Der Faschismus
Um eine richtige antifaschistische Politik zu entwickeln, müssen wir zuerst analysieren, was der Faschismus ist. Dafür werden wir uns zunächst mit der Einschätzung des Faschismus durch die kommunistische Weltbewegung beschäftigen.
Die wesentlichen Ergebnisse hierzu hat die kommunistische Weltbewegung 1935 beim VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale (KI) erarbeitet. Sie sind im Referat des bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitroff dargelegt.1 Dabei stützte sich die KI auf vorangegangene Arbeiten der kommunistischen Parteien und ihrer Führer:innen zum Faschismus, wie z.B. die hervorragende Analyse des italienischen Faschismus durch die deutsche Kommunistin Clara Zektin.2
Der VII. Weltkongress fand vor dem Hintergrund der internationalen Offensive des Faschismus gegen die Arbeiter:innenbewegung statt. In Italien, Deutschland und Spanien waren faschistische Diktaturen errichtet worden. Der Hitlerfaschismus bekämpfte die revolutionäre Arbeiter:innenbewegung mit brutalem Terror, unterdrückte die Arbeiter:innenklasse, die Bäuer:innen und die anderen werktätigen Schichten in Deutschland und betrieb aggressiv die Vorbereitungen auf den Krieg gegen andere Völker, allen voran die der sozialistischen Sowjetunion.
Dimitroff stellte in seinem Referat den Klassencharakter des Faschismus heraus und formulierte folgende, bis heute richtungsweisende Faschismusdefinition:
„Der Faschismus an der Macht (…) ist (…) die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.” 3
Der Faschismus ist also ein Werkzeug der herrschenden Klasse, des Finanzkapitals selbst. Seine Entstehung ist untrennbar mit dem Übergang des Kapitalismus in sein letztes, imperialistisches Stadium verbunden, mit seiner krisenhaften Entwicklung und der Einleitung der Epoche der proletarischen Revolution im Oktober 1917 in Russland. Vor dem Hintergrund einer schweren Wirtschaftskrise, der Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus und der Zuspitzung der Klassenkämpfe diente die Offensive des Faschismus zu Beginn der 1930er Jahre der Bourgeoisie hauptsächlich drei Zielen:
„Die imperialistischen Kreise suchen die ganze Last der Krise auf die Schultern der Werktätigen abzuwälzen. Dazu brauchen sie den Faschismus.
Sie wollen das Problem der Märkte durch Versklavung der schwachen Völker, durch Steigerung der kolonialen Unterdrückung und durch eine Neuaufteilung der Welt auf dem Wege des Krieges lösen. Dazu brauchen sie den Faschismus.
Sie suchen dem Anwachsen der Kräfte der Revolution durch Zerschlagung der revolutionären Bewegung der Arbeiter und Bauern und durch den militärischen Überfall auf die Sowjetunion, das Bollwerk des Weltproletariats, zuvorzukommen. Dazu brauchen sie den Faschismus.” 4
Kapitalistische oder kleinbürgerliche Bewegung?
Dimitroff und die KI wiesen die Auffassung mancher Sozialdemokrat:innen zurück, die den Faschismus als eine Form der Staatsmacht betrachteten, die „über beiden Klassen, dem Proletariat und der Bourgeoisie”, stehe. Ebenso wiesen sie die Auffassung zurück, der Faschismus sei „die Macht des Kleinbürgertums oder des Lumpenproletariats über das Finanzkapital”.5
Die falsche Analyse, die besagt, dass die faschistische Bewegung im Wesen eine kleinbürgerliche Bewegung sei, wird auch heute teilweise von antifaschistischen Kräften in Deutschland z.B. hinsichtlich der AfD vertreten.6 Der Hintergrund derartiger Auffassungen ist es, dass die Faschist:innen eine soziale Demagogie betreiben, die durchaus erfolgreich darauf abzielt, Teile der unterdrückten Klassen für sich zu gewinnen. Faschist:innen bezeichnen sich nicht als das, was sie sind, nämlich der aggressive Vortrupp des Finanzkapitals, sondern als „Revolutionäre”, „Nationalsozialisten” oder Vorkämpfer der „ganzen Nation”. Zu ihrer Demagogie gehört es, dass sie die etablierten bürgerlichen Parteien angreifen und sich, wie heute der Front National in Frankreich oder die AfD in Deutschland als „Alternative” präsentieren: „Der Faschismus fängt im Interesse der reaktionärsten Kreise der Bourgeoisie die enttäuschten, den alten bürgerlichen Parteien den Rücken kehrenden Massen ein. Er imponiert diesen Massen durch die Heftigkeit seiner Angriffe gegen die bürgerlichen Regierungen, durch die Unversöhnlichkeit seines Verhaltens gegenüber den alten Parteien der Bourgeoisie.” 7 Wenn die ultrarechten Kräfte um Trump in den USA, der Front National in Frankreich oder die AfD und Pegida in Deutschland es heute schaffen, Anhänger:innen aus dem Kleinbürger:innentum oder sogar der Arbeiter:innenklasse mitzureißen, macht dieser Umstand die genannten Bewegungen jedoch nicht zu kleinbürgerlichen (oder gar proletarischen) Bewegungen. Denn der Klassencharakter einer Bewegung bestimmt sich nicht aus der sozialen Zusammensetzung ihrer Anhänger:innen, sondern daraus, welche Klasse die Führung über diese Bewegung innehat und welchen Klasseninhalt ihre Politik hat.8
Die faschistische Ideologie und ihre Verbreitung
Dimitroff stellte in seinem Referat heraus, dass die Quelle des Einflusses des Faschismus auf die Massen darin liegt, dass er in demagogischer Weise an „ihre brennendsten Nöte und Bedürfnisse appelliert.” Er spreche nicht nur die „in den Massen tief verwurzelten Vorurteile” an, sondern spekuliere auch „auf die besten Gefühle der Massen, auf ihr Gerechtigkeitsgefühl und mitunter sogar auf ihre revolutionären Traditionen.” 9
Er betonte auch, dass die Faschist:innen in den verschiedenen Ländern ihre Demagogie den jeweiligen nationalen Besonderheiten und den Besonderheiten der verschiedenen sozialen Schichten innerhalb eines Landes anpassten: Der italienische Faschist:innenführer Mussolini kam ursprünglich aus dem rechten Flügel der Sozialistischen Partei Italiens. Gerade die italienischen Faschist:innen verstanden es, sich zeitweise einen fortschrittlichen, avantgardistischen Anstrich zu geben und damit Anhänger zu sammeln.10 Der deutsche Faschismus setzte vor allem auf die rassistische und antisemitische Ideologie des „völkischen Sozialismus”. Diese Ideologie diente dazu, den Einfluss des Marxismus in der deutschen Arbeiter:innenklasse zurückzudrängen und diese zu spalten, indem sie den Klassenkampf und den Internationalismus als Erfindungen des „Weltjudentums” bezeichneten, die dazu dienten, die „germanische Rasse” von innen zu zersetzen. Die germanische Rasse müsse sich zusammenschließen und den Kampf gegen den „jüdischen Bolschewismus” im Inneren und nach außen aufnehmen, um zur „Herrenrasse” zu werden und die Weltherrschaft zu erlangen.11 Aus dieser reaktionär-idealistischen Weltanschauung leiteten die deutschen Faschist:innen ihr Programm zur brutalen Verfolgung der revolutionären Arbeiter:innenbewegung, der Anzettelung des Weltkriegs, der Unterdrückung dennr Völker und der rassistischen Ghettoisierung und Vernichtung der europäischen Jüd:innen, Sinti und Roma und anderer Völker ab – das in Wahrheit das kriegerische Programm der deutschen Monopole IG Farben (heute: Bayer), Thyssen, Krupp usw. war.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Ideologie des „völkischen Sozialismus” keine eigene Erfindung von Hitler und der NSDAP war. Im Zusammenhang mit der Entwicklung des Kapitalismus, dem sich ankündigenden Übergang in sein imperialistisches Stadium und der Niederhaltung der Arbeiter:innenbewegung, entstanden ab der Mitte des 19. Jahrhunderts aus den Reihen reaktionärer bürgerlicher Intellektueller philosophische Strömungen, die die Grundlage dafür bildeten. Sie griffen das fortschrittliche Erbe der bürgerlichen Aufklärung an und versuchten es durch Irrationalismus12 Mystik und Gewaltverherrlichung zu ersetzten.
