Entwicklung, Grundzüge & antirevisionistischer Kampf

Dass das Wort „Revisionismus“ nichts Gutes bedeutet, ist schnell jedem klar, der sich in der kommunistischen Bewegung herumtreibt. Bernstein, Tito und Chruschtschow sind Namen, die beispielhaft für den Verrat an den Prinzipien des wissenschaftlichen Sozialismus und die Theoretisierung dieses Verrats – eben den Revisionismus – stehen. Doch was verstehen wir genau unter Revisionismus? Was unterscheidet und was verbindet ihn mit anderen Strömungen in der Arbeiter:innenbewegung wie z.B. dem kleinbürgerlichen, utopischen Sozialismus vor Marx und Engels, der zwischen Reform und Revolution schwankt? Welche historische Entwicklung hat er genommen? Was ist „moderner“ Revisionismus? Wieso ist die Beibehaltung marxistischer Begriffe bei Umdeutung ihres Inhalts durch bürgerliche Positionen so zentral für den modernen Revisionismus und dessen Verständnis? Und welche Grundlage hat die Entstehung des Revisionismus in den Klassenverhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft? Auf diese und andere Fragen wollen wir in dem vorliegenden Artikel eingehen.

Marxismus und kleinbürgerlicher Sozialismus

Die kommunistische Bewegung in Deutschland ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Ihre Entstehung ist untrennbar mit den Namen von Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) verknüpft, die den Kommunismus theoretisch begründeten und mit den ersten kommunistischen Arbeiterorganisationen mit aufbauten. Mit dem wissenschaftlichen Sozialismus arbeiteten sie das theoretische Fundament des Kommunismus heraus und verwandelten ihn aus einer utopischen Vorstellung radikaler Intellektueller und Arbeiter:innen in eine Wissenschaft. Sie arbeiteten heraus, dass die Notwendigkeit des Sozialismus und des Kommunismus aus der materiellen Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft heraus entsteht, und dass das Proletariat diejenige Klasse ist, die dazu bestimmt ist, den Sozialismus in einer Revolution gegen die bürgerliche Gesellschaft zu erkämpfen und die Diktatur des Proletariats zu errichten. Marx und Engels begründeten in der Praxis mit dem „Bund der Kommunisten“ die erste revolutionäre Organisation des Proletariats, und schufen mit der Internationalen Arbeiterassoziation (1864 – 1876) auch die erste Vorläuferin der revolutionären Weltpartei.

Im Kommunistischen Manifest (1848), dem ersten kommunistischen Programm, gingen Marx und Engels auf Sozialismusvorstellungen und -strömungen ein, die sich in anderen Klassen als dem Proletariat entwickelt hatten bzw. die Interessen dieser Klassen ausdrückten. Dazu zählte auch der kleinbürgerliche Sozialismus, der die Interessen der zwischen Bourgeoisie und Proletariat stehenden Schichten der bürgerlichen Gesellschaft widerspiegelte: „In den Ländern, wo sich die moderne Zivilisation entwickelt hat, hat sich eine neue Kleinbürgerschaft gebildet, die zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie schwebt und als ergänzender Teil der bürgerlichen Gesellschaft stets von neuem sich bildet, deren Mitglieder aber beständig durch die Konkurrenz ins Proletariat hinabgeschleudert werden (…)“.1

Diese kleinbürgerlichen Schichten sind politisch durch ein Schwanken zwischen Bourgeoisie und Proletariat gekennzeichnet: zwischen dem Kampf gegen die Auswirkungen des Kapitalismus und der Verteidigung seiner Grundlagen, zwischen der Feindschaft gegenüber dem Großkapital bei gleichzeitigem Festhalten an Privateigentum, Warenproduktion und bürgerlichem Staat. Für den kleinbürgerlichen Sozialismus ist es dementsprechend charakteristisch, ein bisschen Sozialismus, jedoch mit allen Vorzügen des Kapitalismus anzustreben. Das heißt nur die Nachteile des Kapitalismus für das Kleinbürger:innentum abzulehnen und vor der „Permanenzerklärung“ der Revolution,2 der dauerhaften Revolutionierung aller gesellschaftlichen Verhältnisse zur Vernichtung aller Klassengegensätze zurückzuschrecken: „In Ländern wie in Frankreich, wo die Bauernklasse weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, war es natürlich, daß Schriftsteller, die für das Proletariat gegen die Bourgeoisie auftraten, an ihre Kritik des Bourgeoisregimes den kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Maßstab anlegten und die Partei der Arbeiter vom Standpunkt des Kleinbürgertums ergriffen. Es bildete sich so der kleinbürgerliche Sozialismus. (…)

Dieser Sozialismus zergliederte höchst scharfsinnig die Widersprüche in den modernen Produktionsverhältnissen. Er enthüllte die gleisnerischen Beschönigungen der Ökonomen. Er wies unwiderleglich die zerstörenden Wirkungen der Maschinerie und der Teilung der Arbeit nach, die Konzentration der Kapitalien und des Grundbesitzes, die Überproduktion, die Krisen, den notwendigen Untergang der kleinen Bürger und Bauern, das Elend des Proletariats, die Anarchie in der Produktion, die schreienden Mißverhältnisse in der Verteilung des Reichtums, den industriellen Vernichtungskrieg der Nationen untereinander, die Auflösung der alten Sitten, der alten Familienverhältnisse, der alten Nationalitäten.

Seinem positiven Gehalte nach will jedoch dieser Sozialismus entweder die alten Produktions- und Verkehrsmittel wiederherstellen und mit ihnen die alten Eigentumsverhältnisse und die alte Gesellschaft, oder er will die modernen Produktions- und Verkehrsmittel in den Rahmen der alten Eigentumsverhältnisse, die von ihnen gesprengt werden, gesprengt werden mußten, gewaltsam wieder einsperren. In beiden Fällen ist er reaktionär und utopisch zugleich.“ 3

Dieser kleinbürgerliche Sozialismus war auch in der frühen deutschen Arbeiter:innenbewegung verbreitet und kam etwa in den Positionen von Ferdinand Lassalle (1825 – 1864) und des von ihm 1863 gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverbands (ADAV) zum Ausdruck. Der ADAV als erste Massenpartei der deutschen Arbeiter:innenbewegung ging von einer Reformierbarkeit des Kapitalismus und seines Staates aus. Statt der revolutionären Überwindung des Kapitalismus und dem Aufbau der Diktatur des Proletariats traten die Anhänger:innen Lassalles für einen „freien Staat“, eine „gerechte Verteilung der Arbeitsprodukte“, für Produktivgenossenschaften und ihre Förderung durch Staatskredite ein, um so den Kapitalismus zu begrenzen und in die Knie zu zwingen. Marx und Engels kritisierten es scharf, als sich der revolutionäre Flügel der Arbeiter:innenbewegung in Gestalt der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) 1875 mit dem ADAV vereinigte und dabei viele der falschen, kleinbürgerlichen Positionen Lassalles übernahm4.

Jenseits von Deutschland war Pierre-Joseph Proudhon (1809 -1865) der wichtigste Vertreter des kleinbürgerlichen Sozialismus, gegen den Marx ebenfalls in vielen Artikeln und Büchern polemisierte. Auf Proudhon, der für ein „gerecht“ verteiltes Kleineigentum eintrat, berufen sich heute noch viele Vertreter:innen des Anarchismus.

