Interview mit einer Arbeiterin aus einem Automobilwerk, die von den KollegInnen die rote Lydia genannt wird

Ich bin gerade davon überzeugt, dass die Arbeit mit den ArbeiterInnen die richtige Arbeit ist, auch wenn manchmal Zweifel kommen, für mich gilt entweder Sozialismus oder Barbarei.“

Einleitung

Lydia kommt aus einer Familie, in der das Leben ohne Sorgen um das tägliche Brot Standard war. Eigentlich ist für sie eine akademische Ausbildung vorgesehen, weil das zu dem Leben einer Frau aus besseren Verhältnissen passt. Doch schon als Kind wollte Lydia arbeiten, richtig arbeiten wie eine Handwerkerin und das hat sie gegen den Willen der Eltern durchgesetzt. Sie lernte einen Handwerksberuf und damit ging es ihr gut. Später als sich die Arbeitsmarktsituation veränderte, wurde es schwierig in dem Beruf eine Stelle zu finden. Inzwischen hat Lydia angefangen aktiv gegen Ungerechtigkeiten zu protestieren und sie wird zu einer politischen Aktivistin.

In der Zeit, wo es auf dem Arbeitsmarkt schwierig wird Arbeit zu finden, trifft sie die Entscheidung, in eine große Fabrik zu gehen. Sie stellt diesen Schritt auch in Zusammenhang mit ihrer Entscheidung Kommunistin zu sein. In der Fabrik fängt sie als ungelernte Kraft am Band mit Akkordarbeit und Schichtdienst an. Nach einiger Zeit kandidiert sie zum Betriebsrat. Sie wird gewählt und arbeitet nun weiter am Band und zusätzlich als Betriebsrätin. Damit durchbricht sie die übliche Stellvertreterfunktion einer Betriebsratsarbeit. In der Fabrik ist ihr Ziel, dass sich die KollegInnen zusammenschließen und ihre Interessen selbst in die Hand nehmen. In der Politik ist ihr Ziel der Kommunismus.

Kommunismus:

Du hast dich für einen Beruf im Handwerk entschieden, auf welche Probleme bist du dabei gestoßen?

Lydia:

Arbeiterin_Autoindustrie_3Meinen Ausbildungsplatz im Handwerk habe ich mir alleine gesucht. Im Ausbildungsbetrieb war ich die einzige Frau. Wir waren dreißig Auszubildende in der Berufsschulklasse. Außer mir waren am Anfang noch drei Frauen in der Ausbildung, aber nur ich bin in dem Beruf geblieben. Es war für mich schwierig einen Ausbildungsplatz im Handwerk zu finden. Die Chefs gingen davon aus, dass ich nicht im Beruf bleibe und eh wieder studiere und außerdem Kinder kriege, weil ich eine junge Frau bin. Solange ich in dem Handwerk gearbeitet habe, bin ich bei den KollegInnen immer wieder auf das Denken gestoßen, dass diese Berufe nichts für Frauen sind. Das sind Männerberufe, weil die Arbeit dreckig und schwer ist. Für mich war es völlig klar, dass ich die Arbeit kann, egal was zu tun ist. Doch die Männer haben mich immer wieder gefragt, ob ich das denn auch kann oder ob sie mir helfen können. Für mich war es heftig auf so viel Unglauben zu stoßen, dass junge Frauen „richtig“ arbeiten können. Fast zehn Jahre habe ich als Handwerkerin gearbeitet. Dann entschloss ich mich den Meister zu machen. Nach der Meisterprüfung konnte ich in dem Beruf keine Arbeit mehr finden. Es gab dann eine Zeit, wo ich verschiedene Jobs gemacht habe. In meinem Beruf und in den Jobs habe ich nie viel Geld verdient und dementsprechend wohnte ich günstig und lebte bescheiden.

Kommunismus:

Wie bist du in die Fabrik gekommen?

Lydia:

Irgendwann habe ich mich entschieden in einen größeren Betrieb zu gehen. Diese Entscheidung hatte nicht nur den Grund, dass ich Geld brauchte, sondern es war eine politische Entscheidung. Dort arbeite ich jetzt seit ca. vierzehn Jahren und habe diese Entscheidung nie bereut. Aus der Fabrikarbeit konnte ich persönlich und wir als politische Organisation viele Erfahrungen rausziehen.