Einer der wichtigsten Vertreter dieser reaktionär-idealistischen und menschenfeindlichen Philosophie war Friedrich Nietzsche.13 In denselben Zeitraum fallen die Erzeugnisse der Vordenker des Sozialdarwinismus,14 des Antisemitismus und des Rassismus (u.a. Marr, Gobineau).15
Es waren Ende des 19. Jahrhunderts wiederum Ideolog:innen des Monopolkapitals (u.a. Houston Stewart Chamberlain), die diese rückschrittlichen philosophischen Ansätze und rassistischen Theorien radikalisierten und zu einer geschlossenen politischen Weltanschauung im Dienst des Imperialismus weiterentwickelten. Diese wurde organisiert und systematisch in die deutsche Bevölkerung getragen. Eine zentrale Rolle spielte hierbei der 1890 von Industriellen wie Alfred Hugenberg gegründete „Alldeutsche Verband”.16
Bis in die heutige Zeit haben die Faschist:innen weitere ideologische Anstrengungen unternommen, um die Anpassung ihrer Demagogie an nationale und soziale Gegebenheiten weiterzutreiben: Während ultrarechte Intellektuelle in den westlichen imperialistischen Ländern (Europa, USA) seit den 1960er Jahren mit der „Neuen Rechten” eine „modernisierte” Strömung des Faschismus schufen, die heute vor allem den Kampf der „westlichen, weißen Zivilisation” gegen ihre Vernichtung durch Zuwanderung und „kulturelle Durchmischung” ins Zentrum stellt,17 18 spielt in der Region West- und Zentralasien der Islamismus bzw. Dschihadismus die Rolle einer Mobilisierungsideologie für imperialistische Zwecke bzw. für die Spaltung der unterdrückten Klassen entlang religiöser Grenzen. In anderen Ländern gibt es weitere Erscheinungsformen, wie z.B. den Hindu-Faschismus in Indien.19
Die faschistische Ideologie als System gesellschaftlicher, d.h. politischer, moralischer, philosophischer und anderer Auffassungen kann also sehr unterschiedliche Erscheinungsformen annehmen. Ihr Wesen besteht darin, dass sie die Klasseninteressen der reaktionärsten und aggressivsten Teile des jeweiligen imperialistischen Finanzkapitals zum Ausdruck bringt. Sie ist – neben Liberalismus, Sozialdemokratismus und anderen Systemen von Auffassungen – eine Ausdrucksform bürgerlicher Ideologie. Sie entsteht nicht spontan und nicht aus dem Kleinbürger:innentum, sondern ist das organisierte Werk der imperialistischen Bourgeoisie.
Partei des Angriffs gegen die revolutionäre Bewegung des Proletariats
Auf der Grundlage seiner sozialen und chauvinistischen Demagogie organisiert der Faschismus seine Anhänger:innen zum Kampf gegen die Kommunist:innen und alle Teile der revolutionären Arbeiter:innenbewegung und für seine rassistischen und kriegerischen Ziele, welche die Ziele der hinter ihm stehenden Teile des Finanzkapitals sind.
Das Finanzkapital braucht eine solche politische Bewegung, eine Kampfpartei wie die Faschist:innen, weil im Zeitalter des Imperialismus allein die staatliche Repression zur Sicherung seiner Herrschaft nicht mehr ausreicht. Es sieht sich gezwungen, Teile der ausgebeuteten Klassen ideologisch zu vereinnahmen und dazu zu bringen, aktiv und freiwillig für die Ziele der Ausbeuter:innen zu kämpfen. Die faschistische Bewegung als konterrevolutionäre Kampfpartei und Vorhut des Imperilismus ist in diesem Sinne das reaktionäre „Gegenstück” zur Kommunistischen Partei, die als „Partei neuen Typs“ die Vorhut der Arbeiter:innenklasse bildet. Dies gilt unabhängig davon, ob die faschistische Bewegung in eine Vielzahl von Parteien, Kameradschaften und Verbänden unterteilt ist oder ob eine faschistische Massenpartei wie die NSDAP mit Hegemonie unter den konterrevolutionären Kräften besteht.
Gleichzeitig müssen die Faschist:innen als politische Bewegung, die auf der Grundlage einer besonderen Ideologie handelt, von der Polizei und Armee des imperialistischen Staates unterschieden werden. Dies gilt auch dann, wenn sie diese Institutionen personell durchdringen oder selbst als Aufstandsbekämpfungstruppe im Stil der „Freikorps”-Verbände oder als Besatzungsmacht agieren. Man muss sie in diesem Sinne auch von Verbrecherbanden wie der Mafia unterscheiden, die zwar ebenfalls häufig die „Drecksarbeit” für das Kapital leisten, denen es dabei jedoch ausschließlich ums Geld, nicht um Ideologie geht.
Die faschistische Bewegung ist seit ihrer Entstehung eng mit dem geheimdienstlichen Teil des imperialistischen Staatsapparates verbunden und wird durch diesen gesteuert.20
Widersprüche im Lager der Bourgeoisie
Dimitroff betonte, dass man sich den Machtantritt des Faschismus „nicht so glatt und einfach vorstellen” dürfe, „als fasste irgendein Komitee des Finanzkapitals den Beschluss, an dem und dem Tage die faschistische Diktatur aufzurichten. Tatsächlich gelangt der Faschismus gewöhnlich in gegenseitigem, zuweilen scharfem Kampf zwischen dem Faschismus und den alten bürgerlichen Parteien oder einem bestimmten Teil dieser Parteien zur Macht; im Kampf sogar innerhalb des faschistischen Lagers selbst, der manchmal bis zu bewaffneten Zusammenstößen führt …” 21 Auf der objektiven Grundlage der Interessenwidersprüche zwischen den verschiedenen Fraktionen des Monopolkapitals, ihrer Konkurrenz im Kampf um Mehrwert, ökonomische und politische Macht und ihrer unterschiedlichen strategischen Orientierungen (z.B. hinsichtlich einer engen Anbindung an die USA oder an Russland) entwickeln sich die Widersprüche zwischen den bürgerlichen Parteien. Diese wurden in der Geschichte, besonders in der Zeit der Weimarer Republik und des Hitlerfaschismus, immer wieder blutig, z.B. mit Mordanschlägen auf Politiker:innen, Putschplänen usw. ausgetragen.
Dass sich diese Erscheinungen nicht auf die Vergangenheit beschränken, zeigen das Massaker auf dem Jugendcamp der norwegischen sozialdemokratischen Partei durch den Faschisten Anders Breivik im Sommer 2011 oder der versuchte Mordanschlag auf die Kölner Oberbürgermeisterin Reker durch einen Nazi-Kader der früheren FAP22, der nach seiner Tat von den Geheimdiensten abgeschirmt wurde. Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke (CDU) durch Nazi-Kader aus den Blood and Honour Strukturen gehört ebenso hierzu wie die jüngst aufgetauchten Todeslisten mit den Namen bürgerlicher Politiker:innen bei einer faschistischen Zelle innerhalb der Bundeswehr.23 Die „Tradition” des ultrarechten Putschismus innerhalb des Militärs, der Geheimdienste und besonders aggressiver Teile der Bourgeoisie lebt auch heute in Deutschland fort.
Die bisweilen blutig ausgetragenen Widersprüche innerhalb der Kapitalist:innenklasse dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der hauptsächliche, antagonistische Klassenwiderspruch im Kapitalismus zwischen Bourgeoisie und Arbeiter:innenklasse besteht. Alle Teile der Bourgeoisie sind daran interessiert, die Ausbeutung der Arbeiter:innenklasse zu verschärfen und im Kampf um die Neuaufteilung der Welt andere Völker zu unterwerfen. Im Prinzip sind alle Teile der Bourgeoisie auch daran interessiert, diesen Kampf je nach strategischen und taktischen Erwägungen mit kriegerischen Mitteln zu führen. Deshalb gibt es in einem imperialistischen Land wie Deutschland keinen „demokratischen” Flügel der Bourgeoisie. Das äußert sich dann, wenn bürgerliche Parteien in Regierungsfunktionen die Faschisierung des Staates vorantreiben: „Alles das verringert indessen nicht die Bedeutung der Tatsache, dass vor der Errichtung der faschistischen Diktatur die bürgerlichen Regierungen in der Regel verschiedene Etappen durchlaufen und eine Reihe reaktionärer Maßnahmen durchführen, die den Machtantritt des Faschismus vorbereiten und unmittelbar fördern. Wer in diesen Vorbereitungsetappen nicht gegen die reaktionären Maßnahmen der Bourgeoisie und gegen den anwachsenden Faschismus kämpft, der ist nicht imstande, den Sieg des Faschismus zu verhindern, der fördert ihn vielmehr.” 24
Zu den Parteien, die in den 1920er und 30er Jahren in der Regierung die Faschisierung des Staates vorangetrieben und damit z.B. in Deutschland objektiv dem Faschismus zur Macht verholfen haben, gehörte auch die Sozialdemokratie. Die Orientierung des VII. Weltkongresses der KI auf die Schaffung der Einheitsfront gegen den Faschismus, die Bildung von Volksfront-Regierungen und sogar die Schaffung einheitlicher revolutionärer Parteien der Arbeiter:innenklasse steht nicht im Widerspruch dazu, dass dieser Kritik an den rechten Führer:innen der Sozialdemokratie eine zentrale Rolle in Dimitroffs Referat zukam. Vielmehr fußt diese Ausrichtung gerade auf der Grundlage seiner Kritik und verfolgt das Ziel, den Einfluss dieser Führer:innen in der Arbeiter:innenklasse zurückzudrängen:
„Die Führer der Sozialdemokratie vertuschten und verhüllten vor den Massen den wirklichen Klassencharakter des Faschismus und riefen nicht zum Kampf gegen die immer schärferen reaktionären Maßnahmen der Bourgeoisie auf. Sie tragen die große historische Verantwortung dafür, dass im entscheidenden Moment der faschistischen Offensive ein bedeutender Teil der werktätigen Massen Deutschlands und einer Reihe anderer, jetzt faschistischer Länder im Faschismus nicht das blutgierige, räuberische Finanzkapital, seinen schlimmsten Feind erkannte, und dass diese Massen nicht zur Abwehr bereit waren.” 25
Wie sieht es diesbezüglich heute aus? Alle Parteien des Bundestags, von der CSU bis zur Linkspartei als linker Flügel der Sozialdemokratie, stellen sich heute auf den Boden der kapitalistischen Ordnung. Wenn auch mit unterschiedlicher Akzentuierung, stehen alle diese Parteien für die Interessen der Bourgeoisie und für den bestehenden Staat mit seiner Innen- und Außenpolitik und mit seinen Repressionsorganen. Sie setzen die Interessen der Bourgeoisie auf unterschiedlichen Ebenen des Staates, z.B. in Landesregierungen aktiv in politisches Handeln um. Alle diese Parteien haben in den letzten Jahren ökonomische Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse in unterschiedlichen Funktionen mit umgesetzt. Von Horst Seehofer bis Sahra Wagenknecht besteht ein rassistischer Konsens darüber, dass die Grenzen Deutschlands bzw. der EU gegenüber den Opfern imperialistischer Politik aus anderen Ländern geschlossen werden müssen.