Imperialismus, Arbeiteraristokratie und Reformismus

Das Werk von Marx und Engels wurde später in Russland von Lenin (1870-1924) aufgegriffen und weiterentwickelt, der mit der Lehre von der Partei neuen Typs das Verständnis über die notwendige Organisationsform für die proletarische Revolution vertiefte, das ebenfalls schon von Marx und Engels begründet worden war. Lenin zeigte auch, dass sich der Kapitalismus zum Beginn des 20. Jahrhunderts weiterentwickelt hatte und ein neues Stadium, den Imperialismus, den Kapitalismus der Monopole, angenommen hatte. In den fortgeschrittensten Ländern des Kapitalismus entstand unter diesen Bedingungen eine privilegierte Schicht innerhalb der Arbeiter:innenklasse, die Arbeiteraristokratie, die vom Kapital mit Teilen der Extraprofite aus der Ausbeutung der Kolonien bestochen wurde: „England, Frankreich, die Vereinigten Staaten und Deutschland –, dieses Häuflein Länder hat Monopole in unermeßlichen Ausmaßen entwickelt, bezieht einen Extraprofit in Höhe von Hunderten Millionen, wenn nicht von Milliarden, saugt die anderen Länder, deren Bevölkerung nach Hunderten und aber Hunderten Millionen zählt, erbarmungslos aus und kämpft untereinander um die Teilung der besonders üppigen, besonders fetten, besonders bequemen Beute. (…) Die Bourgeoisie einer imperialistischen ‚Groß‘macht ist ökonomisch in der Lage, die oberen Schichten ‚ihrer‘ Arbeiter zu bestechen und dafür ein- oder zweihundert Millionen Francs im Jahr auszuwerfen …“5

Der Imperialismus trieb die Widersprüche des Kapitalismus auf die Spitze, steigerte die Ausbeutung einer Mehrheit unterdrückter Nationen durch die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder immer mehr, setzte den antikolonialen Befreiungskampf gegen die Imperialisten auf die Tagesordnung und führte gesetzmäßig zu Kriegen um die Neuaufteilung der Welt zwischen den kapitalistischen Ländern. Währenddessen gingen die Arbeiteraristokratie und ihre politischen Vertreter:innen auf die Seiten des Imperialismus über, predigten den Kampf um Reformen statt der proletarischen Revolution, schrieben sich im imperialistischen Krieg die Verteidigung des bürgerlichen Nationalstaats an der Seite der eigenen Bourgeoisie auf die Fahnen und machten sich damit zur Agentur der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiter:innenbewegung. Lenin analysierte dazu: „Tatsache ist, daß ‚bürgerliche Arbeiterparteien‘ als politische Erscheinung schon in allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern entstanden sind; daß ohne entschiedenen, schonungslosen Kampf auf der ganzen Linie gegen diese Parteien – oder auch Gruppen, Richtungen usw. – weder von einem Kampf gegen den Imperialismus noch von Marxismus, noch von einer sozialistischen Arbeiterbewegung die Rede sein kann.“6

Die theoretischen Vertreter:-innen dieses Flügels innerhalb der Arbeiter:innenbewegung waren zu Zeiten Lenins dazu übergegangen, den proletarischen Sozialismus erst zum kleinbürgerlichen Sozialismus zurückzuentwickeln und zu behaupten, mit der Weiterentwicklung des Kapitalismus sei dieser reformierbar geworden. Schließlich ging die Zweite Internationale (gegründet 1889) mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 offen auf die Seite der imperialistischen Bourgeoisie über.

Viele der theoretischen Vertre-ter:innen des Reformismus in der Arbeiter:innenbewegung bedienten sich dabei weiter der Sprache und auch der Begriffe des Marxismus, deren Inhalt sie jedoch ins Gegenteil verkehrten und durch bürgerliche Positionen ersetzten. Zum Beispiel behaupteten sie, der „orthodoxe Marxismus“ müsse durch einen „moderneren“ Marxismus ersetzt werden, der jedoch in Wahrheit bürgerlicher Antimarxismus war. Sie wollten den Marxismus nicht weiterentwickeln, ihn nicht auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen anwenden – wie Lenin es z.B. getan hat – sondern ihn in seinen Grundpositionen revidieren: Nämlich in den Fragen der Revolution und der Diktatur des Proletariats. Folglich sprechen wir bei dieser theoretischen Strömung vom Revisionismus. Im engeren Sinne fassen wir darunter den klassischen Revisionismus, wie ihn Eduard Bernstein entwickelt hat, sowie den modernen Revisionismus, dessen bekannteste Vertreter Chruschtschow, Tito, Browder und andere frühere Kommunist:innen gewesen sind.

Die Entstehung des klassischen Revisionismus

Als offene theoretische Strömung in der Arbeiter:innenbewe-gung war der klassische Revisionismus bereits am Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland auf den Plan getreten. Sein wichtigster Vertreter war Eduard Bernstein (1850-1932). Die Sozialdemokratische Partei als politische Organisation der Arbeiter:innenbewegung war damals zwar unter dem Druck der Illegalisierung durch die Sozialistengesetze ab 1878 nach links gerückt und hatte sich organisatorisch gefestigt. Sie blieb jedoch ein Sammelbecken, das neben einem revolutionären Flügel den kleinbürgerlichen Sozialismus als Strömung mit umfasste. Auch Bernstein gehörte dieser Strömung an und verwarf zusammen mit anderen Sozialdemokraten das Ziel der Schaffung einer sozialistischen Gesellschaft. In einem anonymen Text führte Bernstein gemeinsam mit seinen Mitstreitern Karl Höchberg und Carl August Schramm 1879 aus, dass es ihrer Meinung nach keinen Sinn mache, dass die Partei ein „Zukunftsland“ male, solange nicht alle mit diesem Zug „bis zu Ende reisen wollen und es vorziehen, von Station zu Station sich vorwärts zu bewegen“ 7: „Die Partei zeigt gerade jetzt unter dem Druck des Sozialistengesetzes, daß sie nicht gewillt ist, den Weg der gewaltsamen, blutigen Revolution zu gehen, sondern entschlossen ist (…) den Weg der Gesetzlichkeit, d.h. der Reform zu beschreiten.“ 8 Später brachte er seine reformistische Position mit dem berüchtigten Satz „Die Bewegung ist alles, das Endziel ist nichts.“ auf den Punkt.9

In der Zeit der Sozialistengesetze und zu Lebzeiten von Marx und Engels, die eine hohe Autorität in der Arbeiter:innenbewegung genossen und scharf gegen solche Positionen eintraten, ordnete sich Bernstein der linken Parteiführung zunächst unter und konnte dafür weiter für die Parteizeitung arbeiten. Später, nach dem Tod von Marx und Engels, vertrat er seine reformistischen Positionen dann offensiv, so etwa in den Schriften „Probleme des Sozialismus“ (1897), „Stellungnahmen zum Parteitag der Sozialdemokratie“ (1898) sowie „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“ (1899). Darin entwickelte er die Auffassung, dass die veränderte Situation infolge der Entwicklung des Industriekapitalismus in Deutschland eine vollständige Revision des Marxismus erfordere, zu einer neuen, antimarxistischen Theorie, dem Revisionismus, wobei er die Begrifflichkeiten des Marxismus gegen diesen verwendete.

Konkret erklärte Bernstein etwa den dialektischen Materialismus, die philosophische Grundlage des Marxismus, zu einer Privatsache von Marx und Engels und bestritt insbesondere die Erkenntnisse des historischen Materialismus, darunter etwa den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Basis und Überbau: „Die Wissenschaften, die Künste, eine größere Reihe sozialer Beziehungen sind heute viel weniger von der Ökonomie abhängig, als zu irgendeiner früheren Zeit.“ 10 Er lehnte nicht nur die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution ab, sondern bestritt in der Schrift „Der Klassenkampf als Dogma und die Wirklichkeit“ (1900) sogar, dass es überhaupt Klassen gäbe.

