Einleitung
Nachdem wir die Grundzüge des Kapitalismus in der ersten Kapitalismus-Schulung kennen gelernt und uns danach schon einmal mit dem Imperialismus, dem höchsten Stadium des Kapitalismus beschäftigt haben, wollen wir uns nun noch einmal, und diesmal etwas vertieft, der politischen Ökonomie des Kapitalismus zuwenden.
Im heutigen Kapitalismus finden wir auf der ökonomischen Ebene eine Vielzahl von Erscheinungen vor, die wir verstehen und politisch einordnen müssen. Dazu gehören z.B. das Verhältnis zwischen den verschiedenen „Zweigen“ des Kapitals (Industrie-, Handels- und Bankkapital); die Finanzsphäre, in der sich immer mehr Kapital ansammelt, darunter die Aktienmärkte, sowie viele weitere Punkte. Es ist nicht ausreichend, nur die Grundlagen der Warenproduktion und der kapitalistischen Ausbeutung von Lohnarbeit zu kennen, um diese Erscheinungen zu verstehen. Stattdessen ist es notwendig, neben dem Produktionsprozess des Kapitals auch dessen Zirkulationsprozess sowie den Gesamtprozess der kapitalistischen Produktion und Reproduktion in ihren wichtigsten Zügen zu kennen. Dies umfasst die Inhalte aus dem zweiten und dritten Band des „Kapitals“ von Karl Marx.
Die vorliegende Schulung soll die „Lücke“ zwischen den Grundzügen des Kapitalismus und der Vielzahl von Erscheinungen der modernen kapitalistischen Welt ein Stück weit schließen. Sie dient damit auch dazu, den Imperialismus besser zu verstehen, den wir bereits kennen gelernt haben.
Rufen wir uns also zunächst ins Gedächtnis, was wir bereits über den Kapitalismus wissen. In der Schulung „Kapitalismus I“ haben wir die folgenden Fragen betrachtet:
Was ist eine Ware? Wodurch zeichnet sich die Warenproduktion aus?
Was ist der Wert einer Ware und wodurch wird er bestimmt? Was ist das Wertgesetz?
Was ist das kennzeichnende Merkmal des Kapitalismus im Vergleich zur Warenproduktion?
Was ist der Mehrwert und wie entsteht er?
Was ist Kapital?
Was verstehen wir unter konstantem und variablem Kapital?
Was verstehen wir unter der Mehrwertrate, unter absolutem und relativem Mehrwert?
Wodurch bestimmt sich der Arbeitslohn im Kapitalismus, und warum ist dies verschleiert?
Welche sind die Minimal- und Maximalgrenze des Arbeitslohns im Kapitalismus? Was ist der Unterschied zwischen Nominal- und Reallohn und warum sinkt dieser?
Was verstehen wir unter der Akkumulation von Kapital?
Was verstehen wir unter der organischen Zusammensetzung von Kapital?
Warum produziert der Kapitalismus gesetzmäßig Arbeitslosigkeit?
Worin besteht die Verelendung des Proletariats im Kapitalismus?
Was ist der Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktionsweise?
Wodurch entstehen die Wirtschaftskrisen im Kapitalismus?
Nachdem wir uns diese Grundzüge des Kapitalismus noch einmal vor Augen geführt haben, wollen wir uns nun den weiter gehenden Erscheinungen zuwenden.
Das industrielle Kapital und dessen Umschlag
Die Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise ist die industrielle Produktion von Waren. Wir haben in der ersten Schulung zum Kapitalismus gesehen, dass dieser die höchste Stufe der Warenproduktion bildet, in der auch die Arbeitskraft zur Ware geworden ist. Die Ausbeutung von Lohnarbeit ist der Kern des Kapitalverhältnisses: Kapital ist Wert, der, auf dem Wege der Ausbeutung von Lohnarbeit, Mehrwert einbringt. Die Erzeugung von Mehrwert durch Ausbeutung von Lohnarbeit geschieht in der Produktion. Das industrielle Kapital ist deshalb die grundlegendste Form des Kapitals und die erste, die wir genauer betrachten wollen. Später werden wir sehen, dass es im Kapitalismus neben dem industriellen Kapital noch das Handels- und Bankkapital gibt, und wie diese Formen des Kapitals im Verhältnis zueinander stehen.
Unter industriellem Kapital wird jedes Kapital verstanden, das zur Produktion von Waren angewendet wird – unabhängig davon, ob es sich um Kapital in der Industrie (im engeren Sinne) oder z.B. in der Landwirtschaft handelt. Das industrielle Kapital zeichnet sich dadurch aus, dass es eine kreislaufförmige Bewegung durchläuft, in der es nacheinander drei Formen annimmt – nämlich: Geldkapital – produktives Kapital – Warenkapital.
Was ist darunter zu verstehen? Im ersten Stadium der Bewegung des industriellen Kapitals kaufen die Kapitalist:innen von ihrem Geld alles, was für den Produktionsprozess notwendig ist, nämlich erstens Produktionsmittel und zweitens Arbeitskraft. Beide zusammen bilden das produktive Kapital. Dieser Akt findet innerhalb der Warenzirkulation, d.h. dem durch Geld vermittelten Warenaustausch, statt. Es werden gleiche Werte gegeneinander getauscht (wir sehen hier von möglichen Preisschwankungen ab) – Beispiel: Ein Unternehmen, das Schuhe produziert, kauft für einen Monat Rohmaterialien (Leder usw.) für 10.000 Dollar ein, und bezahlt seinen Arbeiter:innen in diesem Monat insgesamt ebenfalls 10.000 Dollar (zur Vereinfachung lassen wir den Einkauf und Verschleiß von Werkzeugen und Maschinen hier außer Acht). Auf diese Weise hat es sein Geldkapital (G) gegen Produktionsmittel (Pm) und Arbeitskraft (A) eingetauscht.
Danach, im zweiten Stadium der Bewegung, findet der Produktionsprozess statt, in dem die Arbeiter:innen ihre Arbeitskraft verausgaben, um mit den Produktionsmitteln Waren herzustellen – in unserem Beispiel stellen die Arbeiter:innen aus den Rohmaterialien Schuhe her. Hier zirkulieren keine Waren, d.h. der Zirkulationsprozess der Waren ist hier unterbrochen. Die von den Kapitalist:innen gekauften Waren werden stattdessen produktiv verbraucht. Das bedeutet: Am Ende des Produktionsprozesses hat sich das produktive Kapital in Warenkapital verwandelt. Es handelt sich dabei aber erstens nicht mehr um dieselben Waren, die die Kapitalist:innen ursprünglich gekauft haben: In unserem Beispiel haben sich Rohmaterialien und Arbeitskraft durch den Arbeitsprozess in Schuhe “verwandelt”. Zweitens haben die Waren nun einen höheren Wert, weil in ihnen der von den Arbeiter:innen produzierte Mehrwert enthalten ist: Bei einer angenommenen Mehrwertrate (Verhältnis zwischen Mehrwert und variablem Kapital) von 100 % haben die Arbeiter:innen in einem Monat 10.000 Dollar Mehrwert geschaffen, und die produzierten Schuhe sind 10.000 Dollar (konstantes Kapital) + 10.000 Dollar (variables Kapital) + 10.000 Dollar (Mehrwert) = 30.000 Dollar wert.
Im dritten Stadium der Bewegung des industriellen Kapitals verkaufen die Kapitalist:innen das Warenkapital auf dem Markt und erhalten dafür eine bestimmte Geldsumme – und zwar eine höhere Geldsumme als die, für die sie am Anfang das produktive Kapital erworben haben: Die Schuhfabrik hatte zu Beginn des Monats 20.000 Dollar für Produktionsmittel und Arbeitskraft ausgegeben, jetzt erhält sie 30.000 Dollar für die Schuhe zurück. Dieser Akt findet wieder im Rahmen der Warenzirkulation statt.
Der Gesamtkreislauf des industriellen Kapitals kann also wie folgt dargestellt werden:
G bezeichnet hier das Geld, W die Waren, die sich wiederum in Arbeitskraft (A) und Produktionsmittel (Pm) aufspalten, und im Produktionsprozess (P) verbraucht werden. Die drei Punkte (…) vor und nach P drücken in dieser Darstellung jeweils aus, dass der Zirkulationsprozess hier unterbrochen ist.
Das ist deshalb wichtig zu betonen, weil nur hier, im Produktionsprozess, Wert und Mehrwert geschaffen werden, während im Zirkulationsprozess nur gleiche Werte gegeneinander getauscht werden. Das bedeutet anschaulich: Die Arbeitskräfte, die ein kapitalistisches Unternehmen für die Tätigkeiten rund um den Ein- und Verkauf von Waren beschäftigt, also für die Schritte „G – W“ und „W‘ – G‘“, die die Ware materiell also nicht verändern, sondern nur deren ideelle Form als Kapital, fügen der Ware keinen Neuwert hinzu, sie schaffen keinen Mehrwert! Gleichwohl sind sie unerlässlich dafür, dass das Unternehmen sein Kapital verwerten, die Produktion aufrechterhalten und seinen Mehrwert schließlich auf dem Markt realisieren kann. Diese Erkenntnis wird später für das Verständnis des Handels- und Bankkapitals noch sehr wichtig werden. Das produktive Stadium der Kapitalbewegung ist das kennzeichnende Merkmal für das industrielle Kapital: „Das industrielle Kapital ist die einzige Daseinsweise des Kapitals, worin nicht nur Aneignung von Mehrwert, resp. Mehrprodukt, sondern zugleich dessen Schöpfung Funktion des Kapitals ist. Es bedingt daher den kapitalistischen Charakter der Produktion; sein Dasein schließt das des Klassengegensatzes von Kapitalisten und Lohnarbeitern ein.“ 1
Der Kreislauf des Kapitals beschreibt die ständige Verwandlung des Kapitals aus der einen Form in die andere. Jedes Kapital vollzieht und wiederholt unaufhörlich den Kreislauf Geldkapital – produktives Kapital – Warenkapital. Das gesellschaftliche Gesamtkapital, sowie jedes Einzelkapital (also z.B. das Gesamtkapital eines Unternehmens) besteht dabei immer gleichzeitig in allen drei Formen, die sich ständig aufs Neue ineinander verwandeln. Das Kapital kann daher nur als Bewegung verstanden werden, nicht als etwas Ruhendes.
Betrachten wir den Kreislauf des Kapitals nicht als einmaligen Vorgang, sondern als sich ständig wiederholenden, periodischen Prozess, so bezeichnen wir ihn als Umschlag des Kapitals. Die Umschlagszeit bezeichnet den Zeitabschnitt, den das Kapital benötigt, um aus einer gegebenen Form in dieselbe Form zurückzukehren, wobei es dabei um die Höhe des Mehrwerts gewachsen ist (die Umschlagszeit bezeichnet also z.B. den Zeitabschnitt für die Bewegung G – … – G‘). Die Umschlagszeit setzt sich zusammen aus der Produktionszeit, d.h. der Dauer des Aufenthalts des Kapitals in der Produktionssphäre und insbesondere der Arbeitsperiode (die sich von Branche zu Branche sehr stark unterscheidet), sowie der Umlaufzeit: Letztere ist die Zeit, die ein Kapital braucht, um sich aus der Geldform in die produktive Form und aus der Warenform in die Geldform zu verwandeln. Sie hängt ab von den Bedingungen für den Einkauf der Produktionsmittel und den Verkauf der fertigen Waren, von Transportbedingungen u.v.m.
In unserem obigen Beispiel mit der Schuhfabrik hatten wir unter Produktionsmitteln zur Vereinfachung nur die Rohmaterialien betrachtet, die in einer Produktionsperiode, z.B. im Verlauf eines Monats, vollständig verbraucht werden. Daneben gibt es natürlich noch die Produktionsmittel, wie z.B. Werkzeuge und Maschinen, die nicht auf einmal verbraucht, sondern während vieler Produktionsperioden genutzt werden. Die verschiedenen Teile des produktiven Kapitals lassen sich daher qualitativ nach ihrer Umschlagszeit unterscheiden, d.h. danach, auf welche Weise sie ihren Wert im Produktionsprozess auf das Produkt übertragen:
Das fixe Kapital nimmt als Ganzes an der Produktion teil, überträgt seinen Wert dabei aber nur stückweise, während vieler Produktionsperioden, auf das Produkt. Es handelt sich dabei um jenen Kapitalteil, der für Gebäude, Maschinen, Einrichtungsgegenstände usw. verausgabt wurde. Kapital ist in diesen Anlagen für einen längeren Zeitraum „fest gebunden“ bzw. „fixiert“. Die Anlagen nutzen sich Jahr für Jahr in einem bestimmten Maße ab – hierbei spricht man vom „physischen Verschleiß“. Daneben gibt es den moralischen Verschleiß, dem die Maschinen, Anlagen usw. unterworfen sind, wenn sie noch während ihrer Umschlagszeit veralten und an Wert verlieren (auch wenn sie technisch vielleicht noch viele Jahre funktionsfähig sind). Wegen des moralischen Verschleißes sind die Kapitalist:innen daran interessiert, die Umschlagszeit des fixen Kapitals möglichst zu verkürzen, was sie dadurch bewerkstelligen, dass sie die Maschinen nach Möglichkeit sieben Tage die Woche für 24 Stunden laufen lassen und ihre Lohnarbeiter:innen zwingen, auch nachts und an den Wochenenden zu arbeiten.
Wir werden weiter unten sehen, dass die Umschlagszeit des fixen Kapitals die Grundlage für die Dauer des Krisenzyklus im Kapitalismus bildet.
Im Gegensatz zum fixen Kapital ist das zirkulierende Kapital der Teil des produktiven Kapitals, dessen Wert innerhalb einer Produktionsperiode vollständig auf die Ware übergeht und beim Verkauf der Ware wieder vollständig (plus Mehrwert) in Geldform zu den Kapitalist:innen zurückkehrt. Hierzu zählt der Teil des Kapitals, der für den Kauf von Arbeitskraft verwendet wurde, ebenso wie Rohstoffe, Brennstoffe usw. In der Zeit, in der das fixe Kapital einmal umschlägt, schlägt das zirkulierende Kapital viele Male um.
Betrachten wir den Mehrwert, den ein Kapital pro Jahr aus seinen Arbeiter:innen „herausholt“, so sehen wir, dass bei einer gegebenen Größe des variablen Kapitals der Jahresmehrwert erhöht wird, wenn es den Kapitalist:innen gelingt, die Umschlagszeit des Kapitals zu verkürzen.
Ein Rechenbeispiel dazu: Zwei kapitalistische Unternehmen verfügen über ein variables Kapital von jeweils 10.000 Dollar und lassen bei einer Mehrwertrate von 100 Prozent produzieren, d.h. erzielen pro Kapitalumschlag 10.000 Dollar Mehrwert. Wenn das erste Kapital zweimal im Jahr umschlägt, das zweite jedoch nur einmal, erwirtschaftet das erste Unternehmen doppelt so viel Mehrwert pro Jahr wie das zweite, d.h. 20.000 Dollar.
