Historischer Materialismus

Einleitung

In der vorangegangenen Schulung haben wir die Grundzüge des dialektischen Materialismus kennengelernt. Sie entfalten ihr volles revolutionäres Potenzial, wenn man sie auf die Erforschung des gesellschaftlichen Lebens, die Geschichte der menschlichen Gesellschaft, die Politik anwendet. Die sich daraus entwickelnde Geschichtsauffassung nennen wir historischen Materialismus.

Wir haben bereits festgestellt, dass alle Naturerscheinungen in einem wechselseitigen Zusammenhang miteinander verbunden sind, sich gegenseitig bedingen und voneinander abhängen. Daraus folgt, dass auch das gesellschaftliche Leben mit all seinen Erscheinungen, dass die Geschichte und die Politik nicht „zufällig“ verlaufen, sondern Gesetzmäßigkeiten folgen.

Wir haben auch festgestellt, dass die Welt erkennbar ist und unser Wissen von den Entwicklungsgesetzen der Natur zuverlässiges Wissen ist. Daraus folgt, dass das gesellschaftliche Leben, die Entwicklung der Gesellschaft ebenfalls erkennbar ist. Die Ergebnisse der Wissenschaft bezüglich der Entwicklungsgesetze der Gesellschaft sind zuverlässig und haben die Bedeutung objektiver Wahrheiten.

Was bedeutet das?

Die Wissenschaft von der Geschichte der Gesellschaft kann trotz aller Kompliziertheit der Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens zu einer genauso exakten Wissenschaft werden wie die Biologie, Physik etc. Sie kann also zu einer Wissenschaft werden, welche imstande ist, die Entwicklungsgesetze der Gesellschaft in der Praxis auszunutzen.

Es ist die Aufgabe der Kommunist:innen, diese Gesetzmäßigkeiten zu studieren und auf ihrer Grundlage die Linie für die praktische Politik zu entwickeln.

Das bedeutet konkret:

Entgegen der bürgerlichen Ideologie des „Relativismus“ und des „Pluralismus“ gibt es auch in der Gesellschaftswissenschaft und in der Politik „richtig“ und „falsch“. Es gibt Auffassungen, welche die objektive Wirklichkeit korrekt widerspiegeln und solche, die das nicht tun. In der Auseinandersetzung um politische Auffassungen geht es also darum, herauszuarbeiten, welche dieser Auffassungen richtig und welche falsch sind.

Geschichte und Politik werden nicht durch allgemeine, ideelle Prinzipien wie die „absolute Moral“ oder die „Vernunft“ bestimmt. Umgekehrt gilt, dass die Auffassung darüber, was moralisch und was vernünftig ist, durch die objektiven gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt wird: Das, was heute, unter bestimmten gesellschaftlichen Voraussetzungen vernünftig ist, kann morgen – unter anderen Voraussetzungen – unvernünftig und schädlich sein.

Die Geschichte wird nicht durch einzelne „Held:innen“ oder „Schurk:innen“ bestimmt, die zufällig mal geboren werden, sondern durch objektive Gesetzmäßigkeiten der Gesellschaft. Die gesellschaftlichen Bedingungen bringen auch die entsprechenden Persönlichkeiten hervor.1

Kommunist:innen dürfen sich also in ihrer praktischen Tätigkeit nicht von irgendwelchen zufälligen Beweggründen leiten lassen, sondern von den Entwicklungsgesetzen der Gesellschaft und von den praktischen Schlussfolgerungen aus diesen Gesetzen. Der Sozialismus verwandelt sich damit aus einem Traum von einer besseren Zukunft der Menschheit – von einer „Utopie“ in eine Wissenschaft. Was beinhaltet die wissenschaftliche Auffassung von der Geschichte der menschlichen Gesellschaften und der Politik also im Einzelnen?

Grundgedanken des Historischen Materialismus

Die Produktionsweise als Grundlage der Gesellschaft

Der dialektische Materialismus geht davon aus, dass die Materie das „Primäre“ ist, das außerhalb und unabhängig vom Bewusstsein vorhanden ist und dieses bestimmt. Das Bewusstsein ist ein Abbild der Materie.

Für die Gesellschaft bedeutet das, dass ihr materielles Leben ebenfalls das Primäre ist, welches ihr geistiges Leben bestimmt. Das materielle Leben der Gesellschaft ist eine objektive Realität, die unabhängig vom Willen der Menschen vorhanden ist. Das geistige Leben der Gesellschaft ist eine Widerspiegelung dieser objektiven Realität.

Was aber macht das materielle Leben der Gesellschaft aus? Worin besteht seine Grundlage, welche die Struktur und den Charakter der Gesellschaftsordnung sowie ihre Entwicklung bestimmt?

Um zu leben, muss man Nahrung, Kleidung, Wohnung, Heizung, Produktionsinstrumente usw. haben. Aber um diese materiellen Güter zu haben, muss man sie herstellen.

Die Grundlage für die Existenz der Menschen sieht der historische Materialismus also in der Art und Weise der Gewinnung der Mittel für den Lebensunterhalt. Dies wird als Produktionsweise bezeichnet. „Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt“, sagt Marx. Ohne eine Produktion, welche eine materielle Überlebensgrundlage schafft, ist kein menschliches Leben möglich und jeder Gedanke an eine Gesellschaft unmöglich.

Eine bestimmte Produktionsweise ist sowohl durch die Produktivkräfte der Gesellschaft als auch durch ihre Produktionsverhältnisse gekennzeichnet.

Schauen wir uns das im Einzelnen an und beginnen mit den Produktivkräften. Für die Produktion benötigt man neben den natürlichen Rohstoffen wie Holz, Flüsse, Gestein usw. noch

Produktionsinstrumente bzw. Arbeitsmittel und Werkzeuge mit deren Hilfe materielle Güter hergestellt werden; z.B. Äxte, Hacken, später Pflüge und heute Maschinen und Computer.

die Menschen, welche diese Produktionsmittel anwenden und die Produktion der materiellen Güter dank einer gewissen Produktionserfahrung und Arbeitsfertigkeit bewerkstelligen. Es würde z.B. nicht funktionieren ungelernte Hilfsarbeiter:innen an eine komplizierte Maschine im Kontrollraum eines Kraftwerks zu setzen.

Diese beiden Elemente werden unter dem Oberbegriff der Produktivkräfte der Gesellschaft zusammengefasst. Die entscheidende Produktivkraft sind die Milliarden Menschen, durch deren körperliche und geistige Arbeit alle Güter geschaffen werden, die wir zum Leben brauchen. Sie sind daher die Schöpfer:innen der Geschichte der Gesellschaft.

Nunmehr wollen wir uns die Produktionsverhältnisse als zweites Element der Produktionsweise näher betrachten.

Die Menschen führen einen Kampf mit der Natur und benutzen die Natur zur Herstellung materieller Güter nicht voneinander isoliert, nicht als voneinander losgelöste Einzelwesen, sondern immer gemeinsam, in Gruppen, in Gesellschaften. Darum ist die Produktion unter allen Bedingungen eine gesellschaftliche Produktion. Im gesellschaftlichen Prozess der Herstellung der zum Überleben notwendigen Güter gehen die Menschen untereinander ganz bestimmte Wechselbeziehungen ein.

Diese Verhältnisse können Verhältnisse der Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe sein, die von Ausbeutung frei sind. Sie können Verhältnisse der Herrschaft und Unterordnung sein. Sie können auch Übergangsverhältnisse von einer Form zur anderen sein. Unter allen Umständen und in all ihren Formen sind die Produktionsverhältnisse jedoch immer ein notwendiges Element der Produktion: „In der Produktion”, sagt Marx, „wirken die Menschen nicht allein auf die Natur, sondern auch aufeinander. Sie produzieren nur, indem sie auf eine bestimmte Weise zusammenwirken und ihre Tätigkeiten gegeneinander austauschen. Um zu produzieren, treten sie in bestimmte Beziehungen und Verhältnisse zueinander, und nur innerhalb dieser gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse findet ihre Einwirkung auf die Natur, findet die Produktion statt.” 2

Die Produktionsverhältnisse umfassen drei wesentliche Elemente:

Die Eigentumsverhältnisse, das heißt, in wessen Händen liegen die zentralen Produktionsmittel (Produktionsinstrumente, Rohstoffe, Boden usw.) der Gesellschaft?

Die Stellung der sozialen Gruppen und Klassen innerhalb des Produktionsprozesses, das heißt, wie ist die Arbeitsteilung organisiert? Wie steht es mit der Trennung von geistiger und körperlicher, leitender und ausführender Tätigkeit innerhalb der Produktion?

Die Verteilungsverhältnisse, das heißt, wem gehören die produzierten Güter und wer bekommt davon wie viel?

Die gesellschaftliche Entwicklung kennt zwei Hauptformen von Produktionsverhältnissen: Auf der einen Seite die Verhältnisse der Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe, die auf dem gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln beruhen. Und zum anderen die Verhältnisse der Ausbeutung und Unterdrückung der großen Mehrheit der Gesellschaft durch eine kleine Minderheit, deren Macht auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln basiert. Zwischen diesen Hauptformen gibt es Verhältnisse des Übergangs von einer Form in die andere.

In der Geschichte der Menschheit hat es verschiedene Produktionsverhältnisse gegeben. Sie umfassen im Wesentlichen fünf Grundtypen3: die Urgesellschaft, die Sklaverei, den Feudalismus, den Kapitalismus und den Sozialismus bzw. Kommunismus. Auf diese verschiedenen Gesellschaftsformationen und ihre Produktionsverhältnisse wollen wir im folgenden eingehen. Zuvor sehen wir uns aber noch an, wie eine Gesellschaft in eine andere Gesellschaft übergeht und welche Rolle dabei unser Handeln spielt.

Wie entwickelt sich die Gesellschaft?

Jede Gesellschaft besteht aus der Basis und dem Überbau. Die Produktionsweise bildet dabei – wie oben ausgeführt – die Basis einer Gesellschaft, da wir nur leben können, wenn wir Nahrung, Kleidung usw. produzieren. Auf der Grundlage dieser Basis entwickelt sich ein Überbau aus gesellschaftlichen Einrichtungen und Ideen. Dazu gehören der Staat, das Rechtswesen, politische Parteien, politische Ideen, Moral, Kunst, Philosophie, Religion, Kirche u.v.m., welche von der Produktionsweise einer Gesellschaft abhängen und diese widerspiegeln. Das ist letztlich der Inhalt der Aussage, dass das materielle Leben der Gesellschaft das Primäre und das geistige Leben das Sekundäre ist. Es sind also nicht die Ideen, nach denen die Menschen ihre gesellschaftlichen Verhältnisse einrichten und den Staat usw. gestalten.

Es ist vielmehr die Produktionsweise als Basis der Gesellschaft, welche bestimmte politische, philosophische usw. Ideen hervorbringt; z.B. in der Sklavenhaltergesellschaft, dass Sklav:innen keine Menschen, sondern eine Sache wären oder im Kapitalismus, dass die Konkurrenz zur menschlichen Natur gehöre.

Die Entwicklung der Gesellschaft verläuft in der dialektischen Einheit von Basis und Überbau.

Die Produktion befindet sich stetig im Zustand der Veränderung und Entwicklung. Änderungen in der Produktionsweise wiederum bewirken eine Änderung in den herrschenden Ideen und Auffassungen.

Die Entwicklungsgeschichte der Gesellschaft ist also vor allem die Entwicklung der Produktion, die Geschichte der Produktionsweisen, die einander im Laufe der Jahrhunderte abgelöst haben – und damit die Geschichte der Produzenten der materiellen Güter, der werktätigen Massen. Eine Geschichtswissenschaft, die wirklich wissenschaftlich sein will, kann also die Geschichte nicht auf die Handlungen von „großen Persönlichkeiten“, König:innen, Anführer:innen etc. reduzieren, sondern muss die werktätigen, produzierenden Massen betrachten. Sie kann nicht bei der Betrachtung der Ideen, der Religion, Kultur oder Philosophie einer Gesellschaftsformation stehen bleiben, sondern muss die zugrundeliegende Produktionsweise in den Blick nehmen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die gesellschaftlichen Ideen, Theorien, politischen Anschauungen oder die politischen Einrichtungen im Leben der Gesellschaft keine Bedeutung haben. Vielmehr wirken sie auf das materielle Leben der Gesellschaft zurück, ebenso wie das Bewusstsein allgemein auf die Materie zurückwirkt. Wir haben hier zunächst vom Ursprung des gesellschaftlichen Überbaus gesprochen.

Die Bedeutung der Ideen, Theorien, Anschauungen, politischen Einrichtungen, ihre Rolle im gesellschaftlichen Leben, wird vom historischen Materialismus nicht nur nicht bestritten. Vielmehr wird die Rolle des Überbaus gerade hervorgehoben, indem sie in Übereinstimmung mit der objektiven Realität gebracht wird.

Es gibt verschiedene gesellschaftliche Ideen. Es gibt alte Ideen und Theorien, die sich überlebt haben und den Interessen der absterbenden Kräfte der Gesellschaft dienen. Ihre Bedeutung liegt darin, dass sie die Entwicklung der Gesellschaft hemmen. Es gibt dagegen neue, fortschrittliche Ideen und Theorien, die den Interessen der fortschrittlichen Kräfte der Gesellschaft dienen. Ihre Bedeutung liegt darin, dass sie die Entwicklung der Gesellschaft vorwärtsbringen und erleichtern. Wobei sie umso größere Bedeutung erlangen, je genauer sie die Bedürfnisse der Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft zum Ausdruck bringen.

Neue gesellschaftliche Ideen und Theorien entstehen erst, nachdem die Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft diese vor neue Aufgaben gestellt hat. Aber nachdem sie entstanden sind, werden sie zu einer höchst bedeutenden Kraft, die die Lösung der neuen, durch die Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft gestellten Aufgaben erleichtert, die Vorwärtsbewegung der Gesellschaft erleichtert. Gerade hier äußert sich die gewaltige organisierende, mobilisierende und umgestaltende Rolle neuer Ideen, neuer Theorien, neuer politischer Anschauungen und neuer politischer Einrichtungen. Neue gesellschaftliche Ideen und Theorien entstehen im Grunde genommen eben darum, weil sie für die Gesellschaft notwendig sind, weil es ohne ihr organisierendes, mobilisierendes und umgestaltendes Wirken unmöglich ist, die herangereiften Aufgaben der Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft zu lösen. Entstanden auf der Basis der neuen Aufgaben, welche die Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft stellt, bahnen sich die neuen gesellschaftlichen Ideen und Theorien den Weg, werden sie zum Gemeingut der Volksmassen, mobilisieren diese, organisieren sie gegen die absterbenden Kräfte der Gesellschaft und erleichtern auf diese Weise den Sturz der absterbenden Kräfte der Gesellschaft: „Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.“

Die wissenschaftliche Weltanschauung, der dialektische Materialismus, erkennt die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus, erkennt also, warum der Kapitalismus zum Untergang verurteilt ist. Er ist daher nicht eine klassenneutrale Weltanschauung, sondern die Weltanschauung der Arbeiter:innenklasse und eine Waffe im Kampf der Arbeiter:innenklasse gegen die Bourgeoisie.

Doch wie kommt es dazu, dass eine Gesellschaftsformation durch eine andere abgelöst wird? So wie sich die Gesellschaft als dialektische Einheit von Basis und Überbau entwickelt, so entwickelt sich die Produktion als dialektische Einheit von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen.

Veränderungen und Entwicklungen innerhalb einer Produktionsweise beginnen immer mit Veränderungen in der Entwicklung der Produktivkräfte, vor allem mit Veränderungen in der Entwicklung der Produktionsinstrumente.

