiten eingekesselt war? Warum hat der Feind es bei einem Schattenboxen belassen und ist einer ‚Hauptschlacht mit polizeilichen Mitteln‘ ausgewichen?

15. Erzwingen von friedlichem Verhalten, um unsere Moral zu brechen

Das Verhalten der Einsatzleitung bei der Großdemo ergibt weder taktisch noch operativ-strategisch Sinn. Polizeitaktisch war der Kessel schon zu 3/4 geschlossenen und ein Reingehen in die Demo zur Abtrennung des antikapitalistischen Blocks hätte an entsprechender Stelle weiter vorne ohne großen Aufwand umgesetzt werden können. Operativ-strategisch hätte eine Einkesselung und In-Gewahrsamnahme des Großteils der revolutionären Kräfte z.B. bis Sonntagmittag faktisch ein weitgehendes Ende der Gipfelproteste bedeutet.

Es muss schon einen sehr wichtigen strategischen Erfolg geben, damit eine Einsatzleitung diese naheliegenden Vorteile nicht ausschöpft und das hohe Risiko eingeht, mehrere hundert aktionswillige “StörerInnen“ weiter agieren zu lassen.

Es fragt sich, was der Staat damit erreichen wollte und was er damit erreicht hat? Wir schätzen es so ein, dass es das Ziel der Polizei war, dass sie am Ende sagen können, dass alles friedlich war. Das Erzwingen von friedlichem Verhalten der Revolutionäre hat darauf gezielt, eine demoralisierende Wirkung auf die Revolutionäre zu erzielen. Dies wurde auch erreicht, wie z.B. die vielen Kommentare von GenossInnen ausdrücken, die hinterher leicht enttäuscht von ‚einem schönen Urlaub und wenig Aktionen‘ berichten haben.

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Diese Handlungsweise weist weit über die Gipfelproteste hinaus und spiegelt die objektive Klassenkampflage in Kerneuropa wider. Der Feind will vor allem verhindern, dass die revolutionären Kerne den Schritt von – entschlossenem – Protest zum Widerstand gehen. Objektiv steuert die Entwicklung genau auf diesen Punkt zu, u.a. weil die fortgeschrittenen Teile der Massen in dieser Frage weiter sind als die politische Widerstandsbewegung.

Damit ist es für den Feind umso wichtiger, noch möglichst lange zu schaffen, dass die revolutionäre Bewegung genau diesen Sprung nicht macht. So lange wir protestieren (und sei es auch sehr konsequent und offensiv), sind wir letztlich beherrschbar, ein störendes Übel, aber eben nicht mehr. Wenn wir den Schritt zum Widerstand gehen, d.h. unsere vorläufig begrenzten Teilziele – Störung des Gipfels – materiell durchsetzen, wird es bei der untergründigen Gärung in den Massen für die Herrschenden kritisch. Und zwar nicht, weil Gipfel unverzichtbar wären – das Gegenteil ist der Fall – sondern weil die Wut der Massen mit dem Zeichen der Entschlossenheit der revolutionären Avantgarde politisch zusammen kommen könnte.

„Den intelligenten Strategen des Feindes dürfte es schon lange klar sein, dass die Ruhe im imperialistischen Kernland sehr brüchig ist und strategisch nur gesichert werden kann, wenn es ihnen möglichst lange gelingt, die Entstehung einer kommunistischen Avantgarde zu blockieren und zu verhindern, dass die Kampfbereitschaft der Massen mit einer organisierten revolutionären Strategie in Form einer Kommunistischen Partei in Verbindung kommt. Weil der Feind sehr gut verstanden hat, was viele GenossInnen in der antikapitalistischen und revolutionären Bewegung noch nicht sehen können, lesen wir dann z.B. die folgende Einschätzung:

‚Gefährlich wäre es hingegen, die Kurden zurück in den bewaffneten Kampf mit der Türkei zu treiben. Das würde wie ein Rekrutierungsprojekt für die Terroristen von morgen wirken.‘ (Erdogans Kriegskalkül; Leitartikel von Christoph von Marschall, Tagesspiegel 28.07.2015“ (Die Kriegserklärung von Suruc und die Folgen; www.komaufbau.org)

16. Die Bedeutung der Offensive

Die Diskussion um das Vorrücken des Frontblocks am Wendepunkt der Demonstration in Garmisch ist nur der konkrete Ausdruck einer in der politischen Widerstandsbewegung auch unter revolutionären GenossInnen weit verbreiteten falschen ideologischen Haltung: Selbstverteidigung ist legitim und gut, die Offensive z.B. in Form von Angriffen auf Polizeikräfte ist schlecht. (Siehe dazu auch in diesem Heft: ‚Ob friedlich oder militant- koordiniert und gemeinsam organisieren wir den Widerstand‘)

Der offensive Akzent („So war es dann auch richtig, dass die Hauptdemo am Samstag den Versuch unternahm, offensive Akzente zu setzen und sich zwischenzeitlich vom Repressionsapparat nicht mehr abschrecken ließ. Mit Schildern, Feuerlöschern und offensivem Auftreten versuchten die ersten Reihen der rund 5000 Menschen starken Demo die zweitweise aus fünf Reihen bestehende Polizeiabsperrung zu durchbrechen. Dies mit dem Ziel an geeigneter Stelle eine Blockade auf der Haupttransportachse für das Gipfeltreffen zu errichten.“ Bericht und Einschätzung des Revolutionären Aufbaus Schweiz, download unter: www.aufbau.org/index.php/online-zeitung-topmenu-128/1911-bericht-von-den-protesten-gegen-den-g7-gipfel) mag von der materiellen Form nicht einmal ein symbolischer Vorstoß gewesen sein, aber ideologisch war er umso wichtiger. Offensive bedeutet zunächst einmal, ein politisches Bewusstsein zu entwickeln, das unserem Anspruch entspricht, Revolutionäre zu sein. Die Konfrontation zwischen Konterrevolution und Revolution ist immer ein Zusammenstoß antagonistischer gesellschaftlicher Kräfte. Sie ist immer ein totaler Krieg, egal in welcher Form sie sich materiell unter besonderen Bedingungen gerade verwirklicht (z.B. als nicht-militärisches Zusammentreffen von DemonstrantInnen und Polizei mit einem bekannten, von beiden Seiten her begrenzten Eskalationsniveau).