Die ersten zwei Jahre in der Fabrik bekam ich befristete Verträge. Erst danach wurde ich fest eingestellt. Nun war ich in der Produktion in einer Anlerntätigkeit und arbeitete im Akkord und im Schichtdienst.

Feste Arbeitsplätze in der Industrie haben im Vergleich zu Arbeitsplätzen in kleinen und mittleren Unternehmen den Vorteil höherer Löhne, was ein Anziehungspunkt ist. Die Höhe der Löhne kommt aus alten Kämpfen unserer Mütter und Väter. Dies sind erkämpfte Errungenschaften und keineswegs ein Geschenk der Großunternehmer.

Kommunismus:

Was ist der Unterschied von Fabrikarbeit und deiner Arbeit als Handwerkerin?

Lydia:

Die Ausbeutungsmaschinerie in der Industrie ist geeignet, die Menschen völlig blöd zu machen, sie aus zu laugen, den Menschen ihre Lebenskraft aus zu saugen. Die Schichtarbeit macht den Menschen kaputt. Nach acht Stunden Schicht mit dumpfer, eintöniger Arbeit ist ein Mensch zermürbter wie nach acht Stunden körperlicher Arbeit. Anlernarbeiten und Akkord bedeutet immer gleiche, monotone Arbeit. Auch wenn mal Veränderungen vorgenommen werden, es bleibt inhaltslose Arbeit.

Wir sind viele tausende KollegInnen in einer Halle, wir stehen nahe beieinander, aber wir können kaum miteinander reden. Jede/jeder ist für sich und macht mechanisch immer wieder die gleichen Dinge. Auch in den Pausen läuft fast nichts, die KollegInnen sind kaputt und sitzen oft einfach nur rum.

Die körperlich schwere Arbeit, die ich vorher gemacht habe, hat mir nicht so viel ausgemacht wie die Schichtarbeit. Trotz körperlich schwerer Arbeit konnten wir KollegInnen während der Arbeit miteinander reden, es gab eine soziale Zusammengehörigkeit unter uns.

Kommunismus:

Was passiert mit den KollegInnen durch diese Arbeit?

Lydia:

Viele KollegInnen gucken wie sie da raus kommen können. Sie suchen Vorteile für sich, was auch dazu führt, dass sie z.B. auf andere KollegInnen wie Leiharbeiter drauf rumtreten. Leiharbeiter haben keine festen Verträge und bekommen weniger Lohn, das bedeutet, sie stehen schlechter als die, die zur sogenannten Stammbelegschaft gehören. Sie werden auch minderwertig behandelt, indem sie häufig nicht mit ihrem Vornahmen sondern mit Nachnamen oder „Leiher“ gerufen werden.

Kollegialität ist schwierig und nimmt stetig ab. Vor zehn Jahren war es normal, dass wir nach der Schicht auch mal miteinander weggegangen sind oder wir haben uns mal am Wochenende getroffen. Heute gehen alle schnell nach Hause, höchstens die Jungen gehen mal am Wochenende zusammen in eine Diskothek. Es ist sehr wenig geworden, dass wir KollegInnen uns auch mal außerhalb der Arbeit treffen und irgendetwas miteinander tun. Es gibt z.B. Fahrgemeinschaften, um zusammen zum Betrieb oder nach Hause zu fahren. Aber es bleibt bei der Fahrt, dann wollen alle schnell nach Hause. Der Lebensplan von vielen KollegInnen ist arbeiten gehen, eine Familie haben und ein Haus bauen. Nach der Arbeit wird am Haus weiter gebaut, als wenn es nicht reicht arbeiten zu gehen.

Kommunismus:

Das hört sich nicht so toll an. Du hättest ja auch andere Möglichkeiten, warum machst du trotz der vielen Niederlagen und der immer unmenschlicher werdenden Ausbeutung weiter?

