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Am Mittwoch, den 17. Februar, haben sich die Flüchtlinge, die in einem Flüchtlingslager in Köln-Kalk untergebracht sind entschieden, ihr Schweigen zu brechen und mit ihrer unerträglichen Situation an die Öffentlichkeit zu treten. Mit einer Demonstration zogen sie zum Bundesamt für Migration und Flucht, um die Auflösung ihrer „Unterkunft“ und dezentrale Unterbringung zu fordern. In ihrem Brief ist nicht nur von unerträglicher Enge, Schmutz und Mangelernährung die Rede, sondern auch von sexualisierten Übergriffen auf die geflüchteten Frauen durch den Sicherheitsdienst.1

In der öffentlichen Debatte werden diese Aussagen nun in Frage gestellt und der Sicherheitsdienst, der sich aus Vergewaltigern und Mittätern zusammensetzt, ist nach wie vor an Ort und Stelle. Wie immer zeigt sich auch hier: Opfer von sexualisierter Gewalt müssen für die deutsche Justiz eindeutige Beweise liefern – auch wenn es diese häufig nicht gibt – um eine Veränderung zu erreichen. Es ist genau dieses Herangehen, was dazu führt, dass nur acht Prozent der Vergewaltigungen angezeigt werden und nur zwei Prozent zu Verurteilungen mit Freiheitsstrafe führen. Dass die Betroffenen in diesem Fall in besonderer Abhängigkeit und Ungewissheit leben ändert daran überhaupt nichts, sondern verschlimmert diese Situation nur noch zusätzlich. Für uns steht nicht an erster Stelle, die Aussagen der Opfer in Frage zu stellen, sondern sie als zutreffend anzusehen. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Rörig hat selbst in einem Interview gesagt, dass Fälle wie dieser zur grausamen Normalität in deutschen Flüchtlingslagern gehören: „Ich gehe fest davon aus, dass es kein Einzelfall ist. Wir müssen davon ausgehen, dass sexuelle Übergriffe und Grenzverletzungen in allen Flüchtlingsunterkünften in Deutschland passieren.2

Wir müssen weiter gehen und uns fragen, warum diese Normalität? Warum werden Zustände geschaffen, in denen Männer und Frauen, ein solches „Leben“ nicht nur einige Tage oder Wochen, sondern monatelang ertragen müssen. Warum, bleiben die Behörden untätig trotz solcher wiederholt und öffentlich geäußerter Vorwürfe?3 Wenn noch am Abend der Veröffentlichungen 50 Frauen aus dem Lager in ein und demselben Gebäude mit ihren Kindern, Ehemännern und den Tätern selbst von der Kripo vernommen werden, kann man dann von einem ehrlichen Willen zur Aufklärung sprechen oder ist genau das Gegenteil das Ziel?

Zur ohnehin allzu häufig auswegslosen Situation Betroffener kommt hier, dass die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung mittlerweile gezielt solche Zustände schafft. Geschaffen werden mehrere quadratkilometergroße Massenlager wie in Berlin auf dem Tempelhofer Feld, die die Kontrolle und Einschüchterung der Flüchtlinge erleichtern sollen. Die Menschen fliehen vor den Kriegen, vor Hunger und Armut, die der deutsche Konzerne und der deutsche Staat in ihren Heimatländern verursachen hierher, in der Hoffnung auf Sicherheit. Genau diese Sicherheit wird ihnen genommen, indem sie der Willkür und Gewalt ausgesetzt werden wie in diesem Kölner Lager. Dass der Staat diese Drecksarbeit bisher an Sicherheitsdienste „outsourced“ statt sie selbst zu übernehmen, ist ein logischer Schritt, um für den Fall, dass das Schweigen gebrochen wird, wie nun in Köln, die ganze Sache als „tragischen Einzelfall“ und „Skandal“ unter den Tisch zu kehren.

Wir unterstützen die Forderungen der Flüchtlinge nach Auflösung des Lagers, nach dezentraler Unterbringung und nach Bestrafung der Verantwortlichen. Aber wir gehen weiter, wir rufen dazu auf, sich zu organisieren und dem Kampf gegen diese „Normalität“ anzuschließen. Wir rufen dazu auf, nicht hinzunehmen, dass wir in einem System leben, in dem Jahr für Jahr mehr Menschen die Heimat zur Hölle gemacht wird, in dem Millionen zur Flucht gezwungen werden, als Kollateralschaden für die Interessen der Herrschenden in den USA, der EU, Russland und China. Wir rufen dazu auf, nicht hinzunehmen, dass diejenigen die in die Flucht getrieben werden, hier in Massenlager eingepfercht, eingeschüchtert und vergewaltigt werden, um sie zu gefügigen und billigen Arbeitskräften zu machen oder zur Rückkehr zu zwingen. Wir rufen auf, die Wahl „Sklaverei in Europa oder zurück in den Tod“ vor die diese Menschen gestellt werden sollen, nicht mehr hinzunehmen. Diese „Normalität“, dieses System heißt Imperialismus. Die falschen Versprechungen, die Merkel den Geflüchteten im Sommer im Fernsehen gemacht hat, sind vergessen und nun wird offensichtlich, dass die Flucht nur ein scheinbarer Ausweg aus dem Elend bleibt. Der Kampf gegen die Ursachen dieser Flucht, gegen dieses System muss hier im Herzen der Bestie ebenso geführt werden, wie in den abhängigen und ausgebeuteten Ländern, aus denen Millionen Menschen fliehen.

1www.dignity4refugees.wordpress.com

3Flüchtlinge bleiben bei ihren schweren Vorwürfen gegen Sicherheitsfirma. Kölner-Stadtanzeiger online 19.02. 2016