Wenn wir uns ernsthaft damit beschäftigen wollen, wie wir in Deutschland das kapitalistische System durch die sozialistische Revolution stürzen und durch eine sozialistische Gesellschaft ersetzen können, dann müssen wir klar analysieren, welche strategischen Schwerpunkte wir in der revolutionären Organisierung setzen müssen. Das bedeutet konkret, dass wir eine Vorstellung davon brauchen, wo welche Schaltstellen der Wirtschaft, des Staates und des gesellschaftlichen Lebens sind und wie wir diese gewinnen können.

Gleichzeitig werden unsere Kräfte, sowohl vor, als auch während der Revolution begrenzt sein. Wir müssen demnach die strategisch wichtigen Ziele bestimmen, auf deren Eroberung wir uns vorrangig konzentrieren müssen.

Für die Festsetzung von strategischen Schwerpunkten unserer Organisierungsarbeit müssen wir uns fragen, welche Unternehmen, Wirtschaftszweige, geographischen Gebiete und staatlichen Institutionen müssen zum Zeitpunkt des revolutionären Aufstandes der Arbeiter:innenklasse und zum Aufbau einer neuen Gesellschaft als erstes besetzt, übernommen und zur Versorgung der Bevölkerung und der kämpfenden Arbeiter:innen weiter in Betrieb gehalten und welche zerschlagen werden.

Dabei können wir uns zunächst aus drei Blickwinkeln der oben genannten Aufgabenstellung nähern und die folgenden Bereiche analysieren:

  • Zentrale oder kritische Infrastruktur
  • Geographische Schwerpunkte
  • Ökonomische Schwerpunkte

In einem weiteren Schritt wird es dann darum gehen aus den zusammengetragenen Fakten Schlussfolgerungen für die strategischen Schwerpunkte in der revolutionären Organisierung zu ziehen.

Zentrale Infrastruktur

Unter den Oberbegriff der Zentralen Infrastruktur verstehen wir alle notwendigen Bereiche der Versorgung, Logistik und staatlichen Verwaltung, die für den reibungslosen Ablauf des Kapitalismus und der Reproduktion der Arbeiter:innenklasse notwendig sind. Viele dieser Bereiche werden auch für einen sozialistischen Staat eine zentrale Bedeutung haben.

In der bürgerlichen Literatur und Staatsorganisation werden viele dieser Bereiche als „kritische Infrastruktur“ (KRITIS) bezeichnet. Die kritische Infrastruktur und die wichtigsten Industriezweige sind von besonderer Bedeutung für den Klassenfeind und die Funktion des Kapitalismus in Deutschland. Sie sind daher auch für uns wichtige strategische Organisierungspunkte.

Die Unternehmen und Betreiber:innen von kritischer Infrastruktur müssen in Deutschland diese besonders gegen Ausfälle und Angriffe sichern. Dies hat insbesondere Bedeutung, da die Bereiche der kritischen Infrastruktur untereinander stark vernetzt sind und aufeinander aufbauen. Zum Schutz der Kritischen Infrastruktur entwickelt das Bundesinnenministerium (BMI) und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) eigene Schutzkonzepte und Vorschriften.

Das Innenministerium gliedert die zur kritischen Infrastruktur gehörenden Bereiche in neun besonders zu schützende Sektoren: Energie, Wasser, Ernährung, Informationstechnik und Telekommunikation, Gesundheit, Finanz- und Versicherungswesen, Transport und Verkehr, Staat und Verwaltung und den Sektor Medien und Kultur. Wir können der bürgerlichen Einschätzung zustimmen: Dies sind zweifelsohne strategische Bereiche jeder staatlichen Struktur.

Im folgenden wollen wir uns die einzelnen Bereiche und ihre Rolle und Funktion in der sozialistischen Revolution genauer anschauen. Dazu gliedern wir die oben genannten Sektoren funktional in die Bereiche Versorgung, Logistik sowie Staat & Verwaltung.

Versorgung

Eines der strategischen Herrschaftsinstrumente ist die Versorgung der Bevölkerung. Nicht nur im Kapitalismus, sondern seit jeher mussten die Herrschenden ein Mindestmaß an Versorgung der Unterdrückten sicherstellen, um deren Unmut über Ausbeutung und Unterdrückung im Zaum halten zu können. Sie ist jedoch nicht nur für die Kapitalist:innen von zentraler Bedeutung, sondern auch für den Aufbau einer neuen Gesellschaft.

Der wichtigste Aspekt bei der Grundversorgung der Bevölkerung ist der ausreichende Zugang zu Lebensmitteln und zur Wasserversorgung. Dies scheint heute im imperialistischen Deutschland eine Nebensächlichkeit zu sein, finden wir doch insbesondere in den großen Städten an jeder zweiten Ecke einen Supermarkt, wo wir alle Dinge des täglichen Bedarfs kaufen können. Doch schon nach 1-2 Tagen wären die Supermarktregale leer gefegt, wenn keine neue Ware angeliefert wird. Ein durchaus reales Szenario in einer revolutionären Situation oder auch in schweren Wirtschaftskrisen oder Kriegen.