Aus dieser politischen Widerspruchslage im Kapitalismus folgt, dass die bürgerlichen Parteien keine strategischen Bündnispartner für die Arbeiter:innenklasse im antifaschistischen Kampf sein können. Die Führer:innen der Linkspartei sind keine Partner:innen, mit denen man Seite an Seite bis zur Revolution gegen die Faschist:innen kämpfen wird, sondern ideologische und politische Gegner:innen, vor deren Politik man sich in Acht nehmen muss, da sie uns im Zweifel den Faschist:innen ans Messer liefern werden.
Die kommunistische Ausrichtung kann nur darin bestehen, die Massen, die unter dem Einfluss der Linkspartei stehen, ideologisch und politisch nach links zu ziehen, die Regierungspolitik der Linkspartei zu entlarven und sie für einen konsequenten Antifaschismus und für die sozialistische Revolution zu gewinnen.
Der faschistische Staat
In seinem Referat vor dem VII. Weltkongress der KI betont Dimitroff, dass der Machtantritt des Faschismus „nicht die einfache Ersetzung einer bürgerlichen Regierung durch eine andere” sei, sondern „die Ablösung einer Staatsform der Klassenherrschaft der Bourgeoisie, der bürgerlichen Demokratie, durch eine andere, durch die offene terroristische Diktatur”. Es wäre ein „ernster Fehler”, diesen Unterschied zu ignorieren, der das revolutionäre Proletariat daran hindern würde, „die breitesten Schichten der Werktätigen in Stadt und Land zum Kampf gegen die Gefahr, dass die Faschisten die Macht ergreifen, zu mobilisieren sowie die Gegensätze auszunutzen, die im Lager der Bourgeoisie selbst bestehen.” 26
Dass die unterschiedlichen Flügel der Bourgeoisie und ihre Parteien keine Bündnispartner für die Arbeiter:innenklasse in Hinblick auf die antifaschistische Strategie sein können, bedeutet nicht, dass die Widersprüche innerhalb der Bourgeoisie keine Bedeutung für die Taktik im antifaschistischen Kampf hätten. Auf dieser Erkenntnis baute z.B. die gesamte Bündnispolitik der Sowjetunion vor und während des Zweiten Weltkrieges auf. Die Ausnutzung der imperialistischen Widersprüche zwischen Deutschland, England, Frankreich und den USA schuf die Voraussetzungen dafür, den Hitlerfaschismus schließlich militärisch zu vernichten. Auch innerhalb eines Landes können Widersprüche im Lager der Bourgeoisie taktisch für den antifaschistischen Kampf ausgenutzt werden.
Viel entscheidender aber ist, dass Dimitroff die Rolle der „breitesten Schichten der Werktätigen in Stadt und Land” gegenüber dem faschistischen Terror bzw. angesichts einer drohenden faschistischen Diktatur betont, das heißt die Notwendigkeit für die Kommunist:innen aufzeigt, mit diesen Massen zu arbeiten und sie zu mobilisieren.
Wo die faschistische Diktatur errichtet ist, geht das Kapital zum ungezügelten Angriff auf die Arbeiter:innenklasse, die Bäuer:innenschaft und die anderen werktätigen Schichten über, zur Zerstörung der revolutionären Organisationen und Gewerkschaften, zur Verwandlung der „Fabriken und Betriebe in Kasernen, in denen die zügellose Willkür der Kapitalisten” 27 herrscht. Die faschistische Diktatur bedeutet die offene und aggressive Unterdrückung aller werktätigen Menschen: der Angestellten, der Bäuer:innenschaft, der kleinen Handwerker:innen, der Jugend, der Frauen.
Dieser Charakter des faschistischen Terrors ist die klassenmäßige Basis für eine breite antifaschistische Mobilisierung der Massen. Wir stützen uns deshalb insgesamt direkt auf das Proletariat und die werktätigen Menschen. Ebenso stützen wir uns auf alle potenziellen Opfer der Faschist:innen, z.B. migrantische Kleinunternehmer:innen, LGBTI+, Menschen mit Behinderung, bürgerliche und kleinbürgerliche ehrliche Demokrat:innen, Humanist:innen usw. Ebenso versuchen wir alle Teile der Bevölkerung auf unsere Seite zu ziehen, die den faschistischen Terror ablehnen, auch wenn sie unpolitisch sind oder eine schwankende Haltung einnehmen.
Beim Wort „Faschismus” denken auch viele Genoss:innen vor allem an den Hitler-Faschismus, Hakenkreuzfahnen, marschierende SA- und SS-Trupps und die Errichtung von Konzentrations- und Vernichtungslagern. Für ein objektives Verständnis des Faschismus ist es jedoch notwendig, sich zu vergegenwärtigen, dass die Erscheinungsformen des Faschismus sehr unterschiedlich sein können. Das betrifft nicht nur die oben erwähnten Unterschiede in der faschistischen Ideologie und den faschistischen Bewegungen (z.B. neurechter Anzugträger:innen gegenüber bärtigen Dschihadisten im Guerilla-Krieg), sondern auch die Erscheinungsformen des faschistischen Staatswesen selbst: „Die Entwicklung des Faschismus und die faschistische Diktatur nehmen in den verschiedenen Ländern verschiedene Formen an, je nach den historischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen, je nach den nationalen Besonderheiten und der internationalen Stellung des betreffenden Landes. In gewissen Ländern, vor allem dort, wo der Faschismus keine breite Massenbasis besitzt und wo der Kampf zwischen den einzelnen Gruppierungen im Lager der faschistischen Bourgeoisie selbst ziemlich stark ist, entschließt er sich nicht sofort, das Parlament zu liquidieren, und belässt den anderen bürgerlichen Parteien und auch der Sozialdemokratie eine gewisse Legalität. In anderen Ländern, wo die herrschende Bourgeoisie einen nahen Ausbruch der Revolution befürchtet, errichtet der Faschismus seine schrankenlose politische Monopolherrschaft entweder mit einem Schlag oder aber durch immer größere Steigerung des Terrors und der blutigen Auseinandersetzung mit allen konkurrierenden Parteien und Gruppierungen. Das schließt jedoch nicht aus, dass der Faschismus in dem Augenblick einer besonderen Verschärfung seiner Lage Versuche macht, seine Basis zu erweitern, und ohne sein Klassenwesen zu ändern, die offene terroristische Diktatur mit einer groben Verfälschung des Parlamentarismus zu vereinigen.” 28
Diese Verallgemeinerung aus den geschichtlichen Erfahrungen ist eine wichtige Richtschnur für die notwendige Analyse des Charakters heutiger Staaten, z.B. der Ukraine, Russlands oder der Türkei.
Faschismus im bürgerlich-demokratischen Staat
Aktuell ist für Deutschland, Europa und die USA jedoch vor allem die Untersuchung der umgekehrten Frage von praktischer Bedeutung: Welche Funktionen erfüllt die faschistische Bewegung, wenn der Faschismus nicht an der Macht ist? In welcher Hinsicht ist die faschistische Bewegung heute in den bürgerlich-demokratischen Staat integriert?