Die Produktivkräfte sind das beweglichste und revolutionärste Element der Produktion. Zuerst verändern und entwickeln sich die Produktivkräfte der Gesellschaft und dann, in Abhängigkeit davon und in Übereinstimmung damit, die Produktionsverhältnisse der Menschen, ihre ökonomischen Beziehungen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Produktionsverhältnisse nicht auf die Entwicklung der Produktivkräfte einwirken und dass diese nicht von jenen abhängen. Vielmehr wirken die Produktionsverhältnisse auf die Entwicklung der Produktivkräfte zurück, beschleunigen oder verlangsamen ihre Entwicklung.

Neue Produktivkräfte und die ihnen entsprechenden Produktionsverhältnisse entstehen nicht losgelöst von der alten Gesellschaftsordnung, nicht nach dem Verschwinden der alten Ordnung, sondern innerhalb der alten Gesellschaft. So entwickeln sich Keimformen sozialistischer Produktionsverhältnisse vor unseren Augen im Kapitalismus, wenn z.B. die Nutzer:innen, die sogenannte “community“ in Form von Foren und Blogs die Software in der täglichen Anwendung in der produktiven Praxis überhaupt erst zum Laufen bringen. Die Keimformen neuer Produktionsverhältnisse entstehen dabei nicht als Ergebnis vorsätzlicher, bewusster Tätigkeit der Menschen, sondern elementar, unbewusst, unabhängig vom Willen der Menschen.

Erstens darum, weil die Menschen nicht frei sind in der Wahl dieser oder jener Produktionsweise: Denn jede neue Generation, die ins Leben tritt, findet bereits fertige Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse als Ergebnis der Arbeit vergangener Generationen vor.

Zweitens darum, weil die Menschen bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten im Rahmen der Produktionsverhältnisse, z.B. bei der Verbesserung dieses oder jenes Produktionsinstruments nicht überblicken, zu welchen gesellschaftlichen Resultaten diese Verbesserungen führen müssen.

In einer gewissen Periode vollziehen sich die Entwicklung der Produktivkräfte und die Veränderungen auf dem Gebiet der Produktionsverhältnisse als elementarer Prozess, unabhängig vom Willen der Menschen. Aber dies nur bis zu einem gewissen Augenblick, bis zu dem Augenblick, wo die neu entstandenen und sich entwickelnden Produktivkräfte die notwendige Reife erlangt haben. Bis zu dem Zeitpunkt, wo die Produktionsverhältnisse zum Korsett für die Produktivkräfte geworden sind und die Produktivkräfte neue Produktionsverhältnisse benötigen, um sich voll entfalten zu können.

Der Geburtshelfer der neuen Gesellschaft ist dabei die soziale Revolution. Der Übergang von alten Produktionsverhältnissen zu neuen vollzieht sich in der Regel nicht „glatt“, d.h. ohne Konflikte und Erschütterungen. Im Gegenteil: Ein solcher Übergang vollzieht sich gewöhnlich auf dem Wege eines „qualitativen Sprunges“, des revolutionären Sturzes der alten Produktionsverhältnisse und der Herstellung und Verankerung neuer.

Nachdem die neuen Produktivkräfte ausgereift sind, verwandeln sich die bestehenden Produktionsverhältnisse und ihre Träger, die herrschenden Klassen, in das „unüberwindliche“ Hindernis, das nur aus dem Weg geräumt werden kann durch die bewusste Tätigkeit der neuen Klassen, durch gewaltsame Handlungen dieser Klassen, durch die Revolution. Hier zeigt sich besonders klar die gewaltige Rolle der neuen gesellschaftlichen Ideen, der neuen politischen Einrichtungen, der neuen politischen Macht, die berufen sind, die alten Produktionsverhältnisse gewaltsam zu beseitigen.

Auf der Grundlage des Konflikts zwischen den neuen Produktivkräften und den alten Produktionsverhältnissen entstehen neue gesellschaftliche Ideen. Diese neuen Ideen mobilisieren die Massen, die Massen schließen sich zusammen zu einer neuen politischen Armee, schaffen eine neue revolutionäre Macht und benutzen sie, um die alten Zustände auf dem Gebiet der Produktionsverhältnisse gewaltsam zu beseitigen und neue Zustände herzustellen und zu verankern. Der elementare Entwicklungsprozess macht der bewussten Tätigkeit der Menschen Platz, die friedliche Entwicklung der gewaltsamen Umwälzung, die Evolution der Revolution.

Einschub 1: Die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte

Dass die Frage, welche Rolle das Individuum, die einzelne Persönlichkeit in der menschlichen Geschichte spielt, sich letztlich auf die Frage des Verhältnisses von Zufälligkeit und Notwendigkeit zurückführen lässt, hat Engels u.a. in einem Brief an W. Borgius vom 25. Januar 1894 herausgearbeitet:

Die Menschen machen ihre Geschichte selbst, aber bis jetzt nicht mit Gesamtwillen nach einem Gesamtplan, selbst nicht in einer bestimmt abgegrenzten Gesellschaft. Ihre Bestrebungen durchkreuzen sich, und in allen solchen Gesellschaften herrscht eben deswegen die Notwendigkeit, deren Ergänzung und Erscheinungsform die Zufälligkeit ist. Die Notwendigkeit, die hier durch alle Zufälligkeit sich durchsetzt, ist wieder schließlich die ökonomische. Hier kommen dann die sogenannten großen Männer zur Behandlung. Dass ein solcher und grade dieser zu dieser bestimmten Zeit in diesem gegebenen Lande aufsteht, ist natürlich reiner Zufall. Aber streichen wir ihn weg, so ist Nachfrage da für Ersatz und dieser Ersatz findet sich, tant bien que mal (=recht oder schlecht), aber er findet sich auf die Dauer. Dass Napoléon grade dieser Korse, der Militärdiktator war, den die durch eignen Krieg erschöpfte französische Republik nötig machte, das war Zufall; dass aber in Ermangelung eines Napoléon ein andrer die Stelle ausgefüllt hätte, das ist bewiesen dadurch, dass der Mann sich jedesmal gefunden, sobald er nötig war: Cäsar, Augustus, Cromwell etc. Wenn Marx die materialistische Geschichtsauffassung entdeckte, so beweisen Thierry, Mignet, Guizot, die sämtlichen englischen Geschichtsschreiber bis 1850, dass darauf angestrebt wurde, und die Entdeckung derselben Auffassung durch Morgan beweist, dass die Zeit für sie reif war und sie eben entdeckt werden musste.“ 4

Aus dem Zitat geht auch hervor, dass die materialistische Auffassung der Persönlichkeit nicht mit der falschen Auffassung zu verwechseln ist, der Einzelne sei bloß eine passive Widerspiegelung der gesellschaftlichen Notwendigkeit und spiele keine aktive Rolle. Diesen Punkt hat Plechanow in seiner Broschüre „Über die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte“ sehr präzise zusammengefasst:

Ein großer Mann ist nicht dadurch groß, dass seine persönlichen Besonderheiten den großen geschichtlichen Geschehnissen ein individuelles Gepräge verleihen, sondern dadurch, dass er Besonderheiten besitzt, die ihn am fähigsten machen, den großen gesellschaftlichen Bedürfnissen seiner Zeit zu dienen, die unter dem Einfluss der allgemeinen und besonderen Ursachen entstanden sind. In seinem bekannten Werk über die Helden nennt Cyrlyle die großen Männer Beginner (beginners). Das ist eine sehr gelungene Bezeichnung. Der große Mann ist eben ein Beginner, denn er blickt weiter als die anderen und will stärker als die anderen. Er löst die wissenschaftlichen Aufgaben, die der vorhergegangene Verlauf der geistigen Entwicklung der Gesellschaft auf die Tagesordnung gesetzt hat; er weist die neuen gesellschaftlichen Bedürfnisse auf, die durch die vorangegangene Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse erzeugt worden sind; er ergreift die Initiative zur Befriedigung dieser Bedürfnisse. Er ist ein Held. Held nicht etwa in dem Sinne, dass er den natürlichen Gang der Dinge aufhalten oder ändern könnte, sondern in dem Sinne, dass seine Tätigkeit der bewusste und freie Ausdruck dieses notwendigen und unbewussten Ganges ist. Darin liegt seien ganze Bedeutung, darin seine ganze Kraft. Das ist aber eine gewaltige Bedeutung, eine ungeheure Kraft.“ 5

Die Geschichte aus marxistischer Sicht

Nachdem wir uns mit den zentralen Grundgedanken des historischen Materialismus in allgemeiner Form beschäftigt haben, schauen wir uns nun an, wie auf Grundlage dessen die konkrete Entwicklungsgeschichte der Menschheit begriffen werden kann.

Im Rahmen dieser Schulung betrachten wir dabei insbesondere die Entwicklung in Europa, da sich die Gesellschaft hier weitgehend ohne äußere (gewaltsame) Einflüsse von der Urgesellschaft über die Sklavenhaltergesellschaft und den Feudalismus hin zum Kapitalismus entwickelt hat. Weiterhin betrachten wir noch, wieso aus den Thesen des historischen Materialismus folgt, dass der Kapitalismus nur durch den Sozialismus abgelöst werden kann, und wie die Produktionsverhältnisse im Sozialismus und später in der befreiten, klassenlosen Gesellschaft, dem Kommunismus, aussehen werden.

Die Urgesellschaft

Die Struktur der Urgesellschaft

Die erste Gesellschaftsformation der Menschen war die Urgesellschaft.

Die kleinste Einheit der Gesellschaft war der Clan, welcher auch Gens genannt wird. Deshalb wird hier auch oft von der Gentilgesellschaft gesprochen. Ein Clan war eine Gruppe von meist 500 bis 1000 Menschen, die sich auf eine gemeinsame Abstammung in der weiblichen Linie beriefen – die matrilineare Erbfolge.

Die Produktivkräfte der Urgesellschaft waren sehr gering entwickelt: Die Produktionsinstrumente waren einfache Werkzeuge wie Pfeil und Bogen, die Produktionskenntnisse der Menschen, z.B. zum Ackerbau, waren noch kaum vorhanden. Die geringe Entwicklung der Produktivkräfte brachte auch eine geringe Produktivität mit sich. Bis in die Bronzezeit6 hinein lebten die Menschen meist von der Hand in den Mund und konnten über den eigenen Bedarf hinaus kaum einen Überschuss erarbeiten.

Die Produktivkräfte bestimmten auch die Produktionsverhältnisse der Gesellschaft: Die Urgesellschaft war bisher die einzige klassenlose Gesellschaft, in der es weder Ausbeutung noch Privateigentum an den Produktionsmitteln gab. Was ein Clan herstellte, gehörte allen gemeinsam. Alle nahmen nach ihren Fähigkeiten an der gemeinsamen Arbeit teil, bekamen aber unabhängig von ihrer Leistung den gleichen Anteil. Jäger:innen hatten zwar oft das Anrecht auf einen besonderen Teil der Beute, wie z.B. Kopf, Leber oder Lende des erlegten Tieres, sie konnten dieses „Privileg“ aber nur essen und damit keinen persönlichen Reichtum anhäufen.

Bei den urgesellschaftlichen „klassenlosen“ Produktionsverhältnissen handelte es sich jedoch weder um ein „Paradies“ noch um eine Gesellschaftsformation, welche die Menschen aufgrund einer „bewussten“ kommunistischen Überzeugung gewählt hätten. Hätte sich jemand ein Produkt alleine oder einen größeren Teil dessen angeeignet, hätte dies das Überleben des gesamten Clans gefährdet – Ausbeutung war also einfach noch gar nicht möglich!

Die Produktionsverhältnisse spiegelten sich auch in der Organisation der Gesellschaft wieder: Alles, was im Clan alle anging, wurde von Frauen und Männern in gemeinsamer Versammlung entschieden. Die Führer:innen, Häuptlinge und Priester:innen, wurden gewählt und waren jederzeit absetzbar. Staat, Patriarchat und Familie bestanden noch nicht. Sexuelle Beziehungen waren nur zwischen Mitgliedern verschiedener Clans möglich, die Kinder galten als Mitglieder des Clans ihrer Mutter. Der nächste männliche Verwandte war deshalb auch nicht der Vater, sondern der Bruder der Mutter der Kinder.

Wurde ein Clan zu groß, so teilte er sich auf: Die neuen Clans bildeten eine Phratrie7 mit gemeinsamen Traditionen, gemeinsamer Kultur u.ä. Wurde eine Phratrie zu groß, teilte sie sich in mehrere neue Phratrien auf, die einen Stamm bildeten. Durch Teilung des Stamms in mehrere Stämme entstand das Volk, wobei es hier aber oft vorkam, dass auch nicht verwandte Stämme in den Volksverband aufgenommen wurden.

Diese Entwicklung war offensichtlich so nahe liegend, dass sie weltweit überall fast völlig gleich ablief. Wir finden diese Einteilungen deshalb sowohl in Amerika, z.B. bei Aztek:innen und Irokes:innen, als auch in Europa bei Griech:innen und Römer:innen, sowie in Asien und in Afrika.

Die Auflösung der Urgesellschaft

Wieso ging es mit der Urgesellschaft nicht ewig weiter? Dies hängt mit der Entwicklung der Produktivkräfte und der damit einhergehenden Entstehung des Mehrprodukts und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zusammen.

Schauen wir uns zunächst an, wie sich die Produktivkräfte veränderten.

Der Ackerbau entwickelte sich weiter, es wurden bessere Arbeitsgeräte und ertragreichere, besser an das örtliche Klima angepasste Getreidesorten gefunden. Nun konnten größere Ackerflächen bearbeitet, mehr Menschen ernährt, und Vorräte angelegt werden. Eine weitere entscheidende Veränderung kam mit der Entwicklung der Viehzucht, vor allem der Großviehzucht (Rinder).

Mit und durch diese Veränderung der Produktivkräfte angetrieben entstand auch das Privateigentum.

Die Menschen können nun mehr herstellen, als sie verbrauchen müssen. Dieses „Mehr“, was die Menschen über ihren zur Erhaltung des Lebens notwendigen Bedarf hinaus produzieren, nennen wir Mehrprodukt. Mit der Entstehung des Mehrprodukts wurde es zum ersten Mal möglich, für sich selbst Eigentum anzuhäufen, da nicht alles, was hergestellt wurde, sofort verzehrt werden musste. Auf dieser Grundlage entstand schließlich das Privateigentum. Auf der Grundlage des Mehrprodukts entstand gleichzeitig die gesellschaftliche Arbeitsteilung.

Bisher war es innerhalb der Clans so, dass Weben, Töpfern, Holz schnitzen, Steine für Werkzeuge schlagen, schleifen und montieren, ebenso wie die Nahrungsmittelproduktion, die gemeinsame Aufgabe aller war. Doch ein gesichertes, dauerhaftes Mehrprodukt erlaubte nun auch innerhalb des Clans die Spezialisierung. Immer mehr Menschen konnten von der unmittelbaren Produktion zum direkten Überleben freigestellt werden, um andere Aufgaben zu verrichten. Die gesellschaftliche Arbeitsteilung entstand; die Produktion wurde neu organisiert.

Mit der Entwicklung der Arbeitsinstrumente und Kenntnisse entstanden spezialisierte Ackerbau- und Hirtenstämme. In Gegenden mit besonders geeigneten Steinvorkommen produzierten die Menschen vorrangig z.B. geschliffene Steinbeile. Neben den Hirt:innen traten Handwerker:innen auf, die die Arbeitsleistung auf ihrem neuen Gebiet ganz erheblich steigern konnten. Gleichzeitig war etwas Neues notwendig geworden: Die Spezialist:innen mussten ihre Produkte tauschen, um an das zu kommen, was ihnen fehlte. Es begann der Tauschhandel.