Ein beschleunigter Kapitalumschlag bedeutet also für ein kapitalistisches Unternehmen, dass es mit demselben Kapital in einer gegebenen Zeit mehr Mehrwert erzielen kann. Wir sprechen von einer höheren Jahresrate des Mehrwerts. Die Kapitalist:innen sind unter dem Druck der Konkurrenz also bestrebt, sowohl die Produktionszeit als auch die Umlaufzeit des Kapitals zu verkürzen.
Durchschnittsprofit und tendenzieller Fall der Profitrate
Kostpreis, Profit und Profitrate
Der Wert einer kapitalistisch produzierten Ware setzt sich aus drei Teilen zusammen:
dem Wert des konstanten Kapitals (Wert der Rohstoffe und Hilfsstoffe plus Teilwert der Maschinen, Anlagen usw.) (c)
dem Wert des variablen Kapitals (v)
dem Mehrwert. (m)
Der Mehrwert ist die Quelle für das Einkommen aller Ausbeuter:innenklassen in der kapitalistischen Gesellschaft. Stellt man sich auf den Standpunkt der Gesellschaft, und fragt sich, wie viel Aufwand für die Produktion einer Ware, d.h. eines bestimmten Gebrauchswerts, vonnöten ist, so ist das Maß für diesen Aufwand die Arbeit: Nämlich die Arbeit, die im gesellschaftlichen Durchschnitt zur Herstellung des Produkts notwendig ist. Diese erscheint im Wert der Ware: c + v + m.
Vom Standpunkt der Kapitalist:innen sieht die Sache jedoch anders aus: Für sie bemessen sich die Aufwendungen für die Produktion einer Ware in dem Kapital, das sie dafür vorschießen, nämlich der Summe aus konstantem und variablem Kapital (c + v). Diese Summe wird auch als kapitalistischer Kostpreis bezeichnet. Der Mehrwert erscheint den Kapitalist:innen als Überschuss über den Kostpreis, als Profit. Es hat für die Kapitalist:innen den Anschein, als sei der Profit der Ertrag ihres Kapitals. Dabei verbirgt sich dahinter in Wahrheit der Teil des Produkts des Arbeitstages der Arbeiter:innen, den sich die Kapitalist:innen unentgeltlich aneignen. Vom Standpunkt der Kapitalist:innen ist damit auch der Unterschied zwischen konstantem und variablem Kapital verwischt.
Als Profitrate bezeichnet man das Verhältnis des Mehrwerts zum vorgeschossenen variablen und konstanten Kapital (v+c).
Die Profitrate ist das Maß dafür, wie gut sich ein kapitalistisches Unternehmen rentiert. Sie ist kleiner als die Mehrwertrate, die den Mehrwert nur ins Verhältnis zum vorgeschossenen variablen Kapital (v) setzt. Die Profitrate hängt von mehreren Größen ab:
der Mehrwertrate (je höher sie ist, desto höher ist auch die Profitrate)
der organischen Zusammensetzung des Kapitals (je größer bei fester Mehrwertrate der variable Kapitalteil v im Vergleich zum konstanten Kapitalteil c ist, desto größer ist die Profitrate)
der Umschlagsgeschwindigkeit des Kapitals (je kürzer sie ist, desto höher ist die Jahresprofitrate).
Die beiden Arten der kapitalistischen Konkurrenz
Die Verteilung des Kapitals auf die verschiedenen Produktionszweige und die Entwicklung der Technik verlaufen im Kapitalismus in Form des Konkurrenzkampfes. Hierbei müssen zwei verschiedene Arten der Konkurrenz unterschieden werden:
Es gibt die Konkurrenz innerhalb eines Produktionszweigs: Die Betriebe einer Branche, die die gleichen Waren produzieren, konkurrieren darum, diese möglichst vorteilhaft zu verkaufen. Verschiedene Betriebe produzieren dabei immer unter ungleichen Voraussetzungen hinsichtlich ihrer Produktionstechnik, der Arbeitsorganisation u.v.m. Das bedeutet: Der individuelle Wert der Waren verschiedener Unternehmen unterscheidet sich. Die Konkurrenz zwischen ihnen führt dazu, dass die Preise der Waren nicht durch die individuellen Werte, sondern durch den gesellschaftlichen Wert bestimmt werden, der Ausdruck der im gesellschaftlichen Durchschnitt notwendigen Arbeitszeit zur Produktion der jeweiligen Ware ist. Dadurch erhalten diejenigen Unternehmen einen Vorteil, welche über die bessere Produktionstechnik und eine höhere Arbeitsproduktivität verfügen und die Waren deshalb günstiger produzieren können, deren Waren also einen niedrigeren individuellen Wert als den gesellschaftlichen Wert haben. Diese Unternehmen erzielen einen Extraprofit. In der Konsequenz bewirkt die Konkurrenz innerhalb der Produktionszweige im Kapitalismus, dass alle Unternehmen hinsichtlich ihrer Produktionstechnik zu den fortgeschrittensten Unternehmen aufschließen müssen, oder eben untergehen. Dies führt dazu, dass die organische Zusammensetzung des Kapitals im Verlauf der Entwicklung wächst, und dass kleine und mittlere Unternehmen, die nicht so günstig produzieren können wie große Unternehmen, mehr und mehr vom Markt verdrängt werden.
Daneben gibt es die Konkurrenz zwischen den Produktionszweigen: Kapitale verschiedener Branchen konkurrieren um die gewinnbringendste Kapitalanlage. Kapitale, die in verschiedenen Produktionszweigen angelegt sind, haben eine ungleiche organische Zusammensetzung. Da der Mehrwert aber nur aus der Arbeit der Lohnarbeiter:innen, also aus dem variablen Kapitalteil entspringt, ist bei gleichbleibender Mehrwertrate in den Produktionszweigen die Profitrate höher, in denen die organische Zusammensetzung (das Verhältnis des konstanten zum variablen Kapitals) niedriger ist. Konkret gesagt: In Produktionszweigen mit sehr hoch entwickelter, teurer Produktionstechnik, z.B. in der Schwerindustrie oder in der Autoindustrie, ist die organische Zusammensetzung höher und damit der Mehrwert pro vorgeschossenem Kapital geringer. Der Konkurrenzkampf zwischen den Kapitalist:innen verschiedener Zweige führt jedoch dazu, dass sich die Höhe des Profits auf gleiche Kapitale ausgleicht, dass sich die Profitraten verschiedener Zweige zu einer Durchschnittsprofitrate ausgleichen.
Dies können wir uns an einem Rechenbeispiel klarmachen: Es gebe in der Gesellschaft drei Produktionszweige, nämlich Textilindustrie, Automobilindustrie und Elektronikindustrie. Die Kapitale in den drei Zweigen haben dieselbe Größe von 100 Millionen Dollar, aber verschiedene organische Zusammensetzung. Das Kapital in der Textilindustrie bestehe zu 70 Prozent aus konstantem und zu 30 Prozent aus variablem Kapital, in der Autoindustrie sei das Verhältnis 80/20 und in der Elektronikindustrie 90/10. Die Mehrwertrate sei in allen Zweigen 100 Prozent. Das bedeutet, in der Textilindustrie würden 30 Millionen Dollar Mehrwert, in der Autoindustrie 20 Millionen Dollar und in der Elektronikindustrie 10 Millionen Dollar produziert (die Profitrate wäre also 30, 20 bzw. 10 Prozent).
Das Kapital verwertet sich also profitabler in der Textilindustrie und deutlich weniger profitabel in der Auto- und Elektronikindustrie. Was wird also passieren? Kapitalist:innen aus der Auto- und Elektronikindustrie werden auf der Suche nach besseren Anlagemöglichkeiten ihr Kapital in der Textilindustrie anlegen. Kapital strömt also aus den weniger profitablen Produktionszweigen in diesen Zweig. Die Warenmenge in der Textilindustrie wird daher wachsen, die Konkurrenz verschärft sich, und die Unternehmen dieser Branche werden gezwungen, ihre Preise herabzusetzen. Umgekehrt verhält es sich in der Elektronikindustrie. Durch den Abzug von Kapital wird die produzierte Warenmenge in diesem Zweig absinken, und damit können die Unternehmen in dieser Branche die Preise erhöhen.
Das Fallen der Preise in der Textilindustrie und das Steigen der Preise in den anderen beiden Produktionszweigen wird sich so lange fortsetzen, bis sich die Profitraten in allen drei Zweigen annähernd ausgeglichen haben (d.h. wenn die Waren in jedem Zweig zum Gesamtpreis von 120 Millionen Dollar verkauft werden). Der Durchschnittsprofit läge in diesem Beispiel bei 20 Millionen Dollar bzw. die Durchschnittsprofitrate bei 20 Prozent.
Die Bildung der Durchschnittsprofitrate durch die Konkurrenz zwischen den Produktionszweigen bedeutet, dass die Kapitalist:innen der Produktionszweige mit niedriger organischer Zusammensetzung einen Teil des von ihren Arbeiter:innen produzierten Mehrwerts über den dargestellten Mechanismus der Preisbildung faktisch abgeben, während sich die Kapitalist:innen der Zweige mit höherer organischer Zusammensetzung über denselben Mechanismus zusätzlichen Mehrwert aus anderen Zweigen aneignen. Die ersten verkaufen ihre Waren also zu Preisen unter ihrem Wert, die letzteren zu Preisen über ihrem Wert. Infolgedessen werden die Waren im Kapitalismus nicht exakt zu ihrem Wert, sondern zu ihrem sogenannten Produktionspreis – dem kapitalistischem Kostpreis (c + v) plus dem Durchschnittsprofit – verkauft. Das Wertgesetz bleibt damit in modifizierter Form in Kraft, denn der Produktionspreis ist nur eine verwandelte Form des Wertes. Er ist die Durchschnittsgröße, um die letzten Endes die Marktpreise der Waren schwanken.
Das Gesetz der Durchschnittsprofitrate besagt also, dass Kapital auf der Suche nach möglichst profitabler Anlage zwischen den Produktionszweigen hin und her strömt, dass es insbesondere aus Zweigen mit hoher organischer Zusammensetzung in Zweige mit niedriger organischer Zusammensetzung fließt, und dass sich die Profitraten zwischen den Zweigen aufgrund dieser Kapitalbewegungen zur Durchschnittsprofitrate ausgleichen. Dies geschieht jedoch nicht planmäßig und glatt, sondern anarchisch und führt immer wieder zur Bildung von Ungleichgewichten zwischen den Produktionszweigen. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass sich die organische Zusammensetzung zwischen den Produktionszweigen aufgrund der technischen Entwicklung laufend verändert. Das Gesetz der Durchschnittsprofitrate bewirkt die Verteilung des Kapitals sowie des Mehrwerts auf die verschiedenen Produktionszweige und hat damit zur Folge, dass die Arbeiter:innen nicht nur von den Kapitalist:innen ausgebeutet werden, bei denen sie unmittelbar arbeiten, sondern von der gesamten Kapitalist:innenklasse.
Der tendenzielle Fall der Profitrate
Mit der Entwicklung des Kapitalismus erhöht sich ständig die organische Zusammensetzung des Kapitals. Jedes Unternehmen versucht, seine Produktionskosten zu verringern, indem es Arbeiter:innen durch Maschinen ersetzt. Dadurch vergrößert es den Absatz seiner Waren, weil es sie billiger verkaufen kann als die Konkurrenz, und das bringt ihm einen Extraprofit. Wenn jedoch die konkurrierenden Unternehmen nachziehen und dieselben technischen Errungenschaften bei sich einführen, steigt die organische Zusammensetzung des Kapitals insgesamt und führt zu einem Sinken der allgemeinen Profitrate. Wir sprechen vom tendenziellen Fall der Profitrate.
Anders gesagt: Das Mittel der kapitalistischen Unternehmen, seine Verwertungsbedingungen individuell zu verbessern (der Einsatz fortgeschrittener Technik) führt auf lange Sicht und für die Kapitalist:innenklasse als ganze zu einer Verschlechterung der Verwertungsbedingungen. Obwohl die Masse des Profits weiter steigen wird, wird der Einsatz von immer mehr Kapital erforderlich, um Profite zu erzielen. Die gewinnbringende Anlage von Kapital wird immer schwieriger.
Einschub 1: Näheres zum tendenziellen Fall d. Profitrate
Der tendenzielle Fall der Profitrate wiederum darf nicht dahingehend falsch verstanden werden, dass die Profite im Kapitalismus ständig kleiner werden. Das Gegenteil ist nämlich der Fall! Fallende Profitraten können sehr wohl mit einer ständig wachsenden Profitmasse einhergehen. Das Kapital wirkt dem Fall der Profitraten außerdem durch eine Vielzahl von Maßnahmen entgegen, sodass sich dieses Gesetz nur sehr langsam durchsetzt. Die wichtigsten dieser Maßnahmen sind:
Die Erhöhung des Ausbeutungsgrades der Arbeit (also der Mehrwertrate), z.B. durch Verlängerung des Arbeitstages oder der Arbeitswoche (was heute vielfach unter dem Namen „Flexibilisierung“ stattfindet).
Die Senkung des Lohns unter den Wert der Arbeitskraft.
Die Verbilligung der Maschinen – die schließlich auch ein Resultat der technischen Entwicklung ist. Billigere Maschinen wirken der Erhöhung der organischen Zusammensetzung entgegen.
Die Entstehung von neuen Produktionszweigen mit niedriger organischer Zusammensetzung, die durch das Vorhandensein der industriellen Reservearmee motiviert wird: Häufig ist es günstiger für das Kapital, einfache Arbeiten per Hand von schlecht bezahlten Lohnarbeiter:innen ausführen zu lassen, als dieselbe Produktion auf der Grundlage moderner Technik auszuführen. Dies ist ein wichtiges Grundkonzept der modernen Produktion in Form von globalen Produktionsketten, bei denen die elementaren Bauteile eines Industrieproduktes, z.B. eines Autos, in Hinterhöfen per Handarbeit hergestellt werden, und nur noch die Endmontage des Fertigprodukts auf hohem technischen Niveau erfolgt. Dieses System dient den kapitalistischen Unternehmen zur Senkung der organischen Zusammensetzung des Produktionsverbandes insgesamt, und wirkt damit dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegen. Dies ist aber auch ein Beispiel dafür, wie das Kapital den technischen Fortschritt bremst.
Die Ausnutzung des Welthandels und der unterschiedlichen Produktivitätsstufen in verschiedenen Ländern: Diese erlaubt es dem Kapital, Extraprofite aus der Ausbeutung anderer Länder zu ziehen.
Darüber hinaus gibt es noch einen ganz entscheidenden Faktor, der den tendenziellen Fall der Profitrate quasi beliebig verstärken kann – nämlich den ökonomischen Kampf der Arbeiter:innenklasse, der im Falle seines Erfolgs zu höheren Löhnen, kürzeren Arbeitszeiten und anderen Ergebnissen führen kann, welche die Ausbeutungsrate für das Kapital schmälern.