In dem Artikel „Faschismus in der Gegenwart”, analysierte Manfred Weissbecker einige neue Erscheinungsformen des Faschismus in den imperialistischen Staaten seit 1945. Zu „rechtsextremistischen Potentialen und Faschisierungsprozessen” stellte er fest: „Wenn nach den Erscheinungsformen des gegenwärtigen Faschismus gefragt wird, darf das starke rechtsextremistische Potential nicht außer Betracht bleiben, das in einer Reihe von Instrumenten monopolbourgeoiser Herrschaft und gesellschaftlicher Organisationen nichtfaschistischer Länder existiert. Dieses Potential – es enthält neben dem Konservatismus, dem Revanchismus und dem Rassismus die dritte Erscheinungsform des gegenwärtigen Faschismus – ist vor allem in den Führungsschichten der Armee und der Polizei, der Justiz und der Staatsbürokratie sowie in den rechten bürgerlichen Parteien fast aller hochentwickelten imperialistischen Länder zu finden. (…)” 29 Am weitesten sei der Faschismus jedoch in Gestalt der „in fast allen imperialistischen Ländern mit ‚parlamentarischer‘ Herrschaftsform bestehenden Organisationen und Bewegungen faschistischen Typs” verbreitet: „Die politische und soziale Funktion dieser Organisationen ist überall gleich: Sie bilden ein zusätzliches und den staatsmonopolistischen Machtmechanismus ergänzendes Repressionsmittel gegenüber der Arbeiterklasse; sie werden von der Monopolbourgeoisie zur Rechtfertigung ihres gegen die Demokratie und den historischen Fortschritt gerichteten Autoritarismus benötigt und stellen eine Reserve für den Fall dar, dass die Aufrechterhaltung der Reste bürgerlicher Demokratie dem Monopolkapitals als ungeeignet zur Sicherung seiner Macht erscheint.” Beide Elemente: Die Repressionsorgane – hier sind die Geheimdienste BND, Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst für die BRD unbedingt hinzuzufügen – und die faschistischen Organisationen als „zusätzliches Repressionsmittel” sind organisatorisch nicht nur miteinander verbunden, wie es spätestens seit der Aufdeckung des NSU und des faschistischen Netzwerks in der Bundeswehr der Öffentlichkeit wieder einmal ins Gedächtnis gerufen wurde. Die faschistischen Banden sind in den imperialistischen Ländern vielmehr ein „illegaler”, aber integraler Bestandteil des Staatsapparats und erfüllen neben den oben genannten eine ganze Reihe weiterer Funktionen:
Das Auffangen von gesellschaftlichen Gärungsprozessen und ihre Umleitung auf reaktionäre, pro-imperialistische Ziele;
einen Gradmesser dafür, inwieweit die Entwicklung gesellschaftlicher Widersprüche eine Basis für eine antiparlamentarische Massenbewegung bietet;
die ideologische Vorbereitung reaktionärer Politik; das Ausüben von politischem Druck auf die gemäßigteren Kapitalfraktionen;
die langfristige ideologische Umorientierung der Massen;
die rassistische Manipulation und Spaltung der ausgebeuteten Klassen;
den direkten Terror gegen ihre besonders unterdrückten Teile (Migrant:innen, Flüchtlinge);
die Destabilisierung und „Strategie der Spannung” (die Nutzung des Terrors zur Schaffung eines Klimas der Angst und des Rufens nach einem „starken Staat”, also nach der Faschisierung des Staates)
die direkte Funktion als kämpfender Vortrupp für den Straßenkampf und Bürgerkrieg.30
Der bürgerlich-demokratische Staat operiert heute mit einem ganzen Arsenal von verschiedenen politischen Instrumenten zur Sicherung seiner Kontrolle über die ausgebeuteten Massen31 – und das unter teils entgegengesetzten Vorzeichen:
Der NSU ermordet neun Migranten als Teil der Strategie des Terrors gegen die unterdrückten Teile der Bevölkerung. Die Polizei tyrannisiert die Familien und das Umfeld der Opfer. Die Medien verbreiten die rassistische Hetze von den „Döner-Morden”. Als die Existenz des faschistischen Terrornetzes auffliegt, kommuniziert der Staat die Legende von den drei „Einzeltäter:innen” und versucht, die von den Morden betroffenen Familien und Unterstützer:innen für offizielle Gedenkveranstaltungen und „Aufklärungs”-kampagnen zu instrumentalisieren. Terror, rassistische Propaganda und sozialdemokratische Integration greifen hier ineinander.
Die demokratisch gesinnten Teile der Arbeiter:innenklasse und des Kleinbürger:innentums werden von der Bourgeoisie mit einer „Willkommenskultur”-Kampagne für die Bewältigung einer zeitweiligen Massenflucht nach Europa eingespannt, während Pegida und die AfD die rückständigen Teile derselben Klassen integrieren und die militanten Faschist:innen eine Welle von Terror und Brandanschlägen gegen Migrant:innen verüben.
Faschistische Banden haben heute de facto ganze Regionen erobert, das heißt von Antifa-Kräften „gesäubert”. Sie betreiben Straßenterror gegen Migrant:innen, während die Kommunen in den „national befreiten Zonen” von Vertreter:innen bürgerlicher Parteien regiert werden, die unablässig erklären, es gebe bei ihnen „kein Nazi-Problem”.
„Schließlich sind Faschismus und Neofaschismus (…) in einer internationalen Erscheinungsform anzutreffen. Allerdings hat sich der Faschismus hier eine außerordentlich komplizierte Gestalt gegeben. Viele Aktionen der Neofaschist:innen – einschließlich der Errichtung faschistischer Diktaturen – sind das Werk oder sind zumindest stark beeinflusst von den großen Geheimdiensten, insbesondere der amerikanischen CIA, von den multinationalen Monopolen und von internationalen Organisationen der imperialistischen Welt wie dem Oberkommando der NATO. (…) Anders als in der ersten Periode der allgemeinen Krise des Kapitalismus verbinden sich die extrem reaktionären Organisationen in geheimen, aber relativ stabilen internationalen Vereinigungen.“ 32
Die Internationalisierung des Faschismus, die heute in Organisationen wie „Blood & Honour”, dem Ku-Klux-Klan oder der Vernetzung der Europäischen Rechten (Wilders-Partei, Front National, AfD, Lega Nord) ihren Ausdruck findet, ist die politische Widerspiegelung der Verflechtung des Kapitals dieser Länder und ein Bestandteil der imperialistischen Zusammenschlüsse wie der NATO und der EU.
Schlussfolgerungen aus der Analyse des Faschismus
Jede antifaschistische Strategie muss, um wirksam zu sein, vom Klassencharakter des Faschismus als des konterrevolutionären Vortrupps der imperialistischen Bourgeoisie ausgehen. Der Faschismus und die Existenz des monopolistischen Kapitals sind untrennbar miteinander verbunden.
Das bedeutet erstens, dass der Faschismus eine Gefahr für die Arbeiter:innenklasse darstellt, die vor und nach der proletarischen Revolution solange fortbestehen wird, bis die Bourgeoisie als Klasse abgeschafft und eine entwickelte Phase des Sozialismus erreicht ist. Solange es die Bourgeoisie gibt, wird es den Faschismus geben.
Zweitens bedeutet dies, dass die Arbeiter:innenklasse und die gesellschaftlichen Schichten, die von eigener Arbeit leben und im Kapitalismus unterdrückt sind (Bäuer:innenschaft, Handwerker:innen) die soziale Basis für den antifaschistischen Kampf darstellen. Die Bourgeoisie hingegen ist keine antifaschistische Kraft.
Drittens bedeutet das, dass der Faschismus auch im bürgerlich-demokratischen Staat Bestandteil des Staatsapparates ist. Das gilt auch dann, wenn er formal illegal ist. Gestützt auf diese Erkenntnisse können wir dazu übergehen, die Grundlagen einer antifaschistischen Strategie als Bestandteil der kommunistischen Strategie zu skizzieren.
Die antifaschistische Strategie
Was brauchen wir, um den Faschist:innen in Deutschland entgegenzutreten? Warum sind antifaschistischer und revolutionärer Kampf für die Errichtung des Sozialismus untrennbar miteinander verbunden? Im folgenden legen wir die Grundzüge einer antifaschistischen Strategie als Teilbereich der kommunistischen Strategie für die Revolution und den Sozialismus dar.
Fehleranalyse und allgemeine Leitlinien im Kampf gegen den Faschismus
Angesichts der Offensive des Faschismus in Europa untersuchte die Kommunistische Internationale (KI) bei ihrem VII. Weltkongress 1935 die Gründe für die faschistische Machtübernahme. Dabei arbeitete Dimitroff als wichtigsten Grund die Spaltung und Entwaffnung der Arbeiter:innenklasse infolge der sozialdemokratischen Linie der Anpassung an die Bourgeoisie und den bürgerlichen Staat heraus. Die Anpassung hatte dazu geführt, dass sozialdemokratische Parteien in bürgerlichen Regierungen die Angriffe der Bourgeoisie auf die Arbeiter:innenklasse mitgetragen und die Faschisierung des Staatsapparates aktiv vorangetrieben haben.33 Gleichzeitig jedoch benannte Dimitroff auch die Fehler der kommunistischen Parteien, welche vielfach „die faschistische Gefahr in unzulässiger Weise unterschätzt” hatten.34 Dazu beigetragen hätten in Deutschland z.B. eine ungenügende Berücksichtigung des verletzten Nationalgefühls und der Empörung in den Massen nach dem Versailler Friedensvertrag und eine geringschätzige Haltung gegenüber den Schwankungen der Bäuer:innenschaft und des Kleinbürger:innentums.
