Der „Deutsche Oktober“ ist im kollektiven Gedächtnis unter der irreführenden Bezeichnung „Hamburger Aufstand“ haften geblieben. Als geschichtliches Ereignis war er der bislang einzige ernsthafte Versuch der organisierten Machtergreifung der Arbeiter:innenklasse in Deutschland unter Führung ihrer kommunistischen Avantgarde. Das unterscheidet ihn von den anderen politischen und militärischen Kämpfen in der revolutionäre Welle von 1917 bis 1923 in Deutschland. Die dem Aufstand in Teilen Hamburgs vorausgegangenen Kämpfe sind einerseits als spontane, wenn auch teils bewaffnete Massenbewegungen ohne eine einheitliche politische und militärische Führung und andererseits als lokale bzw. regionale Streiks und Aufstände ohne Perspektive der Machteroberung im ganzen Land einzuschätzen.

Durch das Eingreifen der Bolschewiki ab August 1923 hatte der Deutsche Oktober eine andere Qualität. Während die heute übliche Bezeichnung Hamburger Aufstand nach einer Fortsetzung der regionalen Zersplitterung klingt, die in der revolutionären Welle 1917 bis 1923 so kennzeichnend gewesen ist, zeigen die Dokumente aus den in Russland in den 1990er Jahren geöffneten Archiven der Bolschewiki ein anderes Bild. Der Deutsche Oktober war als Teil eines weltrevolutionären Prozesses angelegt. Im vierten Quartal 1923 scheiterte nicht etwa nur ein lokaler Aufstand in Hamburg, sondern vorerst die strategische Offensive des internationalen Proletariats. Es handelt sich damit um einen geschichtlichen Wendepunkt im Klassenkrieg. Aus der Dynamik der revolutionären Krise 1923, den von den Kommunist:innen erzielten Erfolgen wie der nüchternen Analyse der Ursachen des Scheiterns können wir viel für zukünftige revolutionäre Aufstände lernen.

Der Hamburger Aufstand im Oktober 1923 ist in Bezug auf die Quellenlage für eine illegale Aktion erstaunlich gut dokumentiert. Insgesamt ergibt sich aus den von uns gesichteten Berichten und Dokumenten das differenzierte Bild einer komplexen Entscheidungssituation. Der Ablauf der Ereignisse zeigt, dass einige in das kollektive Bewusstsein der Kommunist:innen eingegangene Erzählungen geschichtliche Mythen sind. Dazu gehört auch die Schuldzuweisung, wonach der Verrat durch eine rechts-opportunistische KPD-Führung um Heinrich Brandler (1881 – 1967) und August Thalheimer (1884 bis 1948), die die Vorbereitungen verschleppt und im entscheidenden Moment gezögert hätten, die alleinige Ursache des Scheiterns des Aufstand gewesen sei. Ebenfalls ins Reich der Legenden muss die Einschätzung verbannt werden, wonach die Bolschewiki keine Anstrengungen zur Ausweitung der sozialistischen Revolution nach Westeuropa betrieben hätten – das aktive Eingreifen der Russischen Kommunistischen Partei (bolschewiki) (RKP(b)) und der Kommunistischen Internationalen (KI) entspricht faktisch dem Gegenteil.

Im ersten Teil „Deutscher Oktober“ gehen wir der Frage nach, wie es 1923 zu einer revolutionären Situation gekommen ist. Dazu ist es notwendig, sich die gesamte Entwicklung im Jahr 1923 anzuschauen und diese in die revolutionäre Welle einzubetten, die mit der Oktoberrevolution 1917 begann und im November 1923 endete.

Im zweiten Teil „Revolutionäre Krise und der Aufstand in Hamburg“ zeichnen wir die schnelle Zuspitzung der Lage im Herbst 1923 und den Ablauf der Kämpfe in Hamburg nach.

Mit dem dritten Teil „Verpasste Chance und Sündenböcke“ beenden wir die chronologische Darstellung mit einem Überblick über die wichtigsten Entwicklungen nach dem Abbruch des Hamburger Aufstandes.

Darauf aufbauend skizzieren wir im vierten Teil „Lehren aus dem Hamburger Aufstand“ einige notwendige Schlussfolgerungen, die wir für zukünftige revolutionäre Massenaktionen der Arbeiter:innenklasse benötigen werden.

Deutscher Oktober – wie kam es 1923 zu einer revolutionären Situation?

Revolutionäre Welle: Oktober 1917 bis November 1923

Der Hamburger Aufstand war kein isoliertes Ereignis, sondern Höhepunkt und zugleich Abschluss einer sechs Jahre andauernden revolutionären Welle in Deutschland. Im Verlauf des Jahres 1917 hatten der zweite Massenstreik im April und die zunehmenden Brotunruhen bereits die wachsende Kampfbereitschaft der Arbeiter:innenklasse gezeigt. Die Oktoberrevolution 1917 in Russland fand auch in Deutschland starken Zuspruch, insbesondere der Vorschlag der Bolschewiki zu einem sofortigen Friedensschluss ohne Annexionen (Gebietsabtretungen) und Reparationen (Geldleistungen) wurde begeistert von den Arbeiter:innen aufgegriffen. Als unmittelbarer Widerhall in Deutschland fanden die Januarstreiks 1918 statt, die von den Revolutionären Obleuten in Berlin, einer in den Betrieben stark verankerten syndikalistischen Organisation und der kommunistischen Spartakusgruppe organisiert wurden. Unter dem Druck des militärischen Ausnahmezustands brachen die Obleute den Streik ab. Während die Spartakusgruppe schon den Abbruch des Januarstreiks kritisierte und Anfang 1918 klar dem revolutionären Kurs der Bolschewiki folgend die Losung „Krieg dem Krieg“ propagierte, lernten die Revolutionären Obleute ihre Lektion jetzt im Ausnahmezustand. Die Praxis hatte die falsche Position von Rosa Luxemburg (1871 – 1919) widerlegt, die vor dem Krieg vertreten hatte, dass der Massenstreik die höchste Form des Klassenkampfes sei. Lenin und die Bolschewiki hatten richtig gelegen, der Sozialismus muss im revolutionären Bürgerkrieg erkämpft werden.

Unabhängig von fortbestehenden politischen Differenzen orientierten nach dem Januarstreik beide Organisationen auf den bewaffneten Aufstand als nächste entscheidende Massenaktion. Nach Ausbruch der Revolution am 9. November 1918 entstanden innerhalb einer revolutionäre Welle mit zahlreichen Streiks, Massenkämpfen und bewaffneten Aufständen (u.a. Bremer und Münchener Räterepublik, Kämpfe in Mitteldeutschland, Massenstreiks und Betriebsbesetzungen im Ruhrgebiet) letztlich konkret drei revolutionäre Situationen: Einerseits der Zeitraum vom November 1918 bis März 1919, in dem teilweise eine Doppelmacht bestanden hat und die Konterrevolution sich erst nach blutigen Kämpfen mit Hilfe der Sozialdemokratie durchsetzte. Die zweite Gelegenheit bot sich im März 1920, als der reaktionär-nationalistische Kapp-Putsch innerhalb weniger Tage durch einen Generalstreik der Arbeiter:innenklasse hinweggefegt wurde, der im Ruhrgebiet zur Schaffung der Roten Ruhrarmee mit ca. 100.000 roten Soldat:innen und der teilweisen Eroberung des Territoriums geführt hat.1 Schließlich reifte 1923 eine revolutionäre Situation heran, deren Höhepunkt im Oktober erreichte wurde.

Politische Zuspitzung und Wirtschaftskrise 1923

Im Vertrag von Versailles waren Deutschland als Verlierer des Krieges 1919 neben der Abtretung von Gebieten auch hohe Ausgleichszahlungen (Reparationen) auferlegt worden. Im Streit um diese Reparationen eskalierte das deutsche Finanzkapital Anfang 1923 den Konflikt mit Frankreich. Die Zahlungen wurden eingestellt, um günstigere Bedingungen zu erzwingen. Die französische Regierung unter Ministerpräsident Raymund Poincare (1880 –1934) hielt dagegen. Am 11. Januar 1923 wurden große Teile des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen besetzt. Die deutsche Regierung unter Reichskanzler Wilhelm Cuno (1876 – 1933) rief zum passiven Widerstand auf. Durch die organisierte Arbeitsverweigerung und die nationalistische Mobilisierung der Massen sollte eine Lockerung der Versailler Bedingungen erreicht und zugleich die unruhige Arbeiter:innnenklasse in die Knie gezwungen werden.

Im Sinne einer Anfang Januar 1923 in Essen durchgeführten Konferenz kommunistischer Parteien aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und den Niederlanden gab die KPD die Parole aus: „Schlagt Poincare an der Ruhr und Cuno an der Spree!“

Der Verlust des Ruhrgebiets2 und der Produktionsrückgang führten nicht nur zur Zerrüttung der Wirtschaft und dem Zusammenbruch der Staatsfinanzen,3 sondern auch zu einer Hyperinflation, da die Reichsregierung in zunehmendem Maße wertloses Geld druckte, um u.a. die wichtigsten Staatsausgaben zu finanzieren. Im November 1923 wurden Geldscheine mit dem Aufdruck 500 Milliarden Mark ausgegeben. 1 US-Dollar kostete damals 4,2 Billionen Mark. Laut dem sozialistischen Schriftsteller Willi Bredel (1901 – 1964) war die Inflation „ein raffiniert angelegter, gigantischer Raubzug des deutschen Finanzkapitals auf die Sparguthaben des kleinen Mannes und die Löhne der Arbeiter und Angestellten. Die völlige Entwertung der deutschen Reichsmark machte das Volk bettelarm, die Monopolherren und Rüstungsmagnaten aber, die ihre Kapitalien in Sachwerten und ausländischer Valuta angelegt hatten, wurden nicht nur schuldenfrei, sondern milliardenreich.“ 4

Die schwere Wirtschaftskrise führte für große Teile des Proletariats zum Verlust seiner Existenzgrundlage. Während des Krieges hatte eine Vollbeschäftigung geherrscht. Durch die Entlassung der im Krieg eingestellten Arbeiterinnen konnten die demobilisierten Männer wieder in Lohn und Brot gebracht werden. Die offizielle Erwerbslosenrate lag im Jahresdurchschnitt 1920 bei 3,8% bezogen auf die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innen. Sie fiel im Jahr 1922 auf 1,5%. Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise im November 1923 waren 23,4% arbeitslos und weitere 47,3% in Kurzarbeit und damit insgesamt 70,7% der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innen „unterbeschäftigt“. „Insgesamt betrug die Zahl der Erwerbslosen und der Kurzarbeiter (…) im letzten Quartal des Jahres 1923 in Deutschland zirka acht Millionen, d.h. mehr als die Hälfte der ganzen Arbeiterklasse Deutschlands.“ 5 Die Verelendung der werktätigen Massen erreichte auf dem Höhepunkt der Krise im Oktober/November ungeheure Ausmaße. „Für den Betrag der wöchentlichen staatlichen Erwerbslosen-Unterstützung konnte sich ein Erwerbsloser einen Liter Milch oder ein Pfund Brot kaufen. Die Monatspension eines Rentners oder Invaliden reichte gerade aus, um ein Exemplar einer Zeitung oder eine Schachtel Streichhölzer zu kaufen.“ 6

Die Arbeiter:innenklasse wehrte sich in dieser Situation mit verschiedensten Mitteln. Neben vielen kleinen und mehreren großen Streiks kam es ab dem Frühjahr immer wieder zu Lebensmittelunruhen, bei denen die hungernden Arbeiter:innen die Lebensmittel aus Vorratslagern und Geschäften beschlagnahmten und kurzerhand selbst verteilten. Demonstrationen und Kämpfe mit der Polizei stiegen im Verlauf des Jahres immer weiter an. Es bildeten sich revolutionäre Räteorgane, vor allem in Form von sogenannten Kontrollausschüssen, „die breite Kreise der Werktätigen darunter besonders viele Frauen zum Kampf gegen Preiswucher und Schwarzhandel mobilisierten. Bis Mitte 1923 entstanden 800 Kontrollausschüsse.“ 7 Neben dem Kampf gegen Spekulanten und Schwarzhändler, die mit der Not der Massen riesige Profite erzielten, versuchten die Kontrollausschüsse insbesondere mit verschiedenen Mitteln die überhöhten Preise der Händler und auf den Märkten zu begrenzen.

Bereits im Mai 1923 kam es im Ruhrgebiet zu einem regionalen Generalstreik, der in Bochum in einen bewaffneten Aufstand umschlug. Erich Wollenberg (1892 – 1973), der militärischer Leiter des spontanen Aufstands in Bochum gewesen ist, spricht 1971 im Rückblick von einer „revolutionären Situation“, welche die KPD- wie KI-Führung nicht rechtzeitig gesehen hätten.8 Am 23. Juli kam es z.B. in Frankfurt am Main zu Unruhen, bei denen „ein Staatsanwalt getötet wird, der für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zuständig war.“9 Gestützt auf die Arbeitermilizen (Proletarische Hundertschaften), die „im Zusammenwirken mit Kontrollausschüssen auf dem Land aufmarschierten, um Lebensmittel für die infolge der Inflation hungernden Werktätigen zu beschaffen und den Lieferstreik der Großbauern und Großgrundbesitzer zu brechen“, kam es ab Sommer 1923 vereinzelt zu einer lokalen Doppelmacht. „In verschiedenen Gebieten Sachsens und Thüringens bewirkte ihr Einsatz, dass die bürgerlichen Repressionsorgane nicht mehr voll wirksam werden konnten.“10

Die Ruinierung des Klein-bürger:innentums sowie die scharfe Zuspitzung der wirtschaftlichen wie politischen Krise führte im Verlauf des Jahres 1923 auch dazu, dass die faschistische Bewegung in Form der NSDAP und der SA massiv Zulauf erhielt und als bedeutender politischer und militärischer Faktor in den Klassenkämpfen in Erscheinung trat. Auch wenn ein Militärputsch, wie er 1920 von Kapp verwirklicht worden war, weiterhin eine Option der Reaktion blieb, so setzten Teile der Monopolbourgeoisie (insbesondere die Kohle- und Stahlmonopole) nunmehr verstärkt auf den Faschismus als „konterrevolutionäre Kampfpartei“.11

Daneben häuften sich bereits im Mai separatistische Bestrebungen und Putschversuche u.a. in Trier, Mainz, Wiesbaden und Speyer. Während das Reichswehrkommando im Oktober damit beschäftigt war für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen, schlugen im Rheinland von den französischen Besatzungsbehörden unterstützte Separatisten zu. Am 20. Oktober gelang es ihnen in Aachen, Trier, Koblenz und einer Reihe anderer Städte des Rheinlandes die Unabhängige Rheinische Republik auszurufen.12 In der Abwehr dieser reaktionären Bestrebungen waren zwischen Ende September und Anfang November 1923 auch die Proletarischen Hundertschaften beteiligt.13

Die Kohle- und Stahlbarone hatten innerhalb der Monopolbourgeoisie durch den verlorenen Krieg am stärksten Federn gelassen und strebten daher am aggressivsten die Errichtung einer offenen Diktatur des Finanzkapitals durch baldige Beseitigung der bürgerlich-parlamentarischen Verhältnisse an. Sie setzten dazu bereits 1923 auf die Faschist:innen, die tatsächlich versuchten, ihre Ziele durch Putschversuche wie am 1. Oktober in Küstrin sowie am 8. und 9. November in München zu erreichen. Auch wenn Hitlers „Marsch auf Berlin“ in München von der Polizei schnell gestoppt wurde, waren die Faschist:innen insbesondere in ihrer damaligen Hochburg Bayern politisch sehr stark geworden und auch ein realer militärischer Faktor.