Handels- und Leihkapital
Wir haben oben den Kreislauf des industriellen Kapitals kennen gelernt. Das Kapital nimmt in diesem Kreislauf drei verschiedene Formen an: Die Geldform, die produktive Form und die Warenform, die jeweils unterschiedliche Funktionen aufweisen. Insbesondere haben wir gesehen, dass in diesem Kreislauf nur im Produktionsprozess Wert und Mehrwert geschaffen werden, während die Beschaffung von Produktionsmitteln mit Geldkapital (G – W) und der Verkauf des Warenkapitals (W – G‘) innerhalb der Zirkulationssphäre stattfinden, wo nur gleiche Werte gegeneinander getauscht werden, und kein Neuwert geschaffen wird. Das bedeutet also, dass auch die Arbeiten, die im Zuge der genannten Schritte G – W, W – G‘ anfallen, der Ware keinen neuen Wert zusetzen – hier findet bloß ein Formwechsel des Kapitals statt. Dies betrifft z.B. die Arbeit von Verkäufer:innen eines Geschäfts des Sportartikel-Industrieunternehmens Adidas: Ihre Arbeit vermittelt nur den Formwechsel W – G‘, die Verwandlung von Warenkapital in Geldkapital bzw. von Waren in Konsumtionsmittel, ohne den Waren dabei materiell noch irgendetwas hinzuzusetzen (was sie z.B. von Transportarbeiter:innen unterscheidet, die sehr wohl eine materielle Veränderung der Ware, nämlich ihren Ortswechsel vermitteln, und ohne deren Tätigkeit der Produktionsprozess nicht völlig abgeschlossen ist – hierauf werden wir weiter unten nochmal zurückkommen).
Mit der Entwicklung des Kapitalismus verselbständigen sich die genannten Formen des Kapitals: Vom industriellen Kapital sondern sich das Handelskapital der Kaufleute und das Leihkapital der Bankiers ab2, und es bilden sich drei Gruppen innerhalb der Kapitalist:innen, die an der Aneignung des Mehrwerts teilnehmen: Industriekapitalist:innen, Kaufleute und Bankiers.
Das Handelskapital und das Leihkapital fungieren in der Zirkulationssphäre, in der kein Mehrwert erzeugt wird. Es stellt sich also die Frage, woher der Profit der Handelskapitalist:innen stammt. Würden die industriellen Kapitalist:innen ihre Ware selbst verkaufen, müssten sie einen Teil ihres Kapitals zur Einrichtung von Handelsgebäuden, zur Bezahlung von Verkäufer:innen und weitere Kosten verwenden, die mit dem Handel anfallen. Das bedeutet, dass sie entweder ihr vorgeschossenes Kapital vergrößern, oder, bei gleichbleibender Höhe des vorgeschossenen Kapitals, ihre Produktion verringern müssten. In beiden Fällen verringert sich ihr Profit. Es wird daher vorteilhaft für sie, ihre Ware an spezialisierte Handelskapitalist:innen zu verkaufen, die die Ware dann weiter an die Endverbraucher:innen verkaufen. Dies ist vor allem deshalb vorteilhaft für sie, weil die industriellen Kapitalist:innen hierdurch den Umschlag ihres Kapitals beschleunigen. Sie können ihre Ware schneller verkaufen und dementsprechend schneller neu investieren. Durch die Verkürzung der Umschlagszeit erhöht sich für sie der Jahresprofit.
Im Gegenzug überlassen die industriellen Kapitalist:innen einen Teil ihres Profits den Handelskapitalist:innen. Das bedeutet, dass die industriellen Kapitalist:innen ihre Ware für einen Preis an die Handelskapitalist:innen verkaufen, der unter dem Produktionspreis liegt. Die Handelskapitalist:innen verkaufen die Ware wiederum zum Produktionspreis an die Endverbraucher:innen. Aus der Differenz ziehen sie ihren Profit. Der kommerzielle Profit ist also der Teil des (in der Produktion geschaffenen) Mehrwerts, den die industriellen Kapitalist:innen den Handelskapitalist:innen abtreten.
Anders gesagt: Die Arbeiter:innen, die für die Handelskapitalist:innen arbeiten und mit dem Ankauf und Verkauf von Waren betraut sind, schaffen selbst weder Wert noch Mehrwert. Sie verrichten also keine produktive Arbeit im kapitalistischen Sinne. Ihre Tätigkeit bewegt sich, wie oben besprochen, nur im Rahmen der Warenzirkulation. Dies ändert sich nicht dadurch, dass sich die Schritte G – W und W – G‘ im Kreislauf des industriellen Kapitals zur Tätigkeit eines eigenen kapitalistischen Zweigs, des Handelskapitals, verselbständigen: Wir haben oben bereits das Beispiel der Verkäufer:innen im Adidas-Geschäft angeführt und gesehen, dass diese bloß den Formwechsel des Kapitals, W – G‘, vermitteln, den Waren materiell nichts hinzusetzen und deshalb keinen Wert bzw. Mehrwert schaffen.
Daran ändert sich aber rein gar nichts, wenn sie dieselben Waren als Verkäufer:innen nicht direkt bei Adidas, dem Industrieunternehmen, sondern stattdessen bei Intersport, Kaufhof, oder einem anderen verselbständigten Handelsunternehmen, verkaufen.
Die Arbeit der Lohnarbeiter:innen, die für die Handelskapitalist:innen arbeiten, ist also keine produktive Arbeit im kapitalistischen Sinne. Sie ermöglicht es den Handelskapitalist:innen jedoch, sich einen Teil des in der Produktion geschaffenen Mehrwerts anzueignen: „Wie die unbezahlte Arbeit des Arbeiters dem produktiven Kapital direkt Mehrwert, schafft die unbezahlte Arbeit der kommerziellen Lohnarbeiter dem Handelskapital einen Anteil an jenem Mehrwert.“ 3
Das Niveau des kommerziellen Profits wird wie das Niveau des Profits in den Zweigen des industriellen Kapitals von der Durchschnittsprofitrate bestimmt: Ist die Rate des kommerziellen Profits niedriger als die Durchschnittsprofitrate, fließt Kapital aus dem Handelszweig in andere Zweige, z.B. in die Industrie, und umgekehrt. Wichtig ist: Die Form des kommerziellen Profits verschleiert die Quelle der Kapitalverwertung noch mehr als in der Industrie. Die Form der Bewegung des Handelskapitals ist G – W – G‘, und es scheint so, als stamme der kommerzielle Profit aus dem Handel selbst, als sei er ein Aufschlag auf den Produktionspreis. Tatsächlich ist es, wie oben beschrieben, genau umgekehrt: Die Industriellen verkaufen die Ware unter ihrem Produktionspreis an die Kaufleute, und treten ihnen einen Teil des Mehrwerts ab.
Zusätzlich zur Realisierung des in der Produktion geschaffenen Mehrwerts beutet das Handelskapital die Werktätigen als Konsument:innen noch zusätzlich aus. Um ihre Profite zu steigern, versuchen die Handelskapitalist:innen die Preise hoch zu treiben, betrügen mit Maßen und Gewichten, verkaufen minderwertige Waren u.v.m. Zudem beuten sie die kleinen Warenproduzent:innen wie Bäuer:innen und Handwerker:innen aus, indem sie ihnen ihre Waren zu niedrigen Preisen abkaufen und ihnen dafür Maschinen, Rohstoffe u.v.m. zu überhöhten Preisen verkaufen. Diese Quelle von Extraprofiten bekommt im monopolistischen Stadium des Kapitalismus eine besondere Bedeutung.
Die Kosten, die mit den Aufwendungen der kapitalistischen Warenzirkulation anfallen, werden in der politischen Ökonomie als Zirkulationskosten bezeichnet. Der größte Teil davon sind die „reinen Zirkulationskosten“, die, wie oben beschrieben, allein aufgrund der ideellen Verwandlung der einen Kapitalform in die andere, der Verwandlung von Warenkapital in Geldkapital und Geldkapital in Warenkapital entstehen: Die Bezahlung der kommerziellen Lohnarbeiter:innen, die Buchführung, die Werbung, Kosten durch Konkurrenz und Spekulation u.v.m. Diese Kosten setzen der Ware keinen Wert zu, weil diese Arbeiten der Ware materiell nichts hinzufügen. Deshalb werden sie von der gesamten in der Gesellschaft geschaffenen Wertsumme abgezogen. Die Kapitalist:innen decken diese Kosten aus dem gesamten von der Arbeiter:innenklasse produzierten Mehrwert.
Von diesen reinen Zirkulationskosten sind alle Kosten zu unterscheiden, die zwar in der Zirkulationssphäre, etwa bei Handelskapitalist:innen, anfallen, aber tatsächlich eine Fortsetzung des Produktionsprozesses sind, weil sie aus einer materiellen Veränderung der Waren entstehen: Der Produktionsprozess ist z.B. noch nicht abgeschlossen, wenn die Ware, wie z.B. ein T-Shirt, noch nicht angemessen verpackt und zu den Endverbraucher:innen transportiert worden ist (denken wir etwa an LKW-Fahrer:innen, die Textilien oder andere Waren zu Aldi bringen). Die damit einhergehenden Kosten, wie z.B. die Transportkosten, sind also Teil der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, sie entstehen nicht allein aus der ideellen Verwandlung von Kapitalformen ineinander, sind von der kapitalistischen Produktionsweise unabhängig (im Gegensatz z.B. zur Reklame) und damit Teil der produktiven, wertbildenden Arbeit, während die reinen Zirkulationskosten aus dem produzierten Wert gedeckt werden müssen. Gerade das monopolistische Stadium des Kapitalismus bringt eine wachsende Verschwendung gesellschaftlicher Arbeit durch eine systematische Erhöhung der reinen Zirkulationskosten mit sich.
Das Leihkapital übt seine Funktion ebenso wie das Handelskapital in der Zirkulationssphäre aus, und hat sich in ähnlicher Weise durch Verselbständigung vom industriellen Kapital abgesondert, vor allem in Form der Banken: Während des Kapitalumschlags bilden sich bei industriellen Kapitalist:innen immer wieder Mengen an freiem Geldkapital, die in ihren Unternehmen gerade keine Verwendung finden. Dazu zählt z.B. das Geldkapital, das sie für den Ersatz des fixen Kapitals ansparen und nur alle paar Jahre einsetzen, oder Geld für Rohstoffe, die sie vielleicht nur einmal im halben Jahr kaufen. Dazwischen liegt dieses Kapital brach, d.h. es bringt keinen Profit. Zu anderen Zeitpunkten wiederum brauchen die industriellen Kapitalist:innen Geld, z.B. wenn sie ihre fertigen Waren noch nicht verkaufen konnten, aber Rohstoffe einkaufen mussten. Während des Kapitalumschlags entstehen also bei einzelnen Kapitalist:innen immer wieder Überschüsse an Geldkapital, während bei anderen Kapitalist:innen ein Bedarf an Geldkapital besteht. Diejenigen Kapitalist:innen, die über brachliegendes Geldkapital verfügen, wollen dieses aber möglichst zu jedem Zeitpunkt gewinnbringend einsetzen. Also verleihen sie ihr freies Geld, geben es anderen Kapitalist:innen zur zeitweiligen Benutzung, z.B. in Form direkter Kredite oder über die Banken. Letztere sammeln das freie Geldkapital bei den Kapitalist:innen (in Form von Kontoguthaben) ein und verleihen es an diejenigen Kapitalist:innen, die gerade Bedarf an Geldkapital haben. Banken sind also ein notwendiger Teil, ohne die die kapitalistische Produktion undenkbar wäre.
Dieses Geldkapital wird als Leihkapital bezeichnet: Es handelt sich um Geldkapital, das seine Eigentümer:innen anderen Kapitalist:innen für eine gewisse Vergütung, den Zins, vorübergehend überlassen. Leihkapital zeichnet sich also dadurch aus, dass es in der industriellen Produktion nicht von ihren Eigentümer:innen angewendet wird. Der Zins ist der Teil des Profits, den die industriellen Kapitalist:innen an die Eigentümer:innen des Leihkapitals abtreten. Seine Quelle ist also, wie beim kommerziellen Profit, der Mehrwert, der in der Produktion geschaffen worden ist. Diese Quelle des Zinses wird in der Bewegung des Leihkapitals, die mit der Formel G – G‘ ausgedrückt wird, ebenfalls verschleiert: Es erscheint so, als sei es die magische Eigenschaft des Geldes, Profit abzuwerfen. In Wahrheit ist auch hier die Ausbeutung der Arbeiter:innen in der kapitalistischen Produktion die Quelle des Profits. Die Arbeit der Bankangestellten schafft keinen Wert oder Mehrwert. Sie verhilft dem Bankkapital jedoch dazu, sich einen Teil des in der industriellen Produktion geschaffenen Mehrwerts in Form des Zinses anzueignen.
Mit der Entwicklung des Leihkapitals trennt sich das Kapitaleigentum von der Anwendung des Kapitals in der Produktion. Das Geldkapital, das sich vermittels des Kreditwesens z.B. bei einem Industrieunternehmen konzentriert und dort in den Kreislauf Geldkapital – produktives Kapital – Warenkapital eingeht, kann in Wahrheit irgendwem gehören: Der Aktionärsfamilie, die hinter dem Unternehmen steht und selbst gar nicht mehr arbeitet, sondern nur noch von ihren Kapitalerträgen lebt. Oder etwa dem Kleinkunden einer Bank, die das Geld weiter verliehen hat. Kapital als Eigentum trennt sich also vom Kapital als Funktion.
Zugleich zerfällt der Durchschnittsprofit in zwei Bestandteile: Den Zins, der an die Kapitaleigentümer:innen bezahlt werden muss, und den Teil des Durchschnittsprofits, den die industriellen (oder Handels-)kapitalist:innen behalten, und der als Unternehmergewinn bezeichnet wird.
Das Verhältnis zwischen Zins und Unternehmergewinn, das heißt die Höhe des Zinses, hängt allein vom Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage für Leihkapital ab – dies ist ein wesentlicher Unterschied zu den Warenpreisen, die um eine „natürliche“ Größe, nämlich den Wert schwanken. Eine solche Größe gibt es bei Zinsen nicht. Der Zinsfuß oder Zinssatz, z.B. der Zinssatz einer Bank für einen Kredit mit einer bestimmten Laufzeit, bezeichnet das Verhältnis der Zinssumme zum ausgeliehenen Geldkapital. Je höher die Nachfrage nach Leihkapital, desto höher ist unter sonst gleichen Bedingungen der Zinsfuß. Seine obere Grenze ist für gewöhnlich die Durchschnittsprofitrate, da der Zins lediglich ein Teil des Profits ist. Fallen kann der Zinsfuß im Prinzip beliebig tief. Wie wir in den letzten Jahren erlebt haben, kann er auch negativ werden.4
Mit der Entwicklung des Kapitalismus zeigt der Zinsfuß eine fallende Tendenz. Dies ist erstens eine Folge des tendenziellen Falls der Profitrate: Da die Durchschnittsprofitrate die obere Schranke für den Zinsfuß bildet, muss mit ihrem tendenziellen Fall auch der Zinsfuß tendenziell fallen. Zweitens folgt der tendenzielle Fall des Zinsfußes aus dem Umstand, dass mit der Entwicklung des Kapitalismus die Gesamtmasse des Leihkapitals schneller wächst als die entsprechende Nachfrage: Auf der Grundlage der Trennung von Kapitaleigentum und -funktion wächst mit der Entwicklung des Kapitalismus innerhalb der Bourgeoisie die Gruppe der Rentiers: Das sind die Eigentümer:innen von Geldkapital, die selbst nicht als Unternehmer:innen tätig sind und nur von Kapitalerträgen leben. Ein Ausdruck dieser Erscheinung ist heute z.B. das Geschäftsmodell der “Family Offices”, die das Vermögen von reichen Kapitalist:innenfamilien verwalten, d.h. möglichst profitabel anlegen, und daneben weitere Dienstleistungen für die Klient:innen übernehmen, wie z.B. Buchführung, Sekretariatstätigkeiten, Reiseplanung u.v.m. Wer ein bestimmtes Riesenvermögen hat, muss sich also im Prinzip um nichts mehr selbst kümmern und kann sich z.B. ganz auf das Reisen mit der eigenen Yacht, die Fasanenjagd, das Polospielen, den Motorsport oder ähnliche exzentrische Hobbys konzentrieren. Die Zentralisierung aller freien Geldmittel der Gesellschaft (d.h. auch der gesparten Löhne der Arbeiter:innen) bei den Banken und Sparkassen trägt ebenfalls dazu bei, dass das Leihkapital immer mehr anwächst, und es immer schwieriger wird, dieses profitabel anzulegen. Dieser chronische Kapitalüberschuss ist eine typische Erscheinung des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium.
