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Mit dem 4. Kongress die Ansprüche erhöhen und eine Generation neuer Kader:innen schaffen

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Der Kongress einer kommunistischen Organisation ist der Ort, an dem die Erfolge und Fehler in der Entwicklung der Organisation kollektiv ausgewertet und über die strategischen Weichenstellungen für die nächste Periode entschieden wird. Es ist der Ort, an dem sich entscheidet, ob sie es schafft, sich selbst zu revolutionieren und sich auf die vor ihr liegenden Aufgaben auszurichten.

Um diese Verantwortung wahrzunehmen, sind die Delegierten unserer Organisation vom 16. bis 19. März 2023 aus verschiedenen Regionen Deutschlands zusammengekommen und haben erfolgreich den 4. Kongress des Kommunistischen Aufbaus abgehalten.

Nach einer intensiven mehrmonatigen Vorbereitungs- und Diskussionsphase werteten die Delegierten auf dem Kongress ausführlich die vergangenen Zeit seit dem 3. Kongress aus und diskutierten anhand des vorliegenden Rechenschaftsberichts die Erfolge und Probleme der Organisationsentwicklung.

Die vielfältigen Diskussionen zur politischen Lage, der Entwicklung der Organisation und den kommenden Aufgaben waren von einer hohen prinzipiellen Einheit und solidarischen Atmosphäre geprägt. Alle anwesenden Genoss:innen beteiligten sich mit hoher Disziplin und Ernsthaftigkeit an den Diskussionen und nahmen dadurch ihre Verantwortung gegenüber der Organisation war.

In der Rede der Organisation beim Gedenken an die unsterblich gewordenen Genoss:innen während des Kongresses brachte die Genossin die Stimmung und die Motivation der Delegierten auf dem Kongress auf den Punkt: „Wenn wir uns hier betrachten, dann sehen wir eine Organisation, die ihre Aufgaben ernst nimmt und die Kader:innenentwicklung konkret auf die Tagesordnung setzt. Wir sehen Genoss:innen, die bereit sind, an sich zu arbeiten, ihre Ängste und Zweifel zu überwinden, ihre Grenzen einzureißen. Wir sehen eine Organisation, welche die heutigen Notwendigkeiten im Klassenkampf analysiert und erkannt hat, die den Parteiaufbau voran treibt und ihn nicht auf irgendwann verschiebt, sondern dabei keine Zeit verlieren wird.“

Die kollektiv getroffenen Beschlüsse stellen nun die notwendigen Weichen, um die Organisation in den kommenden Jahren planvoll weiterzuentwickeln und notwendige Schritte im Parteiaufbau voran zu gehen.

Kommunistisches Programm

Nach jahrelangen Vorarbeiten durch eine quantitative wie qualitative Klassenanalyse, die wir seit 2018 in verschiedenen Arbeitsschritten veröffentlicht haben, und ein vertieftes Verständnis von Strategie und Taktik im imperialistischen Zentrum heute, haben die Delegierten des 4. Kongresses ein erstes Kommunistisches Programm der Organisation verabschiedet.

Das Programm fasst die wichtigsten Ergebnisse unserer Ausarbeitungen und Analysen des Kapitalismus heute in Deutschland und unsere Aufgaben und zentralen strategischen Ausrichtungen für unsere Arbeit hin zur sozialistischen Revolution in Deutschland zusammen. Das Programm spiegelt dabei den aktuellen ideologischen Stand und die Ergebnisse unserer Untersuchungen und Analysen wieder. In der kommenden Zeit wird es darum gehen, auf der einen Seite dieses Programm bekannt zu machen und auf der anderen Seite an den strategischen Ausrichtungen zur sozialistischen Revolution in Deutschland weiterzuarbeiten.

Organisationsentwicklung

Das quantitative und qualitative Wachstum der Organisation und ihrer verschiedenen Arbeitsbereiche und Organe hat eine Reihe von Veränderungen in der Arbeitsweise und dem Aufbau der Organisation notwendig gemacht. Der Kongress hat entsprechende Veränderungen beschlossen, welche die Strukturen der Organisation auf ein weiteres Wachstum ausrichten. Dazu ist ein dynamisches Organisationsgerüst notwendig, welches mithilfe des an diese Entwicklung angepassten Demokratischen Zentralismus angeleitet wird.

Die vor uns stehenden Aufgaben im Parteiaufbau und die sich verschärfenden Klassenkämpfe sowie die eskalierenden Widersprüche zwischen den Imperialisten auf Weltniveau, machen weitere Anstrengungen in der Hebung des ideologischen, politischen und organisatorischen Niveaus auf allen Ebenen der Organisation notwendig.

Der Kongress hat zudem die Notwendigkeit neuer Anstrengungen in der Entwicklung einer gezielten und kontinuierlichen nationalen und internationalen Kontakt- und Bündnisarbeit festgestellt. Diese soll die Gräben zwischen den revolutionären und kommunistischen Organisationen überwinden und sie in gemeinsamen realen Aktivitäten und ideologischen Diskussionen zusammenbringen und dazu führen, dass sie gegenseitig voneinander lernen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten.

Dabei sollen auf nationaler Ebene weitere Potentiale für den Parteiaufbau gezielt einbezogen werden, sowie ein grundsätzliches Verständnis von revolutionärer Bündnisarbeit und Solidarität so wie konkrete Ausrichtungen zu unserem Verhältnis zu anderen relevanten ideologischen Polen in Deutschland geschaffen werden.

Kader:innenentwicklung

Im Mittelpunkt der Diskussionen um die Weiterentwicklung der Organisation stand die Frage der Entwicklung der Kader:innen. Dazu hat der Kongress die Ausweitung der Arbeit zur Ausbildung neuer Kader:innen auf allen Ebenen und die systematische Schulung und Ausbildung von Genoss:innen zu Berufsrevolutionär:innen beschlossen. Beides sind notwendige Schritte, die ein weiteres qualitatives und quantitatives Wachstum der Organisation erst möglich machen.

Dabei muss vor allem die Systematisierung und Professionalisierung der gezielten Entwicklung der Kader:innen und die Ausweitung der Arbeit an der revolutionären Veränderung der bürgerlichen Persönlichkeit im Zentrum der Bemühungen stehen. Dazu gehört insbesondere auch die Höherentwicklung eines allseitig entwickelten Klassenbewusstseins, wozu auch die bewusste Arbeit an der Entwicklung eines Geschlechts- und Feindbewusstsein zählt.

Frauenorganisation

Neben der allgemeinen Kader:innenentwicklung hat der Kongress beschlossen, ein besonderes Augenmerk auf die Kaderinnen- und Persönlichkeitsentwicklung der Frauen und LGBTI+ Genoss:innen der Organisation zu legen. Ohne besondere Anstrengungen zur Entwicklung dieser Genoss:innen zu kommunistischen Kader:innen würden sie wohl in vielen Fällen aufgrund der Auswirkungen der gesellschaftlichen patriarchalen Unterdrückung und Diskriminierung zurückbleiben. Diese beschlossenen besonderen Arbeiten zur Entwicklung von Frauenkaderinnen sind gleichzeitig der Garant dafür, dass der in diesem Bereich besonders vorherrschende Kaderinnenmangel langfristig behoben und auch in Zukunft dauerhaft auf allen Ebenen und in allen Organen Frauenkaderinnen vertreten sind.

Durch die vertiefte Auseinandersetzung mit den Strömungen und Positionen des bürgerlichen und postmodernen Feminismus sollen die falschen Schlussfolgerungen und Positionen dieser Strömungen entlarvt und ihnen eigene kommunistische Positionen entgegengesetzt werden. Die Ergebnisse dieser ideologischen Arbeiten werden dann in der ersten Kommunistischen Frauenkonferenz münden. Dies soll dabei helfen, die Entwicklung der Frauenorganisation hin zur innerorganisatorischen Selbstständigkeit und der Herausbildung einer eigenen Frauenführung zu unterstützen.

Jugendorganisation

Für die Jugendorganisation hat der Kongress eine besondere ideologische Arbeit und Arbeit an der Persönlichkeitsentwicklung der Jugendgenoss:innen beschlossen, um Fähigkeiten und Erfahrungen weiterzugeben und ihre Entwicklung gezielt voranzutreiben. Dies soll dazu führen, dass die Jugendorganisation ihre organisatorische Unabhängigkeit erreichen und die dafür notwendigen eigenen Leitungsstrukturen herausbilden kann. Erst mit dem Erreichen dieses Schritts kann sie ihre Aufgabe, die neuen Kader:innengenerationen der Organisation auszubilden, voll und ganz ausfüllen.

In Verbindung mit dieser Arbeit steht eine Vertiefung des Verständnisses der Funktionsweise und Aufgaben der Kommunistischen Jugendorganisation auf Grundlage der Erfahrungen der internationalen Kommunistischen Bewegung, insbesondere der Kommunistischen Jugendinternationale an.

Der Kongress hat zudem eine Vertiefung der Schularbeit der Jugendorganisation beschlossen. Dazu sollen die bisherigen Erfahrungen ausgewertet und konkrete Entwicklungsziele für die jeweiligen Regionen festgelegt werden.

AgitProp & Massenarbeit

Für den Bereich der Agitation und Propaganda und der Massenarbeit hat der Kongress eine umfassende Auswertung und Analyse des bisherigen Standes mit allen Stärken und Schwächen beschlossen. Im Anschluss an diese Auswertungsarbeit sollen der gesamte Bereich der Agitation und Propaganda und die verschiedenen Ebenen der Massenarbeit gezielt weiterentwickelt, professionalisiert und vertieft werden.

Auch diese Aufgaben ergeben sich aus dem qualitativen und quantitativen Wachstum der Organisation in der vergangenen Periode. Sie sind zudem die Voraussetzung dafür, dass die Organisation mit ihren Positionen und ihrer Arbeit in immer weitere Teile der Arbeiter:innenklasse vorstoßen, in diesen Gehör finden und sich in diesen verankern kann.

Politische Resolutionen

Der Kongress hat neben weiteren Beschlüssen und Diskussionen, die an dieser Stelle nicht veröffentlicht werden, zudem vier politische Resolutionen diskutiert und beschlossen, welche die Ausrichtung der Arbeit für die kommende Zeit zusammenfassen.

Die Resolution mit dem Titel „Die aktuelle Lage und unsere Aufgaben“ legt dabei unsere Ansichten und Analysen zur aktuellen politischen Lage in Deutschland und der Welt kurz dar und benennt unsere aktuellen Aufgaben im Klassenkampf.

Die Resolution über das Thema „Die Bolschewisierung als notwendige Grundlage des Parteiaufbaus“ fasst unsere Positionen zu den größten Herausforderungen im Parteiaufbau heute in Deutschland zusammen. Als Voraussetzung für weitere Schritte im Parteiaufbau heben wir hier die Einheit der Organisation, Berufsrevolutionär:innen als Rückgrat der Organisation und die Schaffung einer kommunistischen Arbeitsweise hervor.

Die Resolution „Die Potentiale des wissenschaftlichen Sozialismus im Kampf für den Parteiaufbau nutzen“ unterstreicht die Bedeutung der ideologischen und theoretischen Arbeit als Fundament für eine korrekte kommunistische Arbeit. Dabei betonen wir, dass die ideologische Arbeit auf der einen Seite eine Aufgabe der gesamten Organisation und auf der anderen Seite auch ein Teil der Massenarbeit sein muss.

In der vierten Resolution mit der Überschrift „Kämpfen wir für revolutionäre Solidarität und marxistisch-leninistische Einheit auf allen Ebenen!“ gehen wir auf die Aufgaben unserer Organisation ein, die wir in der Arbeit mit allen Revolutionär:innen und Kommunist:innen außerhalb unserer Organisation auf nationaler und internationaler Ebene sehen.

Wir hoffen, dass die Ergebnisse unserer kollektiven Anstrengungen euch, liebe Leser:innen in eurer eigenen revolutionären Arbeit unterstützen und euch motivieren, bestehende Grenzen zu springen.

Die EU ist ein Gebilde der Imperialisten!

Sie ist ein Instrument der Ausbeutung, Besatzung und Unterdrückung von Arbeiter:innen und Völkern!

Sie ist eine Bastion von Rassismus und Krieg!

Gemeinsame Erklärung Kommunistischer Organisationen zur Europawahl

Der Weg der Arbeiter:innen und Völker führt raus aus dem Europäischen Parlament und raus aus der EU! Keine Teilnahme an den Europawahlen!

Die Wahlen für das Europäische Parlament im Mai und Juni diesen Jahres fallen in eine Zeit vielfältiger Angriffe auf verschiedenen Ebenen auf die Rechte der Völker Europas. Sie finden außerdem in einer Zeit des Krieges und blutiger Konflikte auf dem europäischen Kontinent statt.

In den vergangenen Jahren haben die vorherrschenden imperialistischen Mächte in der Europäischen Union die Ausbeutung und Ausplünderung der Völker und Arbeiter:innen in allen Ländern Europas gefestigt und vertieft. Sie haben drakonische Sparmaßnahmen eingeführt, die Ausbeutung der armen und mittleren gesellschaftlichen Schichten wurden mit Gehaltskürzungen und dem Angriff auf ihre Arbeitsrechte intensiviert und die Bäuer:innen wurden in Form einer „Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik“ angegriffen. Die Jugend stand weiterhin im Zentrum der Angriffe der Herrschenden im Bezug auf das Bildungswesen und ihre Arbeitssituation. Die „Bologna-Richtlinien“ an den Universitäten haben die Studienbedingungen nicht nur nicht verbessert, sondern sogar massiv verschlechtert und viele Jugendliche gezwungen, diesen Ausbildungsweg aufzugeben. Insgesamt hat die EU zu einem heftigen Schlag gegen Arbeiterjugendliche, arme Jugendliche, Menschen am Rande der Armut, Migrant:innen und alle anderen „Bürger:innen zweiter Klasse“ ausgeholt. Einerseits wurden diese Einschränkungen durch Austeritätspolitik und Sparmaßnahmen vielerorts letztlich hingenommen, gleichzeitig wurde immer bewusster, dass es im herrschenden System keine dauerhaften demokratischen Rechte für diese Teile der Gesellschaft gibt.

Erneut hat sich in den letzten Jahren bestätigt, dass die EU ungerechte Kriege unterstützt und an ihnen direkt beteiligt ist. Sie ist eine der Hauptverantwortlichen für das Schlachten der Völker. Der ungerechte Krieg in der Ukraine trägt, abgesehen vom Stempel des russischen und US-amerikanischen Imperialismus. auch den Stempel der EU und ihrer systematischen Förderung faschistischer Gruppen in diesem Land. Das ukrainische Volk hat natürlich das Recht, sich gegen jede Invasion zur Wehr zu setzen und für die eigene Unabhängigkeit zu kämpfen. Jedoch kann dieses Recht nicht durch die reaktionäre Selenskij-Regierung und die ukrainische herrschende Klasse verwirklicht werden, und erst recht nicht durch die US-NATO- und EU-Imperialisten.

Zugleich wird die anhaltende ethnische Säuberung in Palästina durch die Kräfte der Europäischen Union unterstützt. Zentral ist, dass die EU-Länder vorrangig jeden Versuch der Solidarität mit dem palästinensischen Volk unterdrücken. Die Entscheidung des Europäischen Parlaments, mit überwältigender Mehrheit Israels Recht auf Selbstverteidigung anzuerkennen, während in Gaza ein lang anhaltendes Massaker an einem Volk stattfindet, das seit Jahren unter der Besatzung des faschistischen Staates Israel lebt, ist ein offensichtliches Beispiel dafür, wie ausgehöhlt die Begriffe Demokratie und Humantität in der EU sind. Es ist klar, dass Solidarität mit dem palästinensischen Volk und dem Freiheitskampf in Palästina bedeutet, gegen die kriegstreiberische EU zu kämpfen und auch ihren Wahlen fernzubleiben.

Die extrem rassistische Politik sowie der Aufstieg rechtsextremer Parteien in den Ländern der Europäischen Union und im Europäischen Parlament werden von den reaktionären, rassistischen und antikommunistischen Kräften des Systems unterstützt. Im Angesicht dessen fordern wir die politische, soziale und arbeitsrechtliche Gleichstellung aller Geflüchteten und Migrant:innen. Dies kann nur durch den gemeinsamen Kampf der Völker, der Migrant:innen und der Geflüchteten erreicht werden.

In der EU sind neue Kräfte entstanden und alte Kräfte gestärkt worden, die die extremsten Formen des Kapitalismus, der Ausbeutung und der sozialen, ethnischen, religiösen, kulturellen und geschlechtlichen Diskriminierung repräsentieren. Diese ganze ideologische und politische Offensive, die parallel zu den Angriffen auf die Rechte und Errungenschaften von Jahrzehnten verlaufen ist, war für die imperialistischen Bourgeoisien der EU notwendig. Ihr Zweck war es, die Arbeiter:innen und Unterdrückten ins Rampenlicht zu rücken und ihnen die Schuld an der anhaltenden Krise in die Schuhe zu schieben. Die rechtsextreme und faschistische Politik steht nicht im Widerspruch zur EU, ganz im Gegenteil: Sie ist ihr „Fleisch und Blut. Sie ist Ausdruck der Politik des kapitalistischen und imperialistischen Systems, die typisch für Zeiten ist, in denen es sich in Gefahr oder in Krisen befindet.

Auch der Ausbruch der Corona-Pandemie stellte zunächst ein Problem für den Produktionsprozess und das kapitalistische System als Ganzes dar, wurde dann jedoch als Gelegenheit für zusätzliche Angriffe und als Vorwand für zahlreiche Gesetze genutzt, die sich gegen die Arbeiter:innen und Völker richteten.

Der Mythos vom „Europa der Völker“, vom sozial-menschlichen Antlitz der Europäischen Union zerfällt in dieser Zeit sehr offen und sie zeigt ihr wahres Gesicht. Es ist das Gesicht des Krieges, der Ausbeutung und der Barbarei. Es ist das Gesicht des imperialistischen Kapitalismus, der nur an der Anhäufung seiner Profite und seiner politischen Überlegenheit über seine Gegner interessiert ist. Es ist für jeden, der es sehen will, offensichtlich, dass eine Handvoll imperialistischer Länder die EU regiert. Sie fördern die Ausbeutung alle anderen Völker und der Arbeiter:innenklasse durch ihre herrschenden Klassen . So pressen sie allen verbliebenen Reichtum aus den abhängigen Ländern heraus. Das ist die Realität der Europäischen Union. Eine Union, die von Widersprüchen und Gegensätzen beherrscht wird; eine Union, die zum Scheitern verurteilt ist.

Dieses morsche und ausbeuterische Gebilde stützt sich auf den Anschein von Demokratie, um seine Legitimität vor den Völkern zu bewahren. Das Europäische Parlament hat die Aufgabe, die Menschen zu verwirren und sie davon zu überzeugen, dass die EU verändert und in ihrem Interesse reformiert werden könnte. Aber die Wahrheit ist, dass das Europäische Parlament eine Marionette ohne sinnvolle und echte Funktionen ist, ein Spektakel, das inszeniert wird, um die Völker Europas zu täuschen und sie von ihrem Kampf abzulenken. Es ist ein „Gewächshaus“, in dem der Lobbyismus und andere Formen der Korruption gedeihen. Das Einzige, dem sich die sogenannten Europaabgeordneten verpflichtet fühlen, sind die „Geldsäcke, die sie von den Kapitalisten erhalten, um ihre Interessen innerhalb und außerhalb der EU durchzusetzen.

Wir unterstützen die Kämpfe der Völker und Arbeiter:innen. Das sind die Kämpfe, auf die die Regierungen der EU-Länder einprügeln und die sie verunglimpfen. Wir unterstützen die Streiks, die in Frankreich für das Recht der Menschen auf eine Rente ausgebrochen sind, mit der sie leben können; die Streiks der Arbeiter:innen im Transportwesen aus Deutschland und Spanien. Wir unterstützen die Kämpfe der Bauern und Bäuerinnen, wie kürzlich in Frankreich und Griechenland. Die Fortsetzung und der Weg zur Gerechtigkeit für die Kämpfe der Arbeiter:innen und Völker führt nicht über die Akzeptanz der elenden Illusionen über das Europäische Parlament und die EU. Die Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung ist zugleich die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die Arbeiter:innen und Völker Europas.

Der Weg der Völker liegt außerhalb des Europäischen Parlaments und richtet sich gegen die EU. Es muss ein Weg der Solidarität und der Geschwisterlichkeit sein. Nur so kann ein Leben mit grundlegenden Rechten im Kampf gegen Imperialismus und Ausbeutung erstritten werden. Ein solches Leben kann nur durch eine GEMEINSAME FRONT der Völker gegen dieses barbarische und reaktionäre Bündnis von Imperialisten und Kapitalisten errungen werden.

Wir alle, die wir dieses Dokument unterzeichnen, linke und kommunistische Organisationen, weigern uns, die Verherrlichung eines reaktionären imperialistischen Konstrukts mitzutragen. Wir weigern uns, uns an einem absurden und lächerlichen Prozess wie dem der Europawahlen zu beteiligen. Wir rufen dazu auf, den Europawahlen massenhaft fernzubleiben und kämpfen aktiv dafür, die Arbeiter:innenbewegung an die Spitze der Kämpfe zu bringen. Wir rufen die Völker Europas auf, nicht an den Europawahlen teilzunehmen, da sie eine Farce sind, und stattdessen aktiv im Kampf gegen die Politik der Europäischen Union zu werden. Wir rufen Demokrat:innen und fortschrittliche Menschen auf, der von der Europäischen Union unterstützten kriegstreiberischen Politik, die Krieg in unsere Nachbarschaft gebracht hat, ein Ende zu setzen. Wir kämpfen dafür, dass unsere Länder das Gebilde der EU verlassen. Wir unterstützen das Recht der Völker, für ihre Rechte zu kämpfen und für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Kriege zu kämpfen. Wir rufen dazu auf, die Europawahlen massenhaft zu boykottieren und sich ebenso massenhaft an den Kämpfen der Völker zu beteiligen!

NEIN ZUR EUROPÄISCHEN UNION DER KAPITALISTEN UND IMPERIALISTEN!

WAHLBOYKOTT BEI DER EUROPAWAHL!

NIEDER MIT DER ARBEITER:INNENFEINDLICHEN POLITIK DER AUSTERITÄT UND DER SOZIALEN BARBAREI!

FÜR EINE INTERNATIONALISTISCHE, ANTIIMPERIALISTISCHE KLASSENFRONT DER EUROPÄISCHEN ARBEITER:INNEN UND VÖLKER GEGEN KRIEG, RASSISMUS UND FASCHISMUS!

Unterzeichnende Organisationen:

KKE (ml) – Griechenland

Kommunistischer Aufbau – Deutschland

Trotz Alledem – Deutschlannd

Unité Communiste – Frankreich

OCML-VP – Frankreich

Revolutionäre Kommunisten (RK) – Norwegen

 

Veranstaltungsreihe: 10 Jahre Kommunistischer Aufbau – Aufbruch und neue Perspektiven

Der 1. Mai ist der wichtigste Kampftag unserer Klasse und hat in diesem Jahr für uns als Organisation eine ganz besondere Bedeutung. Denn an diesem Tag feiern wir unser 10-jähriges Jubiläum.

10 Jahre Entwicklung, Kampf und Schritte nach vorn. 10 Jahre Erfahrung, Stärken und Schwächen, die wir mit euch teilen und worüber wir mit euch diskutieren wollen. Wir wollen das Jubiläum jedoch nicht nur zum Anlass nehmen, um zurückzuschauen, sondern auch nach vorn zu blicken auf die kommenden Herausforderungen und Kämpfe, die noch zu führen sind. Deshalb laden wir euch ein zu einem Vortrag mit anschließender Diskussion:

  • Hamburg: 02.05. / 18:30 Uhr / Brigittenstr. 5
  • Leipzig: 03.05. / 18 Uhr / Georg-Schwarz-Straße 44
  • Wuppertal: 04.05. / 15 Uhr / Marienstraße 52
  • Köln: 04.05. / 15 Uhr / Homarstraße 64
  • Berlin: 06.05. / 18 Uhr / InterBüro
  • Freiburg: 10.05. / 18:30 Uhr / Glümerstraße 2
  • Frankfurt: 11.05. / 18:00 Uhr / Mainzer Landstraße 480
  • weitere Städte folgen…

Liberalismus

Rolle und Wirkung in der kommunistischen Arbeit

Der Liberalismus als bürgerlich-politische Philosophie und Ideologie geht in seiner klassischen Form auf die Philosophen der Aufklärung John Locke, Charles Montesquieu, Immanuel Kant und weitere zurück.

Neben für alle Staatsbürger-:innen geltenden bürgerlichen Rechten, unabhängig von Stand und Rang, welche die Überbleibsel von Feudalismus und Monarchie beseitigen sollten, umfasst ihre Ideologie vor allem eine Anbetung des Individuums, seiner individuellen Freiheit und der Konkurrenz, in der alle Individuen nach dem eigenen ökonomischen und privaten Erfolg streben. Der Liberalismus ist damit die passende Ideologie zur möglichst grenzenlosen Ausweitung der individuellen Interessen der Kapitalist:innen und Kleinbürger:innen, ohne auf moralische Einschränkungen Rücksicht nehmen zu müssen. Vielmehr wird die Selbstbereicherung und das Verfolgen eigener Vorteile geradezu zu einem moralischen Gebot.

Auch auf die Arbeiter:innen-klasse wirkt der Liberalismus sich schädlich aus und entwickelt sich zu einer scharfen Waffe der Konterrevolution, indem er das Denken, Fühlen und Handeln der Individuen unserer Klasse entscheidend beeinflusst. Die Überbetonung des Individuellen, im Gegensatz zu den gemeinsamen, die Individuen zu einem Kollektiv verbindenden Klasseninteressen, nutzt der Imperialismus dabei heute, um unsere Klasse zu spalten und die scheinbar individuellen und persönlichen Bedürfnisse, Gedanken und Handlungen vor die des Kollektivs zu stellen. So wird in den Gedanken und Gefühlen der Individuen ein scheinbar natürlicher und unüberbrückbarer Widerspruch kreiert.1

Jede Abgabe der individuellen Entscheidungsfreiheit beziehungsweise jede Einordnung in ein festes Kollektiv, selbst wenn diese freiwillig erfolgen, werden seit Jahrzehnten mit Theorien wie der Totalitarismustheorie und den Schlagwörtern des Extremismus angegriffen und durch den Liberalismus verteufelt.

Die freie und bewusste Entscheidung des Individuums, als Teil eines organisierten Kollektivs zu leben und zu kämpfen, wie sie auch heute schon kommunistische Kader:innen treffen, ist also – wenig überraschend – aus Sicht des Liberalismus ein regelrechter Albtraum. Sie wird zur absoluten Unfreiheit umgedeutet.

Ganz allgemein schafft der Liberalismus ein ideologisches Gedankengebäude, das dem Individuum vorgaukelt, sich frei von jeglichen Begrenzungen und den Interessen und Bedürfnissen anderer entfalten zu können, wenn es nur sich selbst und den eigenen Erfolg in den Mittelpunkt stellt.

Was aber hat der Liberalismus als bedeutender Teil der heute verbreiteten bürgerlichen Ideologien mit der kommunistischen Arbeit zu tun? Ist es nicht offensichtlich, dass wir als Kommunist:innen dieses Gedankengebilde konsequent ablehnen und bekämpfen müssen? Sicherlich, ja. Die Anbetung des Individuums und der Versuch, das Individuum von der Gesellschaft loszureißen und es über die Gesellschaft zu stellen, ist nicht haltbar. Gerade für die Arbeiter:innen bleiben die kapitalistischen Verhältnisse einr schier unüberwindbare Hürde für die freie Entfaltung ihrer Potenziale und Persönlichkeit. Freiheit ist für die Arbeiter:innenklasse nicht individuell, sondern nur als Klasse erreichbar.

Doch wie bei anderen Erscheinungsformen der bürgerlichen Ideologie ist es mit dieser Erkenntnis keinesfalls getan. Vielmehr ist der Liberalismus gerade in einem Land wie Deutschland so tief in der Gesellschaft verwurzelt, dass er auch die Persönlichkeiten von uns Kommunist:innen stark prägt.

Besondere Schwierigkeiten entstehen hierbei, weil der Liberalismus in den Reihen der Kommunist:innen in der Regel nicht in seiner „Reinform“ auftritt, wie er in der Epoche der Aufklärung philosophisch entwickelt wurde, und in der Regel auch nicht in seiner typisch individualistischen Erscheinungsform, die das gesellschaftliche Zusammenleben im imperialistischen Deutschland heute so stark prägt.

Der Liberalismus reproduziert sich unter den Kommunist:innen und in den Persönlichkeiten der Kommunist:innen vielmehr in spezifischen Formen, die gewissermaßen an ihre Umgangsformen und Arbeitsweise angepasst sind. Das macht sie insbesondere bei sich selbst schwerer zu entdecken und deshalb auch zu einem ernsthaften Problem für die kommunistische Arbeit. Der besondere Liberalismus in unseren Reihen muss also bewusst offengelegt und bekämpft werden. Daher stehen auch diese besonderen Erscheinungsformen des Liberalismus in unseren eigenen Reihen im Zentrum dieses Artikels.

Im Folgenden wollen wir uns die Auswirkungen des Liberalismus auf die kommunistische Arbeit in ihren verschiedenen Bereichen ansehen und aufzeigen, welche verheerenden Auswirkungen der Liberalismus auf die verschiedenen Ebenen des Lebens, Arbeitens und Kämpfens revolutionärer Individuen und Kollektive haben kann, wenn er nicht dauerhaft bekämpft wird.