Bernsteins Positionen wurden innerhalb der Partei unter anderem von Rosa Luxemburg (1871 – 1919) in der Schrift „Sozialreform oder Revolution“ (1899) heftig angegriffen.11 Für eine organisatorische Trennung vom reformistischen Parteiflügel fehlte es den Kommunist:innen innerhalb der SPD jedoch an Konsequenz – ein Umstand, den Lenin immer wieder heftig kritisierte. Neben der Parteirechten um Bernstein und der Linken um Genoss:innen wie Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Karl Liebknecht bestand innerhalb der SPD noch ein zentristischer Flügel um Personen wie August Bebel (1840 – 1913), der die SPD von 1892 bis zu seinem Tod 1913 als Vorsitzender anführte, und Karl Kautsky (1854 – 1938), den damals prominentesten Theoretiker der internationalen Arbeiter:innenbewegung.

Kautsky wies zwar viele der Positionen Bernsteins zurück, tat dies jedoch nur halbherzig, näherte sich der Rechten später immer mehr an und ging selbst vom Marxismus zum Opportunismus über.

Bernsteins Theorie des Revisionismus markiert den Übergang vom kleinbürgerlichen Sozialismus zum Reformismus und Revisionismus als einer politischen Erscheinung des Imperialismus:

Der kleinbürgerliche Sozialismus bringt die zum Teil revolutionären Interessen nicht-proletarischer Klassen nach der Überwindung kapitalistischer Verhältnisse zum Ausdruck. Er ist daher trotz seiner utopischen Züge in der Regel Teil des revolutionären politischen Lagers. In revolutionären Situationen kann er jedoch auch Teil des bürgerlichen, konterrevolutionären Lagers werden, insofern er sich gegen notwendige Maßnahmen zur Errichtung und Festigung der Diktatur des Proletariats wendet. Der Revisionismus ist dagegen immer Teil des konterrevolutionären Lagers – und zwar insofern er die Interessen bestimmter Schichten und Klassen an der Verhinderung der Revolution und einer Anpassung der „bürgerlichen Arbeiterpartei“ (Lenin) an den Imperialismus zum Ausdruck bringt.

Bestand die soziale Basis des Reformismus zu Beginn von Bernsteins Wirken noch vor allem in kleinbürgerlichen Schichten, bildete sich bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland die von Lenin später beschriebene Arbeiteraristokratie heraus. Genau dieses Zusammenwirken der theoretischen Ausarbeitung des Revisionismus und des Heranwachsens einer privilegierten Schicht innerhalb der Arbeiter:innenklasse als seiner neuen sozialen Basis machte den Revisionismus so gefährlich. Das lag jedoch vor allem an der besagten Inkonsequenz der Linken und an der Existenz eines zentristischen Flügels, der zwischen Marxismus und Revisionismus hin- und herschwankte: Bernsteins Positionen wurden in ihrer offenen, ausgearbeiteten Form zwar auf verschiedenen Parteitagen der SPD mit großen Mehrheiten zurückgewiesen. Doch gerade vermittels des schwankenden Zentrums und der Nachlässigkeit der Linken konnten sich Versatzstücke von Bernsteins Ideen weit über dessen eigentliche Anhänger:innen hinaus in der Sozialdemokratie verbreiten, vor allem aber durch Zugeständnisse an die Revisionist:innen um der „Einheit der Partei“ willen Einzug in die politische Praxis halten. Auf diese Art konnte der Revisionismus in der Sozialdemokratie immer mehr gedeihen – bis sich die Partei völlig auf den Reformismus einschwor, ihre Theorie der opportunistischen Praxis anpasste und bei Weltkriegsbeginn 1914 offen auf die Seite des deutschen Imperialismus überging.12

Nicht umsonst richtete Lenin seine Angriffe in der ideologischen Auseinandersetzung mit dem Reformismus später vor allem gegen das schwankende Zentrum, etwa in Gestalt Kautskys: „Wir haben nicht den geringsten Grund zur Annahme, daß diese Parteien [die bürgerlichen Arbeiterparteien] vor der sozialen Revolution verschwinden können. Im Gegenteil, je näher wir dieser Revolution sein werden, je machtvoller sie entbrennen wird, je schroffer und heftiger die Übergänge und Sprünge im Prozeß der Revolution sein werden, eine um so größere Rolle wird in der Arbeiterbewegung der Kampf des revolutionären Stroms, des Stroms der Massen gegen den opportunistischen, den kleinbürgerlichen Strom spielen. Das Kautskyanertum ist keine selbständige Strömung, denn es wurzelt weder in den Massen noch in der zur Bourgeoisie übergegangenen privilegierten Schicht. Gefährlich ist das Kautskyanertum deshalb, weil es unter Ausnutzung der Ideologie der Vergangenheit bemüht ist, das Proletariat mit der ‚bürgerlichen Arbeiterpartei‘ zu versöhnen, die Einheit des Proletariats mit ihr durchzusetzen und dadurch die Autorität der ‚bürgerlichen Arbeiterpartei‘ zu heben.“ 13

Die russischen Bolschewiki hatten den notwendigen organisatorischen Bruch mit den reformistischen Menschewiki bereits 1912 endgültig vollzogen. Damit hatten sie die Voraussetzungen für den Aufbau einer gestählten revolutionären Kampfpartei geschaffen. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) war es schließlich, die das russische Proletariat 1917 erfolgreich zur sozialistischen Revolution führte, die Diktatur des Proletariats errichtete und mit Sowjetrussland den ersten Arbeiter:innenstaat der Welt schuf. Nach dem Sieg der Bolschewiki im russischen Bürgerkrieg 1922 wurde die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) gegründet.

Kommunistische Weltbewegung und Trotzkismus

Als Antwort auf den Verrat der Zweiten Internationale bei Kriegsbeginn 1914 verließen zahlreiche revolutionäre Kräfte und andere Kriegsgegner:innen der kapitalistischen Länder schließlich ebenfalls die sozialdemokratischen Sammlungsparteien und gründeten neue Parteien. So taten es auch die deutschen Revolutionär:innen um Rosa Luxemburg, die sich ab 1917 erst – gemeinsam mit den zentristischen Kriegsgegner:innen – in der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) organisierten, bis sie schließlich im Zuge der Novemberrevolution 1918/19 den notwendigen Schritt der organisatorischen Trennung vom Reformismus durchführten und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) schufen.

Kurz darauf, mitten in den revolutionären Kämpfen in Europa, die neben Deutschland auch Italien, Ungarn und andere Staaten ergriffen, wurde auf Initiative der russischen Bolschewiki – die sich mittlerweile in Kommunistische Partei Russlands (Bolschewiki) umbenannt hatten – im März 1919 in Moskau die Kommunistische Internationale (KI) gegründet. Während die Kommunist:innen in Russland unter Lenin und – nach dessen Tod – Stalin (1878 – 1953) für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft kämpften, war es das Ziel der KI als der kommunistischen Weltpartei, die proletarische Revolution von Russland auf andere Staaten, darunter insbesondere die Staaten Europas und China, auszuweiten.

Die Bolschewiki um Lenin und Stalin und die Kommunist:innen in den nationalen Sektionen der KI sahen sich dabei von verschiedenen Seiten Angriffen aus den eigenen Reihen ausgesetzt. In Sowjetrussland selbst formierte Leo Trotzki (1879-1940) eine Opposition gegen die Parteiführung der Bolschewiki.14 Trotzki und Lenin hatten schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Frage der zu schaffenden revolutionären Partei auseinander gelegen. Während Lenin für die konsequente organisatorische Trennung vom Reformismus eintrat, nahm Trotzki eine zentristische Position zwischen Bolschewiki und Menschewiki – ähnlich der von Kautsky – ein.