Noch fragiler ist die Wasser- und Stromversorgung, welche zentral gesteuert über einige wenige zentrale Leitungen die Viertel der Städte und Dörfer versorgt. Bereits mittels weniger Knöpfe bzw. Hebel kann diese unterbrochen werden. Kraftwerke, Umspannwerke und Wasseraufbereitungsanlagen sind hier die zentralen Punkte. Heutzutage können diese sogar ohne physisch anwesend zu sein, direkt über Hackerangriffe aus dem Internet übernommen werden. Dies ist sicherlich ein strategisch neuralgischer Punkt, kann der Staat doch gezielt in revolutionären Situationen die Stromversorgung in bestimmte Städte oder Viertel unterbinden.

Die Stromverteilung bzw. -produktion ist darüber hinaus von dem dauerhaften Zugang zu Öl, Gas und Kohle abhängig, ohne die bisher nur in begrenztem Maße Strom produziert werden kann. Dies gilt insbesondere an regnerischen und windstillen Tagen, an denen kaum Strom durch die erneuerbaren Energiegen (Solar- und Windenergie) gewonnen werden kann.

Für die Aufrechterhaltung dieser und weiterer Bereiche des öffentlichen Lebens ist zudem die dauerhafte Versorgung mit Kraftstoffen wie Diesel und Benzin elementar. Ohne die Versorgung des Tankstellennetzes mit Kraftstoffen aus den Raffinerien können keinerlei Lebensmittel und andere Waren, Brennstoffe für Kraftwerke etc. transportiert werden, was zu einer Kettenreaktion von Ausfällen in der Versorgung führen würde. Im Sommer 2019 konnte man die Auswirkungen von Versorgungsengpässen entlang großer Flüsse wie dem Rhein beobachten. Da ein Großteil der hier benötigten Treibstoffe mit Schiffen transportiert wird, diese aufgrund des stark ausgetrockneten Flussbetts jedoch nicht oder nur wenig beladen fahren konnten, gingen die Vorräte bei Tankstellen und Fabriken innerhalb weniger Tage zur Neige. Dies zeigt die Schwäche von zentralen Lieferwegen und nicht ausreichend großen Lager- und Versorgungsstationen. Hinzu kommen noch notwendige Funktionen wie Abwasser- und Müllentsorgung und -aufbereitung.

Ein immer wichtiger werdender Bereich mit strategischer Bedeutung ist heutzutage auch der Zugang und die Kontrolle über das Internet und die gesamte Telekommunikation (dazu zählen sowohl Hardware als auch Software). Auf der einen Seite, weil sich Millionen Menschen mittels Internet und Smartphone darüber informieren, was im Land und in der Welt passiert und gleichzeitig ein großer Teil sozialer Interaktion und Propaganda über diese Kanäle laufen. Auf der anderen Seite steigt die Wichtigkeit des Internets auch aufgrund der vernetzten Kommunikation in der Industrie und Wirtschaft.

Deutschland ist zentraler Hardware-Knotenpunkt für die gesamte Internetkommunikation zwischen den USA und Europa. In Frankfurt am Main liegt der größte Internetknoten der Welt, der sich auf zahlreiche Rechenzentren im gesamten Stadtgebiet verteilt. Weitere regionale Internetknoten existieren in Berlin, Bremen, Hamburg, München, Dortmund, Düsseldorf, Nürnberg, Münster und Stuttgart. Die Kontrolle über das Internet sowie das Handynetz ist von strategischer Bedeutung für Revolution und Konterrevolution. Das zeigt sich bei allen größeren Protestbewegungen und Aufständen in den vergangenen Jahren. Stets waren das Internet bzw. die sozialen Medien ein wichtiger Faktor für die Mobilisierung und Vernetzung der Menschen, die gegen die Herrschenden auf die Straße gegangen sind. Gleichzeitig muss klar sein, dass wir uns weder heute noch in Zukunft darauf verlassen können, diese Kommunikationsmittel zu nutzen, solange sie sich nicht unter unserer Kontrolle befinden. Diese können im Zweifelsfall genauso von jetzt auf gleich abgestellt werden, ähnlich wie das Stromnetz, GPS oder Handyempfang.

Damit hängen auch die Medien eng zusammen. Fernsehen, Radio, Zeitungen, Streaming-Portale befinden sich heute in den Händen der Herrschenden und sind oftmals selber Unternehmen mit Monopolstellung. Sie sind direkte Propagandakanäle für die Meinung der Herrschenden. Die Entwicklung der Technik macht es uns heutzutage zwar viel einfacher und günstiger, eigene Medienkanäle aufzubauen, eigene Zeitungen zu drucken etc. Dabei bleiben wir jedoch bis auf weiteres auf die Infrastruktur kapitalistischer Unternehmen angewiesen. Diese können jederzeit unsere Aufträge ablehnen und so unsere Arbeit sabotieren. Dasselbe gilt für staatliche und private Zensur durch Verbote und das reaktionäre deutsche Presserecht, welches die Unterbindung unliebsamer Meinungen und Informationen über die Verbrechen der Herrschenden mit der Argumentation des Schutzes der Persönlichkeitsrechte zu einer Leichtigkeit macht.

Logistik

Durch die Entwicklung der Technik und der Produktion hat auch der gesamte Bereich der Logistik an zentraler Bedeutung gewonnen. Dies gilt sowohl für einzelne Bereiche, wie zum Beispiel den gigantischen Anstieg von Gütertransporten auf der Straße, als auch für den Logistiksektor als ganzen. Allein die Umsätze und Beschäftigtenzahlen sind in diesem Wirtschaftsbereich in den vergangenen 15 Jahren um mehr als 60% gewachsen.1 Ein Ende dieser Entwicklung ist bis auf Weiteres nicht in Sicht.