Diese Klarheit und offensive Haltung ist so wichtig, weil sie der praktischen Offensive (konsequenter Widerstand) vorausgehen muss. Solange wir die ideologische Begrenztheit in der Frage der revolutionären Gewalt und der dafür notwendigen Strukturen wie dem dafür notwendigen ideologischen Niveau der Kader und KämpferInnen nicht überwinden, werden wir die „passive Militanz“ beim Kampf auf der Straße nicht hinter uns lassen können.

Solange wir das aber nicht tun, gibt es für die wütenden Massen keinen logischen Grund, sich uns in der Konfrontation mit dem Gegner anzuvertrauen. Passive Militanz ist die beschönigende Umschreibung dessen, was Clausewitz logisch konsequent zu Ende gedacht als „absolute Verteidigung, die dem Begriff des Krieges widerspricht“ herausarbeitet. (Clausewitz, Vom Kriege, Sechstes Buch I Angriff und Verteidigung: „Da aber eine absolute Verteidigung dem Begriff des Krieges völlig widerspricht, weil bei ihr nur der eine Krieg führen würde, so kann auch im Krieg die Verteidigung nur relativ sein, (…) Mit anderen Worten: Ein Krieg, bei dem man seine Siege bloß zum Abwehren benutzen, gar nicht widerstoßen wollte, wäre ebenso widersinnig als eine Schlacht, in der die absolute Verteidigung (Passivität) in allen Maßregeln vorherrschen sollte.“ zitiert nach der Rowohlt Taschenbuchausgabe S. 139 und 140 )

Mit anderen Worten: Entweder wir erkennen die objektive Realität an, dass wir einen Klassenkrieg führen und somit auch offensiv werden müssen oder wir verweigern uns widersinnig dieser Einsicht. Im Ergebnis kapitulieren wir dann, d.h. konkret unterwerfen wir uns jedes mal dem Willen des Feindes, auch wenn wir dabei in einer seltsamen Form eines politischen Masochismus Schläge abwehren, nur um durch schmerzhaftere und heftigere Schläge gezwungen zu werden, doch das zu tun, was der Feind schon mit der Drohung der Schläge bewirken will.

Der vollendete Ausdruck dieses absurden Verhaltens war die Demonstration zum Erhalt der Roten Flora im Dezember 2013 in Hamburg, die sich der notwendigen Offensive verweigerte, aber auch hartnäckig durch passiven Abwehren der Auslösung widersetzte, so dass am Ende 10er Trupps von riot cops einen geschlossenen Block von mehreren hundert GenossInnen angreifen konnten.

Taktisch irrationaler – oder korrekter ausgedrückt: bescheuerter – kann man sich im Kampf nicht verhalten. Da wir politisch Aktiven uns aber (fast) alle so verhalten bzw. in der Vergangenheit verhalten haben, sonst aber durchaus als rational denkende Menschen unseren Verstand benutzen, müssen wir zu der Frage übergehen, wie es dem Feind gelungen ist, eine solche irrationale Haltung in unseren Köpfen zu verankern?

Oder anders ausgedrückt: Wir müssen den Faden vom Anfang wieder aufnehmen und der am Beispiel ‚Neurusslands‘ aufgeworfene Frage nachgehen, mit welchen Mitteln der hybriden Kriegsführung der Feind in unseren Köpfen eine Scheinwelt geschaffen hat, die dann von uns in politische Realität übersetzt wird?

Die Erzeugung einer Scheinwelt

17. Ihr Narrativ – es war alles friedlich und nett

Sun Tsu sagt:

„Der erfahrene Kämpfer wird also den Feind zur planlosen Jagd nach Trugbildern bewegen, die den Gegner zum Handeln veranlassen. Er opfert etwas, nach dem der Feind schnappen wird.“ (Sun Tsu, a.a.O.; S. 66

Dass Sun Tsu solche Trugbilder nicht einfach nur als taktisches Mittel z.B. beim Stellen von Hinterhalten sondern durchaus im Sinne der strategischen Kommunikation der hybriden Kriegsführung als umfassendes Mittel zur Täuschung und Beeinflussung des Gegners verstanden hat, wird in den nachfolgenden Überlegungen deutlich:

„8.10 Du sollst die feindlichen Führer schwächen, so du ihnen Schaden bereitest; mache ihnen Schwierigkeiten, halte sie stetig in Atem, täusche sie mit Verlockungen und lasse sie zu jenem Ort eilen, den du erwählt hast.

8.12 Es gibt fünf gefährliche Fehler, die einen General straucheln lassen können:

– Unbekümmertheit, denn sie führt zur Vernichtung;

– Feigheit, denn sie führt zur Gefangennahme;

– ein unbändiges Temperament, das durch Beleidigungen erregt werden kann;

– ein ausgeprägtes Ehrgefühl, das für Scham empfänglich ist;

– übergroße Sorge um das Wohl der Männer, die ihn anfällig macht für Kummer und Sorgen

8.14 Wenn also eine Streitmacht geschlagen ist und der Anführer erschlagen wird, so ist gewiss einer dieser fünf gefährlichen Fehler der Grund dafür. Mache sie also zu einem Teil deiner Meditation.“

Die Schaffung von Trugbildern, die dem Bewusstsein und psychischen Zustand des Gegners entsprechen und gleichzeitig sicherstellen, dass er in meinem Sinn handeln wird, sind der Schlüssel für jene höchste Kunst im Krieg, die Meister Sun Tsu als Sieg ohne Kampf bezeichnet.