Lydia:

Arbeiterin_Autoindustrie_4Auch wenn die Individualisierung weiter wächst und der Klassenkampf zeitweise zurückgeht, besteht genau in so einem Betrieb wie dem, in dem ich arbeite, die größte Möglichkeit das Kapital empfindlich zu treffen. Diese ArbeiterInnen können sich zusammen tun und ihre Spaltung überwinden – und dann ist alles möglich – daran arbeite ich auch.

Kommunismus:

Du hast von einer regelrechten Krankenjagd gesprochen, wie kann Frau sich das vorstellen?

Lydia:

Die Akkordarbeit ist sehr eng mit ArbeiterInnen besetzt. Wenn KollegInnen freie Tage brauchen, wird es schnell schwierig, weil höchstens zwei bis drei KollegInnen fehlen können, um die reibungslose Arbeit zu garantieren. Weil es schon oft passiert ist, dass freie Tage nicht genehmigt wurden, führt dass wiederum dazu, dass wenn KollegInnen unbedingt frei brauchen, dieses frei hin und wieder nicht mehr offiziell beantragt wird, sondern dass KollegInnen sich krank schreiben lassen. Wenn sie dann wirklich krank werden und deswegen fehlen, wird das nicht gesehen sondern gleich unterstellt, dass krank gefeiert wird.

Fakt ist aber, dass die Akkord- und Schichtarbeit krank macht. Ab 45 Jahren sind die KollegInnen krank, viele werden dann arbeitsunfähig. Immer mehr KollegInnen werden immer früher krank. Sie schaffen den Akkord nicht mehr, sie kriegen es psychisch nicht mehr hin. KollegInnen, die das von anderen mitkriegen, können damit nicht umgehen. Es ist eher die Ausnahme, dass damit sozial umgegangen wird.

Die fehlenden sozialen Verbindungen fördern viel abwertendes Gerede und Sprüche klopfen gegeneinander innerhalb der Belegschaft. Es wird nicht gesehen, dass z.B. Kollegen, die wegen psychischer Erkrankung vier Monate fehlen, sich in dieser Zeit aber regenerieren, um wieder arbeitsfähig zu sein, dass das wirklich eine Krankheit ist. Es wird selten mit Mitgefühl wahrgenommen, wenn jemand krank ist. Hinter all dem wird auch eine systematische Krankenjagd betrieben. Offen kommen Drohungen, dass für eine angeschlagene Gesundheit kein Arbeitsplatz in der Fabrik vorhanden ist.

Kommunismus:

Für die beschriebenen Veränderungen im Vergleich zu früheren Jahrzehnten, das Anwachsen von Kampfunlust oder Resignation bei den KollegInnen siehst du einen Grund im Streben nach maximalen Profit. Dies führt zu einer radikalen und rücksichtslosen Optimierung der Menschen. Mit welchen Methoden wird das im Betrieb konkret durchgesetzt?

Lydia:

Die Arbeit selbst ist nicht schwerer geworden. Aber die Methode, mit der die Arbeit geplant wird, wird immer undurchschaubarer. Zum Beispiel soll ein Arbeitsvorgang von 1,5 Sekunden auf 1 Sekunde verkürzt werden. Man weiß nicht, wie das unter den Bedingungen, wie wir arbeiten, gehen soll. Eigentlich geht das nicht, aber nach einer bestimmten Zeit geht es doch. Es ist wie beim Leistungssport – immer mehr, immer schneller. Der Wunsch der Menschen sich ständig zu optimieren wird radikal und rücksichtslos ausgenutzt. Die Konzerne planen die Arbeitsabläufe von Beginn an so knapp, dass die Arbeit nicht geschafft werden kann. Die Planung erzeugt Wut bei uns. Aber die Wut wird nicht organisiert und gegen den Konzern gerichtet, sondern ebbt nach einer gewissen Zeit ab. Das ist dann der Augenblick, wo der Akkord angezogen wird. Nach einer gewissen Zeit wiederholen sie den Vorgang. So schaffen sie es die Prozesse zu optimieren, ohne dass sich Widerstand rührt. Es gibt Unzufriedenheit, die führt aber nur sehr selten dazu, dass wir uns zusammenschließen und uns wehren. Das Gemeinsame, der Zusammenschluss fehlt und der Schritt, unsere Interessen selbst in die Hand zu nehmen.