Hintergrund dieser Entwicklung sind die Veränderungen in der Industrie und Produktion. Durch die Umstellung von gigantischen Warenlagern auf die Just-in-time-Produktion und die Umorganisation der Produktion von kombinierten Überunternehmen zu internationalen Produktionsketten hat die Bedeutung der Logistik eine neue Qualität erreicht. Dadurch hat sich auch die potentielle Produktionsmacht der Arbeiter:innen im Logistiksektor vervielfacht. Allein ein zentraler Streik der LKW-Fahrer:innen könnte große Teile der gesamten Wirtschaft und des öffentlichen Lebens in Deutschlands innerhalb weniger Stunden bzw. Tagen lahmlegen. Auch hier spielen fehlende Lagerkapazitäten und nicht vorhandene Vorräte eine zentrale Rolle.

Der Bereich der Logistik lässt sich nochmals in verschiedene Kategorien aufteilen. Zu deren zentralen Aspekten gehören der Personen- und Güterverkehr sowie die dazu notwendige Infrastruktur.

Der Güterverkehr in Deutschland wird per Schiff, Flugzeug, Bahn und LKW abgewickelt. Dabei hat insbesondere der LKW-Verkehr in den letzten Jahrzehnten große Teile des Güterverkehrs von der Schiene übernommen. Mit einer Überwindung dieser Dominanz des LKW-Verkehrs ist trotz immer wiederkehrender großspuriger Ankündigungen der Deutschen Bahn nicht zu rechnen. Je nach Standort ist die Industrie und Wirtschaft unterschiedlich stark von den verschiedenen Logistik-Bereichen abhängig. Prozentual verteilt sich der Güterverkehr wie folgt auf die verschiedenen Bereiche: 79% Straßenverkehr, 8% Schienenverkehr, 6% Seeverkehr (+ 5% Binnenschiffahrt) und 2% Luftverkehr und Rohrleitungen.2

Der Personenverkehr spiegelt eine ähnliche Aufteilung auf die verschiedenen Verkehrsmittel wieder. Der mit Abstand größte Bereich ist hierbei mit fast 80% der motorisierte Individualverkehr. Gefolgt von 8,3% Schienenverkehr, 6,7% öffentlicher Straßenverkehr und 5,9% Luftverkehr.3 Hier gab es in den vergangenen Jahren bis 2019 nur sehr wenige Veränderungen.

Deutschland hat das viertgrößte und eines der am besten ausgebauten Autobahnnetze der Welt. Dieses ist mehr als 13.000 Kilometer lang und verteilt sich auf das gesamte Land. Entsprechend der Verteilung der Bevölkerung ist es in Ballungsgebieten besonders gut ausgebaut. Durch einige Nadelöhre ist es jedoch anfällig für Störungen und Stillstand. Zu diesen Engstellen gehört insbesondere die A2, welche die zentrale West-Ost Verbindung ist. Dasselbe gilt für die A3 und A9 als zentrale Nord-Süd Autobahnen. Ähnlich wie die Wasserstraßen können Störungen im Autobahnnetz schon nach 1-2 Tagen zu massiven Versorgungsengpässen in fast allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen führen.

Jeder Versuch, in den reibungslosen Verkehr des deutschen Autobahnnetzes einzugreifen, wird seit jeher durch den Staatsapparat mit besonders starker Repression zu verhindern versucht. Die Autobahnen sind eine zentrale Lebensader des deutschen Kapitalismus.

Das zweite Standbein des deutschen Güterverkehrs ist der Schienenverkehr. Auch wenn dieser Bereich in den vergangenen Jahren immer weiter hinter den Straßenverkehr zurückfällt, haben viele große deutsche Monopole noch eine direkte Anbindung an das Schienennetz. Dies gilt insbesondere für die Autoindustrie.

Hinzu kommt der oben bereits beschriebene öffentliche Personennah- und Fernverkehr. Millionen Menschen sind täglich auf das Funktionieren dieses Systems angewiesen. Insbesondere ohne den ÖPNV würden Millionen Menschen nicht zur Arbeit kommen. Eine Unterbrechung des ÖPNV überlastet gleichzeitig das Straßennetz massiv, wie kleinere Warnstreiks der Gewerkschaften in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt haben.

Ein weiteres Standbein der Logistik sind Deutschlands Häfen und die Binnenschifffahrt auf den schiffbaren Flüssen (Rhein, Main, Donau, Mosel, Neckar, Weser, Elbe, Oder und Havel). Hinzu kommen eine ganze Reihe künstlich angelegter Kanäle. Insgesamt gibt es in Deutschland rund 7.300 km Binnenwasserstraßen (75% davon Flüsse, 25% Kanäle).

Laut dem Bundesverkehrsministerium haben 56 der 74 deutschen Großstadtregionen einen direkten Wasserstraßenanschluss. In Duisburg befindet sich zudem der größte Binnenhafen Europas und in Datteln der größte Kanalknotenpunkt Europas.