Und sie sind zugleich der Schlüssel, um zu verstehen, warum die Hauptschlacht zur Beendigung der Gipfelproteste („(…) Als die Garmischer Bürgermeisterin Sigrid Meierhofer das Camp mit Hinweis auf den Hochwasserschutz verbieten wollte, hat es unter Demonstranten und anderen Flachländern höhnisches Murren gegeben – was für ein fadenscheiniger Vorwand.

Inzwischen findet die SPD-Frau breites Verständnis. Über eine Stunde lang ist unter Blitz und Donner eine Wasserwand vom Himmel gestürzt. (…) Sanitäter hüllen frierende T-Shirt-Mädchen in goldene glitzernde Rettungsdecken, dass sie nicht mehr ganz so frieren. Die Stadt bietet eine Schule als Notlager an. Die liebe Loisach ist zur rasenden, schlammigen Flut geschwollen. Die Polizei fragt höflich nach, ob sie dabei helfen soll, dass durchsumpfte Zeltcamp abzubauen. Aber das geht dann doch gegen die Widerständlerehre. Das Camp bleibt. Nur eben – scheißnass war’s. (…)“; Tagesspiegel 8. Juni 2015; Hervorhebung von uns ) weder ein Polizeikessel noch ein Campverbot gewesen ist, sondern unter Ausnutzung unserer Angst vor dem Gewitter eine rein psychologische Form der Erzeugung einer Panikstimmung in unseren Reihen angenommen hat.

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Was ist nun also die Erzählung, die die Einsatzleitung von den G7-Gipfelprotesten verbreitet?

„Polizeipräsident Robert Heimberger und Polizeivizepräsident Robert Kopp ziehen positive Bilanz zum Polizeieinsatz beim G7-Gipfel.

In dem von den Gipfelgegnern bezogenen Camp an der Loisach kam es erfreulicherweise zu keinerlei Straftaten. (…) Mehrere Spontanversammlungen, die eine polizeiliche Begleitung notwendig machten, fanden an dieser Örtlichkeit ihren Ursprung. Mit starken Polizeikräften und deeskalierendem Einwirken gelang es am Sonntagmorgen 150 aus dem Camp aufbrechende Personen von Blockadeaktionen abzuhalten.

(…)

Etwa 50 Versammlungsteilnehmer vermummten sich, verknoteten Transparente und zündeten eine Rauchbombe. Gleichzeitig versuchten einige Demonstranten, ausgerüstet mit selbstgebauten Styroporschutzschildern, die Polizeibegleitung zu durchbrechen. Hierbei wurden die eingesetzten Beamten aus einer Gruppe heraus mit Löschpulver aus einem Feuerlöscher besprüht und eingenebelt. Zudem wurden Styroporplatten, Holzlatten und Flaschen als Wurfgeschosse eingesetzt. Um die Situation zu bereinigen, mussten die Einsatzkräfte Pfefferspray und den Einsatzmehrzweckstock einsetzen. Im weiteren Verlauf blieb diese Versammlung friedlich.

(…)

Polizeivizepräsident Robert Kopp: „Wir haben die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Garmisch-Partenkirchen und der Umgebung gewährleistet. Bei den Versammlungen haben wir sehr genau hingeschaut und differenziert. Mein Dank gilt all jenen, die friedlich ihre Meinung geäußert und für bunte Versammlungstage gesorgt haben. Es waren für mich Tage, an denen die Demokratie und nicht die Gewalt gewonnen hat.

Einsatzleiter Robert Heimberger: „Bayern hat gezeigt, dass friedliche Proteste und ein sicherer Ablauf eines Gipfeltreffens vor spektakulärer Bergkulisse möglich sind.“ (www.wochenblatt.de/nachrichten/regensburg/ueberregionales/Einsatzleiter-zieht-positive-Bilanz-zum-Polizeieinsatz-rund-um-den-G7-Gipfel-2015;art5578,310439; Hervorhebungen von uns)

Alles friedlich, oder was?! Man muss kein Gewaltfetischist sein um die schlichte Tatsache anzuerkennen, dass der organisierte Angriff mit selbstgebauten Styrorporschutzschildern, Feuerlöschern, Rauchbomben, Flaschen und Latten selbst einer sehr weit gefassten Auslegung des Begriffs „friedlich“ offensichtlich widerspricht. Und dass dieselben „StraftäterInnen“ nicht nur nicht festgenommen werden, sondern dann am nächsten Tag in aller Seelenruhe in einem von zu diesem Zeitpunkt mehreren Tausend PolizistInnen besetzten Ort eine Spontandemonstration durchführen, in der sie in aller Klarheit zum revolutionären Sturz des kapitalistischen Systems aufrufen, ist an sich schon erstaunlich. Dass das Ganze nach der oben zitierten Einschätzung der Einsatzleitung angeblich alles nur eine Verwirklichung der Demokratie gewesen sei, ist eine Erzählung aus einer virtuellen Scheinwelt.

Gegenüber dieser Erfindungsgabe erscheint Putins Neurussland – immerhin noch die historische Bezeichnung für ein Territorium aus längst vergangener Zeit – fast schon real zu sein.

18. Der reale Ausnahmezustand

Wenn wir uns die Realität in Garmisch-Partenkirchen während der Gipfeltage vor Augen führen, gibt es nur eine präzise Beschreibung: Es herrschte ein Ausnahmezustand. Über die gesamte Region war der polizeiliche Belagerungszustand verhängt und demokratische Grundrechte waren einfach außer Kraft gesetzt worden. Dass wir uns jeder Zentimeter demokratischer Bewegungsfreiheit hart erkämpfen mussten, ist ausführlich dokumentiert und allen AktivistInnen vor Ort mehr als deutlich geworden.