Der Liberalismus in den Reihen der Kommunist:innen taucht in zahlreichen Varianten auf. Ihnen allen gemein ist, dass sie Spielarten des Opportunismus in den Reihen der Kommunist:innen sind.2 Wir wollen hier auf einige grundlegende und typische Formen eingehen, die in der politischen Arbeit von Revolutionär:innen und kommunistischen Organisationen von besonderer praktischer Bedeutung sind. Dieser Text ist nicht als abschließende oder gar vollständige Analyse des Themas gedacht. Vielmehr soll er als ein praktisches Mittel zur Aufdeckung von aus dem bürgerlichen Liberalismus einsickernden Ideen, Herangehensweisen und Gefühlen im revolutionären Kollektiv und jedem einzelnen kommunistischen Individuum dienen.

Politischer und ideologischer Liberalismus

Der Liberalismus führt auf dem Gebiet der Politik und Ideologie zu einer Verwässerung und Verfälschung der marxistisch-leninistischen Theorie und ihrer Praxis. Er führt, wenn er sich ungehindert ausbreiten kann, zu einer Beliebigkeit, die letztlich alle Grundsätze revolutionärer Politik angreift und dauerhaft in Frage stellt.

Die ideologische Beliebigkeit befeuert dabei das Entstehen unterschiedlicher politischer Linien. Folge davon ist ein uneinheitliches Auftreten der Organisation nach außen, das Verlieren von Schlagkraft und Aussagekraft, und somit unweigerlich auch der Rückgang des politischen und ideologischen Einflusses der Organisation auf die Teile der Klasse, die sie erreicht, auf ihr Umfeld und die eigenen Mitglieder.

Das Eindringen von Elementen des Liberalismus in die Politik und Ideologie der Organisation führt dazu, dass dort mehr und mehr auf den ideologischen Kampf verzichtet wird und ein prinzipienloser Friede mit allen möglichen bürgerlichen Ideen und Theorien geschlossen wird. Typischerweise werden diese bürgerlichen Ideen dann in einem nächsten Schritt in die ideologische und politische Linie „integriert“. Es ist klar, dass solch eine Entwicklung auf Dauer nicht nur zu einem ideologischen und politischen Verfall führen muss. Auch die organisatorischen Grundsätze einer kommunistischen Organisation wie der Demokratische Zentralismus und ein Mindestmaß an Disziplin werden durch den Liberalismus untergraben und sind nicht mit ihm vereinbar.

Doch was heißt das nun für die politische Praxis? Müssen wir nun den politischen und ideologischen Kampf in unseren Reihen umso schärfer führen, um uns auf keinen Fall des Liberalismus schuldig zu machen? Müssen wir überall und zu jeder Zeit, an jedem Ort nach vermeintlichen Abweichungen in der Organisation suchen, um diese auszumerzen?

Kampf und Einheit

Der ideologische und politische Meinungskampf muss tatsächlich dauerhaft in der Organisation geführt und organisiert werden. Um die Weiterentwicklung des kommunistischen Kollektivs zu ermöglichen, ist es notwendig, dass alle organisierten Kommunist:innen dies als ihre Aufgabe betrachten. Es gilt, alle Genoss:innen zum selbstständigen Denken zu ermutigen, sogar sie dazu zu erziehen. Jede Tendenz, den politischen und ideologischen Kampf als eine Spezialaufgabe für einen kleinen, auserlesenen Kreis von Genoss:innen zu betrachten, trägt bereits den Keim aller oben genannten Zerfallserscheinungen in sich.

Jedoch ist es wichtig zu betonen, dass wir als Kommunist:innen den aktiven ideologischen Kampf nicht als Selbstzweck betreiben, sondern immer mit dem Ziel, die Einheit innerhalb der revolutionären Organisation und letztlich innerhalb unserer Klasse zu erreichen. Dass der dauerhafte Meinungskampf an dieses Ziel gebunden ist, hat auch Folgen für die Form, in der wir ihn austragen. Gelingt es nicht, diese richtige Form des Kampfes zu finden, dann verkehrt sich der ideologische Kampf um die richtige Linie und die Einheit der Organisation in sein Gegenteil. Dann führt er uns langfristig weg von diesem Ziel und letztlich zur Desorganisation und Zersplitterung.

Hier sollen nur kurz stichpunktartig einige typische Wege erwähnt werden, mit denen die genossenschaftliche Diskussion und Kritik aus einem ständigen Motor für die ideologische und politische Weiterentwicklung einer Organisation in ihr Gegenteil verwandelt werden kann: Nur mit Genoss:innen diskutieren, die einem sowieso zustimmen; ständige Kritik an anderen, ohne eigene Veränderungsbereitschaft; systematisches Äußern von Kritiken außerhalb der dafür vorgesehenen Gremien und Wege; das ständige erneute Vorbringen gleicher Kritiken, auch wenn ein kollektiver Beschluss getroffen wurde. Das Fraktionswesen ist der logische Gipfel dieser kurzen Aufzählung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine falsche Art und Weise des ideologischen und politischen Kampfes zu denselben schädlichen Ergebnissen führt, wie wenn dieser Kampf gar nicht geführt werden würde: Dem Zerfall der Organisation der Kommunist:innen zu einem in zahlreichen Debatten verwickelten, und gerade deswegen zum effektiven Kampf ganz und gar unfähigen Haufen verschiedener Strömungen und Tendenzen.

Nur dann, wenn wir den politischen und ideologischen Kampf innerhalb der Organisation im Rahmen der grundlegenden Prinzipien des Demokratischen Zentralismus führen, wird er zur Stärkung der Organisation und ihres politischen Kampfes führen. Nur dann wird er die Einheit und Schlagkraft der Organisation erhöhen und die Entwicklung verschiedener politischer Linien verhindern.

Momente, in denen dieser Kampf von allen Kommunist:innen mit besonderer Intensität und Aufmerksamkeit geführt werden muss, sind etwa die Kongresse einer kommunistischen Organisation, bei denen die vergangene Entwicklung und Politik der Organisation kritisch ausgewertet wird. Auch wird darauf aufbauend die Organisation auf die vor ihr stehenden politischen, ideologischen sowie organisatorischen Aufgaben und Herausforderungen ausgerichtet. Doch auch zwischen den Kongressen ist es natürlich die Aufgabe aller organisierten Kommunist:innen, die Entwicklung und Linie der Organisation zu kritisieren und mitzugestalten.

Der politische und ideologische Liberalismus in der Massenarbeit

Doch der ideologische und politische Kampf um die Durchsetzung der richtigen politischen Linie muss nicht nur oder hauptsächlich innerhalb der kommunistischen Organisation geführt werden, sondern es ist die Aufgabe aller Kommunist:innen diesen Kampf überall dort zu führen, wo sie mit unserer Klasse in Berührung kommen.

Diskussionen über unsere ideologische Linie und ihre Konkretisierung in der politischen Linie werden unter den organisierten Genoss:innen nach einiger Zeit im Leben eines organisierten Kollektivs mit einer gewissen Selbstverständlichkeit und Routine betrieben. Häufig ist jedoch genau davon im privaten Umfeld, auf der Arbeit, im Freundeskreis und der Familie so gut wie nichts zu spüren. Auch und insbesondere hier macht sich der schädliche Einfluss des Liberalismus breit und es bilden sich bürgerliche Rückzugsräume, in denen die oder der einzelne einfach mal „mit dem Strom“ schwimmt und sich der ideologischen Umzingelung durch die bürgerliche Ideologie hingibt.

Es erübrigt sich wohl zu sagen, dass solch ein Zustand auf Dauer nicht hinnehmbar ist. Mag es für das Individuum auf den ersten Blick doch der vermeintlich einfachere Weg sein, sich im Umgang mit Nicht-Kommunist:innen „liberal“ zu verhalten und die eigene Meinung und Identität zu verbergen, so zeigt sich schon auf den zweiten Blick, dass dies ein Trugschluss ist.

Auf der einen Seite kann durch solch ein Verhalten die ideologische Umzingelung nie gebrochen und der kommunistische Einfluss auf immer größere Teile unserer Klasse nicht ausgebaut werden, sondern man bleibt in den eigenen, noch viel zu engen, „revolutionären Kreisen“ verhaftet. Auf der anderen Seite ist diese Trennung in einen vermeintlich politischen und einen privaten Teil des Lebens eine massive Belastung für das Denken, Fühlen und Handeln des revolutionären Individuums. Dieser Umstand muss, wenn er nicht gelöst wird, zu einem Hindernis der Entwicklung des revolutionären Bewusstseins und damit auch der Kader:innen und Persönlichkeitsentwicklung werden. Zu diesem Punkt werden wir weiter unten noch einmal ausführlicher zurückkommen.

Der Kampf gegen den Liberalismus und für die Durchsetzung der politischen und ideologischen Linie der Organisation darf gerade in der politischen Praxis aber eben nicht so verstanden werden, dass er in ein dogmatisches und sektiererisches Verhalten umschlägt. Es kann uns dabei nicht darum gehen, stumpf auf Beschlüssen und Positionen zu beharren, sondern es gilt, diese zu erklären, zu verallgemeinern und entsprechend der jeweiligen Situation anzuwenden.

Gerade in der Bündnis- und Massenarbeit ist es dabei die Aufgabe aller Kommunist:innen und Kollektive, eine differenzierte Agitation und Propaganda zu entwickeln, die eine taktische Flexibilität bei der Wahl der Ansatz- und Schwerpunkte der Argumentation je nach konkreter Situation zeigt, ohne dabei opportunistisch die eigenen ideologischen und politischen Positionen aufzugeben oder zu verschweigen.

Organisatorischer Liberalismus

Nachdem wir uns einige Beispiele des politischen und ideologischen Liberalismus angeschaut haben, wollen wir nun einige Auswirkungen des Liberalismus auf die Organisation und ihre Funktionalität betrachten.

Dabei muss betont werden, dass organisatorischer beziehungsweise politischer und ideologischer Liberalismus niemals als getrennte Phänomene begriffen werden dürfen, schon alleine weil sie in letzter Konsequenz nicht getrennt voneinander existieren. Jeder organisatorische Liberalismus ist immer auch ein ideologisches Problem und die Missachtung der organisatorischen Prinzipien führt in der oben skizzierten Weise zum Zerfall der ideologisch-politischen Einheit jeder Organisation.

Aber aus anhaltender politischer und ideologischer Beliebigkeit muss sich gesetzmäßig auch ein Aufweichen der Organisationsdisziplin und letztlich ein organisatorischer Bruch entwickeln, spätestens wenn sich der Klassenkampf verschärft. Stalin hat diesen Zusammenhang in einem seiner bekanntesten Texte an prominenter Stelle formuliert:

Die eiserne Disziplin in der Partei aber ist undenkbar ohne die Einheit des Willens, ohne die völlige und unbedingte Einheit des Handelns aller Parteimitglieder. Das bedeutet natürlich nicht, dass dadurch die Möglichkeit eines Meinungskampfes in der Partei ausgeschlossen wird. Im Gegenteil, die eiserne Disziplin schließt Kritik und Meinungskampf in der Partei nicht nur nicht aus, sondern setzt sie vielmehr voraus. Das bedeutet erst recht nicht, dass die Disziplin „blind“ sein soll. Im Gegenteil, die eiserne Disziplin schließt Bewusstheit und Freiwilligkeit der Unterordnung nicht aus, sondern setzt sie vielmehr voraus, denn nur eine bewusste Disziplin kann eine wirklich eiserne Disziplin sein.“ 3

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Jeder Liberalismus in der Organisation ist mit den Prinzipien der kommunistischen Partei unvereinbar. Während sich die politischen und ideologischen Formen des Liberalismus durch Nachsicht gegenüber bürgerlichen Ideen in allen Schattierungen auszeichnen, steht beim organisatorischen Liberalismus die Nachsicht gegenüber der Disziplinlosigkeit, dem Individualismus und der Nachlässigkeit bei der Durchführung der kollektiv getroffenen Beschlüsse im Vordergrund.

Organisatorischer Liberalismus führt letzten Endes wie das Durchtrennen des Rückenmarks zum Ende eines agilen und schlagkräftigen Organisationsgerüstes. Er lähmt nicht nur die Reaktionsfähigkeit, stört die Einheit und Geschlossenheit, sondern untergräbt auch jede revolutionäre Disziplin, die für das Funktionieren einer kommunistischen Organisation unerlässlich ist.

Hierfür könnten selbst aus den heute überaus begrenzten Erfahrungen der kommunistischen Bewegung in Deutschland so viele Beispiele gegeben werden, dass sie den hier gegebenen Rahmen hoffnungslos sprengen würden. Die Themen Organisatorische Sicherheit, Beschlusskontrolle, Kampf für die Umsetzung von Beschlüssen und Anwendung von Kritik und Selbstkritik im Folgenden stehen deshalb explizit nur stellvertretend für das Phänomen als Ganzes.

Organisatorische Sicherheit und der Kampf für die Einhaltung von Beschlüssen

Dort wo der Liberalismus sich auf die Fragen der Sicherheit und der sicheren Arbeitsweise auswirkt, kann der Kampf gegen ihn über die gesamte Existenz der Organisation entscheiden und eine wohl kaum zu überschätzende Rolle einnehmen. Dabei wird der anhaltende Liberalismus in der sicheren Arbeitsweise dadurch begünstigt, dass er kurzfristig oft keine spürbaren Auswirkungen oder Repressionen nach sich zieht. Die Genoss:innen wähnen sich in Sicherheit, auch wenn sie aus Bequemlichkeit oder mangelndem Feindbewusstsein die Regeln der sicheren Arbeit ignorieren.4 Dadurch wird die Ausweitung und Gewöhnung an dieses falsche Verhalten begünstigt und gleichzeitig die Disziplin in der Organisation untergraben.

Oftmals erst Wochen, Monate oder Jahre später nutzt der Klassenfeind dieses Verhalten aus, um die Organisation oder einzelne Genoss:innen anzugreifen. Doch dann ist es längst zu spät, um den Schaden, der durch das liberalistische Verhalten hervorgerufen wurde, zu beheben. Den Preis dafür müssen dann die Organisation als Ganzes und einzelne Genoss:innen im Besonderen tragen. Aus diesen Gründen ist jedes Aufkommen von Liberalismus in Fragen der Sicherheit mit allen Mitteln zu verhindern und zu bekämpfen. Eine besondere Sensibilisierung und der Kampf für die Schaffung eines ausgeprägten Feindbewusstseins gehört zu den wichtigsten Aufgaben jeder Organisation, die sich ernsthaft zum Ziel gesetzt hat, dem deutschen Imperialismus ein Ende zu bereiten.

Auch beim Umgang mit Beschlüssen der Organisation kennen wir die Erscheinungen des Liberalismus nur allzu gut. Oft haben wir es in unserer politischen Praxis erlebt, dass in einem Organ ein Beschluss getroffen oder Genoss:innen eine Aufgabe übergeben wurde und diese nicht erfüllt wurden. Wie gehen wir damit um? Hinterfragen wir tatsächlich kritisch, warum der Beschluss nicht erfüllt wurde? Oder scheuen wir uns, deutlich Kritik zu üben, weil wir selbst mit der Erfüllung unserer eigenen Aufgaben unzufrieden sind? Diskutieren wir, was sich verändern muss, damit der Beschluss beim nächsten Treffen ganz sicher erfüllt ist?

Vielleicht wird die eine oder der andere jetzt empört erwidern, dass es immerhin auch berechtigte Gründe für das Nichterfüllen eines Beschlusses geben kann. Mag sein. Aber seien wir ehrlich zu uns selbst. Alle Erfahrung zeigt doch gerade, dass wenn derartige objektive Gründe für das Nichterfüllen eines Beschlusses vorliegen, diese bei der Beschlusskontrolle von ganz alleine und in großer Ausführlichkeit dargelegt werden. Aber gerade in den unzähligen Fällen, wo die Aufgabe, um die es geht, nur mit einem einsilbigen „Ist in Arbeit.“ oder „Habe ich nicht geschafft.“ kommentiert wird, ist es dringend notwendig, den eigenen Liberalismus niederzuringen und genau nachzufragen, was hinter diesen Aussagen steht. Anders können wir uns selbst nicht zu einer dauerhaften, disziplinierten Arbeitsweise erziehen.

Ein anderes Beispiel: Immer wieder werden Treffen in der politischen Arbeit abgesagt, fallen aus oder werden erst viel zu spät durchgeführt. Wie ist unsere Haltung dazu? Tun wir alles, um das Ausfallen solcher Treffen zu verhindern? Oder freuen wir uns insgeheim, weil uns die Absage einer anderen Genoss:in eine kleine Verschnaufpause im politischen Alltag, den wir sowieso als total überladen empfinden, verschafft? Wird dadurch die Fehlplanung nicht Stück für Stück zu einem Prinzip unserer Arbeit und ein zugesagter Termin in den Augen aller Beteiligten tendenziell zu einer vagen Verabredung?

Die Aufzählung könnte beliebig fortgesetzt werden: Fristen werden versäumt, nicht geschaffte Arbeiten immer weiter verschoben oder auf den letzten Drücker gemacht, Beschlüsse und Ausrichtungen übergeordneter Organe werden vergessen beziehungsweise übergangen oder entsprechend den eigenen individuellen Ansichten „missverstanden“ und umgedeutet. Oder die Mobilisierungs- und Kontaktarbeit wird auf den digitalen Raum begrenzt. Können wir mit dieser Arbeitsweise zufrieden sein?

All diese Beispiele zeigen eine Gemeinsamkeit: Sie sind eine Abkehr von der kommunistischen Arbeitsweise und stehen in direktem Widerspruch zu dieser. Sie können sich nur in das Organisationsleben einschleichen und sich ausbreiten, wenn wir bei uns und anderen eine liberale Haltung zur Arbeitsweise und dem Organisationsleben zulassen. Die Verantwortung für den Kampf gegen diesen organisatorischen Liberalismus kommt jedem organisierten Individuum und jedem Organ der kommunistischen Organisation zu.

Der Kampf um die dauerhafte Aneignung und Höherentwicklung einer kommunistischen Arbeitsweise bildet im Rahmen der Bolschewisierung die notwendige Grundlage, auf der die Aufgabe des Parteiaufbaus erfolgreich angegangen werden kann.5 Überall dort, wo es keinen Kampf darum gibt, dass die Arbeitsweise dieses oder jenes Organs, dieser oder jener Genoss:in revolutioniert und dauerhaft einer kommunistischen Arbeitsweise entspricht, wird das die Entwicklung dieser Genoss:innen, dieser Organe und letztlich der ganzen Organisation hemmen und zurückwerfen. Im schlimmsten Fall führt das Fehlen einer kommunistischen Arbeitsweise dazu, dass die betroffenen Genoss:innen und Organe mit ihrer liberalen Arbeitsweise das normale Funktionieren des Organisationsmechanismus sogar weitgehend beeinträchtigen.

Eine typische Reaktion auf die revolutionäre Kritik an der liberalen Arbeitsweise ist ein bürgerlicher Defätismus, der die Verantwortung von sich selbst abschiebt und eine Änderung der Arbeitsweise von vorne herein für unmöglich erklärt oder das Problem gar nicht erst in der Arbeitsweise erkennt. Vielmehr sei das allgemeine Arbeitspensum, zu viele Termine oder andere Genoss:innen/Organe Schuld an den Problemen und negativen Ergebnissen der Arbeit, der fehlerhaften oder halbherzigen Umsetzung beziehungsweise dem Liegenbleiben von Aufgaben.

Solch ein Abschieben und Verneinen von eigener Verantwortung für die Ergebnisse der eigenen Arbeit beziehungsweise Arbeitsweise sind letztlich identisch damit, einen ganz persönlichen Frieden mit dem organisatorischen Liberalismus und davon ausgehend auch mit den eigenen bürgerlichen Eigenschaften zu schließen.

Beim Kampf gegen den Liberalismus in der Arbeitsweise müssen sich alle Genoss:innen eines Organs die selbstkritische Frage stellen, welchen Anteil ihr Liberalismus mit sich selbst und den anderen Genoss:innen im Organ an der Entstehung einer solchen opportunistischen Arbeitsweise hat. Ein liberaler Umgang mit den eigenen Fehlern, Versäumnissen und nicht erfüllten Aufgaben führt dabei auch zu einem liberalen Umgang mit den Fehlern anderer Genoss:innen. Es entwickelt sich ein nicht ausgesprochenes, aber für die revolutionäre Atmosphäre und Arbeitsweise verheerendes Quid pro quo („Eine Hand wäscht die andere“), indem man gegenseitig die eigenen Fehler und die der anderen stillschweigend akzeptiert oder sogar versucht zu rechtfertigen.

Setzt sich dieser Liberalismus in der Arbeitsweise über längere Zeit durch, zersetzt er nach und nach die allgemeine Disziplin und die Funktion des Demokratischen Zentralismus im eigenen Organ oder der gesamten Organisation. Beschlüsse des eigenen Organs oder übergeordneter Organe werden dann mit der Zeit nicht mehr als verbindlich betrachtet. Der Kampf darum, diese im bestmöglichen Sinne umzusetzen, kommt zum Erliegen; ebenso wie die Diskussion darüber, welche zusätzlichen Kräfte mobilisiert werden können, um Beschlüsse trotz auftretender Schwierigkeiten umzusetzen. An die Stelle dieser kommunistischen Herangehensweise tritt dann eine ihr direkt entgegengesetzte: Die Diskussion darüber, ob die Umsetzung des Beschlusses überhaupt möglich ist oder wie man den Beschluss so verändern, so umdeuten kann, dass er möglichst wenig Aufwand bedeutet oder die Umsetzung auf die ferne Zukunft vertagt wird.

Handelt es sich bei diesen Beispielen um Einzelfälle? Um bewusste Überspitzungen, um ein Problem zu veranschaulichen? Es ist zu befürchten, dass die meisten Leser:innen, die kommunistisch organisiert sind, beim Lesen dieser Zeilen mehr als eine Situation wiedererkennen, die sie aus ihrem eigenen politischen Alltag nur zu gut kennen.

Liberalismus bei der Anwendung von Kritik und Selbstkritik

Auch in der Anwendung von Kritik und Selbstkritik zwischen Genoss:innen können wir das Phänomen des Liberalismus beobachten. Die Anwendung von Kritik und Selbstkritik ist eine der wichtigsten Waffen der Kommunist:innen, um sich ständig weiterzuentwickeln und den stetig wachsenden Erfordernissen des Klassenkampfes gerecht zu werden. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass von bürgerlichen Antikommunist:innen gerade diese Methode oft als „sektenhaftes Ritual“ oder ähnliches dargestellt wird.

Dieser Vergleich ist zwar an den Haaren herbeigezogen, jedoch ist die Gefahr real, dass die Kritik und Selbstkritik tatsächlich zu einer Karikatur ihrer selbst, zu einem hohlen Ritual oder Schauspiel verkommt. Wie das?

Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn die Kritik und Selbstkritik zwischen den Genoss:innen nicht ernsthaft, ehrlich und im Rahmen von gewissenhafter Vorbereitung geleistet wird; stets verbunden mit dem revolutionären Drang danach, sich selbst und die Genoss:innen, das Bewusstsein und die Persönlichkeit zu entwickeln.

Dies zeigt sich dann darin, dass Kritiken zu sich ständig wiederholenden, allgemeinen Floskeln werden, die keinen konkreten Inhalt mehr haben und dadurch auch nicht die Entwicklung von Genoss:innen real beeinflussen können. Dasselbe Ergebnis können wir bei „formellen“ oder „präventiven“ Selbstkritiken sehen.

Mit formellen Selbstkritiken meinen wir hierbei Selbstkritiken, die in regelmäßigen Abständen geleistet werden, aber nicht mehr mit dem ernsthaften Willen verbunden sind, die eigenen Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu verändern.

Präventive Selbstkritiken erinnern im schlimmsten Fall eher an religiöse Selbstkasteiung, anstatt eine dialektischen Analyse der eigenen Schwächen und Notwendigkeiten der Selbstveränderung zu leisten. Der bewusst oder unbewusst dadurch hervorgerufene Effekt ist nur allzu oft, dass sich die Genoss:innen darauf konzentrieren, das Selbstbewusstsein wieder aufzubauen, vorhandene Stärken zu betonen oder sogar besonders drastisch formulierte Selbstkritiken zu relativieren.

Beides sind letztlich unterschiedliche Formen einer liberalen Herangehensweise, die eine ehrliche und tiefgreifende Kritik und Selbstkritik und damit notwendige Schritte in der Bewusstseins- und Persönlichkeitsveränderung blockieren.

Auch in unseren Maßstäben, an denen wir Genoss:innen und ihre Arbeit messen, kann sich ein liberaler Umgang einschleichen. Ein häufiges Beispiel dafür ist, dass wir uns von Sympathien und Antipathien gegenüber Genoss:innen leiten lassen. Hierbei muss auch gleich die erste Frage lauten:

Welche Haltung nehmen wir denn überhaupt zu bestehenden Antipathien oder sogar Misstrauen ein? Nehmen wir sie zum Beispiel hin oder wenden uns schulterzuckend ab und sagen uns innerlich, „Wir kommen eben nicht gut miteinander aus.“? Schon hier beginnt der Liberalismus, also die Aussöhnung mit den eigenen Schwächen als Kollektiv und Individuum. Denn gerade derart belastete Beziehungen sind ein bedeutender Schwachpunkt unserer Kollektive, es sind mögliche Ausgangspunkte für Spaltung, moralische Krisen und Eingriffe der Konterrevolution. Als solche müssen wir sie bewerten und dementsprechend bewusst daran arbeiten, gerade die für uns unangenehmsten Beziehungen zu Genoss:innen zu revolutionieren.

Andersherum ist es sicherlich positiv, wenn unter Genoss:innen tiefe, vertrauensvolle und freundschaftliche Beziehungen entstehen. Allzu häufig jedoch reproduzieren sich hier auch unbewusst die Formen von Freundschaft und bürgerlich verstandener Loyalität aus der kapitalistischen Gesellschaft. Wenn unsere positiven Gefühle gegenüber Genoss:innen der Ausgangspunkt dafür werden, dass wir sie in der Kritik schonen und ihre größten Schwächen nicht offen ansprechen, dann verwandeln sich auch zunächst sehr positive Inhalte unserer Beziehungen in ein Einfallstor für den Liberalismus.

Liberalismus in der eigenen Kader:innen-entwicklung

Auch und gerade bei der Entwicklung von Kader:innen und bei der eigenen Persönlichkeitsentwicklung spielt der eigene Liberalismus eine wichtige Rolle. Er ist wohl einer der größten Hemmschuhe für die Selbstentwicklung und -veränderung. Der Liberalismus führt in der Regel erst zu einem Einrichten im Status quo und dann zu Rückschritten in der eigenen Entwicklung, die durch den liberalen Umgang mit dem eigenen Verhalten begünstigt werden. Doch warum ist das eigentlich so?

Wer kennt ihn nicht, den Spruch „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“? Wohl in unzähligen Situationen wird dieser Spruch dafür genutzt, die ausbleibende Veränderung des eigenen Verhaltens zu erklären und zu rechtfertigen. Und auch in der revolutionären Arbeit und gerade bei der Kader:innenentwicklung ist die Frage der „Gewohnheit“ eine entscheidende: Schaffen wir es alte und bürgerliche Gewohnheiten und Verhaltensweisen dauerhaft zu überwinden oder fallen wir immer wieder in diese zurück?

Dabei ist es nicht das Entscheidende, ob wir Rückschläge erleben, beziehungsweise in alte Verhaltensweisen zurückfallen, sondern wie wir mit diesen Rückschlägen umgehen. Geben wir uns damit zufrieden, dass wir unser Verhalten eben nicht so schnell verändern können und rechtfertigen damit das Zurückfallen und Einnisten in den zu überwindenden Ist-Zustand? Oder nehmen wir die Rückschläge als Ansporn, uns noch mehr auf die eigene Entwicklung und Persönlichkeitsveränderung zu fokussieren und sie in der Praxis konsequent und diszipliniert anzugehen? Für eine erfolgreiche Entwicklung sind vor allem eine kritische Sicht auf uns selbst und die eigene Entwicklung sowie eine richtige, das heißt objektive Selbsteinschätzung wichtige Voraussetzungen.

Statt einer korrekten Selbsteinschätzung können wir bei uns aber meist verschiedene subjektive Abweichungen feststellen, wie das Nicht-Wahrnehmen von eigenen Erfolgen und positiven Entwicklungen oder einen idealistischen Voluntarismus, der keine erreichbaren Ziele setzt. Diese einseitigen subjektiven Eindrücke können wir nur mit Hilfe des revolutionären Kollektivs und seiner Kritiken korrigieren. Dies setzt allerdings voraus, dass wir dauerhaft mit dem eigenen Liberalismus in der revolutionären Arbeit und der eigenen Persönlichkeitsentwicklung brechen wollen und dies in der Praxis auch tun. Sonst bringen auch die besten Kritiken unseres Kollektivs nichts.

Betrachten wir zwei Beispiele für dieses Problem. Eine Form des Liberalismus, auf die wir bei der Kader:innenentwicklung immer wieder treffen, ist es, die eigene Meinung über alles zu stellen, Genoss:innen persönlich anzugreifen, gegen diese zu intrigieren, statt die sachliche politische Auseinandersetzung in den Mittelpunkt zu stellen und diese in der angemessen Art, zum richtigen Zeitpunkt und im passenden Zusammenhang zu führen. Wir beschreiben diese weit verbreiteten falschen bürgerlichen Verhaltensweisen als eine Spielart des Liberalismus, weil sich die entsprechenden Genoss:innen bei diesem Verhalten oftmals im Recht fühlen und sich keinerlei Rechenschaft darüber ablegen, dass sie etwas falsch gemacht haben. Sie prüfen ihr eigenes Verhalten entsprechend nicht oder nur sehr oberflächlich und sind mit sich selbst zufrieden, richten sich demnach im Status quo ein und verlangen die Veränderung eben von anderen Genoss:innen.