Infolge des Absturzes der Währung verschärfte sich die Teuerung Anfang August dramatisch. Die KPD forderte den Generalstreik, was die rechte SPD-Mehrheit ablehnte. Am 11. August wurde auf einer Betriebsrätevollversammlung von 20.000 Arbeiter:innen in Berlin ein dreitägiger lokaler Generalstreik ausgerufen, der mit seinen wirtschaftlichen und politischen Forderungen an die Machtfrage heranführte.14 Die KPD rief zur Ausdehnung des Streiks auf das ganze Land auf. Die spontane Streikbewegung setzte dann mit großer Wucht ein und erfasste Millionen Arbeiter:innen. Die Minderheitsregierung des parteilosen Reichskanzlers Wilhelm Cuno war als reaktionäres „Kabinett der Wirtschaft“ im November 1922 von Zentrumspartei, Deutscher Demokratischer Partei, Deutscher Volkspartei und Bayerischer Volkspartei gebildet worden. Sie wurde bis August 1923 von der SPD gestützt. Die SPD entzog unter dem Druck des ausgebrochenen Generalstreiks Cuno die Unterstützung und die Regierung trat bereits am nächsten Tag zurück. Es handelte sich damit nach dem Generalstreik gegen den Kapp-Putsch im März 1920 um den zweiten Generalstreik in Deutschland, mit dem eine reaktionäre Regierung gestürzt wurde. Er wurde jedoch nach drei Tagen ohne Erfüllung der Forderungen nach einem Mindeststundenlohn, der Einstellung aller Arbeitslosen und der Beschlagnahmung und Verteilung aller Lebensmittel und mit der Übergabe der Verantwortung für die Politik an die rechte SPD-Führung beendet. Dies zeigt die tiefe Verankerung der sozialdemokratischen Traditionen bei der überwältigenden Mehrheit der Arbeiter:innenklasse mit dem falschen Verständnis einer Trennung von wirtschaftlichen und politischen Kämpfen.

Der Cuno-Streik wurde zum Wendepunkt bezüglich der Einschätzung der Lage in der Kommunistischen Internationalen. Zwei Monate zuvor, bei dem Dritten erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationalen (EKKI) vom 12. bis 23. Juni 1923 hatten sich 50 Vertreter:innen von 26 kommunistischen Parteien in Moskau versammelt. Die „deutsche Frage“ spielte eine zentrale Rolle, aber bezüglich der Chancen einer sozialistischen Revolution überwog in der KPdSU fraktionsübergreifend die Skepsis. Daher endete das Plenum ohne konkrete Beschlüsse zur Vorbereitung des Aufstands. Sowohl Leo Trotzki (1879 – 1940) als auch Josef Stalin (1878 – 1953)15 zögerten noch. Am konsequentesten trieb zu der Zeit wohl Grigori Sinowjew (1883 –1936), der neben seiner Funktion im ZK auch Vorsitzender der KI war, die Aufstandsvorbereitungen voran.16 Nach dem Cuno-Streik wurde dann die Führung der RKP(b) umgehend zusammengerufen.17 Bei einer Tagung des Politbüros der RKP(b) am 21. August wurde die Lage neu bewertet und die Ausrichtung auf den Aufstand in Deutschland beschlossen.18 Diesmal wurden sehr konkrete Maßnahmen zur Vorbereitung eingeleitet, u.a. die Einrichtung einer Aufstandsleitung. In der bürgerlichen, trotzkistischen und revisionistischen Geschichtsschreibung wird viel über Fraktionskämpfe in der KPdSU/KI und ihre Bedeutung für den Ablauf der Ereignisse spekuliert. Daher ist es wichtig, die Schlussfolgerung von Alexander von Plato hervorzuheben, die durch die in den 1990er Jahren veröffentlichten Dokumente aus den Archiven der Bolschewiki bestätigt wird: „Da es aber Sinowjew gelang, am 23. August ein Vorbereitungskomitee mit dem Politbüro der KPDSU einzurichten, liegt der Schluß nahe, dass er zumindest Stalin, wahrscheinlich aber auch Trotzki überzeugte. Das heißt: Die zerstrittenen Fraktionen waren zusammen für den Aufstand in Deutschland spätestens seit dem 23. August.“ 19

Revolutionäre Krise und der Aufstand in Hamburg

Die Ausgangssituation

Die geostrategische, militärische und politische Lage wird in einem Brief des niederländischen Sozialdemokraten und Sekretär der Internationalen Transportarbeiter-Föderation, Eduard Fimmen (1882 – 1942) dargestellt, in dem er Sinowjew am 19. Oktober 1923 vor einem Aufstand in Deutschland warnte:

Seid ihr zum Kampf gezwungen, dann kann und darf diesem nicht ausgewichen werden. Es wäre jedoch verbrecherisch, den Eintritt dieses Augenblicks selbst zu beschleunigen. Davon entraten folgende Überlegungen:

Es bestehen zur Zeit in Deutschland fünf Zentren, wo eine revolutionäre Bewegung möglich ist: Sachsen, Thüringen, Berlin, Hamburg und das Ruhrgebiet. Der Norden Deutschlands (Mecklenburg, Pommern, Ost- und Westpreussen) ist weissgardistisch. Der Süden (Bayern, Württemberg und Baden), von den hauptsächlichen Industriezentren Mannheim und Stuttgart abgesehen, ist gleichfalls weissgardistisch. Der Westen (Rheinland und Ruhrgebiet) steht unter französischen Bajonetten. An die deutsche Ostgrenze schließen Polen und die Tschechoslowakei an. Das bedeutet, dass auch für den Fall, dass diese beiden Länder nicht einschreiten, die revolutionären Zentren, die schon eine Verbindung unter sich nur mit Mühe werden unterhalten können, nach allen Seiten eingeschlossen sind und nach mindestens drei Fronten werden zu kämpfen haben.

Hierbei ist zu berücksichtigen: die deutsche Bourgeoisie (…) verfügt nicht nur über Maschinengewehre und Kanonen, sondern kann ohne weiteres 800.000 Gewehre ins Feld bringen. Die Arbeiterschaft hat heute diese Geschlossenheit noch nicht erreicht. Das gegenseitige Vertrauensverhältnis ist nicht wiederhergestellt. (…)

Mit der Frage der Bewaffnung aufs engste verknüpft ist die Frage der Versorgung mit Lebensmitteln. Der weissgardistische Ring um die revolutionären Teile Deutschlands dürfte stark genug sein, um das deutsche Proletariat einfach auszuhungern. (…) so ist doch mit Sicherheit darauf zu rechnen, dass im Augenblick, da in Deutschland eine wirkliche proletarische Revolution ihren Anfang nimmt, alle deutschen Häfen von den Flotten der Entente blockiert werden.

Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, dass (…) der allernötigste Apparat noch viel zu wünschen übrig lässt. Dasselbe gilt meiner Ansicht nach auch von der Vorbereitung der Führerschaft. (…)

Die deutsche Bourgeoisie wird daher, gefragt oder ungefragt, mehr französische, belgische und tschechische Bajonette zu ihrer Verfügung bekommen als sie nötig hat, um in kurzer Zeit die proletarische Revolution in ihrem Land im Blut zu ersticken. (…) Und sogar angenommen, dass der Roten Armee ein siegreicher Vorstoß durch Polen gelänge, dann käme sie geschwächt und vor allen Dingen zu spät, um der deutschen Revolution zu helfen. (…)20

Man kann diese Haltung als die typische Feigheit der linken Sozialdemokratie abtun oder sie als Opportunismus brandmarken. Tatsächlich handelte es sich jedoch wohl um eine realistische Lageeinschätzung der objektiven Rahmenbedingungen Mitte Oktober 1923. Dieses Lagebild wurde bei allen taktischen und politischen Unterschieden im wesentlichen von allen Beteiligten geteilt. Wir haben es auch deswegen so ausführlich zitiert, weil es den operativen Planungen und taktischen Entscheidungen von KI, KPD, Aufstandsleitung und militärischem Apparat zugrunde gelegen hat und darüber hinaus – um den Schlussfolgerungen für heute schon einmal vorzugreifen – einige strategische, allgemeingültige Probleme der sozialistischen Revolution in Deutschland berücksichtigt.

Internationale
Vorbereitungen

Direkt nachdem am 22. August die Entscheidung zur Ausrichtung auf die deutsche Revolution im Politbüro gefallen war, begannen ausgehend von dem hier skizzierten Lagebild umfangreiche Vorbereitungen. Dem Politbüro war dabei völlig klar, dass die deutsche Revolution nur um den Preis eines Krieges der Sowjetunion gegen Polen und wahrscheinlich die imperialistischen Mächte siegen kann. Dies geht eindeutig aus den Debatten und Beschlüssen hervor. Zunächst hatte Sinowjew einen Entwurf als Diskussionsgrundlage für die Sitzung des Politbüros vorgelegt. Stalin hatte in seinem Beitrag auf einen Schwachpunkt dieses Entwurfs hingewiesen, nämlich die Frage wie die eroberte Macht behauptet werden kann. Stalins Einwand wurde in den Beschluss aufgenommen und vor allem bei den beschlossenen Maßnahmen berücksichtigt.

In den Thesen [von Sinowjew, Anm. Verf.] wird nichts oder sehr wenig darüber gesagt, ob die Kommunisten die Macht in Deutschland behaupten werden (…) die Frage, ob die Macht behauptet werden kann, stellt jetzt die Grundlage aller Fragen der deutschen Revolution dar. (…) Dieses Moment muß jetzt angesichts der größeren Kompliziertheit des Geflechtes in den internationalen Beziehungen stärker betont werden.

Man muß in den Thesen direkt und deutlich sagen, dass die Arbeiterrevolution in Deutschland wahrscheinlich den Krieg Frankreichs und Polens (und vielleicht auch anderer Staaten) mit Deutschland bedeutet, oder – im besten Fall – die Blockade Deutschlands (…)

Man muß in den Thesen klar und deutlich sagen, dass die Revolution in Deutschland und unsere Hilfe für die Deutschen in Form von Lebensmitteln, Waffen, Menschen u.ä. den Krieg Russlands mit Polen und vielleicht auch anderen Pufferstaaten bedeutet, (…) Wenn wir den Deutschen wirklich helfen wollen – und wir wollen das und müssen helfen -, dann müssen wir uns auf den Krieg vorbereiten, ernsthaft und allseitig, denn letztlich wird es um die Existenz der Sowjetföderation und das Schicksal des Weltfriedens für die nächste Zeit gehen.“ 21

Die deutsche Revolution wurde also von vornherein als Teil eines weltrevolutionären Prozesses verstanden.

Entsprechend allseitig und umfassend waren die ergriffenen Maßnahmen. Dazu zählten u.a.:

Die gesamte Tätigkeit von KPD, KI, KPdSU und RKP(b) und die staatlichen Organe der Sowjetunion wurden auf die deutsche Revolution ausgerichtet.

Die organisatorische Entscheidungsstruktur wurde zentralisiert, erheblich gestrafft und die Kommunikationswege verkürzt. Zunächst übernahm ab August das Politbüro der RKP(b) die Funktion der Führung der Aufstandsvorbereitung und im Oktober wurde formell ein Revolutionskomitee als Aufstandsleitung aus Vertreter:innen des ZK der KPD, des Politbüros der RKP(b) und einigen militärischen Leitern gebildet. Die „offiziellen“ Wege z.B. über das EKKI und das ZK der KPD waren offenbar zu schwerfällig und wurden de facto außer Kraft gesetzt. Bei einem Verhandlungsmarathon unter Leitung von Sinowjew vom 2. bis 5. Oktober in Moskau wurde ein fragiler Kompromiss mit den Ultralinken in der KPD um Ruth Fischer (1895 – 1961) und Arkadi Maslow (1891 – 1941) erzielt.22 Hintergrund war die Tatsache, dass die Ultralinken mit Hamburg und Berlin die Parteiorganisationen in zwei der fünf revolutionären Zentren beherrschten, die aktiven Arbeiter:innen ihnen dort folgten und sie folglich in den Aufstand eingebunden werden mussten.

Die Rote Armee der Sowjetunion, deren Mannstärke im Juni 1923 noch verringert werden sollte, wurde jetzt unter der Hand mobilisiert um einem siegreichen Aufstand zur Hilfe zu eilen.23 Unter dem reißerischen Titel „Die Welt erobern“ fasst der SPIEGEL den Inhalt des „Mobilisierungsbefehls“ so zusammen: Es sei die Aufgabe gewesen, „für den Einsatz in Deutschland geeignete Genossen zu erfassen – deutschsprechende Balten, Ungarn, Polen, ehemalige Kriegsgefangene. Der allgemeine Mob-Plan wurde bestätigt: 23 Millionen Rotarmisten sollten Gewehr bei Fuß stehen, zusätzlich wurden 20 Territorialdivisionen aufgestellt.24 Die Militärakademie der Roten Armee wurde mit der Ausarbeitung verschiedener Szenarien und der Entwicklung konkreter Operationspläne beauftragt.25

Eine umfassende AgitProp-Kampagne26 erfasste die gesamte Sowjet-Föderation. Ziel war es, bis zur letzten Bäuer:in im hintersten Winkel der Sowjetunion ein Bewusstsein zu erzeugen, dass drei Jahre nach Ende des blutigen Bürgerkriegs ein neuer großer Krieg bevorstehe, eine Entscheidungsschlacht zwischen Konterrevolution und Revolution, bei der es um die Existenz der Sowjetunion ginge.

Die KI wurde aufgerufen, um u.a. für den 20. September zu einer großen Konferenz der kommunistischen Parteien über die deutsche Revolution zu mobilisieren. Das Ziel bestand darin, politischen Druck aufzubauen um den „weissgardistischen Ring“ (Eduard Fimmen) aufzubrechen und insbesondere eine Intervention der imperialistischen Mächte aus den Nachbarländern zu verhindern bzw. zu erschweren (z.B. durch Fokussierung der KP Frankreichs auf die Agitation innerhalb der französischen Besatzungstruppen an der Ruhr).

