Die folgende Auswertung ist in der Ausgabe Juli/August, Nr. 442 des Gefangenen Info erschienen.

Mitte Dezember 2021 wurde nach monatelangen Protesten und viel parlamentarischen hin und her ein neues reaktionäres Versammlungsgesetz für NRW beschlossen. In diesem Artikel wollen wir uns damit auseinandersetzen was dieses Gesetz beinhaltet, welche Stärken und Schwächen die politische Widerstandsbewegung im Kampf gegen dieses Gesetz gezeigt hat und welche Bedeutung all das für unsere Praxis in NRW und darüber hinaus hat.

Das Gesetz

Doch zunächst einmal die Frage: Warum überhaupt dieses Gesetz? Wie die gesamte Menschheitsgeschichte ist auch die Geschichte der Versammlungsfreiheit eine Geschichte der Klassenkämpfe. Schon immer waren Massenversammlungen ein Kampfmittel unterdrückter Klassen um gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu kämpfen und somit auch schon immer ein Dorn im Auge der Herrschenden.

Das erste Gesetz was zumindest auf dem Papier Versammlungsfreiheit als Grundrecht versprach, fand sich in der Verfassung der Weimarer Republik. Damals stellte es ein notwendiges Zugeständnis dar, um den Massen diese Republik zu verkaufen und ist eine Errungenschaft der gescheiterten Novemberrevolution. Es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass diese Errungenschaft im Hitler-Faschismus zunichte gemacht wurde.

Die BRD orientierte sich mit ihrem achten Absatz des Grundgesetzes an den Weimarer Vorgängerparagrafen. Zusätzlich wurde mit der „Förderalismus-Reform“ den einzelnen Bundesländern ermöglicht eigene Versammlungsgesetze zu erlassen. Fast immer waren mit der Einführung dieser Gesetze reaktionäre Verschärfungen verbunden.

Dass das Versammlungsgesetz in NRW gerade jetzt verschärft wurde, ist kein Zufall sondern reiht sich ein in die allgemein Zunahme der Repression im Zuge der aktuellen Wirtschaftskrise. Zusätzlich wird in der Begründung für das Gesetz auf verschiedene Aktionsformen der politischen Widerstandsbewegung konkret Bezug genommen, so zum Beispiel die „Ende-Gelände“-Aktionen gegen den Kohlekonzern RWE oder die „schwarzen Blöcke“ bei antifaschistischen Protesten.

Im Folgenden wollen wir einen kurzen, unvollständigen Überblick über ein paar der Änderungen geben:

Die Probleme fangen schon vor der eigentlichen Versammlung an: Das neue Gesetz verpflichtet eine:n Anmelder:in künftig bei jedem Aufruf die eigenen Daten anzugeben, ganz zur Freude von Faschist:innen und Bossen. Das sogenannte „Militanzverbot“ verbietet nicht mehr nur das Tragen tatsächlicher Uniformen, sondern auch schon von „uniformähnlicher Kleidung“, wie zum Beispiel Gewerkschafts-Westen, Fußball-Trikots oder einheitliche Kleidung in schwarzen Jacken oder Maleranzügen, in Kombination mit sowie auch alleinstehend „gewaltbereitem oder paramilitärischen Auftreten“.

Mit dem „Störverbot“ ist es zukünftig strafbar andere Versammlungen zu be- und verhindern, oder auch nur dazu aufzurufen oder sich die dafür notwendige Fähigkeiten anzueignen. Alleine schon die Parole „Naziaufmarsch verhindern!“ oder die Durchführung eines Blockadetrainings sind zukünftig also Straftaten.

Auch kann eine Versammlung nun verboten werden, wenn sie an sogenannten „symbolträchtigen Tagen und Orten“ stattfinden soll. Welche Tage und Orte das sind, bleibt der Willkür des Staates überlassen. Dazu kommen zahlreiche weitere Einschränkungen bei der Anmeldung, Bereitstellung von Ordner:innen, Kontrollen und vielem weiterem, deren ausführliche Erläuterung den Rahmen dieses Artikel sprengen würden.

Der Widerstand

Im Gegensatz zu den meisten anderen Gesetzesverschärfungen (z.B. BND-Gesetz, Staatstrojaner, Bewaffnung diverser Ordnungsämter, etc.) fand das Versammlungsgesetz recht früh Aufmerksamkeit in der politischen Widerstandsbewegung und so fand schon die erste Vorstellung des Gesetzesentwurf im Landtag mit (wenn auch relativ kleinem) Protest statt.