Das Ergebnis der Fehleranalyse in Dimitroffs Referat war die Definition von vier Voraussetzungen, um das Anwachsen des Faschismus und seinen Machtantritt zu verhindern:
„Die Verhinderung des Sieges des Faschismus hängt vor allem von der Kampfaktivität der Arbeiterklasse selbst ab, vom Zusammenschluss ihrer Kräfte zu einer einheitlichen, gegen die Offensive des Kapitals und des Faschismus kämpfenden Armee. Das Proletariat, das seine Kampfeinheit hergestellt hat, würde den Einfluss des Faschismus auf die Bäuer:innenschaft, auf das städtische Kleinbürger:innentum, auf die Jugend und die Intellektuellen paralysieren, würde den einen Teil neutralisieren und den anderen auf seine Seite bringen.
Zweitens hängt das vom Vorhandensein einer starken revolutionären Partei ab, die den Kampf der Werktätigen gegen den Faschismus richtig leitet. Eine Partei, die systematisch die Arbeiter zum Rückzug vor dem Faschismus ruft und der faschistischen Bourgeoisie erlaubt, ihre Stellungen zu stärken – eine solche Partei führt unvermeidlich die Arbeiter der Niederlage entgegen.
Drittens hängt das von der richtigen Politik der Arbeiterklasse gegenüber der Bauernschaft und den städtischen kleinbürgerlichen Massen ab. Diese Massen muss man so nehmen, wie sie sind, und nicht so, wie wir sie uns wünschen. Ihre Zweifel und Schwankungen werden sie einzig und allein im Laufe des Kampfes überwinden. Nur wenn man ihren unvermeidlichen Schwankungen gegenüber Geduld an den Tag legt und wenn das Proletariat sie politisch unterstützt, werden sie sich auf eine höhere Stufe des revolutionären Bewusstseins und der Aktivität emporschwingen.
Viertens hängt das von der Wachsamkeit und den rechtzeitigen Aktionen des revolutionären Proletariats ab. Man darf sich vom Faschismus nicht überrumpeln lassen. Man muss ihm, bevor er noch seine Kräfte sammeln kann, entscheidende Schläge versetzen. Man darf es nicht zulassen, dass er seine Stellung stärkt. Man muss ihm auf Schritt und Tritt, wo er sich zeigt, Widerstand leisten. Man darf es nicht zulassen, dass er neue Stellungen erobert.” 35
Die heutige Position der Arbeiter:innenklasse gegenüber der faschistischen Gefahr
Wenn wir heute die Entwicklung des organisierten Faschismus in Deutschland untersuchen, die antifaschistische Bewegung betrachten und den Stand dieser Bewegung mit den von Dimitroff genannten Leitlinien vergleichen, können wir nur feststellen, dass keine der genannten Voraussetzungen für den wirksamen Kampf gegen den Faschismus erfüllt ist. Die Arbeiter:innenklasse steht mithin politisch, ideologisch und organisatorisch weitgehend unbewaffnet da.
Wir sehen eine faschistische Bewegung, die buchstäblich „Land gewinnt”: Nach jahrzehntelanger ideologischer Vorarbeit vor allem durch die „Neue Rechte” sind in Ostdeutschland mit Pegida usw. erste Massenbewegungen unter faschistischer Führung entstanden und haben die „Straße erobert”. Mit der AfD gelang der Aufbau einer faschistischen Partei, die sich in den deutschen Medien und Parlamenten etablieren konnte. Die militanten Teile des Faschismus haben in Vorpommern und Sachsen „national befreite Zonen” errichtet, die sie von Antifaschist:innen „gesäubert” haben und in denen sie die migrantischen Teile der Massen relativ ungehindert terrorisieren können.
Dem gegenüber gibt es zwar immer noch mehrere zehntausend Menschen, die bei entsprechenden Anlässen gegen den Faschismus demonstrieren. Doch wie sieht diese Bewegung aus und wer führt sie?
Der größte Teil dieser Kräfte steht unter der Führung von bürgerlichen Parteien, gelben Gewerkschaften und Kirchen. Diese sind aufgrund ihres klassenmäßigen Charakters Bestandteile und Anhängsel des imperialistischen Staates. Das antifaschistische Engagement dieser politischen Kräfte steht damit grundsätzlich immer unter dem Vorbehalt, dass das deutsche Finanzkapital sich dazu entschließen könnte, die Staatsform seiner Klassenherrschaft zu verändern und die offene Diktatur zu errichten. Mehr noch: Wie an anderer Stelle ausgeführt, wirkt die faschistische Ideologie heute sogar weit in die Reihen der Mitglieder der sozialdemokratischen Parteien und der gelben Gewerkschaften.36 Mit den Querfrontprotesten im Frühjahr 2020 hat sich gezeigt, dass der Faschismus taktisch sehr flexibel handelt und versucht, seinen ideologischen Einfluss weit ins „grün-alternative Milieu“ und bis in die politische Widerstandsbewegung hinein auszudehnen.
Auf der anderen Seite gibt es mit den revolutionären und autonomen Gruppen einen kleinbürgerlichen Flügel der Antifa-Bewegung, in dem zwar viele Genoss:innen mutig und entschlossen gegen die Faschist:innen kämpfen. Er ist aber ideologisch weitgehend orientierungslos und organisatorisch so zerfasert, dass er der faschistischen Offensive viel zu wenig entgegensetzen kann.
Wenn wir den Blick von den Großstädten weg aufs Land richten, sieht die Lage noch schlechter aus, denn hier gibt es meist gar keinen organisierten Antifaschismus. Neben den Faschist:innen, die in die Dörfer dringen, finden wir mancherorts die Bundeswehr als wichtigsten Arbeitgeber und ideologischen Einflussfaktor in der Region.
Hinzu kommt, dass wir viele Fehler wiederholen, die Dimitroff in der kommunistischen Bewegung kritisiert hat. Viele halten heute in Deutschland die Errichtung einer faschistischen Diktatur für extrem unwahrscheinlich. In Folge einer falschen Einschätzung des Faschismus, der nicht als Teil des imperialistischen Staats begriffen wird, wurde die Gefahr der faschistischen Banden unterschätzt. So wurde die Antifa von der faschistischen Offensive seit 2015 überrumpelt.
Wie viele Antifaschist:innen aus Großstädten nehmen die „brennendsten Nöte und Bedürfnisse” der Arbeiter:innen und des Kleinbürger:innentums in Thüringen, Brandenburg, Sachsen wahr? Wie viele begreifen, dass es der Staat und die faschistischen Kräfte sind, die schon seit langem eine systematische „Arbeit“ in den Massen entfalten, um diese Bedürfnisse und Gefühle in reaktionäre und rassistische Bahnen zu lenken? Wer kämpft heute wirksam gegen die Faschisierung durch den Staat, z.B. durch die Vorratsdatenspeicherung, neue Polizeigesetze und die angestrebte Totalüberwachung der Arbeiter:innen, die mit dem „Gesundheitsschutz“ in der Coronakrise begründet und seitdem energisch vorangetrieben wird? Die demokratischen Grundrechte im heutigen Deutschland sind für die Arbeiter:innenklasse nichts als „Schall und Rauch”, die jederzeit zur Disposition stehen.
Das Hauptkettenglied für die Überwindung der Defensive
Dreh- und Angelpunkt der defensiven Lage der Arbeiter:innenklasse ist das Fehlen einer kommunistischen Partei und die damit einhergehende ideologische Entwaffnung. Die beiden (recht unabhängig voneinander bestehenden und arbeitenden) Teile der antifaschistische Bewegung in Deutschland – der betrieblich-gewerkschaftliche Teil und die revolutionären und autonomen Kräfte – stehen weitestgehend entweder direkt unter bürgerlicher Führung oder unter dem Einfluss der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologie.
Der wichtigste Grund für diesen Einfluss ist die ideologische und die darauf folgende politische und organisatorische Degeneration der kommunistischen Parteien in den Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie fand im wachsenden Einfluss des rechten und linken Opportunismus ihren Ausdruck.
Der rechte Opportunismus übte vor allem infolge des XX. Parteitags der KPdSU von 1956 einen wachsenden zersetzenden Einfluss auf die gesamte kommunistische Weltbewegung aus. Dieser äußerte sich in den revisionistischen Thesen von der „friedlichen Koexistenz” von Kapitalismus und Sozialismus, eines „parlamentarischen Wegs zum Sozialismus” und Konzepten wie der „antimonopolistischen Demokratie”.
Die rechtsopportunistische Unterordnung von DKP, VVN/BdA und weiteren Kräften unter die Sozialdemokratie lässt sich hinsichtlich des Antifaschismus dahingehend zusammenfassen, dass man auf Lichterketten nach Brandanschlägen und Protestkundgebungen gegen Kameradschaftsaufmärsche setzte. Man bettelte beim Staat um ein Verbot der NPD, während die jahrzehntelange ideologische Arbeit der „Neuen Rechten” in der Bevölkerung, die systematische Schaffung einer Massenbasis des Faschismus weitestgehend übersehen wurde.