Der Arbeiter:innenklasse in Deutschland sollte wirtschaftlich durch Lebensmittel- und Getreidelieferungen geholfen und damit zugleich Sympathien in den breiteren, sozialdemokratischen Massen für die KPD erzeugt werden. Dies stieß in der Sowjetunion selbst auf erhebliche Probleme, da man im Zeichen der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP) nicht einfach Unternehmen Befehle erteilen konnte und auch nicht offen über die Hintergründe der humanitären Hilfsaktion sprechen durfte. Am Ende gelang es über die Internationale Arbeiterhilfe „im Herbst/Winter 1923/24 mit Schwerpunkt in Mitteldeutschland im Reich ca. 3.000 Tonnen Mehl und zusätzlich 1 Million Brote sowie 2.000.000 warme Mahlzeiten kostenlos zu verteilen, im Tagesdurchschnitt ca. 50.000 Portionen.“ 27 Wobei der Großteil der Hilfe erst nach dem Höhepunkt der revolutionären Krise und damit zu spät eingetroffen ist.

Die Abordnung eines Teils des russischen ZKs nach Deutschland in das Revolutionskomitee. Zu der Gruppe, die im Oktober teilweise vor Ort in Dresden und in Berlin war, gehörten die Mitglieder des ZK der RKP(b) Karl Radek (1885 – 1939), der als Deutschlandexperte galt, Georgi Pjatakov (1890 – 1937), Nikolay Kuibyshev (1893 – 1938) und der ZK-Sekretär Jānis Rudzutaks (1887 – 1938), der später durch den Volkskommissar für Arbeit Wassili Schmidt (1886 – 1938) ersetzt wurde. Der amtierende Botschafter der Sowjetunion in Deutschland, Nikolai Krestinskij (1883 – 1938) wurde ebenfalls hinzugezogen.28

Weitere Maßnahmen waren die Aktivierung des diplomatischen Apparates der Sowjetunion, um den außenpolitischen Spielraum im Sinne dieser Pläne zu vergrößern; die Einrichtung eines Verteidigungsfonds zur Unterstützung der deutschen Revolution und der Mobilisierung der Roten Armee; die Bereitstellung erheblicher Geldmittel29 und eine ganze Reihe konkreter organisatorischer Maßnahmen in Deutschland selbst.

Heranreifen der revolutionären Situation und der Aufstandsplan

Auf Grundlage der Beschlüsse des II. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale (Juli / August 1920) begann der Aufbau der militärischen Strukturen der KPD ab dem Jahr 1920. Der geheime Militärische Apparat (M-Apparat) unterstand direkt der Parteileitung und war eng mit den militärischen Strukturen der Komintern verbunden. Der M-Apparat verfügte über verschiedene Abteilungen sowie einen eigenen Nachrichtendienst, der ebenfalls eng mit den sowjetischen Geheimdiensten GPU und GRU zusammen arbeitete.30

In diesem Rahmen waren auch Militärexpert:innen der KI seit 1921 in Deutschland tätig, wie z.B. Valdemar Roze (1897 bis 1939), ein lettischer Divisionskommandeur der Roten Armee, der 1923 als militärischer Leiter beim ZK der KPD tätig gewesen ist. Er organisierte den Aufbau der Partisan:innengruppen (sogenannte Fünfergruppen) und Arbeiter:innenmilizen (Proletarische Hundertschaften) und sollte den Aufstand in Deutschland leiten. 1925 wurde er vom Reichsgerichtshof zum Tode verurteilt, jedoch später gegen einen deutschen Agenten ausgetauscht.

Auf Ersuchen von Brandler,31 der als Sekretär des Politbüros die KPD leitete, wurden Ende August weitere Aufstandsexpert:innen nach Deutschland geschickt. Gleichzeitig wurden auch die Strukturen des sowjetischen Geheimdienstes GPU zur Unterstützung des Aufstandes aktiviert, offenbar auch, weil man in entscheidenden Fragen der zerstrittenen KPD nicht trauen konnte und wollte. So trat Josef Unszlicht (1879 bis 1938), Stellvertreter von Trotzki im Revolutionären Militärrat der Sowjetunion, Anfang September eine geheime Mission in Deutschland an, bei der es um die Kontrolle und den Aufbau des M-Apparates ging.

Ein zentrales Problem war die Beschaffung der benötigten Waffen. Im September kümmerten sich die sowjetischen Genoss:innen um den Waffenkauf auf dem Schwarzmarkt. So werden z.B. in einem Bericht von Josef Unszlicht vom 29. September32 „Verhandlungen über den Kauf von 5.000 Gewehren, 1.500 Gewehrpatronen, 400 leichten Maschinengewehren, 200 schweren Maschinengewehren“ erwähnt. Ab Anfang Oktober wurde ein breiterer Kreis vom Kommunist:innen in die Waffenbeschaffung einbezogen. „Alle diese Bemühungen erbrachten jedoch erst ab Ende Oktober größere Resultate, so dass um den 22. Oktober, dem Kulminationspunkt der Krise, erst 11.000 Gewehre und 15.000 Faustfeuerwaffen verfügbar waren. Diese verteilten sich sehr ungleichmäßig, relativ gut war die Lage in Thüringen.“33 Der Aufbau militärischer Einheiten (Proletarische Hundertschaften) lief vergleichsweise besser, was die fehlende Bewaffnung umso mehr zum begrenzenden Faktor werden ließ:

Die KPD entwickelte eine intensive Arbeit zur Formierung, Bewaffnung und Ausbildung revolutionärer Arbeiter. Ab August wurden die proletarischen Hundertschaften erweitert, militärisch profiliert sowie durch Schaffung regionaler und einiger Landesleitungen zentralisiert. (…) In einigen Regionen entstanden ab Mitte Oktober Anfänge von Truppengliederungen. Am 22. Oktober waren ungefähr 133.000 Kämpfer in proletarischen Formationen zusammengefasst, die Hauptkräfte davon in Sachsen, Thüringen und anderen Bezirken Mitteldeutschlands, in Berlin und im Ruhrgebiet. Anfang Oktober gliederte die KPD ihre Führungsorgane für die bewaffneten Kämpfe um. Die bereits Ende August eingesetzten politisch-militärischen und militärisch-organisatorischen Führungskader wurden einem Revolutionskomitee unterstellt.“ 34

Zwischen dem Beschluss, den Aufstand konkret zu organisieren und dem Höhepunkt der revolutionären Krise um den 22. Oktober 1923 lagen gerade einmal zwei Monate – eine Zeitspanne die angesichts der unzureichenden Vorbereitung der KPD auf die revolutionäre Machtergreifung einfach zu kurz gewesen ist, um die notwendigen Maßnahmen abzuschließen. Das galt keineswegs nur für die Frage der Waffenbeschaffung.

Daneben war die ideologische Vorbereitung für eine Entscheidungsschlacht unzureichend. Nicht nur der Mangel an konspirativer Erfahrung machte sich stark bemerkbar. Aus den internen Berichten der nach Deutschland entsandten Kommunist:innen und Militärspezialist:innen ergibt sich das Bild einer KPD, deren Bewusstseinsstand nicht den Anforderungen entsprochen hat. Auch die revolutionäre Moral war zu begrenzt. Schon kurz nach seiner Ankunft in Deutschland meldete Josef Unszlicht am 2. September 1923 nach Moskau: „Muss mich vorläufig auf einen allgemeinen Eindruck beschränken: Das Bewusstsein ist vorhanden, es fehlt jedoch der starke Wille. Die Tendenz geht zum geringsten Widerstand.“35

Aus den verschiedenen Berichten geht übereinstimmend hervor, dass die ideologischen (u.a. Schaffung eines Siegesbewusstsein), politischen (u.a. Bildung einer Einheitsfront von unten), organisatorischen (Umstellung der Parteistruktur auf den Bürgerkrieg) und technischen Vorbereitungen (u.a. Aufbau und Bewaffnung der Proletarischen Hundertschaften) der KI und KPD zu spät starteten bzw. im September und Oktober mit der sich beschleunigenden Dynamik der Entwicklung nicht Schritt halten konnten.

Im Vorfeld der Sitzung des Politbüros, bei der Anfang Oktober der konkrete Aufstandsplan beschlossen wurde, brachte Radek die Lage auf den Punkt, als er als einzige Möglichkeit für den Sieg der deutschen Revolution die Frage des Zeitpunkts des Aufstandes36 aufgeworfen und festgestellt hat: „Unser Sieg kann nur gelingen, wenn die spontane Bewegung des Proletariats mit dem organisierten Vorgehen der Kampfgruppen zusammenfällt. Deswegen halte ich es für notwendig, den deutschen Genossen die Bedeutung des richtigen Zeitpunktes zu suggerieren, weil diese Frage genauso wichtig wie die Organisation ist. Wir werden zerschlagen werden, wenn wir organisiert zum falschen Zeitpunkt vorgehen, genauso, als wenn wir es unorganisiert zum richtigen Zeitpunkt tun.“ 37

Die Vorbereitungen liefen so, dass das Revolutionskomitee hoffen konnte, um den 9. November herum die nötigsten Maßnahmen abgeschlossen zu haben. So wurde dieser Zeitrahmen beschlossen. Gleichzeitig hat die Dynamik der Situation den aktiven Teil der Arbeiter:innenklasse nach vorne gedrängt. Da Streiks in der schweren Wirtschaftskrise keinen ausreichenden Druck auf die Kapitalist:innen aufgebaut hatten und die Arbeiter:innen längere Streiks nicht mehr durchhalten konnten, musste die Klasse zu aktiveren Kampfformen übergehen. So erreichte die revolutionäre Stimmung bereits um den 22. Oktober ihren Höhepunkt, was sich u.a. in spontanen Hungerrevolten und Kämpfen mit der Polizei, dem ebenfalls spontanen Widerstand von Arbeiter:innen gegen den Einmarsch der Reichswehr in Sachsen und den vielerorts auftretenden Schwierigkeiten der KPD und des M-Apparates äußerte, die Arbeiter:innen von entscheidenden Kämpfen abzuhalten.

Zweieinhalb Wochen lagen zwischen diesem Höhepunkt der revolutionären Massenstimmung und dem geplanten Aufstandstermin – das ist in einer revolutionären Situation eine halbe Ewigkeit und an sich schon ein Grund, der den Aufstandsplan in Frage stellte.

Der Aufstandsplan wurde von den Militärexpert:innen auf Grundlage der örtlichen Gegebenheiten entwickelt – und die waren zumindest eine große Herausforderung, wie z.B aus dem Bericht von Josef Unszlicht von Ende September hervorgeht. Er fing mit der nüchternen Feststellung an: „Der Mangel an praktischer Erfahrung in konspirativer Arbeit unter unseren Mitarbeitern erschwert die Durchführung aller vorgesehenen Maßnahmen sehr.“ 38 Dann wurde militärisch knapp der Stand der Vorbereitungen dargestellt. Neben dem Fokus auf die potenziellen Durchmarschgebiete der sowjetischen Armee (Ostpreußen, Oberschlesien, Polen, Karpato-Rußland) springt der unterschiedliche Stand der Vorbereitungen ins Auge. Teilweise scheinen die Lage bzw. die Möglichkeiten im Ausland besser gewesen zu sein als in Deutschland. So gab es positive Nachrichten aus Österreich, wo mit dem Schutzbund eine proletarische, antifaschistische Miliz vorhanden war und über den Balkan wurde von „großen Möglichkeiten für unser aktives Eingreifen“ gesprochen. Umgekehrt wurde festgestellt, dass bei den französischen Truppen im Ruhrgebiet eine kommunistische Agitation bis dato (Ende September!) „völlig fehlt“.

Der Aufstandsplan für die Revolution in Deutschland ist ebenfalls als Dokument39 erhalten geblieben, was uns Einblicke und Analysen erlaubt, wie sie in der Geschichte des Klassenkampfes sonst nur selten möglich sind. Am 28. Oktober, wenige Tage nach dem Abbruch des Hamburger Aufstands, erstattete Valdemar Roze Bericht über den Stand der Vorbereitungen und die Möglichkeiten des landesweiten Losschlagens. In der Vorbemerkung kritisiert Roze als Leiter des M-Apparates den „Hamburger Putsch“, verweist auf Differenzen zwischen ihm und der Zentrale über die Möglichkeit des Losschlagens und bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, dass diese Differenzen durch die Erfahrung in Hamburg nunmehr beigelegt seien. Dann skizziert er den operativen militärischen Aufstandsplan unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.

Es waren fünf Oberbezirke gebildet worden, die mit Ausnahme der „südwestlichen Provinzen“ (Kassel, Frankfurt, Württemberg und Baden) mit den oben bereits erwähnten revolutionären Zentren (Berlin, Hamburg, Ruhrgebiet, Thüringen und Sachsen) zusammenfielen. Daneben gab es drei Sonderabschnitte (Ostpreußen, Bayern, Schlesien), die als feindliche Gebiete außen vor waren. Dort sollten die Kommunist:innen, insbesondere in Bayern eine massive Partisanentätigkeit entfalten. Jedem Oberbezirk wurden konkrete militärische Aufgaben zugewiesen. In der 1. Phase bestand die Aufgabe darin, mit dem inneren Feind fertig zu werden, d.h. das jeweilige Territorium zu erobern und die dort befindlichen feindlichen Kräfte zu vernichten. Der Operationsplan für die 2. Phase des Aufstandes sah die Herstellung der Verbindung zwischen den eroberten revolutionären Zentren vor. Demnach sollte Hamburg entlang der Elbe nach Mecklenburg und Pommern vorrücken und Berlin von Norden zu Hilfe eilen; das Ruhrgebiet über Kassel Kräfte zur Vereinigung mit Thüringen werfen und dadurch das konterrevolutionäre Bayern, wo allein die Faschist:innen mit der SA über 30.000 Mann unter Waffen verfügten, vom Rest des Landes abschneiden; Mitteldeutschland sollte die Reaktion aus Bayern stoppen und Berlin nach Stabilisierung der Macht sich so schnell wie möglich mit Mitteldeutschland verbinden. So wäre je nach Verlauf der Kämpfe eine Sowjetrepublik Deutschland mit der Hauptstadt Berlin entstanden, die ein zusammenhängendes Territorium umfasst hätte. Minimal hätte Sowjetdeutschland damit aus Berlin, Sachsen und Thüringen bestanden, bei Erfolg des Plans aus dem Ruhrgebiet im Westen über die Küste (Hamburg, Kiel) die Elbe entlang bis nach Berlin im Osten und im Süden Sachsen und Thüringen.

Dieser Plan war eine durch den Einmarsch der Reichswehr in Sachsen und Thüringen erzwungene Modifikation des ursprünglichen Planes. Dieser war denselben operativen Prinzipien gefolgt, hatte aber vorgesehen, „Arbeiterregierungen“ in Sachsen und Thüringen zu bilden, um dort rote Stützungsgebiete zu bilden. Dort hätte sich die zu schaffende Rote Armee Deutschlands sammeln sollen. Entsprechend dieses ursprünglichen Plans war die KPD auf Anweisung des EKKI am 10. Oktober in Sachsen und am 16. Oktober in Thüringen in die sozialdemokratisch geführte Landesregierungen eingetreten. Eine Überlegung dabei war, dass man hoffte, so an die Waffen der Landespolizei zu gelangen und 50.000 Arbeiter:innen bewaffnen zu können.40 Die Arbeiter:innenregierungen in Mitteldeutschland waren somit im ursprünglichen Aufstandsplan als ein Gebiet der frühen Doppelmacht angedacht, wo Teile der organisatorischen Vorbereitung noch vor dem reichsweiten Aufstand hätten erfolgen sollen. Da die Konterrevolution mit dem Einmarsch in Sachsen den Vorbereitungen zuvor kam, musste Ende Oktober alles strikt illegal und damit unter schlechteren Vorzeichen verlaufen. Immerhin konnte Roze aber vermelden, dass am 28. Oktober. bereits 150.000 Mann in den Proletarischen Hundertschaften erfasst waren, aus denen 12 Divisionen gebildet werden sollten.