Der Ausnahmezustand hat keineswegs nur gegenüber DemonstrantInnen gegriffen, sondern hat z.B. auch gegenüber jenen 98\% CSU-WählerInnen in Klais gegolten, die während Obamas Tour mit Mutti Merkel zum Volk ihre Häuser am Sonntagmorgen nicht verlassen konnten. Oder all jenen AutofahrerInnen, die am Donnerstag vor der abgesperrten Landstraßen umdrehen durften.ausnahmezustand

Der Ausnahmezustand zeigt sich darüber hinaus in der engen zivil-militärischen Zusammenarbeit, die faktisch eine totale Mobilmachung aller staatlichen, halb-staatlichen und nicht-staatlichen Kräfte bedeutete, die dafür ansprechbar gewesen sind. Es entspricht dem Wesen der hybriden Kriegsführung, nämlich alles als Teil eines totalen Krieges zu verstehen und entsprechend militärisch an alle Fragen heranzutreten. Nur widerspricht diese Art der Kriegsführung der bürgerlichen Demokratie in den sie begründenden Prinzipien wie z.B. der Gewaltenteilung. Auch die Trennung zwischen staatlicher Funktion und Ordnungsbereichen und jenen des Privatbürgers, die den Staat nichts angehen, wird ins Gegenteil verkehrt. Selbst die heilige Kuh der bürgerlichen Justiz, die Vertragsautonomie und Freiheit, kommerzielle Verträge abschließen zu können, wurde im Bezug auf die Vermietung von Wiesen geschlachtet und mit der Aufforderung beantwortet, potenzielle schwarze Schafe einem kollektiven Mobbing durch eine „soziale Ächtung“ zu unterwerfen. Diese irgendwo zwischen faschistischen Führerprinzip, das absoluten Gehorsam und Unterordnung verlangt, und feudalem Bannspruch liegende Maßnahme ist rechtstheoretisch und praktisch der denkbar größte Gegensatz zu jener „Demokratie“, die Polizeivizepräsident Robert Kopp vor kitschiger Alpenkulisse erlebt haben will.

19. Schattenboxen und die Nicht-Reproduzierbarkeit von Garmisch 2015

Der G7-Gipfel wird Folgen haben, für die Konterrevolution genauso wie für die revolutionäre Seite. Wir haben einen Achtungserfolg erzielt. Im asymetrischen Guerillakrieg – und jeder revolutionäre Krieg fällt darunter – gilt bekanntlich der Leitsatz, dass die Guerilla siegt, solange sie nicht vernichtet wird. Allein ihr Fortbestand und ihr Wachstum sind ein Sieg, darauf baut u.a. Maos revolutionäres Konzept der Kriegsführung (langandauernder Volkskrieg) auf.

Diese Grundsätze gelten im revolutionären Klassenkrieg auch dann, wenn er wie heute in Deutschland fast ausschließlich mit politischen Mitteln und vereinzelten Zusammenstößen auf der Straße geführt wird.

Anders ausgedrückt: Wir siegen allein dadurch, dass wir widerstehen, wachsen und uns nicht integrieren lassen. Insofern war der G7-Gipfel 2015 strategisch ein größerer Sieg als operativ-taktisch, wo wir am Ende objektiv gesehen über gescheiterte Blockadeversuche nicht hinausgekommen sind und bei den gegebenen Verhältnissen auch kaum hinauskommen konnten.

Damit ergibt sich strategisch aber die Konsequenz, dass das G7-Szenario sich so nicht wiederholen wird. Warum?

2.000 Leute in Garmisch und auf der Alm bei direkten Aktionen und Protesten gegen den Gipfel sind kontrollierbar. Bei 10.000 oder 20.000 würde das nicht mehr der Fall sein. Diese Kontrolle setzt in der erlebten Form u.a. eine massive Polizeiübermacht voraus, die faktisch an jedem Punkt des direkten Zusammenstoßes nie unter 1:2,5 zugunsten des Feindes gelegen hat und an kritischen Punkten noch größer gewesen ist. Wenn wir 5- oder 10-mal so viele Leute gewesen wären, hätte die Polizei nicht 5- oder 10-mal so viele Cops zusammenziehen können. Schon jetzt gab es Lücken in den Städten u.a. bei der Randale in Leipzig und der Besetzung eines Braunkohlebaggers, wo Polizeikräfte gefehlt haben.

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Auch wenn es nur ein Schattenboxen gewesen ist: Dass wir in einen Polizeikessel marschieren, selbstbestimmt initiativ werden und damit die ideologische Einkreisung der passiven Militanz durchbrechen und uns dann geschlossen ohne Verluste zurückziehen, ist schon frech. Die polizeiliche Einsatzleitung kann sich von uns nicht ewig auf der Nase herumtanzen lassen. Blockupy 2015 war für den Feind im Hinblick auf unsere Moral noch verkraftbar, da wir viele waren und uns im vertrauten Terrain einer Großstadt unter günstigen Bedingungen bewegt haben. Aber unser gemeinsames Handeln bei G7 hat den praktischen Beweis erbracht, den wir ins kollektive Gedächtnis der Bewegung tragen müssen, dass selbst eine halbwegs entschlossene und einigermaßen organisierte Großgruppe von 2.000 AktivistInnen einer 30.000 Mann starken Bürgerkriegsarmee Paroli bieten kann.

Der Gedanke, dass man sich so organisieren kann, dass ein Kampf in Unterzahl möglich ist, darf sich aus Sicht des Feindes nicht verbreiten, weil damit die ideologische Einkreisung bei den fortgeschrittenen Teilen der politischen Widerstandsbewegung durchbrochen und Appetit auf viel mehr entstehen würde.

