Erklärung zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen

Die Wahl des FDP Politikers Kemmerich hat die bundesdeutsche politische Landschaft in Schockstarre versetzt. Die Wahl eines „Demokraten“ durch die „AfD“? Für viele unglaublich.

In den bürgerlichen Parteien sehen wir massive Konflikte als Ergebnis. Unter großen Teilen der bürgerlich-demokratisch oder antifaschistisch gesinnten Menschen herrscht Entsetzen. Schnell waren historische Vergleiche mit dem ersten NSDAP Politiker, der vor 90 Jahren ebenfalls in Thüringen ins Ministeramt gewählt wurde, bei der Hand.

Am Tag der Wahl protestierten in Deutschland knapp 10.000 Menschen. Es ist natürlich erfreulich, dass das Bündnis von selbst ernannten „Demokraten“ mit dem offenen Faschismus in Gestalt der Thüringer AfD unter Björn Höcke noch eine verhältnismäßig starke Reaktion hervorruft und zu Protesten führt.

Andererseits offenbart es leider bis tief in die antifaschistische Bewegung hinein verbreitete falsche Vorstellungen von den anderen bürgerlichen Parteien und dem Parlamentarismus allgemein. Am „Pakt mit dem Faschismus“ ist eigentlich kaum etwas überraschend oder schockierend. Ganz im Gegenteil: Dieser Schritt hat sich über Jahre angekündigt und wurde durch gezielte Vorstöße bürgerlicher PolitikerInnen vom Schlage eines Maaßen, Gauck oder Friedrich Merz vorbereitet.

Es war weder der erste Schritt einer solchen Annäherung verschiedener bürgerlicher Parteien an die faschistische AfD noch wird es der letzte sein. Wir können fest davon ausgehen, dass auf den ersten von der AfD gewählten Ministerpräsidenten, so kurzlebig sein Amt scheinbar war, die erste Regierungsbeteiligung der AfD folgen wird.

Dem liegt nicht nur und nicht hauptsächlich die unzweifelhaft ausgeprägte Machtgier der bürgerlichen PolitikerInnen zugrunde, die „lieber mit der AfD regieren, als gar nicht zu regieren“. Es basiert vor allem auf den größer werdenden Schnittmengen aller anderen bürgerlicher Parteien mit der AfD. Schon als Oppositionspartei, flankiert von faschistischen Massenbewegungen wie Pegida oder Hogesa hat die AfD viel erreicht. Einige ihrer politischen Forderungen werden von allen anderen Parteien in der Regierung umgesetzt, bis hin zu den Grünen. Hier sind der Ausbau der Polizei, verschärfte Überwachung und eine verschärfte Asylpolitik nur einige Punkte, die zu nennen wären.

Knapp gesagt: Die Wahl Kemmerichs‘ durch die CDU und FDP ist wenig überraschend, weil CDU und FDP keine wesentlich andere Politik als die AfD machen. In Thüringen konkret haben sie sogar mit sehr ähnlichen Forderungen Wahlkampf gemacht.

Einerseits wird also der rückschrittliche Charakter anderer Parteien im Vergleich zur AfD unterschätzt. Andererseits wird die Bedeutung dieses „Manövers“ durch AfD, CDU und FDP massiv überschätzt.

Die Wahl Kemmerichs‘ bedeutet nicht die Einführung des Faschismus. Selbst wenn er im Amt geblieben wäre und selbst wenn er mit der AfD eine waschechte stabile Koalition gebildet hätte, würde es das nicht bedeuten. Ebenso wie andere bürgerliche Parteien ist auch die AfD in der Lage, Regierungen mit bürgerlich-demokratischem Charakter und Regierungen mit faschistischem Charakter zu bilden.

Was davon zutrifft, hängt nicht von einer Wahl oder von der Schärfe der reaktionären Demagogie der Parteivorsitzenden ab. Die Frage Faschismus oder bürgerliche Demokratie, ist die Frage der staatlichen Organisationsform. Wetteifern verschiedene politische Konzepte im Rahmen der bürgerlichen Demokratie darum, welches die Interessen der Kapitalisten zu einem gegebenen Zeitpunkt am besten zum Ausdruck bringt oder werden diese Widersprüche durch die Zentralisierung der Macht ausgeschaltet? Herrschen integrative oder gewaltsame Formen der Repression vor? Wie groß sind demokratische, legale Handlungsspielräume der politischen Widerstandsbewegung?

Hier gibt es nicht nur schwarz und weiß. Die PolitikerInnen aller bürgerlichen Parteien arbeiten auf eine Verschärfung der Repression hin und die AfD treibt dies mit ihrer Propaganda stark voran. Dies ist Ausdruck der verschärften Widersprüche im imperialistischen Weltsystem und in Deutschland. Es ist sozusagen die Vorbereitung der Herrschenden auf Krieg – mit imperialistischen Konkurrenten und mit uns, ihrem Klassenfeind.

Aber gerade weil es nicht nur schwarz und weiß in dieser Frage gibt, kann der Faschismus nicht über Nacht durch eine Wahl eingeführt werden, schon gar nicht in einem einzigen Bundesland.

Es gilt also für uns, nicht in Panik zu verfallen, aber die Wahl Kemmerichs‘ als Ausdruck der wachsenden Macht und des wachsenden Einflusses der offen faschistischen Kraft AfD zu verstehen. Es gilt, den Kampf gegen den Faschismus aufzunehmen, zu verstärken und den antifaschistischen Selbstschutz aufzubauen. Aber nicht im Schlepptau der pikierten rot-rot-grünen Koalition in Thüringen, sondern auf einem eigenen Standpunkt, dem Standpunkt unserer Klasse. Ihre Interessen kompromisslos zu verteidigen gegen faschistische und bürgerlich-demokratische Kräfte ist unsere Pflicht und unser wichtigstes Mittel im Kampf gegen den Faschismus.