Es gab eine Zeit in den Großbetrieben, an die sich ältere KollegInnen noch erinnern können, wo sie ihren Akkord in einer bestimmten Zeit geschafft haben, so dass sie sich noch Freizeit rausschinden konnten. Die KollegInnen konnten diese selbst erarbeitete Freizeit für sich nutzen z.B. um miteinander zu reden, auch mal Fußball zu spielen oder eben auch mal Gegenwehr zu organisieren. Das wird es so schnell nicht wieder geben, weil die Konzerne gelernt haben, die Energie der ArbeiterInnen zur Optimierung für ihren Profit zu nutzen.

Kommunismus:

Wie viele Frauen arbeiten in der Fabrik? Sind sie den Männern gleichgestellt und wie geht es ihnen als Fabrikarbeiterin?

Lydia:

Es gibt in allen Bereichen Frauen, außer in den oberen Führungsebenen. Frauen sind im Betrieb in der Minderheit, die Zahl liegt unter 20%. Die meisten Frauen gibt es im Ausbildungsbereich. Es gibt Lohngleichheit zwischen dem Arbeiter und der Arbeiterin, aber der Zugang zu den Stellen mit den höheren Löhnen ist begrenzt. Es sind Stellen, die für Frauen nur sehr schwer zu erreichen sind. Die Frauen kommen einfach nicht dahin. Die Arbeiten werden in der Regel den Männern gegeben und so sind es die Männer, die in den höheren Lohnstufen sind.

Es gibt eine betriebliche Frauenförderung, die auch insofern Früchte trägt, dass nach und nach mehr Frauen in die Rolle als Meisterin gelangen. Aber es zieht sich auch ein ganz normaler täglicher Sexismus durch alle betrieblichen Ebenen. Das drückt sich z.B. darin aus, das es eine „Wahrheit“ geben soll, die darin besteht, dass Frauen dies oder das nicht können. Punkt.

Frauen werden darauf reduziert, dass bestimmte Dinge zu schwierig sind oder Frauen zu dumm sind. Frauen sollen so sein, dass sie ihre Aufgabe erfüllen können, die darin besteht, Männern zu dienen als Lustobjekt, Dekoration, Köchin, Kindererzieherin. Wenn eine Frau von den männlichen Konkurrenten anerkannt wird (werden muss), ist das nicht normal, sondern sie wird als eine Frau dargestellt, die „es auch drauf hat“, eine, „die immer schon besonders technisch interessiert war“. Männer lassen dann gnädig zu, dass solche „außergewöhnlichen Frauen“ einen Platz in ihren Reihen bekommen. Dass Frauen sich bewusst gegen diese Bilder wehren, erlebe ich ganz selten.

Kommunismus:

Was passiert da, wenn du von ganz normalem täglichen Sexismus sprichst?

Lydia:

Im Werk gibt es ein klares Bekenntnis, das sexuelle Diskriminierung geahndet wird. Aber das Frauen sich wirklich beschweren, geschieht sehr selten. Beschwert sich eine Frau bei einem Mann im Betriebsrat, dann wird ihr oft nicht geglaubt. Dann kommen so Dinge wie „ach der Kollege soll so was getan haben, den kenne ich doch, der ist doch so nett“. Es ist nicht zu kontrollieren, ob die Frauen Hilfe bekommen.

Für Frauen im Betrieb ist es normal geworden, dass sexistisch geredet wird, viele haben sich dem angepasst. Ich frage KollegInnen, warum wehrt ihr euch nicht? Oft sagen sie nichts und wenn sie was sagen dann z.B.: „Naja es ist nicht so einfach, weil man dann wieder zusammen am Band stehen muss und dann ist man alleine“ oder manchen fällt einfach nichts ein, was zu sagen wäre. Einmal habe ich auf einem Gruppencomputer an dem 80 Leute arbeiten Pornographie gesehen. Ich habe dann den Bildschirmhintergrund verändert: Knallrot – mit türkisfarbenem Text: „Frauenverachtung gibt es hier nicht.“ Damit setze ich ein Zeichen. Es passiert täglich, dass Frauen sich mit sexistischen Witzen und Sprüchen, die von Männern gemacht werden, rumschlagen müssen.