Eine ähnliche Erscheinung können wir bei jenen Genoss:innen feststellen, die in eine bürokratische und formalistische Arbeitsweise verfallen. Diese Genoss:innen verhalten sich auf den ersten Blick vollkommen in dem Rahmen, welche die Regeln der Organisation vorgeben. Sie beschäftigen sich mit den Beschlüssen der oberen Organe und arbeiten sie ihrer Formulierung und Wortbedeutung nach ab und erfüllen das Mindestmaß der im Statut und den weiteren in der Arbeitsweise der Organisation festgehaltenen Aufgaben. Gleichzeitig fühlen sie sich so, als seien sie die Einzigen, die in der Organisation etwas tun, und fühlen sich im Recht, von oben auf andere herabzuschauen. Überall dort, wo uns bei uns selber oder anderen Genoss:innen solch ein Verhalten auffällt, müssen wir dringend in die Entwicklung der Genoss:innen eingreifen. Dieses falsche Verhalten führt letztlich zu einer vollkommenen Blockade der revolutionären Persönlichkeitsentwicklung und lässt die revolutionäre Arbeitsweise einer kommunistischen Organisation zu einem undynamischen und bürokratischen Apparat verkümmern, wenn nicht dagegen gehalten wird.

Ganz ähnlich wie beim weiter oben diskutierten Beispiel der Beschlusskontrolle zieht der liberale Umgang mit den eigenen Schwächen dabei oftmals auch einen Liberalismus gegenüber anderen nach sich. Vieles spricht sogar dafür, dass es noch viel verheerender als bei nicht eingehaltenen Beschlüssen ist, wenn die Grenzen anderer Genoss:innen akzeptiert werden, weil man unterbewusst hofft, auch die eigenen Grenzen so nicht in Frage stellen zu müssen. Das kann im schlimmsten Fall die gesamte Arbeitsatmosphäre eines Organs vergiften und dazu führen, dass Fehler und damit auch eine ausbleibende Kader:innenentwicklung von allen Beteiligten hingenommen und akzeptiert werden.

Doch zu so einer Entwicklung muss es nicht kommen. Es liegt eben daran, wie wir mit den verschiedenen Erscheinungen des Liberalismus auf individueller und kollektiver Ebene umgehen, ob wir ihn erkennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen oder nicht.

Kontrolle & Kollektiv

Der Liberalismus ist wie ein Schimmelpilz, der sicher eine Zeit lang ignoriert oder nicht erkannt werden kann, sich in dieser Zeit jedoch immer weiter ausbreitet und vermehrt. Je länger er unerkannt bleibt oder gar ignoriert wird desto weiter kann er sich ausbreiten, enormen Schaden anrichten und ist nur noch unter Einsatz sehr großer Kräfte und Mittel wieder einzudämmen. Übersieht man dabei dann auch nur einen Punkt, so können wir uns sicher sein, dass er sich ausgehend von diesem Punkt erneut verbreitet und zu neuem Schaden führt.

Der einzige Weg, die Ausbreitung des Liberalismus und seiner zahlreichen Erscheinungen einzudämmen und zu verhindern ist es, den Kampf gegen den Liberalismus als dauerhafte Aufgabe des gesamten Kollektivs zu verstehen und zu verinnerlichen. Dabei muss uns klar sein, dass der Liberalismus immer wieder von außen neu in die Organisation und die einzelnen Organe getragen wird, sei es durch ideologische und politische Einflüsse der uns umgebenden bürgerlich-liberalen Gesellschaft, sei es durch das Verhalten der einzelnen Mitglieder oder durch neue Genoss:innen, die zu uns stoßen. Aber nicht nur das, auch in langjährigen Kommunist:innen leben liberale Bewusstseinsanteile fort und werden sich zu einzelnen liberalen Verhaltensweisen gegenüber den eigenen Schwächen oder denen anderer auswachsen, wenn der Kampf dagegen nicht in dauerhafter Form geführt wird.

Ein besonderes Problem im Kampf gegen den Liberalismus ist, dass wir ihn mit aller Konsequenz führen müssen, damit er überhaupt eine Wirkung zeigt. Sobald wir kompromisslerisch mit einzelnen liberalen Verhaltensweisen verfahren, führen wir indirekt auch unsere Kritik an anderen ad absurdum. Damit lässt sich höchstens erreichen, dass durch vom Kollektiv ausgeübte Kontrolle einzelne Aufgaben zeitweise gewissenhafter erledigt werden. Im Kern ist der Liberalismus aber ein Problem des Bewusstseins und unser individuelles und kollektives Bewusstsein können wir in dieser Hinsicht nur dauerhaft verändern, wenn wir gegen alle Erscheinungsformen des Liberalismus vorgehen.

Der Kampf gegen den Liberalismus ist zugleich der Kampf für die Etablierung einer lebendigen kommunistischen Arbeitsweise und der Schaffung einer solidarischen Kultur im Umgang miteinander, welche eine offene und schonungslose, aber produktive und solidarische Kritik- und Selbstkritik mit einschließt. Doch das kann eben nur erfolgreich funktionieren, wenn sich alle Genoss:innen in der Verantwortung sehen, ihren Beitrag dazu zu leisten, kollektiv die gemeinsamen und individuellen Fehler, Beschränkungen und Grenzen im Verhalten, der Entwicklung und der politischen und organisatorischen Praxis aufzudecken und zu überwinden.

Diese Verantwortung kann nur durch eine dauerhafte Selbstkontrolle und die Kontrolle des Kollektivs wahrgenommen werden. Für unsere eigenen Fehler, Beschränkungen und liberalen wie anderen opportunistischen Verhaltensweisen, Gedanken und Gefühle müssen wir uns zuallererst vor uns selbst und unserem politischen Bewusstsein zur Rechenschaft ziehen. Das passiert nicht automatisch, sondern erfordert immer wieder eine ganz bewusste Anstrengung, eben nicht alten Gewohnheiten nachzugeben oder immer den vermeintlich einfacheren Weg zu nehmen.

Schaffen wir das in einem Großteil der Fälle, so haben wir sehr gute Voraussetzungen, weitere Schritte in unserer Persönlichkeitsveränderung zu gehen und alte Schwächen und Fehler dauerhaft zu überwinden. Dann gilt es, dass wir uns neue, höhere Ansprüche stellen und diesen in einem Prozess der Kritik und Selbstkritik, sowie der dauerhaften Selbstreflexion unseres Denkens, Fühlens und Handelns anzunähern.

In den allermeisten Fällen wird dieser Weg jedoch nicht so einfach oder geradlinig verlaufen und wir werden immer wieder in alte, bürgerliche Verhaltensmuster zurückfallen. Hier ist es die Verantwortung unseres revolutionären Kollektivs, dies nicht zuzulassen, in diesen Momenten einzugreifen und uns so bei unserer Kader:innenentwicklung zu unterstützen und anzuleiten. Dafür ist eine dauerhafte und gewissenhafte Kontrolle des Kollektivs, was unsere Aufgaben und unser Verhalten betrifft, notwendig. Ansonsten bleibt der Anspruch des korrigierenden Eingreifens des Kollektivs nichts als ein frommer, aber eben unrealistischer Wunsch.

Überall dort, wo es uns aber gelingt, die kritisch-selbstkritische und solidarische Beziehung zwischen Kollektiv und Individuum auf revolutionäre Art und Weise zu etablieren und dauerhaft am Laufen zuhalten, sehen wir, dass sich auf der einen Seite liberales, opportunistisches und bürokratisches Verhalten weit weniger verbreiten und entfalten kann und sich gleichzeitig alle Individuen in diesem Kollektiv schneller und erfolgreicher entwickeln können.

Es ist also unser Ziel, alle unsere Kollektive auf solch eine gemeinsame Basis zu stellen und somit auch bestmögliche Bedingungen für die Entwicklung aller Individuen in diesen Kollektiven zu erlangen. Nur so können der schädliche Einfluss des Liberalismus in all seinen Erscheinungen erfolgreich zurückgedrängt und weitere Schritte in der Bewusstseins- und Persönlichkeitsentwicklung, sowie im Parteiaufbau als Ganzes gegangen werden.

In diesem Artikel ist deutlich geworden, dass der Liberalismus ein zentrales Problem der kollektiven und individuellen Entwicklung für uns Kommunist:innen ist. Sicherlich würde es wenig nützen und den Begriff verwässern, wenn wir dazu übergehen, jedes Problem einfach als „Liberalismus“ zu brandmarken. Jedoch lässt sich festhalten, dass beim Kampf für die Bewältigung jeder einzelnen Herausforderung im Leben einer kommunistischen Organisation der Liberalismus unweigerlich als Hemmnis in diesem Kampf auftreten wird.

Die Arbeit für die Eindämmung diesen Elements bürgerlicher Ideologie muss mit der entsprechenden Konsequenz überall geführt werden, wo es auftritt.■

1Individuum und Kollektiv: https://komaufbau.org/individuum-und-kollektiv

2Siehe auch Mao Tse-Tung: Gegen den Liberalismus. Ausgewählte Werke Band 2. S. 27–30

3Stalin: Grundlagen des Leninismus, SW Bd. 6, S. 160

4Repression und Antirepression – wie gehen wir damit um?, https://komaufbau.org/repression-und-antirepression-wie-gehen-wir-damit-um

5Resolution des 4. Kongress: Die Bolschewisierung als notwendige Grundlage des Parteiaufbaus, https://komaufbau.org/resolution-die-bolschewisierung-als-notwendige-grundlage-des-parteiaufbaus

Als Klasse organisieren und kämpfen! Heraus zum 1. Mai!

Vor aller Augen verschärfen sich die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen imperialistischen Mächten weiter. Sie schlagen immer häufiger in offene und direktere Kriege um, dehnen sich auf ganze Regionen aus und drohen in einen neuen großen Verteilungskrieg, in einen dritten Weltkrieg umzuschlagen.

Gehen wir am 1. Mai auf die Straße, um diesen reaktionären Kriegen und dem imperialistischen Schlachten eine unmissverständliche Absage zu erteilen! Gehen wir auf die Straße in Solidarität mit allen unterdrückten Völkern, die wie in Kurdistan und Palästina Widerstand leisten und um eine Zukunft ohne imperialistische Besatzung und Unterdrückung kämpfen.

Gleichzeitig nimmt die Repression, Aufrüstung und Militarisierung auch in Deutschland immer schneller zu. Auch hierzulande spitzen sich die Klassenkämpfe in einer Geschwindigkeit zu, die vor wenigen Jahren noch undenkbar schien. Für uns gilt es, Antworten auf diese Veränderungen zu finden.

Gehen wir am 1. Mai auf die Straße, um als klassenkämpferische Kräfte eine konkrete praktische Antwort auf die Angriffe des Klassenfeinds zu geben. Kommen wir am 1. Mai als Keim einer kommunistischen Bewegung zusammen, die auf dem Boden der Taten unserer Vorkämpfer:innen wächst.

Auch wenn die Klassenkämpfe in Deutschland meist selbst noch unter einer bürgerlich sozialdemokratischen Hegemonie stehen, zeigen diese in den aktuellen Streiks und Protesten klar, welches Potential unsere Klasse entfalten könnte, wenn sie sich dieser bürgerlichen Führung entledigen und entschieden für ihre objektiven Interessen kämpfen würde.

Gehen wir am 1. Mai auf die Straße, um die bürgerliche Führung der Gewerkschaften und Protestbewegungen offen in Frage zu stellen und ihr eine klassenkämpferische, eine revolutionäre Alternative entgegenzusetzen. Diese Alternative ist der organisierte Kampf gegen das kapitalistische System, all seine Vertreter:innen und Ideen.

Als Klasse kämpfen ist legitim!

Mit dem Wachsen einer neuen klassenkämpferischen und revolutionären Bewegung auf der einen Seite und dem erstarken des Faschismus auf der anderen Seite, nehmen auch die Klassenkämpfe hier neue Dynamiken und Entwicklungen an.

Die Auseinandersetzungen und Konfrontationen zwischen den Klassen, zwischen Revolution und Konterrevolution werden häufiger und härter, die offiziellen und legalen Spielräume für einen Kampf gegen dieses ausbeuterische kapitalistische System kleiner.

Nutzen wir den 1. Mai um klar zu machen, dass unser Kampf als Klasse, unser Kampf für die sozialistische Revolution legitim ist und weder von bürgerlichen Gesetzen, noch einer zunehmenden Repression aufgehalten oder eingehegt werden kann.

Als Klasse organisieren ist notwendig!

Der konsequente Kampf gegen das kapitalistische System, gegen patriarchale Unterdrückung, Besatzung, Krieg und Faschismus kann nur erfolgreich sein durch die Organisierung unserer Klasse.

Alle unsere Kämpfe können auf Dauer nur erfolgreich sein, wenn wir unsere Klasse in einer neuen klassenkämpferischen Bewegung zusammenführen und eine Kampforganisation des Proletariats schaffen, welche die Klasse in den vor uns stehenden Kämpfen erfolgreich führen kann.

Heute ist keine Zeit des Zögerns, des Innehaltens oder des Schwankens! Heute heißt es mutig und entschlossen nach vorne zu gehen; heute heißt es die Behäbigkeit des imperialistischen Zentrums abzuschütteln und die bürgerlichen Rückzugsräume zu sprengen; heute heißt es unsere Klassengeschwister mitzureißen und Teil des Aufbaus der Kommunistischen Partei zu werden!

Deshalb: Heraus zum 1. Mai!

Vorwärts zum Aufbau der Kommunistischen Partei!

Vorwärts zur Revolution und zum Sozialismus!

Vorbilder

Ihre Bedeutung für die Kader:innenentwicklung

Für den Aufbau einer Kommunistischen Partei sind die Kader:-innenentwicklung und die Schaffung von Berufsrevolutionär:innen zentrale Bausteine. Dieser Satz ist wohl im Bezug auf jedes Land auf der Welt richtig. Unter den spezifischen Bedingungen im imperialistischen Deutschland geben wir ihm aber ein ganz besonderes Gewicht. Denn der Prozess, sich von unzähligen bürgerlichen Eigenschaften zu lösen, sich von tausend Fäden, Seilen und Ketten, die uns an dieses System binden zu befreien und die eigene Persönlichkeit zu revolutionieren, erweist sich für alle Genoss:innen im Rahmen ihrer Kader:innenentwicklung als eine besondere Herausforderung.

In diesem Artikel wollen wir uns nur mit einem Teilaspekt dieses schier unendlichen Themenfelds beschäftigen: Vorbildern. Dass es Revolutionär:innen wie Lenin, Rosa Luxemburg oder auch Ivana Hoffmann gibt, denen wir heute nicht nur gedenken, sondern die uns auch Orientierung geben, dürfte eine Aussage sein, die die allermeisten Kommunist:innen in Deutschland unterschreiben würden. Aber damit ist die Frage der Vorbilder bei weitem nicht gelöst.

Denn was verstehen wir eigentlich unter einem Vorbild? Was heißt es für uns, nicht nur Vorbilder zu haben, sondern auch selbst Vorbild zu sein? Wie vermeiden wir es in ein bürgerliches, idealisierendes Verständnis von Vorbildern und „Idolen“ zu verfallen? Diesen Fragen wollen wir uns in der folgenden Ausarbeitung widmen. Darüber hinaus wollen wir uns aber auch ganz konkret damit befassen, welchen praktischen Einfluss Vorbilder oder das Vorbildsein auf das revolutionäre Kollektiv, aber auch auf die Gesellschaft und somit auf die Bildung einer neuen Arbeiter:innenbewegung haben.

Was ist eigentlich ein „Vorbild“?

Stellen wir uns vor, dass wir in einer deutschen Stadt heute beliebige Personen auf der Straße danach fragen würden, wer ihre Vorbilder sind. Die Antworten wären wohl sehr vielfältig. Für die einen wären es die Eltern oder andere Bezugspersonen. Vielleicht würden wir hören: „Mein Vorbild ist meine Schwester, weil sie erfolgreich in ihrem Job ist.“ Andere würden auf die Frage mit berühmten Stars und Sternchen unserer Zeit antworten. Vielleicht mit einem Sportler oder einer Musikerin. Gemeinsam würden die genannten Vorbilder wohl haben, dass sie bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten verkörpern, die so wertvoll erscheinen, dass man ihnen nacheifern will.

Gerade der Umgang mit Berühmtheiten der kapitalistischen Kultur- und Medienindustrie oder anderen Stars als Vorbildern wirkt sich aber oft genug äußerst destruktiv gerade auf die jugendlichen Teile der Arbeiter:innenklasse aus. Das kann auch gar nicht anders sein, wenn wir uns anschauen, welche „Idole“ wir heute vor die Nase gesetzt bekommen und welche Eigenschaften diese verkörpern. Denn häufig haben sie wirklich keine Gemeinsamkeiten mit der Lebensrealität der Arbeiter:innenklasse. Die meisten „Idole“, die wir heute angeboten bekommen, sind Teil der Kapitalist:innenklasse und verkörpern somit auch die Werte und Ideale der Bourgeoisie. Abgesehen davon, dass sie für uns schon allein aufgrund unserer Klassenzugehörigkeit nicht erreichbar sind, so ist das, was sie verkörpern, von unserem Klassenstandpunkt aus auch gar nicht erstrebenswert.

Als Revolutionär:innen sind wir im Bezug auf unsere Vorbilder oft schon etwas wählerischer. Auf die Frage nach unserem Vorbild würden wir vermutlich andere Antworten geben, als sonst in der Gesellschaft üblich. Zum Beispiel könnten wir eine große Revolutionärin wie Olga Benario nennen, der wir aufgrund ihrer Entschlossenheit und ihres Mutes nacheifern. Oder ist es vermessen und arrogant, wenn wir uns gleich die besonders systematische Arbeitsweise und Disziplin eines Karl Marx zum Vorbild nehmen, mit der es ihm gelungen ist, die Grundzüge der Wissenschaft zur Befreiung unserer Klasse zu entwickeln? Besteht darin ein Problem? Grundsätzlich natürlich nicht. Die historische Arbeiter:innen-bewegung hat schließlich zahlreiche Personen hervorgebracht, die wir zurecht als Vorbilder bezeichnen können. Nicht umsonst gedenken wir ihnen auch noch heute und lassen sie in unserem Kampf weiterleben, denn im Gegensatz zu den bürgerlichen Idolen teilen wir dieselben revolutionären Vorstellungen. Aber nicht selten stolpern wir in unserer eigenen Persönlichkeitsentwicklung und der Überwindung subjektiver Grenzen, selbst wenn wir uns eine noch so revolutionäre Persönlichkeit zum Vorbild nehmen. Eine der Ursachen ist, dass sich das bürgerliche Verständnis von Vorbildern oft genug in unseren Beziehungen zu bekannten Revolutionär:innen bis hin zu unseren eigenen Genoss:innen reproduziert: Sie werden selbst zu idealisierten „Stars und Sternchen“.

Wenn wir diese Herangehensweise auf die Spitze treiben, dann werden Vorbilder, an denen wir uns orientieren, letztlich zu Hemmnissen für unsere Persönlichkeitsentwicklung statt zu Kraftquellen. Zum Beispiel, weil wir uns permanent anhand einer vermeintlich perfekten Person, die so selbstverständlich nur in unserer Phantasie existiert, die eigene scheinbare Minderwertigkeit vor Augen führen. Das können wir zum Beispiel erleben, wenn Genoss:innen darüber klagen, dass sie jede Nacht mindestens sechs Stunden schlafen, obwohl in der Biographie von Jakow Swerdlow klipp und klar steht, dass dieser mit vier Stunden prima ausgekommen ist. Doch gerade im Vergleich mit berühmten Revolutionär:innen dürfen wir die gesellschaftlichen Bedingungen nicht ignorieren, unter welchen sie geformt wurden. Mit dieser Erkenntnis sollten wir uns zwar nicht selbst künstlich begrenzen oder unsere eigenen Schwächen entschuldigen, aber es kann uns vielleicht davor bewahren, uns an idealisierten Vorbildern zu messen, an denen wir nur frustrieren können. Das macht es natürlich nicht falsch, sich gefallene Revolu-tionär:innen zum Vorbild zu nehmen, im Gegenteil: In der aktiven Auseinandersetzung mit ihren Stärken und Schwächen, den Entscheidungen, welche sie getroffen haben in bestimmten historischen Momenten, ihren Zweifeln und ihrem Mut können wir vieles finden, was für uns auch heute lehrreich ist. Das macht sie aber nicht zu makellosen Held:innen, sondern zu einem lebendigen Teil der revolutionären Geschichte, von der auch wir heute ein Teil sind.

Doch das bürgerliche Verständnis sowie der zuweilen destruktive Umgang mit Vorbildern und „Idolen“ macht zuletzt auch keinen Halt vor unseren Beziehungen als Genoss:innen untereinander. Vielleicht hat es in dieser Hinsicht sogar eine noch viel größere Bedeutung für unsere Entwicklung, da wir uns unmittelbar im tagtäglichen revolutionären Kampf gegenseitig beeinflussen. Im Verhältnis zu unseren Genoss:innen zeigt sich dann jedoch zusätzlich die Tendenz, einzelne von ihnen auf ein Podest zu stellen, oftmals verbunden mit Gefühlen von Neid, Eifersucht und Konkurrenz.

Das aber sind Gefühle und Gedanken, die man ohne Übertreibung als Gift für die Kader:innentwicklung und die Atmosphäre unseres revolutionäres Kollektivs bezeichnen kann. Denn sie stehen dem, was notwendig ist, vollkommen entgegen: Die Erfolge unserer Genoss:innen als unsere eigenen Erfolge zu betrachten und vorbehaltlos alles dafür zu geben, sie zu vergrößern und zu unterstützen.

Dementsprechend können wir schon hier erste Schlussfolgerungen ziehen. Nämlich in erster Linie, dass die Versteifung auf ein einziges großes Vorbild, dem wir nacheifern wollen, nichts anderes ist als ein „Rotes Idol“ zu schaffen, sich damit in ein enges Korsett der Kader:innenentwicklung zu sperren und somit letztlich das bürgerliche Verständnis von „Vorbildern“ zu reproduzieren. Es ist nicht möglich, ein für unsere individuelle Entwicklung in jeder Hinsicht perfektes Vorbild zu finden und wir sollten es auch gar nicht erst versuchen. Vielmehr ist es notwendig, dass wir uns entsprechend der aktuellen Bedürfnisse der revolutionären Bewegung die Eigenschaften verschiedener Genoss:innen zugleich zum Vorbild nehmen, ohne darin zu verfallen, uns unerreichbare Ziele zu stecken.

Die praktische Bedeutung von Vorbildern

Seien es ‚Stars und Sternchen‘ oder Freund:innen und Genoss:innen, die meisten Menschen definieren sich in erster Linie über andere Menschen.“ 1

Dieses Zitat aus unserem Artikel „Marxismus und Psychologie“ leitet uns von einer allgemeinen Betrachtung zur konkreteren Bedeutung von Vorbildern für die politische Praxis. Das menschliche Bewusstsein und all unsere Verhaltensweisen entstehen und existieren nicht im luftleeren Raum. Sie sind ein Produkt von einem komplexen Zusammenspiel aller natürlichen und gesellschaftlichen Einflüsse. Die Gesellschaft wiederum ist „die Summe aller Verhältnisse, in denen die Individuen zueinander stehen, in Abhängigkeit zueinander handeln, sich gegenseitig beeinflussen und entwickeln.“ 2

In der Konsequenz bedeutet das also, dass unser Denken, unsere Persönlichkeit und unsere Verhaltensweisen zu einem nicht unerheblichen Teil auf die Prägung durch unser persönliches Umfeld zurückzuführen sind. Während wir bisher Vorbilder in diesem Artikel vor allem in dem gesellschaftlich üblichen Sinne betrachtet haben, nämlich als Personen, die man sich bewusst „zum Vorbild nimmt“, ist es also wichtig zu betonen, dass die wohl wichtigsten Vorbilder für unsere Persönlichkeitsentwicklung vielmehr unbewusst entstehen.

Das bedeutet umgekehrt aber auch, dass wir selbst einen prägenden Einfluss auf unsere Umgebung haben, ob wir das wollen oder nicht. Das Abschauen von Verhaltensweisen und die Entwicklung von Meinungen und Positionen sind häufig ein unbewusster Prozess, der dafür umso häufiger bewusst von außen beeinflusst wird.

Die Bourgeoisie ist sich über die genannten gesellschaftlichen Mechanismen durchaus im Klaren und weiß das voll und ganz für sich auszunutzen. Sie hat die materielle Macht, ihre Ideologie über alle ihr zur Verfügung stehenden Wege in die Massen zu tragen und dabei bürgerliche Vorbilder zu schaffen, die ihre Werte verkörpern.

Als Kommunist:innen, die den Anspruch haben, die revolutionäre Vorhut der Arbeiter:innenklasse zu sein, muss es also unsere Aufgabe sein, neue Vorbilder zu schaffen und selbst zu Vorbildern zu werden, welche sozialistische Werte verkörpern und damit die Verhaltens- und Denkweise unserer Klasse in ihrem objektiven Interesse beeinflussen.

Negative und positive Vorbilder

Da der Begriff „Vorbild“ landläufig fast immer in einem positiven Sinne verwendet wird, ist es wohl sinnvoll in Erinnerung zu rufen, dass es auch das sprichwörtliche „schlechte Vorbild“ gibt. Denn das unbewusste Abschauen von Verhaltensweisen umfasst nicht nur positive Eigenschaften, sondern auch negative. Wenn wir aber von negativen und positiven Vorbildern sprechen, dann bezieht sich das auf das Vorbildsein in einem bestimmten Aspekt und nicht auf eine Person als Ganzes.

Eine Genossin kann in manchen Bereichen sehr voranbringend, also ein positives Vorbild sein, in anderen Bereichen aber dennoch Schwächen und negative Eigenschaften haben. Es gibt nicht den oder die perfekte Kader:in, die frei von bürgerlichen Eigenschaften wäre. Somit haben auch in unseren Kollektiven die wichtigsten Vorbilder, man könnte auch sagen die prägenden Genoss:innen, eine doppelte Rolle: Sie können zugleich positive als auch negative Vorbilder sein.

Denn häufig orientieren wir uns nicht nur an den positiven, revolutionären Eigenschaften unserer Genoss:innen, sondern auch fälschlicherweise an ihren negativen und begrenzenden Eigenschaften. Zum Beispiel, indem wir sie innerlich als Ausreden dafür verwenden, dieselben Fehler wie sie begehen zu dürfen und es ihnen gleichzutun. Oder wir verwenden sie als Rechtfertigung dafür, uns mit unseren eigenen Schwächen zu versöhnen, die vielleicht in einem ganz anderen Bereich liegen.

Wenn eine leitende Genoss:in regelmäßig zu spät kommt oder ihr Selbststudium nicht gewissenhaft macht, dann darf das für uns keine Ausrede sein, frei nach dem Motto: „Wenn Genoss:in XY das so macht, dann darf ich das wohl auch!“. Wenn eine Genoss:in sich sehr enge Grenzen in der eigenen Kader:innenentwicklung setzt, dann darf das sicherlich keine Begründung dafür sein, es genau so zu tun. Stattdessen benötigt es aktive Anstrengungen, den Einfluss von negativen Vorbildern zurückzudrängen, indem sie nicht unwidersprochen hingenommen und diese kritisiert werden, insbesondere dann, wenn sie einen besonders prägenden Einfluss auf das Kollektiv haben.

Kritik und Selbstkritik dient unter anderem gerade dazu, die Stärken und Schwächen einer jeden Person kollektiv einzuschätzen. Dabei wird festgehalten, welche Stärken gefördert und welche Schwächen bekämpft werden müssen. Im besten Fall geht das Erkennen und Einschätzen von Schwächen und negativen Eigenschaften jedoch nicht nur von unseren Genoss:innen, sondern auch von uns selbst aus.

Vorbildlich mit den eigenen Schwächen umzugehen kann zum Beispiel bedeuten, diese auch selbst offen anzusprechen und sie kritisieren zu können. Gerade durch den selbstkritischen Umgang kann der Einfluss der eigenen Schwächen eingedämmt und unsere Genoss:innen dahingehend positiv beeinflusst werden, dass sie sich eben nicht an unseren negativen Eigenschaften und Begrenzungen orientieren.

Doch genauso, wie wir nicht den Kapitalismus vernichten können, ohne den Sozialismus aufzubauen, reicht es nicht „negative Vorbilder“ einfach zu kritisieren. Stattdessen gilt es, selbst vorbildhaft voranzugehen. Unvermeidlich bestehende negative Vorbilder können wir dauerhaft nur zurückdrängen, indem wir ihnen umso mehr positive Vorbilder entgegensetzen.

Lasst uns zu bewussten Vorbildern werden!

Können wir uns das „Vorbildsein“ aussuchen? Die Antwort darauf dürfte entsprechend der vorherigen Ausführungen relativ einfach sein. Grundsätzlich können wir uns nicht aussuchen, ob wir selbst und unser Verhalten als Vorbild genutzt wird oder nicht. Es ist nicht möglich, keinen Einfluss auf andere Menschen auszuüben. Das würde ja auch gar nicht unserem Anspruch entsprechen, den wir an uns als Kommunist:innen gesetzt haben. Vielmehr müssen wir diesen Einfluss ganz gezielt einsetzen. Wir sind also alle Vorbilder im weiteren Sinne. Als Teil eines revolutionären Kollektivs gilt das nur umso mehr.