Er selbst unterstrich die entscheidende Frage für den Aufstandsplan: „Grundbedingung für die Durchführung dieses Planes ist: Einheitlichkeit der politischen Ziele des größten Teils der organisierten Arbeiterschaft Deutschlands. Hierzu ist vor allem notwendig Schaffung einer festgefügten Einheitsfront der Werktätigen. Solange diese Vorbedingung für den Kampf um die Macht mit einem standhaften Gegner fehlt, wie […] (es) zur Zeit die bewaffnete Reaktion eben ist, kann der Kampf mit einer Niederlage des Proletariats enden.“ 41

Um den Ablauf der Ereignisse, die zum Hamburger Aufstand geführt haben, nachvollziehbar zu machen, mussten wir hier etwas vorgreifen. Der Bericht Rozes von 28. Oktober (also nach Ende des Hamburger Aufstandes) zeigt zweierlei:

Der Abbruch des Aufstands in Hamburg erfolgte, um zu einem späteren Zeitpunkt unter günstigeren Bedingungen reichsweit loszuschlagen. Je nach Person und Bewertung der Quellen können wir heute feststellen, dass die verantwortlichen Genoss:innen bis November und teilweise noch im Dezember davon ausgingen, dass die Revolution in Deutschland unmittelbar bevorstand. Heute wissen wir, dass nach dem Hamburger Aufstand die revolutionäre Welle abebbte, die politische, wie ökonomische Lage sich stabilisierte und diese Faktoren den Plan für den reichsweiten Aufstand verhinderten.

Doch Ende Oktober 1923 gab es einen operativen Aufstandsplan, der militärische und politische Gegebenheiten berücksichtigte und der salopp formuliert „auf Kante genäht“ war. Aber die als notwendig erachteten politischen Voraussetzungen (u.a. feste Einheitsfront der Werktätigen), um einen standhaften Gegner besiegen zu können, der innerhalb kurzer Zeit eine Armee von 800.000 Mann in die Schlacht werfen konnte (siehe oben Eduard Fimmen), waren aus Sicht der Aufstandsleitung weder am 20., noch am 22. noch Ende Oktober gegeben, so dass sie ein früheres Losschlagen nach diesem Plan nicht für möglich erachteten.

Das klingt plausibel und trotzdem bleibt ein ABER. Wir werden darauf in unserer Einschätzung am Ende zurückkommen. Dieses Aber ist jedoch nicht ausschließlich eine rückblickende Bewertung auf einem ganz anderen Informationsstand, als er damals in der Aufstandsleitung vorhanden war und einer historischen Rückschau. Es besteht aus einem Komplex zusammenhängender Fragen und Einschätzungen: Sollte man es trotzdem wagen, auch wenn die Ereignisse sich überschlugen und es nicht unbedingt nach dem eigenen Planungen lief? Wäre ein Losschlagen zu diesen Bedingungen „putschistisches Abenteurertum“ oder die notwendige „Kühnheit, Kühnheit, Kühnheit“, die nach Engels42 und Danton, dem großem Revolutionär aus der französischen Revolution, die Grundbedingung jedes Aufstandes sein muss? Welche Teile hätten wie durch energisches Handeln mitgerissen werden können und wie viele wären abwartend am Rande stehen geblieben? Wie stabil war das Lager der Konterrevolution und wie stand es real um die Kampfkraft der feindlichen Streitmacht? Diese Fragen bereiteten offensichtlich bereits damals den verantwortlichen Genoss:innen Kopfzerbrechen und dies muss beim nachfolgend geschilderten Hin und Her berücksichtigt werden.

Der Ablauf des Hamburger Aufstandes

Das grundlegende Problem der Aufstandsleitung bestand darin, wann und wie man zuschlagen sollte. Wie geschildert waren die organisatorischen Vorbereitungen um den 20./21. Oktober nicht abgeschlossen, insbesondere fehlte noch das als absolut notwendig betrachtete Minimum an Waffen. Gleichzeitig funktionierte die Struktur aus Aufstandsleitung und ZK der KPD nur mit Reibungen, was neben politischen Unterschieden auch an den verschiedenen Erfahrungen der führenden Genoss:innen gelegen haben dürfte. Es macht einen Unterschied, ob man in seinem revolutionären Leben wie die ZK-Genoss:innen der KPD bis dato vor allem politisch gekämpft hat oder schon einmal an einem militärischen Kampf an führender Stelle beteiligt gewesen ist, wie die nach Deutschland entsandten sowjetischen Genoss:innen. Politisch-militärisch stand u.a. die Frage im Raum, ob man den Kampf um die Macht nur defensiv als Abwehr eines erwarteten faschistischen Putsches in Bayern und anderswo beginnen sollte? Dann hätte man, wie sich bei der Abwehr des Kapp-Putsches 1920 gezeigt hatte, vermutlich auch die linke Sozialdemokratie und breitere sozialdemokratisch beeinflusste Arbeiter:innenmassen mit im Boot gehabt. Oder sollte man, auch um der drohenden Konterrevolution zuvor zu kommen, letztlich nur auf die eigenen Kräfte gestützt den Aufstand beginnen und die Massen dadurch mitreißen?

Ursprünglich sollte der Aufstand mit der für den 9. November geplanten Reichsbetriebsrätekonfenz verknüpft werden, die den Generalstreik als Signal zum Aufstand beschließen sollte. Doch dann schlug die Konterrevolution zuerst zu. Aber statt des erwarteten nationalistisch-faschistischen Putsches erfolgte der Schlag mit „legalen“ Mitteln. Mit der sogenannten Reichsexekutive wurden die Landesregierungen in Sachsen und Thüringen erst entmachtet und nach einigen Tagen abgesetzt. Ab dem 20. Oktober marschierte die Reichswehr in Sachsen ein, wobei sie langsam vorging und zunächst nur einige zentrale Städte besetzte. Trotzdem war damit der ursprüngliche Aufstandsplan hinfällig. Das in Dresden versammelte Revolutionskomitee – Brandler und weitere Genoss:innen des ZK der KPD waren ja erst vor 10 Tagen in die Landesregierung eingetreten und dazu von Berlin nach Dresden umgezogen – musste sich erst einmal vor der Reichswehr in Sicherheit bringen und siedelte wieder nach Berlin um.

Das ZK der KPD beschloss daraufhin am Abend des 20. Oktobers, also ca. 24 Stunden nach Beginn des Einmarsches der Reichswehr, den Aufruf zum Generalstreik, was seit dem Sommer für den M-Apparat als Signal zum Losschlagen galt. Die engere Parteiführung um Brandler entschied nach der Sitzung des ZK vor der Veröffentlichung des Aufrufs zum Generalstreik noch die schon länger für den 21. Oktober geplante Chemnitzer Betriebsrätekonferenz am nächsten Tag abzuwarten und den Generalstreik dort gemeinsam mit der Sozialdemokratie auszurufen. Gleichzeitig wurde intern der Aufstandsbefehl an Teile des M-Apparates rausgegeben und Instrukteure losgeschickt. U.a. machte sich das ZK-Mitglied Hermann Remmele (1880 bis 1939) nach Kiel auf den Weg, um dort den Befehl für einen lokalen Aufstand zu überbringen. Dahinter standen folgende Überlegungen: „In irgend einer Stadt wird ein ‚spontaner Aufstand‘ angekurbelt. Löst dieser Aufstand echte spontane Massenbewegungen in den großen Industriegebieten aus, kommt es zu bewaffneten Aufständen in verschiedenen Teilen des Reichs, dann wäre das ein sicheres Anzeichen für das Vorhandensein einer akuten revolutionären Situation. Dann könnte das ZK der KPD, ohne sich von den Massen zu isolieren, den Generalstreik in ganz Deutschland proklamieren und damit den bewaffneten Aufstand mit dem Ziel der Machtergreifung entfesseln.43

Anwesend bei der Chemnitzer Betriebsrätekonferenz waren 66 Delegierte der KPD, 140 der Betriebsräte, 122 der Gewerkschaften, 79 der Kontrollausschüsse, 20 der sächsischen ADGB-Führung, 15 der Aktionsausschüsse, 16 der Arbeitslosenorganisationen, 26 der Arbeiterkooperativen, 7 der SPD und ein Unabhängiger. Brandlers Vorschlag zum Generalstreik soll mit eisigem Schweigen aufgenommen worden sein und die SPD-Delegation unter der Leitung von Arbeitsminister Georg Graupe (1875 – 1959) drohte, wenn der Generalstreik auf die Tagesordnung gesetzt würde, mit dem Verlassen der Konferenz, was faktisch den Bruch der sächsischen “Arbeiterregierung“ bedeutet hätte. Der formale Kompromiss, eine Kommission zu bilden, die die Perspektive eines Generalstreiks prüfen sollte, bedeutete, dass es keinen Aufruf gab! Der Verlauf der Chemnitzer Konferenz, wo die Mehrheit der (linken) Sozialdemokratie folgte, entsprach dabei durchaus den politischen Kräfteverhältnissen im aktiven Teil der Arbeiter:innenklasse. Zwar gab es eine deutliche Radikalisierung in der Arbeiter:innenklasse, aber der KPD war es nicht gelungen, die für den Aufstand notwendige politische Einheitsfront von unten herzustellen. Das Zentrum wollte mehrheitlich keinen Aufstand, die SPD sowieso nicht und die KPD war sich unschlüssig, ob man allein auf die eigenen Kräfte gestützt losschlagen sollte:

Als auch der ‚linke‘ Flügel der SPD sich weigerte, am Generalstreik teilzunehmen, beschloß Brandler den Rückzug. Seit dieser Zeit (der Betriebsrätekonferenz am 21.10.1923) betonte Brandler bei verschiedenen Gelegenheiten (EKKI, Weltkongreß der KI, Parteitagen) seine Alleinverantwortung für diesen Rückzug.44

Währenddessen musste Remmele in Kiel erfahren, dass dort alle Voraussetzungen für den Aufstand fehlten. Er reiste entsprechend seines Auftrags nach Hamburg weiter. Dort wurde schließlich in jenen Teilen losgeschlagen, wo der neue Befehl vom 21. Oktober für die Verschiebung des Aufstandes, nicht mehr rechtzeitig eintraf.45 Die Kommandoketten und Kommunikationswege funktionierten im entscheidenden Moment nicht mehr richtig. Das führte im Ergebnis dazu, dass wichtige Informationen nicht rechtzeitig bei den Empfänger:innen angekommen sind und verantwortliche Genoss:innen immer wieder von der Entwicklung überrascht wurden. Am 22. Oktober bestätigten die Aufstandsleitung in Deutschland und das Politbüro in Moskau offiziell Brandlers Entscheidung zur Verschiebung des Aufstands.

Nachdem auf verwickelten Wegen die Anweisung zum Aufstand, aber nicht die zur Absage bzw. Verschiebung, am 21. Oktober Hamburg erreichte, wurde noch am selben Abend in einer Sitzung der verantwortlichen Funktionäre der Hamburger Parteiorganisation beschlossen loszuschlagen. Die nächsten 36 Stunden vergingen mit den notwendigen militärischen und politischen Vorbereitungen. Am 22. Oktober abends wurde bei einer weiteren Sitzung der Hamburger Parteileitung der Zeitpunkt für den Aufstand auf 5 Uhr früh am 23. Oktober festgelegt und die konspirative Mobilisierung der Milizen über Nacht durchgeführt. Gleichzeitig wurde erst auf dieser Sitzung Hans Kippenberger (1898 – 1937) zum militärischen Leiter in Barmbek ernannt. Zu Beginn des Aufstandes verfügten die Kampfgruppen in ganz Hamburg gerade einmal über 80 Waffen.46 Der Aufstandsplan in Hamburg sah vor, dass die Kampfgruppen zunächst die Polizeiwachen in einem Überraschungsangriff einnehmen, um die dort befindlichen Waffen in die Hände der Arbeiter:innen zu bekommen und die Polizei und Faschist:innen in den eingenommenen Arbeiter:innenvierteln entwaffnet werden sollten. Später am Tag sollte dann durch das Zusammenziehen der bewaffneten Milizen in Verbindung mit großen Streikdemonstrationen in die Innenstadt gezogen werden und der Feind über die Elbe nach Süden abgedrängt werden. Wichtige Punkte wie Bahnhöfe, der Flugplatz, Post- und Telegrafenamt, zentrale Zufahrtswege usw. sollten schon vorher von Kampfgruppen besetzt werden.

Nachts, um 1 Uhr, trafen die Leiter der Kampfgruppen in Barmbek, Ulenhorst und Winterhude zusammen. Die Mobilisierung hatte reibungslos funktioniert und alle Genoss:innen waren vollständig erschienen. Für die Überrumpelung der 20 Polizeiwachen in diesem Teil Hamburgs verfügten die Kampfgruppen über 19 Gewehre und 27 Revolver.

Jeweils ein bis zwei Kampfgruppen a 5 Personen wurden zu einem Stoßtrupp formiert, der jeweils zwei Waffen erhielt. Als die Stoßtruppler erfuhren, dass sie entgegen früherer Versprechungen fast komplett unbewaffnet in den Kampf geschickt werden sollten, desertierte ca. ein Drittel von ihnen auf dem Weg in die Ausgangsstellungen. Der Rest begann mit großer Kühnheit pünktlich um 5 Uhr den Sturm auf die Wachen. Um 5:30 hatten die Aufständischen 17 Wachen erobert und weitere Waffen erbeutet. Die nicht eingenommenen Wachen sowie die zunächst ausgesparten drei größeren Polizeikasernen bekamen sehr schnell Verstärkung, so dass sie nicht mehr eingenommen werden konnten.

Neben Barmbek, das sich zum Hauptschauplatz der Kämpfe entwickelte, wurde insbesondere in Schiffbek, einem kleinen, vor den Toren der Stadt gelegenen Arbeiter:innenvorort gekämpft. Zu kleineren Kampfhandlungen kam es daneben in Eilbek, Hamm und Eimsbüttel.