Daher wird das passieren, was bei dem Produkt von Clausewitz (Zahl * Moral) logischerweise die Stellschraube ist, an der die Konterrevolution drehen muss:

Die Moral ihrer Bürgerkriegsarmee war nicht schlecht und kann unter den aktuellen Bedingungen als stabil angesehen werden. Dies bedeutet aber auch, dass sie sich nicht weiter steigern lässt. Ebensowenig kann aber die Zahl der PolizistInnen – wie oben ausgeführt – beliebig vergrößert werden.

Bleibt die Bewaffnung.

Diese werden sie gegen uns einsetzen, und der 1. Mai 2015 in Hamburg hat das in der Praxis bereits gezeigt. Wie es im NDR hieß: die Polizei hat alles, was sie aufbieten kann, gegen die ‚Randalierer‘ eingesetzt – und das ist nicht wenig.

Die Polizei muss ihre militärische Überlegenheit auf der Straße beweisen, in unser Bewusstsein einprügeln. Das war die Funktion des 1. Mai 2015 in der Feldstraße. Sie werden eskalieren und bei nächster Gelegenheit ihre Gewaltmittel nicht nur androhen, sondern auch einsetzen. Sie müssen uns Grenzen setzen, sonst könnten zu viele wütende Menschen auf den aus ihrer Sicht höchst gefährlichen Gedanken kommen, dass man doch etwas tun kann, dass Widerstand möglich ist.

Müssen wir davor Angst haben, wäre es sinnvoll die absehbare Eskalation durch eine Defensivstrategie zu unterlaufen? Das genaue Gegenteil ist richtig, weil der Feind in dem Moment, wo er das tut, seinen derzeit wichtigsten strategischen Vorteil opfern muss. Indem er selbst jene mühsam aufgebaute ideologische Einkreisung der revolutionären Kerne einreißt, die u.a. durch jahrzehntelange Erzeugung einer Scheinwelt namens „Demokratie“, durch ein Uns-machen-lassen, solange wir gewisse Grenzen nicht überschreiten, aufgebaut hat, muss er dialektisch mit einer Eskalation des Gewaltniveaus zugleich eine revolutionäre Energie freisetzen, gegen die dann seine Bürgerkriegsarmee samt High-Tech-Waffen im Zweifelsfall kaum wird gegenhalten können.

Meister Sun Tsu sagt:

„3.17.: Denn wisse: Es gelten fünf wichtige Voraussetzungen für den Sieg:

– Siegreich sein wird jener, der weiß, wann er zu kämpfen hat und wann nicht.

– Siegreich sein wird jener, der weiß, wie er mit überlegenen und unterlegenen Streitkräften umgehen muss.

– Siegreich sein wird jener, dessen Armee in all ihren Rängen vom gleichen Geist durchdrungen ist.

– Siegreich sein wird jener, der gut vorbereitet ist und darauf warten kann, einen unvorbereiteten Feind anzugreifen.

– Siegreich sein wird jener, der militärisch denken kann und dessen Herrscher sich nicht einschalten wird.“ (SunTsu; a.a.O.; Seite 44; Hervorhebung von uns)

Einen größeren Gefallen als uns in der Praxis das militärische Denken beizubringen, kann der Feind der revolutionären Seite gar nicht tun. Eine größere strategische Niederlage als das ruhige Hinterland selbst zum Kriegsgebiet zu erklären, kann er gar nicht erleiden.

Asymmetrischer totaler Krieg

Strategische Konsequenzen

20. Mao’s Papiertiger – warum der Feind strategisch schwach und operativ stark ist und wie wir trotzdem vorwärts kommen

Mao Tse Tung hat das einprägsame Bild vom Imperialismus als Papiertiger verwendet („Ebenso wie es nichts auf der Welt gibt, das nicht eine Doppelnatur hätte (das ist eben das Gesetz der Einheit der Gegensätze), so haben auch der Imperialismus und alle Reaktionäre eine Doppelnatur: sie sind wirkliche Tiger und zugleich Papiertiger. (…) Einerseits sind sie echte Tiger, die Menschen fressen, Millionen und aber Millionen Menschenleben vernichten. Der Kampf des Volkes ist eine Zeit hindurch voller Schwierigkeiten und Härten, sein Weg voller Windungen und Wendungen. Das chinesische Volk brauchte, um die Herrschaft des Imperialismus, des Feudalismus und des bürokratischen Kapitalismus in China zu liquidieren, mehr als hundert Jahre, und Dutzende Millionen Menschen mußten ihr Leben lassen, ehe im Jahre 1949 der Sieg errungen war. Sehen Sie, waren das nicht lebendige Tiger, eisenharte Tiger, echte Tiger? Letzten Endes aber haben sie sich in Papiertiger, in tote Tiger, in butterweiche Tiger verwandelt. Das sind historische Tatsachen. Hat man denn das alles nicht gesehen und gehört? Wahrlich tausendmal und aber Tausende Male! In Tausenden und Zehntausenden von Fällen! Somit muß man von ihrem Wesen her, aus einer langen Perspektive, in strategischer Hinsicht den Imperialismus und alle Reaktionäre als das betrachten, was sie in Wirklichkeit sind: als Papiertiger. Darauf müssen wir unser strategisches Denken gründen. Anderseits sind sie aber wiederum lebendige, eisenharte, wirkliche Tiger, die Menschen fressen können. Darauf müssen wir unser taktisches Denken gründen.“ Rede auf der Tagung des Politbüros des ZK der KP Chinas in Wutschang (1. Dezember 1958) zitiert in der Anmerkung zum „Gespräch mit der amerikanischen Korrespondentin Anna Louise Strong“, Ausgewählte Werke Mao Tse-tungs, Bd. IV zitiert nach: www.infopartisan.net/archive/maobibel/maobibel.html, um sein strategisches Denken zu erläutern.)