Es entstand eine neue Situation: Die Notwendigkeit der kollektiven Arbeit wurde aufgehoben. Die Gens war nicht mehr zum Überleben notwendig. Stattdessen reichte dafür die eigene Familie, die ein spezielles Produkt herstellte, z.B. Getreide. Die dafür notwendigen Produktionsmittel, den Boden, einen primitiven Pflug, Saatgut usw. hielt die Familie nun im privaten Besitz. Es entstand das Privateigentum an Produktionsmitteln. Das Privateigentum an Produktionsmitteln war die unmittelbare Ursache für die Entstehung des Patriarchats und die Spaltung der Gesellschaft in antagonistische Klassen.

Einschub 2: Die Entstehung des Geldes

Mit dem Tauschhandel entsteht ziemlich schnell ein neues Problem. Wenn die Menschen etwas eintauschen wollen, ist das, was sie selbst im Tausch anbieten können, oft im Augenblick nicht gefragt. Sie müssten warten, oder erst nach anderen Handelspartner:innen suchen. Um das zu vermeiden, suchten sie nach einer Ware8, die alle bereit waren zu nehmen, die jederzeit eingetauscht werden konnte, z.B. Felle, Beile, Lanzenspitzen, Schwertklingen, Salz.

Aus diesen „allgemeinen Waren“, das heißt Waren, die jeder brauchen kann, die sich leicht lagern lassen, die ganzjährig nützlich sind, entwickelte sich das, was wir heute Geld nennen. Dabei setzten sich die Metalle Gold, Silber und Bronze, bald gegenüber den anderen allgemeinen Waren durch. Zur Herstellung von Metallen ist sehr viel Arbeitszeit nötig, und daher ist in einem kleinen, leicht tragbaren Stück Metall ein höherer Wert9 vorhanden, als in einer anderen Ware.

Da das Abwiegen der Metalle aber in der Praxis zu umständlich war, entstanden im 6. Jahrhundert v.u.Z. die ersten Münzen. Das Neue an der Münze ist: Ein Staat garantiert mit seinem Prägestempel, dass die Münze ein festes Gewicht und einen staatlich garantierten Gehalt an bestimmten Metallen hat. Das erleichterte aber nur den Handel innerhalb eines Staats, im Außenhandel wurden auch die fremden Münzen weiterhin gewogen.

Die Perser:innen erkannten bald den Nutzen der Münzen. Da das persische Großreich aber durch die Eroberung unzähliger Kleinstaaten entstanden war, waren Handel und Verwaltung durch die verschiedenen Münzarten behindert. Unter Dareios I. (521 bis 485 v.u.Z.) wurde deshalb ein einheitliches Münzsystem geschaffen. Es wurde nicht nur das Aussehen der Geldstücke festgelegt, sondern auch, welche Geldstücke aus wieviel Gold, Silber oder Bronze bestehen, und wie viel sie untereinander wert sein sollten. Abweichungen im Metallgehalt, selbst nach oben, wurden mit dem Tod bestraft.

Geld war damit nicht nur eine Ware zum Tausch, sondern auch eine Recheneinheit, in der der Wert aller anderen Waren ausgedrückt werden konnte; aber auch die Höhe von Forderungen und Schulden, die Größe des Vermögens und staatliche Steuern.

Der Tausch führt aber zu einem neuen Verhältnis der Menschen zu den Dingen, die sie produzieren. Wenn früher die Bäuer:innen Getreide anbauten, dann dachten sie nur daran, dass sie es demnächst als Brot oder Brei selbst essen würden, sie dachten also an den Gebrauchswert.

Jetzt dachten sie auch daran, dass sie ihr Getreide gegen Vieh, Stein- oder Bronzebeile tauschen konnten. Das Getreide hatte jetzt auch einen Tauschwert.

Die Entstehung des Patriarchats

Bisher wurde das kollektive Eigentum des Clans von der Gesamtheit der Mütter auf die Gesamtheit der Töchter übertragen. Die Männer, die den Clan verließen, konnten nichts zum fremden Clan ihrer Frauen mitnehmen. Im Gegenteil, bei ihrem Tod fiel ihr (geringer) Privatbesitz an den Clan ihrer Mütter zurück. Das nennen wir matrilineare Erbfolge.

Bisher ernährten sich die Menschen von dem was sie jagten und sammelten. Es existierte keine Abhängigkeit der Frau vom Mann, oder umgekehrt. Denn die ökonomische Grundlage hierfür fehlte. Ein Mehrprodukt zu erzeugen, oder sich Nahrung o.Ä. privat anzueignen war nicht möglich, denn es konnte nicht mehr produziert werden, als das was zum überleben reichte. Alle waren auf das Kollektiv angewiesen. Das Kollektiv fasste die Beschlüsse und bestimmte. Wer sich dem nicht unterordnete, konnte nicht überleben. Trotzdem sprechen wir zu dieser Zeit vom Matriarchat. Schon jetzt können wir einen Unterschied zum Patriarchat feststellen, denn es gab keine Unterdrückung des Menschen durch den Menschen. Die Rolle der Frauen war jedoch, dass sie in der Position waren den Stamm am Leben zu erhalten, da sie die Nachkommen geboren haben. Hinzu kam, dass die wenigen Dinge, die es zu Erben gab (z.B. Werkzeuge) nach der Erbschaftslinie der Mutter vererbt wurden, da die Frauen die einzigen waren, denen die Kinder sicher zugeordnet werden konnten.

In der nächsten Phase der menschlichen Entwicklung änderte sich diese Situation. Je nach geographischer Situation wurde ein Stamm sesshaft und entwickelte den Ackerbau, oder ein Stamm entwickelte die Viehzucht weiter.

In der Grundschulung zur historischen Entstehung des Patriarchats werden die Entwicklungen der unterschiedlichen Stämme genauer Analysiert.

Allgemein gültig für die unterschiedlichen Arten der Stämme und die Menschliche Entwicklung war jedoch, dass das Patriarchat ein Produkt der Entstehung des Privateigentums und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung war. Nicht alleine die Entstehung des Privateigentums war ausschlaggebend für die Entstehung des Patriarchats gewesen. In Verbindung mit dem Verlust der wichtigen ökonomischen Stellung der Frau und der damit verbundenen, sich zunächst Anhand der Geschlechter entwickelnden gesellschaftlichen Arbeitsteilung jedoch führte es unweigerlich zum Patriarchat. Das Privateigentum und die Aufspaltung der Gesellschaft in Klassen formten die wirtschaftliche Entwicklung weiter. Die Frau nahm in der Produktion faktisch keine besondere Rolle mehr ein. Die produktiven Arbeiten, die die Gesellschaft am Leben hielten, waren mehr und mehr die Aufgaben der Männer. Je klarer die Arbeitsteilung wurde, desto abhängiger wurde die Frau. Gleichzeitig führte die Möglichkeit sich Privateigentum anzueignen dazu, dass sich die Erbschaftslinien von der mütterlichen Seite, zur väterlichen Seite hin änderten. Die Frau war nun sowohl ans Haus, als auch ökonomisch an den Mann und die erste Form der monogamen Beziehung gefesselt. Das Patriarchat war entstanden.

Die Spaltung der Gesellschaft in Klassen

Die gesellschaftliche Entwicklung hat also die patriarchale Familie hervorgebracht, die Produktionsmittel besitzt, um damit das eigene Überleben zu sichern. Doch waren hier schon die Klassen entstanden?

Um die Frage der Spaltung der Gesellschaft in Klassen zu verstehen, wollen wir uns zuerst ansehen, was Klassen überhaupt sind:

Als Klassen bezeichnet man große Menschengruppen, die sich voneinander unterscheiden nach ihrem Platz in einem geschichtlich bestimmten System der gesellschaftlichen Produktion,

nach ihrem (größtenteils in Gesetzen fixierten und formulierten) Verhältnis zu den Produktionsmitteln,

nach ihrer Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit

und folglich nach der Art der Erlangung und der Größe des Anteils am gesellschaftlichen Reichtum, über den sie verfügen.

Klassen sind Gruppen von Menschen, von denen die eine sich die Arbeit einer anderen aneignen kann infolge der Verschiedenheit ihres Platzes in einem bestimmten System der gesellschaftlichen Wirtschaft.“ 10

Zwar wurde das aus der Arbeit der Familie fließende Mehrprodukt bereits zu einer Quelle von privatem Reichtum, sozialem Prestige und einer sozialen Differenzierung innerhalb der sich zersetzenden Urgesellschaft. Aber erst mit der systematischen, die ganze Gesellschaft umfassenden ständigen Aneignung fremden Mehrprodukts bildeten sich wirklich große Menschengruppen im Sinne von Klassen heraus.

Neben dem Privateigentum an Produktionsmitteln spielten bei der Entstehung der Klassen zwei weitere Aspekte eine wesentliche Rolle.

Zum einen handelt es sich dabei um die Verselbstständigung gesellschaftlicher Funktionen. In der Urgesellschaft entstanden mit der Entwicklung des Mehrprodukts gesellschaftliche Funktionen, die mit der Leitung der Produktion (Gesamtbewirtschaftung von Land, Wäldern, Bewässerung, Bau von Verkehrswegen) beauftragt waren. Diese wurden zunächst als produktive Aufträge und mit der Zustimmung der Gemeinschaft von bestimmten Personen ausgeübt. Sie waren von unmittelbarer Produktionsarbeit befreit. Mit dem Aufkommen des Privateigentums und einer sozialen Differenzierung wurden diese Funktionen mehr und mehr von den reicheren Familien oder auch von Priestern monopolisiert. Sie erhielten nun die faktische Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und die Möglichkeit, ständig und in größerem Umfang das Mehrprodukt fremder Arbeit in den verschiedensten, anfangs oft noch verschleierten Formen, anzueignen. Damit wurden Produktionsverhältnisse geschaffen, die auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beruhten.

Zum anderen war der Krieg ein weiterer Antreiber für die Entstehung von Klassen. In der Urgesellschaft wurden Kriegsgefangene getötet oder manchmal auch als gleichberechtigte Mitglieder in den eigenen Clan aufgenommen. Alles andere hätte sich nicht gelohnt, da die Gefangenen nur für ihre eigene Nahrung arbeiten konnten. Mit der Möglichkeit, ein Mehrprodukt herzustellen, änderte sich das. Die Gefangenen wurden nun gezwungen, Vieh zu hüten oder schwere Feldarbeit zu erledigen, das Mehrprodukt wurde ihnen einfach weggenommen. Die Sklav:innen waren entstanden.

Produktionsmittel waren nicht mehr länger Gemeineigentum, sondern besonders erfolgreiche Krieger erhielten, ähnlich wie früher die Jäger, einen besonderen Teil der Beute zur privaten Verfügung. Während aber früher dieser besondere Teil nur gegessen werden konnte, waren die Beuteanteile der Krieger nun Vieh und Sklav:innen, also Produktionsmittel in Privatbesitz.

Diese Änderung der Produktionsverhältnisse sprengte das Gemeinschaftsleben des Clans. Einzelne arbeiteten jetzt für sich, beuteten Sklav:innen aus und eigneten sich das Mehrprodukt an. Die Gesellschaft spaltete sich in Arme und Reich.

Jetzt hatten die Stämme ein Interesse daran, möglichst viele erfolgreiche Kriege zu führen, um möglichst viele Gefangene zu machen und möglichst viel Vieh zu rauben. Zwar gab es auch schon in der Urgesellschaft Kriege, das waren aber noch keine Raubkriege. Auf Grund von Missernten und Hungersnöten, kam es zwischen verschiedenen Stämmen und Clans immer wieder zu Streitigkeiten um Ackerland oder Jagdgründe. Aber auch Aberglauben oder Blutrache waren Gründe für kriegerische Auseinandersetzungen. Das „kommunistische“ Zusammenleben fand nur innerhalb des eigenen Clans statt!

Was aber gegenüber dieser früheren Zeit neu war: Der Krieg war nun ein Vorteile bietender Raubkrieg, der den Sieger:innen ein reicheres Leben auf Kosten der ersten unterdrückten Klasse sicherte; Krieg wurde zu einer Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung.

Die Sklavenhaltergesellschaft

Klassenstruktur der ersten Ausbeuter:innengesellschaft

Wir konnten sehen, wie die auf dem gemeinschaftlichen Eigentum und der kollektiven Nutzung beruhenden Produktionsverhältnisse für die sich entwickelnden neuen Produktivkräfte zu eng geworden waren. Sie behinderten ihre Entfaltung, weil sie der Differenzierung und Spezialisierung keinen Raum gaben. Daher mussten sie schließlich gesprengt und durch neue Produktionsverhältnisse abgelöst werden. Auf dieser Stufe der geschichtlichen Entwicklung traten also erstmals Klassen auf:

Einerseits die Sklav:innen als völlig unfreie und rechtlose Arbeiter:innen. Sklav:innen galten nicht als Menschen, sondern als Sachen, wie Vieh oder Werkzeuge. Sie konnten darum auch wie Vieh oder Werkzeug behandelt, also verkauft, gepflegt, misshandelt, und „zerstört“, also getötet werden.

Die durchschnittliche Lebensdauer (Nutzungsdauer) von Arbeitssklav:innen lag nur bei etwa sieben Jahren. In dieser Zeit musste sich die Anschaffung rentiert haben. Mit dieser Abschreibungsdauer für Sklav:innen rechneten selbst noch die weißen Baumwollpflanzer in den USA viele Jahrhunderte später!

Andererseits die Sklavenhalter:innen, die Eigentümer:innen des Grund und Bodens, der Werkzeuge, also der Produktionsmittel. Vor allem sind sie Eigentümer:innen der Hauptmasse der unmittelbaren Produzent:innen, der Sklav:innen.

Die Sklavenhaltergesellschaft bestand zwar aus den beiden Hauptklassen der Sklav:innen und der Sklavenhalter:innen, es gab jedoch auch andere Klassen von Freien: Bäuer:innen, Handwerker:innen, oder eigentumslose, ruinierte Freie, die als Tagelöhner:innen oder vom Betteln und Stehlen lebten.

Die Produktionsverhältnisse der Sklavengesellschaft beruhten auf der Ausbeutung der Sklav:innen durch die Sklavenhalter:innen, welche die Sklav:innen mit ihren Produktionsmitteln schuften ließen; auf der absoluten Dominanz der Sklavenhalter:innen in den leitenden Tätigkeiten in Produktion und Gesellschaft; auf der völligen Kontrolle über die Verteilung der Produkte durch die Sklavenhalter:innen.

Die Durchsetzung dieser Ausbeutungsverhältnisse und die damit verbundene Herausbildung antagonistischer Klassen war ein geschichtlicher Prozess. Dieser erfolgte in langwierigen Kämpfen gegen die Einrichtungen und Traditionen der Urgesellschaft. Diese wurde mit der Entstehung und Festigung des Staates als Machtinstrument der herrschenden und besitzenden Klasse durch die verschiedenen Formen der Klassengesellschaft abgelöst.11

Die Entstehung des Staats

Heute scheint uns der Staat als etwas, was es immer gab und immer geben wird. Doch das ist geschichtlich schlicht falsch. Den Staat gab es nicht immer. Er entstand in der Übergangsperiode von der Urgesellschaft zur Sklavenhaltergesellschaft.