Nach Lenins Tod wandte sich Trotzki dann vor allem gegen die Politik der Bolschewiki gegenüber der russischen Bauernschaft: Damit das russische Proletariat nach der Revolution, dem anschließenden Bürgerkrieg (1917- 1922) und der Intervention durch die imperialistischen Staaten den sozialistischen Wiederaufbau der russischen Wirtschaft im Bündnis mit der Bauernschaft durchführen konnte, hatte die KP Russlands noch unter Lenin die Neue Ökonomische Politik (NÖP) eingeschlagen. Dabei ließ der sozialistische Staat auf dem Land die Warenproduktion und den freien Handel der Bäuer:innen mit ihren Produktionsüberschüssen zu, um sie am Ergebnis ihrer Arbeit materiell zu interessieren und damit die Produktion zu steigern. Dies führte notwendig zur Ausdifferenzierung der Bauernschaft, zur Herausbildung reicher Bäuer:innen (Kulaken) und zur erneuten Entstehung von Ausbeutungsbeziehungen auf dem Land, der jedoch durch die sozialistische Führung des Landes Grenzen gesetzt waren. Diese Klassengegensätze auf dem Land sollten in einer späteren Phase durch die Kollektivierung der Landwirtschaft wieder beseitigt werden, an der die armen und mittleren Bäuer:innen infolge der klassenmäßigen Ausdifferenzierung ein materielles Interesse herausbilden würden. Die Politik der Kollektivierung der Landwirtschaft wurde unter Stalin ab 1928 umgesetzt und bis 1933 erfolgreich beendet, sodass die sozialistischen Produktionsverhältnisse nun auch das Land und damit die gesamte sowjetische Wirtschaft umfassten.

Trotzki und seine Anhänger:-innen kämpften während der gesamten 1920er und 30er Jahre gegen diese Politik der Bolschewiki, wobei sie eine widersprüchliche Haltung einnahmen. Während der Phase der Neuen Ökonomischen Politik Mitte der 1920er Jahre trat Trotzki etwa für eine schnelle Kollektivierung der Landwirtschaft ein – was unter den damaligen Umständen notwendigerweise zum Bruch zwischen dem Proletariat und weiten Teilen der mittleren und armen Bauernschaft geführt und damit die politische Grundlage des sozialistischen Staates untergraben hätte.

Als die KPdSU unter Stalin 1928 schließlich den Kurs auf die Kollektivierung der Landwirtschaft einnahm, opponierten die Trotzkist:innen hiergegen und verbündeten sich zu diesem Zweck mit der Parteirechten um Nikolai Bucharin (1888 – 1938), die eine versöhnlerische Ausrichtung gegenüber den Kulaken vertrat. Trotzki hatte seine Auffassungen in der KPdSU nicht durchsetzen können und konspirativ gegen die Parteiführung gearbeitet. Deshalb war er bereits 1927 aus der Partei ausgeschlossen worden und zwei Jahre später ins Exil gegangen. Von dort aus koordinierte er den Kampf der Trotzkist:innen und ihrer Bündnispartner gegen die Kommunistische Partei, der u.a. Sabotageakte, politische Morde und andere konterrevolutionäre Gewaltakte einschloss.15 Auch in den nationalen Sektionen der KI und den sozialdemokratischen Parteien versuchten die Trotzkist:innen zum Teil eigene Fraktionen aufzubauen. 1938 gründeten trotzkistische Organisationen in Paris die „Vierte Internationale“, die sich den Kampf gegen den „Stalinismus“ zum Ziel setzte. Die Trotzkist:innen schafften es niemals große, schlagkräftige Organisationen auf Grundlage ihrer eigenen Programmatik aufzubauen, konnten jedoch in den Jahrzehnten nach ihrer Entstehung einen beträchtlichen ideologischen Einfluss vor allem unter kleinbürgerlichen Intellektuellen erzielen.

Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Trotzkist:innen für sich in Anspruch nehmen, Marxist:innen zu sein, dabei jedoch in Wahrheit für einen Zentrismus zwischen Reformismus und Kommunismus stehen. Dieser erlaubt es, sich scheinbar als „Revolutionär“ zu bezeichnen, ohne dabei auch die unbequemen Konsequenzen der Revolution etwa bezüglich der revolutionären Kader:innenpartei oder der Erschwernisse beim sozialistischen Aufbau ziehen zu müssen. Trotzkismus und Revisionismus sind also eng verwandt: Der Trotzkismus erkennt die Diktatur des Proletariats zwar abstrakt, in Worten, an, hat sich historisch, bei den konkreten Versuchen zu ihrer Umsetzung aber gegen sie gerichtet. In der Organisationsfrage nimmt er wiederum eine zentristische Position zwischen Bolschewismus und Menschewismus ein.16

Rechtsentwicklung der kommunistischen Weltbewegung ab den 1930er Jahren

Neben dem Trotzkismus sah sich die kommunistische Weltbewegung in den 1920er und 30er Jahren noch weiteren Angriffen in den verschiedenen nationalen Sektionen ausgesetzt. Dabei spielte der Zentrismus, die schwankende Haltung gegenüber dem Reformismus, eine besonders verheerende Rolle.

Ebenso wie in Deutschland hatten sich auch die Kommunist:innen anderer westeuropäischer Länder wie Frankreich, Italien und England erst spät und zum Teil nur inkonsequent vom reformistischen Flügel der Arbeiter:innenbewegung getrennt. Die Kommunistische Partei Frankreichs etwa gründete sich erst 1920 nach der Abspaltung von der französischen Sektion der Zweiten Internationale. Die KP Italiens vollzog diesen Schritt 1921. Im Vereinigten Königreich, das überhaupt keine Tradition organisierter revolutionärer Kräfte aufwies, gründete sich die Kommunistische Partei als nationale Sektion der KI im Jahr 1920.

Ebenso wie die KPD brachten all diese Parteien starke sozialdemokratische Erblasten in politischer und organisatorischer Hinsicht mit sich. Dies schloss unter anderem einen weitgehend legalistischen Aufbau der Parteiorganisationen ein, eine schematische Trennung von politischer und gewerkschaftlicher Arbeit sowie eine starke Fixierung auf die parlamentarische Arbeit.17 Diese reichte bis zur Ausrichtung auf eine Regierungsbeteiligung in bürgerlich-demokratischen Staaten. Passend dazu wiesen alle westeuropäischen Parteien immer wieder starke Schwankungen in ihrem Verhältnis zur Sozialdemokratie auf, die nicht als Agentur der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiter:innenbewegung, sondern gegen jegliche praktische Erfahrung immer wieder als potentieller Bündnispartner der Kommunist:innen betrachtet wurde. Dies wirkte sich besonders verheerend aus, als der Kapitalismus nach einer Phase der relativen Stabilisierung Mitte der 1920er Jahre ab 1929 wieder in eine schwere Krise geriet. Damals waren es sozialdemokratische Parteien, die in Deutschland und anderen Ländern die Angriffe des Kapitals gegen die Arbeiter:innenklasse als erste mit umsetzten, wie etwa die materielle Umverteilung von unten nach oben oder das Verbot revolutionärer Organisationen (z.B. des Rotfrontkämpferbundes in Deutschland).

Die Kommunistische Internationale hatte diese Entwicklung bei ihrem VI. Weltkongress im Jahr 1928 bereits vorhergesehen und die Ausrichtung eines offensiven Kampfes gegen den sozialdemokratischen Einfluss in der Arbeiter:innenbewegung zum Zweck des Kampfes um die sozialistische Revolution beschlossen. Bereits bei diesem Weltkongress sah sich die KI genötigt, „Schwankungen der rechten Gruppen in einer Reihe Sektionen“ gegenüber dem Reformismus zu verurteilen. Der Kongress bestätigte auch das Eingreifen des Exekutivkomitees der KI in die Politik der französischen und englischen Sektion.18 Die französischen Kommunist:innen hatten zuvor ein Wahlbündnis mit den Sozialisten angestrebt, während die englischen Kommunist:innen bis dahin noch innerhalb der Labour Party gearbeitet und sich dort auf den Kampf gegen die konservative Baldwin-Regierung konzentriert hatten (bevor die Labour-Party 1929 selbst die Regierung übernahm).