Wenn wir uns diese Tatsache bewusst machen, gibt uns das die Möglichkeit, die Vorbildrolle aktiv anzunehmen und eine Entscheidung darüber zu treffen, was für ein Vorbild wir sein wollen und wie wir unsere Genoss:innen beeinflussen wollen. Wie bereits ausgeführt wurde, sind es jenseits der historischen Vorbilder heute insbesondere unsere Genoss:innen und somit auch wir selbst, welche unsere Kollektive und die einzelnen Individuen darin prägen und welche somit aktiv die Verantwortung annehmen müssen, revolutionäres Vorbild zu sein. Es gibt für diese Aufgabe keine allgemeine Checkliste und auch keine simple Antwort, trotzdem wollen wir hierzu einige zentrale Punkte zusammenfassen.

Die Verantwortung der Vorbildrolle dauerhaft annehmen

Jede Kommunist:in hat die Aufgabe zu leiten. Sei es innerhalb eines bestimmten Arbeitsbereichs, in der Kader:innenentwicklung unserer Genoss:innen oder innerhalb der Massen. Jede Kommunist:in hat deswegen die Pflicht, sich der eigenen Vorbildrolle bewusst zu sein und diese Verantwortung anzunehmen. Das ergibt sich schon allein aus dem Anspruch heraus, als kommunistische Kader:in Teil der Vorhut der Arbeiter:innenklasse zu sein.

Wir haben bereits herausgearbeitet, dass wir heute insbesondere Vorbilder präsentiert bekommen, welche die Werte der Bourgeoisie verkörpern und es dementsprechend unsere Aufgabe sein muss, neue Vorbilder der Arbeiter:innenklasse zu schaffen, um diese in ihrem Denken, Fühlen und Handeln zu beeinflussen. Am besten gelingt uns das, indem wir die erstrebenswerten Verhaltensweisen selbst an den Tag legen, überall, wo wir uns bewegen, auch und vor allem dann, wenn wir den vermeintlich abgesteckten „politischen Rahmen“ verlassen.

Ob auf dem Rückweg von einer Aktion, in unserer Wohnung oder bei der wohlverdienten Essenspause nach einer stundenlangen hitzigen Diskussion: Unser Leben als politisches Kollektiv kennt keine schematischen Grenzen, aber oft genug verhalten wir uns genau so. Die Verantwortung des Vorbildseins bewusst anzunehmen, muss für uns vor allem bedeuten, es dauerhaft, immer und überall zu tun.

Lasse ich mich beispielsweise beim Mittagessen von den Lästereien mitreißen, die in der ganzen politischen Widerstandsbewegung unseres Landes doch so typisch sind? Oder schreite ich bewusst ein und zeige auf, dass ein solidarischer und revolutionärer Umgang auch dann anders aussehen muss, wenn wir „unter uns“ sind? Interveniere ich als Kommunist, wenn meine männlichen Genossen „unter sich“ sind und in ihre typische patriarchale Redeweise zurückfallen, oder bleibe ich schweigend ein Teil des Männerbündels?

Angst vor Fehlern oder Angst vor Verantwortung?

Wir haben bereits festgestellt, dass Vorbildsein nicht gesetzmäßig positive Auswirkungen haben muss. Was aber folgt aus der ständigen Gefahr, dass sich unsere Genoss:innen gerade an unseren negativen Eigenschaften ein Vorbild nehmen? Bedeutet das, dass wir nur noch Aufgaben angehen und erledigen sollten, bei denen wir uns zu einhundert Prozent sicher sind, dass wir sie perfekt erledigen? Das wäre ein sehr schematisches und fatales Missverständnis unserer Ausführungen.

Je mehr Aufgaben wir übernehmen und je mehr Verantwortung auf den eigenen Schultern lastet, desto mehr Fehler können passieren, vor allem aber können unsere Fehler größere Auswirkungen haben. Und anders herum: Je ungeübter und unerfahrener man bei einer bestimmten Aufgabe ist, zum Beispiel dem Anleiten eines Treffens, desto holpriger läuft es vielleicht beim ersten, beim zweiten und auch beim dritten Mal.

Beide Beispiele haben gemeinsam, dass wir als Revolution-är:innen Fehler machen – unabhängig davon, wer schon wie lange aktiv ist. Gleichzeitig ist jedoch das Fehler machen das, wovor viele von uns am meisten Angst haben, gepaart mit der altbekannten Angst vor Kritik. Die eigenen Fehler anzuerkennen hat jedoch nichts mit Schwäche zu tun. Im Gegenteil, eine solidarische Fehlerkultur, bei welcher „Fehler“ nicht als persönliches Versagen gelten, sondern als normaler Bestandteil sowohl der Entwicklung eines jeden Individuums als auch der ganzen Organisation, ist unerlässlich dafür, Entwicklung überhaupt zu ermöglichen – eben dadurch, dass Fehler erkannt, kritisiert und korrigiert werden können.

Es gehört also zum Vorbildsein dazu, einen konstruktiven Umgang mit den eigenen Schwächen zu erlernen und zu vermitteln. Einer der Gründe, weshalb das häufig nicht gelingt und es stattdessen eine ausgeprägte Angst oder Abwehr gegen Kritiken gibt, ist ein stark ausgeprägter subjektiver Perfektionismus. Viele werden das sicherlich kennen: Man übernimmt eine bestimmte Aufgabe, zum Beispiel das Schreiben einer Rede, und versucht diese bestmöglich zu erfüllen. Vielleicht schleichen sich schon währenddessen ängstliche Gedanken ein, ob der Redebeitrag perfekt genug wird, ob es Kritiken geben könnte, und so weiter.

Wenn es dann tatsächlich zu Verbesserungsvorschlägen oder Kritiken kommt, dann stellt sich bei „perfektionistischen“ Genoss:innen häufig das Gefühl ein, versagt zu haben oder gescheitert zu sein. Sie entwickeln einen selbstzerstörerischen Umgang mit den eigenen Fehlern und Kritiken von anderen. Nicht selten mündet das darin, dass bestimmte Aufgaben oder Verantwortungen einfach gar nicht mehr übernommen werden – weil man die Kritik von vornherein vermeiden möchte.

Das Ergebnis davon ist also die Entwicklung von Mechanismen, wie man sich Kritiken am effektivsten entziehen kann. Eine Möglichkeit, die wir häufig beobachten können, ist der Rückzug in Nischen und bestimmte Teilbereiche der politischen Arbeit, und voilà! Wir entziehen uns damit nicht nur der Kritik, sondern begrenzen auch besonders effektiv unsere Kader:innenentwicklung!

Nun könnte man dem entgegenstellen, dass man dem die Entwicklung hemmenden Perfektionismus am besten begegnet, indem wir die Ansprüche, die wir an uns und unsere Genoss:innen stellen, senken. Doch damit würden wir es uns wahrlich leicht machen und der „Kampf gegen den Perfektionismus“ verkommt zu einer Ausrede, quasi zu einer pauschalen Rechtfertigung für halbgar erledigte Aufgaben. Das Problem sind jedoch nicht etwa zu hohe Ansprüche, im Gegenteil. Als organisierte Kommunist:innen ist es doch gerade unser Anspruch, diese stetig zu erhöhen! Das Problem ist vielmehr, dass sich im subjektiven Perfektionismus ein bürgerlicher Umgang mit eben diesen Ansprüchen, mit Fehlern, Kritiken und den eigenen Schwächen ausdrückt. Somit wird der Perfektionismus selbst zum Hemmschuh für die Entwicklung jeder einzelnen Genoss:innen und letztlich auch für die ganze Organisation.

Ein positives Vorbild zu sein bedeutet also, Fehler als unvermeidlichen Bestandteil der revolutionären Arbeit anzuerkennen, Kritiken als Chance und Motor für die Überwindung der eigenen Fehler und Schwächen zu nutzen und dennoch den Anspruch zu haben, den eigenen Aufgaben so erfolgreich wie möglich nachzukommen. Mit dieser Haltung gilt es voranzugehen und mutig die Verantwortung für die Entwicklung der Organisation anzunehmen.

Verantwortung annehmen heißt „Mit Gutem Vorbild vorangehen“

Was aber heißt das, „Verantwortung annehmen“? Das bedeutet in erster Linie, dass alle Ansprüche, welche wir an unsere Genoss:innen stellen, auch unsere eigenen sein sollten und wir bemüht sein müssen, diese selbst zu erfüllen. Ja mehr noch: Wenn wir sie nicht selbst erfüllen, dann wird die diesbezügliche Kritik, die wir an unsere Genoss:innen richten, ihren Zweck verfehlen oder von vielen Genoss:innen gar nicht erst ernst genommen werden. Anstatt bei bloßem Kritizismus und dem Formulieren von Appellen und Erwartungen stehen zu bleiben, müssen wir uns klarmachen, dass wir die Arbeit unserer Kollektive auch durch unser eigenes Verhalten als Vorbild formen müssen. Es gilt, selbst die Verantwortung dafür zu übernehmen, als lebendiger Teil des Kollektivs unsere Organisation als Ganzes weiterzuentwickeln. Das bloße Äußern von Kritiken, ohne danach zu streben diesen selbst gerecht zu werden ist eine zutiefst bürgerliche Eigenschaft, die entweder daher rührt, dass man die Notwendigkeit in der Praxis nicht erkennt, oder dass man sich nicht oder nicht ausreichend als handelndes Subjekt, als Revolutionär:in begreift und sich darin auch dementsprechend ernst nimmt. Anstatt also darauf zu warten, dass jemand anderes kommt und Probleme und Mängel für uns behebt oder uns klare Direktiven und Anweisungen erteilt, sollten wir als Vorbilder selbst die Bereitschaft zeigen, Aufgaben zu übernehmen, Fehler zu korrigieren und konkrete Schritte nach vorn zu gehen.

Revolutionären Optimismus verbreiten

Wir haben nun viel gelesen zu den unterschiedlichen Aspekten des Vorbildsein, zu Fallstricken und Hürden, zur Reproduktion bürgerlicher Verhaltensweisen in diesem Aspekt. Außerdem wurde ein tieferes Verständnis von der gegenseitigen bewussten und unbewussten Einflussnahme von Individuen herausgearbeitet und was das heute mit uns, unseren revolutionären Kollektiven und dem Aufbau einer neuen Arbeiter:innenbewegung zu tun hat.

Ein revolutionäres Vorbild zu sein bedeutet letztlich, die eigenen Genoss:innen und die Massen mitzureißen, indem man entschlossen vorangeht und eine positive Haltung den Aufgaben und Anforderungen gegenüber entwickelt. Als Kader:innen revolutionären Optimismus zu verbreiten bedeutet nicht, zwanghaft gut gelaunt zu sein und Widersprüche und Konflikte zu vertuschen, sondern ein ausgeprägtes Siegesbewusstsein und einen Kampfgeist zu entwickeln und allen Widrigkeiten der revolutionären Arbeit erhobenen Hauptes zu trotzen. Natürlich sind wir keine Held:innen mit übermenschlichen Fähigkeiten. Wir alle haben schlechte Tage, manchmal auch Zweifel, sind frustriert und können nur schwer Motivation aufbringen. Aber als kommunistische Kader:innen müssen wir lernen, uns dem nicht unwidersprochen hinzugeben, sondern uns gegenseitig dabei zu unterstützen, diese Phasen zu überwinden und uns durch das eigene Vorbildsein immer wieder gegenseitig mitzureißen! Eine positive Haltung gegenüber den Aufgaben, welche die Revolution an uns stellt, können wir uns erarbeiten. Dafür müssen wir uns aktiv dafür entscheiden, diese Verantwortung anzunehmen.

Denn letzten Endes geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die Organisation der sozialistischen Revolution. Ohne die Massen die bereit sind für die Entbehrungen, die ein revolutionärer Bürgerkrieg mit sich bringt; die selbst ihre Ketten zu sprengen und sich nicht niederschlagen lassen durch die Konterrevolution; die sich als handelndes Subjekt im Klassenkampf begreifen, ist diese Revolution unmöglich.

Von wem aber sollen sie diesen revolutionären Optimismus lernen? An wem sollen sie sich orientieren? Wenn wir erfolgreich sein wollen, dann müssen wir als Kommunist:innen als lebendiger Teil der Massen und revolutionäre Vorhut der Arbeiter:innenklasse zu diesem Orientierungspunkt werden.

Dafür müssen wir uns unserer Verantwortung und unserer Wirkung bewusst werden und selbst die Schritte gehen und uns bemühen, den Ansprüchen gerecht zu werden, die wir auch an unsere Genoss:innen und langfristig auch an unsere Klasse stellen.

1Kommunismus Nr. 22, „Marxismus und Psychologie“, Seite 26

2Kommunismus Nr. 22, „Marxismus und Psychologie“, Seite 24

Unterstützen wir die Studierendenkämpfe in Griechenland!

Eine Erklärung der Kommunistischen Jugend

An den griechischen Universitäten spielen sich derzeit Kämpfe ab, die revolutionäre Kräfte als die intensivsten seit über 15 Jahren einschätzen. Seit mittlerweile eineinhalb Monaten sind die Hochschulen Schauplätze einer Auseinandersetzung, in der die Studierenden und die antikapitalistische Bewegung ihre erkämpften Freiräume verteidigen.

Auslöser ist eine Initiative der Regierung, das in der Verfassung verankerte rein staatliche Bildungssystem aufzulösen und Privat-Universitäten anzuerkennen. Für diesen Kampf nehmen die Widerständigen in Griechenland viel in Kauf: Ihre Abschlussprüfungen verschieben sich, viele Revolutionär:innen sind Tag und Nacht auf den Beinen, auf den Aktionen bekommen zahlreiche Klassenkämpfer:innen die Knüppel der Polizei zu spüren und werden verhaftet. Als kommunistische Jugendliche in Deutschland begrüßen wir ihr Durchhaltevermögen und ihre Entschlossenheit. Wir blicken voller Aufregung nach Griechenland und wollen aus den militanten Kämpfen lernen! Aktuell können wir sehen, wie Zehntausende Jugendliche für ihre Interessen auf die Straße gehen und sich auch gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei liefern. Bei dieser Konfrontation mit dem kapitalistischen Staat spielen insbesondere verschiedene antikapitalistische Organisationen eine wichtige Rolle.

Auch, dass das Gesetz für private Universitäten im Parlament verabschiedet wurde, konnte den Willen er klassenkämpferischen Jugendlichen in Griechenland nicht brechen. Noch immer werden Verlängerungen der Besetzungen der Universitäten beschlossen, noch immer hält man Stürmungen von Universitätsgebäuden durch die Polizei stand.

Revolutionäre Politik verteidigen!

Die Kämpfe in Griechenland sind nicht nur unterstützenswert, weil sie die Sparpolitik der imperialistischen Mächte in der EU und ihre Folgen für die Massen in Ländern wie Griechenland angreifen. Sie sind es auch, weil über einen langen Zeitraum erkämpfte Etappensiege der revolutionären Bewegung auf dem Spiel stehen und verteidigt werden.

Die Studierenden spielen in Griechenland schon lange eine zentrale und aktive Rolle im Klassenkampf. Der Sturz der Militärdiktatur in den 1970er-Jahren wurde nicht zuletzt durch den Widerstand an den Universitäten herbeigeführt. Erst im vergangenen Jahr wurde dem 50. Jahrestag des Aufstands an der Technischen Universität (Polytechnio) in Athen gedacht, der der Anfang vom Ende der Diktatur war.

Damals wurde auch erkämpft, dass die Polizei die Universitäten nicht betreten darf. Die Auflösung dieses Freiraums durch die Einführung einer gesonderten Polizeieinheit für die Hochschulen wurde durch die Studierenden im letzten Jahr durch militante Kämpfe zurückgeschlagen. Dabei geht es auch darum, die Universitäten als bedeutende Orte der revolutionären Bewegung zu erhalten. So finden dort nicht nur Treffen und Aktionen statt, sondern auch eine Vielzahl politisch-kultureller Aktivitäten, die von Studierenden und antikapitalistischen Organisationen selbst organisiert werden. Und auch in den allgemeineren politischen Kämpfen spielen die Studierenden eine große Rolle. Das ist nicht zuletzt so, weil verschiedene Organisationen immer wieder auf den Schulterschluss mit der Arbeiter:innenbewegung hinwirken, weil die Studierenden alleine im Kampf für den Kommunismus nicht gewinnen können.

Die Kämpfe in Griechenland bekannt machen und daraus lernen!

In den deutschen Bonzen-Medien werden die Kämpfe in Griechenland so gut wie gar nicht thematisiert. Man möchte sich offenbar nicht damit schmücken, dass die EU für Millionen Menschen eben bedeutet, Sparprogramme aus Berlin diktiert zu bekommen, die auch mit Polizeiknüppeln gegen Jugendliche blutig verteidigt werden. Genauso möchte man Menschen offenbar nicht das Gefühl geben, etwas an der Welt verändern zu können, wie es Jugendliche in Griechenland schon seit Jahrzehnten tun.

Die Studierendenproteste in Griechenland sollten wir als Möglichkeit verstehen, begreiflich zu machen, was man erreichen kann, wenn man sich für die eigenen Interessen einsetzt. Sie zeigen außerdem, wie wichtig es ist, sich in klassenkämpferischen Organisationen zusammen zu schließen, um Erfolg zu haben und nicht als Stellvertreter:innen zu agieren.

Gleichzeitig müssen wir uns als Internationalist:innen auch praktisch solidarisch zeigen. Wir können Solidaritätsaktionen mit unseren griechischen Freund:innen und Genoss:innen organisieren und dabei gleichzeitig auch den deutschen Imperialismus ins Visier nehmen, in dessen Interesse in Griechenland gekürzt und die Arbeiter:innenbewegung angegriffen wird. Insbesondere jetzt, wo die Studierenden weiter kämpfen, obwohl das Gesez im Parlament verabschiedet wurde, sollten wir es uns zur Aufgabe machen, Solidarität zu organisieren.

Solidarität mit den Studierendenprotesten in Griechenland! Revolutionäre Politik international verteidigen!

Praktische Solidarität gegen staatliche Repression! Heraus zum 18. März!

Öffentlichkeitsfahndung, Medienhetze, wahllose Hausdurchsuchungen, Haftbefehle und Gefängnisstrafen: Die politische Repression gegen antifaschistische, umweltpolitische, revolutionäre und kommunistische Kräfte in Deutschland nimmt in den vergangenen Monaten deutlich an Fahrt auf.

Die Auseinandersetzungen verschärfen sich nicht nur zwischen den imperialistischen Staaten, sondern auch der Klassenkampf von oben gegen all jene, die hier in Deutschland gegen die Politik der Herrschenden stehen, ihre Macht und ihr System kritisieren, sich dagegen organisieren oder auch ganz praktisch zur Tat schreiten, nimmt immer weiter zu.

Dabei nehmen neben bürgerlichen Politiker:innen, insbesondere die Medienmonopole eine aggressive Rolle ein, um eine regelrechte Hetzjagd gegen alles, was links ist und sich nicht der herrschenden Ordnung, ihrem Gewaltmonopol und ihrer immer schnelleren Rechtsentwicklung unterordnet.

Auch auf der juristischen Ebene nehmen die Angriffe zu, werden demokratische Rechte beschnitten, die Polizei und Geheimdienste aufgerüstet, militarisiert und ihre Befugnisse von allen Einschränkungen „befreit“. Ein immer weiter um sich greifendes Feindstrafrecht, welches bereits abweichende Meinungen bestraft und unterdrückt, komplettiert diese Entwicklung.

Freiheit und Glück allen politischen Gefangenen!

In diese Entwicklung reihen sich immer häufiger verhängte Haftstrafen und ausgedehnte Untersuchungshaft gegen linke und revolutionäre Aktivist:innen ein. Gleichzeitig werden Versammlungs- und Organisationsverbote genutzt um die Repression maximal ausweiten zu können.

Mittel wie die Präventivhaft oder das reaktionäre Aufenthaltsrecht werden als Waffe gegen politische Aktivist:innen eingesetzt, um eine Abkehr von einer gegen dieses System gerichteten Politik zu erzwingen.

Mit der unermüdlichen über Jahrzehnte anhaltende Jagd nach drei vermeintlichen ehemaligen Mitgliedern der Roten Armee Fraktion zeigt der Klassenstaat, dass er versucht jeden Beweis zunichte zu machen, dass wir diesem System die Stirn bieten können.

Wir stehen an der Seite aller Gefangenen, die auf Grund ihres Kampfes gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Reaktion Repression erfahren. Wir grüßen all jene, die sich dem Zugriff des Staates entziehen, um den politischen Kampf außerhalb der Gefängnismauern fortzuführen.

Gemeinsam organisieren und kämpfen gegen ihre Repression!

Um ihre Repression ins Leere laufen zu lassen, müssen wir uns gemeinsam organisieren, unversöhnlich gegen das kapitalistische System kämpfen und praktische Solidarität gegen die staatliche Repression zeigen.

Nutzen wir den 18. März für Demonstrationen und Aktionen auf den Straßen! Schicken wir den Gefangenen Briefe hinter die hohen Knastmauern und durchbrechen so ihre Isolation! Unterstützen wir Organisationen wie die Rote Hilfe, die seit 100 Jahren an der Seite all jener steht, die von der Klassenjustiz verfolgt werden.

Für uns gilt es heute, sich nicht an ihre Ordnung anpassen, sondern durch unsere revolutionäre Praxis zu zeigen, dass sie auf Sand gebaut ist. Je energischer die Herrschenden versuchen, uns in dieses System und sein jede revolutionäre Praxis und Organisierung erstickendes „demokratisches Korsett“ zu zwingen, desto stärker muss unser Wille sein, eben dieses zu sprengen.

Darum am 18. März auf die Straße gegen ihre Repression und Klassenjustiz – für den Sozialismus!

Marxismus und Revisionismus

Entwicklung, Grundzüge & antirevisionistischer Kampf

Dass das Wort „Revisionismus“ nichts Gutes bedeutet, ist schnell jedem klar, der sich in der kommunistischen Bewegung herumtreibt. Bernstein, Tito und Chruschtschow sind Namen, die beispielhaft für den Verrat an den Prinzipien des wissenschaftlichen Sozialismus und die Theoretisierung dieses Verrats – eben den Revisionismus – stehen. Doch was verstehen wir genau unter Revisionismus? Was unterscheidet und was verbindet ihn mit anderen Strömungen in der Arbeiter:innenbewegung wie z.B. dem kleinbürgerlichen, utopischen Sozialismus vor Marx und Engels, der zwischen Reform und Revolution schwankt? Welche historische Entwicklung hat er genommen? Was ist „moderner“ Revisionismus? Wieso ist die Beibehaltung marxistischer Begriffe bei Umdeutung ihres Inhalts durch bürgerliche Positionen so zentral für den modernen Revisionismus und dessen Verständnis? Und welche Grundlage hat die Entstehung des Revisionismus in den Klassenverhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft? Auf diese und andere Fragen wollen wir in dem vorliegenden Artikel eingehen.

Marxismus und kleinbürgerlicher Sozialismus

Die kommunistische Bewegung in Deutschland ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Ihre Entstehung ist untrennbar mit den Namen von Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) verknüpft, die den Kommunismus theoretisch begründeten und mit den ersten kommunistischen Arbeiterorganisationen mit aufbauten. Mit dem wissenschaftlichen Sozialismus arbeiteten sie das theoretische Fundament des Kommunismus heraus und verwandelten ihn aus einer utopischen Vorstellung radikaler Intellektueller und Arbeiter:innen in eine Wissenschaft. Sie arbeiteten heraus, dass die Notwendigkeit des Sozialismus und des Kommunismus aus der materiellen Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft heraus entsteht, und dass das Proletariat diejenige Klasse ist, die dazu bestimmt ist, den Sozialismus in einer Revolution gegen die bürgerliche Gesellschaft zu erkämpfen und die Diktatur des Proletariats zu errichten. Marx und Engels begründeten in der Praxis mit dem „Bund der Kommunisten“ die erste revolutionäre Organisation des Proletariats, und schufen mit der Internationalen Arbeiterassoziation (1864 – 1876) auch die erste Vorläuferin der revolutionären Weltpartei.

Im Kommunistischen Manifest (1848), dem ersten kommunistischen Programm, gingen Marx und Engels auf Sozialismusvorstellungen und -strömungen ein, die sich in anderen Klassen als dem Proletariat entwickelt hatten bzw. die Interessen dieser Klassen ausdrückten. Dazu zählte auch der kleinbürgerliche Sozialismus, der die Interessen der zwischen Bourgeoisie und Proletariat stehenden Schichten der bürgerlichen Gesellschaft widerspiegelte: „In den Ländern, wo sich die moderne Zivilisation entwickelt hat, hat sich eine neue Kleinbürgerschaft gebildet, die zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie schwebt und als ergänzender Teil der bürgerlichen Gesellschaft stets von neuem sich bildet, deren Mitglieder aber beständig durch die Konkurrenz ins Proletariat hinabgeschleudert werden (…)“.1

Diese kleinbürgerlichen Schichten sind politisch durch ein Schwanken zwischen Bourgeoisie und Proletariat gekennzeichnet: zwischen dem Kampf gegen die Auswirkungen des Kapitalismus und der Verteidigung seiner Grundlagen, zwischen der Feindschaft gegenüber dem Großkapital bei gleichzeitigem Festhalten an Privateigentum, Warenproduktion und bürgerlichem Staat. Für den kleinbürgerlichen Sozialismus ist es dementsprechend charakteristisch, ein bisschen Sozialismus, jedoch mit allen Vorzügen des Kapitalismus anzustreben. Das heißt nur die Nachteile des Kapitalismus für das Kleinbürger:innentum abzulehnen und vor der „Permanenzerklärung“ der Revolution,2 der dauerhaften Revolutionierung aller gesellschaftlichen Verhältnisse zur Vernichtung aller Klassengegensätze zurückzuschrecken: „In Ländern wie in Frankreich, wo die Bauernklasse weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, war es natürlich, daß Schriftsteller, die für das Proletariat gegen die Bourgeoisie auftraten, an ihre Kritik des Bourgeoisregimes den kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Maßstab anlegten und die Partei der Arbeiter vom Standpunkt des Kleinbürgertums ergriffen. Es bildete sich so der kleinbürgerliche Sozialismus. (…)

Dieser Sozialismus zergliederte höchst scharfsinnig die Widersprüche in den modernen Produktionsverhältnissen. Er enthüllte die gleisnerischen Beschönigungen der Ökonomen. Er wies unwiderleglich die zerstörenden Wirkungen der Maschinerie und der Teilung der Arbeit nach, die Konzentration der Kapitalien und des Grundbesitzes, die Überproduktion, die Krisen, den notwendigen Untergang der kleinen Bürger und Bauern, das Elend des Proletariats, die Anarchie in der Produktion, die schreienden Mißverhältnisse in der Verteilung des Reichtums, den industriellen Vernichtungskrieg der Nationen untereinander, die Auflösung der alten Sitten, der alten Familienverhältnisse, der alten Nationalitäten.

Seinem positiven Gehalte nach will jedoch dieser Sozialismus entweder die alten Produktions- und Verkehrsmittel wiederherstellen und mit ihnen die alten Eigentumsverhältnisse und die alte Gesellschaft, oder er will die modernen Produktions- und Verkehrsmittel in den Rahmen der alten Eigentumsverhältnisse, die von ihnen gesprengt werden, gesprengt werden mußten, gewaltsam wieder einsperren. In beiden Fällen ist er reaktionär und utopisch zugleich.“ 3

Dieser kleinbürgerliche Sozialismus war auch in der frühen deutschen Arbeiter:innenbewegung verbreitet und kam etwa in den Positionen von Ferdinand Lassalle (1825 – 1864) und des von ihm 1863 gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverbands (ADAV) zum Ausdruck. Der ADAV als erste Massenpartei der deutschen Arbeiter:innenbewegung ging von einer Reformierbarkeit des Kapitalismus und seines Staates aus. Statt der revolutionären Überwindung des Kapitalismus und dem Aufbau der Diktatur des Proletariats traten die Anhänger:innen Lassalles für einen „freien Staat“, eine „gerechte Verteilung der Arbeitsprodukte“, für Produktivgenossenschaften und ihre Förderung durch Staatskredite ein, um so den Kapitalismus zu begrenzen und in die Knie zu zwingen. Marx und Engels kritisierten es scharf, als sich der revolutionäre Flügel der Arbeiter:innenbewegung in Gestalt der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) 1875 mit dem ADAV vereinigte und dabei viele der falschen, kleinbürgerlichen Positionen Lassalles übernahm4.

Jenseits von Deutschland war Pierre-Joseph Proudhon (1809 -1865) der wichtigste Vertreter des kleinbürgerlichen Sozialismus, gegen den Marx ebenfalls in vielen Artikeln und Büchern polemisierte. Auf Proudhon, der für ein „gerecht“ verteiltes Kleineigentum eintrat, berufen sich heute noch viele Vertreter:innen des Anarchismus.