In Barmbek informierten unbewaffnete Genoss:innen die Arbeiter:innen parallel zum Losschlagen der Kampfgruppen an den Verkehrsknoten und vor den Fabriktoren vom Beginn des Kampfes. Daraufhin strömten die Arbeiter:innen in die Aufstandsviertel und beteiligten sich am Kampf. Gegen 7 Uhr hatte die Aufstandsleitung in Barmbek den Befehl zum Bau von Barrikaden gegeben. „Parteilose Frauen waren die hauptsächlichen Erbauer der Barrikaden, sie litten auch am meisten. Gerade sie brachen die Pflastersteine aus, fällten hundertjährige Bäume, hoben Schützengräben aus und besorgten Geräte für diese Arbeit.“ 47

Damit hatte die Aufstandsleitung den Übergang zur Defensive eingeleitet, bis aus ihrer Sicht Verstärkung aus anderen Stadtteilen eintreffen würde. Diese kam aber nicht, denn der aus Chemnitz zurückgekehrte Hugo Urbahns48 (1890 – 1946) hatte die neue Direktive zur Einstellung der Kämpfe und der Verschiebung des Aufstands rechtzeitig an alle Parteileitungen außer an die in den Stadtteilen Barmbek und Schiffbek weiterleiten können, so dass es in den anderen Teilen Hamburgs ruhig blieb. Diese Direktive erreichte das schnell von der Polizei umzingelte Barmbek jedoch erst gegen 17 Uhr am Tag des Aufstandes und das isolierte Schiffbek gar nicht.

Die Polizei versuchte tagsüber zweimal energisch von Süden her mit starken Kräften die Barrikaden in Barmbek zu stürmen und wurde unter hohen Verlusten auf ihren Seiten zurückgeschlagen. Militärisch gesehen spielte dabei die neue Barrikadentaktik, die im Laufe des Tages in Barmbek entstanden ist, eine wichtige Rolle. Anders als in früheren städtischen Barrikadenkämpfen (Paris 1871, Moskau 1905), bei denen die Straßen und Viertel auf den Barrikaden verteidigt wurden, überließen die Kampfgruppen insbesondere bei ihren Rückzugsgefechten die Straßen weitgehend dem Feind und feuerten aus Wohnungen und von Dächern auf die vorrückenden Truppen. Letztlich wurde an diesem Tag erstmals die Verbindung von Barrikadenkampf mit städtischen Partisanenaktionen breiter angewendet.

Die entscheidende Rolle im Hamburger Aufstand hat die revolutionäre Moral gespielt: Nicht nur bei den 200 bis 300 Mitgliedern der Kampfgruppen, deren Kühnheit, Kreativität und Disziplin beispielhaft für rote Partisan:innen steht, sondern bei allen kämpfenden Arbeiter:innen. Ihre militärische Kampfkraft hat Stufen erreicht, die in kaum einem Verhältnis mehr zu ihrer geringen Zahl und ihrer noch geringeren Bewaffnung stand. In Schiffbek hielten 35 Kommunist:innen unterstützt von hunderten bis tausenden unbewaffneten Arbeiter:innen zwei Tage stand. Für den finalen Sturmangriff mobilisierte die Konterrevolution 5.000 Mann, griff mit einem Flugzeug, das Maschinengewehrfeuer über den Stadtteil verstreute, Panzerwagen, Kavallerie und Schiffen von allen Seiten gleichzeitig an. Trotzdem dauerte der Kampf drei Stunden und am Ende zogen sich die roten Partisan:innen durch eine von ihnen erzwungene Bresche im Belagerungsring über die Elbe zurück, gedeckt von einer Nachhut von drei Genoss:innen.

Auch in Barmbek stellten die reaktionären Truppen am Ende des 1. Tages gegen 18:30 Uhr ihre Angriffe ein. Auch wenn in allen Berichten die mustergültige Disziplin der jungen Kämpfer:innen betont wird, wurde der kurz zuvor eingetroffene Befehl zur Einstellung des Aufstands zunächst nicht befolgt. Im Gegenteil beschloss die Kampfleitung die Fortsetzung des Kampfes und organisierte in der Nacht, während die Konterrevolution sich auf den Sturmangriff am kommenden Tag vorbereitete, ein Ausweichmanöver in den nördlich gelegenen Außenbezirk Bramfeld. Am 24. Oktober rückte die Polizeitruppen bis 11 Uhr in Barmbek ein, das nur noch von einzelnen Kampfgruppen als Nachhut mit einer Partisanentaktik verteidigt wurde. Erst als die Kampfleitung in Bramfeld weitere Informationen und Instruktionen erreichten, brach sie den Kampf dort im Laufe des Tages ab und organisierte den Rückzug.

Einzelne Kampfgruppen lieferten sich noch am 25. Oktober Nachhutgefechte mit der Polizei und auch am 26. Oktober kam es vereinzelt noch zu organisiertem Widerstand gegen die nach dem Aufstand angeordneten massenhaften Hausdurchsuchungen.

Die Reaktion der direkt mit dem Aufstand in Berührung gekommenen Arbeiter:innen und werktätigen Massen war beeindruckend. Tausende haben sich aktiv am Kampf beteiligt, auch wenn sie keine Waffen hatten und schon bald klar wurde, dass es keinen allgemeinen Aufstand in Deutschland oder auch nur ganz Hamburg gab. Überraschend für die Aufstandsleitung war die nicht erwartete große Unterstützung durch das Kleinbürger:innentum.

Auch wenn neben den organisierten Kommunist:innen nur ein Teil der Arbeiter:innenklasse gekämpft hat, die Mehrheit sich zurückhielt und eine abwartende Haltung der passiven Sympathie einnahm, so war der Beweis erbracht: Die revolutionäre Krise in Deutschland war da, Teile der Arbeiter:innen waren bereit in die Schlacht zu ziehen und die abwartende Mehrheit hätte mitgezogen werden müssen.

Verpasste Chance und Sündenböcke

Eine taktische Niederlage und ein moralischer Sieg

Die revolutionäre Moral der Kommunist:innen und der mit ihnen kämpfenden Arbeiter:innen wird in vielen Berichten hervorgehoben. Auch beim Feind hat man Respekt erreicht. Die feindlichen Fußsoldaten sind am Ende nur sehr langsam und vorsichtig vorgerückt. Offensichtlich haben sie es überhaupt nicht darauf angelegt mit den Partisan:innen zusammen zu stoßen; anders wäre der gelungene Rückzug aus Schiffbek über die Elbe auch nicht möglich gewesen. „35 gegen 5000!“ – dieser Ausruf von Larissa Reissner (1895 – 1926) bringt die erzielte Hochachtung bei Freund wie Feind genauso zum Ausdruck wie der von ihr überlieferte Ausruf jenes Leutnants, der seine Rekruten mit gezogener Waffe zum Angriff gegen einen einzigen Schützen treiben musste:

Ihr feiges Gesindel! … Mit zwanzig solcher Leute wie die da (eine Geste in Richtung Dachfenster) würde ich mit ein paar tausend wie ihr fertig werden.“ 49

Wenn man die unzureichende Vorbereitung, das Hin und Her in der Aufstandsleitung, die politischen Widersprüche in KPD und KPdSU, die nicht hergestellte Einheitsfront von unten mit den breitesten Arbeiter:innenmassen usw. in Rechnung stellt, dann war es gerade diese revolutionäre Kampfmoral, die eine taktische Niederlage, die alle Zutaten für eine verheerende Niederlage der KPD in sich trug, in einen moralischen Sieg verwandelte. Daran erinnerte auch Ernst Thälmann (1866 – 1944) am zweiten Jahrestag des Hamburger Aufstands in einem Zeitungsartikel in der Roten Fahne: „Das große Resultat des Hamburger Aufstandes ist, dass die Arbeiter den scheinbar unbesieglichen Klassenfeind dreimal vierundzwanzig Stunden lang in seiner ganzen Schwäche gesehen haben. Zu den Hamburger Tagen haben die Arbeiter die Bourgeoisie am Rande des Abgrundes gesehen. Und sie werden diesen Augenblick niemals vergessen!“50

Verpasste Chance statt Verschiebung des Aufstands

Der Aufstand in Teilen Hamburgs löste keine spontanen revolutionären Massenaktionen der Arbeiter:innen aus. Logischerweise kann aber unter den oben beschriebenen Bedingungen auch keine „spontane“ Massenbewegung entstehen, wenn die Aufstandsleitung und das ZK der KPD zwischen dem 20. und 24. Oktober alles in ihrer Macht stehende getan haben, um die Bewegung einzudämmen und offensive Kämpfe der Kommunist:innen wie der Massen zu verhindern. Die tatsächliche Massenstimmung wurde im Gegensatz dazu gerade in den Schwierigkeiten der KPD sichtbar, den aktiven Teil der Arbeiter:innen vom Kampf zurück zu halten. Über die Stimmung der abwartenden, „sozialdemokratischen“ Mehrheit der Arbeiter:innenklasse geben die Ereignisse insofern keine Auskunft, als man diese Teile der Massen hätte mitreißen müssen, was wiederum ein aktives, reichsweites und einheitliches offensives Handeln der kämpferischen Teile unter Führung der KPD vorausgesetzt hätte.

Nach der Verschiebung des Aufstands und dem Abbruch der Kämpfe in Hamburg ging die Konterrevolution weiter in die Offensive. Die Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen wurden abgesetzt und der militärische Ausnahmezustand ausgerufen. Der Reichswehrgeneral Hans von Seeckt (1866 – 1936) bekam vom Reichspräsidenten die vollziehende und alle militärische Gewalt übertragen. Bis zur Aufhebung des Ausnahmezustandes am 1. April 1924 war die KPD verboten und arbeitete aus der Illegalität weiter.

Auch wenn in den Aufstandsgebieten nach dem Einmarsch der Reichswehr der weiße Terror wütete,51 blieb die Repression insgesamt begrenzt. Insbesondere ist sie nicht vergleichbar mit dem gewesen, was die Arbeiter:innenbewegung nach der Übertragung der Macht an die NSDAP ab Januar 1933 erleben sollte. „Vom 1. Januar 1924 bis zum 30. April 1925 fanden 981 politische Prozesse statt. Die Gerichte verurteilten 5.768 Revolutionäre zu insgesamt 4.184 Jahren Freiheitsstrafen und 233.261 Reichsmark Geldstrafe.“52

Sinowjew kritisierte 1924 als Sekretär der KI und maßgeblicher Befürworter des Aufstands einerseits die rechte Politik Brandlers und andererseits betonte er gleichzeitig, er sei „keineswegs der Ansicht, es sei ein Fehler gewesen, dass die Partei im Oktober das Proletariat nicht zum Entscheidungskampf aufgerufen hat.“ 53

Die Genoss:innen von KPdSU, KI und KPD sind also zunächst alle davon ausgegangen, dass der Versuch der sozialistischen Revolution in Deutschland mit dem Abbruch des Aufstandes in Teilen Hamburgs nur verschoben sei.

Als dann am 8. November in München die Faschist:innen ihren Putschversuch starteten, wurden sie am nächsten Tag von der Polizei gestoppt. Der Hintergrund waren auch die taktischen Widersprüche in der Monopolbourgeoisie, wo sich die Fraktion der „jungen“ Elektro- und Chemiemonopole gegen die „alten“ Kohle- und Stahlmonopolisten durchgesetzt hatte. Sie suchten und verwirklichten im folgenden eine Annäherung an den US-Imperialismus, was mittels Kapitalimport aus den USA zur relativen Stabilisierung der Wirtschaft führte. Ein offener Bürgerkrieg mit den Kommunist:innen, der möglicherweise in einen Krieg mit der Sowjetunion eskaliert wäre, passte in diese Strategie ebenso wenig wie die Machtübertragung an die Faschist:innen mit ihrem Programm eines aggressiv nationalistischen Kurses.

Stattdessen setzte die Bourgeoisie mehrheitlich auf den „legalen Ausnahmezustand“ und damit de facto eine Militärdiktatur unter von Seeckt. Ähnlich wie während des Ausnahmezustandes im 1. Weltkrieg verblieben der KPD damit trotz Verbot gewisse politische Spielräume, im Gegensatz zur faschistischen Diktatur. Mit dieser Entscheidung im November 1923 hat sich auch die Monopolbourgeoisie gegen eine Hauptschlacht mit der revolutionären Seite entschieden. Um den 8. und 9. November war die revolutionäre Stimmung der Massen schon deutlich zurückgegangen, auch wenn die Bewaffnung und Stärke der Proletarischen Hundertschaften, wie der Kampfgruppen, jetzt besser war als beim Aufstandsversuch in Teilen Hamburgs. Auch wenn das Revolutionskomitee, die KI- und KPD-Führung den ganzen November und auch noch im Dezember davon ausgingen, dass der Aufstand nur verschoben sei, war die zeitliche Synchronisation des Vorgehens der Kampfgruppen mit dem Höhepunkt der spontanen Massenbewegung nicht gelungen. Mit der zu späten Vorbereitung des Aufstandes, der Abhängigkeit von den Entscheidungen der (linken) Sozialdemokratie und der Entscheidung zur Rücknahme des Aufstandsbefehls am 21. Oktober wurde eine historische Chance verpasst, die damalige revolutionäre Situation mit allen zur Verfügung stehenden Kräften zu nutzen.

Mit der Mitte November begonnenen Währungsreform, dem Teilrückzug der französischen Truppen aus dem Ruhrgebiet ab dem 10. Dezember und dem Einströmen amerikanischen Kapitals („Dawes-Plan“) setzte zum Jahreswechsel 1923/24 eine Phase der relativen Stabilisierung des Kapitalismus ein, die bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 andauerte und die spontane Aktivität der Massen zurückgehen ließ. Damit endete auch die revolutionäre Situation und das Zeitfenster für einen Aufstand war vergangen.

Komplexität der Entscheidungssituation

Auf dem Höhepunkt der revolutionären Krise zwischen dem 20. und 24. Oktober gab es in einer sehr komplexen Situation nacheinander verschiedene oben in ihrer Wechselwirkung bereits beschriebene Entscheidungen, welche die Geschehnisse beeinflussten. Wir wollen hier noch einmal die für die Gesamtentwicklung bedeutsamsten Ereignisse und Entscheidungen zusammenfassen:

Verhängung der Reichsexekutive und Beginn des Einmarschs der Reichswehr in Sachsen am 20. Oktober. Hier wurde zunächst entschieden, weder den M-Apparat noch die Arbeiter:innen unverzüglich zum Kampf gegen die vorrückenden Reichswehr zu mobilisieren, was den zügigen Einmarsch und die Besetzung Dresdens als Regierungssitz der sächsischen Arbeiterregierung ermöglichte.

Am Abend des 20. Oktober erfolgte der Beschluss des ZK der KPD, zum Generalstreik aufzurufen und gleichzeitig den Aufstandsbefehl an Teile des M-Apparats herauszugeben.

Nachdem sich am 21. Oktober der linke Flügel der SPD auf der Chemnitzer Konferenz dem Aufruf zum Generalstreik verweigerte, erfolgte die Rücknahme des Aufstandsbefehls durch Brandler und die in Chemnitz anwesenden Teile des ZK. Der Beschluss wurde am 22. Oktober von der (kompletten) Aufstandsleitung und dem Politbüro der RKP(b) bestätigt.