In Gegenbewegung zum rechten Opportunismus wirkte auch der linke Opportunismus zersetzend auf Teile der antifaschistischen Bewegung, die den revisionistischen Weg ablehnten. Gefördert durch die ideologische Einkreisung durch den Imperialismus entwickelte sich in dieser Bewegung der Einfluss einer Vielzahl von kleinbürgerlichen politischen Strömungen und des Antikommunismus. Die Herausbildung starker, kampffähiger Organisationen wird hierdurch seit Jahrzehnten blockiert. Prägende Merkmale der „autonomen” Antifa-Bewegung sind heute die Ablehnung einer wissenschaftlichen Weltanschauung, ihre Organisationsfeindlichkeit und „Handwerkelei“. Dies äußert sich u.a. in Individualismus, Orientierung auf die politische „Szene” statt auf die proletarischen Massen, Anpassung an Freundeskreise statt Entwicklung eines Parteistandpunktes u.v.m.
Die ideologische Vorherrschaft des Opportunismus in den kommunistischen Organisationen hat den Boden dafür bereitet, dass die politische Führung über die Arbeiter:innenklasse heute in den Händen bürgerlicher Kräfte liegt. Die Feststellung von Dimitroff im Jahr 1935, dass die Arbeiter:innenklasse „gespalten, gegenüber der angreifenden Bourgeosie politisch und organisatorisch entwaffnet” 37 ist, trifft damit heute in noch viel stärkerem Maße zu.
Ein „reiner Antifaschismus” ist eine Illusion, die nur zur Unterordnung unter die Bourgeoisie und zur Niederlage führen kann. Ernsthafter und konsequenter Antifaschismus ist objektiv immer – unabhängig vom subjektiven Bewusstseinsstand in der antifaschistischen Bewegung – ein Bestandteil des revolutionären Klassenkriegs für den Sozialismus.
Die Kommunist:innen in Deutschland stehen heute zusammen mit den fortgeschrittensten Teilen der Arbeiter:innenklasse vor der Aufgabe, die kommunistische Partei zu reorganisieren. Dabei stehen auch wir unter dem zersetzenden Einfluss der ideologischen „Einkreisung“ durch den Imperialismus und sind dem Wirken des Opportunismus in seinen verschiedenen Spielarten permanent ausgesetzt. Nur wenn die Kommunist:innen es schaffen, die Merkmale des Opportunismus in ihrer eigenen Arbeitsweise abzulegen und sich die bolschewistische Arbeitsweise anzueignen, können sie in diesem Sinne auch positiv auf die revolutionäre und antifaschistische Bewegung einwirken. Nur so können die Kommunist:innen die Schaffung schlagkräftiger antifaschistischer Organisationen der Arbeiter:innenklasse und der anderen werktätigen Schichten vorantreiben.
Die Grundzüge der antifaschistischen Strategie
Der Kampf gegen den Faschismus ist untrennbarer Bestandteil des revolutionären Klassenkriegs im Imperialismus bis zur Errichtung der Diktatur des Proletariats und des Aufbaus und der Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft.
Die allgemeine Hauptlinie des antifaschistischen Kampfes besteht darin, die Massenbasis des Faschismus, soweit sie aus unterdrückten Klassen und Schichten besteht, ideologisch, politisch und organisatorisch zu zersetzen und diese Teile der Massen für uns zu gewinnen. Die antifaschistische Arbeit muss sich auf eine langfristige, direkte Arbeit in den Massen stützen und darf nicht auf die „linke Szene” begrenzt sein. Sie beinhaltet eine bewusste ideologische Gegenarbeit, die den Zusammenhang zwischen Staat, Kapital und Faschist:innen allen Betroffenen offenlegt („Kampf um die Köpfe”).
Andererseits gilt es, den antifaschistischen Selbstschutz zu organisieren und die Faschist:innen in der direkten Konfrontation so weit zurückzudrängen, dass wir die je nach Etappe notwendige Bewegungsfreiheit für die kommunistische Politik erobern („Kampf um die Straße”).
Wir verbinden diese beiden Kampffelder mit einer Bündnispolitik zum Nutzen für den revolutionären Kampf der Arbeiter:innenklasse. Bündnisse um ihrer selbst willen, bei denen die wesentlichen Positionen des revolutionären Kampfes aufgegeben werden müssten, lehnen wir ab.
Wir sind uns bewusst, dass ein vollständiger Sieg über den Faschismus nicht ohne einen vollständigen Sieg über den Imperialismus – das heißt erst in einer fortgeschrittenen Phase der proletarischen Revolution – möglich sein wird. Der antifaschistische Kampf ist daher nicht konjunkturabhängig und stellt keine Reaktion auf konkrete Aktivitäten und bestimmte Strukturen von Faschist:innen dar. Der antifaschistische Kampf ist permanenter Teil des revolutionären Kampfes, eingebettet in die kommunistische Strategie für die Revolution und den Sozialismus und findet jederzeit und überall statt.
Dieser Kampf richtet sich zu allen Zeiten gegen alle Strömungen des Faschismus gleichermaßen – unabhängig davon, ob es sich um den „klassischen” Nazi-Faschismus, den modernen Faschismus der „Neuen Rechten”, den Dschihadismus oder andere Erscheinungsformen handelt.
Für die Erarbeitung der besonderen Leitlinien des antifaschistischen Kampfes heute reicht es keineswegs aus, die im zweiten Teil des Referats von Dimitroff dargelegten Leitlinien für die „Einheitsfront der Arbeiterklasse gegen den Faschismus” einfach zu kopieren. Damals war die nationale und internationale Lage von einem strategischen Gleichgewicht zwischen den Kräften der Bourgeoisie und des Proletariats in zahlreichen Ländern geprägt. Es ging also darum, die bisherigen Errungenschaften des Kampfes der Arbeiter:innenklasse auf der Basis dieses Gleichgewichts gegen die faschistische Offensive zu verteidigen. Im Gegensatz dazu ist die Lage heute eine andere: Wir agieren in Deutschland aus einer Situation der strategischen Defensive und der völligen ideologischen und politischen Einkreisung durch den Imperialismus.
Kampf um die Köpfe: Antifaschismus in der direkten Massenarbeit
Die Basis unserer Politik erweitern wir durch die schrittweise Entwicklung einer direkten Massenarbeit in der Arbeiter:innenklasse und anderen Teilen der unterdrückten Massen. Zentral ist hierbei die Arbeit in der Arbeiter:innenklasse, die in den Betrieben, gewerkschaftlichen Organisationen und in proletarischen Stadtteilen und allen weiteren Orten, an denen die Klasse zusammenkommt, stattfindet. Die Betriebe haben dabei als die Stätten, in denen die Arbeiter:innen ständig zusammenkommen und die ökonomischen Hebel des kapitalistischen Systems bedienen, besonderes strategisches Gewicht.
Der antifaschistische Kampf ist dabei kein von anderen Kampffeldern wie dem betrieblichen oder Mieter:innenkampf isoliertes Gebiet, sondern vielmehr ein besonderes Element jedes dieser Kampffelder. Der Antifaschismus ist Bestandteil des betrieblichen „Kampfes ums Teewasser”. Er findet darin seinen Ausdruck, dass wir bewusste Anstrengungen unternehmen, um zum Beispiel die Trennung unserer Kolleg:innen nach Nationalitäten zu überwinden, rassistischer Hetze und Vorurteilen entgegenzutreten, die Spaltung zwischen Stammbeschäftigten und Leiharbeiter:innen, die häufig mit einer Spaltung nach Nationalitäten verbunden ist, abzubauen, gegen den Standortchauvinismus aufzutreten, der auch von den sozialdemokratischen Gewerkschafter:innen vertreten wird, u.v.m. Daneben beinhaltet der antifaschistische Kampf im Betrieb das direkte Zurückdrängen des Einflusses von Faschist:innen auf die Kolleg:innen, das Entlarven ihrer Propaganda, das Organisieren eines Schutzes vor Übergriffen, sowie den Kampf gegen die „Faschisierung” der Verhältnisse im Betrieb, z.B. durch die Verschärfung von Kontrollmechanismen gegen die Arbeiter:innen, Streikbruch, Aussperrung, Gewalt durch den Werksschutz, Angriffe auf die Arbeit von Betriebsräten und Gewerkschaften u.v.m.
Auch in der Nachbarschaft und im Stadtviertel kämpfen wir um die Überwindung der Spaltung innerhalb der Arbeiter:innenklasse und verbinden dies mit den alltäglichen Kämpfen gegen Mieterhöhungen und Verdrängung („Gentrifizierung”) oder gegen Polizeiterror. Wir arbeiten unermüdlich daran, Verbindungen zwischen Deutschen, Türk:innen, Kurd:innen, Griech:innen, Russ:innen und anderen Nationalitäten im Viertel aufzubauen. Wir wirken daran mit, die Isolation der Geflüchteten in unserer Nachbarschaft zu überwinden und Kontakte „auf Augenhöhe” herzustellen, indem wir den verkappten Chauvinismus von Sozialarbeiter:innen und „Gutmenschen” überwinden. Wir entlarven gegenüber unseren Nachbar:innen die Funktionen der staatlichen Repressionsbehörden und ihr Image als „Freunde und Helfer”, sofern dieses bei Teilen der Massen noch besteht. Auch im Viertel organisieren wir den Schutz gegen Faschist:innen, treten gegen faschistische Hetze auf, stellen ihre Demagogie und ihre Verbindung mit Staat und Kapital bloß, oder erklären unseren Nachbar:innen, warum Faschist:innen eben keine Patriot:innen sind.