Imperialismus, Arbeiteraristokratie und Reformismus

Das Werk von Marx und Engels wurde später in Russland von Lenin (1870-1924) aufgegriffen und weiterentwickelt, der mit der Lehre von der Partei neuen Typs das Verständnis über die notwendige Organisationsform für die proletarische Revolution vertiefte, das ebenfalls schon von Marx und Engels begründet worden war. Lenin zeigte auch, dass sich der Kapitalismus zum Beginn des 20. Jahrhunderts weiterentwickelt hatte und ein neues Stadium, den Imperialismus, den Kapitalismus der Monopole, angenommen hatte. In den fortgeschrittensten Ländern des Kapitalismus entstand unter diesen Bedingungen eine privilegierte Schicht innerhalb der Arbeiter:innenklasse, die Arbeiteraristokratie, die vom Kapital mit Teilen der Extraprofite aus der Ausbeutung der Kolonien bestochen wurde: „England, Frankreich, die Vereinigten Staaten und Deutschland –, dieses Häuflein Länder hat Monopole in unermeßlichen Ausmaßen entwickelt, bezieht einen Extraprofit in Höhe von Hunderten Millionen, wenn nicht von Milliarden, saugt die anderen Länder, deren Bevölkerung nach Hunderten und aber Hunderten Millionen zählt, erbarmungslos aus und kämpft untereinander um die Teilung der besonders üppigen, besonders fetten, besonders bequemen Beute. (…) Die Bourgeoisie einer imperialistischen ‚Groß‘macht ist ökonomisch in der Lage, die oberen Schichten ‚ihrer‘ Arbeiter zu bestechen und dafür ein- oder zweihundert Millionen Francs im Jahr auszuwerfen …“5

Der Imperialismus trieb die Widersprüche des Kapitalismus auf die Spitze, steigerte die Ausbeutung einer Mehrheit unterdrückter Nationen durch die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder immer mehr, setzte den antikolonialen Befreiungskampf gegen die Imperialisten auf die Tagesordnung und führte gesetzmäßig zu Kriegen um die Neuaufteilung der Welt zwischen den kapitalistischen Ländern. Währenddessen gingen die Arbeiteraristokratie und ihre politischen Vertreter:innen auf die Seiten des Imperialismus über, predigten den Kampf um Reformen statt der proletarischen Revolution, schrieben sich im imperialistischen Krieg die Verteidigung des bürgerlichen Nationalstaats an der Seite der eigenen Bourgeoisie auf die Fahnen und machten sich damit zur Agentur der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiter:innenbewegung. Lenin analysierte dazu: „Tatsache ist, daß ‚bürgerliche Arbeiterparteien‘ als politische Erscheinung schon in allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern entstanden sind; daß ohne entschiedenen, schonungslosen Kampf auf der ganzen Linie gegen diese Parteien – oder auch Gruppen, Richtungen usw. – weder von einem Kampf gegen den Imperialismus noch von Marxismus, noch von einer sozialistischen Arbeiterbewegung die Rede sein kann.“6

Die theoretischen Vertreter:-innen dieses Flügels innerhalb der Arbeiter:innenbewegung waren zu Zeiten Lenins dazu übergegangen, den proletarischen Sozialismus erst zum kleinbürgerlichen Sozialismus zurückzuentwickeln und zu behaupten, mit der Weiterentwicklung des Kapitalismus sei dieser reformierbar geworden. Schließlich ging die Zweite Internationale (gegründet 1889) mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 offen auf die Seite der imperialistischen Bourgeoisie über.

Viele der theoretischen Vertre-ter:innen des Reformismus in der Arbeiter:innenbewegung bedienten sich dabei weiter der Sprache und auch der Begriffe des Marxismus, deren Inhalt sie jedoch ins Gegenteil verkehrten und durch bürgerliche Positionen ersetzten. Zum Beispiel behaupteten sie, der „orthodoxe Marxismus“ müsse durch einen „moderneren“ Marxismus ersetzt werden, der jedoch in Wahrheit bürgerlicher Antimarxismus war. Sie wollten den Marxismus nicht weiterentwickeln, ihn nicht auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen anwenden – wie Lenin es z.B. getan hat – sondern ihn in seinen Grundpositionen revidieren: Nämlich in den Fragen der Revolution und der Diktatur des Proletariats. Folglich sprechen wir bei dieser theoretischen Strömung vom Revisionismus. Im engeren Sinne fassen wir darunter den klassischen Revisionismus, wie ihn Eduard Bernstein entwickelt hat, sowie den modernen Revisionismus, dessen bekannteste Vertreter Chruschtschow, Tito, Browder und andere frühere Kommunist:innen gewesen sind.

Die Entstehung des klassischen Revisionismus

Als offene theoretische Strömung in der Arbeiter:innenbewe-gung war der klassische Revisionismus bereits am Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland auf den Plan getreten. Sein wichtigster Vertreter war Eduard Bernstein (1850-1932). Die Sozialdemokratische Partei als politische Organisation der Arbeiter:innenbewegung war damals zwar unter dem Druck der Illegalisierung durch die Sozialistengesetze ab 1878 nach links gerückt und hatte sich organisatorisch gefestigt. Sie blieb jedoch ein Sammelbecken, das neben einem revolutionären Flügel den kleinbürgerlichen Sozialismus als Strömung mit umfasste. Auch Bernstein gehörte dieser Strömung an und verwarf zusammen mit anderen Sozialdemokraten das Ziel der Schaffung einer sozialistischen Gesellschaft. In einem anonymen Text führte Bernstein gemeinsam mit seinen Mitstreitern Karl Höchberg und Carl August Schramm 1879 aus, dass es ihrer Meinung nach keinen Sinn mache, dass die Partei ein „Zukunftsland“ male, solange nicht alle mit diesem Zug „bis zu Ende reisen wollen und es vorziehen, von Station zu Station sich vorwärts zu bewegen“ 7: „Die Partei zeigt gerade jetzt unter dem Druck des Sozialistengesetzes, daß sie nicht gewillt ist, den Weg der gewaltsamen, blutigen Revolution zu gehen, sondern entschlossen ist (…) den Weg der Gesetzlichkeit, d.h. der Reform zu beschreiten.“ 8 Später brachte er seine reformistische Position mit dem berüchtigten Satz „Die Bewegung ist alles, das Endziel ist nichts.“ auf den Punkt.9

In der Zeit der Sozialistengesetze und zu Lebzeiten von Marx und Engels, die eine hohe Autorität in der Arbeiter:innenbewegung genossen und scharf gegen solche Positionen eintraten, ordnete sich Bernstein der linken Parteiführung zunächst unter und konnte dafür weiter für die Parteizeitung arbeiten. Später, nach dem Tod von Marx und Engels, vertrat er seine reformistischen Positionen dann offensiv, so etwa in den Schriften „Probleme des Sozialismus“ (1897), „Stellungnahmen zum Parteitag der Sozialdemokratie“ (1898) sowie „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“ (1899). Darin entwickelte er die Auffassung, dass die veränderte Situation infolge der Entwicklung des Industriekapitalismus in Deutschland eine vollständige Revision des Marxismus erfordere, zu einer neuen, antimarxistischen Theorie, dem Revisionismus, wobei er die Begrifflichkeiten des Marxismus gegen diesen verwendete.

Konkret erklärte Bernstein etwa den dialektischen Materialismus, die philosophische Grundlage des Marxismus, zu einer Privatsache von Marx und Engels und bestritt insbesondere die Erkenntnisse des historischen Materialismus, darunter etwa den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Basis und Überbau: „Die Wissenschaften, die Künste, eine größere Reihe sozialer Beziehungen sind heute viel weniger von der Ökonomie abhängig, als zu irgendeiner früheren Zeit.“ 10 Er lehnte nicht nur die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution ab, sondern bestritt in der Schrift „Der Klassenkampf als Dogma und die Wirklichkeit“ (1900) sogar, dass es überhaupt Klassen gäbe.

Bernsteins Positionen wurden innerhalb der Partei unter anderem von Rosa Luxemburg (1871 – 1919) in der Schrift „Sozialreform oder Revolution“ (1899) heftig angegriffen.11 Für eine organisatorische Trennung vom reformistischen Parteiflügel fehlte es den Kommunist:innen innerhalb der SPD jedoch an Konsequenz – ein Umstand, den Lenin immer wieder heftig kritisierte. Neben der Parteirechten um Bernstein und der Linken um Genoss:innen wie Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Karl Liebknecht bestand innerhalb der SPD noch ein zentristischer Flügel um Personen wie August Bebel (1840 – 1913), der die SPD von 1892 bis zu seinem Tod 1913 als Vorsitzender anführte, und Karl Kautsky (1854 – 1938), den damals prominentesten Theoretiker der internationalen Arbeiter:innenbewegung.

Kautsky wies zwar viele der Positionen Bernsteins zurück, tat dies jedoch nur halbherzig, näherte sich der Rechten später immer mehr an und ging selbst vom Marxismus zum Opportunismus über.

Bernsteins Theorie des Revisionismus markiert den Übergang vom kleinbürgerlichen Sozialismus zum Reformismus und Revisionismus als einer politischen Erscheinung des Imperialismus:

Der kleinbürgerliche Sozialismus bringt die zum Teil revolutionären Interessen nicht-proletarischer Klassen nach der Überwindung kapitalistischer Verhältnisse zum Ausdruck. Er ist daher trotz seiner utopischen Züge in der Regel Teil des revolutionären politischen Lagers. In revolutionären Situationen kann er jedoch auch Teil des bürgerlichen, konterrevolutionären Lagers werden, insofern er sich gegen notwendige Maßnahmen zur Errichtung und Festigung der Diktatur des Proletariats wendet. Der Revisionismus ist dagegen immer Teil des konterrevolutionären Lagers – und zwar insofern er die Interessen bestimmter Schichten und Klassen an der Verhinderung der Revolution und einer Anpassung der „bürgerlichen Arbeiterpartei“ (Lenin) an den Imperialismus zum Ausdruck bringt.

Bestand die soziale Basis des Reformismus zu Beginn von Bernsteins Wirken noch vor allem in kleinbürgerlichen Schichten, bildete sich bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland die von Lenin später beschriebene Arbeiteraristokratie heraus. Genau dieses Zusammenwirken der theoretischen Ausarbeitung des Revisionismus und des Heranwachsens einer privilegierten Schicht innerhalb der Arbeiter:innenklasse als seiner neuen sozialen Basis machte den Revisionismus so gefährlich. Das lag jedoch vor allem an der besagten Inkonsequenz der Linken und an der Existenz eines zentristischen Flügels, der zwischen Marxismus und Revisionismus hin- und herschwankte: Bernsteins Positionen wurden in ihrer offenen, ausgearbeiteten Form zwar auf verschiedenen Parteitagen der SPD mit großen Mehrheiten zurückgewiesen. Doch gerade vermittels des schwankenden Zentrums und der Nachlässigkeit der Linken konnten sich Versatzstücke von Bernsteins Ideen weit über dessen eigentliche Anhänger:innen hinaus in der Sozialdemokratie verbreiten, vor allem aber durch Zugeständnisse an die Revisionist:innen um der „Einheit der Partei“ willen Einzug in die politische Praxis halten. Auf diese Art konnte der Revisionismus in der Sozialdemokratie immer mehr gedeihen – bis sich die Partei völlig auf den Reformismus einschwor, ihre Theorie der opportunistischen Praxis anpasste und bei Weltkriegsbeginn 1914 offen auf die Seite des deutschen Imperialismus überging.12

Nicht umsonst richtete Lenin seine Angriffe in der ideologischen Auseinandersetzung mit dem Reformismus später vor allem gegen das schwankende Zentrum, etwa in Gestalt Kautskys: „Wir haben nicht den geringsten Grund zur Annahme, daß diese Parteien [die bürgerlichen Arbeiterparteien] vor der sozialen Revolution verschwinden können. Im Gegenteil, je näher wir dieser Revolution sein werden, je machtvoller sie entbrennen wird, je schroffer und heftiger die Übergänge und Sprünge im Prozeß der Revolution sein werden, eine um so größere Rolle wird in der Arbeiterbewegung der Kampf des revolutionären Stroms, des Stroms der Massen gegen den opportunistischen, den kleinbürgerlichen Strom spielen. Das Kautskyanertum ist keine selbständige Strömung, denn es wurzelt weder in den Massen noch in der zur Bourgeoisie übergegangenen privilegierten Schicht. Gefährlich ist das Kautskyanertum deshalb, weil es unter Ausnutzung der Ideologie der Vergangenheit bemüht ist, das Proletariat mit der ‚bürgerlichen Arbeiterpartei‘ zu versöhnen, die Einheit des Proletariats mit ihr durchzusetzen und dadurch die Autorität der ‚bürgerlichen Arbeiterpartei‘ zu heben.“ 13

Die russischen Bolschewiki hatten den notwendigen organisatorischen Bruch mit den reformistischen Menschewiki bereits 1912 endgültig vollzogen. Damit hatten sie die Voraussetzungen für den Aufbau einer gestählten revolutionären Kampfpartei geschaffen. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) war es schließlich, die das russische Proletariat 1917 erfolgreich zur sozialistischen Revolution führte, die Diktatur des Proletariats errichtete und mit Sowjetrussland den ersten Arbeiter:innenstaat der Welt schuf. Nach dem Sieg der Bolschewiki im russischen Bürgerkrieg 1922 wurde die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) gegründet.

Kommunistische Weltbewegung und Trotzkismus

Als Antwort auf den Verrat der Zweiten Internationale bei Kriegsbeginn 1914 verließen zahlreiche revolutionäre Kräfte und andere Kriegsgegner:innen der kapitalistischen Länder schließlich ebenfalls die sozialdemokratischen Sammlungsparteien und gründeten neue Parteien. So taten es auch die deutschen Revolutionär:innen um Rosa Luxemburg, die sich ab 1917 erst – gemeinsam mit den zentristischen Kriegsgegner:innen – in der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) organisierten, bis sie schließlich im Zuge der Novemberrevolution 1918/19 den notwendigen Schritt der organisatorischen Trennung vom Reformismus durchführten und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) schufen.

Kurz darauf, mitten in den revolutionären Kämpfen in Europa, die neben Deutschland auch Italien, Ungarn und andere Staaten ergriffen, wurde auf Initiative der russischen Bolschewiki – die sich mittlerweile in Kommunistische Partei Russlands (Bolschewiki) umbenannt hatten – im März 1919 in Moskau die Kommunistische Internationale (KI) gegründet. Während die Kommunist:innen in Russland unter Lenin und – nach dessen Tod – Stalin (1878 – 1953) für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft kämpften, war es das Ziel der KI als der kommunistischen Weltpartei, die proletarische Revolution von Russland auf andere Staaten, darunter insbesondere die Staaten Europas und China, auszuweiten.

Die Bolschewiki um Lenin und Stalin und die Kommunist:innen in den nationalen Sektionen der KI sahen sich dabei von verschiedenen Seiten Angriffen aus den eigenen Reihen ausgesetzt. In Sowjetrussland selbst formierte Leo Trotzki (1879-1940) eine Opposition gegen die Parteiführung der Bolschewiki.14 Trotzki und Lenin hatten schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Frage der zu schaffenden revolutionären Partei auseinander gelegen. Während Lenin für die konsequente organisatorische Trennung vom Reformismus eintrat, nahm Trotzki eine zentristische Position zwischen Bolschewiki und Menschewiki – ähnlich der von Kautsky – ein.

Nach Lenins Tod wandte sich Trotzki dann vor allem gegen die Politik der Bolschewiki gegenüber der russischen Bauernschaft: Damit das russische Proletariat nach der Revolution, dem anschließenden Bürgerkrieg (1917- 1922) und der Intervention durch die imperialistischen Staaten den sozialistischen Wiederaufbau der russischen Wirtschaft im Bündnis mit der Bauernschaft durchführen konnte, hatte die KP Russlands noch unter Lenin die Neue Ökonomische Politik (NÖP) eingeschlagen. Dabei ließ der sozialistische Staat auf dem Land die Warenproduktion und den freien Handel der Bäuer:innen mit ihren Produktionsüberschüssen zu, um sie am Ergebnis ihrer Arbeit materiell zu interessieren und damit die Produktion zu steigern. Dies führte notwendig zur Ausdifferenzierung der Bauernschaft, zur Herausbildung reicher Bäuer:innen (Kulaken) und zur erneuten Entstehung von Ausbeutungsbeziehungen auf dem Land, der jedoch durch die sozialistische Führung des Landes Grenzen gesetzt waren. Diese Klassengegensätze auf dem Land sollten in einer späteren Phase durch die Kollektivierung der Landwirtschaft wieder beseitigt werden, an der die armen und mittleren Bäuer:innen infolge der klassenmäßigen Ausdifferenzierung ein materielles Interesse herausbilden würden. Die Politik der Kollektivierung der Landwirtschaft wurde unter Stalin ab 1928 umgesetzt und bis 1933 erfolgreich beendet, sodass die sozialistischen Produktionsverhältnisse nun auch das Land und damit die gesamte sowjetische Wirtschaft umfassten.

Trotzki und seine Anhänger:-innen kämpften während der gesamten 1920er und 30er Jahre gegen diese Politik der Bolschewiki, wobei sie eine widersprüchliche Haltung einnahmen. Während der Phase der Neuen Ökonomischen Politik Mitte der 1920er Jahre trat Trotzki etwa für eine schnelle Kollektivierung der Landwirtschaft ein – was unter den damaligen Umständen notwendigerweise zum Bruch zwischen dem Proletariat und weiten Teilen der mittleren und armen Bauernschaft geführt und damit die politische Grundlage des sozialistischen Staates untergraben hätte.

Als die KPdSU unter Stalin 1928 schließlich den Kurs auf die Kollektivierung der Landwirtschaft einnahm, opponierten die Trotzkist:innen hiergegen und verbündeten sich zu diesem Zweck mit der Parteirechten um Nikolai Bucharin (1888 – 1938), die eine versöhnlerische Ausrichtung gegenüber den Kulaken vertrat. Trotzki hatte seine Auffassungen in der KPdSU nicht durchsetzen können und konspirativ gegen die Parteiführung gearbeitet. Deshalb war er bereits 1927 aus der Partei ausgeschlossen worden und zwei Jahre später ins Exil gegangen. Von dort aus koordinierte er den Kampf der Trotzkist:innen und ihrer Bündnispartner gegen die Kommunistische Partei, der u.a. Sabotageakte, politische Morde und andere konterrevolutionäre Gewaltakte einschloss.15 Auch in den nationalen Sektionen der KI und den sozialdemokratischen Parteien versuchten die Trotzkist:innen zum Teil eigene Fraktionen aufzubauen. 1938 gründeten trotzkistische Organisationen in Paris die „Vierte Internationale“, die sich den Kampf gegen den „Stalinismus“ zum Ziel setzte. Die Trotzkist:innen schafften es niemals große, schlagkräftige Organisationen auf Grundlage ihrer eigenen Programmatik aufzubauen, konnten jedoch in den Jahrzehnten nach ihrer Entstehung einen beträchtlichen ideologischen Einfluss vor allem unter kleinbürgerlichen Intellektuellen erzielen.

Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Trotzkist:innen für sich in Anspruch nehmen, Marxist:innen zu sein, dabei jedoch in Wahrheit für einen Zentrismus zwischen Reformismus und Kommunismus stehen. Dieser erlaubt es, sich scheinbar als „Revolutionär“ zu bezeichnen, ohne dabei auch die unbequemen Konsequenzen der Revolution etwa bezüglich der revolutionären Kader:innenpartei oder der Erschwernisse beim sozialistischen Aufbau ziehen zu müssen. Trotzkismus und Revisionismus sind also eng verwandt: Der Trotzkismus erkennt die Diktatur des Proletariats zwar abstrakt, in Worten, an, hat sich historisch, bei den konkreten Versuchen zu ihrer Umsetzung aber gegen sie gerichtet. In der Organisationsfrage nimmt er wiederum eine zentristische Position zwischen Bolschewismus und Menschewismus ein.16

Rechtsentwicklung der kommunistischen Weltbewegung ab den 1930er Jahren

Neben dem Trotzkismus sah sich die kommunistische Weltbewegung in den 1920er und 30er Jahren noch weiteren Angriffen in den verschiedenen nationalen Sektionen ausgesetzt. Dabei spielte der Zentrismus, die schwankende Haltung gegenüber dem Reformismus, eine besonders verheerende Rolle.

Ebenso wie in Deutschland hatten sich auch die Kommunist:innen anderer westeuropäischer Länder wie Frankreich, Italien und England erst spät und zum Teil nur inkonsequent vom reformistischen Flügel der Arbeiter:innenbewegung getrennt. Die Kommunistische Partei Frankreichs etwa gründete sich erst 1920 nach der Abspaltung von der französischen Sektion der Zweiten Internationale. Die KP Italiens vollzog diesen Schritt 1921. Im Vereinigten Königreich, das überhaupt keine Tradition organisierter revolutionärer Kräfte aufwies, gründete sich die Kommunistische Partei als nationale Sektion der KI im Jahr 1920.

Ebenso wie die KPD brachten all diese Parteien starke sozialdemokratische Erblasten in politischer und organisatorischer Hinsicht mit sich. Dies schloss unter anderem einen weitgehend legalistischen Aufbau der Parteiorganisationen ein, eine schematische Trennung von politischer und gewerkschaftlicher Arbeit sowie eine starke Fixierung auf die parlamentarische Arbeit.17 Diese reichte bis zur Ausrichtung auf eine Regierungsbeteiligung in bürgerlich-demokratischen Staaten. Passend dazu wiesen alle westeuropäischen Parteien immer wieder starke Schwankungen in ihrem Verhältnis zur Sozialdemokratie auf, die nicht als Agentur der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiter:innenbewegung, sondern gegen jegliche praktische Erfahrung immer wieder als potentieller Bündnispartner der Kommunist:innen betrachtet wurde. Dies wirkte sich besonders verheerend aus, als der Kapitalismus nach einer Phase der relativen Stabilisierung Mitte der 1920er Jahre ab 1929 wieder in eine schwere Krise geriet. Damals waren es sozialdemokratische Parteien, die in Deutschland und anderen Ländern die Angriffe des Kapitals gegen die Arbeiter:innenklasse als erste mit umsetzten, wie etwa die materielle Umverteilung von unten nach oben oder das Verbot revolutionärer Organisationen (z.B. des Rotfrontkämpferbundes in Deutschland).

Die Kommunistische Internationale hatte diese Entwicklung bei ihrem VI. Weltkongress im Jahr 1928 bereits vorhergesehen und die Ausrichtung eines offensiven Kampfes gegen den sozialdemokratischen Einfluss in der Arbeiter:innenbewegung zum Zweck des Kampfes um die sozialistische Revolution beschlossen. Bereits bei diesem Weltkongress sah sich die KI genötigt, „Schwankungen der rechten Gruppen in einer Reihe Sektionen“ gegenüber dem Reformismus zu verurteilen. Der Kongress bestätigte auch das Eingreifen des Exekutivkomitees der KI in die Politik der französischen und englischen Sektion.18 Die französischen Kommunist:innen hatten zuvor ein Wahlbündnis mit den Sozialisten angestrebt, während die englischen Kommunist:innen bis dahin noch innerhalb der Labour Party gearbeitet und sich dort auf den Kampf gegen die konservative Baldwin-Regierung konzentriert hatten (bevor die Labour-Party 1929 selbst die Regierung übernahm).

Diese politische Ausrichtung der KI19 änderte sich nach dem Scheitern der revolutionären Offensive in Deutschland und dem Machtantritt des Hitlerfaschismus im Jahr 1933. Da sich mit der Niederlage der deutschen Kommunist:innen die Perspektive auf die Fortführung der Weltrevolution in Europa auf unbestimmte Zeit zerschlagen hatte, schlug die kommunistische Weltbewegung in den 1930er Jahren einen defensiven Kurs ein, der die Verteidigung der Sowjetunion und das Zurückdrängen des Faschismus in Europa zum Ziel hatte. Zu diesem Zweck beschloss der VII. Weltkongress der KI im Jahr 1935 die Orientierung auf Einheitsfronten auch mit den Führungen der Sozialdemokratie und die Bildung von antifaschistischen Volksfrontbündnissen unter Einschluss bürgerlich-demokratischer Parteien, die bis zur Bildung gemeinsamer Regierungen gehen sollten. Darüber hinaus orientierte der Kongress auf die Vereinigung von kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien zur „einheitlichen Partei des Proletariats“.20 Die kommunistischen Parteien sollten „entschlossen und zuversichtlich die Initiative der Durchführung dieser Vereinigung in ihre Hand nehmen“.21

Für die Ausrichtung auf die Bildung von Einheitsparteien wurden zwar eine Reihe von Bedingungen definiert, darunter der „vollständige Verzicht der Sozialdemokratie auf den Block mit der Bourgeoisie“ und die „Anerkennung der Notwendigkeit des revolutionären Sturzes der Herrschaft der Bourgeoisie und der Aufrichtung der Diktatur des Proletariats in der Form von Sowjets“.22 Trotzdem schuf die KI damit bereits Spielräume für prinzipienlose Vereinigungen von kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien und die Aufgabe der organisatorischen Selbständigkeit der Kommunist:innen.

Im Gesamtergebnis beschloss der VII. Weltkongress zwar eine Änderung der kommunistischen Taktik, die durch die neu entstandene Weltlage notwendig geworden war. Der damit verbundene Schritt der Bewegung nach rechts war jedoch zugleich Ausdruck davon, dass die rechten Kräfte innerhalb der kommunistischen Weltbewegung im Zuge der Niederlage in Deutschland von 1933 bereits erheblichen Auftrieb bekommen hatten. Das galt sowieso für westeuropäische Parteien wie die französische oder die englische, die von der KI schon Ende der 1920er Jahre für ihre reformistischen Tendenzen gerügt worden waren: Ab 1936 stützte die KPF die „Front Populaire“-Regierung von Léon Blum aus den sozialdemokratischen Parteien SFIO und der Parti Radical. Dem vorausgegangen war ein Aktionspakt, den die Partei unter der Führung von Maurice Thorez 1934 mit den Sozialist:innen der SFIO abgeschlossen hatte. Für diesen stellten die Kommunist:innen ihren Kampf gegen die französische Kolonialpolitik weitgehend zurück („Patriotische Wende“). In England scheiterten Pläne zur Bildung einer Volksfront gegen die hitlerfreundliche Politik der konservativen Chamberlain-Regierung, an denen neben Kommunist:innen unter anderem die Labour Party und der Flügel der Konservativen Partei um Winston Churchill beteiligt waren.

Die Rechtsentwicklung betraf aber auch die KPdSU selbst, die ihre Außenpolitik in den 1930er Jahren erheblich veränderte. Bis dahin hatte sie über die KI noch vorrangig die Ausdehnung der Weltrevolution nach West und Ost durch proletarische Revolutionen in den Staaten Europas und Asiens verfolgt. Dem entsprach die Ausrichtung der nationalen Sektionen auf die Bolschewisierung, das heißt ihren Umbau in Parteien leninistischen Typs, und den Kampf um die Macht. 1923, als in Deutschland eine revolutionäre Situation heranreifte, war die KPdSU-Führung sogar bereit, für die Durchsetzung der Revolution in Deutschland zwei Jahre nach Ende des russischen Bürgerkriegs erneut in den Krieg zu ziehen.23

Ab Mitte der 1930er Jahre änderte sie ihre außenpolitische Strategie dagegen zugunsten der Herstellung eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa, das heißt zugunsten des Versuchs, durch wechselseitige Nichtangriffs- und Beistandsverträge mit England, Frankreich und anderen Staaten eine zumindest mittelfristige friedliche Koexistenz mit dem Imperialismus herzustellen. Zur Erreichung dieses Ziels wurden auch die Anstrengungen zur Bolschewisierung der westeuropäischen kommunistischen Parteien letztlich eingestellt und damit der Kampf um die sozialistische Revolution in Europa auch von der KPdSU-Führung zumindest auf Jahre hinaus aufgegeben. Die defensive Ausrichtung der KI-Sektionen auf Volksfronten und die Außenpolitik der Sowjetunion gingen Hand in Hand, denn die strategische Führung der kommunistischen Weltbewegung lag unbestritten beim Zentralkomitee der KPdSU, welche die KI-Aktivitäten auch finanzierte.24

Im Zuge dieser Entwicklung wurde die Strategie der Weltrevolution schleichend einer nationalen Geostrategie der Sowjetunion untergeordnet – womit sich bereits ein Abgleiten der KPdSU in Richtung einer nationalistischen Linie ankündigte. Diese Tendenz zeigte sich etwa 1939, als die Sowjetunion ein Nichtangriffsabkommen mit Hitlerdeutschland schloss: Die KI wies ihre Sektionen zu Beginn des Zweiten Weltkriegs an, ihre Propaganda vor allem gegen den englischen Imperialismus und die Sozialdemokratien ihrer Länder zu richten und die antifaschistische Propaganda zurückzuschrauben.25 Im Dezember 1940 forderte sie die KP der Tschechoslowakei über ihren Vorsitzenden dazu auf, sich nicht in bewaffnete Kämpfe gegen die deutsche Besatzungsmacht zu verwickeln26 sowie gegen „antideutschen Chauvinismus“ einzutreten.27 Nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion 1941 drehte die KPdSU diese Ausrichtung wieder um und schwor die gesamte Weltbewegung im Zuge der Herstellung eines Bündnisses mit den Alliierten erneut auf die Volksfrontlinie ein. Politisch immer mehr ihrer Bedeutung beraubt, wurde die Kommunistische Internationale im Jahr 1943 auf Initiative Stalins schließlich aufgelöst. Dieser erklärte in einem Presseinterview im selben Monat, dass die Auflösung der KI richtig sei, denn sie entlarve „die Lüge der Hitlerleute, daß ‚Moskau‘ angeblich beabsichtige, sich in das Leben anderer Staaten einzumischen und sie zu bolschewisieren“.28 Laut Dimitroffs Tagebuch-Aufzeichnungen lag die Begründung Stalins für seine Initiative zur Auflösung der KI – die bereits seit Herbst 1941 anvisiert war – darin, dass es „unmöglich“ sei, „die Arbeiterbewegung aller Länder von einem einzigen internationalen Zentrum ausgehend zu führen“. Dies habe die Erfahrung „sowohl zu Marx’ als auch zu Lenins Zeiten, sowie jetzt“, gezeigt: „Vor allem jetzt, unter Kriegsbedingungen, da die Kommunistischen Parteien in Deutschland, Italien und anderen Ländern die Aufgabe haben, ihre Regierungen zu stürzen und defätistische Taktiken anzuwenden, während die Kommunistischen Parteien in der UdSSR, in England, Amerika und anderen Ländern ganz im Gegenteil die Aufgabe haben, ihre Regierungen voll und ganz für die unmittelbare Zerstörung des Feindes zu unterstützen.29 Erst 1947 gründete die KPdSU mit ausgewählten kommunistischen Parteien aus Europa30 das „Kommunistische Informationsbüro“ (Kominform) und damit wieder eine internationale Organisation. Das Kominform diente jedoch eher als eine Koordination und nahm nicht die Funktion einer Weltpartei ein. Das Kominform wurde wiederum 1956 von den Nachfolgern Stalins in der KPdSU-Führung aufgelöst.