In Norddeutschland hat Deutschland mit dem Zugang zur Nord- und Ostsee zudem große Seehäfen. Zu den größten gehören die Häfen in Hamburg, Bremerhaven, Wilhelmshaven, Rostock, Bremen und Lübeck.4 Der Hamburger Hafen ist dabei der drittgrößte Seehafen Europas und in vielen Bereichen vollautomatisiert.

Die zentralen Flughäfen Frankfurt, Leipzig, Köln und München dienen als Verlade- und Logistikzentren insbesondere für Waren und Güter aus dem Ausland. Daneben gibt es regional wichtige Flughäfen für die regionale Industrie und den Personenverkehr. Insgesamt gibt es in Deutschland 38 Flughäfen. Die größten für den Personenverkehr sind München, Frankfurt, Berlin und Düsseldorf. Hinzu kommt noch einmal dieselbe Anzahl militärischer Flughäfen und militärisch genutzter Bereiche ziviler Flughäfen.

Insbesondere durch die immer weitere Verbreitung des elektronischen Bezahlens, funktioniert heute kaum ein Geschäft und oftmals sogar nicht einmal der tägliche Einkauf als Privatperson ohne Banken und Bezahlsysteme. Das technische Versagen der digitalen Bezahlsysteme oder des Banken- und Kreditsystems würde die deutsche und europäische Wirtschaft zum Stillstand bringen. Die Wirtschaft und auch immer mehr Privatpersonen sind auf den reibungslosen Ablauf angewiesen und von diesem abhängig.

In Frankfurt am Main befindet sich nicht nur der Sitz der Europäischen Zentralbank und der deutschen Bundesbank, sondern die Stadt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auch immer mehr zum zentralen europäischen Finanzplatz entwickelt. Alle großen deutschen Banken haben hier ihren Hauptsitz und auch fast alle größeren europäischen oder internationalen Banken sind hier vertreten. Ebenso ist hier die deutsche Börse angesiedelt.

Staat & Verwaltung

Die Strukturen des deutschen Staatsapparates und seiner Verwaltung sind wie viele kleine Zahnräder, die mithilfe von Druck, Repression, Propaganda und Bürokratie das kapitalistische System und seine Ausbeutungsherrschaft am Laufen halten. Rund 4,7 Millionen Menschen arbeiten heute im sogenannten „Öffentlichen Dienst“, also direkt im Staatsapparat und seiner Verwaltung. Der Staat ist damit mit Abstand der größte Arbeitgeber in Deutschland. Von den hier Beschäftigten sind heute noch rund 40% verbeamtet. Die Beamt:innen sind durch besondere Privilegien und den Verzicht auf elementare Rechte (wie das Streikrecht) besonders an den Staat gebunden.5

Zum Staatsapparat gehört zunächst natürlich das gesamte Bildungssystem, vom Kindergarten über Schulen und Berufsschulen bis zu den Universitäten. Hier wird die neue Generation der Arbeiter:innenklasse zu folgsamen Untertanen erzogen, welche die herrschende Wirtschafts- und Ausbeuterordnung nicht in Frage stellen sollen. Der Staat tut alles dafür, um insbesondere dieses Gebiet frei von revolutionären Gedanken zu halten, welche die Jugend beeinflussen könnten. Der Bildungsbereich wird zu einem scheinbar politikfreien Raum erklärt. Das heißt, frei von jeder Konkurrenz zur herrschenden Propaganda. Um dieses Meinungsmonopol zu behalten, werden bis heute Berufsverbote durchgesetzt und zu „radikale“ Schüler:innen und Studierende bekommen es schnell mit dem polizeilichen Staatsschutz zu tun. Trotzdem bietet das Bildungssystem uns heute bereits viele Möglichkeiten der politischen Organisierung. Hier treffen wir auf viele noch nicht durch die bürgerlichen Ideologie vollkommen gefestigte Schüler:innen und Studierende, auf Menschen, die das, was sie dort lernen, hinterfragen und ihre eigene Position in der Gesellschaft erst suchen. Hier ist es für uns am einfachsten anzusetzen und die bürgerliche Propaganda zu widerlegen. Hier ist auch die Repression des Staates begrenzt. Im Gegensatz z.B. zur Situation in Betrieben können wir heute in den meisten Fällen nicht einfach aufgrund unserer politischen Meinung oder Aktivität von der Schule oder Universität geworfen werden.

Ein weiterer Bereich des Staatsapparates ist die Gesamtheit der Verwaltung: Die Ministerien, Bundes- und Landesämter, -anstalten und -agenturen, die Job-Center usw. Ihre bürokratische Maschinerie organisiert und verwaltet die Ausbeutung im Kapitalismus. Hier haben wir außer Informationen nicht viel zu gewinnen. Für die Revolution und insbesondere danach sind weite Teile dieses Apparats vollkommen unbrauchbar und haben keine Zukunft mehr.

Der zentralste Bereich des Staatsapparates bleibt natürlich der der direkten Repression und Staatsgewalt. Hierzu zählen selbstverständlich die gesamten Bereiche von Militär, Polizei, Geheimdiensten, Reservist:innen, Gefängnissen und der Justiz. Für den revolutionären Aufstand wird es entscheidend sein, wie stark und ideologisch gefestigt die Staatsgewalt uns gegenüber tritt. Umso wichtiger ist in der Zeit vor der Revolution die Arbeit in diesen Organen der Konterrevolution. Auch wenn es uns nicht gelingen sollte, große Teile des Gewaltapparates des Staates auf unsere Seite zu ziehen, so wird doch der Grad der ideologischen und organisatorischen Zersetzung und Sabotage in den Reihen des Klassenfeindes ein zentraler militärischer Aspekt für die Überwindung des kapitalistischen Systems als ganzes sein.