Der in Teilen Hamburgs am 23. Oktober ausgebrochene Aufstand sollte am späten Nachmittag abgebrochen werden. Da die Kämpfer:innen in Barmbek sich zunächst weigerten, wurde der Aufstand nach weiteren Konsultationen erst am 24. Oktober abgebrochen.

Es gab also ein mehrere Tage andauerndes Zeitfenster und mehrere Situationen, wo es möglich gewesen wäre, im Laufe der Entscheidungen und Abläufe in der akut revolutionären Situation zu einem anderen Vorgehen zu gelangen.

Neben dem bereits dargelegten Stand der Vorbereitungen, die zwischen dem 20. und 24. Oktober noch nicht abgeschlossen waren, galt es vor allem, die Stimmung in den Massen zu berücksichtigen. Die war, auch im Nachhinein gesehen, nicht eindeutig, sondern durchaus widersprüchlich. Zusätzlich zu den ca. 150.000 Mann in den proletarischen Hundertschaften war eine jedenfalls nicht unerhebliche aktive Minderheit der Arbeiter:innen bereit zu kämpfen. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die revolutionäre Stimmung damals in Hamburg am weitesten entwickelt war und es in anderen Landesteilen weniger gut aussah, wäre vermutlich eine sechsstellige Zahl an (militärisch) unorganisierten Arbeiter:innen dazu gestoßen. Weiterhin hat der 23. Oktober in Barmbek gezeigt, dass Teile des verelendeten Kleinbürger:innentums in einem zentralen Aufstand direkt die Kämpfe unterstützt hätten.

Andererseits hat sich auch gezeigt, dass die sozialdemokratischen Massen der Arbeiter:innen und damit die Mehrheit der Klasse nicht bereit gewesen ist für den Entscheidungskampf. Auch wenn sie mit dem Aufstand sympathisierten und zumindest diffus für den Sozialismus waren, wie die Popularität der Forderungen nach Sozialisierung der Betriebe zeigte, hatten sie aller Verelendung zum Trotz noch deutlich „mehr zu verlieren als ihre Ketten“. Sie konnten hoffen, dass die Wirtschaftskrise und Hyperinflation nicht ewig andauern werden und danach das gewohnte Leben wieder möglich sein würde, so wie es dann mit der kapitalistischen Stabilisierung 1924 tatsächlich geschehen ist. Dies galt insbesondere für die Arbeiteraristokratie. Nicht umsonst beschreibt Larissa Reissner den Typus des Arbeiteraristokraten in einer fiktiven Biografie54 als notwendige Ergänzung zur Klassenrealität 1923, die man unter dem Eindruck des Heroismus der proletarischen Frauen in Barmbek und Schiffbek, der Begeisterung, die diese proletarischen Held:innen überall im Land hervorriefen und der Hochachtung für ihre Kampfmoral selbst in den Truppen des Feindes55 leicht übersieht.

Sachlich beschreibt der sowjetische Konsul in Hamburg am 27. Oktober die Haltung der dortigen Arbeiter:innen wie folgt: „Was die Arbeiter betrifft, so stand ihre Sympathie natürlich außer Zweifel, aber Posten in den Schützengräben nahmen sie dennoch nicht ein. Womit läßt sich das erklären? Mit zwei Ursachen: Die Ausrüstung war unzureichend, jede Patrone erfaßt und Außenstehende zog man aus reinen Sparsamkeitsgründen nicht heran. Die andere und wichtigere Ursache war die, dass die Arbeiter durch ihren eigenen, nirgendwo existierenden drahtlosen Telegraphen wußten, dass sich das Land insgesamt diesem Aufstand nicht anschloß. Sie zogen zwar ihre Hüte vor der Tapferkeit der Wagemutigen, sie selbst nahmen jedoch durchaus wohlüberlegt die Gewehre nicht in die Hand.“ 56

Da vermutlich „nur“ Hunderttausende und nicht Millionen Arbeiter:innen bereit zum Kampf waren und man nur zehntausende Waffen besaß, schien die Übermacht der Konterrevolution mit ca. 800.000 Mann unter Waffen zu groß. Taktisch schien die Rücknahme des Befehls zum Aufstand am 21./22. Oktober also die einzig richtige Entscheidung zu sein.

Aber stimmt das wirklich? Selbst wenn man dies bejaht, bleibt die Frage, ob es richtig war, den in Teilen Hamburgs stattfindenden Aufstand am 23./24. Oktober abzubrechen. Oder hätte man die kämpfenden Genoss:innen mit aller Kraft unterstützen sollen, um zu versuchen, aus der überaus ungünstigen Situationen durch ihre Signalwirkung an die proletarischen Massen im ganzen Reich doch noch einen Sieg zu erringen?

Mit dem Aufstand spielt man nicht“, zu Recht weist Kippenberger in seinem Bericht auf diesen bekannten Grundsatz der revolutionären Kriegsführung hin. „Man mußte, trotz des Ausgangs der Chemnitzer Konferenz, nachdem der Aufstand begonnen hatte, alle Kräfte des revolutionären Proletariats Hamburgs und der anderen Bezirke zwecks Ausdehnung des Aufstandes in Hamburg selbst und seiner Unterstützung durch die revolutionäre Aktion überall dort, wo das möglich war, mobilisieren.“ 57 Er bringt weitere plausible Argumente für seine Schlussfolgerung vor: „Wir sind der Meinung, dass Hamburg unter den damaligen Verhältnissen in Deutschland zum Signal für den Aufstand in einer Reihe von Zentren und Bezirken Deutschlands werden konnte. Das Hamburger Proletariat war imstande, die Macht zu erobern und in die Hand zu nehmen, trotz des Verrates der Sozialdemokratie.“ 58

Doch so kam es nicht. Der Aufstand in Hamburg ging damit als erneuter lokaler Aufstandsversuch in die revolutionäre Geschichte ein, obwohl er doch erstmals in Deutschland Teil eines das ganze Reich umfassenden Aufstandsplans mit Unterstützung der Kräfte der Kommunistischen Internationale war.

Geschichtserzählung und Entwicklung von Mythen

Unmittelbar nachdem die revolutionäre Krise in Deutschland vergangen und damit die Chance für den Aufstand vertan war, entbrannte in der Führung der KPdSU, KI und KPD die Diskussion über die Verantwortlichen dafür. Aber statt zu fragen, warum die Chance verspielt wurde, wurde vor allem die Frage gestellt – und je nach Fraktion unterschiedlich beantwortet – wer die Schuld am Scheitern des Plans für den Deutschen Oktober trägt? Diese ausgesprochene Kultur der Schuldzuweisung innerhalb der kommunistischen Weltbewegung ist ein Überbleibsel bürgerlicher Haltungen, die statt nach Ursachen in erster Linie nach Personen/Verantwortlichen sucht und fälschlicherweise glaubt, mit der Benennung von Sündenböcken die Probleme gelöst zu haben.

Wir haben im vorherigen Kapital versucht, die Komplexität der damaligen Situation zu skizzieren, weil das unseres Erachtens die Frage ist, anhand der wir aus der Geschichte lernen müssen. Die Problematik einer ähnlich komplexen Situation wird sich nämlich beim kommenden nächsten Anlauf sicher wieder stellen.

Was stattdessen Anfang 1924 tatsächlich geschehen ist, war die Konstruktion einer geschichtlichen Erzählung, die plausibel klang, Verantwortliche definierte und – das darf nicht vergessen werden – im fortdauernden Klassenkampf der Schadensbegrenzung diente. Faktisch haben einzelne Genoss:innen die alleinige Verantwortung für kollektive Entscheidungen übernommen, wie Hugo Urbahns vor Gericht, der sozusagen den Aufstand als seine persönliche Entscheidung darstellte, um die KPD (und die KI) zu „entlasten“.59

Auch Brandler hat immer die Verantwortung für die Entscheidung zur Rücknahme des Aufstands am 21. Oktober übernommen – die Entscheidung mag richtig oder falsch gewesen sein. Aber es ist eindeutig ein Mythos, dass er diese alleine getroffen hätte und der Grund dafür alleine sein notorischer Rechtsopportunismus gewesen wäre. Genau diese Erzählung hat sich aber ausgehend von den Auswertungen der KI, wo er als „Sündenbock“ herhalten musste, im kollektiven Bewusstsein der kommunistischen Bewegung festgesetzt.

Gerade die Kommunist:innen in den 1970er Jahren, die die Geschichte idealistisch-abstrakt betrachtet und alles, was die KI, Lenin oder Stalin gemacht haben, für richtig gehalten haben, haben die Niederlagen immer auf den „Verrat“ der revisionistischen und rechten Führer zurückgeführt. Mit ihrer Glorifizierung der Vergangenheit haben sie sich vielleicht eine Identität geschaffen, aber zugleich selbst den Weg zur Erkenntnis verbaut. Beispielhaft dafür kann die Broschüre der KPD/ML „50 Jahre Hamburger Aufstand“ aus dem Jahr 1973 angeführt werden:

Die Kommunistische Partei Deutschlands erfüllte damals ihre Aufgaben nicht. Warum? In ihrer Führung waren zeitweise Leute wie Brandler und Thalheimer, Agenten des Reformismus und Revisionismus. Sie wiegelten ab, boykottierten und verhinderten den Kampf und gaben die Arbeiterklasse in fast ganz Deutschland den wütenden Mordkommandos der weißen Reaktion preis. Sie bildeten gemeinsam mit „linken“ Sozialdemokraten Arbeiterregierungen. Aber sie nutzen diese Stellung nicht dazu aus, die Massen zu mobilisieren und zu bewaffnen, sondern sie beriefen sich auf den rein parlamentarischen Weg, der nicht überschritten werden durfte. (…) Gerade an diesem Beispiel zeigt sich sehr deutlich das Zusammenspiel von Reformismus, Revisionismus und Faschismus.“ 60

Bei dieser Erklärung handelt sich um einen Mythos, dessen innere Leere offen zu Tage tritt. Wenn die Anbiederung an die linke Sozialdemokratie und der Verrat der Rechtsopportunisten die alleinige Ursache für die Niederlage gewesen ist, wäre zu erklären, warum es überhaupt dazu kommen konnte, wieso der „Verrat“ gelungen ist, warum der Aufstand in Hamburg keine spontane Massenaktionen ausgelöst hat usw. Bei einer analytischen Auswertung muss man sich mit weniger klaren und deutlich unbequemeren Fragen auseinandersetzen wie z.B. jener, warum Teile der Massen wie die proletarischen Frauen in Barmbek, Arbeiter:innen von Sachsen bis zur Küste und auch Teile des Kleinbürger:innentums im Oktober 1923 nur mit Mühe vom Kampf abgehalten werden konnten, als die KPD noch nicht bereit zum Entscheidungskampf war bzw. diesen verschob? Mit der „Verratstheorie“ als Erklärungsmodell werden dagegen letztlich nur die entscheidenden Fragen umgangen, nämlich z.B. welche Lehren für kommende Aufstände aus dieser Erfahrung zu ziehen sind.

Lehren aus dem Hamburger Aufstand

Strategische Lehren

Wie sich im deutschen Oktober 1923 gezeigt hat, ist die Synchronisation verschiedener, komplexer gesellschaftlicher Entwicklungsstränge eine zentrale Frage der Revolutionsstrategie im imperialistischen Zentrum. Den Grund haben Radek und andere Genoss:innen im Oktober 1923 richtig erfasst: Anders als im Jahr 1917 in Russland musste der Kampf 1923 gegen eine organisierte und im Gegensatz zum Russischen Oktober stabile Konterrevolution geführt werden, deren staatliche Organe und insbesondere bewaffnete Strukturen (inklusive der faschistischen Paramilitärs) voll einsatzbereit gewesen sind. Natürlich wäre es einfacher, wenn wir die sozialistische Revolution z.B. nach einem verlorenem Krieg gegen einen „failed state“ (dt. gescheiterten Staat) durchführen könnten. Aber was machen wir, wenn es anders kommt?

Damit rückt die Frage der Zeit in den Blickpunkt. Es geht dabei um weit mehr als die technische Frage des Zeitpunkts des Aufstandes. Eigentlich gilt es als Binsenweisheit unter Kommunist:innen, dass sich in revolutionären Krisen die Abläufe beschleunigen und es zu Sprüngen kommt. Dies gilt insbesondere für die Stimmung und spontane Bewegung der Arbeiter:innen und werktätigen Massen, die im Vergleich zu dem einigermaßen planbaren Einsatz der Partei und ihrer Kräfte das dynamische Element des subjektiven Faktors in einer revolutionären Situation bildet. So wie die gescheiterte Revolution 1918/19 gezeigt hat, dass man die Kommunistische Partei nicht erst mitten im Kampf schaffen kann, wenn sie ihre Funktion erfüllen soll, so hat der Deutsche Oktober 1923 bewiesen, dass sich die ideologischen, politischen und militärischen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Aufstand nicht innerhalb weniger Wochen aus dem Boden stampfen lassen, wenn die notwendige jahrelange Vorarbeit nicht ausreichend geleistet wurde. Wir können es uns also nicht leisten, bei einem quantitativen Denken stehen zu bleiben. Natürlich benötigt jede sozialistische Revolution Kampfgruppen, Milizen und auch eine Rote Armee in einer bestimmten Quantität, die sich aus den Kräfteverhältnissen ableitet. Aber ihr Aufbau ist weder eine rein technische Frage noch lässt er sich auf quantitative Aspekte wie Größe der Streitmacht, Zahl der Waffen usw. verengen. Vielmehr zeigt der Deutsche Oktober 1923, dass die Qualität die entscheidende Größe der Gleichung ist und zwar in dem Sinne, dass die Vorbereitungen getroffen sein müssen, wenn sich die objektive Lage ändert.

Wir haben bereits 2017 anhand der Lehren aus dem Roten Oktober in Russland geschrieben:

Der rechte Opportunismus nimmt die scheinbar entgegengesetzte Form eines metaphysischen Objektivismus ein. Damit meinen wir ein Festhalten an isoliert und starr verstandenen gegebenen Kräfteverhältnissen. Diese werden selbst zu Beginn des Aufstands in der Regel für uns ungünstig sein. Schon Clausewitz formuliert den zentralen Grundsatz der Kriegswissenschaft, wonach große (strategische) Erfolge im Krieg nur durch ein großes Risiko zu erringen sind. (…) Die nüchterne Mathematik der Abwägung der Kräfteverhältnisse in der gegebenen Lage wird in der realen Politik (fast) immer gegen uns stehen. Deshalb müssen wir auf die Dynamik der Situation setzen, auf Kräfte, die durch unser entschlossenes Handeln ,geschaffen‘ werden. Diese sind keine Fantasiekräfte, die unseren Träumen entspringen, sondern Kräfte, die potenziell in der gesellschaftlichen Krise als Möglichkeit vorhanden sind. Sie werden durch unsere von den Massen aufgegriffene Initiative zur Wirklichkeit. Anders ausgedrückt: Die revolutionäre Kunst besteht darin, in Unterlegenheit zu siegen!“ 61

Auch 100 Jahre nach dem Hamburger Aufstand prägt der Regionalismus das soziale Terrain in Deutschland und damit das Schlachtfeld zwischen Revolution und Konterrevolution. Es ist nicht absehbar, dass sich dies in den nächsten Jahrzehnten entscheidend ändern wird. Damit bleibt das Problem der Provinz die harte Nuss, die eine Revolutionsstrategie knacken muss. Nicht umsonst sah der operative Aufstandsplan für die 1. Phase die Vernichtung des inneren Feindes und dann sofort die Schaffung der Verbindung zwischen den revolutionären Zentren vor. Wie man die revolutionären Zentren verbinden und die Hauptstadt Berlin halten kann, die von sehr viel Provinz umgeben ist, ist eine Frage, die sich aus heutiger Sicht auch beim nächsten Anlauf zur Eroberung der Macht im revolutionären Bürgerkrieg stellen wird und gelöst werden muss.