Die Verselbständigung des Leihkapitals, das heißt die Entwicklung des Kreditwesens, erweist sich in Bezug auf die kapitalistische Produktion als eine Art Motor. Die Kapitalist:innen können die Umschlagszeit ihres Kapitals verkürzen, indem sie sich gegenseitig Kredite gewähren: Sie werden ihre Waren schneller los, indem sie sie auf Kredit verkaufen, und kaufen ihrerseits die von ihnen benötigten Rohstoffe, Hilfsmaterialien u.v.m. auf Kredit, noch bevor sie Geldrückflüsse aus ihren Warenverkäufen erhalten haben.
In der Folge wird es für die Kapitalist:innen z.B. möglich, auf das (unrentable) Anlegen von großen Lagern zu verzichten, denn sie können ihren Bedarf jederzeit auf Kredit ergänzen. Das so gesparte Geld können die Unternehmen in die Erweiterung ihrer Produktion investieren. Der Kredit wird zum Motor für die Konzentration und Zentralisation von Kapital. Auch macht es die Kreditaufnahme stärkeren Unternehmen möglich, schwächere schneller aufzukaufen – nämlich mit geliehenem, das heißt fremdem Geld.
Eine besondere Rolle bei der Konzentration von Kapital, der Bildung großer Unternehmen und der Nutzbarmachung fremder Geldmittel spielt die Entwicklung von Aktiengesellschaften: Eine Aktie ist ein Schein auf einen Gewinnanteil eines Unternehmens, der in Form einer regelmäßigen Dividende an die Aktieninhaber:innen ausgezahlt wird. Der Kurs (also der Preis) für einen solchen Anteilsschein richtet sich, über das übliche Spiel von Angebot und Nachfrage, letztlich nach dem jeweils aktuellen Zinsfuß: Die einzelnen Käufer:innen einer Aktie zahlen für diese im Durchschnitt – vereinfacht dargestellt – die Menge an Geld, die sie bei einer Bank anlegen müssten, um beim aktuellen Zinsfuß einen Zins in Höhe der zu erwartenden Dividende zu erhalten (siehe das Zahlenbeispiel im Einschub). Auf diese Art sammelt das Unternehmen durch Aktienausgabe eine viel höhere Menge an Geldkapital ein, als seinem schon vorhandenen Sachkapital entspricht, und kann dadurch seine Produktion bedeutend erweitern. Die Aktie wird zum Mittel, das freie Geldkapital der Gesellschaft einzusammeln, um damit Profit zu machen.
Ähnlich der Aktie kann jedes Stück Papier, das ein Anrecht auf irgendeine regelmäßige Zahlung gewährt, zu einer handelbaren Ware werden, deren Preis durch den herrschenden Zinsfuß bestimmt ist. Man spricht davon, dass im Preis des Wertpapiers die regelmäßige Zahlung „kapitalisiert“ wird (“kapitalisiert” = “in fiktives Kapital verwandelt”), und bezeichnet die entsprechenden Papiere als fiktives Kapital: Sie werden gehandelt wie echte Werte, obwohl sie keinen Wert besitzen. Ihr „Wert“ besteht im Versprechen auf eine regelmäßige Zahlung, er ist aber eine Erfindung, daher „fiktiv“.
Ein Beispiel für fiktives Kapital sind neben der Aktie die sogenannten Staatsanleihen: Diese berechtigen zur Beteiligung an künftigen Steuereinnahmen, die wiederum zum überwiegenden Teil aus den Löhnen der Arbeiter:innenklasse stammen. Ihr Kurs bestimmt sich wie der einer Aktie im Durchschnitt durch den Zinsfuß. Im Gegensatz zur Aktie steht hinter Staatsanleihen jedoch überhaupt gar kein Kapital mehr (bei der Aktie gibt es ja immerhin noch das Sachkapital der Unternehmen), sondern Geld, das der Staat bereits ausgegeben hat.
Insgesamt geht die Tendenz im heutigen Imperialismus zur Aufblähung der Menge an fiktivem Kapital: Wie wir gesehen haben, hat der Zinsfuß angesichts des tendenziellen Falls der Profitrate und des chronischen Überschusses an Leihkapital die Tendenz zu fallen. Deshalb fließt immer mehr überschüssiges Kapital auf der verzweifelten Suche nach profitablen Anlagemöglichkeiten in Aktien, Anleihen und eine Vielzahl von immer ausgefeilteren Wertpapierprodukten. Ein Zahlenbeispiel aus dem Jahr 2015 gibt einen Eindruck hiervon: Während das Weltbruttoinlandsprodukt, also vereinfacht gesagt die Summe aller erzeugten Waren und Dienstleistungen, bei 75 Billionen US-Dollar lag, addierten sich die Preise von Aktien, Staatsanleihen, Anleihen im Finanzsektor und Unternehmenskrediten im selben Jahr zu 267 Billionen Dollar. Hinzu kommen kompliziertere Finanzprodukte, sogenannte Derivate, die ebenfalls zum fiktiven Kapital zählen und sich auf, sage und schreibe, 500 Billionen US-Dollar summierten.
Einschub 2: Das fiktive Kapital – ein Zahlenbeispiel
Aktiengesellschaften sind schon seit langem die vorherrschende Form kapitalistischer Großunternehmen. Bei dieser Unternehmensform setzt sich das Kapital des Unternehmens aus den Beiträgen von Teilhaber:innen zusammen, die entsprechend dem von ihnen eingebrachten Beitrag eine bestimmte Zahl von Aktien besitzen. Eine Aktie wiederum berechtigt zur Teilnahme an der Gewinnverteilung des Unternehmens. Einkommen aus Aktien werden als „Dividende“ bezeichnet. Was ist also der (analog zum Wert einer Ware) ideale Kurs einer Aktie, um den Angebot und Nachfrage schwanken? Dies können wir uns (vereinfacht) mit einem Zahlenbeispiel klar machen.
Nehmen wir an, ein Unternehmen besitze 10 Millionen Dollar an realem Kapital (Anlagen, Materialien, usw.) und der jährliche Profit/Mehrwert aus diesem Kapital betrage 1 Million Dollar. Das Unternehmen schütte hiervon 500.000 Dollar als Dividende an die Aktionär:innen aus. Bei einem Zinsfuß von 2% müsste man 25 Millionen Dollar bei einer Bank anlegen, um dieselbe Summe von 500.000 Dollar an Jahreszinsen zu erhalten. Die Käufer:innen einer Aktie, die für einen Anteil von 1/10.000 am Unternehmenskapital steht, würden also 50 Dollar Dividende erhalten – und wären daher bereit, 2.500 Dollar für die Aktie zu bezahlen.5 Der Aktienkurs des Unternehmens würde also gegen 25 Millionen Dollar streben. Man spricht davon, dass 25 Millionen Dollar an fiktivem Kapital einem realen Unternehmenskapital von 10 Millionen Dollar gegenüberstehen. Geht ein Unternehmen an die Börse, macht es gegenüber seinem real vorhandenen Unternehmenskapital also einen Gewinn, der auch als „Gründergewinn“ bezeichnet wird. Diesen Gewinn kann es wiederum in die Erweiterung seines realen Kapitals stecken.
Grundrente und Landwirtschaft im Kapitalismus
Nachdem wir nun das industrielle Kapital im Allgemeinen betrachtet und die Verselbständigung des Handels- und des Leihkapitals untersucht haben, wollen wir im nächsten Schritt einen besonderen Zweig des industriellen Kapitals, der kapitalistischen Produktion untersuchen, der eine Reihe von Eigenheiten aufweist – nämlich die Landwirtschaft.
In Bezug auf die Produktion von unverzichtbaren Gebrauchswerten, nämlich Nahrungsmitteln, ist die Landwirtschaft für jede menschliche Produktionsweise zentral. Trotzdem bleibt die Entwicklung der Landwirtschaft im Kapitalismus immer hinter der Entwicklung der Industrie zurück, was die Grundlage für die Verschärfung des Stadt-Land-Gegensatzes im Kapitalismus ist. Wir wollen hier betrachten, warum das so ist.
Zunächst einmal befinden sich im Kapitalismus nicht nur die Produktionsmittel wie Maschinen, Gebäude, Rohstoffe u.v.m. im Privatbesitz, sondern auch der Grund und Boden. Mit der Umgestaltung der vorkapitalistischen Formen des Grundbesitzes ist das kapitalistische Grundeigentum immer mehr an die Stelle des feudalen Großgrundbesitzes und des kleinbäuerlichen Eigentums an Grund und Boden getreten. Wir sprechen davon, dass die Klasse der großen Grundeigentümer:innen (die heute weitestgehend mit der Kapitalist:innenklasse verschmolzen ist) das Monopol des privaten Grundeigentums hält. Häufig bewirtschaften die Grundeigentümer:innen einen großen Teil ihres Landes aber gar nicht selbst, sondern verpachten ihn an kapitalistische Landwirtschaftsbetriebe oder an Bäuer:innen, die kleine Warenproduzenten sind.
Das bedeutet, dass die kapitalistischen Pächter:innen eines Grundstücks den Grundeigentümer:innen zu bestimmten Terminen eine vertraglich festgesetzte Pacht, die sogenannte Grundrente, zahlen, also eine Geldsumme für die Erlaubnis, ihr Kapital auf dem Grundstück anzuwenden. Gegebenenfalls kommt noch eine Pacht auf Kapital hinzu, dass die Grundeigentümer:innen bereits auf dem Grundstück angelegt haben (z.B. Gebäude, Bewässerungsanlagen o.ä.).
Die Existenz der Grundrente hat sehr wichtige Konsequenzen für die Entwicklung der Landwirtschaft im Kapitalismus. Der durch die Lohnarbeiter:innen in der Landwirtschaft geschaffene Mehrwert fällt zunächst den kapitalistischen Pächter:innen zu. Diesen verbleibt ein Teil des Mehrwerts in Form des Durchschnittsprofits auf ihr Kapital. Der Mehrwert muss jedoch, und das ist das Entscheidende hier, noch einen Überschuss über den Durchschnittsprofit enthalten, nämlich die Grundrente, die (in Form der Pacht) an die Grundeigentümer:innen geht.
Das bedeutet, dass der Marktpreis für landwirtschaftliche Waren grundsätzlich über dem Produktionspreis liegen muss. Es stellt sich also die Frage, woher dieser Überschuss stammt. Er stammt daher, dass die organische Zusammensetzung des Kapitals in der Landwirtschaft grundsätzlich niedriger ist als die des Kapitals in der Industrie – mit anderen Worten: Das Privateigentum an Grund und Boden wirkt in Form der Grundrente systematisch hemmend auf die Entwicklung der Produktivkräfte in der Landwirtschaft!
Machen wir uns das an einem Zahlenbeispiel klar: Angenommen, die organische Zusammensetzung des Kapitals in der Industrie läge durchschnittlich bei einem Anteil von 80/20 (konstantem gegenüber variablem Kapital), die Mehrwertrate bei 100% und die Durchschnittsprofitrate bei 20%. Dann würden bei einem eingesetzten Kapital von 100 Dollar 20 Dollar Mehrwert erzeugt, und der Produktionspreis der Waren läge bei 120 Dollar. Nehmen wir jetzt an, dass die organische Zusammensetzung des Kapitals in der Landwirtschaft bei 60/40 läge. 100 Dollar Kapital würden hier also 40 Dollar Mehrwert erbringen und der Wert der landwirtschaftlichen Waren läge bei 140 Dollar. Die landwirtschaftlichen Pächter:innen erhalten aber ebenso wie die Industriekapitalist:innen nur 20 Dollar Durchschnittsprofit auf ihre 100 Dollar Kapital. Der Produktionspreis für die landwirtschaftlichen Waren läge also bei 120 Dollar, ihr Wert aber bei 140 Dollar! Die Differenz von 20 Dollar geht als Grundrente an die Eigentümer:innen des Grund und Bodens. Der Wert der landwirtschaftlichen Waren liegt also über dem allgemeinen Produktionspreis, und die Größe des Mehrwerts in der Landwirtschaft über dem Durchschnittsprofit. Dieser Überschuss über den Durchschnittsprofit aufgrund einer niedrigeren organischen Zusammensetzung des Kapitals ist die Quelle der Grundrente. Die Notwendigkeit für den kapitalistischen Betrieb, Grundrente an die Bodeneigentümer:innen abzuführen, verlangt also eine niedrigere organische Zusammensetzung seines Kapitals gegenüber dem gesellschaftlichen Durchschnitt, also eine niedrigere Produktivität, einen höheren Anteil an einfacher Handarbeit.
Einschub 3: Die Besonderheiten der agrarischen Übervölkerung
Nicht nur hinsichtlich der Kapitalseite, sondern auch hinsichtlich der Seite der Arbeit weist die kapitalistische Landwirtschaft eine Besonderheit auf. Der Kapitalismus erzeugt aufgrund der Verschärfung des Stadt-Land-Gegensatzes und der Ruinierung der Kleinbäuer:innen im Zuge der Konzentration der Landwirtschaft die Tendenz zur Landflucht, d.h. zum Abwandern großer Teile der Landbevölkerung in die Städte (was einen wichtigen Teil der weltweiten sogenannten Binnenmigration ausmacht). Ein großer Teil der verbliebenen Landbevölkerung bildet daneben die sogenannte agrarische Übervölkerung (auch: latente Übervölkerung), die keine Verwendung in der Industrie findet und nur zum Teil (z.B. saisonweise) in der landwirtschaftlichen Produktion beschäftigt werden kann. Der latente Charakter der agrarischen Übervölkerung kommt daher, dass viele überschüssige Arbeitskräfte auf dem Land noch in irgendeiner Form mit einer eigenen kleinen Landwirtschaft verbunden ist (noch heute sind z.B. in Süddeutschland viele landwirtschaftliche Betriebe Nebenerwerbslandwirtschaften, bei denen nur ein Teil der Familienangehörigen auf dem Bauernhof arbeitet, während ein anderer Teil z.B. einer Lohnarbeit nachgeht). Dort, wo Lohnarbeiter:innen selbst noch ein kleines Stück Land besitzen, sind sie daran gebunden, d.h. sie können nicht einfach einen Job in einer anderen Stadt annehmen. Vor allem aber dienen ihnen solche kleinen Ländereien dazu, damit einen Teil ihres Lebensunterhalts zu decken oder sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen. Wo dies geschieht, verbilligt es aber die Arbeitskraft – was den kapitalistischen Betrieben auf dem Land wieder entgegen kommt, die, wie wir gesehen haben, überproportional viel Mehrwert erzielen müssen. Die Erscheinung der agrarischen Übervölkerung ist damit die Wurzel des grundsätzlich niedrigeren Lohnniveaus im ländlichen Raum.