Es trifft sehr gut auf die aktuelle Lage des deutschen Imperialismus als Teil des imperialistischen Weltsystems zu. Der deutsche Imperialismus ist operativ sehr stark und scheint zur Zeit in Europa von Sieg zu Sieg zu eilen. Selten war die politische Lage für die Herrschenden in diesem Land so stabil, wie sie zur Zeit ist. Selbst wenn man wie wir von einer untergründigen Gärung in den Massen ausgeht, muss man anerkennen, dass der kommende Aufstand in den Großstadtghettos für so eine erfahrene Konterrevolution, der die fähigste Sozialdemokratie der Welt als Sozialpartner zur Seite steht, kein Grund zu größeren Sorgen sein muss. Er wird aus heutiger Sicht das kapitalistische System nicht aus den Angeln heben.

Wieso muss man trotz dieser unbestreitbaren Stärke des deutschen Imperialismus, für die man noch viele weitere Faktoren anführen könnte, von seiner strategischen Schwäche ausgehen?

Grundlegend bleibt zunächst die nüchterne wissenschaftliche Erkenntnis von Marx, dass der Kapitalismus nicht fähig ist, seine inneren, objektiven Widersprüche zu beherrschen. Wir können das sehr anschaulich an der tiefen ökonomischen Überproduktionskrise beobachten, die 2007 als Finanzkrise ausgebrochen ist und seitdem nur um den Preis einer enormen Verschärfung der Widersprüche durch die Schaffung von unvorstellbaren Summen von Notenbankgeld zeitlich hinausgeschoben wurde. Der Tag der gewaltsamen Vernichtung des angehäuften überschüssigen Kapitals rückt näher. Schon heute gehen die Imperialisten nicht mehr davon aus, dass sie nochmal zu einer gemeinsamen Krisenbewältigung a la G20 im Jahr 2008 kommen werden. Beim nächsten Crash gilt es, sich selbst auf Kosten der Konkurrenten zu retten.

Damit rückt zugleich der große direkte militärische Zusammenprall der imperialistischen Blöcke näher, der sogenannte 3. Weltkrieg. Schon heute formuliert Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik der Universität Kiel, der zugleich führende Funktionen im strategischen Think-Tank ‚Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik‘ bekleidet, dass ein „Krieg zwischen Russland und dem Westen in wenigen Jahren eine reale Möglichkeit“ darstellt (Zitiert nach: Pax Optima Rerum, in german-foreign-policy vom 15.06.2015. )

Eine wesentliche strategische Schwäche des deutschen Imperialismus besteht darüber hinaus darin, dass der 3. Weltkrieg bzw. die Zuspitzung der inner-imperialistischen Widersprüche auf dem Weg dahin für ihn viel zu früh kommen. Geopolitisch ist der deutsche Imperialismus auch 25 Jahre nach der Einverleibung der DDR kaum über den Status einer mitteleuropäischen Regionalmacht hinaus gekommen und militärisch ist er ein relativer Zwerg. Zum Global Player, der in der ersten Liga um die Weltherrschaft mitspielen möchte, fehlt da noch einiges, vor allem die Fähigkeiten, einen imperialistischen Großkrieg führen und durchhalten zu können.mao

Zu letzterem gehört insbesondere auch die Fähigkeit, ein ruhiges Hinterland aufrecht zu erhalten, so dass die “Heimatfront“ steht. Das berührt aber die besondere strategische Schwäche des deutschen Imperialismus. Er muss aus verschiedenen historisch gewachsenen Bedingungen, politischen Gründen und auch wegen der geringen Ausdehnung seines Territoriums, die ihn zwingen seine zentralen Hauptquartiere und politisch-militärischen Nervenbahnen mitten in den unterdrückten Massen zu platzieren, die ArbeiterInnenklasse bestechen, um sie ruhig zu halten. Die historische Erfahrung mit den Massenstreiks im 1. Weltkrieg und der weitgehend spontanen Massenbewegung, die zum Revolutionsversuch am 9. November 1918 geführt hat, haben den deutschen Imperialismus strategisch geprägt. Seitdem hat die herrschende Klasse in Deutschland es nie wieder gewagt, den Deal von „Brot und Spielen“, die sie den Massen im Tausch gegen eine politische Passivität und relative Loyalität mit den Machthabern gewähren, ernsthaft in Frage zu stellen.

Angesichts der Weiterentwicklung der Waffentechnologie durch Massenvernichtungswaffen und Interkontinentalraketen wie auch der extrem zugenommenen Verwundbarkeit der hoch-industrialisierten Infrastruktur (Cyberwar) ist es kaum vorstellbar, dass es dem deutschen Imperialismus wie im 2. Weltkrieg gelingen wird, den Krieg außerhalb seines Territorium zu führen und die Massen so zu schonen.

 

Wenn der deutsche Imperialismus im Vergleich mit seinen Konkurrenten also ein strategisch besonders schwacher Papiertiger ist, so hat er sowohl im November 1918 wie auch 1944/45 bewiesen, das er taktisch-operativ ein besonders eisenharter Tiger ist. Wenn selbst scheinbar totale politische und/oder militärische Niederlagen wie die Novemberrevolution oder die Kapitulation am 8. Mai ihn keine Sekunde aus der Bahn werfen, dann müssen wir daraus vor allem einen Schluss ziehen: dieser Feind kann nicht besiegt werden, er muss mit Haut und Haaren vernichtet werden.