Wir haben gesehen, wie langsam Privateigentum an Produktionsmitteln und der Unterschied zwischen reich und arm entstanden, wie sich die Anfänge des Patriarchats herausbildeten, männliche Erbfolge und patriarchale Ehe, und welche Rolle die Führung im Krieg spielte. Je häufiger Kriege geführt wurden, desto mehr wurde es zu einem Hauptberuf, Führer im Krieg zu sein. Aus den gelegentlichen Sonder-Zuteilungen aus der Kriegsbeute für die besten Krieger wurden laufende Abgaben, und der Einfluss der Berufskrieger in den Versammlungen von Clan, Stamm und Volk wurde immer größer.

Formal herrschte noch „Demokratie“, jedoch entschieden im Wesentlichen die Krieger, deshalb nennen wir diese Zeit „militärische Demokratie“. Die Kriegsführer, die meist die einflussreichsten und reichsten Privateigentümer waren, wurden Stammesführer, die immer länger im Amt blieben. Schließlich wurden die Ämter erblich. Es entstanden die Könige.

Allerdings bildeten sich in der Sklavenhaltergesellschaft bereits sehr verschiedene Staatsformen aus; neben der Monarchie finden wir die Republik, bei der man wiederum zwischen Aristokratie und Demokratie unterscheiden kann.12

Bereits früher waren die Clan-Chefs und Stammesführer:innen gleichzeitig Priester:innen. Das wird nun für die Könige zu einem zusätzlichen Machtmittel: Sie veränderten nun die Religion zu ihren Gunsten. Damit begann die Ideologie der Herrschenden zur herrschenden Ideologie zu werden. Die alte Demokratie war beseitigt, der König wurde zum Herrscher, zum Befehlshaber über Untertan:innen, die ihm gehorchen mussten.

Die Entstehung des Klassenkampfs

Die entstehende Ordnung nützte durchaus auch den ärmeren Stammesmitgliedern. Der König schützt mit seinen Kriegern ja auch die Ärmeren vor Versklavung, Land- und Viehraub durch Fremde13. Und eine im Krieg erfolgreiche Sklavenhaltergesellschaft bot darüber hinaus allen ökonomische Vorteile, z.B. die Versorgung mit billigen Sklav:innen. So hofften die ärmeren Bäuer:innen und Handwerker:innen, die noch selber arbeiteten, beim nächsten Kriegszug an billige Sklav:innen zu kommen und damit selbst Ausbeuter:innen zu werden. Die Ausbeuter:innen aber brauchten den Staat!

In dem Maß, wie sich die Sklaverei ausdehnte und die Arbeit der Sklavenmassen immer mehr zur Grundlage des Lebens aller Sklavenhalter:innen wurde, entstand der Klassenkampf zwischen Sklav:innen und Sklavenhalter:innen. Die Sklav:innen wollten sich mit ihrem elenden Schicksal, als Ding verkauft, geschändet oder sogar getötet zu werden, nicht abfinden. Es kam zu Aufständen. Der Sklavenaufstand unter Führung des Spartakus ist zwar der bekannteste, war aber weder der erste, noch der größte.

Für die Sklavenhalter:innen war es deshalb notwendig, zum Schutz ihrer Stellung, ihrer politischen Macht und ihrer Ausbeuterordnung, zur Niederhaltung der Sklav:innen und zum Erwerb neuer Sklav:innen besondere bewaffnete Einheiten, Mittel der Strafe und des Terrors zu schaffen, kurz: Jenes besondere Schutz-, Zwangs- und Machtinstrument zu entwickeln, das wir den Staat nennen. Die Sklavenhalter:innen waren nun auch fähig, aus dem Überschuss, den die Gesellschaft erzeugte, die erforderlichen Mittel abzuzweigen, um den Staatsapparat zu schaffen und aufrecht zu erhalten.

Der Staat ist also das Ergebnis des Klassenkampfs zwischen Ausbeuter:innen und Ausgebeuteten, das Zwangsinstrument der Ausbeuter:innenklasse zur Niederhaltung der ausgebeuteten Klasse.

Wie ist die Sklavenhaltergesellschaft untergegangen?

Die Sklavenhaltergesellschaft, die etwa ab 700 v.u.Z. entstanden war, ging unter, als die Weiterentwicklung der Produktivkräfte Produzent:innen erforderte, die ein gewisses Interesse an der Produktion hatten. Die Sklav:innen waren nicht oder nur in begrenztem Umfang am Einsatz bzw. an der Entwicklung differenzierter Arbeitsmittel interessiert – denn für sie bedeutete dies keinen Vorteil, sie blieben ein „Ding“ für die Sklavenhalter:innen. Gleichzeitig war in der Spätzeit des Römischen Reichs die Beschaffung billiger Sklav:innen immer schwieriger geworden.

Die Sklavenhaltergesellschaft versuchte die Krise zu mildern, indem sie Sklav:innen und besitzlosen Arbeiter:innen, in den Grenzgebieten auch German:innen, Bodenparzellen gegen Geld- oder Naturalpacht übergab; später diese „Kolonen“ sogar per Gesetz an den Boden fesselte.

Auch wenn sich mit diesem Kolonen-System die Produktivkräfte weiterentwickelten, die politische Macht blieb weiter bei den Sklavenhalter:innen, die die Krise nicht beseitigen konnten. Ihr Staat (nämlich das Römische Reich), von innen ausgehöhlt durch heftige soziale Kämpfe der ausgebeuteten Bevölkerung, brach unter dem Ansturm von Sueb:innen, Alan:innen, Wandal:innen und Got:innen zusammen.

Der Feudalismus

Die Entstehung des Feudalismus

Als auf den Trümmern des Römischen Reichs neue Königreiche entstanden, verteilten die neuen Herrscher den Boden an ihre Vertrauten. Die Bearbeitung des Bodens wurde abhängigen Bäuer:innen übertragen. Das Land, das der König so an seine Gefolgsleute verteilte hieß Feudum. Deshalb nennen wir die mittelalterliche Gesellschaftsordnung Feudalismus. Statt vom Feudum wird auch oft vom Lehen gesprochen.

Ab etwa 500 u.Z. begann sich der Feudalismus durchzusetzen, wobei aber regional unterschiedliche, verschiedene Formen der feudalen Abhängigkeit entstanden, die von der Leibeigenschaft (unfrei), Hörigkeit (halbfrei) bis hin zum relativ freien Bäuer:innen mit Jahres- oder Erbpacht reichten. Aber egal wie auch die Rechtsform war: Die wesentlichen Produktionsmittel, vor allem der Grund und Boden, lagen in der Hand der herrschenden Klasse, des Feudaladels. Der Feudaladel lebte von der Mehrarbeit der abhängigen Bäuer:innenschaft, die diese, über die für ihren eigenen Unterhalt hinaus nötige Arbeit, für den Feudalherr:innen leisten mussten.

Die Klassenstruktur des Feudalismus

Die beiden Hauptklassen des Feudalismus waren die Feudalherr:innen und die abhängigen Bäuer:innen. Zudem gab es noch die Hörigen sowie Zwischenklassen.

Die Klasse der Feudalherr:innen war kein einheitliches Gebilde. Die kleinen Feudalherr:innen zahlten an die großen Tribut und waren diesen zu Kriegsdienst verpflichtet, standen dafür aber unter deren Schutz. So bildete sich eine Stufenleiter von niederem, mittlerem und hohem Adel heraus.

Eine ähnliche Schichtung gab es in der Kirche. Nur in den unteren Schichten des Klerus waren Vertreter des einfachen Volks. Höhere Positionen in der Kirche wurden vom Adel besetzt. Klöster und Bischöfe waren reiche Grundbesitzer. In Deutschland besaß die Kirche ein Viertel des Grund und Bodens. Sowohl zwischen kirchlichen und weltlichen Feudalherr:innen, wie auch den weltlichen Adeligen untereinander, gab es auch ständig Widersprüche, Machtkämpfe und Interessengegensätze, die oft kriegerisch ausgetragen wurden.

Von der Ausbeutung der feudalabhängigen Bäuer:innenschaft lebte fast die ganze übrige Gesellschaft. Im Gegensatz zu Sklav:innen waren die Bäuer:innen aber materiell an der Entfaltung der Produktion interessiert: Da sie bestimmte Prozentsätze der Ernte an die Feudalherr:innen abzuliefern hatten, wuchs mit der Menge der Erzeugnisse zwar die Menge der Abgaben, aber auch das, was sie selbst behalten durften.

Die zweite Hauptklasse im Feudalismus sind die leibeigenen Bäuer:innen. Ursprünglich, in den Anfängen des Feudalismus, hatte die Leibeigenschaft tatsächlich noch starke Züge der Sklaverei an sich. Zwar verloren die Feudalherr:innen unter dem Einfluss des Christentums das Recht, Unfreie zu töten, oder sie in nichtchristliche Länder zu verkaufen – doch sie konnten misshandelt, verkauft und getauscht werden, waren nicht vermögensfähig und durften ohne Zustimmung des Herrn nicht heiraten.

Leibeigene entstanden durch Unterwerfung, Gefangenschaft, Selbstveräußerung (z.B. Schuldknechtschaft) oder Heirat mit Leibeigenen.

Unfreie, die unter der vollen Botmäßigkeit14 eines Feudalherren standen, wurden auf den Fronhöfen (das waren die Eigenwirtschaften der Feudalherr:innen) verwendet. Sie verrichteten hier landwirtschaftliche und gewerbliche Arbeiten (Fronhofs-Handwerker:innen).

Viele Unfreie wurden aber auch mit Grund und Boden ausgestattet, und mussten außer Naturalabgaben auch Frondienste leisten. Diese mit einem Haus versehenen „Leibeigenen“ näherten sich dem Status der Hörigen an; wie diese mussten sie persönliche Abgaben leisten und waren an den Boden gefesselt. Leibeigene leisteten aber auch gehobene Dienste, als „Meier“15 (Verwalter) oder als Mitglieder des bewaffneten Gefolges, und konnten sogar in den Adel aufsteigen.

Als sich das Feudalsystem entwickelte, konnten die meisten noch freien Bäuer:innen nicht lange ihre Unabhängigkeit bewahren. Das Privateigentum an Grund und Boden und anderen Produktionsmitteln vertiefte auch die Ungleichheit zwischen den freien Bäuer:innen. Die Reichen konzentrierten in ihren Händen immer mehr Reichtum und Macht. Dagegen gerieten die kleineren Bäuer:innen in eine ähnliche persönliche Abhängigkeit wie die Kolonen. Sie verwandelten sich in Hörige.

Im germanischen Teil Europas geschah das vor allem dadurch, dass der freie Landeigentümer Kriegsdienst leisten musste. Daraus ergaben sich unlösbare Widersprüche: Einerseits wollte der Bauer mit seinen Pferden den Acker bestellen, andererseits sollte er als Soldat mit diesen Pferden an den zahlreichen Kriegen des Adels teilnehmen.

Die Herren nutzten diese Zwangslage aus. Wenn der Bauer sich in persönliche Abhängigkeit begab, zum Hörigen wurde und Abgaben an seinen Herrn abführte, dann war er vom Kriegsdienst befreit. Damit hörte der Bauer auf, freier Eigentümer seines Bodens zu sein, er war nur noch dessen Besitzer.

Die hörigen Bäuer:innen waren im Allgemeinen an den Boden gefesselt und durften nur mit diesem zusammen veräußert werden. Sie waren aber im Gegensatz zu den Leibeigenen rechtsfähig, konnten Vermögen ansammeln und vererben. In der Praxis der Ausbeutung waren die Unterschiede zwischen Hörigen und Leibeigenen aber oft nur gering.

Neben den beiden feudalen Hauptklassen und den Hörigen als Zwischenklasse, gab es aber auch andere Klassen:

Auf der Grundlage der Arbeitsteilung zwischen Landwirtschaft und Gewerbe, die bereits auf den Fronhöfen einsetzte, und zur Herausbildung der einfachen Warenwirtschaft mit einem regelmäßigen Handel führte, entstanden seit dem 11. Jahrhundert in Deutschland feudale Städte, deren Basis das meist in Zünften organisierte Handwerk und die Kaufleute waren. Dort bildeten sich seit dem 15. Jahrhundert, noch im Schoss der Feudalordnung, Frühformen der kapitalistischen Produktionsweise.

Klassenkämpfe im Spätfeudalismus

Die ausgebeutete Bäuer:innenschaft kämpfte fast während der ganzen Zeit des Feudalismus gegen die feudalen Grundbesitzer. Im 13./14. Jahrhundert entwickelte sich die Leibeigenschaft in vielen Teilen Europas immer mehr zurück. Um diese Zeit war es auch den meisten Bäuer:innen bereits gelungen, die Arbeitsrente (in Form von Frondiensten) durch die Produktrente (in Form von Abgaben von bäuerlichen Naturalprodukten) abzulösen. Teilweise war die Produktrente auch bereits durch die Geldrente (also die reine Abgabe von Geld) abgelöst.

Die Klassenkämpfe der abhängigen Bäuer:innen waren, im Gegensatz zu den Sklav:innen vor ihnen, sehr wohl erfolgreich. Die Sklav:innen konnten im Klassenkampf nur einen Erfolg erringen, nämlich nicht mehr Sklav:innen zu sein.

Die Bäuer:innen im Feudalismus konnten aber noch als Abhängige bereits beachtliche Erfolge erzielen z.B. Teilwiderstand gegen einzelne Dienste und Abgaben, Kampf um bessere Leihbedingungen16, Abzug in Gebiete mit günstigeren Siedlungsrechten oder in die Städte.

Dabei nützten der Bäuer:innenschaft in Deutschland besondere Entwicklungen: Durch die „Ostexpansion“17 des Feudalismus machten die Feudalherr:innen sich selber Konkurrenz, da den Bäuer:innen im Osten das Land zu sehr viel günstigeren Bedingungen angeboten wurde. Dazu kam der Druck der Städte, in denen sich gerade das Bürger:innentum entwickelte. Bis zum 14. Jahrhundert entstanden z.B. in Deutschland rund 4.000 Städte, die eine starke Anziehungskraft auf Bäuer:innenschaft und Dorfhandwerker:innen ausübten.

Dieser Druck, den natürlich auch die Feudalherr:innen spürten, erleichterte es den auf ihren Äckern gebliebenen Bäuer:innen an günstigere Verträge zu kommen. Mit der feudalen Reaktion verschärfte sich aber im Spätmittelalter der Klassenkampf. Die Ausbeutung der Bäuer:innenschaft nahm immer grausamere Formen an. Bereits im 14. Jahrhundert kam es in England unter Wat Tyler, und in Frankreich (die „Jaquerie“) zu großen Bäuer:innenaufständen. Die bereits im 15. Jahrhundert vom Südwesten des Kaiserreichs ausgehende, allmählich immer mehr Territorien erfassende feudale Reaktion führte zur Herausbildung und Durchsetzung der „zweiten Leibeigenschaft“.

In den westlich der Elbe gelegenen Territorien kam sie vor allem in der Politik der Landesherr:innen zum Ausdruck, territorial einheitliche Rechts- und Abhängigkeitsverhältnisse zu schaffen. Östlich der Elbe setzte sich die zweite Leibeigenschaft in ihrer strengsten Form durch. Dort verschlechterte sich die ursprünglich seit der feudalen Ostexpansion günstige Lage der Bäuer:innenschaft im 15. und 16. Jahrhundert entscheidend. In dieser Zeit wurde ganz Mitteleuropa von einer Serie von Bäuer:innen- und Handwerker:innen-aufständen erfasst. Die Zeit war eigentlich reif für eine Revolution.

Einschub 3: Der große deutsche Bauernkrieg

Der „große deutsche Bauernkrieg“ begann im Mai 1524 mit der Erhebung der Bäuer:innenschaft im südlichen Schwarzwald, breitete sich bis zum Winter über Baden-Württemberg und Schwaben aus, und erreichte seinen Höhepunkt im April/Mai 1525 mit Aufständen im Elsass, in Tirol, Thüringen und Franken. Im Gegensatz zur niederländischen Revolution 40 Jahre später, fehlten in Süddeutschland ein einheitliches Ziel und eine einheitliche Führung.