Diese politische Ausrichtung der KI19 änderte sich nach dem Scheitern der revolutionären Offensive in Deutschland und dem Machtantritt des Hitlerfaschismus im Jahr 1933. Da sich mit der Niederlage der deutschen Kommunist:innen die Perspektive auf die Fortführung der Weltrevolution in Europa auf unbestimmte Zeit zerschlagen hatte, schlug die kommunistische Weltbewegung in den 1930er Jahren einen defensiven Kurs ein, der die Verteidigung der Sowjetunion und das Zurückdrängen des Faschismus in Europa zum Ziel hatte. Zu diesem Zweck beschloss der VII. Weltkongress der KI im Jahr 1935 die Orientierung auf Einheitsfronten auch mit den Führungen der Sozialdemokratie und die Bildung von antifaschistischen Volksfrontbündnissen unter Einschluss bürgerlich-demokratischer Parteien, die bis zur Bildung gemeinsamer Regierungen gehen sollten. Darüber hinaus orientierte der Kongress auf die Vereinigung von kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien zur „einheitlichen Partei des Proletariats“.20 Die kommunistischen Parteien sollten „entschlossen und zuversichtlich die Initiative der Durchführung dieser Vereinigung in ihre Hand nehmen“.21

Für die Ausrichtung auf die Bildung von Einheitsparteien wurden zwar eine Reihe von Bedingungen definiert, darunter der „vollständige Verzicht der Sozialdemokratie auf den Block mit der Bourgeoisie“ und die „Anerkennung der Notwendigkeit des revolutionären Sturzes der Herrschaft der Bourgeoisie und der Aufrichtung der Diktatur des Proletariats in der Form von Sowjets“.22 Trotzdem schuf die KI damit bereits Spielräume für prinzipienlose Vereinigungen von kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien und die Aufgabe der organisatorischen Selbständigkeit der Kommunist:innen.

Im Gesamtergebnis beschloss der VII. Weltkongress zwar eine Änderung der kommunistischen Taktik, die durch die neu entstandene Weltlage notwendig geworden war. Der damit verbundene Schritt der Bewegung nach rechts war jedoch zugleich Ausdruck davon, dass die rechten Kräfte innerhalb der kommunistischen Weltbewegung im Zuge der Niederlage in Deutschland von 1933 bereits erheblichen Auftrieb bekommen hatten. Das galt sowieso für westeuropäische Parteien wie die französische oder die englische, die von der KI schon Ende der 1920er Jahre für ihre reformistischen Tendenzen gerügt worden waren: Ab 1936 stützte die KPF die „Front Populaire“-Regierung von Léon Blum aus den sozialdemokratischen Parteien SFIO und der Parti Radical. Dem vorausgegangen war ein Aktionspakt, den die Partei unter der Führung von Maurice Thorez 1934 mit den Sozialist:innen der SFIO abgeschlossen hatte. Für diesen stellten die Kommunist:innen ihren Kampf gegen die französische Kolonialpolitik weitgehend zurück („Patriotische Wende“). In England scheiterten Pläne zur Bildung einer Volksfront gegen die hitlerfreundliche Politik der konservativen Chamberlain-Regierung, an denen neben Kommunist:innen unter anderem die Labour Party und der Flügel der Konservativen Partei um Winston Churchill beteiligt waren.

Die Rechtsentwicklung betraf aber auch die KPdSU selbst, die ihre Außenpolitik in den 1930er Jahren erheblich veränderte. Bis dahin hatte sie über die KI noch vorrangig die Ausdehnung der Weltrevolution nach West und Ost durch proletarische Revolutionen in den Staaten Europas und Asiens verfolgt. Dem entsprach die Ausrichtung der nationalen Sektionen auf die Bolschewisierung, das heißt ihren Umbau in Parteien leninistischen Typs, und den Kampf um die Macht. 1923, als in Deutschland eine revolutionäre Situation heranreifte, war die KPdSU-Führung sogar bereit, für die Durchsetzung der Revolution in Deutschland zwei Jahre nach Ende des russischen Bürgerkriegs erneut in den Krieg zu ziehen.23

Ab Mitte der 1930er Jahre änderte sie ihre außenpolitische Strategie dagegen zugunsten der Herstellung eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa, das heißt zugunsten des Versuchs, durch wechselseitige Nichtangriffs- und Beistandsverträge mit England, Frankreich und anderen Staaten eine zumindest mittelfristige friedliche Koexistenz mit dem Imperialismus herzustellen. Zur Erreichung dieses Ziels wurden auch die Anstrengungen zur Bolschewisierung der westeuropäischen kommunistischen Parteien letztlich eingestellt und damit der Kampf um die sozialistische Revolution in Europa auch von der KPdSU-Führung zumindest auf Jahre hinaus aufgegeben. Die defensive Ausrichtung der KI-Sektionen auf Volksfronten und die Außenpolitik der Sowjetunion gingen Hand in Hand, denn die strategische Führung der kommunistischen Weltbewegung lag unbestritten beim Zentralkomitee der KPdSU, welche die KI-Aktivitäten auch finanzierte.24

Im Zuge dieser Entwicklung wurde die Strategie der Weltrevolution schleichend einer nationalen Geostrategie der Sowjetunion untergeordnet – womit sich bereits ein Abgleiten der KPdSU in Richtung einer nationalistischen Linie ankündigte. Diese Tendenz zeigte sich etwa 1939, als die Sowjetunion ein Nichtangriffsabkommen mit Hitlerdeutschland schloss: Die KI wies ihre Sektionen zu Beginn des Zweiten Weltkriegs an, ihre Propaganda vor allem gegen den englischen Imperialismus und die Sozialdemokratien ihrer Länder zu richten und die antifaschistische Propaganda zurückzuschrauben.25 Im Dezember 1940 forderte sie die KP der Tschechoslowakei über ihren Vorsitzenden dazu auf, sich nicht in bewaffnete Kämpfe gegen die deutsche Besatzungsmacht zu verwickeln26 sowie gegen „antideutschen Chauvinismus“ einzutreten.27 Nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion 1941 drehte die KPdSU diese Ausrichtung wieder um und schwor die gesamte Weltbewegung im Zuge der Herstellung eines Bündnisses mit den Alliierten erneut auf die Volksfrontlinie ein. Politisch immer mehr ihrer Bedeutung beraubt, wurde die Kommunistische Internationale im Jahr 1943 auf Initiative Stalins schließlich aufgelöst. Dieser erklärte in einem Presseinterview im selben Monat, dass die Auflösung der KI richtig sei, denn sie entlarve „die Lüge der Hitlerleute, daß ‚Moskau‘ angeblich beabsichtige, sich in das Leben anderer Staaten einzumischen und sie zu bolschewisieren“.28 Laut Dimitroffs Tagebuch-Aufzeichnungen lag die Begründung Stalins für seine Initiative zur Auflösung der KI – die bereits seit Herbst 1941 anvisiert war – darin, dass es „unmöglich“ sei, „die Arbeiterbewegung aller Länder von einem einzigen internationalen Zentrum ausgehend zu führen“. Dies habe die Erfahrung „sowohl zu Marx’ als auch zu Lenins Zeiten, sowie jetzt“, gezeigt: „Vor allem jetzt, unter Kriegsbedingungen, da die Kommunistischen Parteien in Deutschland, Italien und anderen Ländern die Aufgabe haben, ihre Regierungen zu stürzen und defätistische Taktiken anzuwenden, während die Kommunistischen Parteien in der UdSSR, in England, Amerika und anderen Ländern ganz im Gegenteil die Aufgabe haben, ihre Regierungen voll und ganz für die unmittelbare Zerstörung des Feindes zu unterstützen.29 Erst 1947 gründete die KPdSU mit ausgewählten kommunistischen Parteien aus Europa30 das „Kommunistische Informationsbüro“ (Kominform) und damit wieder eine internationale Organisation. Das Kominform diente jedoch eher als eine Koordination und nahm nicht die Funktion einer Weltpartei ein. Das Kominform wurde wiederum 1956 von den Nachfolgern Stalins in der KPdSU-Führung aufgelöst.