Doch nicht nur die Außenpolitik der Sowjetunion war damals von einem gewissen Schwenk nach rechts, in Richtung des Zentrismus, gekennzeichnet. Bezüglich der inneren Lage des ersten sozialistischen Staates vertraten Stalin und die Führung der KPdSU ab 1936 die Theorie, dass mit der Beseitigung des Kulakentums als Klasse alle inneren klassenmäßigen Grundlagen für die Wiederherstellung des Kapitalismus in der Sowjetunion beseitigt seien und dass es mit der Arbeiter:innenklasse, der Bauernschaft und der Intelligenz nur noch befreundete Klassen gebe.31 Die Existenz der trotzkistischen, bucharinistischen und anderer feindlicher Elemente sei im wesentlichen eine individuelle Frage, die administrativ durch die Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden der Sowjetunion gelöst werden konnte. Dies geschah dann auch in den Jahren nach 1934 mit den „Großen Säuberungen“. Stalin hat 1937 noch erklärt, der Klassenkampf werde nicht erlöschen, sondern sich sogar verschärfen.32 Der offensichtliche logische Widerspruch zwischen dieser Feststellung und der gleichzeitig vertretenen Position, dass es nur noch befreundete Klassen gäbe und der Sozialismus von innen heraus nicht mehr zerstört werden könne, wurde theoretisch nie aufgelöst. 1939 wurde dann der Prozess der Bekämpfung feindlicher Elemente auf dem XVIII. Parteitag für abgeschlossen erklärt. Der Sowjetgesellschaft seien „Klassenzusammenstöße fremd“.33 Nun bestehe die „Hauptaufgabe unseres Staates im Innern des Landes in der friedlichen wirtschaftlich-organisatorischen und kulturell-erzieherischen Arbeit. Was unsere Armee, die Straforgane und den Abwehrdienst anbelangt, so ist nun ihre Spitze nicht nach dem Innern des Landes gerichtet, sondern nach außen, gegen die äußeren Feinde.“ 34

Ebenso entwickelte Stalin beim XVIII. Parteitag der KPdSU 1939 die Auffassung, dass die Sowjetunion nun auch allein zum Kommunismus voranschreiten könne und der Staat in diesem Fall – bei einer weiteren kapitalistischen Umkreisung – erhalten bleiben müsse.35

Die genannten Auffassungen sollten sich jedoch in der Praxis als falsch, nämlich als Unterschätzung der inneren Möglichkeiten für das Wiederentstehen von Klassenwidersprüchen im Sozialismus herausstellen. Im selben Zeitraum, als Stalin und die KPdSU die oben genannten Positionen entwickelten, zeigten sich nämlich bereits erste Tendenzen in Richtung einer Verselbständigung der sowjetischen Staatsfunktionär:innen und Betriebsleiter:innen zu einer neuen Klasse: So wurden die Lohnunterschiede zwischen führenden Kader:innen des Sowjetstaates und einfachen Arbeiter:innen nicht nur nicht mehr abgebaut, sondern mit der Abschaffung des Parteimaximums im Jahr 1934 sogar faktisch ausgebaut.36 Unter dem Parteimaximum war bis dahin die Pflicht für Kommunist:innen verstanden worden, den Teil ihres Gehalts, der eine bestimmte Grenze überschreitet, an die Partei abzugeben. Die Arbeiter- und Bauerninspektion (Zentrale Kontrollkommission), die der Kontrolle aller Ebenen von Parteiorganen durch die Parteibasis und die parteilosen Massen diente, wurde nach Einführung der neuen sowjetischen Verfassung von 1936 in ihrer bisherigen unabhängigen Form aufgelöst und der Parteileitung untergeordnet.37 Die Sowjets als führende Organe des Staates hatten ihre selbständige Aktivität bereits seit Ende der 1920er Jahre immer mehr eingebüßt, traten zum Teil nur noch selten zusammen und verloren das Recht, lokale Richter:innen und Staatsanwält:innen zu ernennen. Auch gesellschaftspolitisch gab es deutliche Anzeichen für eine Rückentwicklung: 1936 etwa hob die Sowjetunion das 1920 eingeführte Abtreibungsrecht wieder auf. Zwei Jahre zuvor war die 1921 legalisierte Homosexualität zwischen Männern erneut unter Strafe gestellt worden.

Am schwersten dürfte jedoch gewogen haben, dass eine offene Diskussion darüber, welche gesellschaftlichen Rückstände in der Sowjetunion noch herrschten und in Zukunft zu überwinden seien, sowie welche zeitweiligen Rückschritte in der internationalen Strategie erforderlich waren, ab den 1930er Jahren faktisch nicht mehr stattfand. Stattdessen vermischte sich im Rahmen der Parteisäuberungskampagne nach dem Mord am Leningrader Parteiführer Sergej Kirow 1934 der Kampf gegen den konterrevolutionären Untergrund aus Trotzkist:innen und faschistischen Agent:innen offenbar mit einem eskalierenden Machtkampf innerhalb des Partei- und Staatsapparates. Dieser erstickte auch jegliche offene Diskussionskultur in Partei und Gesellschaft. Innerhalb der Säuberungskampagne wurden auch zahlreiche Funktionär:innen der KI und ihrer nationalen Sektionen in der Sowjetunion unter dem Verdacht, trotzkistische Verschwörer:innen oder feindliche Agent:innen zu sein, verhaftet und erschossen. Darunter fallen insbesondere viele Vertreter:innen der vormaligen linken, auf die revolutionäre Offensive in Europa gerichteten Linie der KI, so etwa die 1938/39 hingerichteten ehemaligen leitenden KI-Funktionäre Ossip Pjatnizki, Bela Kun und Wilhelm Knorin und der größte Teil der vormaligen linken ZK-Mehrheit der KPD. Wir können diese Fälle nicht im einzelnen beurteilen. Das Muster gerade bei der Säuberung der KI-Organe legt jedoch entweder die Schlussfolgerung nahe, dass sich die führenden Teile des linken Flügels der kommunistischen Weltbewegung tatsächlich dem trotzkistischen Untergrund angeschlossen hatten – so war es die offizielle sowjetische Version – oder aber dass dieser Flügel im Rahmen des Kurswechsels der KPdSU und KI gezielt ausgeschaltet wurde. Letztere Version wird seit Jahrzehnten von Trotzkist:innen und Antikommunist:innen verbreitet.

Die Wahrheit könnte aber auch dazwischen liegen und komplizierter sein: Zum Beispiel dahingehend, dass die KI zwar tatsächlich im Fokus trotzkistischer Unterwanderungsarbeit lag, bei ihrer Säuberung jedoch auch zahlreiche Angehörige der Linken ausgeschaltet wurden, die nicht Teil der Verschwörung waren: Etwa weil sie von politischen Gegner:innen innerhalb von Partei und Staat gezielt verleumdet wurden oder Exzessen zum Opfer gefallen sind. Dass es während der Säuberung zahlreiche Verleumdungen und Exzesse gab, ist unstrittig. Gefördert wurden sie durch den kampagnenartigen Charakter der Säuberung, bei der den lokalen und regionalen Repressionsbehörden auch prozentuale Vorgaben für zu entlarvende „trotzkistische Verschwörer“ gemacht wurden. Anfechtungen von Gerichtsurteilen und Gnadengesuche waren nach Beschluss des Politbüros beim Vorwurf des Terrorismus nicht mehr zulässig und Todesurteile waren sofort nach dem Urteil zu vollstrecken.
Für die These, dass sich die Säuberung mit einem Machtkampf innerhalb von Partei und Staat vermischt hat, spricht, dass führende Revisionisten späterer Jahre wie Nikita Chruschtschow (1894 – 1971) eine herausgehobene Rolle bei den Säuberungen spielten38 und die beiden sowjetischen Geheimdienstchefs und „Chefsäuberer“ Genrich Jagoda (1891-1938) und Nikolai Jeschow (1895-1940) selbst im Zuge der Säuberungen angeklagt und hingerichtet worden sind. Zudem wurden mit der Säuberung gerade der linke Flügel zahlreicher KI-Sektionen faktisch ausgeschaltet. Unabhängig davon, wer von den verantwortlicher Politiker:innen in der Sowjetunion damals welchen Anteil an den Säuberungen und der sich entwickelnden eskalierenden Dynamik innerhalb der Kampagne hatte, ist belegt, dass Stalin im Rechenschaftsbericht auf dem XVIII. Parteitag 1939 einräumte, es lasse sich nicht behaupten, „dass die Reinigung ohne ernstliche Fehler durchgeführt wurde. Leider wurden mehr Fehler begangen, als anzunehmen war. Es unterliegt keinem Zweifel, dass wir die Methode der Reinigung im Massenmaßstab nicht mehr anzuwenden brauchen. Doch war die Reinigung in den Jahren 1933-1936 unerläßlich und zeitigte im wesentlichen positive Ergebnisse.“39

Auch wenn die genaue historische Interpretation der faktischen Ausschaltung der Linken während der Säuberung unklar bleibt, lässt sich eine wichtige politische Schlussfolgerung mit Sicherheit aus ihr ziehen: Die Auffassung der KPdSU-Führung, das Problem sowjetfeindlicher Kräfte könne rein administrativ mithilfe der Geheimdienste, der Strafverfolgungsbehörden und des roten Terrors gelöst werden, hat sich als falsch erwiesen – wenn auch erst langfristig, weit nach dem Krieg. Die Säuberung fand statt, während mit den Staats- und Betriebsfunktionär:innen langsam eine neue privilegierte Klasse heranwuchs, die zur sozialen Basis des modernen Revisionismus in der Sowjetunion werden sollte – eine Möglichkeit, die in der offiziellen Parteitheorie jedoch ausgeschlossen wurde. Das Zusammenwirken des Rechtsschwenks von KPdSU und KI mit der Ausschaltung der Linken hat die spätere Machtübernahme der neuen herrschenden Klasse und die offen revisionistische Entwicklung der kommunistischen Weltbewegung begünstigt.

Die Trotzkist:innen haben diese Entwicklungen in der Sowjetunion und der kommunistischen Weltbewegung genau beobachtet und in zahlreichen Artikeln aufgegriffen – so etwa Trotzki in seiner Schrift „Die verratene Revolution“ (1936). Dabei entwickelte er die falsche Theorie, dass das Gesellschaftssystem der Sowjet-union kein sozialistisches sei, sondern nur eine Übergangsgesellschaft zum Sozialismus darstelle, und dass die Widersprüche innerhalb der Sowjetgesellschaft charakteristisch für diese Art der Übergangsgesellschaft seien. Damit versuchte Trotzki vor allem sein Festhalten an der Behauptung theoretisch zu rechtfertigen, es könne in einem einzelnen Land wie etwa der Sowjetunion keine sozialistische Gesellschaft errichtet werden. Die Kritiken trotzkistischer Autor:innen an der Politik der KPdSU ab 1936 griffen darüber hinaus zwar zum Teil tatsächlich kritisierenswerte Erscheinungen heraus, wie z.B. Aspekte der Volksfrontpolitik. Dies war aber im wesentlichen eine Folge ihrer politischen Gewohnheit, sich negativ an der KPdSU abzuarbeiten. Wenn die Trotzkist:innen die KPdSU und die kommunistische Weltbewegung für ihr Abgleiten in den Zentrismus kritisiert haben, so taten sie dies immer von den eigenen zentristischen Grundpositionen aus.

Einschub: Zur Entstehung neuer Klassen in der Sowjetunion

Die Beseitigung des Sozialismus in der Sowjetunion ab den 1950er Jahren lässt sich nicht verstehen, wenn sie allein als das Ergebnis des Verrats von Einzelpersonen wie Chruschtschow betrachtet wird. Vielmehr brachte die Führung um Chruschtschow mit ihren ökonomischen Reformen und ihrer Abkehr von den Grundpositionen des Marxismus-Leninismus die materiellen Interessen einer führenden Schicht in Staat und Partei zum Ausdruck: Diese bestand vor allem aus den Leiter:innen der staatlichen Betriebe sowie den Beamt:innen der Planungsbehörden, welche die Wirtschaft der Sowjetunion anleiteten. Diese Schichten hatten schon seit längerer Zeit eine privilegierte Stellung in der Sowjetgesellschaft inne und etablierten sich durch die neue Politik der KPdSU ab 1956 schließlich zu einer neuen herrschenden Klasse, wodurch der Sozialismus in einen Staatskapitalismus verwandelt wurde. Die Verselbständigung leitender Schichten ist im Sozialismus, der eine Übergangsgesellschaft zwischen dem Kapitalismus und der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft ist und noch vielfältige Überreste der bürgerlich-patriarchalen Gesellschaft in sich trägt, immer eine Möglichkeit. Dies ist umso mehr der Fall, je weniger die direkte, breite und aktive Beteiligung der Masse der Arbeiter:innenklasse an allen gesellschaftlichen (das heißt ökonomischen, politischen, ideologischen, kulturellen u.a.) Belangen entwickelt ist, je mehr die Ausübung der wirtschaftlichen und staatlichen Leitung der sozialistischen Gesellschaft noch durch eine stellvertretende Minderheit für die Arbeiter:innenklasse erledigt wird.

In der Sowjetunion kam eine Reihe von Faktoren hinzu, die diese Tendenz noch einmal besonders verstärkt haben: Dazu gehören vor allem der geringe Entwicklungsstand der Produktivkräfte; die historisch noch junge Arbeiter:innenklasse, die mit der Industrialisierung ab Ende der 1920er Jahre zudem rasch anwuchs und sich dabei vor allem aus Teilen der früheren Bauernschaft rekrutierte; die häufige Erschütterung des sozialistischen Aufbaus durch Kriege; den Verlust erfahrener Parteikader:innen in den Kriegen; sowie die Tatsache, dass die Sowjetunion das erste sozialistische Land der Welt war und deshalb bei der Lösung auftretender Probleme nicht auf frühere Erfahrungen zurückgreifen konnte.

Vor diesem Hintergrund musste die junge Sowjetmacht vielfach auf politische Behelfsmittel zurückgreifen, die sich später verselbständigten: So war der Staat z.B. aufgrund der gering ausgeprägten Kenntnisse der breiten Masse der Arbeiter:innen in wirtschaftlichen und staatlichen Leitungsaufgaben gerade in der Anfangszeit der Diktatur des Proletariats darauf angewiesen, bürgerliche Expert:innen für diese Tätigkeiten anzuwerben und ihnen dafür hohe Löhne zu bezahlen. Die Existenz großer Lohnunterschiede wurde später jedoch nicht mehr zurückgedrängt, sondern auch dann noch beibehalten, als die bürgerlichen Expert:innen mehr und mehr durch Angehörige einer neuen Intelligenz aus den Reihen der Arbeiter:innenklasse ersetzt wurden. Die Abschaffung des Parteimaximums in den 1930er Jahren zeigt, dass auch Teile der inzwischen stark angewachsenen kommunistischen Partei ihre Aufgaben in Staat und Wirtschaft offenbar mit der Absicht verfolgten, sich persönlich zu bereichern und Karriere im Sozialismus zu machen. Wie aus zahlreichen historischen Dokumenten hervorgeht,40 war Stalin, trotz der aus heutiger Sicht offensichtlichen und auch schwerwiegenden theoretischen Fehler, ein entschiedener Kämpfer gegen Tendenzen der Bürokratisierung, des Karrierismus, der Vetternwirtschaft und der Entstehung einer privilegierten Schicht in Staat und Partei. 1928 warnte er etwa in einer Rede beim VIII. Kongress des Kommunistischen Jugendverbandes: „Der kommunistische Bürokrat ist der gefährlichste Typ des Bürokraten. Warum? Weil er seinen Bürokratismus mit seiner Parteimitgliedschaft maskiert. Und solche kommunistischen Bürokraten gibt es bei uns leider nicht wenig.“ 41 Eine erste Untersuchung und Einschätzung der Entstehung der neuen herrschenden Klasse in der Sowjetunion haben wir in dem 2016 erschienenen Artikel „Über die Zerstörung des Sozialismus und die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion“ veröffentlicht.42 Diese Analyse muss jedoch in Zukunft weiter vertieft und zu allgemeinen Schlussfolgerungen für den sozialistischen Aufbau geführt werden.

Die Entwicklung des modernen Revisionismus

Die Entwicklung der KPdSU und der kommunistischen Weltbewegung insgesamt in Richtung des Zentrismus schuf die Bedingungen, in denen ab den 1940er Jahren auch der offene Revisionismus in der Bewegung gedeihen und schließlich offensiv auftreten konnte.

Der erste Führer einer früheren KI-Sektion, der seine Partei offen auf einen revisionistischen Kurs bringen wollte, war der US-Amerikaner Earl Browder (1891-1973). Unter Browder war die KPUSA nach dem VII. Weltkongress der KI bereits zu einer „patriotischen Linie“ übergegangen und hatte die sozialdemokratische New-Deal-Politik des damaligen US-Präsidenten Roosevelt unterstützt. Zudem versuchte sie, wenn auch letztlich erfolglos, eine Volksfront mit den Sozialist:innen und Teilen der Demokrat:innen aufzubauen. 1944 erklärte Browder schließlich, dass Kapitalismus und Kommunismus friedlich miteinander existieren könnten und trieb die Selbstauflösung der Kommunist:innen in die Demokratische Partei voran, wo sie eine Zeitlang als linke Fraktion arbeiteten. Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit dem Aufkommen des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion verurteilte die kommunistische Bewegung den „Browderismus“. Browder wurde nach der Wiedergründung der KPUSA als Vorsitzender abgesetzt und kurz darauf aus der Partei ausgeschlossen.

Die Kommunistische Partei Italiens unter Palmiro Togliatti (1893-1964) verfolgte bereits kurz nach 1945 einen sozialdemokratischen Kurs. Er war auf die Stärkung der italienischen bürgerlichen Demokratie und die Unabhängigkeit der Nation durch die Entwicklung der Produktivkräfte unter kapitalistischen Bedingungen ausgerichtet. Diesem Ziel des nationalen Wiederaufstiegs wurden alle Kämpfe zur Veränderung der wirtschaftlichen Ordnung untergeordnet. Weil die italienischen Kommunist:innen unter anderem auf Verstaatlichungen in der Industrie verzichteten und die Monarchie sowie die Rolle der Kirche anerkannten, durften sie sich zwischen 1944 und 1947 gemeinsam mit Sozialist:innen, Christdemokrat:innen und Liberalen an einer Volksfrontregierung beteiligen, in der Togliatti zeitweise stellvertretender Ministerpräsident war. Der „historische Kompromiss“ zwischen der kommunistischen Partei und den bürgerlichen Parteien wurde später in den 1970er Jahren vom KPI-Generalsekretär Enrico Berlinguer (1922-1984) zum politischen Slogan entwickelt, als die Partei die enge Zusammenarbeit mit Sozialist:innen und Christdemokrat:innen wieder aufnahm und 1978 eine christdemokratische Minderheitsregierung duldete. Die KPI war damals schon lange de facto eine Interessenvertretung der im Zuge des wirtschaftlichen Nachkriegsbooms privilegiert gewordenen Arbeiterschichten Norditaliens. Zusammen mit den kommunistischen Parteien Frankreichs und Spaniens entwickelten die italienischen Kommunist:innen unter Berlinguer in den 1970er Jahren die revisionistische Strömung des Eurokommunismus, distanzierten sich von den gesellschaftlichen Verhältnissen in der Sowjetunion, strichen die „Diktatur des Proletariats“ als politisches Ziel aus ihrem Programm und unterstützen z.B. die NATO-Mitgliedschaft Italiens.

Einen ersten Höhepunkt hatte der Kampf zwischen den revolutionären und zentristischen Kräften in der kommunistischen Weltbewegung mit den offenen Revisionist:innen bereits 1948 erreicht, als das Kominform die jugoslawischen Kommunist:innen unter Josip Broz Tito (1892-1980) aus seinen Reihen ausschloss. Die Tito-Führung hatte die jugoslawische Kommunistische Partei faktisch in der Volksfront aufgelöst, die Kommunist:innen auf einen nationalistischen Kurs eingeschworen, eine chauvinistische Politik gegenüber dem Nachbarland Albanien verfolgt, den sozialistischen Aufbau Jugoslawiens abgewürgt – vor allem aber eine enge Zusammenarbeit mit dem britischen und US-Imperialismus aufgenommen und das Land in eine Abhängigkeit von ausländischem Kapital gebracht. Auch wenn es der KPdSU unter Stalin gelang, Tito innerhalb der kommunistischen Weltbewegung für einige Zeit zu isolieren, gärte es bereits heftig unter der Oberfläche und bestanden in allen osteuropäischen Parteien Flügel, die sich an Jugoslawien statt an der Sowjetunion orientierten.

Ein bekanntes Beispiel in der SED ist Wolfgang Leonhard, der in der zentralen Propagandaabteilung unter Ackermann tätig war, und sich nach dem Bruch mit Tito nach Jugoslawien absetzte.43 Die materielle Ursache hierfür lag auf der Hand: In Jugoslawien konnten sich die privilegierten Staats-, Partei- und Betriebsfunktionäre im Zuge der Einführung marktwirtschaftlicher Reformen im eigenen Land sowie der Geschäfte mit dem Imperialismus bereits offen am vermeintlich sozialistischen Eigentum bereichern, während ihren „Kolleg:innen“ in Polen, Ungarn, der DDR und der Sowjetunion dies noch nicht so einfach möglich war.

In der Sowjetunion agierten die Kräfte, welche die sozialistischen Produktionsverhältnisse in Richtung kapitalistischer Verhältnisse zurückentwickeln wollten, zu Lebzeiten Stalins noch weitgehend verdeckt. Dass die Auseinandersetzungen innerhalb der KPdSU ab dem Ende der 1940er Jahre jedoch bereits ein hohes Niveau angenommen haben müssen, geht daraus hervor, dass 1948 im Zuge der „Leningrader Affäre“ neue Verhaftungswellen gegen hohe Parteifunktionäre begannen, die bis zu Stalins Tod 1953 und den anschließenden Machtkämpfen im Politbüro andauerten. Im Januar 1950 wurde auch die 1947 abgeschaffte Todesstrafe für „Vaterlandsverräter, Spione und Saboteure-Diversanten“ wieder eingeführt. Noch kurz vor seinem Tod wandte sich Stalin 1952 in den beiden Schriften „Marxismus und Fragen der Sprachwissenschaft“ 44 und „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“ 45 zudem offen und sehr klar gegen bürgerlich-revisionistische Positionen innerhalb der eigenen Partei, darunter auch Tendenzen zur Liquidierung der sozialistischen Wirtschaftsformen.

Nach Stalins Tod im März 1953 ging die Führung der KPdSU dann nach einer Reihe von heftigen Machtkämpfen an Nikita Chruschtschow über.

Dieser verkündete beim XX. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 schließlich vor aller Welt die Revision des Marxismus-Leninismus in drei grundlegenden Bereichen:

  • Die Möglichkeit der dauerhaften friedlichen Koexistenz von Kapitalismus und Sozialismus, die er zum Grundprinzip der sowjetischen Außenpolitik erklärte;
  • die Möglichkeit des parlamentarischen Übergangs zum Sozialismus in den kapitalistischen Ländern – also den Verzicht auf die bewaffnete Revolution; zudem seien
  • Kriege zwischen den imperialistischen Ländern nicht mehr unvermeidbar – der Imperialismus könne also durchaus friedlich herrschen.

Nach seinem offiziellen Bericht rechnete Chruschtschow noch in seiner berüchtigten Geheimrede vor den Führer:innen der kommunistischen Weltbewegung hinter verschlossenen Türen mit Stalin ab. Dieser Angriff richtete sich klar gegen das revolutionäre Erbe Lenins und Stalins, diente der Diffamierung der Diktatur des Proletariats als „stalinistische Terrorherrschaft“ und der Legitimierung der Machtergreifung einer neuen herrschenden Klasse in der Sowjetunion.

Die offene Revision des Marxismus-Leninismus durch die KPdSU wurde in den folgenden Jahren fortgeführt. Auf dem außerordentlichen XXI. Parteitag der KPdSU verkündete Chruschtschow 1959, dass sich die Sowjetunion bereits auf dem Weg zur Errichtung des Kommunismus befinde. Beim XXII. Parteitag 1961 erklärte die KPdSU die Diktatur des Proletariats schließlich für überlebt, da die Klassenwidersprüche verschwunden und der Staat nunmehr ein „Staat des ganzen Volkes“ sei. Ebenso habe sich die Kommunis-tische Partei aus einer Partei der Arbeiter:innenklasse bereits zu einer Partei des ganzen Volkes weiterentwickelt.

Während die Revisionist:innen um Chruschtschow die Klassenunterschiede für beseitigt und den Kommunismus in der Sowjetunion für zum Greifen nah erklärten, setzten sie zugleich die ökonomischen Reformen durch, mit denen sich die Staatsfunktionär:innen und Betriebsleiter:innen der Sowjet-union zu einer neuen herrschenden Klasse etablierten: Die landwirtschaftlichen Produktionsmittel (Maschinen und Traktoren) wurden aus dem Staatseigentum ins Eigentum der einzelnen Produktionsgenossenschaften überführt; die Verfügungsgewalt der Direktor:innen staatlicher Betriebe über die Produktion wurde ausgeweitet; der Profit der Betriebe zur Grundlage aller ökonomischen Aktivitäten erhoben; der freie Kauf und Verkauf von Produktionsmitteln und Endprodukten eingeführt und ausgeweitet und damit Marktbeziehungen zum Regulator der Wirtschaft gemacht.46 Die Produktionsmittel wurden trotz des formalen Staats- und Genossenschaftseigentums faktisch wieder zu Waren. Es bildeten sich kapitalistische Produktionsverhältnisse unter den speziellen Bedingungen einer von der neuen herrschenden Klasse geführten staatlichen Kommandowirtschaft – also einer Planwirtschaft in den Händen der neuen herrschenden Klasse als „kollektiver Kapitalist“ – heraus. Ausdruck davon waren unter anderem explodierende Lohnunterschiede zwischen gewöhnlichen Arbeiter:innen und den Führer:innen der Betriebe und Planungsbehörden47. Die neuen Produktionsverhältnisse litten unter charakteristischen Widersprüchen wie dem Widerspruch zwischen den Interessen der staatlichen Planungsbürokratie und den Direktor:innen der Einzelbetriebe, einer gegenüber den klassischen kapitalistischen Ländern katastrophalen Produktivität und zunehmenden Rückständigkeit der Sowjetwirtschaft, sowie dem Phänomen einer chronischen Warenknappheit. Die Geschichte hat gezeigt, dass diese neuen Produktionsverhältnisse als Mischung aus planwirtschaftlichen und marktwirtschaftlichen Wirtschaftsformen sogar noch schlechter als die reine kapitalistische Marktwirtschaft funktioniert haben. Diese Widersprüche, insbesondere die innerhalb der neuen herrschenden Klasse, führten zu gelegentlichen Wechseln zwischen einer Politik der erneuten Verstärkung planwirtschaftlicher Elemente unter Leonid Breschnew (1906 – 1982) und der anschließenden weitgehenden Einführung marktwirtschaftlicher Beziehungen in den 1980er Jahren unter Michail Gorbatschow (1931 – 2022).

Das sowjetische Modell eines rückständigen, bürokratisierten Staatskapitalismus unter Beibehaltung pseudosozialistischer Formen und einiger sozialstaatlicher Vorzüge, das spätestens ab den 1960er Jahren voll etabliert war und die vormals sozialistischen Produktionsverhältnisse abgelöst hatte, wurde auch in den von der Sowjetunion dominierten Staaten des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) eingeführt, so auch in der DDR. Die Beziehungen des proletarischen Internationalismus zwischen den vormals sozialistischen Staaten wurden durch eine spezifische Form des Wirtschaftskolonialismus von Seiten der Sowjetunion abgelöst, die sich z.B. die Uranvorkommen der DDR im Interesse der eigenen Atomindustrie unter den Nagel riss. Wollten Länder des RGW Reformen nach „jugoslawischem Modell“ bei sich einführen und die Verwandlung in Kolonien durch die Sowjetunion zugunsten einer Öffnung gegenüber dem westlichen Kapital zurückdrängen – so wie Ungarn 1956 oder die Tschechoslowakei Ende der 1960er Jahre – antwortete die Sowjetunion mit dem Einmarsch ihrer Truppen und denen ihrer Verbündeten. Insbesondere die Militärintervention in der Tschechoslowakei 1968 verschärfte wiederum die Widersprüche innerhalb des revisionistischen Lagers und speziell die Auseinanderentwicklung der eurokommunistischen und sowjetorientierten Parteien.

Das Wirtschaftsmodell mit Löhnen, die durch weitreichende sozialstaatliche Maßnahmen wie eine staatlich garantierte Vollbeschäftigung, günstigen Wohnraum, kostenlose Kindertagesstätten usw. niedrig gehalten wurden, haben die herrschenden Klassen der revisionistischen Staaten auch dazu genutzt, lukrative Verträge mit dem kapitalistischen Ausland zu schließen, billige Industrieprodukte für diese Länder herzustellen und sich selbst daran zu bereichern. Dieses „revisionistische“ Geschäftsmodell wird bis heute noch von Belarus als dem letzten europäischen Land mit einer Wirtschaftsform ähnlich der späten Sowjetunion umgesetzt.

Mit dem Aufkommen des Chruschtschow-Revisionismus erweiterten sich also auch die Erscheinungsformen des Revisionismus.