Das ist jedoch noch nicht alles: Zusätzlich zu der beschriebenen Grundrente, die wir auch als absolute Grundrente bezeichnen, zahlen die kapitalistischen Pächter:innen des Grund und Bodens noch eine sogenannte Differentialrente an die Grundbesitzer:innen, die sich aus einer weiteren Besonderheit der Landwirtschaft im Kapitalismus ergibt: Die Differentialrente speist sich nämlich aus dem Extraprofit, der entsteht, wenn Kapital auf besseren Böden oder einfach produktiver angelegt wird. Solche Extraprofite bleiben in der Landwirtschaft nämlich für gewöhnlich länger bestehen als in der Industrie. Wir erinnern uns: In der Industrie erzielt ein Unternehmen vor allem deshalb Extraprofit, weil es eine bessere Technik anwendet als seine Konkurrenten, und das nur so lange, bis diese technisch nachgezogen haben. In der Landwirtschaft unterscheiden sich dagegen die Bodenverhältnisse bezüglich ihres Ertrags. Wer also einmal einen guten und ertragreichen Boden hat, zieht öfter einen Extraprofit ein. Und: Der Grund und Boden ist beschränkt und (in aller Regel) bereits auf die kapitalistischen Betriebe verteilt. Es ist in der Landwirtschaft also prinzipiell nicht möglich, wie in der Industrie beliebig viele Betriebe mit der höchsten Produktivität aufzubauen.
Dies führt dazu, dass der Produktionspreis landwirtschaftlicher Waren nicht durch die durchschnittlichen Produktionsbedingungen bestimmt wird, sondern durch die Produktionsbedingungen der schlechtesten Böden: Denn die Erzeugnisse der guten und mittleren Böden allein würden nicht ausreichen, um die gesellschaftliche Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu decken. Das bedeutet, dass die kapitalistischen Pächter:innen, die ihr Kapital auf den schlechtesten Böden anlegen, damit den Durchschnittsprofit erzielen müssen – sonst würden sie ihr Kapital woanders anlegen. Die Kapitalist:innen wiederum, die Betriebe auf besseren Ländereien unterhalten, erzielen einen Extraprofit, da ihr individueller Produktionspreis niedriger liegt als der allgemeine Produktionspreis. Dieser Extraprofit bildet die Differentialrente: Sie ist der über den Durchschnittsprofit hinaus erzielte Überschuss des Profits in Betrieben, die unter günstigeren Produktionsbedingungen arbeiten.
Wir unterscheiden dabei die Differentialrente, die sich aus besserer Bodenfruchtbarkeit und einer günstigeren Lage der Bodenflächen im Hinblick auf Absatzmärkte ergibt (Differentialrente I) von der Differentialrente, die sich aus der zusätzlichen Anwendung von Produktionsmitteln und Arbeit auf einem Bodenstück, der sogenannten Intensivierung der Landwirtschaft, ergibt (Differentialrente II). Die erste geht ohnehin immer an die Grundbesitzer:innen, die für bessere Bodenflächen eben eine höhere Pacht verlangen. Bei der zweiten kommt es darauf an: Wendet ein kapitalistischer landwirtschaftlicher Betrieb neuere Maschinen, besseren Dünger oder ähnliches an, erzielt er Extraprofite gegenüber seinen Konkurrent:innen. Diese Extraprofite fließen bei gegebener Pacht erst einmal ihm zu – jedoch nur so lange, wie sein Pachtvertrag noch läuft, den er zu den alten Produktionsbedingungen abgeschlossen hat. Sobald der Vertrag abläuft und er mit den Grundbesitzer:innen neu verhandeln muss, werden diese, angesichts des nun höheren Bodenertrags, auch eine höhere Pacht verlangen. Die Grundbesitzer:innen werden also die Überschüsse des Ertrags über die Durchschnittsprofitrate für sich beanspruchen. Deshalb sind die Grundbesitzer:innen darauf aus, die Laufzeiten von Pachtverträgen möglichst kurz anzusetzen. Und die kapitalistischen Pächter:innen sind nicht daran interessiert, große Investitionen zu tätigen, die sich erst nach längerer Zeit rentieren – denn der Gewinn landet am Ende bei den Grundbesitzer:innen, nicht bei ihnen.
Wohlgemerkt: Das, was die kapitalistischen Pächter:innen eines Landes augenscheinlich bezahlen, ist eine einzige Pacht. Diese setzt sich jedoch aus Anteilen zusammen, die ihrem ökonomischen Wesen nach verschiedenen sind, nämlich die absolute Grundrente und die Differentialrente in den beiden beschriebenen Formen.
Wir sehen also: Während die Existenz der Grundrente im allgemeinen eine niedrigere organische Zusammensetzung in der Landwirtschaft verlangt, weil der Mehrwert dort neben dem Durchschnittsprofit noch die Grundrente abwerfen muss, sorgt die Differentialrente im Besonderen dafür, dass im Kapitalismus weniger Investitionen in technische Neuerungen in der Landwirtschaft fließen, dass die Entwicklung der Produktivkräfte in der Landwirtschaft gehemmt wird.
Die Grundeigentümer:innen werden damit zu einer rein parasitären Klasse: Sie haben mit der Produktion von Waren nichts zu tun, nutzen durch das Monopol des privaten Grundeigentums aber alle technischen Errungenschaften der Gesellschaft zur eigenen Bereicherung aus. Die Grundrente ist ein Tribut, den die Gesellschaft im Kapitalismus den Grundbesitzer:innen zahlen muss. Die absolute Rente verteuert die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, und durch die Differentialrente wird die Gesellschaft aller Vorteile beraubt, die sich aus der höheren Produktivkraft der Arbeit auf fruchtbaren Ländereien ergeben.
Im Imperialismus kommt zur Ausbeutung der Landbevölkerung durch die Grundbesitzer:innen noch die durch das Monopolkapital hinzu: Agrarmonopole zahlen den verbliebenen Bäuer:innen niedrigste Preise für ihre Grunderzeugnisse (wie Milch oder Getreide), während die Industriemonopole hohe Preise für ihre Waren (wie landwirtschaftliche Maschinen) verlangen. Banken verlangen Wucherzinsen für die Kredite, die sie an bäuerliche Betriebe vergeben, Versicherungen Wucherprämien u.v.m. Der Staat wiederum kassiert hohe Steuern und erlässt Gesetze (z.B. angebliche Umweltauflagen), welche die Bäuer:innen zusätzlich knechten und zum Ausbeutungsobjekt der Agrarkonzerne machen.
Insgesamt fließt der gesellschaftliche Reichtum im Kapitalismus vom Land in die Städte, wird der Stadt-Land-Gegensatz verschärft, bleibt das Land wirtschaftlich, hinsichtlich der Infrastruktur, der Kultur, u.v.m. hinter den Städten zurück.
Der Grund und Boden, der (im Gegensatz zu Gebäuden, Bewässerungsanlagen u.ä.) selbst keinen Wert hat, wird im Kapitalismus zum Gegenstand des Kaufs und Verkaufs und erhält einen Preis. Dieser entsteht (genau wie der Preis von Aktien und Anleihen, siehe oben) als kapitalisierte Grundrente: Er richtet sich nach der Grundrente, die das Stück Land jährlich abwirft, und nach dem Zinsfuß, den die Banken für Guthaben bezahlen. Er ist gleich dem Geldbetrag, den man bei einer Bank anlegen müsste, um beim herrschenden Zinsfuß denselben Ertrag zu erhalten wie die Grundrente. Der Bodenpreis ist also umso höher, je höher die Grundrente und je niedriger der Zinsfuß ist.
Mit der Entwicklung des Kapitalismus erhöhen sich die Grundrenten tendenziell, und der Zinsfuß hat eine fallende Tendenz. Deshalb steigen mit der Entwicklung des Kapitalismus auch systematisch die Bodenpreise.
Neben der Grundrente in der Landwirtschaft beziehen auch die Eigentümer:innen von den Grundstücken eine Rente, auf denen Bodenschätze gefördert werden, sowie die Eigentümer:innen von Baugrundstücken in Städten. Die Grundrente wird hier auf die Preise von Rohstoffen (und damit letztlich auf die Preise der Enderzeugnisse) sowie auf die Mieten aufgeschlagen. Auch hier zahlt die Gesellschaft den Grundbesitzer:innen also einen Tribut.
Das Nationaleinkommen
Wir wollen nun betrachten, wie sich der gesellschaftliche Reichtum im Kapitalismus insgesamt zusammensetzt und unter die verschiedenen Klassen verteilt wird.
Die Gesamtmasse der in einem bestimmten Zeitraum (in der Regel: einem Jahr) produzierten materiellen Güter bezeichnen wir als Bruttoprodukt oder gesellschaftliches Gesamtprodukt.
Ein Teil dieses Gesamtproduktes – nämlich der Teil, der dem Wert des verbrauchten konstanten Kapitals entspricht – dient im kapitalistischen Reproduktionsprozess zum Ersatz der verbrauchten Produktionsmittel (also den verschlissenen Fabriken, Rohstoffen usw.), während der übrige Teil des Gesamtproduktes dem von der Arbeiter:innenklasse im gegebenen Zeitraum produzierten Neuwert entspricht. Diesen letzteren Bestandteil des Gesamtprodukts bezeichnen wir als das Nationaleinkommen. Das Nationaleinkommen entspricht also dem gesamten variablen Kapital plus dem gesamten Mehrwert einer Gesellschaft pro Jahr, bzw. in seiner Naturalform, der Gesamtmasse der Konsumgüter plus dem Teil der produzierten Produktionsmittel, der zur Erweiterung der Produktion verwendet wird.
Gesellschaftliches Gesamtprodukt und Nationaleinkommen werden von den Teilen der Arbeiter:innenklasse produziert, die in den Zweigen der materiellen Produktion beschäftigt sind, d.h., im obigen Sinne, Wert produzieren. In den nichtproduzierenden Zweigen der kapitalistischen Wirtschaft (Staatsapparat, Kreditwesen und – zum größten Teil – im Handel) wird kein Nationaleinkommen erzeugt. Neben den Arbeitserzeugnissen der Arbeiter:innenklasse geht in das Nationaleinkommen eines Landes auch der Wert ein, der von kleinen Warenproduzent:innen wie z.B. Bäuer:innen und Handwerker:innen neu produziert wurde.
Ein bedeutender Teil der arbeitsfähigen Bevölkerung eines Landes ist im Kapitalismus nicht an der Erzeugung des gesellschaftlichen Produkts und des Nationaleinkommens beteiligt, und verrichtet überhaupt keine gesellschaftliche nützliche Arbeit (z.B. die Ausbeuter:innenklassen und ihr Anhang, der bürokratische Apparat des Staates, Polizei, Militär u.v.m.). Ein großer Teil der Arbeitskraft wird ohne jeden Nutzen für die Gesellschaft vergeudet und fließt z.B. in den unproduktiven Arbeitsaufwand, der mit der kapitalistischen Konkurrenz verbunden ist, in Werbung, Spekulation u.v.m. Mit der Entwicklung des Kapitalismus wächst dieser unproduktive Bereich der Wirtschaft an, der Anteil der Arbeitskraft, der in der Zirkulationssphäre eingesetzt wird, vergrößert sich, und der Staatsapparat (öffentlicher Dienst) wird immer mehr aufgebläht. Hinzu kommt die chronische Arbeitslosigkeit. All diese Faktoren wirkend beschränkend auf das Wachstum des gesellschaftlichen Gesamtprodukts und des Nationaleinkommens im Kapitalismus.
Wie wird das Nationaleinkommen im Kapitalismus nun verteilt? Es gelangt zuerst in die Hände der industriellen Kapitalist:innen. Die industriellen Kapitalist:innen, die die erzeugten Waren verkaufen, erhalten die Gesamtsumme des darin enthaltenen Wertes (konstantes Kapital c + variables Kapital v + Mehrwert m). Das variable Kapital verwandelt sich in Arbeitslohn und fließt den Arbeiter:innen zu. Der Mehrwert bleibt in den Händen der industriellen Kapitalist:innen. Aus ihm bilden sich die Einkommen aller Gruppen der Ausbeuter:innenklassen: Der Profit der industriellen Kapitalist:innen, der Profit der Handels- und der Bankkapitalist:innen sowie die Grundrente der Grundeigentümer:innen.
Auch der Teil des Nationaleinkommens, der von kleinen Warenproduzent:innen erzeugt wurde, wird verteilt: Ein Teil bleibt bei den Produzent:innen (z.B. Bäuer:innen und Handwerker:innen), der Rest geht an die Kapitalist:innen und die Grundeigentümer:innen.
Das nicht erarbeitete, d.h. parasitäre Einkommen der Ausbeuter:innenklassen wird im Zuge der weiteren Verteilung des Nationaleinkommens noch mehr vergrößert: Ein Teil wird über den Staatshaushalt (Steuern, Subventionen, Staatsverschuldung) neu verteilt. Damit verwandelt sich ein Teil des erarbeiteten Einkommens der Arbeiter:innenklasse und der kleinen Warenproduzent:innen, der in Form von Steuern in den Staatshaushalt fließt, in zusätzliches Einkommen der Kapitalist:innen und in Einkommen der Beamt:innen. Ein weiterer Teil des Arbeitseinkommens fließt in Form der Mieten an die Grundbesitzer:innen und in Form der Zahlungen für nicht-produktive Dienstleistungen (z.B. das Privatkund:innengeschäft der Banken und Versicherungen, Lotterie, u.ä.) an die Kapitalist:innen. In diesen Zweigen wird kein Nationaleinkommen erzeugt. Die Kapitalist:innen dort erhalten aber durch die Ausbeutung von Lohnarbeit einen Teil des in der materiellen Produktion geschaffenen Nationaleinkommens (nämlich, wie beschrieben, aus dem Teil, den die Arbeitseinkommen bilden). Aus diesem, von ihnen angeeigneten Teil des Nationaleinkommens bezahlen sie ihre Lohnarbeiter:innen sowie ihre Aufwendungen, und sie behalten einen Profit.
