Vom scheinbaren Widerspruch zur untrennbaren Einheit

Die imperialistische Gesellschaft greift uns auf allen Ebenen an. Wenn man die Angriffe des Imperialismus auf die ArbeiterInnen und andere unterdrückte Massen nur ökonomisch oder politisch betrachtet, so ist das ein beschränktes Verständnis. Oftmals werden auch in revolutionären Kreisen die Angriffe des Imperialismus auf unser Denken, Fühlen und das entsprechende Handeln – oder anders gesagt: auf ideologischer Ebene – ausgeblendet bzw. kaum beachtet.

Wie ist es sonst zu erklären, dass selbst in der politischen Widerstandsbewegung heute der angebliche „Egoismus des Menschen“ als das größte Übel behandelt wird, dem wir heute gegenüber stehen. Als ob Egoismus und Selbstbezogenheit etwas in unserer DNA Festgeschriebenes wären, dem wir nicht entkommen könnten, ja das gar unsere menschliche Natur ausmacht.

Daraus folgt unter anderem der massive Fokus großer Teile der politischen Widerstandsbewegung auf die persönliche Konsumkritik. Die Erzählung, man könne durch eine bewusstere und gezielte persönlich-individuelle Lebensweise nicht nur sein eigenes Leben wesentlich besser gestalten, sondern würde damit auch noch die Gesellschaft verändern können, ist ein immer wieder verbreitetes Märchen. Die Auswüchse dieser Illusionen können wir weit bis in die revolutionäre Bewegung hinein feststellen.

Das Individuum im Imperialismus

Der Imperialismus ist nicht nur auf ökonomischem Gebiet eine Weiterentwicklung des Kapitalismus und seiner brutalen Ausbeutungsformen, sondern auch auf dem Gebiet der Ideologie. Durch die ideologische Umzingelung und die dauerhafte Präsenz der gegen die soziale Natur des Menschen gerichteten bürgerlichen Kultur und Lebensweise werden wir durch diese geprägt und erzogen.

Der Imperialismus lässt von dem sozialen menschlichen Wesen nur noch einen Schatten seiner selbst übrig: Dieses soziale Wesen wird verkümmert durch die Berieselung mit imperialistischer Propaganda und die Ausrichtung auf Egoismus und Konkurrenz. Das Menschsein wird weiter verkümmert durch das gezielte Ansprechen und die Beeinflussung von verschiedenen Teilen der Bevölkerung auf der Ebene der Stimmungen und Gefühle zur Aufrechterhaltung der politischen und ökonomischen Herrschaft des Imperialismus („political engineering“).

Die Ausrichtung der kapitalistischen Ökonomie auf Konkurrenz und Profitmaximierung wirkt sich auch immer mehr auf das Zusammenleben der Menschen aus. Der Imperialismus schafft eine Gesellschaft, in der sich jeder selbst der Nächste ist. Eine Gesellschaft, in der die Konkurrenz nicht allein zwischen den Herrschenden stattfindet, sondern auch nach unten weiter verteilt wird und so zu massiven Spaltungslinien und Konkurrenzkämpfen auch innerhalb der ArbeiterInnenklasse und den unterdrückten Massen führt.

Die berühmte „Ellbogengesellschaft“ und die sich immer weiter fortsetzende Vereinzelung des Individuums im Imperialismus sind das Ergebnis. All das wird ergänzt durch die Erzählung, dass jeder und jede des „eigenen Glückes Schmied“ wäre, also es an jedem Individuum selber liegen würde, ob man in Armut oder in Reichtum lebt, wo und wie man lebt etc. Millionen Menschen leiden unter diesem Märchen, dass nur sie alleine für ihre Situation verantwortlich wären und nicht der Chef, der einen ausbeutet und rausschmeißt, die Politiker, die durch ihre Gesetze noch mehr Reichtum von unten nach oben umverteilen, oder die kapitalistischen Unternehmen, die unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstören.

Der Imperialismus versucht, alle Probleme, Ereignisse und Gegebenheiten im Leben als individuell darzustellen. Die Klassenwidersprüche, ja die gesamte Existenz der Klassengesellschaft wird damit verschleiert. Gesellschaftliche Probleme werden als individuelle Probleme dargestellt, deren Lösungen individuell gefunden werden müssen. Dies führt bei vielen Menschen zu Passivität, sowie zu einer ganzen Reihe psychischer und physischer Erkrankungen.

Aktives Individuum

Als KommunistInnen müssen wir es als unsere klare Aufgabe verstehen, uns offensiv gegen die bürgerliche Erziehung und Ideologie zu stellen. Wir müssen tagtäglich gegen die bürgerlichen Einflüsse, von denen sich im imperialistischen System und insbesondere in seinen Zentren niemand freisprechen kann, ankämpfen.

Das bürgerlich-individualistische Individuum ist oftmals gefangen in einer durch die bürgerliche-kapitalistische Ideologie hervorgebrachte Erstarrung und Passivität. Die allumfassende Propaganda, dass man sich in sein Schicksal fügen müsse bzw. nur durch eigenen Fleiß und gegen seine Mitmenschen etwas erreichen könne, steht der politischen Aktivierung des Individuums entgegen.

Zur Aktivierung des Individuums müssen wir die bürgerliche Ideologie und Propaganda, die das Individuum in Passivität hält und durch abertausende Kanäle berieselt, durchbrechen. Wir müssen einen Ansatz bieten, welcher zunächst eine kritische Hinterfragung der bürgerlichen Propaganda, ihrem System des bürgerlichen Individualismus und der scheinbaren Selbstverantwortung für die Folgen des kapitalistischen Ausbeutersystems ermöglicht.