War der klassische Revisionismus im Stile Bernsteins noch eine reformistische Ideologie der Arbeiteraristokratie und des Kleinbürger:innentums in den klassischen kapitalistischen Ländern, kennzeichnet den modernen Revisionismus im Stile Chruschtschows und Breschnews die ideologische Bemäntelung der Restauration kapitalistischer Produktionsverhältnisse in den ehemals sozialistischen Staaten, bei der oberflächliche Formen der sozialistischen Produktionsverhältnisse wie das formale Staatseigentum an den Produktionsmitteln, die Planwirtschaft und die staatliche Festlegung von Preisen noch lange Zeit beibehalten wurden.

Die soziale Basis des modernen Revisionismus war die neue herrschende Klasse aus den Beamt:innen der staatlichen Planungsbürokratie, den Betriebsleiter:innen, aber auch des Militärs und der Parteielite, die sich faktisch die Verfügungsgewalt über Staat und Wirtschaft geteilt bzw. in Machtkämpfen miteinander ausgefochten haben. Die spezifischen Produktionsverhältnisse, die die revisionistischen Staaten auszeichnen, sind ihrem gesellschaftlichem Inhalt nach kapitalistisch. Sie stellen jedoch aufgrund ihrer ausgeprägten inneren Widersprüchlichkeit und Ineffizienz eine Übergangsform zwischen den liquidierten sozialistischen Produktionsverhältnissen und klassischen kapitalistischen Produktionsverhältnissen dar.

Heute gibt es diese Produktionsverhältnisse nur noch in wenigen Staaten wie z.B. Nordkorea oder Kuba.

Der Kampf gegen den modernen Revisionismus

Der moderne Revisionismus hat sich in den 1950er und 60er Jahren weitestgehend in der kommunistischen Weltbewegung durchgesetzt. Einen offenen Widerstand gegen die Linie Chruschtschows gab es kaum, denn die Führer:innen und leitenden Schichten der meisten volksdemokratischen Staaten in Osteuropa einschließlich der DDR waren an einer Weltrevolution nicht interessiert. Dafür waren sie jedoch umso mehr an einer friedlichen Koexistenz mit dem Imperialismus interessiert, der es ihnen ermöglichen würde, in Ruhe Produktionsverhältnisse sowjetischer Art im eigenen Land aufzubauen und dort eine privilegierte Stellung einzunehmen. Die westeuropäischen Parteien wie die Kommunist:innen Italiens und Frankreichs waren wiederum schon lange reformistisch orientiert. Eine Revolution stand für sie ohnehin nicht auf dem Programm. Was Chruschtschow auf dem XX. Parteitag verkündet hatte, war also lediglich eine Anpassung der Theorie an eine Politik, die sich in weiten Teilen der kommunistischen Bewegung schon in der Praxis entwickelt hatte (Außenpolitik der friedlichen Koexistenz, Versuch der Einführung des Sozialismus über die Parlamente, Beteiligung an bürgerlichen Regierungen usw.).

Die einzigen beiden Parteien, die in den 1960er Jahren offen gegen die neue theoretische Linie der KPdSU auftraten, waren die Kommunistische Partei Chinas unter Mao Tse-Tung (1893-1976) und die Partei der Arbeit Albaniens (PdAA) unter Enver Hoxha (1908-1985). Während die chinesische KP 1963 / 64 mit dem „Vorschlag zur Generallinie der internationalen kommunistischen Bewegung“ ein Grundsatzdokument verfasste und darin die revisionistischen Positionen Chruschtschows angriff, war Enver Hoxha 1960 auf einer Beratung von 81 kommunistischen und Arbeiterparteien gegen die Ergebnisse des XX. Parteitags und die Politik der Sowjetunion aufgetreten. In beiden Fällen waren es spezifische Gründe, welche diese Parteien in Opposition zur KPdSU gebracht hatten.

Für das sozialistische Albanien war der Kampf gegen den Revisionismus eine Existenzfrage, weil die KPdSU zusammen mit der offenen Abkehr vom Marxismus-Leninismus eine Annäherung an das titoistische Jugoslawien betrieb, und Tito sich das Nachbarland Albanien einverleiben wollte. Die PdAA hatte das Land selbständig in einem jahrelangen Partisanenkampf von der faschistischen Besatzung freigekämpft, die ersten Grundlagen für eine industrielle Entwicklung gelegt und die sozialistische Gesellschaft damit quasi aus dem Nichts aufgebaut. In den opferreichen Kämpfen um die Befreiung und die sozialistische Revolution hatten sich die albanischen Kommunist:innen zu einer sehr gestählten, prinzipienfesten Partei entwickelt. Dies zeigte sich insbesondere nach 1945, als sie den antifaschistischen Befreiungskampf und die demokratische Revolution ununterbrochen zur sozialistischen Revolution fortführten und damit den Spuren der Bolschewiki 1917 gefolgt sind. Die albanischen Kommunist:innen brachten als einzige europäische KP die notwendige Konsequenz auf, Chruschtschow die Stirn zu bieten, obwohl sie eigentlich dringend auf wirtschaftliche Hilfen aus der Sowjetunion angewiesen waren. Enver Hoxhas berühmter Ausspruch, die Albaner:innen würden eher „Gras fressen, als dass sie darauf verzichten, den Marxismus-Leninismus zu verteidigen“, schien tatsächlich die Haltung weiter Teile der Partei und der albanischen Bevölkerung in der Frühphase des albanischen Sozialismus widerzuspiegeln.

Zugleich blieben die albanischen Kommunist:innen und die von ihr später beeinflussten Parteien, die sich gegen den Revisionismus wandten – wie in Deutschland etwa die KPD/ML – in ihrer Kritik am Revisionismus insofern inkonsequent, als sie sich weiter an der Linie der KPdSU der 1930er Jahre und des VII. Weltkongresses der KI orientierten – die damals aber bereits in Richtung des Zentrismus abglitten. Sie lehnten die Volksfrontpolitik und die Vereinigung mit reformistischen Kräften also nicht nur nicht grundsätzlich ab, sondern setzten sie selbst bei sich um bzw. benutzten sie als Rechtfertigung für eigene Rechtsschwenks. So hatte die KPD/ML zur Bundestagswahl 1980 ein Wahlbündnis unter dem Namen Volksfront gegen Krieg, Reaktion und Faschismus aufgebaut, was am Beginn des Weges zur Auflösung als kommunistische Partei stand. Die Liquidation der KPD/ML als kommunistische Partei wurde schließlich 1985 in Form der Vereinigung mit der Trotzkistischen GIM (Gruppe Internationaler Marxisten) zur Vereinigten Sozialisten Partei (VSP) als linksozialdemokratischen Sammlungspartei vollendet.

Die PdAA brach 1978 auch die Beziehungen zur KP Chinas ab, nachdem diese eine hegemoniale Politik gegenüber Albanien verfolgt hatte. Einige Jahre nach dem Tod Enver Hoxhas 1985 schlug die neue Parteiführung unter Ramiz Alia (1925-2011) jedoch selbst einen revisionistischen Kurs ein, führte entsprechende Wirtschaftsreformen durch und näherte sich den Staaten des RGW wieder an. 1990 wurde die inzwischen revisionistische Partei in Albanien, die ihren Rückhalt in der Arbeiter:innenklasse weitestgehend verloren hatte und nur noch von der Landbevölkerung unterstützt wurde, ebenso gestürzt wie die revisionistischen Parteien der anderen Staaten. Kurz darauf bekannte sich die PdAA offen zur Sozialdemokratie und nannte sich in Sozialistische Partei Albaniens um.

Der Widerstand der KP Chinas gegen den Chruschtschow-Revisionismus relativiert sich wiederum dadurch, dass die Partei und ihr Führer Mao Tse-Tung selbst eine widersprüchliche Politik vertraten, die zwischen proletarischem und kleinbürgerlichem Sozialismus hin- und herschwankte und teilweise in bürgerlichen Nationalismus abglitt:48 Mao hatte die Revolution von 1949 nach jahrzehntelangem Kampf weitgehend gestützt auf die chinesische Bauernschaft zum Erfolg geführt. In diesem Kampf hatte die KP Chinas auch relativ unabhängig gegenüber der KI und KPdSU agiert und sich von diesen nicht davon abbringen lassen, nach der Vertreibung der japanischen Besatzungsarmee den Kampf gegen die bürgerliche Kuomintang-Partei aufzunehmen.49 Bezüglich des sozialistischen Aufbaus vertrat Mao mit der Auffassung von der Neuen Demokratie als einer notwendigen Zwischenphase zum Sozialismus ein Konzept, das der in Europa konzipierten Volksdemokratie stark ähnelte. Mao verfolgte jedoch die Linie, die chinesische Bourgeoisie in die Neue Demokratie und den Aufbau des Sozialismus mit einzubeziehen.

Die sozialistischen Produktionsverhältnisse versuchte Mao zunächst ausgehend von der Landwirtschaft und gestützt auf die Bäuer:innen zu schaffen, etwa durch das Experiment des Aufbaus einer Stahlproduktion in den landwirtschaftlichen Volkskommunen. Obwohl dieses Experiment zunächst katastrophal scheiterte, gelang es der KP Chinas in den folgenden Jahrzehnten, die Grundlagen für die industrielle Entwicklung des Landes zu schaffen, wobei die „nationale“ Bourgeoisie als Klasse niemals wirklich angetastet wurde. Im Rahmen dieser widersprüchlichen Politik Maos konnte auch in China eine soziale Basis für den Revisionismus gedeihen. Mao versuchte die revisionistischen Kräfte in der Partei um Deng Xiaoping (1904 – 1997) in der „Großen Proletarischen Kulturrevolution“ von 1966 – 1969 zu entmachten, wobei er sich anders als die KPdSU nicht auf Partei- oder Staatsorgane stützte, sondern auf die spontan gebildeten und nicht fest organisierten „Roten Garden“ als Massenbewegung aus Teilen der chinesischen Jugend. Die zukünftig zu leistende Auswertung dieser Bewegung (und ähnlicher Erfahrungen aus Albanien mit der Mobilisierung der Massen) wird wichtig und lehrreich sein, auch wenn die Große Proletarische Kulturrevolution dazu im Widerspruch stehende Elemente wie z.B. die eines verdeckt geführten Machtkampfs in der Staats- und Parteispitze hatte, dessen Verlauf im Falle Chinas maßgeblich durch den Einsatz der Armee im Inneren gegen die Massenbewegung bestimmt wurde. Trotzdem handelte es sich um einen deutlich ausgedehnteren Versuch, die Massen im Kampf gegen den Revisionismus zu mobilisieren, als wir es aus der Sowjetunion kennen und einiges spricht dafür, dass die Aktivierung und Politisierung der Massen ein wesentliches Element für ein Konzept ist, um beim nächsten Versuch weiterzukommen.

Auch der Ansatz der Großen Proletarischen Kulturrevolution, den wir hier weder im Detail noch in der Gesamtschau bewerten können, scheiterte langfristig: Nach Maos Tod 1976 eroberten die Revisionisten um Deng dauerhaft die Herrschaft über Partei und Staat und verwandelten China in relativ kurzer Zeit in eine kapitalistische Gesellschaft mit planwirtschaftlichen Elementen. Systematisch wurden die Grundlagen zur Entwicklung hin zu einer imperialistischen Großmacht gelegt. Dies hatte Mao noch selbst Anfang der 1970er Jahre angestoßen, als er diplomatische Beziehungen mit den USA aufnahm und US-Präsident Nixon in Peking empfing, was eine gewisse Parallele zum schleichenden Übergang zu einer national orientierten Geostrategie in der Sowjetunion ab den 1940er Jahren darstellt. Die Handelsverträge zwischen den USA und China, die in späteren Jahren von Maos Nachfolgern geschlossen wurden, befeuerten schließlich Chinas rasante kapitalistische Entwicklung. Maos Annäherung an die USA richtete sich seinerzeit vor allem gegen die Sowjetunion als Chinas wichtigstem strategischen Konkurrenten um die Hegemonie in Asien.

In der ideologischen Auseinandersetzung, welche die KP Chinas zehn Jahre zuvor gegen die KPdSU geführt hatte, vertrat sie zwar inhaltlich die richtigen Punkte. Doch schon damals war diese inhaltliche Ebene mit dem Interesse der KPCh an einer Schwächung der Stellung der KPdSU auf internationaler Ebene vermischt. Diese wiederum entsprach den langfristigen Interessen Chinas als einer potentiellen bürgerlichen Großmacht in Konkurrenz zur Sowjet-union.

Wie wir in unserem Grundsatzartikel zum Maoismus dargelegt haben, bewerten wir Mao Tse-Tung als Revolutionär und die auf ihn gegründete politische Strömung des Maoismus als eine zentristische Richtung, die zwischen proletarischem und kleinbürgerlichem Sozialismus angesiedelt ist. Obwohl Mao theoretische und politische Fehler gemacht hat und in wichtigen Fragen zum kleinbürgerlichen Sozialismus geneigt hat, ordnen wir weder ihn, noch die „Mao-Tse-Tung-Ideen“ noch den Maoismus als Revisionismus ein. Für unsere Bewertung spricht auch, dass Mao und seine Anhänger:innen immer wieder gegen die Vertreter:innen des modernen Revisionismus auch in China gekämpft haben, wenn auch letztlich nicht erfolgreich. Wie die Ausschaltung der Führer:innen des maoistischen Lagers in der KP Chinas (die sogenannte „Viererbande“) nach seinem Tod und die Niederwerfung der Volkskommune in Schanghai gegen Ende der Kulturrevolution gezeigt haben, wurde dieser Klassenkampf durchaus blutig ausgefochten. Weiterhin war die Klassenbasis für Maos Linie nicht eine neue Bourgeoisie, sondern sie bestand eher in der Fortführung eines Klassenbündnisses für die nationale Befreiung aus dem anti-japanischen Befreiungskrieg nach der sozialistischen Machtergreifung. Der aus unserer Sicht heute entscheidende Unterschied besteht darin, dass der Revisionismus sowohl in seiner klassischen (Bernstein) als auch in seiner „modernen“ Form (Chruschtschow) immer eine konterrevolutionäre Strömung ist. Der Maoismus dagegen ist ein revolutionärer Bündnispartner.

Revisionismus und Linksrevisionismus nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion

Der moderne Revisionismus war für einige Jahrzehnte die Ideologie der neuen herrschenden Klassen in der Sowjetunion und ihren Vasallenstaaten. Außerhalb des revisionistischen Staatenlagers übernahmen vormals kommunistische Parteien diese Ideologie und fungierten als Ableger dieser Staaten, wobei sie sich in der Praxis oftmals eng an die klassische Sozialdemokratie anlehnten. In Westdeutschland galt dies zunächst für die KPD, die organisatorisch von der SED durch die beim ZK angesiedelte Westkommission geführt wurde50 und als deren Interessenvertretung arbeitete. Nachdem die KPD 1956 verboten wurde, arbeitete sie stark geschrumpft in der Illegalität weiter. 1968 kam es zu einem Deal51 zwischen der sozialliberalen Regierung Westdeutschlands unter Willy Brandt und der sowjetischen Regierung von Leonid Breschnew: Die westdeutschen Revisionist:innen durften sich wieder als Partei formieren, sofern sie sich auf die Grundlage der „freiheitlich-demokratischen“ Ordnung der BRD stellten. Dies war die Basis für die Gründung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) im selben Jahr.

SED und DKP entwickelten ab den 1970er Jahren das strategische Ziel einer „antimonopolistischen Demokratie“ für imperialistische Staaten wie Westdeutschland (das auch von anderen Parteien wie der griechischen KKE vorübergehend übernommen wurde). Dabei sollten die imperialistischen Staaten durch demokratische und soziale Kämpfe aller „nicht-monopolistischen“ Schichten der Gesellschaft – inklusive von Teilen der kleinen und mittleren Bourgeoisie – in „fortschrittliche Demokratien“ als Vorstufe zum Sozialismus umgewandelt werden: Also durch Reformen als das Ergebnis eines Zusammenspiels von Massenbewegungen und parlamentarischer Arbeit. Im antimonopolistischen Programm der DKP von 1969 hieß es dazu: „Demokratische Erneuerung bedeutet die Beseitigung des Neonazismus und die Beendigung der militärischen Großmachtpolitik, die Einschränkung der Macht des Monopolkapitals und ihre schließliche Überwindung, die Umwandlung der Bundesrepublik in eine reale, fortschrittliche Demokratie. Demokratische Erneuerung bedeutet die Durchsetzung einer Politik des Friedens und der Sicherheit, die Anerkennung der DDR, die Verteidigung der demokratischen Rechte und die Aufhebung der Notstandsgesetze, den Kampf um die Erweiterung und den Ausbau der Demokratie, die Verwirklichung demokratischer Mitbestimmung und Kontrolle, die Durchsetzung sozialer Sicherheit und besserer Lebensverhältnisse, die Erkämpfung einer fortschrittlichen Bildungs- und Kulturpolitik.“ 52 Dies war die programmatische Grundlage, auf der sich die DKP zum Anhängsel des BRD-Staats, der Sozialdemokratie und des Gewerkschaftsapparats machte und revolutionäre Kräfte wie die K-Gruppen der 1970er Jahre bekämpfte.

Die Vollendung der kapitalistischen Restauration in der Sowjetunion und den RGW-Staaten ab 1989 und die Auflösung der Sowjetunion 1991 bedeuteten den ideologischen und politischen Bankrott für den modernen Revisionismus. Die KPdSU wurde mit der Auflösung der Sowjetunion in Russland verboten. Nicht wenige ihrer Funktionär:innen und der ihres Jugendverbandes Komsomol hatten sich in den Gorbatschow-Jahren bereits massiv bereichern können. Führende Funktionär:innen stiegen mit der Privatisierung des vormaligen Staatseigentums Anfang der 1990er Jahre zu Multimilliardären auf.53 Sie bildeten zusammen mit anderen die neue Finanzoligarchie des imperialistischen Russland.

Die SED formierte sich bereits einen Monat nach dem Mauerfall 1989 unter Gregor Gysi zu einer linkssozialdemokratischen Partei um und nannte sich fortan Partei des demokratischen Sozialismus (PDS). Die PDS war die Vorgängerorganisation der 2005 gegründeten Partei Die Linke, die ein Sammelbecken sozialdemokratischer, linkssozialdemokratischer, revisionistischer und trotzkistischer Strömungen unter sozialdemokratischer Hoheit ist.

Insgesamt kam es infolge des Bankrotts des modernen Revisionismus auf internationaler Ebene zu einer starken Ausdifferenzierung dieses politischen Lagers und dem Übergang eines großen Teils davon zur Sozialdemokratie bzw. bürgerlichen Parteien. Während die Kommunistischen Parteien Frankreichs (PCF) und Spaniens (PCE) bis heute als eurokommunistische Parteien weiter bestehen, ging die KP Italiens einen ähnlichen Weg wie die SED und wandelte sich 1991 in die linkssozialdemokratische Partito Democratico della Sinistra (Demokratische Linkspartei) um. Diese fusionierte 2007 mit Sozialdemokraten, Liberalen und Christdemokraten zur Mitte-Links-Partei Partito Democratico (PD), einer der größten bürgerlichen Parteien Italiens. Im Zuge der Umwandlung der Partei spaltete sich ein revisionistisch-eurokommunistischer Flügel ab und gründete die Partito della Rifondazione Comunista (Partei der kommunistischen Wiedergründung), die bis heute existiert und zusammen mit der Linkspartei, den Kommunistischen Parteien Spaniens, Frankreichs und Österreichs, der griechischen Syriza und anderen Parteien Teil der Europäischen Linken ist.

Eine gewisse Ausnahme bei dieser Entwicklung bildet die griechische KKE. Nach einer schweren Krise 1989, der zeitweiligen Bildung einer Koalitionsregierung mit der konservativen Nea Demokratia, Abspaltungen und Auflösungserscheinungen begann sich die Partei auf der Basis einer Verbindung von Festhalten an der revisionistischen Linie und Orientierung auf die Verankerung in der Arbeiter:innenklasse neu zu formieren und unter zahlreichen Schwankungen wieder nach links zu entwickeln. Sie beschloss 1996 ein neues Programm und gründete 1999 die Gewerkschaft Panergatiko Agonistiko Metopo (PAME) (deutsch: Militante Arbeiterfront), die inzwischen hunderttausende Mitglieder hat und militante Arbeiter:innenkämpfe führt. Die KKE ist seit Jahrzehnten in den traditionellen kommunistischen Milieus der griechischen Bevölkerung verankert und stabil mit 5 bis 10 Prozent der Stimmen im griechischen Parlament vertreten.

Daneben widmete sie sich der Analyse des Zerfalls des revisionistischen Lagers und übernahm dabei verschiedene Positionen der marxistisch-leninistischen Gegner:innen des modernen Revisionismus, wie etwa die Kritik am XX. Parteitag der KPdSU. Ihre Revisionismus-Kritik verbleibt jedoch bis heute auf einer rein politisch-ideologischen Ebene: Die KKE kritisiert die Positionen Chruschtschows und anderer Parteiführer des revisionistischen Lagers, ohne den sozialistischen Charakter der späteren Sowjet-union und anderer Staaten in Frage zu stellen. Von diesem Dogma ausgehend kann sie die Restauration des Kapitalismus nicht als schrittweisen Prozess verstehen, der auch die ökonomische Basis einschloss, sondern sieht ihn als das alleinige Ergebnis einer „Konterrevolution“, die 1989/90 stattgefunden habe und durch die revisionistische Ausrichtung der Parteien lediglich begünstigt worden wäre. Dementsprechend hat sie sich auch nicht von der Sowjetunion als ihrem historischen Bezugspunkt auch nach 1956 gelöst. Ebenso schätzt sie die marxistisch-leninistische Bewegung, die sich gegen den Chruschtschow-Revisionismus gerichtet hatte, weiter als „maoistisch“ und als eine konterrevolutionäre Strömung ein.54

Bei der kritischen Revision ihrer eigenen Parteigeschichte ging die KKE dagegen noch etwas weiter nach links und beschloss 2012 eine neue Ausrichtung dazu. Darin wurden die politische Linie der KKE-Führung und der KIder 1940er Jahre kritisiert – beide hatten damals den bewaffneten Aufstand eines Teils der griechischen Kommunist:innen abgelehnt, der von 1946 – 1949 andauerte und schließlich vom Militär mit Unterstützung Englands und der USA niedergeschlagen wurde.

Auch in Deutschland hat sich ein Teil des revisionistischen Lagers nach 1989/90 in einem längeren Prozess nach links entwickelt. Ein kleiner Teil der SED, der die Umwandlung in die linkssozialdemokratische PDS ablehnte und sich auch der DKP nicht anschließen wollte, gründete 1990 noch in der DDR die „KPD“ (landläufig auch als „KPD-Ost“ bekannt). Während diese eher ein Traditionsverein ist, wirkte eine Reihe von ehemaligen SED-Funktionär:innen, die ihren politischen Anspruch beibehalten haben, mit der Theoriezeitschrift „Offensiv“ seit den 2000er Jahren sogar bis ins Lager marxistisch-leninistischer Kräfte und der damals neu entstehenden roten Jugendgruppen. Das Projekt, an dem auch der frühere DDR-Historiker Kurt Gossweiler beteiligt war, veröffentlichte ausführliche Analysen zur Entwicklung und dem Untergang von DDR und Sowjetunion. Diese verblieben ebenso wie die Arbeiten der KKE jedoch auf der Ebene einer ideologischen Revisionismus-Kritik und vermochten es nicht, zu den klassenmäßigen Ursachen der revisionistischen Entwicklung vorzudringen.55

Während die DKP in den 2000er Jahren auf der Linie ihrer antimonopolistischen Ausrichtung weiter nach rechts ging, scheiterte ein erster Vereinigungsversuch der revisionistischen Kräfte links von DKP und Linkspartei, der sich 2008 unter dem Namen „Kommunistische Initiative“56 gebildet hatte. Mit mehr Erfolg startete etwa zehn Jahre später die Kommunistische Organisation (KO)57 als linksrevisionistische Struktur, die es auch schaffte, eine neue Generation von Aktivist:innen zu organisieren. Auch die KO hat nicht konsequent mit revisionistischen Positionen und Betrachtungen zur Sowjetunion und DDR gebrochen.

Das revisionistische und linksrevisionistische Lager ist bis heute von dem Widerspruch gekennzeichnet, dass die Bewegung historisch zwischen verschiedenen bürgerlichen Staaten hin- und hergerissen ist. Der moderne Revisionismus drückte die Klasseninteressen der neuen herrschenden Klassen in der Sowjetunion und anderer Staaten aus. Ihre politischen Ableger wie die DKP übernahmen deren Ideologie und agierten als Interessenvertreter der Sowjetunion und DDR, die sie als sozialistisch ansahen, passten sich aber ausgehend von ihrer reformistischen Grundorientierung zugleich an ihre eigenen kapitalistischen Staaten an. Dieser Widerspruch ist die Grundlage der Auseinanderentwicklung eines stark sowjetorientierten Revisionismus auf der einen und des Eurokommunismus auf der anderen Seite. Letzterer ähnelt als relativ konsequenter Reformismus stärker dem klassischen Revisionismus (Bernstein) – von dem er sich aber aus Tradition zugleich entschieden distanziert.

Heute drückt sich dieser Widerspruch im Schwanken der revisionistischen Kräfte zwischen verschiedenen imperialistischen Lagern aus: Ein Teil – wie die DKP – orientiert sich in traditioneller Treue zur Sowjetunion weiter an Russland als deren Nachfolgestaat, der trotz Kapitalismus, Finanzoligarchie, autoritärem Staat und militärischer Expansion als antiimperialistisch eingeschätzt wird,58 sowie an China als vermeintlich sozialistischem Land. Der eurokommunistische Flügel, der zum Teil in der Europäischen Linken organisiert ist, passt sich dagegen konsequenter dem eigenen Imperialismus an.

Im Ergebnis kam es zuletzt infolge des Ukraine-Kriegs zu heftigen Auseinandersetzungen im revisionistischen Lager, die sich z.B. in der Spaltung der KO Ende 2022 niederschlugen: Ein eher KKE-orientierter Teil nimmt eine korrekte Haltung zum Ukraine-Krieg ein und bezeichnet diesen als Krieg zwischen zwei imperialistischen Lagern, während ein anderer Flügel das Narrativ des russischen Imperialismus übernommen hat und den Krieg seitens Russlands als gerecht einschätzt.

Die eurokommunistischen Parteien innerhalb der Europäischen Linken stehen dagegen de facto auf der Seite ihrer eigenen imperialistischen Länder. Die PCF etwa spricht sich zwar sowohl gegen den russischen Angriff als auch gegen die NATO-Osterweiterung aus und ruft allgemein zum „Frieden“ auf. Sie setzt sich dabei aber vor allem für eine eigenständige diplomatische Rolle des französischen Imperialismus bei der Beendigung des Krieges und für einen Friedensplan unter dem Dach der UNO ein, so etwa in einer Erklärung ihres Nationalsekretärs Fabien Roussel aus dem Februar 2023: „Die PCF fordert daher die französische Regierung auf, positiv auf die Friedensappelle des UN-Generalsekretärs, von Papst Franziskus und die Vorschläge der Länder des Südens zu reagieren, die auf der Münchener Sicherheitskonferenz die Schaffung einer Kontaktgruppe für den Frieden unter der Schirmherrschaft der UNO gefordert haben. Lassen Sie uns eine Gruppe von Ländern gründen, die große Nationen wie Brasilien, Indien, Südafrika, Kolumbien, Mexiko und viele andere für den Frieden und für eine globale und multilaterale Abrüstung umfasst. Als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates verfügt Frankreich über eine starke Stimme, die es in den Dienst einer universalistischen Botschaft stellen muss. Unser Land muss Schluss machen mit einer Politik, die abwechselnd heiß und kalt bläst. Es muss sich in den Dienst der Suche nach einer politischen Lösung stellen, um dem Leiden und der Zerstörung ein Ende zu setzen und den Marsch in den Krieg zu stoppen.“59 Damit tun die französischen Revisionist:innen letztlich nichts anderes, als unter dem Vorwand des Pazifismus Propaganda für die Geostrategie des eigenen Imperialismus zu machen: Die „Forderung“ der PCF aus der Erklärung reduzierte sich schließlich auf eine Parlamentsdebatte über die Ziele der französischen Diplomatie in der Ukraine sowie über die Waffenlieferungen – die sie nicht kategorisch ablehnt.

Damit haben sich innerhalb des revisionistischen Lagers heute extreme Flügel herausgebildet, die sich wie die Eurokommunist:innen entweder dem eigenen Imperialismus oder – wie die „russisch-orthodoxen“ Revisionist:innen – dem russischen Imperialismus unterordnen. Ein anderer Flügel des Revisionismus hat sich dagegen nach links entwickelt und zumindest in der Frage des Ukraine-Kriegs dem Antiimperialismus angenähert.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Der Revisionismus als politische Erscheinung hat sich mit dem Übergang des Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium herausgebildet, als die revolutionäre Arbeiter:innenbewegung und der Marxismus als deren Weltanschauung bereits entwickelt waren. Von Beginn an befand sich der Marxismus in der Auseinandersetzung mit politischen Ideologien anderer Klassen wie dem kleinbürgerlichen Sozialismus. Als sich der Marxismus in der revolutionären Arbeiter:innenbewegung durchgesetzt hatte, versuchten Theoretiker wie Bernstein, die den Kapitalismus nur reformieren und nicht in einer Revolution stürzen wollten, den kleinbürgerlichen Sozialismus mit marxistischen Begriffen neu zu formulieren bzw. den Marxismus zum kleinbürgerlichen Sozialismus zurückzuentwickeln, ihn zu revidieren. Parallel dazu entstand mit der Arbeiteraristokratie im Imperialismus eine privilegierte Schicht innerhalb der Arbeiter:innenklasse, die neben dem Kleinbürger:innentum zur sozialen Basis des Reformismus und Revisionismus wurde. Für die Verbreitung revisionistischer Ideen und einer revisionistischen Praxis innerhalb der Arbeiter:innenbewegung war vor allem die Inkonsequenz revolutionärer Kräfte, die nicht politisch und organisatorisch mit dem Reformismus brechen wollten, sowie die Existenz eines schwankenden Zentrums ausschlaggebend. Der Revisionismus setzte sich durch diese Schwankungen und Kompromisse in der Praxis sozialdemokratischer und kommunistischer Parteien durch, lange bevor die Parteien auch ihre theoretischen Grundlagen offen revidierten.