Insgesamt zerfällt das Nationaleinkommen im Kapitalismus also in zwei Teile, die Einkommen der Ausbeuter:innenklassen und die Einkommen aller Werktätigen (sowohl in den produzierenden, als auch in den nichtproduzierenden Zweigen der Wirtschaft). Man kann zeigen, dass der Anteil der Werktätigen am Nationaleinkommen mit der Entwicklung des Kapitalismus immer mehr zurückgeht. Außerdem sind folgende Tendenzen zu beobachten:
ein immer größerer Teil des Nationaleinkommens fließt in den parasitären Gebrauch der Kapitalist:innen und Grundeigentümer:innen, sowie in Zirkulationskosten
der Teil des Nationaleinkommens, der in die Erweiterung der Produktion fließt, bleibt deshalb hinter den gesellschaftlichen Möglichkeiten zurück
ein immer größerer Teil des Nationaleinkommens fließt in militärische Ausgaben und in den Unterhalt des Staatsapparates
An der Verteilung und Verwendung des Nationaleinkommens im Kapitalismus lässt sich also konkret darlegen, warum diese Gesellschaft die Entwicklung der Produktivkräfte heute hemmt, und warum wir sie als parasitär bezeichnen.
Die Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals
Wir haben oben, im Abschnitt über das industrielle Kapital, gesehen, dass dieses eine kreislaufförmige Bewegung vollzieht, in der es nacheinander verschiedene Formen durchläuft, nämlich die Geldform, die produktive Form und die Warenform. Ein reibungsloser Ablauf des Kapitalumschlags ist nur dann möglich, wenn sich das Kapital immer problemlos aus der einen Form in die andere Form übertragen lässt: Dass also Produktionsmittel und Arbeitskraft vorhanden sind, die das Unternehmen von dem Geld aus dem Verkauf seiner Waren erwerben kann; dass der Produktionsprozess reibungslos vonstatten geht; und dass die neu produzierten Waren auf dem Markt verkauft werden können. Produktions- und Zirkulationsprozess müssen also störungsfrei ineinander übergehen. Den Gesamtprozess der Produktion und Zirkulation von Kapital bezeichnen wir als den kapitalistischen Reproduktionsprozess.
Die genannten Bedingungen für die störungsfreie Reproduktion gelten nicht nur für jedes einzelne Kapital, sondern auch für das gesellschaftliche Gesamtkapital (also das Kapital aller Kapitalist:innen zusammengenommen). In diesem Abschnitt wollen wir, zur Vorbereitung auf eine vertiefte Diskussion der marxistischen Krisentheorie, genauer verstehen, unter welchen Bedingungen die Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals (d.h. aller individuellen Kapitale in ihrer Gesamtheit) störungsfrei vonstattengehen kann.
Dazu kann man sich anschaulich vorstellen, dass die individuellen Kapitale, die das Gesamtkapital ausmachen, sehr vielfältig miteinander verknüpft sind: Bergbauunternehmen liefern Roh- und Brennstoffe an Industrieunternehmen, die Nahrungsmittelindustrie liefert Lebensmittel an die Arbeiter:innenklasse in allen Wirtschaftszweigen und benötigt dafür wiederum bestimmte Maschinen und Rohstoffe. Alle benötigten Rohstoffe müssen verfügbar, d.h. bereits produziert sein, wenn der Produktionsprozess in einem Wirtschaftszweig starten soll. Auch müssen die entsprechenden Unternehmen das Geld besitzen, um diese zu kaufen, usw.
Es gilt also: Damit die Produktion auf gesamtgesellschaftlicher Ebene immer wieder normal fortgesetzt werden kann, muss das gesellschaftliche Gesamtprodukt nach jedem Produktionszyklus realisiert, d.h. verkauft werden. Mit anderen Worten, es muss aus der Warenform in die Geldform verwandelt werden, um daraus wieder in die produktive Form gebracht werden zu können. Wie wir oben gesehen haben, zerfällt das gesellschaftliche Gesamtprodukt in die drei Bestandteile c + v + m (konstantes und variables Kapital plus Mehrwert). Beim Verkauf der erzeugten Waren müssen die Kapitalist:innen deren Wert erhalten, damit sie die Produktion aufs Neue aufnehmen können.
Die verschiedenen Bestandteile des Kapitals spielen dabei eine unterschiedliche Rolle:
1. Das konstante Kapital muss im Produktionsprozess verbleiben.
2. Das variable Kapital wird in Arbeitslohn umgesetzt, den die Arbeiter:innen wiederum für Konsumgüter ausgeben.
3. Der Mehrwert wird bei einfacher Reproduktion von den Kapitalist:innen ganz verzehrt, bei erweiterter Reproduktion jedoch nur teilweise verzehrt und teilweise in den Ankauf zusätzlicher Produktionsmittel und die Bezahlung zusätzlicher Arbeitskraft investiert. Dieser Anteil des Mehrwerts, der in die Akkumulation fließt, wird auch mit a bezeichnet. (m – a) ist dann der Anteil, der von den Kapitalist:innen verzehrt wird.
Wir unterscheiden nun die gesellschaftliche Gesamtproduktion hinsichtlich der Naturalform ihrer Produkte, die entweder Produktionsmittel oder aber Konsumtionsmittel sind: Der Begriff Abteilung I bezeichnet die Produktion von Produktionsmitteln (z.B. Maschinen, Roh- und Hilfsstoffe usw.), der Begriff Abteilung II die Produktion von Konsumtionsmitteln (z.B. Lebensmittel, Kleidung, Autos usw.).6
Wichtig ist: Während die Naturalform der Produkte für die Betrachtung des Kreislaufs und Umschlags des individuellen Kapitals gleichgültig war, ist sie für den reibungslosen Ablauf der Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals sehr wichtig: Es müssen sowohl die Produktionsmittel als auch die Konsumtionsmittel immer in konkreter Form vorhanden sein. Um z.B. heute Autos herstellen zu können, müssen dafür einerseits die entsprechenden hochspezialisierten Maschinen, andererseits alle Teile (Motoren, Getriebe, Kabel, Airbags, Sitzbezüge, Anschnallgurte usw.) materiell vorliegen. Die Teile bestehen wiederum aus eigenen Zubehörteilen (Kolben, Kolbenringe, textile Vorprodukte usw.), die ebenfalls vorrätig sein müssen usw.
Auf welche Art und Weise wird unter den anarchischen Bedingungen der kapitalistischen Produktion also das gesellschaftliche Produkt realisiert? Wie ist für jeden einzelnen Teil des gesellschaftlichen Produkts dem Wert nach
(c,v,m) und seiner Naturalform nach (Produktionsmittel, Konsumtionsmittel) auf dem Markt ein ihn ersetzender anderer Teil des gesellschaftlichen Produkts zu finden? Und: Woher kommen bei erweiterter Reproduktion die zusätzlichen Produktionsmittel und die Konsumtionsmittel für die zusätzlichen Arbeiter:innen? Dies wollen wir im Folgenden im Grundsatz untersuchen.
Betrachten wir zunächst den Fall der einfachen Reproduktion (hier wird der Mehrwert vollständig von den Kapitalist:innen verzehrt und nicht neu investiert).
Angenommen, in Abteilung I betrage der Wert des konstanten Kapitals 4000 (Millionen Dollar), der Wert des variablen Kapitals 1000 und der Mehrwert ebenfalls 1000, während sich in Abteilung II das Kapital auf 2000 (Millionen Dollar) konstantes, 500 variables Kapital und 500 Mehrwert verteilt:
I. 4000c + 1000v + 1000m = 6000
II. 2000c + 500v + 500m = 3000
Damit der Produktionsprozess in Abteilung I erneuert werden kann, müssen die Unternehmen in dieser Abteilung 4000 (Millionen Dollar) in die Erneuerung ihres konstanten Kapitals stecken können. Das sind aber, im Idealfall, gerade die Maschinen im Wert von 4000, die in dieser Abteilung produziert worden sind, also als Produktionsmittel vorhanden sind und als solche in dieser Abteilung verbleiben.
Der Restwert von 2000 Millionen Dollar (variables Kapital + Mehrwert), der in Abteilung I produziert wurde, muss wiederum in den Kauf von Waren der Abteilung II (Konsumtionsmittel) fließen. Damit dies passieren kann, muss dieser Wertanteil der Produkte aus Abteilung I in seiner Naturalform aus Produktionsmitteln für die Konsumgüterindustrie bestehen. In Bezug auf den Reproduktionsprozess heißt das: Produktionsmittel im Wert von 2000 Millionen Dollar werden von den Unternehmen der Abteilung I an die Unternehmen der Abteilung II im Austausch für Konsumtionsmittel verkauft, die in die individuelle Konsumtion der Arbeiter:innen und Kapitalist:innen der Abteilung I eingehen. Dies kann aber nur deshalb funktionieren, weil der konstante Kapitalteil, d.h. der Wert der benötigten Maschinen in Abteilung II, in unserem Rechenbeispiel genau der Summe aus variablem Kapitalteil und Mehrwert in Abteilung I entspricht!
Der restliche Produktteil aus Abteilung II, der den reproduzierten Wert des variablen Kapitals (500) und den neu erzeugten Mehrwert darstellt (500), wird innerhalb der Abteilung II realisiert – es handelt sich ja bereits um Konsumtionsmittel – und geht in die individuelle Konsumtion der Arbeiter:innen und Kapitalist:innen ein.
Unter den Bedingungen der einfachen Reproduktion gehen also in den Umsatz zwischen den zwei Abteilungen ein:
das variable Kapital und der Mehrwert aus Abteilung I, die gegen die in Abteilung II produzierten Konsumtionsmittel ausgetauscht werden müssen, und
das konstante Kapital der Abteilung II, das gegen die in Abteilung I erzeugten Produktionsmittel ausgetauscht wird.
Anders gesagt: Abteilung I darf nicht mehr und nicht weniger Produktionsmittel produzieren, als Abteilung I und Abteilung II an Produktionsmitteln benötigen. Die pro Jahr in Abteilung I erzeugte Gesamtwarenmasse muss dem Wert nach jener Produktionsmittelmasse gleich sein, die während des Jahres in den Unternehmen beider Abteilungen aufgezehrt wird.
Damit die einfache Reproduktion störungsfrei vonstattengehen kann, muss also folgendes Verhältnis erfüllt sein: I (v + m) = II (c),
d.h. das variable Kapital plus Mehrwert in Abteilung I muss dem konstanten Kapital in Abteilung II entsprechen.
So weit also zur einfachen Reproduktion. Wie sieht es aber unter den Bedingungen der erweiterten Reproduktion aus?
Die erweiterte Reproduktion setzt die Akkumulation von Kapital voraus, das heißt die Verwandlung eines Teils a des Mehrwerts in neues Kapital anstatt ihn aufzuzehren. Da das Kapital jeder Abteilung aus zwei Teilen, dem konstanten und dem variablen Kapital, besteht, muss auch der akkumulierte Teil a des Mehrwerts in diese zwei Bestandteile zerfallen: Ein Teil des akkumulierten Mehrwerts wird in den Ankauf zusätzlicher Produktionsmittel gesteckt, ein anderer in die Bezahlung zusätzlicher Arbeitskräfte.
Das bedeutet für Abteilung I: Es muss ein gewisser Überschuss über die Menge an Produktionsmitteln hinaus produziert werden, die für die einfache Reproduktion notwendig wären.
Ausgehend von dem, was wir oben diskutiert haben, bedeutet das für den gesamten Reproduktionsprozess: Die Summe des variablen Kapitals und des Mehrwerts in Abteilung I muss in jedem Fall größer sein als das konstante Kapital in Abteilung II, oder, wieder als Formel ausgedrückt: I (v + m) > II (c).
Betrachten wir diese Aussage ebenfalls an einem Rechenbeispiel: Angenommen, in Abteilung I sei der Wert des konstanten Kapitals 4000 (Millionen Dollar), der Wert des variablen Kapitals 1000 und der Mehrwert 1000 (also wie oben). In Abteilung II sei der Wert des konstanten Kapitals diesmal aber 1500, der des variablen Kapitals 750 und der Mehrwert 750. Das gesellschaftliche Jahresprodukt setzt sich also wie folgt zusammen:
I. 4000 c + 1000 v + 1000 m = 6000
II. 1500 c + 750 v + 750 m = 3000
Die Zusammensetzung in Abteilung I ist also dieselbe geblieben wie oben, während sich die Zusammensetzung in Abteilung II verändert hat (hier ist der konstante Kapitalteil kleiner als oben). Angenommen nun, die Hälfte des Mehrwerts in Abteilung I, das heißt 500 Millionen Dollar, werden akkumuliert. Entsprechend der organischen Zusammensetzung des Kapitals in Abteilung I (4:1) zerfällt dieser akkumulierte Teil also in 400 für die Erweiterung des konstanten Kapitals und 100 für die Vergrößerung des variablen Kapitals. Das zusätzliche konstante Kapital (400) ist im Produkt der Abteilung I selbst in Gestalt von Produktionsmitteln vorhanden.
Die übrigen produzierten Produktionsmittel, die dem zusätzlichen variablen Kapital (100) entsprechen, müssen dagegen bei Abteilung II gegen Konsumgüter eingetauscht werden. Also muss auch Abteilung II mehr Produktionsmittel kaufen, also akkumulieren. Die Kapitalist:innen in Abteilung II tauschen einen Teil ihres Mehrwerts (100) also gegen Produktionsmittel aus Abteilung I, und verwandeln diese Produktionsmittel in zusätzliches konstantes Kapital. Dann muss entsprechend der organischen Zusammensetzung des Kapitals in Abteilung II (2:1) das variable Kapital dieser Abteilung um 50 wachsen. In Abteilung II müssen aus dem Mehrwert von 750 folglich 150 akkumuliert werden. Diese Zahl ergibt sich also rechnerisch aus dem Mehrwertanteil, der in Abteilung I akkumuliert wurde: Dieser Umstand ist aber nicht einfach der Wahl unseres Beispiels geschuldet, sondern drückt aus, dass die Unternehmen aus Abteilung I letztlich die Akkumulation bestimmen, die beide Abteilungen vornehmen müssen, damit der gesamte Reproduktionsprozess aufgeht!
Schauen wir also, warum die Rechnung im vorliegenden Beispiel aufgeht:
Wie bei der einfachen Reproduktion muss Abteilung II bei Abteilung I ihr konstantes Kapital von 1500 eintauschen (Konsumtionsmittel gegen Produktionsmittel). Abteilung I muss ihrerseits von Abteilung II ihr variables Kapital von 1000 und den für die Konsumtion bestimmten Mehrwertteil von 500 eintauschen. Insgesamt müssen also folgende Größen zwischen den Abteilungen ausgetauscht werden:
Abteilung I verkauft:
Produktionsmittel (Pm.), die dem variablen Kapitalteil I(v) entsprechen: 1000
Pm., die dem akkumulierten Teil des Mehrwerts entsprechen, der für die Erweiterung von I(v) bestimmt ist: 100
Pm., die dem Mehrwertteil entsprechen, der von den Kapitalist:innen konsumiert wird: 500
Insgesamt: 1600
Abteilung II verkauft:
Konsumtionsmittel (Km), die dem konstanten Kapitalteil entsprechen: 1500
Km., die dem akkumulierten Teil des Mehrwerts entsprechen, der für die Erweiterung von II(c) bestimmt ist: 100
Insgesamt: 1600
Der Austausch zwischen den beiden Abteilungen kann nur dann reibungslos vonstattengehen, wenn beide Größen gleich sind. Das ist hier der Fall.