Und während in den Niederlanden die Wald- und Wassergeusen18 mit einem mehrjährigen erfolgreichen Partisanenkampf das anfangs schwankende Bürger:innentum von der Machbarkeit der Revolution überzeugen konnten, wurden in Deutschland die getrennt operierenden regionalen Bäuer:innenverbände zu schnell von den Truppen der Feudalherr:innen zerschlagen.

Eines der radikalsten der im Bauernkrieg verfassten Programme war das des Taubertaler Haufens: Abschaffung aller Sonderrechte des Adels und der Geistlichkeit, Gleichstellung von Bauer und Edelmann, Zerstörung aller Schlösser und Befestigungen, Einstellung aller Leistungen für die bisher Herrschenden bis zur Aufrichtung einer allgemeinen Reichsreformation.

Starke bürgerliche Einflüsse zeigte der „Heilbronner Reichsreformationsplan“: Zentralisierung des Reichs durch eine starke Monarchie, Ausschluss der Geistlichkeit von allen weltlichen Ämtern, Beseitigung der den Handel behindernden Zölle, Abschaffung der Steuern bis auf eine zentrale, dem Kaiser zu entrichtende Steuer, einheitliche Maße, Gewichte und Münzen, Verbot von Monopolgesellschaften und regionalen Sonderbündnissen.

Sehr viel weiter in seinen Forderungen ging Thomas Müntzer in Thüringen, der bereits Anfang 1524 mit dem Allstedter Bund eine revolutionäre Organisation gründete, zu der bald auch Bergarbeiter:innen stießen. Müntzer wandte sich, allerdings noch stark von christlichen Vorstellungen geprägt und mit biblischen Argumenten, gegen jede Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, und verneinte damit jegliche Klassenherrschaft.

Noch deutlicher und klarer formulierte ähnliche Vorstellungen Michael Gaismair in Tirol mit seiner „Tiroler Landesordnung“, die bereits Elemente des utopischen Kommunismus vorwegnahm: Zentraler Gedanke war die Verwirklichung des evangelischen Gleichheitsideals durch Beseitigung der Klassenunterschiede. Die Verstaatlichung von gewerblicher Produktion und Handel sollte das Privateigentum aufheben und jede Möglichkeit von Betrug und Wucher beseitigen; Verkauf von Waren zum Selbstkostenpreis, eine neue Regierung von Bäuer:innen, Bergleuten und Gelehrten, die Friedenspolitik betreiben, und sich durch den Bergbau finanzieren sollte; Verweltlichung des Bildungswesens; staatliche Alten- und Krankenfürsorge; u.ä.

Eine geschlossene Kampffront der Bäuer:innenschaft und Bürger:innen kam aber nicht zustande.

Die Bäuer:innenschaft war nirgends in der Lage, ihre zahlenmäßige Überlegenheit militärisch zur Geltung zu bringen. Das Bürger:innentum konnte seine Interessen zum großen Teil noch innerhalb der Feudalordnung befriedigen, und war dort, wo es sich der Bäuer:innenbewegung anschloss, oft ein unsicherer Verbündeter. Der Bauernkrieg verhinderte allerdings in Teilen Süddeutschlands eine weitere wesentliche Verschärfung der feudalen Ausbeutung. Dort, wo die Bäuer:innenschaft gekämpft hatte, kam es zu keiner zweiten Leibeigenschaft, wie in den ostelbischen Gebieten.

Warum ging die Feudalgesellschaft unter?

Die neu entstehenden Produktivkräfte des jungen Kapitalismus stießen mit den alten Produktions- und Eigentumsverhältnissen des Feudalismus zusammen. Daraus erwuchs ein die ganze Gesellschaft umfassender Widerspruch; ein Kampf der bürgerlichen Klasse gegen die Klasse der adligen Grundherr:innen.19 Es war der Kampf zwischen der werdenden und der absterbenden herrschenden Klasse.

Die Feudalgesellschaft wurde beseitigt, als die Verbesserung und Höherentwicklung der Produktionstechnik und die Ausweitung der Produktion zur Erzielung von mehr Produkten die Konzentration von Produktionsmitteln und Arbeitskräften in großen Produktionsstätten unter einheitlichem Kommando voraussetzte. Das war innerhalb der Feudalgesellschaft durch die persönliche Abhängigkeit der Bäuer:innen, ihre Bindung an Grund und Boden und die Zunftbeschränkungen, die die Handwerker:innen einengten, nicht möglich.

Bereits im Feudalismus war, mit dem Entstehen der Städte, neben die beiden feudalen Hauptklassen – den Feudaladel und die Bäuer:innenschaft – eine aus Kaufleuten und handwerklichen Warenproduzent:innen bestehende bürgerliche Schicht getreten. Dazu führte die Ausbreitung der Ware-Geld-Beziehungen durch den Handel in Verbindung mit dem Bevölkerungswachstum zu einer zunehmenden sozialen Differenzierung, die sich in einer ständig ansteigenden Schicht landloser Bäuer:innen und städtischen Unterschichten ausdrückte. Diese Schicht war nicht mehr in der Lage, ihren Lebensunterhalt im Rahmen der feudalen Produktion zu erwerben. Aus diesen Schichten bildeten sich seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert20 Elemente der beiden kapitalistischen Hauptklassen heraus.

Es kam zu immer größerer Anwendung der kapitalistischen Kooperation, also der Zusammenarbeit vieler, die im selben Produktionsprozess oder in verschiedenen, aber zusammenhängenden Produktionsprozessen neben- und miteinander arbeiteten. Ebenso entwickelte sich die manufakturmäßige Arbeitsteilung. In der Manufaktur war die Arbeit so aufgeteilt, dass jeder am Produkt nur bestimmte Teilprozesse ausführte und dabei einfache Arbeitswerkzeuge benutzte. Dies war ein bedeutender Fortschritt der Produktion gegenüber den Handwerker:innen, die alle Arbeitsschritte selbst ausführten.

Im Zuge dieser beiden Entwicklungen drang das Handels- und Geldkapital in die Produktion ein. So entstand auf der einen Seite eine zahlenmäßig schwache, nur sehr langsam anwachsende Schicht kapitalistischer Unternehmer:innen. Auf der anderen Seite stand eine sich relativ schnell verbreitende Schicht unmittelbarer Produzent:innen, die sich auf dem Weg zu freien Lohnarbeiter:innen befanden. Diese Entwicklung vollzog sich anfangs noch quälend langsam, denn die Existenzbedingungen des Kapitalismus mussten erst noch geschaffen werden. Diesen notwendigen geschichtlichen Prozess nennen wir ursprüngliche Akkumulation.

Die ursprüngliche Akkumulation

Die ursprüngliche Akkumulation vollzog sich in allen Ländern, in denen feudale von kapitalistischen Produktionsverhältnissen abgelöst wurden. Sie ist durch folgende Hauptmomente gekennzeichnet:

1. Massenhafte Vertreibung der Bäuer:innen durch Enteignung ihres Landes; Auflösung der feudalen Abhängigkeiten; Raub des Gemeindelandes21; Ausplünderung der Kirchengüter; Verwandlung der vertriebenen Bäuer:innen in vogelfreie Proletarier:innen, die durch Blutgesetzgebung22 gewaltsam der kapitalistischen Arbeitsdisziplin untergeordnet wurden; Ausdehnung der Arbeitszeit bis zur physischen Grenze.

2. Zusammenballung von Kapital in den Händen der Kapitalist:innen mittels Sklavenhandel; Ausplünderung und Versklavung der Bevölkerung der Kolonien; Ausplünderung der eigenen Bevölkerung durch das Staatsschuldensystem, Steuern und Protektionismus.

Die ursprüngliche Akkumulation war also die gewaltsame Trennung der unmittelbaren Produzent:innen – nämlich der Bäuer:innenschaft – von ihren Produktionsmitteln (Grund und Boden) und ihre Verwandlung in Lohnarbeiter:innen. Diese waren nun gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um zu überleben.

Damit wurden die beiden entscheidenden Bedingungen für das Vorhandensein einer kapitalistischen Produktion geschaffen:

1. Die Anhäufung von Reichtümern in den Händen einiger weniger „Geschäftsleute“ (Bürger:innen, Kaufleute) und ihre Verwandlung in frei verfügbares Geldkapital23 als Voraussetzung für die Schaffung kapitalistischer Betriebe (Manufaktur, Industrie).

2. Die „Schaffung“ von Menschen, die „doppelt frei“ sind. Das heißt, dass sie erstens selbst keine Produktionsmittel besitzen, und zweitens „persönlich frei“ d.h. nicht mehr Leibeigene sind, und deshalb – um leben zu können – als Lohnarbeiter:innen für die Kapitalist:innen arbeiten müssen.

Der Kapitalismus hat sich also nicht idyllisch durch fleißige und sparsame Kapitalist:innen entwickelt, sondern durch brutale räuberische Enteignung der Bäuer:innenschaft und Handwerker:innen, sowie durch Ausplünderung, Versklavung und Vernichtung ganzer Völker.

Der Kapitalismus

Die Eroberung der Macht durch die Bourgeoisie

Auf der Grundlage der ursprünglichen Akkumulation setzte sich seit Anfang des 16. Jahrhunderts der Kapitalismus Stück für Stück in Europa durch. Die alten Produktionsverhältnisse des Feudalismus kamen immer mehr in Widerspruch mit dem sich entwickelnden Kapitalismus und seinen neuen Produktivkräften. Es kam zu bürgerlichen Revolutionen, in denen die entstandene, ökonomisch stärkste Klasse, das Bürger:innentum bzw. die Bourgeoisie, die politische Macht in ihre Hände nahm.

In den Niederlanden begann die erste bürgerliche Revolution Mitte des 16. Jahrhunderts. Mit der Utrechter Union vom 23. Januar 1579 entstand der erste kapitalistische Staat, die republikanischen „Generalstaaten“ der Niederlande, deren Statthalter Wilhelm von Oranien wurde.

In England begann die bürgerliche Revolution im Jahre 1640. Durch mehrere Entwicklungsetappen hindurch wurden die Machtansprüche der Bourgeoisie mit der „Bill of Rights“ im Jahr 1689 Staatsgesetz. In der Folge entstand die bürgerlich-parlamentarische Staatsverfassung.

In Frankreich zog sich die Revolution von 1789 bis 1799. Sie führte zu einer kurzzeitigen Errichtung einer demokratischen Republik. In der Französischen Revolution war wie in keiner anderen zuvor das Volk als Hauptkraft in den Vordergrund getreten. Der Revolutionsprozess endete mit dem Machtantritt des Generals Napoléon Bonaparte im Auftrag der aggressivsten Teile der Großbourgeoisie.

In vielen bürgerlichen Revolutionen in westeuropäischen Ländern waren die Bäuer:innenschaft, die in Entstehung begriffene Arbeiter:innenklasse, das städtische Kleinbürger:innentum sowie die Bourgeoisie die Triebkräfte. Die Bourgeoisie war jedoch nicht nur eine Triebkraft, sondern insbesondere auch die Führerin der Revolution. Auch wenn die Volksmassen, d.h. die unterdrückten und ausgebeuteten Klassen vom Bürger:innentum um die Früchte ihres Kampfes „betrogen“ wurden, sind die bürgerlichen Revolutionen geschichtlich ein Fortschritt gewesen. Sie brachten als soziale Revolution die fortgeschrittenen Produktivkräfte mit den neuen, kapitalistischen Produktionsverhältnissen in Übereinstimmung.

Einschub 4: Die bürgerlich-demokratische Revolution in Deutschland von 1848

Der Kapitalismus entwickelte sich in Deutschland zunächst langsam. Die gescheiterte Revolution von 1848 erwuchs aus dem Widerspruch zwischen den vom Kapitalismus hervorgebrachten neuen Produktivkräften und den noch vorherrschenden halbfeudalen Produktionsverhältnissen. Ihr Ausbruch wurde durch zwei Faktoren gefördert:

1. Die Getreide- und Kartoffelpreise waren durch Missernten 1845 bis 1847 dramatisch gestiegen. Die Folge waren Hungersnot und durch Unterernährung bedingte Krankheiten.

2. Eine 1847 in England ausbrechende zyklische Wirtschaftskrise des Kapitalismus griff rasch auf den Kontinent über und führte hier zu Bankrotten von Handelshäusern, Fabrikschließungen und Arbeitslosigkeit.

Der Zündfunke, der die Revolution in Europa entfachte, kam aus Paris. In bewaffneten Barrikadenkämpfen vom 22. bis 24. Februar 1848 hatten die französischen Arbeiter:innen die korrupte bürgerlich-konstitutionelle Monarchie gestürzt und die Proklamierung der Republik am 25. Februar erzwungen. Seit Ende Februar kam es in Italien, Deutschland, Polen, Böhmen und Ungarn zu revolutionären Erhebungen gegen die feudalen Unterdrücker:innen. Innerhalb weniger Wochen nahm die revolutionäre Bewegung europäischen Charakter an. Bereits wenige Tage nach Beginn der Revolution in Frankreich waren ganz Südwestdeutschland, bald darauf Bayern und Mitteldeutschland von der Revolutionswelle erfasst. Mit fast durchwegs erfolgreichen Aktionen wie Volksversammlungen, Demonstrationen, Bäuer:innenaufständen, Straßen- und Barrikadenkämpfen brachen Arbeiter:innen, Handwerker:innen, Bäuer:innen und Bürger:innen die Allmacht der halbfeudalen Reaktion.

Die Fürst:innen mussten sich zu Zugeständnissen (Verfassungsversprechen, Geschworenengerichte, Pressefreiheit, Amnestie usw.) und zu Regierungsumbildungen bereit erklären. Sie beauftragten liberale Vertreter mit der Regierungsbildung. Mit diesen Erfolgen und Versprechungen gab sich das Bürger:innentum im Allgemeinen zufrieden und trat rasch selbst als Ordnungsmacht z.B. in Form von „Bürgerwehren“ auf. Es wandte sich nun gegen die Aktionen der Volksmassen, die die Revolution weitertreiben wollten. Die Arbeiter:innenklasse trug in den Kämpfen die Hauptlast und war die entschiedenste revolutionäre Kraft.

Die deutsche Bourgeoisie, von jeher antirevolutionär, fürchtete die eigene Arbeiter:innenklasse und die übrigen revolutionären Volksschichten mehr als die feudale Reaktion. So stellte sie sich nicht an die Spitze der revolutionären Bewegung, sondern setzte alles daran, die Revolution zu bremsen.

Dieser Verrat bewirkte eine rückläufige Entwicklung der Revolution. Es gelang der Bourgeoisie, die Bewegung in friedliche parlamentarische Bahnen zu lenken und in den Parlamenten ihr Konzept der „Vereinbarung“ mit Krone und Adel durchzusetzen. Im europäischen Maßstab hatte die Revolution bereits im Juni 1848 in Paris ihren Wendepunkt erreicht. Nach mehrtägigen Straßenschlachten mit 10.000 Toten endete der Kampf der französischen Arbeiter:innenklasse am 26. Juni mit einer Niederlage. Das war auch das Signal für das Vordringen der deutschen Konterrevolution.

Während die Konterrevolution marschierte, begann die deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche mit der Ausarbeitung einer Verfassung. Die deutsche Nationalversammlung und ihre Arbeit wurden von den Fürsten aber schon längst nicht mehr ernst genommen. Im Mai 1849 appellierte deshalb die Nationalversammlung an das deutsche Volk, die Reichsverfassung in Kraft zu setzen.