Kommunismus:

Du hast auch von Rassismus unter den KollegInnen erzählt…..

Lydia:

Als weiße Deutsche bin ich selbst nicht von Rassismus betroffen. Dennoch erlebe ich ihn täglich, da er im Betrieb unter den Kollegen festsitzt. Wir werden an den gleichen Maschinen und im gleichen Akkord ausgebeutet – über 40 verschiedene Nationalitäten. Dem Kapital ist das egal, ob wir weiß, schwarz, muslimisch, katholisch oder sonst was sind, während sie uns auspressen. Aber der Rassismus ist willkommen, um zu verhindern, dass wir zusammenstehen, uns organisieren, um uns den Ausbeutern entgegen zu stellen. Rassismus spaltet! Es sind die Witze und Sprüche – jede Art rassistischer Diskriminierung – alles sind kleine Spaltkeile.

Als Betriebsrätin bekomme ich tatsächlich Minidiskussionen hin, im Pausenraum, vor oder nach der Schicht. Es ist immer wenig Zeit, darum werfe ich was rein, worüber die Kollegen nachdenken können z.B. zum Rassismus oder Sexismus. Wir diskutieren dann öfters darüber, was die, die uns ausbeuten, davon haben, wenn wir uns gegenseitig kaputt machen. Denen ist das recht, ihnen ist nur wichtig uns auszubeuten.

Wenn von Betriebsratskollegen Witze oder Sprüche kommen, bin ich denen schon mehrmals über den Mund gefahren, eindeutig Stellung beziehen auch gegen Widerstände, das ist wichtig.

Kommunismus:

Vor einiger Zeit bist du zur Betriebsrätin gewählt worden. Wie sieht deine Arbeit als Betriebsrätin aus, was hast du jetzt für Möglichkeiten?

Lydia:

Die Arbeit als Betriebsräten ist ein Versuch, weil die Arbeiterklasse nicht auf dem Vormarsch ist und es kaum Bewusstsein über ihre Klassenlage gibt. Ich versuche die Dinge in einen Zusammenhang zu bringen. Die KollegInnen sehen, dass ich eine andere Betriebsratsarbeit mache als die, die sie kennen. Aber das schreiben sie eher meiner Person, der roten Lydia zu.

Als Betriebsrätin habe ich viel mehr Verbindung und Kontakt mit Kollegen als es bei der Bandarbeit überhaupt möglich wäre. Mich kennt die komplette Fabrik. Ich bin in vielen Bereichen unterwegs, auch dort wo ich vorher nichts mit zu tun hatte. Ich kann bei Problemen oder Konflikten mit Kollegen diskutieren, dass in verschieden Hallen den Kollegen gleiches passiert und es nicht nur sie/ihn betrifft.

Ich habe die Zeit genutzt, um mit sehr viel Aufwand die KollegInnen dazu zu kriegen, dass sie sich ihre Probleme nicht von mir lösen lassen, sondern dass sie bereit sein müssen, erst mal eigene Versuche zu starten. Da konnte ich einiges anstoßen, unter anderem dass KollegInnen feststellen, dass es ihnen nichts nutzt, dass irgendein Betriebsrat alles für sie macht, sondern dass wir schon selber was machen müssen.

Was ich als Betriebsrätin machen kann ist herzlich wenig, weil ich innerhalb des Gremiums keine Illusion habe etwas zu verändern. Trotzdem gibt es auch innerhalb des Betriebsrats KollegInnen, die unzufrieden sind und sie meinen, dass sich mit mir einiges verändert hat; z.B. dass Kritiken ausgesprochen werden können oder die führenden Personen nicht mehr so eng mit den Managern kuscheln. Es gibt ein Teil von Führungskräften, die hassen mich. Sie versuchen mir zu schaden, aber es gibt auch die, die wissen, an die kann man sich wenden, da bekommt man eine richtige Aussage.

Kommunismus:

Bald stehen neue Betriebsratswahlen an……

Lydia:

Zu mir hat ein Kollege gesagt, wir wissen, dass du die einzige bist, die nicht für sich selbst Betriebsrätin ist, also um sich persönlich bessere Bedingungen oder Privilegien zu ergattern, um die Wahl zur eigenen Karriere zu nutzen. Jetzt gehen die Betriebsräte, die gewählt werden wollen, zu den KollegInnen an die Bänder und reden mit ihnen, aber nur um gewählt zu werden.