Die wichtigste strategische Lehre aus den Geheimdokumenten der Bolschewiki erscheint uns die Fokussierung in der revolutionären Führung 1923 auf die Frage zu sein, wie die eroberte Macht in einem Teil Deutschlands gehalten werden kann. Die oben von Eduard Fimmen zitierten geostrategischen Faktoren (Zentrallage in Mitteleuropa und Einkreisung durch konterrevolutionären Ring, Möglichkeit einer vollständigen Seeblockade durch imperialistische Mächte usw.) sind unverändert gültig. So wie sich 1923 die Frage gestellt hat, wie die imperialistische Einkreisung einer Räterepublik Deutschland durchbrochen werden kann, so wird sie sich wohl auch bei einem zukünftigen Aufstand stellen. Wir können diese Fragen heute noch nicht beantworten, aber die Beschäftigung mit der Realität des Deutschen Oktobers statt mit den geschichtlichen Mythen von großen Held:innen und bösen Verrätern drängt eine:n dazu, sich ernsthaft mit der Frage der Notwendigkeit einer regionalen Revolution auseinander zu setzen, die zumindest Teile von Europa umfassen müsste.

Politische Lehren

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben – das gilt für die sozialistische Revolution im imperialistischen Zentrum gleich doppelt und dreifach. Ohne eine Partei neuen Typs als revolutionäre Kampforganisation ist jeder Gedanke an einen neuen Aufstand Kinderei. Aber diese Partei kann in Deutschland nur aus den aktuell bestehenden Bedingungen heraus geschaffen werden. Dazu gehört auch die Geschichte der kommunistischen und Arbeiter:innenbewegung in Deutschland samt der Tradition einer unzureichenden Bolschewisierung und tief verwurzelter sozialdemokratischer Traditionen. Die KPD ist nach der Novemberrevolution 1918 unter komplett anderen Bedingungen entstanden als die KPdSU in Russland. Seit der Gründung der KI 1921 wurden, geführt von den russischen Bolschewiki, Anstrengungen unternommen in der KPD als Massenpartei mit sozialdemokratischen Strukturen bolschewistische Prinzipien zu verankern. Zum Zeitpunkt des Aufstandes standen diese Anstrengungen aber noch am Anfang. So fehlte der KPD zum Beispiel eine quantitativ wie qualitativ ausreichende Verankerung in den Betrieben durch entwickelte Betriebszellen, welche auch das Aktivitätsniveau der Klasse entscheidend beeinflussen konnte. Erst ab Mitte der 1920er Jahre gab es bei der Bolschewisierung nennenswerte Fortschritte, aber bis zur Machtübertragung an den Faschismus 1933 ist dies nur bis zu einem gewissen Grad gelungen. Zusätzlich muss das Modell der bolschewistischen Partei dabei auch in der Lage sein, sich mit der Mehrheit der Arbeiter:innenklasse und darüber hinaus zu verbinden, d.h. wir müssen das Problem des Kleinbürger:innentums und der kleinbürgerlichen Lebenswelten in der Arbeiter:innenklasse lösen.

Alle negativen sozialdemokratischen Traditionen sind bei uns in Deutschland besonders stark verinnerlicht. Entsprechend kann die Bolschewisierung nur als umfassender Prozess gelingen, der alle Aspekte der revolutionären Politik beinhalten muss und keinesfalls auf einzelne organisatorische Maßnahmen oder politische Teilaspekte begrenzt werden darf.

Die KPD konnte weder 1923 noch 1933 das Problem lösen, dass ihre soziale Basis zu klein für eine sozialistische Revolution gewesen ist und im wesentlichen nur eine Minderheit der Arbeiter:innenklasse, nämlich den kleineren, kämpferischen Teil der Industriearbeiterschaft in bestimmten städtischen Zentren sowie einen Teil der Landarbeiter:innen (u.a. in Baden-Württemberg) umfasst hat. Es reicht aber nicht nur die aktiven, fortgeschrittenen Teile der Arbeiter:innenklasse zu organisieren, sondern man muss für einen Aufstand die breite Mehrheit zumindest mitreißen oder besser anführen können. So fehlte zum Zeitpunkt des Aufstands 1923 auch eine aktive und starke Rätebewegung, welche die Grundlage für die Sicherung und Festigung der gesellschaftlichen Macht gewesen wäre und die aktive Einbindung der Millionen Proletarier:innen hätte sichern können.

In unserer Klassenanalyse haben wir die Tatsache hervorgehoben, dass in Deutschland jeweils ca. ein Drittel der Menschen (und das gilt ungefähr auch für die Arbeiter:innenklasse) in den Großstädten/Ballungszentren, der Provinz/den Provinzstädten und auf dem Dorf lebt. Aus diesen Überlegungen folgt zwingend, dass wir geografisch gesprochen die Frage der Provinz und sozial gesprochen die Frage des Kleinbürger:innentums beantworten müssen. Diese Frage umfasst dabei aus politischer Sicht mehr Menschen als in der Klassenanalyse, wo es um die zurückgehende, aber nie verschwindende einfache Warenproduktion (Handwerker, Handel, Kneipen usw.) und das moderne lohnabhängige Kleinbürger:innentum (bestimmte Zwischenschichten in den Konzernen, gut-situierte Freiberufler:innen z.B. im IT-Sektor) geht.

Die Arbeiter:innenklasse ist nicht per se revolutionär, größere Teile sind durch eine kleinbürgerliche Lebensweise beeinflusst. Man denke nur an die ca. 16 Millionen in Privatbesitz befindlichen und weit überwiegend selbst genutzten Immobilien: Eigentumswohnungen, Einfamilien- und Reihenhäuser. Diese bürgerliche Lebenswelt prägt die Persönlichkeit von Millionen Arbeiter:innen und ihre politischen Einstellungen. Sie wird damit auch ihr Verhalten und ihre Handlungen in revolutionären Dynamiken beeinflussen oder gar lenken. Diese kleinbürgerliche Lebenswelt und die daraus resultierenden Einstellungen werden materiell durch einen Lebensstandard abgesichert, der auf dem Neokolonialismus basiert. Die imperialistischen Extraprofite werden jedoch im Sozialismus wegfallen. Dies wird sich aller Voraussicht nach anfangs auch nicht ausgleichen lassen, so dass der Lebensstandard für diesen Teil zunächst sicher sinken wird. Sollte sich der Lebensstandard der besser gestellten Teile der Arbeiter:innenklasse bis zur revolutionären Krise nicht deutlich verändern und zu drastischen Brüchen in der Lebensweise führen, gilt es eine Antwort auf diesen Widerspruch zu finden.

Militärische Lehren

Wir haben immer wieder die Bedeutung der revolutionären Moral hervorgehoben.62 Dieser allgemeingültigen Wahrheit fügt die Erfahrung des Hamburger Aufstandes eine weitere Facette hinzu. Die Moral der Kämpfer:innen ist nämlich nicht nur entscheidend für das Gefecht und die operative militärische Strategie. Im Deutschen Oktober hat die revolutionäre Moral von 300 Partisan:innen der Kampfgruppen und einigen Tausend aktiven, unbewaffneten Arbeiter:innen dazu geführt, dass die ganze Situation politisch gekippt wurde und aus einer schweren taktischen Niederlage auf politischer Ebene und einer klaren militärischen Niederlage ein moralischer Sieg hervor ging.

Trotzdem bleibt es wahr, dass auch die größte Kampfmoral im Krieg ihre Grenzen findet. „Denn wisse: Eine kleine Streitmacht mag noch so hartnäckig kämpfen, so wird sie doch am Ende von einer größeren Macht überwältigt.“ 63 Das Gesetz der Zahl im Krieg umfasst aber neben quantitativen (Anzahl der Kämpfer:innen, Bewaffnung) auch qualitative Elemente, worunter insbesondere ihre militärische Erfahrung und die darauf aufbauende Kampfkraft fallen. Larissa Reissner weist auf eine große Besonderheit des Hamburger Aufstandes hin: „Die Reichswehrsoldaten sind meistens unter ungeschickten Bauernburschen angeworben; es sind die jüngeren Söhne von reichen Bauern, – eine Generation, die erst nach dem Krieg und der Revolution großgeworden ist. (…) Diese Burschen lassen sich gerne als Landsknechte anwerben; (…) stießen diese satten Bauernburschen, die mit Blutwürsten und Milchklößen großgezogen sind, auf Arbeiterhundertschaften, auf kaltblütige, unfehlbare Schüsse der alten, aus dem Weltkrieg mit allen Auszeichnungen für Scharfschießen und Sappeurarbeiten unter feindlichem Maschinengewehrfeuer hervorgegangenen Soldaten. Die Rollen sind vertauscht. Die Revolution in Deutschland verfügt über Stammtruppen von alten Soldaten, die ihre Barrikaden nach allen Regeln der Kriegswissenschaft verteidigen, die Regierung aber – über zahlreiche, aber ganz unerfahrene Truppen.64

Diese geschichtliche Tatsache zeigt, dass militärisch erfahrene Kämpfer:innen notwendig sind. Die militärische Erfahrung kann man aber nicht am Schreibtisch lernen, sondern man erwirbt sie im Kampf. Dies gilt schon heute z.B. für die Internationalist:innen in Rojava. Die geschichtlichen Erfahrungen (Hamburger Aufstand, Rote Ruhrarmee) weisen jedoch darauf hin, dass das allein nicht unbedingt ausreichen wird.

Lehren für unsere Politik heute

Mit dem Beginn des imperialistischen Raubkrieges um die Ukraine im Februar 2022 haben sich die zwischenimperialistischen Widersprüche drastisch verschärft. Wir sind mit der von Kanzler Olaf Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ in eine neue Phase, die der Vorbereitung des 3. Weltkriegs, eingetreten. Trotz dieser Lage erscheinen vielen Kommunist:innen ein revolutionärer Aufstand und die proletarische Machtergreifung in Deutschland heute als reine Utopie und damit der Hamburger Aufstand als ein rein geschichtliches Ereignis vor 100 Jahren.

Die Folgen der Zuspitzung der zwischenimperialistischen Widersprüche und auch eines 3. Weltkriegs werden jedoch zwangsläufig auch neue revolutionäre Situationen in imperialistischen Zentren hervorbringen. Denn der 3. Weltkrieg wird sicher nicht, wie uns die imperialistische Propaganda mit allen möglichen Dystopien in die Köpfe einhämmern will, den Weltuntergang bringen. Die Militärs planen für den Sieg im großen imperialistischen Krieg und nicht den eigenen Untergang. Viel wahrscheinlicher als solche Endzeitszenarien sind revolutionäre Krisen, die auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern als Folge eines großen imperialistischen Krieges entstehen können. Kriege könnten die bisherige globalisierte kapitalistische Produktion umwerfen z.B. durch die dauerhafte Unterbrechung der Lieferketten (wie ansatzweise bei Ausbruch der Coronapandemie geschehen). Die ökonomischen Grundlage der bisherigen Lebensweise der gesamten Arbeiter:innenklasse in Ländern wie Deutschland würde in einem solchen Szenario innerhalb kurzer Zeit verschwinden. Dasselbe gilt für Kriege, Krisen und Revolutionen in anderen Staaten, z.B. in Süd- und Südosteuropa, die den Fluss der neokolonialen Extraprofite für die deutschen Monopole versiegen ließen. Auch die direkten und indirekten Auswirkungen des Krieges (z.B. durch Rationierung und Unterbrechung der Energielieferungen, Stromsperren, wiederholten Ausfall von kritischer Infrastruktur, direkte Kriegsschäden) können der Treiber für dynamische Entwicklungen und das Entstehen von revolutionären Krisen sein.

Die Möglichkeit einer heranreifenden revolutionären Krise in Deutschland und Europa in den nächsten Jahren bzw. Jahrzehnten ist nicht ausschließen. Im Gegenteil steigt die Wahrscheinlichkeit mit jeder neuen Zuspitzung der zwischenimperialistischen Widersprüche, mit jeder neuen Krise weiter an.

Wem das zu allgemein ist, der:die sollte die Augen öffnen und die kleinen Zeichen sehen, die es heute schon gibt. Nicht nur in den abhängigen Ländern und Neokolonien brodelt es gewaltig.

Auch in Deutschland gärt es unter der Oberfläche einer scheinbar saturierten Gesellschaft spürbar. Die absolute Mehrheit der Arbeiter:innen und werktätigen Menschen in diesem Land möchte aktuell zwar sicher vor allem noch eins: So weiterleben können wie bisher. Aber genau dieser Wunsch ist für die Herrschenden auf Dauer objektiv nicht erfüllbar. Es wird und kann nach der ausgerufenen “Zeitenwende“ kein „Weiter so“ geben. Stattdessen werden die Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse und Teile des Kleinbürger:innentum massiv zunehmen und ihren gewohnten Lebensstandard dauerhaft in Frage stellen.

Sich auf den Kampf um die Macht vorzubereiten heißt deshalb zu verstehen, dass der Sozialismus keine wünschenswerte Utopie, sondern die reale Entwicklungsperspektive ist, die wir erkämpfen werden. Die Zeit ist dabei ein wichtiger Faktor, denn manche Entwicklungen wie z.B. der Aufbau einer Kampfpartei neuen Typs, die Frage der Provinz oder einer regionalen Revolution in Teilen Europas benötigen jahrelange gezielte Arbeit und andere Entwicklungen wie z.B. die Bereitschaft von großen Teilen der Arbeiter:innenklasse und Werktätigen zu kämpfen gehen unter Umständen viel schneller als wir uns das heute vorstellen können.

Wenn wir also nicht bei der nächsten revolutionären Krise in Deutschland wieder zu spät dran sein wollen, dann müssen wir anfangen, uns den strategischen Fragen zu stellen, die eine sozialistische Revolution in diesem Land aufwirft und die damit beginnen, die Grundlagen für ihre Beantwortung in der Praxis zu legen.