Bis zur Formierung des NRW-weiten Bündnisses, und noch mehr bis dieses tatsächlich handlungsfähig wurde, dauerte es aber noch eine ganze Weile. Solange fanden hauptsächlich kleinere lokale Aktionen statt, zum Beispiel in Bochum, Siegburg, Köln und Bonn, an denen wir uns zum Teil auch beteiligten und den Zusammenhang zwischen Krise und Repression klar herausgestellten.

Klar war aber, dass diese lokalen Aktionen nicht ausreichen würden, um auch nur eine Verzögerung zu erwirken, dass zeigte sich schon bei den Kämpfen gegen das Polizeigesetz in NRW 2018. Daher beteiligten wir uns nicht nur beim Aufbau lokaler, sondern auch des NRW-weiten Bündnisses. Leider hat sich der Großteil der linken Kräfte im Bündnis stark zurückgehalten, sofern sie überhaupt Teil des Bündnisses waren. Die bürgerlichen Kräfte konnten den Protest daher sehr lange ausbremsen und bemühten sich stark darum, das ganze in parlamentarische Bahnen zu lenken.

Mit deutlicher Verspätung kam es am 26. Juni 2021 zur ersten NRW-weiten Demonstration in Düsseldorf mit mehreren tausend Menschen und Hunderten im antikaptialistisch-internationalistischen Block. Daneben gab es Blöcke von Ultras, bürgerlichen Parteien, einen NIKA/IL-Block, einen Klima- und einen Antifa-Block.

Letzterer wurde schon kurz nach dem Start der Demonstration in Spalier genommen und kurzzeitig später angegriffen, kurz danach auch die anderen Blöcke. Danach ging es kurz weiter, bis der Antifa-Block komplett eingekesselt, alle Personalien festgestellt wurden und die Demo damit von der Polizei beendet wurde. Wir wollen hier nicht alle Abläufe darstellen, sondern die Geschehnisse politisch einordnen:

  1. Die Polizei hatte nie vor die Demo bis zum Landtag kommen zu lassen, so begann sie kurz nach dem Start und vor dem Kessel bereits, die Hamburger Gitter am Landtag abzubauen.
  2. Es war wichtig und richtig, dass sich die Demo nicht spalten lies und geschlossen stand, gerade als sich gegen die Angriffe der Polizei gewehrt wurde.
  3. Das die Polizei sich teilweise zurückziehen musste und die BFE-Einheiten wie ein Tischtennis-Ball zwischen verschiedenen wehrhaften Ecken der Demo hin und her springen müssen sind Bilder, die man in NRW nicht allzu oft sieht und zeigt die Entschlossenheit der Teilnehmer:innen.

Auch im Nachhinein distanzierte sich das Bündnis nicht von dem Geschehenen, was ein Erfolg der linken Kräfte dort war. Nichtsdestotrotz kam es zu einigen abstrusen Begleiterscheinungen, so wollten einige dort einfach nicht wahrhaben, dass z.B. ein Bauzaun auf die Polizei geworfen wurde, trotz Videos davon. Generell wurde versucht, das Geschehene wieder in einen bürgerlichen Rahmen zu drücken, als doch irgendwie legal darzustellen, anstatt selbstbewusst klarzustellen, dass es legitim ist die Polizei in die Schranken zu weisen (oder es zu versuchen), egal was das Gesetz sagt.

So wurde zum Beispiel eine Doku erstellt, die den genauen Ablauf der Auseinandersetzung und wer wann gehandelt haben soll minutiös darstellt, wohl mit der Absicht einige falsche Behauptungen der Polizei zu widerlegen. Dass das Ganze auch der Polizei Arbeit abnimmt und zu weiteren Anzeigen führt, daran wurde wohl kein Gedanke verschwendet.

Das Geschehen wurde auch in einer aktuellen Stunde im Landtag diskutiert. Der einzige wirkliche Kritikpunkt der bürgerlichen „linken“ Parteien war, dass auch minderjährige über Stunden gekesselt wurden, und dass die Polizei doch bitte Toiletten für die Betroffenen ihrer Prügelorgie hätte bereitstellen sollen. Überhaupt wurde das ganze nur initiiert, weil eine Hundertschaft in ihrem Blutrausch auch einen dpa-Journalisten angriff. Soweit, so heuchlerisch. Innenminister Reul schmiss derweil mit einigen Anschuldigungen um sich und versuchte die Demo als „linksextrem“ abzustempeln, unter anderem weil dort Fahnen „klar linksextremistischer Organisationen“ geschwenkt wurden.

Ein weiterer vom Bündnis ausgerufener dezentraler Aktionstag gegen diese Polizeigewalt war leider nicht wirklich erfolgreich, in vielen Städten blieben Aktionen aus, in anderen gab es parallel zwei verschiedene.