Doch nicht nur die Außenpolitik der Sowjetunion war damals von einem gewissen Schwenk nach rechts, in Richtung des Zentrismus, gekennzeichnet. Bezüglich der inneren Lage des ersten sozialistischen Staates vertraten Stalin und die Führung der KPdSU ab 1936 die Theorie, dass mit der Beseitigung des Kulakentums als Klasse alle inneren klassenmäßigen Grundlagen für die Wiederherstellung des Kapitalismus in der Sowjetunion beseitigt seien und dass es mit der Arbeiter:innenklasse, der Bauernschaft und der Intelligenz nur noch befreundete Klassen gebe.31 Die Existenz der trotzkistischen, bucharinistischen und anderer feindlicher Elemente sei im wesentlichen eine individuelle Frage, die administrativ durch die Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden der Sowjetunion gelöst werden konnte. Dies geschah dann auch in den Jahren nach 1934 mit den „Großen Säuberungen“. Stalin hat 1937 noch erklärt, der Klassenkampf werde nicht erlöschen, sondern sich sogar verschärfen.32 Der offensichtliche logische Widerspruch zwischen dieser Feststellung und der gleichzeitig vertretenen Position, dass es nur noch befreundete Klassen gäbe und der Sozialismus von innen heraus nicht mehr zerstört werden könne, wurde theoretisch nie aufgelöst. 1939 wurde dann der Prozess der Bekämpfung feindlicher Elemente auf dem XVIII. Parteitag für abgeschlossen erklärt. Der Sowjetgesellschaft seien „Klassenzusammenstöße fremd“.33 Nun bestehe die „Hauptaufgabe unseres Staates im Innern des Landes in der friedlichen wirtschaftlich-organisatorischen und kulturell-erzieherischen Arbeit. Was unsere Armee, die Straforgane und den Abwehrdienst anbelangt, so ist nun ihre Spitze nicht nach dem Innern des Landes gerichtet, sondern nach außen, gegen die äußeren Feinde.“ 34

Ebenso entwickelte Stalin beim XVIII. Parteitag der KPdSU 1939 die Auffassung, dass die Sowjetunion nun auch allein zum Kommunismus voranschreiten könne und der Staat in diesem Fall – bei einer weiteren kapitalistischen Umkreisung – erhalten bleiben müsse.35

Die genannten Auffassungen sollten sich jedoch in der Praxis als falsch, nämlich als Unterschätzung der inneren Möglichkeiten für das Wiederentstehen von Klassenwidersprüchen im Sozialismus herausstellen. Im selben Zeitraum, als Stalin und die KPdSU die oben genannten Positionen entwickelten, zeigten sich nämlich bereits erste Tendenzen in Richtung einer Verselbständigung der sowjetischen Staatsfunktionär:innen und Betriebsleiter:innen zu einer neuen Klasse: So wurden die Lohnunterschiede zwischen führenden Kader:innen des Sowjetstaates und einfachen Arbeiter:innen nicht nur nicht mehr abgebaut, sondern mit der Abschaffung des Parteimaximums im Jahr 1934 sogar faktisch ausgebaut.36 Unter dem Parteimaximum war bis dahin die Pflicht für Kommunist:innen verstanden worden, den Teil ihres Gehalts, der eine bestimmte Grenze überschreitet, an die Partei abzugeben. Die Arbeiter- und Bauerninspektion (Zentrale Kontrollkommission), die der Kontrolle aller Ebenen von Parteiorganen durch die Parteibasis und die parteilosen Massen diente, wurde nach Einführung der neuen sowjetischen Verfassung von 1936 in ihrer bisherigen unabhängigen Form aufgelöst und der Parteileitung untergeordnet.37 Die Sowjets als führende Organe des Staates hatten ihre selbständige Aktivität bereits seit Ende der 1920er Jahre immer mehr eingebüßt, traten zum Teil nur noch selten zusammen und verloren das Recht, lokale Richter:innen und Staatsanwält:innen zu ernennen. Auch gesellschaftspolitisch gab es deutliche Anzeichen für eine Rückentwicklung: 1936 etwa hob die Sowjetunion das 1920 eingeführte Abtreibungsrecht wieder auf. Zwei Jahre zuvor war die 1921 legalisierte Homosexualität zwischen Männern erneut unter Strafe gestellt worden.

Am schwersten dürfte jedoch gewogen haben, dass eine offene Diskussion darüber, welche gesellschaftlichen Rückstände in der Sowjetunion noch herrschten und in Zukunft zu überwinden seien, sowie welche zeitweiligen Rückschritte in der internationalen Strategie erforderlich waren, ab den 1930er Jahren faktisch nicht mehr stattfand. Stattdessen vermischte sich im Rahmen der Parteisäuberungskampagne nach dem Mord am Leningrader Parteiführer Sergej Kirow 1934 der Kampf gegen den konterrevolutionären Untergrund aus Trotzkist:innen und faschistischen Agent:innen offenbar mit einem eskalierenden Machtkampf innerhalb des Partei- und Staatsapparates. Dieser erstickte auch jegliche offene Diskussionskultur in Partei und Gesellschaft. Innerhalb der Säuberungskampagne wurden auch zahlreiche Funktionär:innen der KI und ihrer nationalen Sektionen in der Sowjetunion unter dem Verdacht, trotzkistische Verschwörer:innen oder feindliche Agent:innen zu sein, verhaftet und erschossen. Darunter fallen insbesondere viele Vertreter:innen der vormaligen linken, auf die revolutionäre Offensive in Europa gerichteten Linie der KI, so etwa die 1938/39 hingerichteten ehemaligen leitenden KI-Funktionäre Ossip Pjatnizki, Bela Kun und Wilhelm Knorin und der größte Teil der vormaligen linken ZK-Mehrheit der KPD. Wir können diese Fälle nicht im einzelnen beurteilen. Das Muster gerade bei der Säuberung der KI-Organe legt jedoch entweder die Schlussfolgerung nahe, dass sich die führenden Teile des linken Flügels der kommunistischen Weltbewegung tatsächlich dem trotzkistischen Untergrund angeschlossen hatten – so war es die offizielle sowjetische Version – oder aber dass dieser Flügel im Rahmen des Kurswechsels der KPdSU und KI gezielt ausgeschaltet wurde. Letztere Version wird seit Jahrzehnten von Trotzkist:innen und Antikommunist:innen verbreitet.