Auch der gesamte Bereich der Gesundheitsbranche, der Feuerwehr und sonstiger Hilfsdienste wird in der Revolution ein besonders umkämpftes Feld sein. Der Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten ist eine strategische Notwendigkeit für beide Seiten.

Geografische Schwerpunkte

Deutschland ist bis heute ein vom Regionalismus tief geprägtes Land. Die Aufspaltung des Territoriums in kleine „Fürstentürmer“ ist auch über die Jahrhunderte weiter präsent. Welche besondere Bedeutung dieser Fakt allein auf dem Gebiet der politischen Entscheidungsträger:innen hat, zeigte sich insbesondere im Jahr 2020, als machtpolitische und regionale Kapitalinteressen immer wieder einheitliche politische Beschlüsse zur Bekämpfung der Corona-Pandemie behinderten. Doch nicht nur in der kleinteiligen föderalen politischen und verwaltungstechnischen Struktur des Landes, sondern auch in den Gedanken und Gefühlen der Menschen sind die „Fürstentümer“ oder regionalen Interessen weiter massiv präsent. Hinzu kommt die besondere historische Situation der ehemaligen 45-jährigen Teilung Deutschlands, die bis heute in vielen Bereichen (u.a. auf ökonomischer, politischer und kultureller Ebene) nachwirkt.

Aufgrund der besonderen, historisch entstandenen geografischen Verteilung der Industrie gibt es auch heute starke regionale Schwerpunkte verschiedener Industriezweige und damit verbunden der entsprechenden Klassenkämpfe in Deutschland.

Industrielle Zentren

Die industriellen Zentren sind in Deutschland sehr unregelmäßig über das Land verteilt. Historisch haben sich vor allem fünf Ballungsgebiete großer Industriestandorte herausgebildet. Diese liegen in den Regionen Rhein-Ruhr, Rhein-Neckar, Rhein-Main, Hannover/Braunschweig/Wolfsburg, Saarland.6 Hinzu kommen die Gebiete um die Metropolen Stuttgart und München. Dabei entfallen mehr als 50% aller Industriestandorte mit mehr als 1.000 Arbeiter:innen auf die drei Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Entsprechend dieser örtlichen und regionalen Konzentration von Industriestandorten finden hier auch die ökonomischen Klassenkämpfe statt.

Wir können jedoch schon hier festhalten, dass eine reine Konzentration auf Industriestandorte oder Weltmonopole für uns Kommunist:innen in Deutschland nicht infrage kommen kann. Das würde unter anderem bedeuten, große Teile Nord- und Ostdeutschlands und insbesondere letztlich alle ländlichen Gebiete zu vernachlässigen bzw. ganz außen vor zu lassen. In Brandenburg und Mecklenburg Vorpommern arbeiten gerade einmal 0,3% der Industriearbeiter:innen.7 Doch allein durch die Organisierung der Arbeiter:innen in Süd- und Westdeutschland wird es keine erfolgreiche Revolution in Deutschland geben können. Deshalb dürfen wir die Menschen in den anderen Teilen Deutschlands eben nicht einfach den Faschist:innen und ihrer Organisierung überlassen.

Ebenso dürfen wir nicht alle Bereiche der Produktion über einen Kamm scheren. Insbesondere in der Landwirtschaft, der Industrie und Logistik gibt es eine hohe Konzentration von Migrant:innen. Dabei unterscheidet sich die Zusammensetzung der Communities je nach Region sehr stark. So sind zum Beispiel große Teile der Erntehelfer:innen, LKW-Fahrer:innen und ganze Belegschaften der Produktionshallen in der Automobilindustrie durch Migrant:innen aus bestimmten Ländern besetzt. Diese Menschen müssen wir mit besonderen Anstrengungen und Methoden organisieren.

Metropolen, Regionen & Dörfer

Doch nicht nur die geographische Verteilung der Industrie schafft Widersprüche, die wir in der Organisierung beachten müssen. Auch die Widersprüche zwischen dem Leben und Arbeiten in Stadt und Land müssen bei strategischen Ausrichtungen der Organisierungsarbeit Beachtung finden. Die Art und Weise und die Methoden der politischen Arbeit und Organisierung müssen in den Metropolen/Großstädten und den Dörfern/Kleinstädten unterschiedlich sein und sich der örtlichen Lebensrealität und dem Bewusstsein der Menschen anpassen. Während in den großen Städten heute vor allem die Solidarität zwischen den Arbeiter:innen aufgebaut und die Anonymität und Vereinzelung überwunden werden muss, bestehen in den Dörfern und Kleinstädten weiterhin oft enge soziale Netzwerke, die genutzt werden müssen, ohne aus diesen heraus zu fallen.