Dafür gab das Ganze der Mobilisierung zur zweiten NRW-weiten Demo großen Aufwind. Mit 5.000 Menschen war es die größte Demo, dabei fast tausend Menschen im anikapitalistisch-internationalistischen Block. Die vorher angekündigten Schikanen der Polizei, wie z.B. dass Transparente nur 1m hoch sein dürfen, wurden vorher vor Gericht zum größten Teil gekippt und auch was übrigblieb wurde nicht beachtet. Die Polizei hielt sich dieses Mal zurück.

Die dritte Großdemo in Köln fiel ähnlich aus, dass Einzige was man hier vielleicht noch rausstellen kann ist, dass die Demo zwischenzeitlich gestoppt wurde, weil ein Plakat mit der Aufschrift „Reul ist 1 Pimmel“ gezeigt wurde. Viel mehr muss über den Charakter dieses Staates wohl nicht gesagt werden.

Das Gesetz wurde letztendlich beschlossen. Jedoch wurden einige Erfolge erzielt:

  1. Das Gesetz konnte erneut nur mit massiver Verspätung beschlossen werden.
  2. Es mussten einige Änderungen gemacht werden (die den grundsätzlichen Charakter allerdings nicht beeinflussen).
  3. In der Bündnisarbeit wurden immer wieder bürgerliche Kräfte zurückgedrängt und die kämpferischen Teile der Bewegung wuchsen enger zusammen.
  4. Die Großdemos bildeten die größten und kämpferischten Mobilisierungen in NRW mitten in der Pandemie und konnten trotz den staatlichen Einschränkungen und Verboten durchgeführt werden.

Unsere Perspektive

Für uns Kommunist:innen ist klar: „Recht ist, was der arbeitenden Klasse dient!“ Das gilt auch für unsere Sicht auf Versammlungen. Wie jeder Staat dazu dient die Herrschaft einer Klasse über die andere durchzusetzen, so dient die BRD der Durchsetzung der Herrschaft des Monopolkapitals über die Arbeiter:innenklasse in Deutschland. Die Gesetze dieses Staates sind also immer gegen uns gerichtet und können daher grundsätzlich kein Maßstab für unsere Praxis sein. Es ist legitim „uniformiert und gewaltbereit“ und ganz besonders gegen die „Sicherheit und Ordnung“ in diesem System zu demonstrieren und alles das gehört ohne Frage zu unserem Waffenarsenal im Klassenkampf.

Aus diesen richtigen Erkenntnissen ziehen manche Kräfte der politischen Widerstandsbewgeung allerdings die falsche Schlussfolgerung, dass es vollkommen egal wäre was der Staat nun für Gesetze beschließt. Als Folgefehler war die voluntaristische Praxis dieser Kräfte gegen das Gesetz hauptsächlich zu zeigen, wie egal dieses Gesetz angeblich für einen wäre und der Staat einem nichts vorschreiben könne – nur um schon am damaligen Gesetz und der der eingesetzten Polizei zu scheitern.

Tatsächlich bringt das neue Gesetz einige Schwierigkeiten für die revolutionäre Bewegung in NRW mit sich. Denn die jetzige Position, ohne kommunistische Partei und eine organisierte, kämpferische Arbeiter:innenbewegung ist nunmal ganz objektiv eine Position der Schwäche. Dazu bilden legale Versammlungen aktuell den größten Teil des politischen Kampfes.

Schon bis jetzt konnten wir sehen, wie das Versammlungsgesetz gegen linke Demos z.B. gegen Polizeigewalt in Wuppertal eingesetzt werden sollte. Dort sollte die Anmelderin der Demo aufgrund eines lange zurückliegenden Verfahrens abgelehnt werden. Auch die vorgesehenen Angaben der Personalien der Ordner:innen werden nicht spurlos an uns vorbeigehen. Bei Großdemos handelt es sich immerhin um die Daten von Hunderten die der Staat sicherlich zu verwenden weiß. Nicht weniger ist das bei den nun legalisierten Durchsuchungen vor Demonstrationen zutreffend. Daher ist für uns nicht egal welche Gesetze gelten und auch als Revolutionär:innen kämpfen wir gegen die Verschärfungen auf dem Papier.

Das bedeutet wiederum auch nicht, dass wir von dem Staat erwarten würden, er würde sich an seine eigenen Spielregeln halten. Es gibt kein „Fair Play“ im Klassenkampf. Dementsprechend hört unser Kampf nicht bei der Frage legaler Spielräume auf, sondern es geht vielmehr darum Strukturen aufzubauen, die in der Lage sind der Repression standzuhalten und legitime Aktionen ob erlaubt oder nicht im Kampf durchzusetzen.

Konkret heißt das für uns: Den Kampf um den Erhalt und die Ausweitung legaler Spielräume mit dem Kampf um die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus zu verbinden!