1Siehe zur Roten Ruhrarmee die umfassende Darstellung der KPD/AO: Erhard Lucas, „Märzrevolution 1920“, Band 1 bis 3, Verlag Roter Stern, 2. Auflage 1974

2„Die Besetzung des Ruhrgebietes und des Rheinlandes hat Deutschland der hauptsächlichsten lebenswichtigsten Grundlage seiner Wirtschaft beraubt: 80 Prozent der Eisen- und Stahlerzeugung und 71 Prozent der Kohlenförderung gingen verloren.“ Zitiert nach: A. Neuberg, „Der bewaffnete Aufstand – Versuch einer theoretischen Darstellung“, Reprint Europäische Verlagsanstalt 1971, S. 67.
Bei dem Text handelt es sich um das erstmals 1928 veröffentlichte illegale KI-Lehrbuch zum Aufstand, dass aus konspirativen Gründen in einer halblegalen Aufmachung erschien, tatsächlich aber die Erfahrungen der Militärexpert:innen der KI aus den militärischen Klassenkämpfen seit 1917 verallgemeinerte.

3„So betrug z.B. der Deckungssatz der Staatsausgaben durch Einnahmen im August 1923 1,8% (…)“, Angaben aus: Neuberg, „Der bewaffnete Aufstand“, ebd., S. 67

4Willy Bredel im Roman über Ernst Thälmann; zitiert nach: KPD/ML, „50 Jahre Hamburger Aufstand“, 1973, S. 20

5Neuberg, „Der bewaffnete Aufstand“, ebd., S. 67

6Neuberg, „Der bewaffnete Aufstand“, ebd., S. 68

7KPD/ML, „50 Jahre Hamburger Aufstand“, ebd., S. 23

8Erich Wollenberg in: „Der bewaffnete Aufstand“, Einleitung, ebd., S. VII

9Bernhard H. Bayerlein, Leonid G. Babicenko, Fridrich I. Firsov und Alexander Ju. Vatlin, „Deutscher Oktober – Ein Revolutionsplan und sein Scheitern“, Aufbau-Verlag 2003, S. 86

10„Geschichte der Militärpolitik der KPD (1918-1945)“, Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, 1987, S. 121f

11„Will man den Faschismus als politische Erscheinung kurz definieren, so könnte die Formulierung lauten: Der Faschismus ist die radikalste konterrevolutionäre (Kampf)partei in den Händen der Monopolbourgeoisie und damit die antagonistische Widerspiegelung der revolutionären Partei neuen Typs. Er tritt im Imperialismus in allen bürgerlichen Staaten in Erscheinung, von den führenden imperialistischen Ländern bis zu den (Neo)kolonien. Er mobilisiert Teile der unterdrückten Massen als Waffe zur Vernichtung der Kommunist:innen, der Zerschlagung der Arbeiter:innenbewegung sowie zur Errichtung der Weltherrschaft des eigenen Imperialismus in der zwischenimperialistischen Konkurrenz und den imperialistischen Kriegen. Dabei setzt er zugleich Triebkräfte in den unterdrückten Massen frei, die zur maximalen Radikalisierung des bürgerlichen Staates führen.“ Unsere Definition des Faschismus wird ausführlich hergeleitet in: „Faschismus – Terror, Funktion, Ideologie & antifaschistische Strategie“, Verlag Leo Jogiches, 1. Auflage Mai 2023, S. 12

12Neuberg, „Der bewaffnete Aufstand“, ebd., S. 69

13„Geschichte der Militärpolitik der KPD“, ebd., S. 129

14Die Forderungen lauten: „1. Sofortiger Rücktritt Cuno’s 2. Beschlagnahme der Lebensmittel zur Sicherung der Ernährung 3. Sofortige Anerkennung der Kontrollausschüsse 4. Sofortige Aufhebung des Verbots der proletarischen Hundertschaften 5. Sofortige Festsetzung eines Minimalstundenlohnes von 60 Friedenspfennigen für alle Arbeiter und Angestellten 6. Wiedereinstellung aller Arbeitslosen und Beschäftigung der Kriegsrentner zum vollen Lohn 7. Aufhebung des Demonstrationsverbotes und der Ausnahmeverordnung 8. Sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen“, zitiert nach: KPD/ML, „50 Jahre Hamburger Aufstand“, ebd., S. 26

15Zu Stalins skeptischer Haltung siehe: „Deutscher Oktober“, Dokument 5 Josef Stalin: Empfehlung an Grigrij Sinowjew zur Zurückhaltung der KPD, Moskau 7. August 1923, S. 99f

16Siehe dazu: „Deutscher Oktober“, Dokument 3 Sinowjew und Bucharin: Privatbrief an Heinrich Brandler und August Thalheimer mit einem Plädoyer für ein offensives Auftreten der KPD, 27. Juli 1923, S. 95ff

17Das Politbüro der Russischen Kommunistischen Partei (Bolschewiki) war das eigentliche Machtzentren der KPdSU und der Kommunisten Internationalen, auch wenn die dort getroffenen Beschlüsse in der Regel formell noch vom EKKI und dem ZK der KPD nachvollzogen wurden.

18„Deutscher Oktober“, Dokument 12, Politbüro der RKP(b), Beschluss zur Orientierung auf die Revolution in Deutschland und zur Einleitung konkreter Maßnahmen, Moskau 22. August 1923

19Alexander von Plato, „Zur Einschätzung der Klassenkämpfe in der Weimarer Republik: KPD und KOMINTERN, Sozialdemokratie und Trotzkismus“, Oberbaumverlag, Berlin 1973, S. 108, Hervorhebungen im Original. Plato war damals Mitglied im ZK der KPD bzw. KPD/AO. Der 23. August 1923 war das Datum des Beschlusses des Präsidiums der KI, bereits am 22. August hatte das Politbüro der RKP(b) in einer geheimen Sitzung seinen Beschluss gefasst.
Zur Richtigkeit dieser Einschätzung siehe auch Dokument 10 Konspekt über die Debatte des Politbüros des ZK der RKP(b) über die »deutsche Revolution« vom 21. August sowie Dokument 13 Beschluss des Präsidiums der Komintern für vorbereitende Maßnahmen zur »deutschen Revolution« vom 23. August 1923 und das bereits erwähnte Dokumente 12 in: „Deutscher Oktober“, ebd., S. 116 bis 132

20„Deutscher Oktober“, Dokument 41, Brief mit der Warnung vor einer Umsetzung der revolutionären Pläne in Deutschland, Amsterdam 19.10.1923, Zitate auf S. 230 bis 232

21„Deutscher Oktober“, Dokument 9, Josef Stalin, Anmerkungen zum Charakter und zu den Perspektiven der deutschen Revolution, Moskau 20. August 1923, ebd., S. 111f

22Siehe die stenografischen Protokolle der 3 Sitzungen in: „Deutscher Oktober“, Dokument 30, 32 und 34, ebd., S. 190 bis 210

23Siehe Instruktionen von Trozki an die Militärführung, „Deutscher Oktober“, Dokument 12 und 14, edb. S. 130 bis 134

24Der SPIEGEL, „Die Welt erobern“, 30.10.1995, zitiert nach Deutscher Oktober, ebd. S. 130

25„Deutscher Oktober“, Dokument 17, Leo Trotzki, Fragen an den Oberbefehlshaber der Roten Armee zu einer möglichen militärischen Okkupation Deutschlands, ebd., S. 138ff

26„Deutscher Oktober“, Dokument 35, Rundschreiben des ZK der RKP(b) an alle Gebietskörperschaften der KP und die nationalen kommunistischen Parteien zur Vorbereitung auf die deutsche Revolution, Moskau 9. Oktober 1923, ebd., S. 211 bis 214

27„Deutscher Oktober“, Dokument 43, Willi Münzenberg, Brief an die Zentrale der KPD über die Kampagne zur Brotversorgung in Sachsen, Dresden 20. Oktober 1923, ebd., S. 239 bis 241

28„Deutscher Oktober“, Dokument 31, Beschluss des Politbüros der RKP(b) zur Festsetzung des Revolutionstermins und Instruktionen an die Delegation nach Deutschland, Moskau, 4. Oktober 1923, ebd., S. 195ff. Diskutiert wurde sogar die Entsendung von Sinowjew und Trotzki nach Deutschland, was aber wegen den drohenden internationalen Verwicklungen im Falle ihrer Verhaftung verworfen wurde; siehe Punkt 6 des Dokuments.

29„Deutscher Oktober“, Dokument 31, Beschluss des Politbüros ebd., S, 197. Dort wird auch festgehalten, dass der Sonderfond auf 500.000 Goldrubel erhöht wird. Die Gesamtsumme der für die deutsche Revolution zur Verfügung gestellten Mittel ist unbekannt geblieben.

30T. Derbent, „Clausewitz und der Volkskrieg“, Zambon Verlag 2013, S. 133

31„Deutscher Oktober“, Dokument 15, Heinrich Brandler, Brief an die Exekutive der Komintern, Berlin 28. August 1923, ebd., S. 134 bis 137

32„Deutscher Oktober“, Dokument 27, Bericht an den Leiter der sowjetischen Militäraufklärung über die militärischen Vorbereitungen des bewaffneten Aufstandes, ebd., S. 184ff

33„Geschichte der Militärpolitik der KPD“, ebd., S. 126

34„Geschichte der Militärpolitik der KPD“, ebd., S. 125f

35„Deutscher Oktober“, Dokument 16, Josef Unszlicht: Mitteilung an Ossip Pjatnickij über seine geheime Mission für die GPU in Deutschland, ebd., S. 138

36Siehe dazu: „Lehren aus dem Roten Oktober“ und „1917-2017: Einhundert Jahre Revolutionäre Strategie“, Kommunismus 10, 11/2017, S. 8 bis 31

37„Deutscher Oktober“, Dokument 29, Karl Radek, Stellungnahme über die Festsetzung eines Termins für die Revolution, Moskau 1. Oktober 1923, ebd., S. 188f

38„Deutscher Oktober“, Dokument 27, Josef Unszlicht, Bericht Nr. 2 an den Leiter der sowjetischen Militäraufklärung über die militärischen Vorbereitungen des bewaffneten Aufstandes, Berlin, 29.09.1923, ebd., S. 184ff

39„Deutscher Oktober“, Dokument 51, Valdemar Roze, Bericht über die militärische und organisatorische Vorbereitung des Aufstands in Deutschland, Berlin, 28.10.1923, ebd., S. 274 bis 279

40Siehe dazu: Sinowjew, „Der Oktoberrückzug und die Lage der KPD. Rede in der Sitzung der Exekutive der Komintern“, Januar 1924. Internationale Pressekorrespondenz, Nr. 37 vom 24. März 1924, S. 424; zitiert nach „Deutscher Oktober“, ebd., S. 27

41Roze, ebd., S. 279

42Siehe dazu: Friedrich Engels, „Revolution und Konterrevolution in Deutschland“, MEW 8, S. 95

43(A. Neuberg), Hans Kippenberger, M.N. Tuchatschewski, Ho Chi Minh, „Der bewaffnete Aufstand – Versuch einer theoretischen Darstellung“, Eingeleitet von Erich Wollenberg, Nachdruck Europäische Verlagsanstalt 1971, Einleitung S. IX. Diese Darstellung von Wollenberg wird auch durch den Bericht von Grigorij Sklovskij vom 30. Oktober bestätigt, wo er schreibt: „Zu meinem Erstauen habe ich jetzt erfahren, dass am Sonnabend, als die Zentrale in Sachsen ihren Beschluß über den Aufstand gefaßt hatte, ihre Boten in alle Richtungen in Marsch setzte, nicht nur nach Hamburg. Während die anderen Orte jedoch bald Rückzugsbefehle erhielten, war das für Hamburg aus irgendeinem Grunde nicht der Fall.“ Zitiert nach: „Deutscher Oktober“, Dokument 56, Berlin 30.10.1923, ebd. S. 289

44Alexander von Plato, „Zur Einschätzung der Klassenkämpfe in der Weimarer Republik: KPD und KOMINTERN Sozialdemokratie und Trotzkismus“, Oberbaumverlag Berlin, 1. Auflage Juli 1973, S. 113

45Die Details werden von Erich Wollenberg in der Einleitung schlüssig dargelegt, „Der bewaffnete Aufstand“, ebd., S. IX bis XI

46 „Geschichte der Militärpolitik der KPD“, ebd., S. 130

47„Deutscher Oktober“, Dokument 50, ebd., S. 270

48Hugo Urbahns war als Politischer Obersekretär Teil der Militär-Politischen Oberleitung (MPO) Nord-West-Deutschland, also eines der fünf gebildeten regionalen Aufstandskommites, wie Erich Wollenberg angibt, „Der bewaffnete Aufstand“, ebd., S. X

49Larissa Reissner, „Hamburg auf den Barrikaden“, ebd., S. 476

50Ernst Thälmann, Ausgewählte Reden und Schriften in zwei Bänden, Band 1, Verlag Marxistische Blätter, 1976, Seite 69 ff.

51Larissa Reissner, „Hamburg auf den Barrikaden“, in: Oktober Ausgewählte Schriften, Republikanische Bibliothek Athenäum Verlag 1979 nach der Erstausgabe von 1925, S. 462 bis 464

52Geschichte Militärpolitik KPD, ebd., S. 135

53Sinowjew in: „Die Kommunistische Internationale“, Nr. 31-32, 1924, S. 218 und 215; zitiert nach: Plato, „KPD und KOMINTERN“, ebd., S. 113

54Larissa Reissner, „Hamburg auf den Barrikaden“, Kapitel Porträts Teil 3. Das 18. Jahrhundert, die Freude des Lebens und der Aufstand, ebd., S. 468 bis 472

55So schreibt Grigorij Sklovskij, der sowjetische Konsul in Hamburg in seinem Bericht vom 27. Oktober 1923: „Die Polizei trug die Hauptlast des Kampfes gegen die Kommunisten. Unter den Polizisten gab es gewaltige Opfer. Die offizielle Liste führt etwa 100 Menschen auf, in Wirklichkeit war die Zahl jedoch viel größer. (…) Dennoch gibt es unter den Polizisten viele, die mit uns sympathisieren. Zum Beispiel nehmen sie trotz vorliegendem Haftbefehl weder Thälmann noch U[rbahns] fest und salutieren auf der Straße, wenn sie ihnen begegnen.“, „Deutscher Oktober“, Dokument 50, ebd., S. 271

56„Deutscher Oktober“, Dokument 50, ebd., S. 270

57Hans Kippenberger, „Der bewaffnete Aufstand“, ebd., S. 92

58Kippenberger, „Der bewaffnete Aufstand“, ebd., S. 93; Hervorhebung von uns

59Erich Wollenberg, „Der bewaffnete Aufstand“, Einleitung Seite XI

60ZK der KPD/ML, „50 Jahre Hamburger Aufstand 1923 – 1973“, Verlag Roter Morgen, 1973, S. 68

61„Lehren aus dem Roten Oktober“, Kommunismus Nr. 10, S. 12

62Siehe dazu z.B. „Revolutionärer Optimismus und Kommunistische Moral“, Kommunismus 24, 01/2023 und „Revolutionäres Denken, Fühlen, Handeln“, Kommunismus 11, 03/2018

63Sun Tsu, Über die Kriegskunst, marix Verlag, 2005, S. 41

64Larissa Reissner, „Hamburg auf den Barrikaden“, ebd. S. 475f