Der stark ausgeprägte Regionalismus in Deutschland macht es zu einer strategischen Notwendigkeit, eine wirklich bundesweit existierende und kämpfende Organisation zu werden. Dazu müssen gezielt Organisationsstrukturen in allen Regionen/Bundesländern aufgebaut werden. Auf der taktischen Ebene werden zunächst die 81 deutschen Großstädte für uns revolutionäre Stützpunkte sein, von denen aus wir die strategisch wichtigen 294 Landkreise und damit dann das gesamte Land organisieren müssen. Ohne eine diesen Überlegungen entsprechende Konzentration und gezielte Aufbauarbeit wird der bundesweite Organisationsaufbau nicht mit der notwendigen Zielstrebigkeit vorangehen können.

Bereits heute kommt es immer wieder zu unkontrollierbaren spontanen Protestmomenten in den Großstädten (Insbesondere durch die Beteiligung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen). Diese werden bei sich zuspitzenden Klassenkämpfen zunehmen und sich ausweiten. Auslöser sind oft Polizeigewalt/Abschiebungen oder kapitalistische Großprojekte. Insbesondere in den Großstädten steigt dabei die Armutsquote und Ballung von Armut seit Jahrzehnten immer weiter an. Dabei liegen die zehn Städte mit der höchsten SGBII/XII Quote alle in Westdeutschland bzw. in Berlin.8 Doch auch in den ländlichen Gebieten zeigen sich immer wieder die Widerstandspotentiale, wie zum Beispiel bei den gigantischen Bäuer:innenprotesten in den vergangenen Jahren.

Auch in den Großstädten können wir bestimmte geographische Schwerpunkte setzen, ohne dabei in die Falle eines schematischen Dogmatismus zu verfallen. So sind hier zwei taktische Schwerpunkte auszumachen, welche der Wahl unserer geographischen Schwerpunkte zugrunde liegen sollten. Dazu zählen zunächst die überwiegend proletarisch und eher ärmlich geprägten Stadtteile. Diese bringen oftmals eine besondere Atmosphäre und soziale Sprengkraft mit sich, welche wir in der revolutionären Arbeit nutzen müssen. Hinzu kommen die geographischen Punkte, in denen sich die wichtigsten Wirtschaftsbetriebe und die zentrale Infrastruktur befinden. In vielen Großstädten liegen diese heute am Rande oder sogar außerhalb der eigentlichen Städte.

Organisierung der Konterrevolution

Das politische Zentrum der Konterrevolution in Deutschland liegt in der Hauptstadt Berlin. Hier konzentriert sich – neben den Landtagen der einzelnen Bundesländer – das gesamte bürgerliche politische Geschehen. Lediglich einige Bundesverwaltungen und Bundesämter haben ihren Sitz zum Teil noch in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn. Teile der zentralen militärischen Infrastruktur sind zudem weiter im Raum Köln/Bonn konzentriert.

Ökonomisch gesehen gibt es neben Berlin ein weiteres ökonomisches Zentrum in Frankfurt. Hier konzentrieren sich insbesondere rund um die Deutsche Börse und die Zentrale der Europäischen Zentralbank alle großen Banken und Versicherungsgesellschaften. Aus historischen Gründen und der damit verbundenen geographischen Verteilung liegen zudem quasi alle Zentralen deutscher Monopole in Westdeutschland und der Hauptstadt Berlin.

Aufgrund der kleinteiligen föderalen Struktur Deutschlands sind die sonstigen staatlichen Strukturen stark über das ganze Land verteilt. Dies gilt zum Beispiel auch für strategisch wichtige Orte wie Kraftwerke, Raffinerien, Tanklager und Bundeswehrstandorte.

Doch im Falle eines proletarischen Aufstandes in der sozialistischen Revolution, stehen der Arbeiter:innenklasse nicht nur die 180.000 deutschen Soldat:innen, 330.000 Polizist:innen und 16.000 Geheimdienstmitarbeiter:innen gegenüber. Hinzu kommen noch einmal rund 40.000 in Deutschland stationierte ausländische Soldat:innen und die auf Seiten der Herrschenden eingreifenden bewaffneten Kräfte der umliegenden kapitalistischen Länder, welche sich vermutlich direkt gegen den Aufstand stellen werden.9

In Deutschland stehen der Konterrevolution zudem allein zusätzliche 115.000 ehemalige Soldat:innen als Reservist:innen zur Verfügung. Hinzu kommen im Rahmen des Katastrophenschutzes 80.000 ehrenamtliche Mitglieder des Technischen Hilfswerks (THW) sowie 30.000 Personen der Berufsfeuerwehr und 1.000.000 Personen in der freiwilligen Feuerwehr. Auch diese freiwilligen Hilfsdienste werden im Zweifelsfall gegen uns bzw. zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung eingesetzt werden. Daher müssen wir mit ihnen rechnen.

Ökonomische Schwerpunkte

Aufgrund der sich verändernden Produktionsbedingungen und der Herausbildung von Produktionsketten als vorherrschender Produktionsweise der herrschenden Monopole wird es auch für uns immer wichtiger, ökonomische Kämpfe nicht anhand juristischer Einteilungen von Betrieben, sondern anhand der tatsächlichen Produktionszusammenhänge und -ketten zu organisieren. Ebenso muss sich die politische Organisierung an diesen Veränderungen orientieren.