Das bedeutet also: Bei der erweiterten Reproduktion muss die Summe des variablen Kapitals und des Mehrwerts in Abteilung I schneller wachsen als das konstante Kapital in Abteilung II. Das konstante Kapital in Abteilung I muss auch schneller wachsen als das konstante Kapital in Abteilung II.
Wir haben also gesehen: Für die Realisierung des gesellschaftlichen Produkts müssen sowohl bei einfacher als auch bei erweiterter Reproduktion bestimmte Verhältnisse (Proportionen) zwischen den Bestandteilen des Kapitals in den beiden Abteilungen gewahrt sein.
Das Problem ist: Im Kapitalismus, wo die Unternehmen unabhängig voneinander für einen unbekannten Markt produzieren, wo also die Anarchie in der gesellschaftlichen Produktion herrscht, setzen sich diese Proportionen nur gelegentlich, in gewaltsamer Form und unter andauernden Schwankungen durch. Das heißt, das gesellschaftliche Produkt wird im Kapitalismus nur unter ständigen Störungen realisiert, die mit der Entwicklung dieser Produktionsweise immer heftiger werden.
Wir haben gesehen, dass die erweiterte Reproduktion, die für den Kapitalismus unerlässlich ist, voraussetzt, dass variables Kapital und Mehrwert in Abteilung I schneller wachsen müssen als das konstante Kapital in Abteilung II, und dass die Akkumulation in Abteilung I darüber bestimmt, wie groß der akkumulierte Teil des Mehrwerts in Abteilung II sein darf, damit die Reproduktion funktioniert. Das bedeutet: Die Erweiterung der kapitalistischen Produktion und die Bildung des inneren Marktes eines Landes gehen von der Entwicklung der Produktion von Produktionsmitteln aus! Das Wachstum der Produktion von Produktionsmitteln überholt im Kapitalismus bei weitem das Wachstum der Produktion von Konsumtionsmitteln. Die Konsumgüter nehmen in der kapitalistischen Gesamtproduktion in der Folge einen immer kleineren Platz ein.
Die Entwicklung der Produktion von Produktionsmitteln kann sich gleichzeitig aber nicht völlig unabhängig von der Produktion von Konsumtionsmitteln vollziehen. Die Anwendung von Produktionsmitteln in Abteilung II ist am Ende immer davon abhängig, dass die produzierten Konsumgüter am Ende auch gekauft werden, und damit ist das Wachstum von Abteilung I ebenfalls von der individuellen Konsumtion abhängig. Der individuellen Konsumtion sind aber im Kapitalismus enge Grenzen gesetzt, denn der größte Teil der Konsumenten sind die Arbeiter:innen, deren Lohn im Kapitalismus gesetzmäßig unter den Wert der Ware Arbeitskraft gedrückt wird. Noch genauer gesagt besteht die Konsumtionskraft der gesamten Gesellschaft aus dem Wertteil v + (m – a), d.h. dem gesamten variablen Kapitalteil plus dem nicht akkumulierten Mehrwertteil, der in die individuelle Konsumtion der Kapitalist:innen fließt. Genau dieser Teil des gesellschaftlichen Gesamtprodukts wird aber im Zuge der kapitalistischen Entwicklung, während der die Kapitalist:innen immer mehr akkumulieren und die organische Zusammensetzung des Kapitals steigt, relativ zum übrigen Teil (c + a) immer kleiner.
Die kapitalistische Entwicklung ist also von dem Widerspruch geprägt, dass das gesellschaftliche Gesamtprodukt immer mehr wächst (weil das Kapital für die Erzielung von Profit, also „um der Produktion willen“ produziert), während die Konsumtionskraft der Gesellschaft aus demselben Grund, dem Zwang zur Erhöhung der Profite, im Verhältnis zum Gesamtprodukt immer stärker beschränkt wird. Dies ist aber, wie wir bereits in der ersten Schulung zum Kapitalismus angerissen haben, der Grund für die Entstehung periodischer Überproduktionskrisen im Kapitalismus. Diese wollen wir uns im Folgenden mit unserem jetzigen Wissensstand genauer ansehen.
Noch einmal zu den kapitalistischen Wirtschaftskrisen
Die Krise als Verlaufsform der kapitalistischen Reproduktion
Wir haben in unserer ersten Schulung zum Kapitalismus bereits behandelt, dass Krisen im Kapitalismus gesetzmäßig auftreten, und dass es sich dabei um Überproduktionskrisen handelt.
Krisen im Kapitalismus sind eine notwendige Konsequenz und Erscheinungsform des Widerspruchs zwischen der gesellschaftlichen Produktion und der privaten, kapitalistischen Aneignung. An dieser Stelle wollen wir unser Verständnis der Krisen im Kapitalismus vertiefen und diskutieren, warum Krisen die Verlaufsform der kapitalistischen Reproduktion bilden, und warum Krisen zyklisch auftreten müssen.
Was die kapitalistische Reproduktion ist, und was die Bedingungen für ihren reibungslosen Verlauf sind, haben wir im letzten Abschnitt besprochen. Dabei haben wir zwischen der einfachen und der erweiterten Reproduktion unterschieden. Die erweiterte Reproduktion ist im Kapitalismus unerlässlich: Die Konkurrenz zwingt die Unternehmen „bei Strafe des Untergangs“ zur Akkumulation, das heißt zur Verwendung eines Teils des Mehrwerts zur Vergrößerung ihres Kapitals.
Gesamtgesellschaftlich geht die Akkumulation, wie wir oben gesehen haben, von Abteilung I, der Produktion von Produktionsmitteln, aus. Noch genauer ist es vor allem die Erweiterung des fixen Kapitals (also vor allem der Maschinen) durch die Kapitalist:innen, die in jedem Zyklus die Phase der erneuten Akkumulation einleitet. Die Erneuerung und Erweiterung des fixen Kapitals führt aus der Sicht jedes Unternehmens zur Senkung der Produktionskosten und zur beschleunigten Selbstverwertung des Kapitals.
Der Moment des Krisenzyklus, in dem wieder Kapital akkumuliert wird, also erweiterte Reproduktion stattfindet, markiert den Beginn der sogenannten Phase der Belebung. Solange der Prozess der Akkumulation und vor allem der Erweiterung des fixen Kapitals anhält, dehnt sich der kapitalistische Markt aus, und die Belebung geht in den Aufschwung über.
Warum dehnt sich der kapitalistische Markt aber ausgehend von der Erweiterung des fixen Kapitals aus und führt zu Belebung und Aufschwung? In diesen Phasen des Zyklus treten die Kapitalist:innen immer stärker als Käufer:innen von Waren der Abteilung I auf. Die steigende Produktion in Abteilung I führt zur Erhöhung des variablen Kapitalteils in dieser Abteilung, d.h. es werden tendenziell mehr Beschäftigte eingestellt. Der erhöhte variable Kapitalteil in Abteilung I, der zunächst in Form von Produktionsmitteln existiert, muss wiederum gegen Konsumtionsmittel aus Abteilung II getauscht werden. Hierdurch steigt der Absatz von Konsumtionsmitteln und die Belebung geht von Abteilung I auf Abteilung II über. Diese Erweiterung muss aber an Grenzen stoßen: Die Kapitalist:innen können die von ihnen hergestellten Produktionsmittel nicht endlos untereinander kaufen. Alle Produktionsmittel dienen letztendlich zur Herstellung von Konsumtionsmitteln. Deshalb setzt der Absatz von Waren der Abteilung II, also die Konsumtionskraft der Gesellschaft, am Ende auch dem Absatz der Waren aus Abteilung I Grenzen.
Die Konsumtionskraft der Gesellschaft lässt sich quantitativ aber genau bestimmten als v + (m – a), d.h. dem variablen Kapitalteil, der als Lohn an die Arbeiter:innenklasse bezahlt wird, plus dem nicht akkumulierten Teil des Mehrwerts, der in die individuelle Konsumtion der Kapitalist:innen geht. Diese Konsumtionskraft der Gesellschaft ist aber nicht nur beschränkt, sondern die Kapitalist:innen müssen im Prozess der Akkumulation, bei Strafe des Untergangs, alles daran setzen, sie auf ein Minimum zu senken, nämlich
indem sie den Mehrwertanteil im Verhältnis zum variablen Kapitalteil erhöhen (Erhöhung der Mehrwert- bzw. Ausbeutungsrate), und
indem sie einen möglichst großen Teil des Mehrwerts in die Akkumulation stecken.
Die Konsumtionskraft steigt zwar, ihrer absoluten Größe nach, ebenfalls an. Das Entscheidende ist aber, dass sie ihrer relativen Größe nach, d.h. im Verhältnis zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt immer mehr sinken muss.
Die Akkumulation, die den Markt zunächst erweitert und zur Belebung und zum Aufschwung führt, muss daher früher oder später zwangsläufig zur Krise führen. Ist die Erneuerung und Erweiterung des fixen Kapitals zum größten Teil beendet und beginnen die neuen Maschinen und neuen Werke eine erhöhte Menge von Waren, insbesondere von Waren der Abteilung II, auf den Markt zu werfen, so stellt sich heraus, dass die Konsumtionskraft der Gesellschaft zu gering ist, um die Waren aufzunehmen, die infolge der erhöhten Produktion auf den Markt geworfen wurden. Die Akkumulation hat zur Überproduktion, zur Krise geführt.
Die Krise ist die entscheidende Phase des Zyklus und bildet seine Grundlage: Der Warenabsatz bricht zusammen. Die Kapitalist:innen schränken die Produktion ein, vernichten Kapital und Waren, setzten Arbeitskräfte auf die Straße und senken die Preise – und zwar solange, bis sich die Produktion der Aufnahmefähigkeit des Marktes wieder angepasst hat. Auf die Krise folgt mit der Depression eine Phase, die im Allgemeinen durch eine Stagnation in Industrie und Handel, niedrige Warenpreise und Überfluss an freiem Geldkapital geprägt ist. In der Depression werden die Voraussetzungen für die darauffolgende Belebung und den Aufschwung geschaffen: Die angesammelten Warenvorräte werden teils zerstört, teils zu Billigpreisen verramscht. Das Kapital versucht, die Produktionskosten herabzusetzen, einerseits durch Verschärfung der Ausbeutungsbedingungen der Lohnarbeit, andererseits durch die Erneuerung des fixen Kapitals. Wird wieder real akkumuliert, also das fixe Kapital erweitert, geht die Depression in eine neue Phase der Belebung über.
Wir sehen also: Der Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Produktion und der privatkapitalistischen Aneignung zwingt, über den Weg der Konkurrenz, zur Akkumulation. Die Akkumulation verringert die Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft und führt zur Überproduktion. Die Erneuerung des fixen Kapitals ist wiederum die „materielle Grundlage“ für den zyklischen Verlauf der Reproduktion. Aus diesem Grund hat sich mit der Beschleunigung der technischen Entwicklung, wodurch die Erneuerung des fixen Kapitals schneller vonstattengehen muss, auch der Krisenzyklus in den letzten 150 Jahren beschleunigt, nämlich von einer Dauer von ca. 10 Jahren (im 19. Jahrhundert) auf heute ca. 5 Jahre.
Die Krise und die anschließende Depression sind im Kapitalismus zudem der Ausgangspunkt für die weitere Zentralisation des Kapitals und der Moment, in dem der tendenzielle Fall der Profitrate sichtbar wird, nämlich infolge der Erneuerung der Maschinen, wodurch die organische Zusammensetzung des Kapitals sich erhöht.
Wir sprechen deshalb davon, dass der Krisenzyklus die Verlaufsform der kapitalistischen Reproduktion ist, durch den die grundlegenden Tendenzen der kapitalistischen Entwicklung wirksam werden.
Der Kredit als Treibmittel der Überproduktion
Zuletzt wollen wir betrachten, welche Rolle die Entwicklung des Kreditwesens in Hinblick auf den Krisenzyklus spielt.
Wir haben oben gesehen, dass die Entwicklung des Kreditwesens es den Kapitalist:innen ermöglicht, die Umschlagszeit ihres Kapitals zu verkürzen, indem sie Waren auf Kredit kaufen und verkaufen. Die Schuldscheine, die sich Kapitalist:innen im vordigitalen Zeitalter im Zuge dieser Geschäfte gegenseitig ausgestellt haben, wurden Wechsel genannt und bildeten die Grundlage des Kreditgeldes.
Dies hat Folgen für einen Aspekt der kapitalistischen Reproduktion, den wir bislang noch nicht betrachtet haben, nämlich die Geldzirkulation: Damit das industrielle Kapital nämlich seine Formwechsel G – W bzw. W – G‘ reibungslos vollziehen kann, müssen in der kapitalistischen Wirtschaft nicht nur die entsprechenden Waren, sondern auch genug Geld vorhanden sein. Die Entwicklung des Kreditgeldes bewirkt aber, dass die notwendige Menge an echtem Geld (also Gold) als Zirkulationsmittel sich verringert.
Was steckt dahinter?
Im vereinfachten Fall einer warenproduzierenden Gesellschaft mit einer Goldwährung (Geld = Gold) hängt die für die Zirkulation der Waren erforderliche Menge Geld von der Preissumme der Waren und der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes ab. Steigen etwa die Warenpreise, ist bei gleichbleibender Umlaufgeschwindigkeit mehr Geld für die Zirkulation erforderlich. Sinkt die notwendige Geldmenge, etwa infolge gefallener Warenpreise, wird Geld der Zirkulation entzogen und in Schatz verwandelt. Steigt die notwendige Geldmenge wieder, bildet der Schatz den Reservefonds, aus dem Geld wieder in die Zirkulation fließen kann. Die Existenz eines solchen Reservefonds ermöglicht einen reibungslosen Verlauf der Zirkulation.
Mit der Entwicklung des Kreditwesens wird das beizeiten überschüssige Geld aber nicht mehr gespeichert, sondern verliehen! Es wird nun als Kapital angelegt, jedoch, wie wir gesehen haben, nicht von seinen Eigentümer:innen, sondern von den Kapitalist:innen, die es geliehen haben. Ein reibungsloser Ablauf der Zirkulation ist nun nicht mehr garantiert, da nicht gewährleistet ist, dass im Falle einer Ausdehnung der Warenzirkulation auch genügend Geld vorhanden ist. Mehr noch: Während er den Reservefonds an Zirkulationsmitteln verringert, wird der Kredit zeitgleich zu einem zentralen Mittel, die Warenzirkulation massiv auszudehnen, denn die Kapitalist:innen können ihre Waren ja auf Kredit verkaufen und in neue Anlagen investieren, ohne auf den Rückfluss von echtem Geld warten zu müssen!