Wir arbeiten in eben diesem Sinne an allen anderen Orten, an denen wir tätig sind, ob in der Schule, Uni, im Sportverein. Auch Orte und soziale Aktivitäten wie z.B. Fußballstadien und die Fankultur, wo die Massen zusammen kommen, haben dabei eine wichtige Bedeutung. In die antifaschistische Massenarbeit beziehen wir außerdem bewusst die Teile der Massen ein, die besonderen Angriffen durch den Faschismus ausgesetzt sind. Das sind vor allem Migrant:innen, Geflüchtete, LGBTI+, Menschen mit Behinderung sowie Menschen, die aufgrund ihres demokratischen oder sozialen Engagements zur Zielscheibe der Faschist:innen werden. Zu letzteren können auch einzelne, aufrichtige Funktionär:innen bürgerlicher Parteien gehören.
Auf der anderen Seite dürfen wir keine Berührungsängste mit Kolleg:innen und Nachbar:innen haben, die von der faschistischen Propaganda beeinflusst sind, die nationalistische und rassistische Vorurteile haben. Genau so müssen wir in den Gewerkschaften, Organisationen und Vereinen arbeiten, die unter bürgerlicher Führung stehen, sofern dies dazu geeignet ist, den Zusammenschluss mit anderen Arbeiter:innen voranzutreiben.
Neben der Organisierung des direkten Schutzes vor faschistischen Angriffen und des Widerstandes gegen die Faschisierung des Staates kommt der ideologischen Arbeit in den genannten Teilen der Massen eine hervorgehobene Bedeutung zu. Diese Arbeit ist darauf ausgerichtet, den Einfluss erstens des Faschismus selbst und zweitens der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologie in den Massen zurückzudrängen. Mit ideologischer Arbeit meinen wir nicht das bloße Verteilen von Flugblättern oder das Abhalten von Kundgebungen, sondern die Gesamtheit aller beschriebenen Maßnahmen, insofern diese eine Wirkung auf das Bewusstsein der Massen haben. Eine ideologische Arbeit zu entfalten, heißt, sehr „dicke Bretter zu bohren”. Den Einfluss des Faschismus auf die Köpfe, den alltäglichen Nationalismus, Rassismus, Chauvinismus, den gerade in Deutschland sehr ausgeprägten Untertanengeist gegenüber staatlichen Autoritäten und den Willen zur Zusammenarbeit mit ihnen, überwinden wir nicht auf die Schnelle durch ein einzelnes Gespräch. Es handelt sich dabei um Denkgewohnheiten und bequeme Vorurteile, die nicht „mal eben” abgelegt werden. Das Zurückdrängen ist ein langer Prozess, der es z.B. voraussetzt, dass unsere Kolleg:innen und Nachbar:innen positive praktische Erfahrungen sammeln, wie etwa durch die erlebte Solidarität mit migrantischen Kolleg:innen in vielen kleinen Situationen am Arbeitsplatz. Unsere Arbeit muss sich darauf richten, solche Erfahrungen zu organisieren. Je erfolgreicher wir in unserer Arbeit sind, umso mehr erweitern wir unseren Bewegungsspielraum und unseren Einfluss in Betrieb und Stadtteil und holen uns die Straßen zurück.
Die verschiedenen Kampfformen gehen dabei Hand in Hand und wir vermeiden es, in unserer Arbeit in Einseitigkeit zu verfallen: „Ernst Thälmann betonte in seinen Reden und Aufsätzen immer wieder, dass der militante antifaschistische Kampf kein Selbstzweck sein dürfe, sondern stets dessen politische und moralische Auswirkungen auf den Bewusstseinsstand der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten das Wichtigste sei und deshalb immer der militante und militärische Kampf mit der politischen Aufklärungsarbeit in den eigenen Reihen und mit der ideologischen Einwirkung auf den Gegner zusammenfallen muss. Ebenso betonte er, dass nur der organisierte wehrhafte Kampf auf der Straße (natürlich in Verbindung mit politisch-ideologischer Aufklärungsarbeit) die Bewegungsfreiheit der revolutionären Organisationen und aller antifaschistischen Kräfte sichern kann.“ 38
Kampf um die Straße: Antifaschistischer Selbstschutz
Die Massenarbeit und der antifaschistische Selbstschutz sind untrennbar miteinander verbundene Arbeitsfelder. Der Selbstschutz ist vom ersten Moment an ein notwendiger Bestandteil des antifaschistischen Kampfes ist. Egal wie lange wir z.B. in einer Situation der starken Unterlegenheit die direkte Konfrontation mit den Faschist:innen unterlaufen und hinauszögern können – früher oder später kommt diese auf uns zu. Der Selbstschutz kann sich nicht spontan in der Reaktion auf faschistische Übergriffe entwickeln, sondern bedarf einer planmäßigen Vorbereitung, die von einer realistischen Einschätzung der Gefahr durch faschistische Banden ausgehen muss.
Deshalb ist es für die Antifaschist:innen notwendig, sich für die kommenden Auseinandersetzungen, den Schutz von Personen und Objekten auszubilden und zu organisieren. Das bedeutet einerseits die Massen selbst so breit wie möglich in den Selbstschutz einzubeziehen und andererseits Spezialist:innen auszubilden und organisatorische Strukturen aufzubauen.
In den faschistischen Kampfgruppen arbeiten heute geschulte Kader:innen und politische Soldat:innen vom Schlage eines Anders Breivik, die nicht nur militärisch ausgebildet sind, sondern ideologisch fest für ihre Sache stehen. Die Herausbildung und Schulung von ideologisch gefestigten, führenden Kader:innen für den Aufbau des antifaschistischen Selbstschutzes ist daher eine notwendige Voraussetzung, um den Faschist:innen wirksam entgegentreten zu können.
Im Verständnis der faschistischen Kampftruppen als formal illegaler, aber integraler Bestandteil des imperialistischen Staates wissen wir, dass wir diesen Staat nicht gegen die Faschist:innen um Hilfe bitten können. Wir wissen auch, dass faschistische Angriffe sich nicht an die Gesetze dieses Staates halten. Wenn wir den Faschist:innen wirksam entgegentreten wollen, können wir uns daher selbst keine Grenzen auferlegen. Der antifaschistische Selbstschutz kann sich daher nicht nach dem Gesetzbuch, sondern muss sich nach dem Gefahrenpotenzial der Faschist:innen richten.
Kommunist:innen lehnen linkes Abenteurertum ab. Das bedeutet u.a., dass wir nicht in die Offensive gegen die Faschist:innen gehen, wenn wir nicht dauerhaft über die entsprechenden Kräfte verfügen, um dem Gegenschlag der staatlichen Repression wie der faschistischen Mörder:innen standzuhalten. Dass wir bei für uns ungünstigen Kräfteverhältnissen nicht in die Offensive gehen, heißt auf der anderen Seite nicht, dass wir uns nicht mehr zeigen, dass wir uns gegenüber den Massen zurückziehen.
Die vorgestellten Leitlinien dienen der Entwicklung einer revolutionären antifaschistischen Arbeit in Deutschland, die sich auf die gesammelten Erfahrungen der kommunistischen Weltbewegung stützt.
Was bedeutet dies alles nun für die lokale antifaschistische Praxis? Natürlich muss das konkrete Vorgehen im Einzelnen vor Ort ausgearbeitet werden. Die kommunistische Antifa-Strategie führt in der Praxis jedoch allgemein gesprochen u.a. zu folgenden Ausrichtungen:
Raus aus der linken „Wohlfühlzone” einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, ran an die Massen!
Raus aus den „alternativen” und „freien” Großstädten, rein in die reaktionäre Provinz!
Ran an den Feind, den Kampf in den national befreiten Zonen aufnehmen!
Die rassistische und faschistische Massenbasis zersetzen – der Sozialismus ist die Alternative für Deutschland und die Welt!
Fragen für das Selbst- und Gruppenstudium
FASCHISMUS
Wie hat die KI den Faschismus definiert?
Was bestimmt den Klassencharakter einer politischen Bewegung?
Was sind die wesentlichen Züge der faschistischen Ideologie des „völkischen Rassismus“? Wie wurde diese Ideologie entwickelt und verbreitet?
Gibt es nur eine faschistische Ideologie?
Wieso kennzeichnen wir die faschistische Bewegung als „konterrevolutionäre Partei neuen Typs“? Was folgt daraus?
Wie hängen kapitalistische Konkurrenz, Widersprüche im Lager der Bourgeoisie, politische Attentate und die reaktionäre Tradition des “Putschismus“ zusammen?
Gib es einen „demokratischen Teil“ der Bourgeoisie? Warum und wie kann man mit antifaschistischen bürgerlichen Kräften zusammenarbeiten? Was ist dabei im Hinblick auf den Reformismus und die Sozialdemokratie zu beachten?
Warum kämpfen wir gegen faschistischen Terror und die Übernahme der Macht durch den Faschismus? Auf wen stützt sich der antifaschistische Kampf dabei?
Welche Erscheinungsformen nimmt der Faschismus an? Gib es den einen faschistischen Staatstyp?