Dann geht es uns darum, die Menschen in ihrem kritischen Denken zu bestärken und ihre Aktivierung zum Kampf um die politischen und ökonomischen Rechte und Interessen zu fördern. Aktivierung bedeutet dabei sowohl gedankliche wie praktische Aktivität zu fördern und hier eine dialektische Einheit herzustellen.

Natürlich darf dies nicht falsch verstanden werden. Wir fördern hier nicht einen kleinbürgerlichen-individualistischen Aktivismus, der am Ende eben auch nur darauf hinausläuft, die eigene individuelle Stellung im kapitalistischen System zu verbessern. Uns geht es um die Aktivierung zum Kampf für die kollektiven Interessen der eigenen Klasse. Diese politische Aktivität kann im Kleinen wie im Großen schlussendlich nur im Kollektiv zum Erfolg führen.

Kollektives Individuum

Unser Ziel muss es also nicht nur sein, das Individuum zu einem aktiven politischen Individuum zu entwickeln, sondern es gleichzeitig zu einem kollektiven Individuum zu machen.

Wir setzen dabei das kollektive Leben und Arbeiten dem bürgerlichen Individualismus, der Vereinzelung und Vereinsamung entgegen. Dafür müssen alle aktivierten Individuen, die der bürgerlichen-kapitalistischen Gesellschaft und ihrer entwickelten Kultur des egoistischen Strebens nach individuellem Erfolg, Reichtum und Macht auf Kosten anderer kritisch gegenüberstehen und diese hinterfragen, in ein lebendiges revolutionäres Kollektiv einbezogen werden.

Dem bürgerlichen Individualismus setzen wir unsere gelebte Solidarität und eine genossenschaftliche Kultur entgegen, die alle Unterschiede, verschiedenen Neigungen, Talente und Fähigkeiten schätzt und sie zum Erfolg und der Entwicklung des gesamten Kollektivs einzusetzt.

Der aus der Vereinzelung und dem bürgerlichen Individualismus herrührenden Resignation setzen wir den kollektiven Kampf für die Erreichung unserer Ziele entgegen. Doch der kollektive Kampf darf sich nicht allein auf den politischen Kampf beziehen, sondern beinhaltet auch die Entwicklung jedes einzelnen Individuums und des gesamten Kollektivs.

Mit Hilfe revolutionärer Kritik und Selbstkritik, das heißt einer produktiven und konstruktiven Kultur der Kritik, kann sich die Persönlichkeit des bürgerlichen Individuums zu einem kollektiven sozialistischen Individuum entwickeln. Unsere Antwort auf das kapitalistische Individuum kann daher nur ein kollektives, ein sozialistisches Individuum sein. Nur so kann eine sozialistische Zukunft statt der herrschenden Barbarei geschaffen werden.

Die Rolle des Individuums im Kampf für die Befreiung der Menschheit

Als KommunistInnen stehen in unserem Kampf nicht das einzelne Individuum und seine persönlichen Interessen, sondern die objektiven Interessen der ArbeiterInnenklasse und die der unterdrückten Massen im Mittelpunkt unserer politischen Arbeit. Diese Ausrichtung ist wichtig, um unser Ziel, die Befreiung der Menschheit im Kommunismus, nicht aus den Augen zu verlieren und konsequent für unsere kollektiven Interessen, die Interessen unserer Klasse, eintreten zu können.

Gleichzeitig verneinen wir natürlich nicht die Rolle des Individuums im organisierten Klassenkampf. Insbesondere in Zeiten, in denen die Klassenkämpfe von unten auf einem so niedrigen Niveau wie in Deutschland zur Zeit laufen, ist die persönliche Initiative klassenkämpferischer und revolutionärer Individuen oftmals ausschlaggebend für die erfolgreiche Führung und Organisierung bzw. überhaupt die Entfesselung dieser Kämpfe.

Egal ob im Betrieb, in der Schule, der Universität oder im Stadtteil: Es braucht immer aktive Individuen, die es schaffen, den Unmut und die Wut über die herrschenden Verhältnisse, die Ausbeutung und Ungerechtigkeit in konstruktive politische Aktivität zu verwandeln und aus den Betroffenen ein politisches Kollektiv zu formen.

Auch in der Kommunistischen Partei verschwindet das Individuum und seine Rolle nicht, sondern entwickelt sich weiter hin zu einem sozialistischen Individuum, welches stets die Bedürfnisse des revolutionären Kampfes in den Mittelpunkt stellt. In der Kommunistischen Partei wächst das Individuum mit seinen GenossInnen zu einem einheitlichen revolutionären Organismus zusammen, welcher die Kräfte der einzelnen Individuen zielgerichtet in die für den erfolgreichen Kampf notwendigen Bahnen leitet.

Ja selbst nach der erfolgreichen sozialistischen Revolution verliert die persönliche Initiative des Individuums nichts von ihrer Wichtigkeit. Ganz im Gegenteil! Für den Aufbau und die dauerhafte Weiter- und Höherentwicklung der sozialistischen Gesellschaft ist die massenweise persönliche Initiative des revolutionären Individuums unabdingbar, ohne sie ist die Weiterentwicklung hin zum Kommunismus gar nicht denkbar.

Wir sehen also, dass aus dem scheinbaren Widerspruch zwischen Individuum und Kollektiv im Kapitalismus durchaus eine untrennbare Einheit werden kann, wenn man Stück für Stück die bürgerliche Ideologie und ihre Wirkung auf das Individuum überwindet.