Ich habe es immer so gehalten, dass ich einmal die Woche an meinem alten Arbeitsplatz am Band stehe und ganz normal die Arbeit mache wie meine KollegInnen. Zu den KollegInnen gehe ich oft und rede mit ihnen, wie gesagt, die meisten kennen mich. Jetzt zur Wahl habe ich gesagt, ich werde nicht an die Bänder kommen, weil ich dieses Wahlspektakel nicht mit mache. Ich habe die KollegInnen aufgefordert sich bei mir telefonisch zu melden, wenn sie mich brauchen.

Es gibt so ein Spruch unter den KollegInnen: Wenn du viel an den Bändern bist als Betriebsrat, dann gibt es wieder Wahlen. Die Zeit vor der Betriebsratswahl hätte ich mit den Kolleginnen und Kollegen mehr darüber diskutieren sollen, wie ein Betriebsrat denn sein sollte, welche Eigenschaften und so weiter. Das nehme ich mir für die nächste Betriebsratswahl vor, als Alternative zum Rückzug.

Kommunismus:

Sind Aufbegehren, Anpassung, Unzufriedenheit und fehlendes Klassenbewusstsein ein ständiger Kreislauf ohne Ausweg?

Lydia:

Man könnte sagen, dass aktuelle Ziel vieler ArbeiterInnen ist es Häuser zu bauen und nicht mehr für Veränderung zu kämpfen. Es gibt Unzufriedenheit unter den KollegInnen, weil sie zu wenig Geld bekommen. Der Betrieb macht riesige Profite, aber sie bekommen nichts ab. Neben der Unzufriedenheit gibt es auch eine Mischung von Befürchtungen oder mangelndes Selbstvertrauen. So wird Unzufriedenheit auch als persönliches Manko gesehen.

Mangelndes Selbstvertrauen ist z.B. wenn ein Kollege das Band stoppt und einfach zum Betriebsrat geht, um dort Beschwerden los zu werden und hinterher über das, was er tut, erstaunt ist und im nachhinein Angst bekommt. Die Angst ist insofern berechtigt, dass das Kapital Angst davor hat, dass ArbeiterInnen selbständig was tun. Darum müssen sie zurückschlagen. In dem Fall, wo ein einzelner Kollege etwas tut, müssen sie nicht auf die Belegschaft losgehen, sondern sie können sich den einen raus fischen und so einen Keil in die Belegschaft schlagen. Wir müssen daraus lernen, sich zusammen zu tun und solche Aktionen zusammen durch führen.

Wenn die Fabrik von Stilllegung bedroht werden würde, wäre diese Unzufriedenheit ein Potenzial. Es würde was passieren, das wäre ein riesiges Signal. Die Identifizierung mit dem Unternehmen wird immer schwächer. Es wird erkannt, dass die Managerebene was ganz anderes ist als die der ArbeiterInnen. Aber wenn ich z.B. darstelle in welcher Tradition der Betrieb steht, dann werde ich für die KollegInnen wieder zu radikal. Sie werfen mir dann vor, dass ich den Betrieb schlecht mache. Es besteht eine sehr große Unwissenheit, weil die Verbrechen des Konzerns unter den Tisch gefegt werden.

Es könnte sich rasend schnell was entwickeln. Aber wohin das geht, da bin ich mir nicht sicher. Von Bewusstsein über ihre Lage merke ich bei den meisten KollegInnen nichts. Ich sehe auch kaum Klassenbewusstsein. Teilweise sehe ich einen Klasseninstinkt, also ein eher unbewusstes bzw. unterbewusstes Herangehen an die eigene Lage – aber eben vom Klassenstandpunkt aus.

Wenn ich die Kollegen mal provoziere, dass man sich ja auch zusammen wehren kann oder dass man bestimmte Dinge nicht tut, wie Arbeitsplätze weg zu rationalisieren, wird mir meistens zugestimmt, aber von selbst kommt das nicht.