Das bedeutet, sowohl Überlegungen zur Organisierung anhand der tatsächlich vor Ort zusammengepferchten Arbeiter:innen anzustellen, als auch entlang der tatsächlichen Produktions- und Ausbeutungsketten Klassenkämpfe zu entwickeln. Das setzt zudem voraus, dass sich Klassenkämpfe eben nicht mehr an den juristischen Begriffen des Betriebs und der juristischen Zugehörigkeit einzelner Arbeiter:innen zu diesem Betrieb oder Betriebsort orientieren, sondern an der realen Zusammenarbeit der Arbeiter:innen im Produktionsprozess. Dabei ist es egal, ob es sich rechtlich um einen zusammengewürfelten Haufen von juristischen Verstrickungen von Tochterfirmen, scheinbar unabhängigen Unternehmen und Zeitarbeitsfirmen handelt. Nur so kann die potentielle Produktionsmacht der Arbeiter:innenklasse dann auch in reale Macht umgewandelt werden, welche die Produktion zum Stillstand bringen kann.

Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass die Monopolbildung eine grundlegende Tendenz des Kapitals als solchem ist und nicht nur des führenden Teils der Kapitalist:innen. Die Monopolisierung auch der mittelgroßen Firmen mit internationaler Expansion in den Nischengebieten der industriellen Produktion zeigt, dass etwa der Begriff „nicht-monopolistische Bourgeoisie” für den berühmten deutschen „Mittelstand“ die Zustände nicht mehr adäquat beschreibt. Gerade in Deutschland nehmen neben den herrschenden Weltmonopolen sogenannte „Hidden Champions“ eine besondere Rolle ein.

Weltmonopole – die Schaltzentralen des Kapitalismus

Deutschland ist ein imperialistisches Land, das über international marktbeherrschende Monopole (Weltmonopole) verfügt. Zu den größten deutschen Weltmonopolen gehören u.a. Konzerne wie Volkswagen, Daimler, BMW, Allianz, Siemens, Bosch, BASF und Bayer.

Die wichtigsten Industriebranchen bilden in Deutschland der Fahrzeugbau, der Maschinenbau sowie die Chemieindustrie. Die dominierende Rolle dieser Kernindustrien in der deutschen Wirtschaft folgt aus der Art und Weise, wie die Industrieproduktion heutzutage organisiert ist: Der größte Teil der Gesamtindustrie, inklusive der kleineren Unternehmen, hängt heute im Rahmen von Produktionsketten an den Weltmonopolen wie VW (Auto), Siemens (Mischkonzern) oder BASF (Chemie). Dabei beherrschen diese Weltmonopole heute in aller Regel international organisierte Produktionsketten und bestimmen durch ihre Stellung an der Spitze der Produktionskette Preise, Arbeits- und Lieferbedingungen. Sie vereinen den Großteil des Mehrwerts, der innerhalb der Produktionskette geschaffen wird, auf sich und versuchen die unteren Teile der Kette in einem möglichst engen Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnis zu halten. Das ist eine zentrale Voraussetzung für das Diktat der Preise.

Durch diese Organisation der Produktion werden jedoch auch gegenseitige Abhängigkeitsverhältnisse geschaffen. Heute reicht es oftmals aus, dass es in einem unteren Teil der Produktionskette zu Arbeitskämpfen und Streiks kommt, um die Produktion verschiedener anderer Teile der Kette zu beeinträchtigen oder komplett stillzulegen. Damit steigt die potentielle Produktionsmacht der Arbeiter:innen. So können selbst Streiks in kleineren Betrieben, welche etwa besondere Einzelteile herstellen, die Produktion von Weltmonopolen stilllegen. Gleichzeitig haben Streiks in den Fabriken der Weltmonopole unmittelbare Rückwirkungen auf alle anderen Unternehmen der Produktionsketten, denn dort werden dann keine Güter mehr nachgefragt.

Hidden Champions

Die Hidden Champions (englisch für „heimliche Gewinner“) sind eine besondere Achillesverse der Produktionsketten des heutigen Imperialismus. Unter Hidden Champions werden mittlere Unternehmen verstanden, welche aufgrund ihrer Spezialisierung auf einen ganz bestimmten Bereich der Produktion oder angebotene Dienste zum Marktführer in ihrer Branchennische werden. Unter Marktführer wird dabei verstanden, wer einen bestimmten Marktanteil auf einem Kontinent oder dem Weltmarkt hält. Hidden Champions sind meist nicht börsennotierte Unternehmen und tauchen daher mit ihren Namen eher selten in der Öffentlichkeit auf.

Das Mannheimer Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung zählt allein in den Jahren 2007-2013 jeweils rund 1.500 Unternehmen zu den Hidden Champions in Deutschland. Der Großteil ist dabei entsprechend der Schwerpunkte des deutschen Imperialismus in der Industrie zu finden. Dies trifft nach bürgerlichen Kriterien auf 86% der Unternehmen zu. Diese teilen sich wiefolgt auf die verschiedenen Branchen auf: 22,6% Maschinenbau, 11% Metallindustrie, 6,1% Medizintechnik, 5,5% Chemie, 5,1% Kunststoff, 4,7% Fahrzeugbau.10

Durch ihre besonders wichtige Stellung im Produktionsprozess aufgrund der Spezialisierung und Monopolisierung der Produktion, werden die Hidden Champions, ebenso wie die Zulieferunternehmen der Weltmonopole auch für die revolutionäre Organisierung zu zentralen Zielen.