Diese verheerende Entwicklung durchlief sowohl die in der Zweiten Internationale organisierte revolutionäre Bewegung vor 1914 als auch die internationale kommunistische Bewegung ab den 1930er Jahren, die nach dem VII. Weltkongress der KI 1935 im Zuge der Volksfrontpolitik in den kapitalistischen Ländern und der mehr und mehr auf friedliche Koexistenz mit dem Imperialismus ausgerichteten Außenpolitik der Sowjetunion sich zunehmend hin zu einem politischen Zentrismus entwickelte.

Gleichzeitig gab es in der Sowjetunion gesellschaftliche Rückentwicklungen (z.B. Aufhebung des Parteimaximums, Abschaffung der unabhängigen Arbeiter- und Bauerninspektion als Kontrolle von unten, Verbot der Abtreibung), die durch die falsche Theorie, dass es nach dem Sieg über die Kulaken nur noch befreundete Klassen gäbe, weiteren Raum zur Entfaltung bekamen. Damit entstanden die Voraussetzungen für das offene Aufkommen des modernen Revisionismus in der kommunistischen Bewegung ab den 1940er Jahren. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Abkehr der KPdSU vom Marxismus-Leninismus beim XX. Parteitag 1956. Während in den imperialistischen Staaten das Kleinbürger:innentum und die Arbeiteraristokratie die soziale Basis des klassischen (Bernstein-)Revisionismus waren, wurde diese Rolle beim modernen (Chruschtschow-)Revisionismus von der neuen herrschenden Klasse aus Staatsbeamt:innen und Betriebsleiter:innen eingenommen, die sich in den vormals sozialistischen Gesellschaften herangebildet und die kapitalistischen Produktionsverhältnisse dort restauriert hatte.

In der Folge differenzierte sich das revisionistische Lager aus, indem in den imperialistischen Ländern politische Ableger der revisionistischen Staaten wie die DKP in Westdeutschland entstanden. Deren ideologische Grundlage war der moderne Revisionismus, den sie im eigenen Land zu einer reformistischen Ideologie erweiterten. Im Falle der DKP kam dies in der Strategie der „antimonopolistischen Demokratie“ zum Ausdruck. Nach dem politischen Bankrott des modernen Revisionismus infolge der Auflösung der Sowjetunion und des RGW ging die Mehrheit des früheren revisionistischen Lagers direkt ins linkssozialdemokratische oder gleich ins bürgerliche Lager über. Eine Minderheit begann jedoch, wie die griechische KKE, mit einer kritischen Analyse der revisionistischen Entwicklung der Sowjetunion und entwickelte sich wieder ein Stück nach links. Diese Entwicklung bleibt jedoch durch das Festhalten an dem Dogma, die revisionistischen Länder seien bis 1989/90 sozialistisch gewesen, begrenzt.

Der Kampf gegen den Revisionismus als Erscheinungsform des Imperialismus muss von den Kommunist:innen zu jeder Zeit geführt werden. Die Kommunist:innen müssen stets an den Grundprinzipien des Marx-ismus-Leninismus festhalten und die revisionistischen Ideologien und Positionen in der politischen Widerstandsbewegung und der Arbeiter:innenbewegung konkret und klar aufzeigen und bekämpfen. Dabei dürfen sie weder in die eine noch andere Richtung abweichen: Weder in eine kompromisslerische Haltung und ein Zukleistern politischer Widersprüche mit dem Revisionismus, noch in ein Sektierertum und ein Sich-Abkapseln, das auf den Kampf um Kräfte verzichtet, die vom Revisionismus beeinflusst sind, jedoch ehrlich auf der Suche nach Antworten auf die Fragen der sozialistischen Revolution im 21. Jahrhundert und offen für Entwicklung sind.

Der Kampf gegen den Revisionismus muss unbedingt auch die ständige ideologische Wachsamkeit bei uns selbst gegenüber allen Einflüssen der bürgerlichen Ideologie und ihren verschiedenen Ausdrucksformen (wie z.B. klassischem Revisionismus, modernem Revisionismus, Trotzkismus, Postmodernismus u.a.) einschließen. Dabei reicht es nicht aus, die kommunistische Bewegung nur durch „Säuberungen“ von opportunistischen Kräften zu befreien. Dies ist lediglich ein Notbehelf. Die bürgerliche Ideologie ist nämlich nichts, was nur von außen auf die Kommunist:innen einwirkt. Vielmehr tragen auch alle Kommunist:innen notwendigerweise bürgerliche Seiten in ihrer Persönlichkeit und in ihrem Denken, die in Wechselwirkung mit dem ideologischen Druck des Imperialismus, dessen Einfluss wir tagtäglich in vielfältigsten Formen ausgesetzt sind, die ständige Gefahr des Abweichens vor den Aufgaben der Revolution hervorrufen. Dies aber sind die Quellen für revisionistische Entwicklungen sowie für alle zentristischen Inkonsequenzen im Kampf gegen solche Entwicklungen. Deshalb erfordert auch der Kampf gegen den Revisionismus die Revolutionierung der eigenen Persönlichkeit der Kommunist:innen.

Der Kampf gegen den Revisionismus als gesetzmäßige Erscheinung im Imperialismus ist ein Ausdruck, eine Seite des notwendigen Kampfes der Kommunist:innen um die Bolschewisierung, also den Aufbau einer Partei neuen Typs unter den gesellschaftlichen Bedingungen in Deutschland, einem imperialistischen Zentrum mit einer Arbeiter:innenklasse, die heute materiell, politisch und ideologisch eng an die Bourgeoisie sowie das Kleinbürger:innentum angebunden ist. Die Schaffung der Partei neuen Typs und die Revolutionierung der Kommunist:innen können nur im engen Zusammenhang mit der Revolutionierung der Arbeiter:innenklasse geschehen.

1Marx, Engels, „Manifest der Kommunistischen Partei“, MEW Bd. 4, S. 484 f.

2„Dieser Sozialismus [der revolutionäre Sozialismus] ist die Permanenzerklärung der Revolution, die Klassendiktatur des Proletariats als notwendiger Durchgangspunkt zur Abschaffung der Klassenunterschiede überhaupt, zur Abschaffung sämtlicher Produktionsverhältnisse, worauf sie beruhen, zur Abschaffung sämtlicher gesellschaftlichen Beziehungen, die diesen Produktionsverhältnissen entsprechen, zur Umwälzung sämtlicher Ideen, die aus diesen gesellschaftlichen Beziehungen hervorgehen.“ Marx, „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 – 1850“, MEW Bd. 7, S. 89 f.

3Kommunistisches Manifest, ebd.

4Vgl. Marx, „Kritik des Gothaer Programms“, MEW Bd. 19, S. 13

5Lenin, „Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus“, LW Bd. 23, S. 112

6Ebd., S. 116

7„Marxistische Arbeiterschulung (MASCH), Kursus: Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung, Die deutsche Sozialdemokratie in der Periode des Ausnahmegesetzes (1878 bis 1890), Ein Jahr der Verwirrung“, Verlag für Literatur und Politik, Wien/Berlin 1930, Reprint 1970, S. 175

8Zitiert nach: Marx, Engels, „Zirkularbrief an Bebel, Liebknecht, Bracke u.a.“, MEW Bd. 19, S.161

9„MASCH, Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung“, ebd.

1010Eduard Bernstein, „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“, Stuttgart 1899, S. 10f; zitiert nach: Geschichte der Philosophie, Band V, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1963, S. 481

11Vgl. Rosa Luxemburg, „Sozialreform oder Revolution“, in: Gesammelte Werke Bd. 1, Dietz Verlag Berlin, S. 367 ff.

12Bernstein selbst lehnte den Krieg damals ab und trat zur USPD über. Nach dem Ende des Krieges und der Novemberrevolution 1918/19 schloss er sich jedoch wieder der SPD an.

13Lenin, „Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus“, LW Bd. 23, S. 116

14Vgl. „Trotzkismus – eine marxistisch-leninistische Analyse“, Kommunismus 25, S. 35 ff.

15Ebd., S. 39 ff.

16Ebd., S. 29 f.

17Vgl. Ossip Pjatnitzki, „Die Bolschewisierung der kommunistischen Parteien der kapitalistischen Länder durch Überwindung der sozialdemokratischen Traditionen“, aus: „Die Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) – Band 1“, Verlag Rote Fahne 1973, S. 127

18„Von der Perspektive der Verschärfung des Kampfes gegen die Sozialdemokratie ausgehend, bestätigte der Kongreß den Beschluß des IX. EKKI-Plenums, das das Steuer der französischen Partei herumriß und ihr empfahl, bei den Wahlen auf die Einheitsfront mit den Sozialisten zu verzichten und den Wahlkampf unter der Parole ‚Klasse gegen Klasse‘ durchzuführen. Der Kongreß bestätigte auch den Beschluß des IX. EKKI-Plenums, der das taktische Steuer der englischen Partei hinsichtlich der Arbeiterpartei umlegte, welche aus einer formlosen Arbeiterorganisation eine ganz gewöhnliche sozialdemokratische Partei geworden war.“, „Der VI. Weltkongress der Kommunistischen Internationale, 1928 – Thesen der Agit.–Prop.-Abteilung des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale“, aus: Parteihochschule „Karl Marx“ beim ZK der SED, „Die Kommunistische Internationale“, Berlin 1956, S. 156 ff., Hervorhebungen durch uns

19Eine kritische Einschätzung der Ausrichtung des VI. Weltkongresses sowie des Schwenks der KI bis zum VII. Weltkongress werden wir im Rahmen einer ausführlichen Ausarbeitung zur Geschichte der kommunistischen Bewegung in Deutschland veröffentlichen.

20Georgi Dimitroff, „Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen Faschismus“, aus: Pieck, Dimitroff, Togliatti, „VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1935“, Dietz Verlag 1957, S. 171 ff.

21Ebd.

22Dimitroff, S. 172 f.

23Vgl. „100 Jahre Hamburger Aufstand – Geschichtliche Mythen und revolutionäre Lehren“, Kommunismus 25, S. 10 f.

24Dies geht neben zahlreichen anderen historischen Dokumenten der damaligen Zeit insbesondere aus den Tagebuch-Aufzeichnungen von Georgi Dimitroff hervor, der die KI ab 1934 als Generalsekretär führte. Vgl. Banac (Hrsg.), „The Diary of Georgi Dimitrov 1933 – 1949“, Yale University Press 2003

25In einer Direktive der Komintern vom 8. September 1939 heißt es dazu: „Die Teilung der kapitalistischen Länder in faschistische und demokratische [Lager] hat ihre frühere Bedeutung verloren. Die Taktik der kommunistischen Parteien in allen kriegsführenden Ländern besteht in dieser Phase des Krieges darin, sich dem Krieg entgegenzustellen, seinen imperialistischen Charakter zu entlarven…. Überall müssen die kommunistischen Parteien eine entscheidende Offensive gegen die verräterische Politik der Sozialdemokratie unternehmen.“, Fridrikh Igorevich Firsov, „Secret Cables of the Comintern, 1933 – 1943“, Yale University Press, S. 146, Übersetzung aus dem Englischen

26„Gottwald warnte die tschechoslowakische Partei davor, sich in Proteste oder Aktionen zu verwickeln, die sich zu einem bewaffneten Kampf gegen die Nazi-Besatzungsbehörden entwickeln könnten, und forderte Wachsamkeit gegenüber Provokationen durch die ‚Agenten Chamberlains‘, eine Anspielung auf diejenigen, die den im Exil lebenden Beneš [früherer Präsident und selbsternannter Exilpräsident der Tschechoslowakei] unterstützten.“ Firsov, „Secret Cables of the Comintern“, S. 162, Übersetzung aus dem Englischen

27„Die revolutionäre Perspektive erfordert eine enge Verbindung mit der deutschen Arbeiterklasse im Rahmen der internationalen proletarischen Solidarität sowie die Freundschaft mit der Sowjetunion. Deshalb ist antideutscher Chauvinismus unvereinbar mit der Entwicklung des tschechischen Befreiungskampfes.“, Kodierte Nachricht von Klement Gottwald vom 16. Oktober 1939, zitiert nach: Firsov, „Secret Cables of the Comintern“, ebd., Übersetzung aus dem Englischen

28„Antwort des Genossen J.W. Stalin auf die Frage des Hauptberichterstatters der englischen Presseagentur Reuter“, SW Bd. 14, Verlag Roter Morgen, S. 318 f.

29In den Aufzeichnungen heißt es weiter: „Wir haben unsere Ressourcen überschätzt, als wir die KI gegründet haben und glaubten, wir könnten die Bewegung in allen Ländern führen. Das war unser Fehler. Die weitere Existenz der KI würde die Idee der Internationale diskreditieren, was wir nicht wollen. Es gibt noch einen weiteren Grund für die Auflösung der KI, der nicht in der Resolution [der Auflösungserklärung, Anm. d. Verf.] genannt wird. Dies ist die Tatsache, dass die Kommunistischen Parteien der KI fälschlich beschuldigt werden, angebliche Agenten eines ausländischen Staates zu sein, und dies behindert ihre Arbeit in den breiten Massen. Die KI aufzulösen schlägt diese Trumpfkarte aus den gegnerischen Händen. Dieser Schritt, den wir jetzt unternehmen, wird zweifellos die Kommunistischen Parteien als nationale Parteien der Arbeiterklasse stärken und zugleich den Internationalismus der Volksmassen wieder verstärken, ein Internationalismus, dessen Basis die Sowjetunion ist“. Stalin am 21. Mai 1943, aus: „The Diary of Georgi Dimitrov 1933 – 1949“, S. 275 f., Übersetzung aus dem Englischen

30Bulgarien, Frankreich, Italien, Jugoslawien (bis 1948), Polen, Rumänien, Sowjetunion, Tschechoslowakei, Ungarn.

31Schon 1930 erklärte Stalin: „Wie Sie sehen, sind in der Großindustrie die kapitalistischen Elemente bereits untergegangen. Es ist klar, dass die Frage «Wer-wen?», die Frage, ob der Sozialismus die kapitalistischen Elemente in der Industrie besiegen wird oder ob diese den Sozialismus besiegen werden, schon zugunsten der sozialistischen Formen der Industrie entschieden ist. Sie ist endgültig und unwiderruflich entschieden.“ (Stalin, „Politischer Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees an den XIV. Parteitag“, Juni 1930, SW Bd. 12, S. 236). Im Jahr 1936 heißt es dann: „Verschwunden ist die Kapitalistenklasse in der Industrie. Verschwunden ist die Kulakenklasse in der Landwirtschaft. Verschwunden sind die Händler und Spekulanten auf dem Gebiete des Warenumsatzes. Alle Ausbeuterklassen sind somit liquidiert.“ (Stalin, „Über den Entwurf der Verfassung der Union der SSR“, 1936, SW Bd. 14, S. 61); Stalin gegenüber Roy Howard 1936: „Und jetzt bauen wir die neue klassenlose Gesellschaft.“ („Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung“, Nr.11/1936, S.410);In dem „Kurzen Lehrgang“ heißt es dann 1938, dass mit der Liquidierung des Kulakentums „im Lande die letzten Quellen einer Restauration des Kapitalismus zerstört“ wurden („Kurzer Lehrgang“, S. 380)

32 „Es ist notwendig, die faule Theorie zu zerschlagen und beiseite zu werfen, dass der Klassenkampf bei uns mit jedem Schritt unseres Vormarsches mehr und mehr erlöschen müsse, dass der Klassenfeind in dem Maße, wie wir Erfolge erzielen, immer zahmer werde. (…) Je mehr Erfolge wir erzielen werden, umso größer wird die Wut der Überreste der zerschlagenen Ausbeuterklassen werden, umso eher werden sie zu schärferen Kampfformen übergehen.“ (Stalin, „Über die Mängel der Parteiarbeit und die Maßnahmen zur Liquidierung der trotzkistischen und sonstigen Doppelzüngler“, 1937, SW Bd. 14, S.136

33Stalin, „Rechenschaftsbericht an den XVIII. Parteitag über die Arbeit des ZK der KPdSU(B)“, 1939, SW Bd. 14,S. 209

34Ebd., S. 229

35Stalin, „Rechenschaftsbericht an den XVIII. Parteitag“, SW Bd. 14, S. 229

36Vgl. Trotz Alledem, „Analyse der Restauration des Sozialismus in der sozialistischen Sowjetunion“, http://trotzalledem.bplaced.net/zeitungen/71/poe.html

Rote Reihe, Band 1, „Wann und warum der Sozialismus in der Sowjetunion scheiterte“, Verlag Roter Morgen 1994, S. 18

37Vgl. „Über die Zerstörung des Sozialismus und die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion“, Kommunismus 7, S. 15 f

38Vgl. Nils Holmberg, „Friedliche Konterrevolution“ Teil 1, Oberbaumverlag, S. 34

39Stalin, „Rechenschaftsbericht an den XVIII. Parteitag“, SW 14, S. 214

40Z.B. wimmeln Stalins veröffentlichte Korrespondenzen mit anderen Politbüro-Mitgliedern von Stellen, in denen er gegen bürokratische Tendenzen, Karrierismus und Vetternwirtschaft in Partei und Staat eintritt und die Politbüromitglieder in diesen Fragen zu mehr Konsequenz und Schärfe drängt – dazu zwei Beispiele: 1. „Grüße, Genosse Kaganowitsch! 1) Warum werden die Berichte über die Autofabriken von Moskau und Gorki nicht täglich veröffentlicht? Zu wem bist Du gnädig – zu den Bürokraten? Stehen die Interessen der Bürokraten wirklich über den Interessen der Sache? Das ist also die Schande, die wir erleben …“ (4.10.1932), 2. „Die Politbüro-Entscheidung, zahlreichen Individuen den Leninorden zu verleihen, macht einen schlechten Eindruck. Ihr habt damit angefangen, zu schnell Medaillen zu vergeben. Wenn das so weitergeht, wird die Medaille entwertet, und sie wird all ihre moralische Kraft verlieren. Das darf unter keinen Umständen passieren! Sag Postyshev, er soll nicht dem Druck der großen und mächtigen Bürokraten nachgeben, die auf Medaillen für ihre Bürokraten-Freunde aus sind…“ (4.9.1931), aus: Davies, Khlevniuk, Rees, „The Stalin-Kaganovich Correspondence 1931-1936“, Yale University Press 2003, S. 71 / 127

41Stalin, „Rede auf dem VIII. Kongreß des Kommunistischen Jugendverbandes“, SW Bd. 11, S. 63

42Kommunismus 7, S. 12 ff.

43Vgl. Wolfgang Leonhard, „Die Revolution entlässt ihre Kinder“, Kiepenheuer und Witsch 2006, S. 660 ff.

44SW Bd. 15, S. 163 ff.

45SW Bd. 15, S. 292 ff.

46Vgl. „Über die Zerstörung des Sozialismus und die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion“, Kommunismus 7, S. 19 ff.

47Vgl. Der Weg der Partei 1/1988, „Die Sowjetunion – ein kapitalistisches, imperialistisches Land“, Verlag Roter Morgen, S. 12

48Unsere Haltung zum Maoismus haben wir ausführlich dargelegt in: „Der Maoismus – ein revolutionärer Bündnispartner“, Kommunismus 18, S. 4 ff.

49Die KI dagegen hatte in den 1930er und 40er Jahren immer wieder versucht, die chinesischen Kommunist:innen auf eine Volksfront mit der Kuomintang auszurichten. Stalin räumte 1948 im Gespräch mit bulgarischen und jugoslawischen Kommunisten ein, dass er die revolutionären Möglichkeiten in China zuvor unterschätzt hatte: „Ich bezweifelte auch, dass die Chinesen Erfolg haben könnten, und riet ihnen, sich mit Tschiang Kai-Tschek vorübergehend zu einigen. Offiziell stimmten sie mit uns überein, aber in der Praxis haben sie das chinesische Volk weiter mobilisiert und dann offen die Frage gestellt: Werden wir unseren Kampf fortsetzen? Wir haben die Unterstützung unseres Volkes. Wir haben geantwortet: Gut, was braucht ihr? Es stellte sich heraus, dass die Bedingungen dort sehr günstig waren. Die Chinesen hatten recht, und wir hatten unrecht.“, „The Diary of Georgi Dimitrov 1933 – 1949“, S. 443

50Der Parteivorsitzende Max Reimann entzog sich dann 1954 einem Haftbefehl in der BRD, indem er in die DDR übersiedelte und die KPD unter Fortführung der strikten Unterordnung unter die SED von dort aus weiterführte.

51Vgl.: „Breschnews Bedingung für weitere Abkommen: Die Wiederzulassung einer legalen kommunistischen Partei in der Bundesrepublik“, aus: Manfred Wilke, „Die neue Ostpolitik der Bundesrepublik und der Moskauer Vertrag 1970“ (2. Teil), Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/312614/ii-1964-1968-entspannungspolitik-als-schluessel-fuer-eine-neue-ostpolitik

52Grundsatzerklärung der Deutschen Kommunistischen Partei, In: Protokoll des Essener Parteitages der DKP, 12. / 13. April 1969, zitiert nach: Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, „Der Imperialismus der BRD“, Verlag Marxistische Blätter 1972, S. 568 f.

53Vgl. „Ukraine-Krieg und sozialistische Revolution“, Kommunismus 23, S. 12

54Vgl.: „18th Congress, Resolution on Socialism – Assessments and conclusions on socialist construction during the 20th century, focusing on the USSR. KKE’s perception on socialism“, https://inter.kke.gr/en/articles/18th-Congress-Resolution-On-Socialism

55Vgl. Offensiv (Hrsg.), „Niederlagenanalyse – Die Ursachen für den Sieg der Konterrevolution in Europa“, Hannover 2007

56www.kommunistische-initiative.de

57https://kommunistische.org

58So äußerte Renate Koppe vom Sekretariat des DKP-Vorstands im September 2022 im Interview mit der KO: „Russland geht es nicht darum, imperialistische Interessen zu vertreten, sondern seine eigene Souveränität als Nationalstaat behalten zu können und nicht zu einer Halbkolonie herabzusinken.“, https://kommunistische.org/kongress/interview-im-donbass-kaempfen-die-menschen-gegen-ein-faschistisches-regime

59Fabien Roussel, „Ukraine: Agir pour la Paix, en priorité“, 23.02.2023 (Übersetzung aus dem Französischen) www.pcf.fr/ukraine_agir_pour_la_paix_en_priorit_fabien_roussel

Kommunismus #26 – März 24

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Liebe Leser:innen.

In der vorliegenden Ausgabe widmen wir uns einem theoretischen Grundlagenthema und zwei konkret-praktischen Fragen der kommunistischen Kader:innenentwicklung.

Der erste Artikel dieser Zeitung „Marxismus und Revisionismus“ widmet sich einer Kernfrage der revolutionären Politik. Was verstehen wir genau unter Revisionismus und welche politischen Strömungen fassen wir genau darunter? Welche Klassenbasis hat der Revisionismus im imperialistischen Kapitalismus und wo liegt diesbezüglich der Unterschied zwischen dem klassischen (Bernstein-)Revisionismus und dem modernen Revisionismus, wie er vor allem mit dem Namen Chruschtschow verbunden ist? Wie hat sich der Revisionismus seit den 1950er Jahren weiter ausdifferenziert und mit welchen Varianten sind wir heute in der politischen Arbeit immer wieder konfrontiert? Diese und viele andere Fragen beleuchten wir anhand einer historischen Darstellung.

Der zweite Text „Liberalismus: Rolle und Wirkung in der kommunistischen Arbeit“ behandelt das, was er verspricht: Als Kommunist:innen sind wir unentwegt den Einflüssen der bürgerlichen Gesellschaft und der bürgerlichen Ideologie ausgesetzt und unterliegen einem unablässigen Druck, uns dem Kapitalismus in unserer politischen Arbeit, in unserem Privatleben, in all unseren Verhaltensweisen anzupassen. Ein Aspekt davon ist die Überbetonung des Individuellen, die Ablehnung einer wirklichen Kollektivität, wie sie das revolutionäre Proletariat im Klassenkampf benötigt. Gerade in Deutschland ist der Individualismus tief in den Persönlichkeiten auch der Kommunist:innen verankert. Dies äußert sich in der kommunistischen Arbeit in den verschiedenen Erscheinungsformen des Liberalismus, die wir im Artikel in einen politischen und ideologischen Liberalismus sowie einen organisatorischen Liberalismus und Liberalismus in der Kader:innenentwicklung unterteilen. Wer schon einmal in einer Diskussion am Arbeitsplatz den Mund gehalten, einen Termin nicht eingehalten oder eine Aufgabe nicht erledigt hat und das nicht schlimm fand, sollte sich angesprochen fühlen.

Im dritten Artikel „Vorbilder und ihre Bedeutung für die Kader:innenentwicklung“ arbeiten wir schließlich heraus, was der Unterschied zwischen Vorbildern in der bürgerlichen Gesellschaft und im kommunistische Kollektiv ist und welche Rolle Vorbilder in unserer Arbeit spielen. Kommunist:innen kann es nicht darum gehen, unerreichbare Idole anzuhimmeln, die eigenen Genoss:innen auf ein Podest zu stellen oder gar mit Neid und Missgunst auf sie zu blicken. Vorbilder beziehen sich vielmehr auf die verschiedensten Aspekte des revolutionären Lebens und dienen dazu, das Kollektiv weiterzubringen. Jede:r Genoss:in kann Vorbild sein, mit gutem Beispiel vorangehen – auch wenn er:sie in anderen Bereichen noch Aufholbedarf hat. Dies müssen wir uns immer vergegenwärtigen.

Wir wünschen allen Leser:innen eine spannende Lektüre und viele Denkanstöße auch für die Praxis!

Mit kommunistischen Grüßen

Redaktion Kommunismus

Unser Antifaschismus muss sich auch gegen Staat und Regierung richten!

Antifaschistischer Kampf ist notwendig

Ein Aufruf der Kommunistischen Jugend

In den letzten Wochen haben wir in Deutschland die seit langem zahlenmäßig größten Proteste erlebt. Woche für Woche sind mehrere hunderttausend Menschen in Großstädten wie Berlin, Hamburg und Leipzig auf die Straße gegangen, aber auch in deutlich kleineren Städten und ländlichen Regionen. Auf der Straße hat sie alle geeint, dass sie die Gefahr, die von der AfD und anderen faschistischen Kräften ausgeht, ernst nehmen.

Dass so viele Menschen in diesem Land auf so einer Grundlage auf die Straße gehen, ist erst mal erfreulich, vor allem bietet es uns als junge Revolutionäre bestimmte Anknüpfungspunkte, aber stellt uns auch vor viele Aufgaben.

Machen wir es uns zur Aufgabe, die aktuelle Stimmung aufzugreifen und offensiv mit unseren Positionen in diesen Protesten sowie an Schulen, Universitäten und Ausbildungsbetrieben auf andere Jugendliche zu zutreten!

Einerseits ist die Wut über die rassistische Hetze und der AfD und ihrer politischen Bündnispartner natürlich berechtigt und wir müssen sie aufgreifen und bestärken. Zugleich gilt es aber, die Halbheit und Einseitigkeit der Proteste in einer angemessenen Form zu kritisieren und aufzuzeigen.

Knapp gesagt: Die Proteste richten sich überwiegend gegen die AfD, fordern teilweise sogar ihr Verbot oder ein persönliches Politikverbot für den Faschisten Björn Höcke. Was dabei aus dem Blick gerät: Die AfD versucht mit rassistischer Demagogie und Hetze zu punkten, aber die Ampelregierung setzt ganz konkret rassistische Politik um.

Von alleine wird aber aus der Anti-AfD-Stimmung nicht wieder ein Antifaschismus im eigentlichen Sinne des Wortes werden. Hier sind wir als Kommunist:innen gefragt. Lasst uns aufzeigen, dass der Gedanke, es gäbe einen demokratischen Staat und eine offene, antirassistische Gesellschaft, die wir gegen die äußere Bedrohung namens „AfD“ verteidigen müssen, einfach eine Illusion ist.

Diese kapitalistische Gesellschaft ist tief von verschiedenen Spaltungslinien durchzogen. Angefangen beim Patriarchat und der dazugehörigen Frauenfeindlichkeit, sowie Feindlichkeit gegenüber LGBTI-Personen, über den alltäglichen Rassismus und die systematische Benachteiligung von Migrant:innen im Ausbeutungsysstem bis hin zur Verachtung, die dieses System allen gegenüber zum Ausdruck bringt, die wegen Alter oder Krankheit nicht mehr in der Lage sind, sich ausbeuten zulassen.

Ebenso ist der deutsche Staat seit 1945 immer von Nazis und Neonazis durchsetzt gewesen. Es gab in der Bundesrepublik Deutschland keine „Stunde Null“, keinen demokratischen Neuanfang, der einen klaren Bruch mit dem Faschismus dargestellt hätte. Genau in dieser Tradition stehen zahlreiche Skandale um die Verstrickungen von Polizei, Geheimdiensten, Militär und der Nazi-Szene von NSU bis Kreuznetzwerk.

Niemand wird es uns abnehmen, auf diese Tatsachen hinzuweisen und aufzuzeigen, dass echter Antifaschismus weit mehr sein muss, als Proteste gegen die AfD!