Dies aber steigert die Gefahr von Stockungen im kapitalistischen Reproduktionsprozess erheblich: Der Kredit hält den Schein des Rückflusses von Geld noch lange Zeit aufrecht, nachdem der tatsächliche Rückfluss schon lange versiegt ist. Die Ausdehnung der Produktion dauert nun noch lange an, die Preise steigen weiter – weit über die Warenwerte – während die überproduzierten Waren in Wahrheit bereits längst die Lager überfüllen. Gleichzeitig explodiert der Handel mit Kreditpapieren (dem fiktiven Kapital), und damit deren Kurse an den Börsen. Man spricht von einer „Blasenbildung“. Solange das Wachstum des Kreditgeschäfts noch weiter läuft, scheint die wirtschaftliche Lage blühend zu sein. Irgendwann aber platzt die „Kreditblase“: „Die Banken fangen an, Lunte zu riechen, sobald ihre Kunden mehr Wechsel als Geld einzahlen.“ 7
Der Schaden ist jetzt aber noch viel größer, weil der Verkauf auf Pump die Überproduktion noch viel weiter getrieben hat als ohne Kredite. Die Produktion ist noch mehr über die Aufnahmefähigkeit der Märkte hinausgewachsen. Zu den unverkäuflichen Waren kommen jetzt noch die uneinlösbaren Zahlungsverpflichtungen, die zahlreiche Unternehmen in die Pleite treiben. Die Geld- und Kreditkrise ist immer eine Begleiterscheinung von Überproduktionskrisen und wurzelt in ihnen. Jetzt, wo das Geld am nötigsten ist, bricht der Kredit zusammen. Das Kreditgeld, das aufgrund von Warengeschäften zu überteuerten Preisen erzeugt wurde, wird entwertet. Nachdem es im Aufschwung das Bargeld fast völlig aus der Zirkulation verdrängt hat, wird im Moment der Krise jeder nur noch echtes Geld mit echten Wert akzeptieren – eine Forderung, die aber unerfüllbar ist. Die Geldzirkulation wächst zwar in der Krise, vor allem aber, um fällige Rechnungen zu begleichen, nicht um neue Waren zu kaufen. Dies verschärft den Zusammenbruch des Warenabsatzes in der Krise.
Geld- bzw. Kreditkrisen entstehen also auf der Grundlage von Überproduktionskrisen, und nicht umgekehrt, wie es in den kapitalistischen Medien häufig dargestellt wird. Durch das Kreditwesen werden die Überproduktionskrisen aber extrem verschärft. Dies gilt umso mehr heute, da der chronische Überschuss von Leihkapital im Imperialismus zu ständigen Blasenbildungen führt, z.B. wenn, wie in den 2000er Jahren, erhebliche Mengen an Leihkapital in Immobilienkredite (sowie Wertpapiere, die auf Immobilienkrediten aufbauen) fließen und damit die Überproduktion von Häusern in vielen Ländern anheizen. Dies war der Ausgangspunkt der schwersten Krise der Weltwirtschaft seit den 1930er Jahren. Die Folgen dieser Krise von 2007/2008 konnten wiederum nur mit einer erneuten, massiven Ausdehnung des Kredits abgemildert werden. Es ist deshalb nur eine Frage der Zeit, bis eine zyklische Überproduktionskrise erneut einen schweren Zusammenbruch der Weltwirtschaft auslösen wird.
Der Systemsturz passiert nicht von allein
Die Krisenhaftigkeit ist also im Kapitalismus Gesetz. Es wäre aber ein gefährliches (und leider recht beliebtes) Missverständnis, aus der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus die Schlussfolgerung zu ziehen, dieser könnte in irgendeiner Weise von selbst zusammenbrechen. Der Krisenzyklus ist die Bewegungsform des Kapitals. Der Krisenzyklus bestimmt in seinen verschiedenen Phasen die Bedingungen der Kapitalverwertung. Er regelt die Neuverteilung und Neuzusammensetzung von Kapital, seine in Etappen erfolgende Neuanlage und die damit einhergehende Einengung der Verwertungsbedingungen (nämlich durch den tendenziellen Fall der Profitrate), die wiederum die Bildung immer größerer, jetzt monopolistischer Kapitale und die chronische Überakkumulation von Kapital hervorbringt.
Durch alle Krisen hindurch bleibt die Grundlage des Kapitalverhältnisses aber stets erhalten: Nämlich das Privateigentum an den Produktionsmitteln, das keine Krise der Welt aufheben wird – sofern es nicht in einer sozialistischen Revolution beseitigt wird.
Fragen für das Selbst- und Gruppenstudium
EINLEITUNG
Welche Prozesse des Kapitals müssen wir neben dem Produktionsprozess betrachten, um die moderne Welt zu verstehen?
INDUSTRIELLES KAPITAL
Was ist industrielles Kapital und wie verläuft sein Kreislauf?
Was ist die Umschlagzeit des Kapitals?
Was verstehen wir unter fixem und zirkulierendem Kapital? In welchem Verhältnis stehen beide Begriffe zum konstanten und variablen Kapital?
DURCHSCHNITTSPROFIT UND FALL DER PROFITRATE
Was ist der kapitalistische Kostpreis?
Wie unterschieden sich Profit- und Mehrwertrate?
Was ist der Extraprofit und wie hängt er mit der kapitalistischen Konkurrenz zusammen?
Wie entsteht die Durchschnittsprofitrate? Was bedeutet sie für die Arbeiter:innen in den einzelnen Zweigen der Wirtschaft und dem von ihnen produzierten Mehrwert?
Erläutere das Grundprinzip des tendenziellen Falls der Profitrate. Wieso steigt die Masse des Profits absolut trotz Fall der Profitrate an?
HANDELS- UND LEIHKAPITAL
Woher stammt der Profit des Handelskapitals?
Zu welchem Preis verkauft der Handel seine Waren?
Begründe mit Hilfe der Politischen Ökonomie, warum Verkäufer:innen vom Kapital ausgebeutet werden, obwohl sie keine produktive Arbeit verrichten und der Ware keinen Mehrwert hinzufügen?
Was sind der „Kredit“ und der “Zins“ aus marxistischer Sicht?
Was meint die Trennung zwischen „Kapital als Eigentum“ und „Kapital als Funktion“? Wieso ist das wichtig für uns?
Wovon hängt die Höhe des Zinses (Zinssatz bzw. Zinsfuß) ab und unterscheidet sich das von den Warenpreisen?
Was ist „fiktives Kapital“ und wovon hängt der Preis von Wertpapieren ab, die wir als fiktives Kapital bezeichnen?
LANDWIRTSCHAFT IM KAPITALISMUS
Was ist die Grundrente?
Warum bleibt die Landwirtschaft im Kapitalismus grundsätzlich hinter der Industrie zurück?
Warum sind die Löhne im Dorf grundsätzlich niedriger als in der Stadt?
Wieso zahlt die Gesellschaft im Kapitalismus den Grundeigentümer:innen einen Tribut und welcher Mechanismus garantiert, dass der Reichtum vom Land in die Stadt fließt?
NATIONALEINKOMMEN
Was ist das Nationaleinkommen und woraus setzt es sich zusammen? Wer erzeugt es?
Welche Tendenzen lassen sich bei der Verteilung des Nationaleinkommens beobachten?
REPRODUKTION DES GESELLSCHAFTLICHEN KAPITALS
Was beinhaltet die kapitalistische Reproduktion?
Was geschieht bei der „einfachen“ und was bei der “erweiterten Reproduktion“ des Kapitals?
In welche Zweige zerfällt das gesellschaftliche Gesamtprodukt seiner Naturalform nach?
Warum spielt die Naturalform für die erweiterte kapitalistische Reproduktion im Gegensatz zum Kreislauf des individuellen Kapitals eine Rolle?
Welche Bedingungen müssten für den reibungslosen Verlauf der kapitalistischen Reproduktion erfüllt sein? Warum klappt das im Kapitalismus in der Regel nicht?
Von welchem Zweig der Wirtschaft muss die erweiterte Reproduktion ausgehen?
WIRTSCHAFTSKRISEN
Welche Phasen gibt es im Krisenzyklus?
Wie hängen die Wirtschaftskrisen mit der kapitalistischen Reproduktion zusammen?
In welcher Form verstärkt der Kredit die Krisen?
Wie hängen die Kredit- bzw. Geldkrise mit der Überproduktion zusammen?
Erläutere die Aussage: „Die Wirtschaftskrisen sind die Verlaufsform der kapitalistischen Reproduktion“.
Inwiefern folgt daraus, dass der Kapitalismus auch in der schwersten Krise nicht von selbst zusammenbricht?
Literaturempfehlungen
Akademie der Wissenschaften der UDSSR, „Politische Ökonomie – Lehrbuch“, deutsche Übersetzung, Dietz-Verlag 1. Auflage 1959, 791 Seiten
Das Lehrbuch ist zur Vertiefung dieser Schulung sehr zu empfehlen, da es pädagogisch gut aufbereitet in überschaubarer Länge und gut verständlich die Inhalte vermittelt. Der hier behandelte Stoff umfasst im Wesentlichen die Kapitel VII (Akkumulation des Kapitals), VIII (Kreislauf und Umschlag des Kapitals), IX (Durchschnittsprofit), X (Handelskapital), XI (Leihkapital und Zins), XII (Grundrente), XIII (Nationaleinkommen), XIV (Wirtschaftskrisen).
Nach Möglichkeit sollte man die 1. Auflage oder einen entsprechenden Nachdruck von K-Gruppen aus den 1970er nehmen. Ab der 2. Auflage vermischen sich, insbesondere bei den Themen Imperialismus und Sozialismus, marxistisch-leninistische und revisionistische Tendenzen zu einem auch für Fortgeschrittene nicht immer leicht zu entwirrenden Knäuel.
Fred Oelßner, „Die Wirtschaftskrisen Erster Band Die Krisen im vormonopolistischen Kapitalismus“, Dietz 1949, 308 Seiten
Dankenswerterweise hat Oelßner mit diesem Buch die Aufgabe erfüllt, aus den bei Marx ziemlich zerstreuten Teilen zur Krise eine flüssige und gut erklärende Gesamtdarstellung der marxistischen Krisentheorie zu schreiben. Dieser erste Abschnitt „Die Krisentheorie des Marxismus“ umfasst 168 Seiten. Der nachfolgende geschichtliche Teil ist zum Verständnis nicht notwendig und richtet sich eher an speziell an Wirtschaftsgeschichte interessierte Leser:innen.
Kommunismus Nr. 15, 07/2019; „Wirtschaftskrise – Entstehung, Folgen, Widerstand“, 46 Seiten
Darstellung der Lage der Weltwirtschaft 2019 und des Imperialismus auf Grundlage der Inhalte dieser Schulung. Gut zur Vertiefung geeignet, da es aktuelle Beispiele und Erscheinungen aufgreift.
Im Rückblick gesehen handelt es sich auch um eine relativ zielsichere Prognose des im Frühjahr 2020 erfolgten Crashs, was anzeigt, dass Theorie und Praxis für Kommunist:innen eine untrennbare dialektische Einheit bilden.
Eugen Varga, Ausgewählte Schriften 2, Die Wirtschaftskrisen, Pahl-Rugenstein 1982, 515 Seiten
Sammelband mit Texten des wichtigsten Ökonomen der Kommunistischen Internationale, unter anderem mit einer vertieften Einführung in die marxistische Krisentheorie (S. 3 – 54), einer Kritik der bürgerlichen Konjunkturforschung (S. 55 – 69), Studien über die Grundzüge der wirtschaftlichen Entwicklung der wichtigsten imperialistischen Länder bis in die 1920er Jahre (S. 70 – 249), detaillierten Analysen zur Weltwirtschaftskrise 1928 – 1934 (S. 250 – 394) sowie zur kapitalistischen Wirtschaft während des Zweiten Weltkriegs (S. 429 – 482). Unverzichtbares Werk zur Vertiefung der Kenntnisse in politischer Ökonomie mit dem Ziel, selbst Analysen der kapitalistischen Wirtschaft vorzunehmen.
Karl Marx, „Das Kapital, Band I – III“, MEW Band 23 – 25, Dietz Verlag, ca. 2500 Seiten
Ein Monsterwerk. Ehrlicherweise muss man sagen, dass es die allermeisten Kommunist:innen nie (komplett) gelesen haben. Und viele, die sich durchgekämpft haben, haben vermutlich nur einen Bruchteil des Inhalts verstanden. Also, wer die nächsten zehn Jahre seines Lebens abgeschnitten von der Welt verbringen will oder muss, sollte „Das Kapital“ mitnehmen. Ihr oder ihm wird mit Sicherheit nicht langweilig werden.
1 Marx, „Das Kapital II“, MEW 24, S. 61
2Geschichtlich war es tatsächlich so, dass das Handels- und das Wucherkapital (Geldkapital) sich vor dem industriellen Kapital entwickelt hatten. Allerdings büßten diese Kapitalarten in der kapitalistischen Produktionsweise ihre frühere selbständige Rolle ein und erhalten gegenüber dem industriellen Kapital eine dienende Funktion.
3Marx, „Das Kapital III“, MEW 25, S. 305
4In der Realität unterscheiden sich die Zinssätze natürlich je nach Bank und konkretem Kreditgeschäft, und zwar teils sehr erheblich. Als allgemeiner Zinsfuß kann das Verhältnis der gesamten Zinssumme in einer kapitalistischen Gesellschaft zum gesamten ausgeliehenen Geldkapital bezeichnet werden. Dieser allgemeine Zinsfuß ist letztlich ausschlaggebend dafür, wie hoch die konkreten Zinssätze der Banken sind, erscheint also in diesen Zinssätzen.
5Man muss hinzufügen, dass diese Darstellung gegenüber der realen Entwicklung von Aktienkursen eine Vereinfachung ist, die aber den wesentlichen Zusammenhang zwischen der Zins- und der Kursentwicklung von Wertpapieren klar macht: In der Realität werden die Anleger:innen nicht nur auf die Dividende der Aktie schauen (manche Aktiengesellschaften zahlen z.B. überhaupt keine Dividenden), sondern auch auf zu erwartende Kursgewinne, die er bei einem Verkauf des Papiers in der Zukunft realisieren könnte. Addiert man Dividende und Kursgewinne und teilt das Ergebnis durch den Kurs, zu dem die Aktie gekauft wurde, erhält man die sogenannte Aktienrendite, d.h. den Gewinn pro eingesetztem Geldkapital. Die Anleger:innen werden die Aktie tatsächlich nur dann erwerben, wenn sie eine wesentlich höhere Rendite verspricht als die Zinsen für ein entsprechendes Bankguthaben – denn: Bei der Bank können die Anleger:innen (verhältnismäßig) sicher sein, dass sie ihr Geld vollständig wiederbekommen, während der Kurs einer Aktie jederzeit fallen kann, und die Käufer:innen somit immer damit rechnen müssen, Geld zu verlieren. Sie erwartet also eine höhere Rendite im Gegenzug für das Risiko, das sie mit dem Aktienkauf eingehen.
6Um genau zu sein, umfasst Abteilung II die Produktion von notwendigen Gebrauchswerten (wie z.B. Lebensmitteln) ebenso wie Produktion von Luxusgegenständen, die nur von den Ausbeuter:innenklassen gekauft werden (wie z.B. Luxusyachten). Um die Betrachtung im Folgenden zu vereinfachen, sehen wir von einer Unterscheidung dieser Bereiche jedoch ab.
7Marx, „Das Kapital III“, MEW 25, S. 464