Zur Verteidigung der Reichsverfassung erhob sich das deutsche Volk Anfang Mai nochmals in gewaltigen Massenaktionen. In Dresden wurde am 3. Mai der sächsische König aus der Stadt vertrieben. Nach sechs Tagen unterlagen die Aufständischen aber der Übermacht der sächsischen und preußischen Truppen. Auch die Widerstandsaktionen der Arbeiter:innen im Rheinland und in Westfalen wurden schnell durch starke Truppenverbände unterdrückt.

Ihren Höhepunkt erreicht die Reichsverfassungskampagne im pfälzisch-badischen Aufstand vom 1. Mai bis 23. Juli 1849. Der Aufstand wurde von führenden Vertreter:innen des „Bunds der Kommunisten“ unterstützt. In diesem Aufstand kamen zum ersten Mal in großem Umfang revolutionäre Streitkräfte zum Einsatz: Wie z.B. das Freikorps Willich (in dem Friedrich Engels als Adjutant, d.h. als Offizier im Stab mitkämpfte), das Mannheimer Arbeiterbataillon, die deutsch-polnische Legion, Beckers Volkswehren oder die Hanauer Turner. Der Aufstand wurde durch überlegene preußische Interventionstruppen niedergeschlagen. 80.000 Menschen flohen aus Baden. Mit dem Fall der Festung Rastatt am 23. Juli und einem Massaker unter den Gefangenen setzte die Reaktion auf ihre Weise einen Schlussstrich unter die deutsche bürgerlich-demokratische Revolution.24

Kolonialismus, industrielle Revolution und Imperialismus

Bis 1763 war England zur bedeutenden Kolonialmacht geworden. Die führende Rolle im Handel mit Sklav:innen, der Außenhandel und die Ausbeutung der Kolonien brachten der Bourgeoisie Riesengewinne. Sie bildeten in Verbindung mit dem Protektions-25 und Staatsschuldensystem eine wichtige Triebkraft bei der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals.

Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts waren in England die Voraussetzungen für die industrielle Revolution gegeben. Auf der Grundlage zahlreicher Erfindungen (Kokshochofen, Dampfmaschine, Spinnmaschine, mechanischer Webstuhl, industrielle Erzeugung von Tiegelstahl, Eisenschiene, Lokomotive, Eisenschiff, Buchdruckschnellpresse) entwickelten sich die gesellschaftlichen Produktivkräfte schnell. Großbritannien wurde die erste Industriemacht der Welt.

Infolge dieser Umwälzungen vollzogen sich auch gewaltige gesellschaftliche Veränderungen. In allen Wirtschaftszweigen wurden die kleinen Warenproduzent:innen wirtschaftlich vernichtet oder in bloße Anhängsel der Großbetriebe verwandelt. Dies war die Epoche des Kapitalismus der freien Konkurrenz.

Die Fortsetzung der Industrialisierung, des Freihandels und der kolonialen Eroberungen bewirkten, dass Großbritannien zum klassischen Land des Kapitalismus wurde. Hier studierten und analysierten Marx und Engels die Gesetze und Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise.

Die sprunghafte Entwicklung der Produktivkräfte im Zuge der industriellen Revolution sowie die wachsende gesellschaftliche Arbeitsteilung verhalfen den neuen kapitalistischen Produktionsverhältnissen in England vollends zum Durchbruch.

Auch in anderen Ländern entwickelte sich der Kapitalismus nun rasend schnell, insbesondere auch durch die massive Ausplünderung im Kolonialismus.

Mit dem Übergang zum 20. Jahrhundert entwickelte sich der Kapitalismus von der freien Konkurrenz in sein höheres Stadium, den Monopolkapitalismus, auch Imperialismus genannt.26 Ursache dafür war, dass durch den Prozess von Zentralisation und Konzentration des Kapitals, einzelne Unternehmen zu großen Monopolen angewachsen waren, die nunmehr das gesamte Wirtschaftsleben, wie auch den Staatsapparat beherrschten. Seitdem hat sich der Monopolkapitalismus ständig weiterentwickelt bis zu seiner heutigen Stufe, in der in jedem Land auf der Welt der Kapitalismus die vorherrschende Produktionsweise ist.

Die Klassenstruktur des Kapitalismus

Die beiden Hauptklassen im Kapitalismus sind die Kapitalist:innenklasse und die Arbeiter:innenklasse.

Schauen wir uns die kapitalistischen Produktionsverhältnisse genauer an:

Eigentumsverhältnisse: Die Kapitalist:innen besitzen das Privateigentum an Produktionsmitteln wie Maschinen, Fabrikgebäuden, Büros, großen Ländereien usw. Umgekehrt besitzen die Arbeiter:innen keine Produktionsmittel. Sie haben nichts anderes als ihre Arbeitskraft, die sie an die Kapitalist:innen verkaufen.

Stellung innerhalb des Produktionsprozess: Im Produktionsprozess befinden sich die Kapitalist:innen in der leitenden Funktion. Mit der Entwicklung des Kapitalismus wird diese Funktion an Manager:innen abgegeben, die den Kapitalist:innen rechenschaftspflichtig sind.27 Umgekehrt befindet sich die Arbeiter:innenklasse im Wesentlichen in einer ausführenden Position.

Verteilungsverhältnisse: Arbeitet der:die Arbeiter:in an einer Maschine der:des Kapitalist:in, gehört das geschaffene Produkt danach wieder dem :der Kapitalist:in. Die Arbeiter:innenklasse hat anschließend die Möglichkeit, die von ihr selbst geschaffenen Produkte zu erwerben.

Schauen wir uns nun die Kapitalist:innenklasse und die Arbeiter:innenklasse etwas genauer an.

Kapitalist:in ist ökonomisch zunächst einmal, wer aufgrund des Besitzes an Produktionsmitteln von der Ausbeutung der Lohnarbeit anderer lebt, sein Kapital damit beständig vermehrt und auf dieser Grundlage nicht mehr gezwungen ist, selbst produktiv tätig zu sein.

Für die Klassenanalyse ist es jedoch entscheidend, nicht an den ökonomischen Kriterien festzukleben und die Gesellschaft allein danach statisch einzuteilen. Die Bourgeoisie als herrschende Klasse ist vielmehr auch ein sozialer Begriff, der weitaus mehr umfasst als den Besitz an Produktionsmitteln.

Innerhalb der Kapitalist:innenklasse hat sich im Verlauf der Geschichte durch Konzentration und Zentralisation eine Hierarchie herausgebildet, deren wichtigstes Ergebnis zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Übergang zum Monopolkapitalismus bzw. Imperialismus, die Entstehung des Finanzkapitals und – wie Lenin beschreibt – die Herrschaft der Finanzoligarchie gewesen ist.

Eine Grundlage dieser Entwicklung war die schon von Marx beschriebene Tendenz der Trennung von Eigentum und Verfügungsgewalt über das Kapital. Kapitalist:in war nun nicht mehr einfach der:die Fabrikeigentümer:in, der:die gleichzeitig als Direktor:in die Geschäfte führte (auch das gibt es jedoch bis heute). Vielmehr entstand der Typ der Manager:in, wie z.B. Larry Fink von der US-amerikanischen Vermögensverwaltung Blackrock, der in heutigen Zeiten Kapital von Billionen Euro kontrollieren kann. Diese gehören zwar eigentlich gar nicht ihm, verleihen ihm aber im Gesamtgefüge des kapitalistischen Systems eine ungeheure Macht. Es entstand außerdem als Gegenpol die Schicht der Rentiers, die z.B. Sprösslinge eines Zweigs einer deutschen Industriellendynastie sein können, selbst gar nicht mehr mitentscheiden, aber auf höchstem Luxusniveau allein vom ihrem Besitz an Aktien und Anleihen, d.h. von der Arbeit anderer Leute leben können. Beide Teile gehören zur Klasse der Bourgeoisie. Die Finanzoligarchie ist dabei die kleine Schicht an der Spitze, bei der sich die gesellschaftliche Macht konzentriert.

Um den harten Kern der imperialistischen Bourgeoisie aus fungierenden Kapitalist:innen und Rentiers herum gibt es noch die kleineren und mittleren Kapitalist:innen, die Familien- und Startup-Unternehmer:innen, sowie ein ganzes Umfeld aus Nutznießer:innen des Systems, mittleren Manager:innen mit Karriereoptionen, Unternehmensberater:innen, Investmentbanker:innen usw. Während sich die gesellschaftliche Macht ganz oben bei einem immer kleineren Teil der Kapitalist:innen konzentriert, erreicht diese Klasse als Ganzes in Deutschland schon eine Größenordnung von ein paar Millionen Menschen (2017 gab es allein 1,3 Millionen Millionär:innen in Deutschland, Tendenz steigend!). Hinzu kommen dann noch die Staatsfunktionär:innen, die mit der Kapitalist:innenklasse verschmolzen sind, die Armeeoffiziere, Gewerkschaftsbosse u.v.m.

Die Kapitalist:innenklasse ist dabei nicht einheitlich. Zwischen den einzelnen Unternehmen besteht ein Konkurrenzverhältnis – dies führt zu politischen Machtkämpfen.

Diese Kämpfe werden auf unterschiedlicher Ebene geführt. Sie drücken sich in der Bildung verschiedenster Gruppen und Verbände innerhalb einer oder mehrerer Branchen aus. Sie zeigen sich in der Gründung konkurrierender bürgerlicher Parteien und ihrer Fraktionen oder von Interessen- und Fachverbänden, die dann oft sogar wieder staatliche Institutionen beraten („Lobbyismus“). Sie zeigen sich nicht zuletzt in einem Geflecht informeller Beziehungen in vordergründig kulturellen oder wohltätigen Freizeitvereinen der Kapitalist:innenklasse (z.B. „Rotarier“ oder „Lions-Club“).

Trotz all dieser Widersprüche, die innerhalb der Klasse der Kapitalist:innen zu erkennen sind, hat sie jedoch ein klares gemeinsames Interesse: Die Verteidigung der Ausbeuterordnung gegen die Ausgebeuteten.

Zur Arbeiter:innenklasse zählen wir alle Menschen, die keine Produktionsmittel besitzen und dementsprechend gezwungen sind, vom Verkauf ihrer Arbeitskraft zu leben. Die sich zudem in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit in einer im Wesentlichen ausführenden oder produzierenden Funktion befinden. Und deren Anteil am gesellschaftlichen Vermögen sich im Wesentlichen auf die Möglichkeit der Reproduktion ihrer Arbeitskraft (der Erfüllung ihrer grundsätzlichen Bedürfnisse) und der ihrer Familien beschränkt.

Im weiteren Sinne sind auch die Familienangehörigen der Arbeiter:innenklasse Teil der selbigen. Das betrifft in erster Linie die mitversorgten Familienmitglieder wie Kinder, nicht für Lohn arbeitende Partner:innen und in Rente gegangene Arbeiter:innen. Bei der Zugehörigkeit zu den Klassen spielen bürgerliche Kategorien wie „Arbeiter:innen“, „Angestellte“, „Auszubildende“ keine Rolle.

Die Arbeiter:innenklasse ist mit ihrer Entwicklung massiv angewachsen. Bildete sie zur Zeit von Marx und Engels noch eine gesellschaftliche Minderheit, zählt im heutigen Deutschland die große Mehrheit der Menschen zur Arbeiter:innenklasse.

Mit ihrer Entwicklung und ihrem Wachstum geht jedoch auch eine Ausdifferenzierung einher. Zudem gibt es innerhalb der Arbeiter:innenklasse noch besonders unterdrückte Teile, wie Frauen, zugewanderte Arbeiter:innen und Jugendliche.

Neben den beiden Hauptklassen – der Kapitalist:innenklasse und der Arbeiter:innenklasse – bestehen im Kapitalismus noch weitere Klassen und Schichten. Die wichtigste ist das Kleinbürger:innentum.

Auch bei der Betrachtung des Kleinbürger:innentums müssen wir von der Eigentumsfrage, von der Stellung gesellschaftlicher Schichten zu den Produktionsmitteln ausgehen. Unter Kleinbürger:innen verstehen wir zunächst alle Schichten, die weder frei von Eigentum an Produktionsmitteln sind – sonst wären sie Arbeiter:innen –, noch genug davon besitzen, um im obigen Sinne als Kapitalist:innen zu fungieren.

Das einfachste Beispiel hierfür sind selbständige Warenproduzent:innen, die entweder allein, gemeinsam mit Familienangehörigen oder auch mit ein paar Lohnarbeiter:innen ihrer Tätigkeit nachgehen, jedenfalls solange sie selbst noch produktiv tätig sind. In diese Kategorie fallen neben den Bäuer:innen heute noch die klassischen Handwerksmeister:innen oder im Bereich des Handels die kleinen Ladenbesitzer:innen. Ihren ganzen Lebensbedingungen nach fallen diese Schichten zwischen Kapitalist:innen- und Arbeiter:innenklasse: Die Tatsache, dass sie Eigentum besitzen, unterscheidet sie von den Arbeiter:innen, doch der Weg nach oben zu den Kapitalist:innen ist ihnen realistischerweise versperrt: „Damit er nur doppelt so gut lebe wie ein gewöhnlicher Arbeiter und die Hälfte des produzierten Mehrwerts in Kapital zurückverwandle, müsste er zugleich mit der Arbeiterzahl das Minimum des vorgeschoßnen Kapitals um das Achtfache steigern. Allerdings kann er selbst, gleich seinem Arbeiter unmittelbar Hand im Produktionsprozess anlegen, aber ist dann auch nur ein Mittelding zwischen Kapitalist und Arbeiter, ein „kleiner Meister.“ 28

Das Vordringen des Kapitals in alle Bereiche der Wirtschaft vernichtet die Lebensgrundlagen des Kleinbürger:innentums fortwährend. Gleichzeitig macht sich das Kapital die Zwischenstellung der Kleinbürger:innen auch zunutze und reproduziert sie damit: Z.B. mit dem Modell der Franchise-Ketten, bei denen kapitalistische Unternehmen das Risiko des Einzelgeschäfts an Kleinunternehmer:innen auslagern und dafür das Geschäftsmodell stellen (Bsp.: McDonalds Restaurants). Mit einem völligen Aussterben des Kleinbürger:innentums ist daher nicht zu rechnen.

Hinzu kommt, dass außer den selbständigen und selbst arbeitenden Geschäftsleuten auch innerhalb der Welt der kapitalistischen Unternehmen Zwischenschichten entstehen, die sich weder eindeutig dem Proletariat noch der Bourgeoisie zuordnen lassen. Zu diesem modernen Kleinbürger:innentum kann man Angestellte auf den mittleren Unternehmensebenen zählen, die eine gewisse, begrenzte Verfügungsgewalt über Kapital besitzen, sei es innerhalb des Unternehmens oder aber weil ihr Gehalt hoch genug ist, um Teile davon die Funktion als Kapital ausüben zu lassen (z.B. durch Aktienbesitz, Immobilien), von denen aber nur der geringste Bruchteil eine Chance hat, in die Liga der kapitalistischen Manager:innen aufzusteigen. Diese Schichten sind Ausdruck davon, dass sich mit der Entwicklung des Kapitalismus die gesellschaftlichen Klassen immer weiter ausdifferenzieren. Für sie gilt, was für das Kleinbürger:innentum schon immer galt, nämlich dass diese Schichten aufgrund ihrer Lebensbedingungen politisch zwischen Bourgeoisie und Proletariat hin- und herschwanken werden.

Der Klassenkampf im Kapitalismus

Zwischen der Arbeiter:innenklasse und der Kapitalist:innenklasse besteht ein unversöhnlicher, innerhalb kapitalistischer Produktionsverhältnisse antagonistischer (gegensätzlicher) Widerspruch. Warum ist er unversöhnlich?