Bis dahin wird allerdings noch viel Wasser durch den Rhein ins Meer fließen. Vorläufig bedeutsam für uns ist die Anwendung von Maos Erkenntnis, dass wir in unseren Überlegungen von der hier nur sehr grob skizzierten strategischen Schwäche des Feindes ausgehen können und müssen. Nicht seine scheinbare Unbesiegbarkeit, sondern die inneren Widersprüche, die ihm immer wieder Grenzen setzen und uns Handlungsmöglichkeiten verschaffen, sind Richtschnur für uns. Dadurch entsteht jene strategische Situation, die mit dem Begriff asymetrischer Krieg beschrieben wird. In ihr kann die revolutionäre Seite, obwohl sie insbesondere anfangs unendlich schwächer ist, letztlich gewinnen, weil der Feind seine (militärische) Überlegenheit nicht voll ins Feld führen kann.

21. Überwachung und Spielräume – warum und wie wir in hochüberwachten Räumen handlungsfähig bleiben

Wir gewinnen im asymetrischen Krieg, weil wir widerstehen (was letztlich bedeutet zu überleben) und in einer langen Auseinandersetzung Kraft anhäufen. Kraft gewinnen wir aber vor allem aus einer Ressource – den proletarischen Massen, in denen wir uns immer tiefer verankern und mit denen wir zu einer untrennbaren Einheit verschmelzen müssen.

Dabei hilft uns ganz entscheidend die totale Überwachung. Das klingt jetzt paradox und tatsächlich sind auch wir als revolutionäre Linke von der bürgerlichen Ideologie des totalen Überwachungsstaats, der a la George Orwells Klassiker ‚1984‘ jeden Widerstand verunmöglichen soll, stärker beeinflusst als wir uns im Allgemeinen bewusst machen.

Man mag es eine Ironie der Geschichte nennen, wir sprechen dagegen eher von der objektiven Dialektik, aber die totale Überwachung des politischen Raums, in dem sich Widerstand entfalten kann, bedeutet auch, dass alles öffentlich wird. Minimal muss durch die Überwachung öffentlich werden, dass es einen Widerstand gibt; eine Tatsache, die ohne Totalüberwachung ansonsten unterhalb eine ziemlich hohen Reizschwelle nicht öffentlich werden würde (siehe dazu die Überlegungen des Revolutionären Aufbaus Schweiz zur Frage der Militanz in hochüberwachten Räumen. In dem Artikel „Chancenlos ins Verderben?“, aufbau Nr. 77, Mai/Juni 2014, S. 8 heißt es u.a.:

„(…) Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie wir uns an die Beantwortung der Frage nach Möglichkeiten im überwachten Raum machen. (…))

Das andere ist, dass das grosse Aufgebot an einem Tag wie dem 1. Mai tendenziell wohl eher mehr als weniger Gelegenheiten bietet, um als Störfaktor des Gewaltmonopols wahrgenommen zu werden. An einem von der Gegenseite derart aufgeladenen Tag können politische Aktionen eine ganz andere Wirkung entfalten als exakt die selben Formen an einem anderen Tag. Anders gesagt: Wenn wir Militanz als bewussten Bruch mit dem Kapitalismus und explizit mit dem staatlichen Gewaltmonopol verstehen (wobei dieser Bruch weder an eine bestimmte Form noch an einen zwingenden Gesetzesbruch gebunden ist), dann bieten uns Räume mit einer hohen Präsenz des Gewaltmonopols mehr und nicht weniger Möglichkeiten, diese Position zum Ausdruck zu bringen. (…)“

(Anm.: Hervorhebung im Zitat von uns) . Zusammen mit den kapitalistischen Massenmedien und der Kommunikationsinfrastruktur des Internets entsteht so eine Erscheinung, die Karl Marx ziemlich genial im ‚Kommunistischen Manifest‘ vorausgesehen hat:

„Aber mit der Entwicklung der Industrie vermehrt sich nicht nur das Proletariat, es wird in größeren Massen zusammengedrängt, seine Kraft wächst, und es fühlt sie mehr. Die Interessen, die Lebenslagen innerhalb des Proletariats gleichen sich immer mehr aus, indem die Maschinerie mehr und mehr die Unterschiede der Arbeit verwischt (…)

Stellenweise bricht der Kampf in Emeuten aus. Von Zeit zu Zeit siegen die Arbeiter, aber nur vorübergehend. Das eigentliche Resultat ihrer Kämpfe ist nicht der unmittelbare Erfolg, sondern die immer weiter um sich greifende Vereinigung der Arbeiter. Sie wird befördert durch die wachsenden Kommunikationsmittel, die von der großen Industrie erzeugt werden und die Arbeiter der verschiedenen Lokalitäten miteinander in Verbindung setzen. Es bedarf aber bloß der Verbindung, um die vielen Lokalkämpfe von überall gleichem Charakter zu einem nationalen, zu einem Klassenkampf zu zentralisieren. Jeder Klassenkampf ist aber ein politischer Kampf.“ (Karl Marx, Manifest der kommunistischen Partei, zitiert nach Marx/Engels Ausgewählte Werke in 6 Bänden, Dietz-Verlag 1989, Band 1, S. 425, 426)

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Wenn den Massen ihre Lage bewusst wird, fangen die Probleme für die Monopolbourgeoisie ernsthaft an. Die öffentliche Auseinandersetzung zwischen Konterrevolution und Revolution ist 1. schon mal ein guter erster Schritt im Prozess der Entwicklung von Klassenbewusstsein durch Erkenntnis der eigenen Lage und 2. wirkt dies unmittelbar auf die Kampfbedingungen zurück. Sowohl strategisch wie taktisch müssen beide kämpfenden Seiten ständig berücksichtigen, wie ihre Handlungen auf die Massen und ihr Bewusstsein wirken. Bei diesem Kampf um die Köpfe und Herzen der Massen ist die revolutionäre Seite aber strategisch immer im Vorteil.