Die Kollegen sagen mir, wenn es losgeht, bin ich sofort dabei. Im Kampf werden sie dabei sein, aber die Arbeit vor dem Kampf ist ihnen zu schwer. Dann kommen wieder die Gedanken, wenn man sich wehrt beschleunigt man nur, dass die Fabrik geschlossen wird. Dass das ein Auslöser sein könnte und ein Signal für alle Kollegen in anderen Fabriken, bis dahin gelangt die Diskussion selten.

Kommunismus:

Kann es gelingen, dass die KollegInnen sich zusammenschließen und ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen?

Lydia:

Es sind viele Kollegen entsetzt über die Unmenschlichkeit des kapitalistischen Systems, was z.B. mit den Flüchtlingen passiert, im Mittelmeer, an den Grenzen der Festung Europa. Wenn ich dann sage, dass liegt auch in Deutschlands Verantwortung, dann kommt, ja das ist ja klar, dass du wieder Deutschland schlecht machst.

Viele haben Verständnis dafür, dass Erwerbslose im Arbeitsamt auf die Angestellten losgehen. Aber zu sehen, wie alle Ungerechtigkeiten zusammenhängen, sich zusammen zu schließen und sich zu wehren, dass geht für viele gar nicht.

Ich sehe aber auch viel Rassismus, Frauenfeindlichkeit, eine Herrschaftlichkeit der Weißen, „wir“ sind toll, was wir für tolle Produkte produzieren. Das ist Gift, was in den Köpfen herrscht, Gift das die Bourgeoisie ArbeiterInnen einflößt. Das kann nur nach hinten losgehen. Frust wie z.B. in Amokläufen oder das bestimmte Leute verprügelt werden entstehen auf dieser Grundlage. Der Konzern nutzt das und nimmt z.B. Entlassungen vor, um zu prüfen wie die Arbeiter darauf reagieren.

Die Einschätzung klingt bei mir vielleicht negativ, aber wenn die ArbeiterInnen ihre Möglichkeiten sehen würden, sehen würden, dass jeder Tag, der ins Land geht, verloren ist und die Kapitalisten immer mehr Oberwasser gewinnen, dann müsste es im Betrieb anders aussehen. Was wäre alles möglich, wenn Solidarität an erster Stelle steht.

Bei allen Schwierigkeiten habe ich unermesslich viel gelernt bei dieser Arbeit. Als Teil des Proletariats sehe ich in der Zeit der Schwäche der ArbeiterInnenbewegung die Kraft der Klasse, die zwar noch schlummert, aber da ist. In den kleinsten Kämpfen zeigt sich ihre Gewalt. Wir können gewinnen.

Ich habe mir angeeignet in der Gegenwart zu arbeiten, auf ein Ziel hin. Die Zukunft sehe ich so, dass ich mit den ArbeiterInnen in Kontakt sein kann, dass möglichst viele erkennen, dass man sich organisieren muss über die Betriebe und Länder hinweg. Schaffen wir es eine Kommunistische Partei zu bilden, schaffen wir es angesichts der Lage zur Revolution zu kommen, schaffen es die ArbeiterInnen, schaffen wir es als Klasse rechtzeitig den richtigen Feind zu erkennen? Dafür setze ich mich ein und tue alles, wie mich schulen. Ich will mich nicht mit Kleinkämpfen aufhalten, die ganze Arbeit macht nur Sinn und erfüllt mich, wenn wir Schritt für Schritt vorwärts kommen. Ich bin gerade davon überzeugt, dass die Arbeit mit den ArbeiterInnen die richtige Arbeit ist. Auch wenn manchmal Zweifel kommen, für mich gilt entweder Sozialismus oder Barbarei. Ich will, dass die heutigen Kinder und Enkel in einer Welt ohne Ausbeutung leben können.

Kommunismus:

Wir bedanken uns für diesen Einblick in die Arbeit in einer großen Fabrik, den Arbeitsbedingungen dort und der eindrucksvollen Darstellung über die Stimmung unter deinen KollegInnen. Uns werden diese Eindrücke dabei unterstützen, die Massen mehr kennen zu lernen, dass wir die Schwankungen besser einordnen und das vorhandene Potenzial vielleicht eines Tages für unseren Kampf gewinnen können.