Die Wahrheit könnte aber auch dazwischen liegen und komplizierter sein: Zum Beispiel dahingehend, dass die KI zwar tatsächlich im Fokus trotzkistischer Unterwanderungsarbeit lag, bei ihrer Säuberung jedoch auch zahlreiche Angehörige der Linken ausgeschaltet wurden, die nicht Teil der Verschwörung waren: Etwa weil sie von politischen Gegner:innen innerhalb von Partei und Staat gezielt verleumdet wurden oder Exzessen zum Opfer gefallen sind. Dass es während der Säuberung zahlreiche Verleumdungen und Exzesse gab, ist unstrittig. Gefördert wurden sie durch den kampagnenartigen Charakter der Säuberung, bei der den lokalen und regionalen Repressionsbehörden auch prozentuale Vorgaben für zu entlarvende „trotzkistische Verschwörer“ gemacht wurden. Anfechtungen von Gerichtsurteilen und Gnadengesuche waren nach Beschluss des Politbüros beim Vorwurf des Terrorismus nicht mehr zulässig und Todesurteile waren sofort nach dem Urteil zu vollstrecken.
Für die These, dass sich die Säuberung mit einem Machtkampf innerhalb von Partei und Staat vermischt hat, spricht, dass führende Revisionisten späterer Jahre wie Nikita Chruschtschow (1894 – 1971) eine herausgehobene Rolle bei den Säuberungen spielten38 und die beiden sowjetischen Geheimdienstchefs und „Chefsäuberer“ Genrich Jagoda (1891-1938) und Nikolai Jeschow (1895-1940) selbst im Zuge der Säuberungen angeklagt und hingerichtet worden sind. Zudem wurden mit der Säuberung gerade der linke Flügel zahlreicher KI-Sektionen faktisch ausgeschaltet. Unabhängig davon, wer von den verantwortlicher Politiker:innen in der Sowjetunion damals welchen Anteil an den Säuberungen und der sich entwickelnden eskalierenden Dynamik innerhalb der Kampagne hatte, ist belegt, dass Stalin im Rechenschaftsbericht auf dem XVIII. Parteitag 1939 einräumte, es lasse sich nicht behaupten, „dass die Reinigung ohne ernstliche Fehler durchgeführt wurde. Leider wurden mehr Fehler begangen, als anzunehmen war. Es unterliegt keinem Zweifel, dass wir die Methode der Reinigung im Massenmaßstab nicht mehr anzuwenden brauchen. Doch war die Reinigung in den Jahren 1933-1936 unerläßlich und zeitigte im wesentlichen positive Ergebnisse.“39

Auch wenn die genaue historische Interpretation der faktischen Ausschaltung der Linken während der Säuberung unklar bleibt, lässt sich eine wichtige politische Schlussfolgerung mit Sicherheit aus ihr ziehen: Die Auffassung der KPdSU-Führung, das Problem sowjetfeindlicher Kräfte könne rein administrativ mithilfe der Geheimdienste, der Strafverfolgungsbehörden und des roten Terrors gelöst werden, hat sich als falsch erwiesen – wenn auch erst langfristig, weit nach dem Krieg. Die Säuberung fand statt, während mit den Staats- und Betriebsfunktionär:innen langsam eine neue privilegierte Klasse heranwuchs, die zur sozialen Basis des modernen Revisionismus in der Sowjetunion werden sollte – eine Möglichkeit, die in der offiziellen Parteitheorie jedoch ausgeschlossen wurde. Das Zusammenwirken des Rechtsschwenks von KPdSU und KI mit der Ausschaltung der Linken hat die spätere Machtübernahme der neuen herrschenden Klasse und die offen revisionistische Entwicklung der kommunistischen Weltbewegung begünstigt.

Die Trotzkist:innen haben diese Entwicklungen in der Sowjetunion und der kommunistischen Weltbewegung genau beobachtet und in zahlreichen Artikeln aufgegriffen – so etwa Trotzki in seiner Schrift „Die verratene Revolution“ (1936). Dabei entwickelte er die falsche Theorie, dass das Gesellschaftssystem der Sowjet-union kein sozialistisches sei, sondern nur eine Übergangsgesellschaft zum Sozialismus darstelle, und dass die Widersprüche innerhalb der Sowjetgesellschaft charakteristisch für diese Art der Übergangsgesellschaft seien. Damit versuchte Trotzki vor allem sein Festhalten an der Behauptung theoretisch zu rechtfertigen, es könne in einem einzelnen Land wie etwa der Sowjetunion keine sozialistische Gesellschaft errichtet werden. Die Kritiken trotzkistischer Autor:innen an der Politik der KPdSU ab 1936 griffen darüber hinaus zwar zum Teil tatsächlich kritisierenswerte Erscheinungen heraus, wie z.B. Aspekte der Volksfrontpolitik. Dies war aber im wesentlichen eine Folge ihrer politischen Gewohnheit, sich negativ an der KPdSU abzuarbeiten. Wenn die Trotzkist:innen die KPdSU und die kommunistische Weltbewegung für ihr Abgleiten in den Zentrismus kritisiert haben, so taten sie dies immer von den eigenen zentristischen Grundpositionen aus.

Einschub: Zur Entstehung neuer Klassen in der Sowjetunion

Die Beseitigung des Sozialismus in der Sowjetunion ab den 1950er Jahren lässt sich nicht verstehen, wenn sie allein als das Ergebnis des Verrats von Einzelpersonen wie Chruschtschow betrachtet wird. Vielmehr brachte die Führung um Chruschtschow mit ihren ökonomischen Reformen und ihrer Abkehr von den Grundpositionen des Marxismus-Leninismus die materiellen Interessen einer führenden Schicht in Staat und Partei zum Ausdruck: Diese bestand vor allem aus den Leiter:innen der staatlichen Betriebe sowie den Beamt:innen der Planungsbehörden, welche die Wirtschaft der Sowjetunion anleiteten. Diese Schichten hatten schon seit längerer Zeit eine privilegierte Stellung in der Sowjetgesellschaft inne und etablierten sich durch die neue Politik der KPdSU ab 1956 schließlich zu einer neuen herrschenden Klasse, wodurch der Sozialismus in einen Staatskapitalismus verwandelt wurde. Die Verselbständigung leitender Schichten ist im Sozialismus, der eine Übergangsgesellschaft zwischen dem Kapitalismus und der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft ist und noch vielfältige Überreste der bürgerlich-patriarchalen Gesellschaft in sich trägt, immer eine Möglichkeit. Dies ist umso mehr der Fall, je weniger die direkte, breite und aktive Beteiligung der Masse der Arbeiter:innenklasse an allen gesellschaftlichen (das heißt ökonomischen, politischen, ideologischen, kulturellen u.a.) Belangen entwickelt ist, je mehr die Ausübung der wirtschaftlichen und staatlichen Leitung der sozialistischen Gesellschaft noch durch eine stellvertretende Minderheit für die Arbeiter:innenklasse erledigt wird.

In der Sowjetunion kam eine Reihe von Faktoren hinzu, die diese Tendenz noch einmal besonders verstärkt haben: Dazu gehören vor allem der geringe Entwicklungsstand der Produktivkräfte; die historisch noch junge Arbeiter:innenklasse, die mit der Industrialisierung ab Ende der 1920er Jahre zudem rasch anwuchs und sich dabei vor allem aus Teilen der früheren Bauernschaft rekrutierte; die häufige Erschütterung des sozialistischen Aufbaus durch Kriege; den Verlust erfahrener Parteikader:innen in den Kriegen; sowie die Tatsache, dass die Sowjetunion das erste sozialistische Land der Welt war und deshalb bei der Lösung auftretender Probleme nicht auf frühere Erfahrungen zurückgreifen konnte.