Scheinselbstständige & „Plattform-Ökonomie“

Die Entwicklung des Imperialismus, sowie der Produktion und Technik bringt dabei auch neue Erscheinungen zum Vorschein, auf die wir uns im Klassenkampf einstellen und reagieren müssen. Deshalb wollen wir hier noch einmal auf zwei ökonomische Erscheinungen eingehen, die sonst in vielen Analysen vergessen werden.

In den vergangenen Jahrzehnten nimmt die Zahl der Menschen, welche offiziell selbstständig arbeiten, immer mehr zu. Dabei steigt vor allem die Zahl der Menschen stark an, welche zwar offiziell auf „eigene Rechnung“ arbeiten, aber selbst gar keine Angestellten haben. Allein in den Jahren 1996 bis 2016 ist die Zahl der sogenannten Solo-Selbstständigen von 1,632 Millionen auf 2,315 Millionen angestiegen.11 Ein großer Anteil der Solo-Selbstständigen ist dabei jedoch nur „scheinselbstständig“. Das bedeutet, sie stehen zu ihren Auftraggeber:innen in einem ähnlichen Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnis wie andere angestellte Arbeiter:innen. Bürgerliche Schätzungen gehen von 40-50% der Solo-Selbstständigen aus, die eigentlich lediglich scheinselbstständig sind.

Für uns ist hier jedoch vor allem zentral, dass es eine zunehmende Menge an Arbeiter:innen gibt, die für die Verrichtung ihrer Arbeit kaum oder gar nicht mehr regelmäßig an einen gemeinsamen geographischen Ort mit anderen Kolleg:innen zusammen kommen. Als Grund dafür zählt sowohl die erneut steigende Verbreitung von Heimarbeit bzw. Homeoffice und Arbeiten, die rein oder hauptsächlich über digitale Plattformen (Plattform-Ökonomie) koordiniert werden. Als Beispiel können hier etwa Fahrradkuriere und Fahrdienste gelten. Es ist klar, dass wir besondere Methoden erarbeiten müssen, mit denen wir auch diese Menschen ansprechen und organisieren können. Auch wenn die Anzahl der von diesen Arbeitsverhältnissen betroffenen Menschen tendenziell zunimmt, werden sie jedoch in der Minderheit bleiben und sich nur auf bestimmte Bereiche ausdehnen können.

Wen müssen wir wann und wo organisieren?

Aufgrund unserer momentanen quantitativen Schwäche mag es heute oftmals noch Zufall sein, wann und wo sich für uns konkrete Potentiale für den politischen Kampf auftun und wir Menschen organisieren können. Je mehr wir diese Schwäche überwinden, unser Organisationsgerüst ausbauen und ausdifferenzieren und unsere theoretischen Analysen verfeinern, desto gezielter können wir auch strategische Schwerpunkte in der Organisierung setzen.

Wir wollen hier noch einmal die konkreten strategischen und taktischen Schlussfolgerungen aus den oben analysierten Themengebieten zusammenfassen. Sie sollen dabei als eine konkrete und langfristige Ausrichtung der Schwerpunkte der revolutionären Organisierung dienen, die sicher in einigen Aspekten heute noch nicht vollkommen umgesetzt werden kann:

Strategisch wichtig ist die bundesweite Organisierung, um den Regionalismus in den Herzen und Köpfen zu überwinden. Dabei brauchen wir zunächst eine taktische Konzentration auf die Großstädte, um die eigene Schwäche zu überwinden und strategisch das ganze Land zu organisieren.

Wir müssen die Arbeiter:innen in den Schlüsselunternehmen (kritische Infrastruktur, Weltmonopolen, Hidden Champions) organisieren, um so unsere Produktionsmacht im Klassenkampf voll entfalten zu können.

In den Städten setzen wir organisatorische Schwerpunkte in den proletarischen Vierteln und den Orten wichtiger Wirtschaftsbetriebe, sowie der zentralen Infrastruktur.

Je stärker wir auch direkt in den verschiedenen Teilen des Staatsapparates und seiner Repressionsorgane organisiert sind, desto besser können wir auch hier unsere potentielle Macht zum richtigen Zeitpunkt entfalten.

Die politische Organisierung der Arbeiter:innen und das Führen von politischen und ökonomischen Klassenkämpfen müssen insbesondere auch jenseits eines Betriebs als geografischem und juristischem Ort durchgeführt werden.

Der Streik darf nicht länger allein als ein ökonomisches, sondern muss vor allem ein politisches Kampfmittel verstanden werden und sollte in allen Bereichen des Klassenkampfes als zentrales Kampfmittel eingesetzt werden.

1 DSLV Jahresbericht 2017-2018

2 de.statista.com 2018

3 de.statista.com 2019

4 de.statista.com 2018

5 Siehe Kommunismus 13 , Der deutsche imperialistische Staatsapparat

6 JPN Industriestandorte 2014

7 Ebd.

8 NTV Artikel: Deutschlands Großstädte werden ärmer (Bertelsmann Studie)

9 Siehe Kommunismus 13 , Der deutsche imperialistische Staatsapparat

10 http://ftp.zew.de/pub/zew-docs/docus/dokumentation1503.pdf

11 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Forschungsbericht 514, 2018