Auf der einen Seite steht die Arbeiter:innenklasse, die – wie jeder Mensch – nach guten Arbeits- und Lebensbedingungen strebt. Doch um leben zu können, muss sie ihre Arbeitskraft an die Kapitalist:innen verkaufen, denn sie besitzt keine Produktionsmittel, mit welcher sie produzieren könnte.

Auf der anderen Seite steht dann die Kapitalist:innenklasse, welche danach strebt, ihr Kapital zu vermehren. Dies tut sie nicht aus Habgier – sie ist dazu aufgrund von ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus gezwungen. Denn jedes Unternehmen konkurriert mit anderen Unternehmen. Ist ein Unternehmen nicht profitabel, kann es keine neuen Produktionsmittel anschaffen, kann es die Produktion nicht ausweiten, kann es keine neuen Arbeiter:innen anstellen usw. Ist ein Unternehmen nicht profitabel genug, geht es unter und wird von stärkeren Unternehmen aufgekauft.

Wie aber vermehrt ein Kapitalist sein Kapital? Die einzige Quelle des Profits ist die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft. Knapp gesagt: Der Arbeiter bekommt nur einen Teil des von ihm im Arbeitsprozesses geschaffenen Werts ausgezahlt. Einen anderen Teil, den Mehrwert, behält der Kapitalist – ohne den Arbeiter dafür zu bezahlen. Um nun aber profitabler zu sein, muss der Kapitalist den Mehrwert erhöhen und damit den Arbeiter intensiver ausbeuten.

Die Kapitalist:innen können ihr Kapital also nur auf Kosten der Arbeiter:innenklasse vermehren. Umgekehrt bedeuten bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne für die Arbeiter:innenklasse usw. Einbußen für die Kapitalist:innen. Dieser Widerspruch kann innerhalb des Kapitalismus nicht aufgelöst werden. Er ist deshalb Quelle des Klassenkampfs innerhalb des Kapitalismus.

Durch den Klassenkampf kann die Arbeiter:innenklasse innerhalb des Kapitalismus zeitweise Zugeständnisse erringen, wie zum Beispiel die Einführung von Sozialversicherungen oder höhere Löhnen. Jedoch kann das Ausbeutungsverhältnis nicht abgeschafft werden, ohne die Produktionsverhältnisse grundlegend zu verändern.

Grundlage für eine solche Veränderung ist, wie in allen bisherigen Gesellschaftsformationen, dass die Produktivkräfte in Konflikt mit den Produktionsverhältnissen geraten.

Seit über einem Jahrhundert können wir genau dies beobachten: Der Kapitalismus entwickelt die Produktivkräfte massiv und vergesellschaftet die Produktion. Heute bringt er gigantische Fabriken hervor; Produktionsketten, die über den gesamten Globus reichen; Monopolunternehmen, die durch Algorithmen und Analysen genauestens voraussehen können, wo wie viele Waren wann abgesetzt werden können; Arbeiter:innen, die so gebildet sind wie noch nie in der Menschheitsgeschichte.

Doch diese Produktivkräfte befinden sich im Widerspruch mit den Produktionsverhältnissen: während der gesellschaftliche Charakter der Produktion heute so hoch entwickelt ist wie nie zuvor, sind die Produktionsmittel noch immer in privater Hand. Das führt dazu, dass die Entwicklung der Produktivkräfte gehemmt wird. So kommt es z.B. erst jetzt zur Entwicklung von Elektromobilität, obwohl der Stand der Technik dies schon seit Jahrzehnten ermöglicht hätte. So werden noch immer jeden Tag Millionen produzierte Lebensmittel weggeworfen, während die Hälfte der Menschheit hungert. So wird die Arbeitszeit verlängert und damit die Entfaltung der Arbeiter:innen und ihrer Produktivkraft gehemmt, anstatt die schon lange mögliche Arbeitszeitreduzierung durchzuführen.

Wir können sehen: Der gesellschaftliche Charakter der Produktivkräfte erfordert neue, ihm angemessene Produktionsverhältnisse, in denen auch das Eigentum und die Verteilung der Produkte gesellschaftlich sind. Das sind die sozialistischen/kommunistischen Produktionsverhältnisse.

Der Sozialismus & Kommunismus

Die sozialistische Revolution

So wie alle bisherigen Gesellschaftsformationen durch Revolutionen hervorgebracht wurden, gilt das auch für den Sozialismus/Kommunismus. Voraussetzung ist eine sozialistische Revolution.

Die sozialistische Revolution unterscheidet sich ihrem Charakter nach grundlegend von allen vorangegangenen Revolutionen, die nur zur Ersetzung der einen Form der Ausbeutung durch eine andere führten. Die sozialistische Revolution ist eine Revolution grundsätzlich neuen Typs. Ihre Aufgabe besteht nicht darin, die Form der Ausbeutung zu ändern, sondern darin, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen völlig zu beseitigen. Sie schafft die Grundlage für den Übergang von der Klassengesellschaft zur klassenlosen Gesellschaft. Deshalb ist sie die radikalste Umwälzung in der Geschichte der Menschheit.

Die Sklavenhaltergesellschaft entstand im Schoße der Urgesellschaft, der Feudalismus im Schoße der Sklavenhaltergesellschaft und der Kapitalismus im Schoße des Feudalismus. Hier entstanden neue Produktionsverhältnisse schon im alten System. In den bisherigen Gesellschaften gewannen deshalb auch neue herrschende Klassen an ökonomischer Macht, bis sie dann die politische Macht eroberten und damit den „Systemwechsel“ vollendeten.

Bei der Errichtung des Sozialismus/Kommunismus ist es anders.

Hier wird zum ersten Mal nicht eine Ausbeuter:innenklasse durch eine andere ersetzt. Hier ergreift zum ersten Mal die ausgebeutete Klasse die Macht, die Arbeiter:innenklasse. Warum ist es die Arbeiter:innenklasse? Sie hat als einzige Klasse das konsequente Interesse an der Abschaffung des Kapitalismus, da sie eben keine Produktionsmittel in diesem System besitzt.

Zur Revolution kommt es nicht spontan, nur weil die Produktivkräfte gegen die enge Hülle der Produktionsverhältnisse drängen.

Es benötigt zum einen eine objektiv revolutionäre Situation, in der die Herrschenden nicht mehr herrschen können wie bisher, und die Beherrschten nicht mehr leben können wie bisher.

Es benötigt zum anderen einen bewussten Prozess, in welcher sich die Arbeiter:innenklasse erhebt, mit dem Ziel, die alten Verhältnisse zu sprengen und eine neue Gesellschaft bewusst aufzubauen. Um den Prozess der Aktivierung, Politisierung, Organisierung und letztlich des militärischen Kampfes der eigenen Klasse durchzuführen, benötigt die Arbeiter:innenklasse eine Kampforganisation. Das ist die Kommunistische Partei.

In der sozialistischen Revolution muss die Arbeiter:innenklasse sich zum einen der Produktionsmittel bemächtigen, denn diese sind das Machtinstrument der Kapitalist:innen. Nur wenn die Arbeiter:innenklasse die ökonomischen Machtmittel übernimmt, kann sie auch politisch die Macht übernehmen. Dazu bedarf es außerdem der Zertrümmerung der bürgerlichen Staatsmaschinerie, das heißt der bürgerlichen Armee, des bürgerlichen Beamt:innenapparates, der bürgerlichen Polizei usw. Denn wie sollte ein Staat, der zur Unterdrückung der Mehrheit geschaffen wurde, dieser Mehrheit zu ihrer Befreiung dienen können?

Dafür muss sie ein eigenes Instrument schaffen: Das ist die sozialistische Staatsmacht.

Die sozialistische Staatsmacht

Unser Ziel ist eine klassenlose Gesellschaft, ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Aber die sozialistische Revolution ist die erste soziale Revolution, die mit der Eroberung der politischen Macht erst beginnt, und die erst dann beendet ist, wenn die sozialistische Umgestaltung in allen Bereichen abgeschlossen ist. Also ist dafür eine besondere Organisation notwendig, die diese Umgestaltung auch absichert. Dazu haben Marx und Engels bereits festgestellt:

Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andere. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.29

Die Diktatur des Proletariats ist die staatliche Natur der Herrschaft der Arbeiter:innenklasse. Aber warum bauen wir einen Staat auf und warum eine Diktatur?

Wie wir schon zu Beginn dieser Schulung diskutiert haben, ist der Staat eine Maschine in den Händen der herrschenden Klasse zur Unterdrückung des Widerstands ihrer Klassengegner:innen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Diktatur des Proletariats im Grunde genommen durch nichts von der Diktatur jeder anderen Klasse, denn der proletarische Staat ist eine Maschine zur Niederhaltung der Bourgeoisie.

Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied:

Alle Staaten, die bisher bestanden, waren eine Diktatur der ausbeutenden Minderheit über die ausgebeutete Mehrheit, während die Diktatur des Proletariats die Diktatur der ehemals ausgebeuteten Mehrheit über die frühere ausbeutende Minderheit ist.“

Die Diktatur des Proletariats kann keine „vollständige“ Demokratie, keine Demokratie für Alle, sowohl die Reichen als auch für die Armen, sein – die Diktatur des Proletariats muss ein Staat sein, auf neue Art demokratisch (für die Proletarier und überhaupt die Besitzlosen) und auf neue Art diktatorisch (gegen die Bourgeoisie).“ 30

Unter dem Kapitalismus gibt es und kann es keine wirklichen „Freiheiten“ für die Ausgebeuteten geben. Schon allein aus dem Grunde, weil die Räumlichkeiten, Druckereien, zentralen Internetknoten usw., die notwendig sind, um von den „Freiheiten“ Gebrauch machen zu können, ein Privileg der Ausbeuter :innen bilden. Die Demokratie im Kapitalismus ist eine Demokratie der ausbeutenden Minderheit, die auf der Beschränkung der Rechte der ausgebeuteten Mehrheit beruht und gegen diese Mehrheit gerichtet ist.

Nur unter der Diktatur des Proletariats sind wirkliche Freiheiten für die Ausgebeuteten und eine wirkliche Beteiligung der werktätigen Massen an der Verwaltung des Landes möglich.

Die Demokratie im Sozialismus ist eine Demokratie der früher ausgebeuteten Mehrheit, die auf der Beschränkung der Rechte der früheren ausbeutenden Minderheit beruht und gegen diese Minderheit gerichtet ist.

Diese Demokratie wird durch Rätestrukturen organisiert, die schon in der Revolution entstehen und nach der Revolution im ganzen Land aufgebaut werden. Wir sprechen deshalb auch von einer Rätedemokratie.

Welche Aufgaben hat nun die sozialistische Rätemacht? Es sind im wesentlichen zwei:

Zum ersten geht es um die Absicherung der Revolution: Das bedeutet einerseits die Niederhaltung der ehemaligen Kapitalist:innenklasse im Innern, die versuchen wird, mit allen Methoden die noch junge Rätemacht zu zerstören, um wieder an die Macht zu kommen. Andererseits wird die Rätemacht sich gegen Angriffe von ausländischen Mächten verteidigen müssen, die versuchen werden, den sozialistischen Aufbau rückgängig zu machen, um ihre eigenen Interessen im Lande zu schützen und eine Ausbreitung der Revolution zu verhindern.

Zum zweiten geht es um die Schaffung neuer Produktionsverhältnisse und den organisierten Aufbau der klassenlosen Gesellschaft.

Die Schaffung neuer Produktionsverhältnisse

Die neue Gesellschaft kann in zwei Phasen eingeteilt werden. Die niedere Phase – die auch als Sozialismus bezeichnet wird – und die höhere Phase – die wir Kommunismus nennen.

Schon im Sozialismus unterscheiden sich die Produktionsverhältnisse grundlegend von denen des Kapitalismus. Dazu schauen wir uns wieder die drei Elemente der Produktionsverhältnisse an:

Eigentumsverhältnisse: Das „große“ Privateigentum an Produktionsmitteln wird sofort verboten. Die großen Fabriken, Ländereien, Straßen, Bürogebäude usw. werden in die Hände des sozialistischen Staats gelegt, welcher von der Rätemacht geführt wird. Je nach konkreter Situation kann es sein, dass bei Teilen des Kleinbürger:innentums „kleines“ Privateigentum noch eine Zeit lang verbleiben wird, um sie nicht von der Revolution wegzustoßen. Mit der Zeit wird aber jegliches Privateigentum an Produktionsmitteln abgeschafft, indem Kleinbürger:innen durch Überzeugung für kollektives Wirtschaften begeistert werden und somit zu Arbeiter:innen werden.Die Produktionsmittel werden nun nicht mehr anarchisch von einzelnen Kapitalist:innen eingesetzt, sondern nach einem systematischen Plan. Es herrscht Planwirtschaft. Ziel des Wirtschaftens ist nun nicht mehr der Profit, sondern die Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung des sozialistischen Landes.

Stellung innerhalb des Produktionsprozess: Im Sozialismus werden gerade innerhalb des konkreten Produktionsprozesses noch viele Muttermale der alten Gesellschaft zu sehen sein. So wird es noch immer die Trennung zwischen Kopf- und Handarbeit, zwischen leitender und ausführender Tätigkeit, zwischen Stand und Land, zwischen Mann und Frau geben. Hier wird ein bewusster Prozess gestartet, um diese Trennungen systematisch aufzuheben.

Verteilungsverhältnisse: Da die Produktionsmittel nun in den Händen der sozialistischen Staatsmacht liegen, wird nicht mehr individuell, sondern nach einem systematischen Plan produziert. Die Früchte der Produktion gehören dann jedoch nicht mehr Einzelnen, sondern der gesamten Gesellschaft. Verteilt werden sie im Sozialismus nach dem Prinzip „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung.“ Das bedeutet, dass Menschen, die mehr leisten, auch etwas mehr erhalten. So große Unterschiede wie im Kapitalismus wird es jedoch nicht mehr geben. Auch werden natürlich alle Menschen gesellschaftlich getragen, die wegen Krankheit oder Alter nicht oder nur eingeschränkt arbeiten können.

Diese Produktionsverhältnisse müssen in einem bewussten Prozess immer höher entwickelt werden. Dies geschieht in dem Maße, wie die große Masse der Gesellschaft immer stärker in den Prozess des sozialistischen Aufbaus mit einbezogen und ihr Bewusstsein in eine kommunistische Richtung verändert wird.

Dafür ist es nötig, dass die Räte immer mehr Menschen aktiver in ihre Arbeit einbeziehen und lebendige Einrichtungen sind, die sich aktiv an der Erstellung des wirtschaftlichen Plans beteiligen und somit tatsächlich über die Produktionsmittel verfügen.

Dafür ist es zudem nötig, dass durch Bildung und Erziehung eine neue Generation sozialistischer Arbeiter:innen entsteht, die allseitig in Kopf- und Handarbeit, in leitenden und ausführenden Tätigkeiten entwickelt werden und so aus dem Kapitalismus übernommene Strukturen aufbrechen können.

Dafür ist es außerdem nötig, dass die Arbeit für die Arbeiter:innenklasse mehr und mehr zu einem Bedürfnis wird. Dass nicht mehr Prämien oder materielle Anreize die Motivation zur Arbeit bestimmen, sondern das Interesse einen eigenen Beitrag zum gesellschaftlichen Reichtum zu leisten.