Wie lautet die Schlussfolgerung, die wir aus der Kontinuität des Zusammenspiels und der Wechselwirkung zwischen faschistischen Banden und Geheimdiensten ziehen, die sich seit der Schaffung des “Alldeutschen Verbandes“ ab 1890 mit dem Übergang zum Imperialismus in Deutschland beobachten lässt?
Welche Funktion hat der Faschismus in einem nicht-faschistischen, bürgerlich-demokratischen Staat wie der BRD?
Welche drei grundsätzlichen Schlussfolgerungen ziehen wir aus dieser Analyse des Faschismus?
ANTIFASCHISMUS
Wer hat in der Weltwirtschaftskrise ab 1929 in Deutschland die Arbeiter:innenklasse gespalten? Warum?
Welche vier Bedingungen müssen hergestellt werden, damit ein wirksamer Kampf gegen den Faschismus möglich ist?
Wie sieht die politische Lage heute in Deutschland in Bezug auf diese vier Voraussetzungen eines wirksamen Antifaschismus aus?
Was ist die Hauptursache für die aktuelle Stärke der faschistischen Bewegung in Deutschland?
Wie haben sich linker und rechter Opportunismus in den letzten Jahrzehnten im antifaschistischen Kampf ausgewirkt? – Wieso haben sie sich gegenseitig in die Hände gespielt?
Was ist die allgemeine Hauptlinie im antifaschistischen Kampf? Was sind seine wichtigsten Elemente?
Was bedeutet „Kampf um die Köpfe“ und wie hängt er mit einer „kommunistischen Massenarbeit“ zusammen?
Was ist beim „Kampf um die Straße“ zu berücksichtigen?
Der Faschismus ist strategisch schwach, weil er als politische Bewegung innerlich zerrissen ist. An welchen grundlegenden Widersprüchen der faschistischen Bewegung können wir daher ansetzen?
Literaturempfehlungen
Georgi Dimitroff, „Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus”, aus: Pieck, Dimitroff, Togliatti: „Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunisten im Kampf für die Volksfront gegen Krieg und Faschismus”, Dietz Verlag 1960; S. 85 – 178
Die klassische Faschismusanalyse der KI aus marxistisch-leninistischer Sicht. Auch wenn der Text in dieser Schulung oft zitiert wird, bleibt die Lektüre des Originals natürlich notwendig.
Clara Zetkin, „Der Kampf gegen den Faschismus – Bericht auf dem Erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, 20. Juni 1923“, aus: Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften, Band II, S. 689 – 729
Leider völlig zu Unrecht viel weniger bekannt als Dimitroffs Text. Clara Zetkin entwickelt darin sehr wichtige, grundlegende Ausrichtungen für den antifaschistischen Kampf.
Kommunismus Nr 6, 08/2016, „Der moderne Faschismus – Die AfD und ihre Funktion für das deutsche Kapital“, 13 Seiten
Eine prägnante Einschätzung der „Neuen Rechten“ und ihres Versuchs mittels des „Kampfs der Kulturen“ einen modernen Faschismus aufzubauen.
Kurt Gossweiler, „Faschismus und Arbeiterklasse“ aus: Eichholtz, Gossweiler (Hrsg.), „Faschismus-Forschung – Positionen, Probleme, Polemik“, Akademie-Verlag 1980, 459 Seiten
Ein wissenschaftlichen Standardwerk zum Faschismus, das in den einzelnen Beiträgen zahlreiche Aspekte herausarbeitet. Dass es von den Revisionist:innen stammt, ist bei dem Thema kein Nachteil. Im Gegenteil sind die Revis neben den Marxist:innen-Leninist:innen die einzigen, die den Zusammenhang zwischen Imperialismus und Faschismus zur Grundlage ihrer Analysen machen.
Reinhard Opitz, „Faschismus und Neofaschismus“, Pahl Rugenstein Verlag, 1996, 466 Seiten, Erstausgabe im Verlag Marxistische Blätter, 1984
Im ersten Teil zeichnet Opitz vertieft die Entstehungsgeschichte des deutschen Faschismus nach. Im zweiten Teil arbeitet er heraus, wie die Bundesrepublik mit Hilfe der Faschist:innen aufgebaut wurde und welche Rolle die „Neue Rechte“ ab Ende der 60er Jahre zu spielen begann.
1Dimitroff, „Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus”, aus: Pieck, Dimitroff, Togliatti: „Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunisten im Kampf für die Volksfront gegen Krieg und Faschismus”, Dietz 1960, S. 85, im Folgenden: “Dimitroff”
2Clara Zetkin, „Der Kampf gegen den Faschismus – Bericht auf dem Erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, 20. Juni 1923”, aus: Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften, Band II, S. 689 ff., im Folgenden: “Zetkin”.
3Dimitroff, S. 87
4Dimitroff, S. 85 f.
5Dimitroff, S. 87
6Vgl. Die AfD und ihre Funktion für das deutsche Kapital”, Kommunismus Nr. 6, S. 4 f.
7Dimitroff, S. 91
8Vgl. Gossweiler, „Faschismus und Arbeiterklasse”, aus: Eichholtz, Gossweiler (Hrsg.), „Faschismus-Forschung – Positionen, Probleme, Polemik”, Akademie-Verlag 1980, S. 99 ff., im Folgenden: “Faschismus-Forschung”.
9Dimitroff, S. 90
10Faschismus-Forschung, S. 109 f.
11Vgl. Opitz, „Faschismus und Neofaschismus”, Verlag Marxistische Blätter 1984, S. 26 ff., im Folgenden: “Opitz”.
12Irrationalismus: „Name für Weltanschauungen, die auf diese oder jene Weise das wissenschaftliche Denken für unfähig erklären, die bestimmenden Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der objektiven Realität zu erkennen, und dieses durch andere – für den Irrationalismus höhere – Erkenntnisfunktionen wie Intuition, Erleben, Wesensschau ersetzen wollen. Dem Irrationalismus gelten die objektive Realität ihrem Wesen nach oder bestimmte ihrer Bereiche (…) als nicht von Gesetzen und Gesetzmäßigkeiten bestimmt, als irrational. (…)”, aus: Klaus, Buhr, „Philosophisches Wörterbuch”, VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1976, S. 586, im folgenden: “Philosophisches Wörterbuch”.
13Vgl. Malorny, H.:, „Friedrich Nietzsche und der deutsche Faschismus”, aus: Faschismus-Forschung, S. 279 ff.
14Sozialdarwinismus: „(…) Richtung der bürgerlichen Soziologie, die, an die Lehren Darwins anknüpfend, biologische Prinzipien, vor allem das Prinzip vom Kampf ums Dasein und der natürlichen Auslese, mechanistisch auf das soziale Gebiet übertrug.”, Philosophisches Wörterbuch, S. 1113
15Vgl. Opitz, S. 7 ff.
16Kuczynski, „Studien zur Geschichte des deutschen Imperialismus – Bd. II: Propagandaorganisationen des Monopolkapitals”, Dietz 1950, S. 9 ff.
17Vgl. Opitz, S. 315 ff.
18Vgl. „Faschismus reloaded – die AfD und ihre Funktion für das deutsche Kapital”, aus: Kommunismus 6, S. 5 ff.
19Vgl. „Urban Perspective – Ein Dokument der Communist Party of India (Maoist)”, aus: Internationale Debatte, S. 34
20Kommunistischer Aufbau, „Die Bewegungen PEGIDA/HoGeSa und die Perspektiven des proletarischen Antifaschismus“, https://komaufbau.org/die-bewegungen-pegidahogesa-und-die-perspektiven-des-proletarischen-antifaschismus/
21Dimitroff, S. 89
22Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei, gegründet 1979, verboten 1995
23Vgl. „Combat 18, Nordkreuz, Reichsbürger – Wieviel Staat steckt in rechten Terror-Strukturen – und wie können wir uns schützen?“, https://komaufbau.org/broschuere-wieviel-staat-steckt-in-rechten-terror-strukturen-und-wie-koennen-wir-uns-schuetzen
24Dimitroff, S. 89.
25Dimitroff, ebd.
26Dimitroff, S. 89
27Dimitroff, S. 92
28Dimitroff, S. 88
29Faschismus-Forschung, S.209 ff.
30Ebd., S. 224
31Vgl. zu den Funktionen des Neofaschismus in bürgerlich-demokratischen Staaten auch Opitz, S. 241 ff
32Kommunistischer Aufbau, „Die Bewegungen PEGIDA/HoGeSa und die Perspektiven des proletarischen Antifaschismus“, https://komaufbau.org/die-bewegungen-pegidahogesa-und-die-perspektiven-des-proletarischen-antifaschismus/
33Faschismus-Forschung. S. 224
34Siehe dazu Simone Reymers Diskussionsbeitrag, „Die Historische Bolschewisierung” in: „Die Bolschewisierung der Kommunistischen Partei Deutschlands”, Kommunistischer Aufbau, Dezember 2014, S. 16 ff.
35Dimitroff, S. 101
36Dimitroff, S. 103
37Dimitroff, S. 96
38„Proletarischer Selbstschutz gegen den Faschismus“, Marxist Theori 18