22. Der Bedeutungsverlust der Gewaltfrage

Die „Gewaltfrage“, also die Dominanz des Militärischen im Krieg, die sich in dem bekannten Grundsatz widerspiegelt, wonach im Krieg die Zahl alles entscheidet, verliert im asymetrischen totalen Krieg in strategischer Sicht relativ an Gewicht (Zu unterscheiden davon ist die taktische Ebene, die in dem Vorschlag für einen zukünftigen Aktionskonsens der politischen Widerstandsbewegung für den Kampf auf der Straße in dem Text „Ob friedlich oder militant – gemeinsam und koordiniert organisieren wir den Widerstand!“ behandelt wird.). Dies wird unter dem Schlagwort ‚hybride Kriegsführung‘ (Siehe dazu oben Abschnitt 3) schon für normale Kriege zwischen bürgerlichen Nationalstaaten diskutiert. Ebenso ist schon lange geklärt, dass für Partisanenkriege die Gewinnung der Unterstützung der Massen und damit ein nicht-militärisches Element von entscheidender Bedeutung sowohl für die strategischen Überlegungen der kämpfenden Parteien wie auch für den Ausgang des Krieges ist.

Strategisch verliert die Frage der militärischen Überlegenheit im revolutionären Klassenkrieg aufgrund des Klassenantagonismus an Bedeutung. Die auf lange Zeit und rein militärisch gesehen sogar unter Umständen zum Zeitpunkt der Revolution überlegene Seite der imperialistischen Monopolbourgeoisie kann ihre Überlegenheit nur begrenzt einsetzen. Während die Arbeiterklasse sehr gut ohne Bourgeoisie leben kann (nämlich im Sozialismus), geht das umgekehrt nicht. Es gibt keinen Kapitalismus ohne ArbeiterInnenklasse – und das führt dann militärisch dazu, dass die Bourgeoisie eben keine Atombombe auf das aufständische Berlin werfen kann, sondern gezwungen sein wird, sich auf eine städtische Kriegsführung unter Bedingungen des 21. Jahrhundert einzulassen. Eine solche urban warfare im Rahmen des Klassenkampfes ist aber zugleich eine hybride Kriegsführung, bei der nicht-militärische Elemente wie z.B. eine strategische Kommunikation zur Beeinflussung des Gegners wie der umkämpften Massen eine relativ größere Rolle gegenüber dem rein Militärischen erlangen, als dies in klassischen Kriegen der Vergangenheit der Fall gewesen ist.

23. Die ideologische Einkreisung durchbrechen und die Massen direkt erreichen

Wenn wir also strategisch ziemlich viele Trümpfe in der Hand haben und deshalb den revolutionären Klassenkrieg im 21. Jahrhundert gewinnen werden und in der gesellschaftlichen Entwicklung zum Sozialismus übergehen können, so ist das zwar wissenschaftlich korrekt, wird aber trotzdem niemand dazu bewegen, jetzt anzufangen zu kämpfen.

Damit sind wir wieder bei Maos Papiertiger, der erstmal ein eisenharter Tiger mit großer Kraft und der Bereitschaft zu unbegrenzter Brutalität ist. Weil das so ist, scheint es zunächst absolut logisch zu sein, dass es verrückt wäre, dieses Monster herauszufordern und einen Kampf zu beginnen, den man auf den ersten Blick, d.h. bei Betrachtung der aktuellen Kräfteverhältnisse nur verlieren kann.

Aber das ist eben das besondere an asymetrischen Kriegen, dass in ihnen nicht die Kräfteverhältnisse am Beginn ausschlaggebend sind. Es hat keine einzige erfolgreiche revolutionäre Partei und Aufstandsbewegung gegeben, die anfangs nicht sehr viel schwächer als die Herrschenden gewesen wäre.

Was notwendig ist, ist also die Bereitschaft der anfangs wenigen Revolutionäre, die ideologische Einkreisung zu durchbrechen und voran zu schreiten. Das erfordert ein hohes Klassenbewusstsein, einen entwickelten revolutionären Willen und ein Maß an Selbstaufopferung, wie es nur von einer freiwilligen Avantgarde aufgebracht werden wird, die verinnerlicht hat, wofür sie lebt, kämpft und stirbt. Nach dem Suruç-Massaker hat eine Genossin in Istanbul es so formuliert: Es hat noch keine revolutionäre Bewegung gegeben, deren Weg nicht am Gefängnis, dem Krankenhaus und dem Friedhof vorbei geführt hätte.

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Die revolutionäre Avantgarde, die ihren Weg im Herzen der Bestie gehen wird, ist die eine Sache. Die andere Seite sind die Massen, die gewonnen werden müssen. Das wird uns aber nur gelingen, wenn wir in der Praxis beweisen, dass wir 1. machen was wir sagen und dabei 2. einen Weg zum Erfolg aufzeigen oder wenigstens einen vernünftigen Plan für den kommenden Kampf besitzen.

Die G7-Gipfelproteste haben auf taktisch-operativer Ebene genau das beinhaltet. Wir haben in der Unterzahl auch mit einzelnen offensiven Akzenten gekämpft und damit unter gegebenen Kräfteverhältnissen das getan, was wir vorher gesagt haben. Wir hatten einen vernünftigen Aktionsplan und waren – einigermaßen – gut organisiert. Deshalb und nur deshalb haben wir im Ergebnis einen Achtungserfolg erzielen können.

Die Übertragung dieser Erfahrung von der taktisch-operativen auf die strategische Ebene wird ein Schlüsselelement für die kommende Etappe im revolutionären Klassenkrieg sein, bei der es darum gehen muss, die Elemente der revolutionären Strategie für das imperialistische Zentrum Deutschland und (Kern)Europa zu entwickeln und organisatorisch-praktisch die ersten Schritte zu gehen.

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