Um diese Veränderungen zu ermöglichen, werden wir einen bewussten langfristigen Kampf führen müssen – sowohl innerhalb der Produktion, als auch im gesellschaftlichen Überbau:

Die Diktatur des Proletariats ist ein zäher Kampf, ein blutiger und unblutiger, gewaltsamer und friedlicher, militärischer und wirtschaftlicher, pädagogischer und administrativer Kampf gegen die Mächte und Traditionen der alten Gesellschaft.“ 31

Auch im Sozialismus wird deshalb ein konsequenter Klassenkampf gegen die Überbleibsel der alten Kapitalist:innenklasse, neu entstehende Ausbeutungsverhältnisse sowie die Reste der kapitalistischen Ideologie und Kultur in den Köpfen der Menschen geführt werden müssen.
Diese Schritte müssen zusammenkommen mit einer Höherentwicklung der Produktivkräfte. Diese werden uns ermöglichen, die Arbeitszeit zu verringern, um eine allseitige Beteiligung an Aktivitäten der Räte zu ermöglichen. Arbeiter:innen werden in verschiedenen Berufen arbeiten und mehrere Berufe über das gesamte Leben erlernen können. Zuletzt wird es durch eine hohe Produktivkraft einen Überfluss an Produkten geben. Dieser Überfluss an Gütern hat nichts mit der heutigen „Konsumgesellschaft“ zu tun, die die natürliche Umwelt des Menschen zerstört. Stattdessen werden die ständig wachsenden Bedürfnisse der Gesellschaft im Sozialismus durch eine hochtechnisierte ökologische Kreislaufwirtschaft befriedigt werden, mittels derer zugleich das im Kapitalismus grundsätzlich gestörte Verhältnis von Mensch und Natur wieder in Einklang gebracht wird.32 Die Weiterentwicklung der sozialistischen Produktionsweise wird es uns schließlich ermöglichen, das bürgerliche Leistungsprinzip abzuschaffen.

Zuletzt muss der Sozialismus nicht nur in einem Land, sondern auf der ganzen Welt gesiegt haben. Erst dann können wir unsere Gewaltapparate abschaffen, die wir zu unserer Verteidigung nach innen und nach außen benötigt haben. Damit können wir dann auch den Staat abschaffen und auf den Müllhaufen der Geschichte werfen.

Die Produktionsverhältnisse im Kommunismus werden dann etwa so aussehen:

Eigentumsverhältnisse: Da der Staat abgestorben ist, gibt es kein Staatseigentum mehr, sondern nur noch das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln. Diese werden von einer „Assoziation freier Produzent:innen“33 gemeinschaftlich verwaltet.

Stellung innerhalb des Produktionsprozess: Die Muttermale der alten Arbeitsteilung innerhalb des Produktionsprozess wird überwunden sein. Trennung zwischen Kopf- und Handarbeit, leitenden und ausführenden Tätigkeiten, Stadt und Land, zwischen den Geschlechtern werden überwunden sein.

Verteilungsverhältnisse: Das alte Prinzip „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“ wird ersetzt durch das kommunistische Prinzip „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“

Fragen für das Selbst- und Gruppenstudium

EINLEITUNG

Wie hängen dialektischer Materialismus und historischer Materialismus zusammen?

Was ist der Kern des historischen Materialismus?

Welche Schlussfolgerungen müssen wir daraus ziehen?

GRUNDGEDANKEN DES HISTOMAT

Was ist eine Produktionsweise?

Was sind Produktivkräfte? Was umfassen sie?

Was sind Produktionsverhältnisse? Welche drei Elemente umfassen sie?

Welche Hauptformen von Produktionsverhältnissen gibt es? Welche Grundtypen?

Was versteht man unter „Basis“, was unter „Überbau“ der Gesellschaft? Wie stehen sie im Verhältnis zueinander?

Wie ist das Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen?

Was ist eine Revolution und was hat sie mit Produktivkräften und Produktionsverhältnissen zu tun?

Wie versteht die bürgerliche Geschichtswissenschaft und wie definiert der Marxismus die Rolle der Persönlichkeit in der menschlichen Geschichte? Erläutere dies am Beispiel von Clara Zetkin und Rosa Luxemburg als „Held:innen“ bzw. die „großen Frauen“, die den Lauf der Geschichte geprägt haben.

GESCHICHTE AUS MARXISTISCHER SICHT

In welchem Sinn ist es gerechtfertigt, die Geschichte der Menschheit anhand der Entwicklung in Europa zu betrachten und in welchem Sinn ist dies nicht zulässig?

URGESELLSCHAFT

Wie sieht die Produktionsweise der Urgesellschaft aus (Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse)?

Wieso kämpfen wir heute nicht dafür, zurück zur Urgesellschaft zu kommen?

Wieso ging es mit der Urgesellschaft nicht einfach so weiter?

Wie entsteht das Geld? Was hat das Geld als neue Erscheinung mit den Menschen gemacht?

Wie entsteht das Patriarchat? Warum übernahmen Männer später z.B. die Kriegsführung?

Was sind Klassen und wie entstehen sie?

Widerlege die bürgerliche Anschauung, wonach die Entstehung der Klassen und deren Hintergründe zeigen würden, dass der Mensch „an sich“ schlecht sei?

SKLAVENHALTERGESELLSCHAFT

Was sind die Hauptklassen der Sklavenhaltergesellschaft?

Wie sahen die Produktionsverhältnisse aus? (Anhand der drei Elemente darstellen)

Gab es den Staat schon immer?

Welche Staatsformen entwickelten sich in der Sklavenhaltergesellschaft? Wer war am Staat beteiligt und wer stand außen vor?

Wie entstand der Klassenkampf? Warum haben sich Sklav:innen gewehrt?

Warum endete die Sklavenhaltergesellschaft?

FEUDALISMUS

Wie war der Feudalismus strukturiert? Was waren seine Hauptklassen? Was unterscheidet ihn von der Sklavenhaltergesellschaft?

Wieso siegten die Bauernkriege nicht?

Wie entstand langsam die neue Kapitalist:innenklasse?

Was ist die ursprüngliche Akkumulation?

KAPITALISMUS

Wie kam es zu den bürgerlichen Revolutionen?

Was beschleunigte die Entwicklung des Kapitalismus und wie hat er sich zum Imperialismus entwickelt?

Wie sehen die Produktionsverhältnisse im Kapitalismus aus?

Welche Klassen stehen sich im Kapitalismus gegenüber?

Warum kommt es im Kapitalismus notwendigerweise zu Klassenkämpfen?

Wieso können erkämpfte Reformen im Kapitalismus nicht dauerhaft beständig sein?

Nenne Beispiele für den Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen heute.

SOZIALISMUS

Warum bedarf es einer sozialistischen Revolution? Was unterscheidet sie von vorherigen Revolutionen?

Wer ist der Träger der sozialistischen Revolution und warum?

Welche Aufgaben gibt es in der sozialistischen Revolution?

Warum brauchen wir eine sozialistische Staatsmacht?

Wie ist der sozialistische Staat aufgebaut und was sind seine Aufgaben?

Was sind die Produktionsverhältnisse in der niederen Phase der kommunistischen Gesellschaft?

Hört der Klassenkampf im Sozialismus auf?

Was sind die ökonomischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen für den Kommunismus?

Wie sehen die Produktionsverhältnisse im Kommunismus aus?

Literaturempfehlungen

Akademie der Wissenschaften der UDSSR, „Politische Ökonomie – Lehrbuch“, deutsche Übersetzung, Dietz-Verlag 1. Auflage 1959, 791 Seiten

Kapitel 2 behandelt die ‚vorkapitalistischen Produktionsweisen‘ von der Urgemeinschaft bis zum Untergang der Feudalordnung auf 38 Seiten und gibt einen guten, gerafften Überblick.

Nach Möglichkeit sollte man die 1. Auflage oder einen entsprechenden Nachdruck von K-Gruppen aus den 1970er nehmen. Ab der 2. Auflage vermischen sich, insbesondere bei den Themen Imperialismus und Sozialismus, marxistisch-leninistische und revisionistische Tendenzen zu einem auch für Fortgeschrittene nicht immer leicht zu entwirrenden Knäuel.

Jürgen Kuczynski, „Vom Knüppel zur automatischen Fabrik – Eine Geschichte der menschlichen Gesellschaft“, Berlin, vermutlich 1960, Der Kinderbuchverlag, Nachdruck: Verlag zur Förderung der wissenschaftlichen Weltanschauung, München 2004, 223 Seiten

Auch wenn es ein Kinderbuch ist: Für Erwachsene, die sich einen schnellen Überblick über die Entwicklungsgeschichte der Klassengesellschaften verschaffen wollen, unbedingt zu empfehlen.

Das Loblied auf den später sogenannten „Gulaschkommunismus“ von Chruschtschow im 8. Kapitel ist Revisionismus pur, schwächt aber die gute Darstellung und zutreffenden Inhalte der vorhergehenden geschichtlichen Kapitel nicht ab.

Alexandra Kollontai, „Die Situation der Frau in der gesellschaftlichen Entwicklung – Vierzehn Vorlesungen vor Arbeiterinnen und Bäuerinnen an der Sverdlov-Universität 1921“, Berlin, 1975, Verlag Neue Kritik, 264 Seiten

Dies ist der einzige längere Text, der sich aus marxistischer Sicht mit dem Thema auseinandersetzt. Er stellt eine absolut notwendige Korrektur der Männer-dominierten Geschichtswissenschaft dar. Es ist kennzeichnend für die Macht patriarchaler Einstellungen auch innerhalb der kommunistischen Weltbewegung, dass dieses wichtige Werk erst Jahrzehnte später in Buchform erschienen ist.

Friedrich Engels, „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats – Im Anschluß an Lewis H. Morgans Forschungen“, MEW Band 21, S.27 – 173

Ein klassischer Text des Marxismus-Leninismus, der die Grundzüge des historischen Materialismus anhand der im Titel benannten Themen herausarbeitet.

Der Untertitel weist auf das Hauptproblem dieses Textes hin: Die Untersuchung ist von den archäologischen Kenntnissen von 1884 aus geschrieben und Engels stützt sich dabei sehr stark auf Morgan, der aber offenbar wissenschaftlich gepfuscht hat. Der ganze erste Abschnitt „Vorgeschichtliche Kulturstufen“ ist teilweise überholt. Auf die Problematik gehen wir in der Schulung zum Patriarchat ausführlicher ein.

Friedrich Engels, „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“, MEW Band 20, S.444 – 455

Zur Frage, ab wann beginnt der Mensch ein Mensch zu werden. Hier gilt im Detail das gleiche wie oben – Ursprung der Familie – der Text ist von 1876.

Akademie der Wissenschaften der UDSSR, „Grundlagen der marxistischen Philosophie“, deutsche Übersetzung, Dietz-Verlag 1. Auflage 1959, 740 Seiten

Das Standardlehrbuch behandelt den historischen Materialismus in 9 Kapiteln. Es eignet sich gut zum Selbststudium und Nachschlagen als Vertiefung zu dieser Schulung.

1Siehe Einschub 1.

2Marx, „Lohnarbeit und Kapital“, MEW 6, S. 407f.

3In vielen Ländern außerhalb Europas, insbesondere in Asien, hat es darüber hinaus eine zusätzliche Produktionsweise gegeben, die historisch in etwa zwischen der Ur- und der Sklavenhaltergesellschaft anzusiedeln ist und auch als asiatische Produktionsweise bezeichnet wird.

Marx, „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung“, MEW 1, S. 385

4Engels, Brief an W. Borgius in Breslau, MEW 39, S. 206 f.

5Plechanow, „Über die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte“, Verlag Neuer Weg 1945, S. 41

6Etwa ab 1600 v.u.Z. durch Funde nachweisbar.

7Verband verschiedener Verwandschaftsgruppen

8Eine Ware ist ein Produkt menschlicher Arbeit, das für den Austausch auf dem Markt und nicht für den eigenen Bedarf hergestellt wird. Der Begriff „Ware“ und der in Waren enthaltene „Wert“ wird in der Schulung Kapitalismus I hergeleitet und näher betrachtet.

9Der Wert einer Ware bestimmt sich durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zu ihrer Herstellung. Der Unterschied zwischen Gebrauchs- und Tauschwert und die gesamte marxistische Werttheorie wird in der Schulung Kapitalismus I behandelt.

10 Lenin, „Die große Initiative“, LW 29, S. 410

11Das erfolgte keineswegs immer in der Form der Sklavenhaltergesellschaft, sondern es entstanden auch andere Formen der Klassengesellschaft, in denen verschiedene Ausbeutungsformen kombiniert waren.

12Siehe dazu die Staatsschulung, wo dies vertieft erörtert wird.

13Die Reichen hatten aber durchaus keine Skrupel, bei ihnen verschuldete Stammesmitglieder in die Sklaverei zu verkaufen oder selbst als Sklav:innen einzusetzen.

14D.h. die Leibeigenen konnten über keinen Teil ihres Lebens selbst bestimmen.

15Die häufigen deutschen Familiennamen Meier, Mayer, u.ä. kommen tatsächlich davon!

16Aus der Sicht der Feudalherr:innen bekamen die Bäuer:innen das Land, für das sie Abgaben zahlten, nur „geliehen“.

17Eine in deutschen Geschichtsbüchern verwendete, beschönigende Bezeichnung für die Eroberungsfeldzüge deutscher Feudalherr:innen in die slawischen Gebiete östlich der ehemaligen Reichsgrenze (Elbe-Saale-Böhmerwald-Ostalpen).

18 „Geuse“ (frz. Gueux), d.h. Lump, Bettler, war ursprünglich ein Schimpfwort der Feudalherr:innen gegen die bürgerliche Opposition, das von den Partisan:innen bewusst als Ehrenname verwendet wurde.

19Siehe zu diesem Problem auch: Paul Sweezy, Maurice Dobb u.a. „Der Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus“ („The Transition from Feudalism to Capitalism“), deutsch: Syndicat, Frankfurt am Main 1978, eine in den 50er Jahren in der Zeitschrift „Science and Society“ geführte Debatte von Historiker:innen.

20Also etwa zeitgleich mit der Entdeckung Amerikas, dem Beginn der deutschen Bauernkriege und der Reformation.

21Gemeinsamer Besitz der Dorfgemeinden an Weide und Wald.

22In England wurde Betteln und Landstreicherei (also Arbeitslosigkeit) zeitweise mit dem Tod oder durch Verstümmlung bestraft. Ähnliche Gesetze gab es auch in anderen Teilen Europas.

23Wieso der Kapitalismus – genauer der Zyklus der kapitalistischen Reproduktion – immer mit Geldkapital beginnt, wird in der Schulung Kapitalismus I behandelt.

24Siehe dazu Marx, „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850“, MEW 7,
S. 9 ff. und Engels, „Die deutsche Reichsverfassungskampagne“, MEW 7,
S. 109 ff.

25Politik der wirtschaftlichen Abschirmung vor dem Ausland mit Hilfe von Zöllen, Einfuhrverboten u.a.

26Siehe dazu die Schulung Imperialismus, wo dies ausführlicher behandelt wird.

27Wobei weder Rechenschaftspflicht noch Lohnverhältnis aus Manager:innen Arbeiter:innen machen. Die Manager:innen sind je nach Position entweder Teil der Kapitalist:innenklasse oder gehören einer Zwischenklasse an: dem im Imperialismus entstandenen, modernen, lohnabhängigen Kleinbürger:innentum.

28Marx, „Das Kapital I“, MEW 23, S. 326

29Marx, „Kritik des Gothaer Programms“, MEW 19, S. 28

30Lenin, „Staat und Revolution“, LW 25, S. 425

31Lenin, „Der ‚linke‘ Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus“,
LW 31, S. 29

32Siehe dazu die Schulung zur Umwelt.

33Marx, „Über die Nationalisierung des Grund und Bodens“, MEW 18, S. 62

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