Vor diesem Hintergrund musste die junge Sowjetmacht vielfach auf politische Behelfsmittel zurückgreifen, die sich später verselbständigten: So war der Staat z.B. aufgrund der gering ausgeprägten Kenntnisse der breiten Masse der Arbeiter:innen in wirtschaftlichen und staatlichen Leitungsaufgaben gerade in der Anfangszeit der Diktatur des Proletariats darauf angewiesen, bürgerliche Expert:innen für diese Tätigkeiten anzuwerben und ihnen dafür hohe Löhne zu bezahlen. Die Existenz großer Lohnunterschiede wurde später jedoch nicht mehr zurückgedrängt, sondern auch dann noch beibehalten, als die bürgerlichen Expert:innen mehr und mehr durch Angehörige einer neuen Intelligenz aus den Reihen der Arbeiter:innenklasse ersetzt wurden. Die Abschaffung des Parteimaximums in den 1930er Jahren zeigt, dass auch Teile der inzwischen stark angewachsenen kommunistischen Partei ihre Aufgaben in Staat und Wirtschaft offenbar mit der Absicht verfolgten, sich persönlich zu bereichern und Karriere im Sozialismus zu machen. Wie aus zahlreichen historischen Dokumenten hervorgeht,40 war Stalin, trotz der aus heutiger Sicht offensichtlichen und auch schwerwiegenden theoretischen Fehler, ein entschiedener Kämpfer gegen Tendenzen der Bürokratisierung, des Karrierismus, der Vetternwirtschaft und der Entstehung einer privilegierten Schicht in Staat und Partei. 1928 warnte er etwa in einer Rede beim VIII. Kongress des Kommunistischen Jugendverbandes: „Der kommunistische Bürokrat ist der gefährlichste Typ des Bürokraten. Warum? Weil er seinen Bürokratismus mit seiner Parteimitgliedschaft maskiert. Und solche kommunistischen Bürokraten gibt es bei uns leider nicht wenig.“ 41 Eine erste Untersuchung und Einschätzung der Entstehung der neuen herrschenden Klasse in der Sowjetunion haben wir in dem 2016 erschienenen Artikel „Über die Zerstörung des Sozialismus und die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion“ veröffentlicht.42 Diese Analyse muss jedoch in Zukunft weiter vertieft und zu allgemeinen Schlussfolgerungen für den sozialistischen Aufbau geführt werden.

Die Entwicklung des modernen Revisionismus

Die Entwicklung der KPdSU und der kommunistischen Weltbewegung insgesamt in Richtung des Zentrismus schuf die Bedingungen, in denen ab den 1940er Jahren auch der offene Revisionismus in der Bewegung gedeihen und schließlich offensiv auftreten konnte.

Der erste Führer einer früheren KI-Sektion, der seine Partei offen auf einen revisionistischen Kurs bringen wollte, war der US-Amerikaner Earl Browder (1891-1973). Unter Browder war die KPUSA nach dem VII. Weltkongress der KI bereits zu einer „patriotischen Linie“ übergegangen und hatte die sozialdemokratische New-Deal-Politik des damaligen US-Präsidenten Roosevelt unterstützt. Zudem versuchte sie, wenn auch letztlich erfolglos, eine Volksfront mit den Sozialist:innen und Teilen der Demokrat:innen aufzubauen. 1944 erklärte Browder schließlich, dass Kapitalismus und Kommunismus friedlich miteinander existieren könnten und trieb die Selbstauflösung der Kommunist:innen in die Demokratische Partei voran, wo sie eine Zeitlang als linke Fraktion arbeiteten. Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit dem Aufkommen des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion verurteilte die kommunistische Bewegung den „Browderismus“. Browder wurde nach der Wiedergründung der KPUSA als Vorsitzender abgesetzt und kurz darauf aus der Partei ausgeschlossen.

Die Kommunistische Partei Italiens unter Palmiro Togliatti (1893-1964) verfolgte bereits kurz nach 1945 einen sozialdemokratischen Kurs. Er war auf die Stärkung der italienischen bürgerlichen Demokratie und die Unabhängigkeit der Nation durch die Entwicklung der Produktivkräfte unter kapitalistischen Bedingungen ausgerichtet. Diesem Ziel des nationalen Wiederaufstiegs wurden alle Kämpfe zur Veränderung der wirtschaftlichen Ordnung untergeordnet. Weil die italienischen Kommunist:innen unter anderem auf Verstaatlichungen in der Industrie verzichteten und die Monarchie sowie die Rolle der Kirche anerkannten, durften sie sich zwischen 1944 und 1947 gemeinsam mit Sozialist:innen, Christdemokrat:innen und Liberalen an einer Volksfrontregierung beteiligen, in der Togliatti zeitweise stellvertretender Ministerpräsident war. Der „historische Kompromiss“ zwischen der kommunistischen Partei und den bürgerlichen Parteien wurde später in den 1970er Jahren vom KPI-Generalsekretär Enrico Berlinguer (1922-1984) zum politischen Slogan entwickelt, als die Partei die enge Zusammenarbeit mit Sozialist:innen und Christdemokrat:innen wieder aufnahm und 1978 eine christdemokratische Minderheitsregierung duldete. Die KPI war damals schon lange de facto eine Interessenvertretung der im Zuge des wirtschaftlichen Nachkriegsbooms privilegiert gewordenen Arbeiterschichten Norditaliens. Zusammen mit den kommunistischen Parteien Frankreichs und Spaniens entwickelten die italienischen Kommunist:innen unter Berlinguer in den 1970er Jahren die revisionistische Strömung des Eurokommunismus, distanzierten sich von den gesellschaftlichen Verhältnissen in der Sowjetunion, strichen die „Diktatur des Proletariats“ als politisches Ziel aus ihrem Programm und unterstützen z.B. die NATO-Mitgliedschaft Italiens.

Einen ersten Höhepunkt hatte der Kampf zwischen den revolutionären und zentristischen Kräften in der kommunistischen Weltbewegung mit den offenen Revisionist:innen bereits 1948 erreicht, als das Kominform die jugoslawischen Kommunist:innen unter Josip Broz Tito (1892-1980) aus seinen Reihen ausschloss. Die Tito-Führung hatte die jugoslawische Kommunistische Partei faktisch in der Volksfront aufgelöst, die Kommunist:innen auf einen nationalistischen Kurs eingeschworen, eine chauvinistische Politik gegenüber dem Nachbarland Albanien verfolgt, den sozialistischen Aufbau Jugoslawiens abgewürgt – vor allem aber eine enge Zusammenarbeit mit dem britischen und US-Imperialismus aufgenommen und das Land in eine Abhängigkeit von ausländischem Kapital gebracht. Auch wenn es der KPdSU unter Stalin gelang, Tito innerhalb der kommunistischen Weltbewegung für einige Zeit zu isolieren, gärte es bereits heftig unter der Oberfläche und bestanden in allen osteuropäischen Parteien Flügel, die sich an Jugoslawien statt an der Sowjetunion orientierten.

Ein bekanntes Beispiel in der SED ist Wolfgang Leonhard, der in der zentralen Propagandaabteilung unter Ackermann tätig war, und sich nach dem Bruch mit Tito nach Jugoslawien absetzte.43 Die materielle Ursache hierfür lag auf der Hand: In Jugoslawien konnten sich die privilegierten Staats-, Partei- und Betriebsfunktionäre im Zuge der Einführung marktwirtschaftlicher Reformen im eigenen Land sowie der Geschäfte mit dem Imperialismus bereits offen am vermeintlich sozialistischen Eigentum bereichern, während ihren „Kolleg:innen“ in Polen, Ungarn, der DDR und der Sowjetunion dies noch nicht so einfach möglich war.

In der Sowjetunion agierten die Kräfte, welche die sozialistischen Produktionsverhältnisse in Richtung kapitalistischer Verhältnisse zurückentwickeln wollten, zu Lebzeiten Stalins noch weitgehend verdeckt. Dass die Auseinandersetzungen innerhalb der KPdSU ab dem Ende der 1940er Jahre jedoch bereits ein hohes Niveau angenommen haben müssen, geht daraus hervor, dass 1948 im Zuge der „Leningrader Affäre“ neue Verhaftungswellen gegen hohe Parteifunktionäre begannen, die bis zu Stalins Tod 1953 und den anschließenden Machtkämpfen im Politbüro andauerten. Im Januar 1950 wurde auch die 1947 abgeschaffte Todesstrafe für „Vaterlandsverräter, Spione und Saboteure-Diversanten“ wieder eingeführt. Noch kurz vor seinem Tod wandte sich Stalin 1952 in den beiden Schriften „Marxismus und Fragen der Sprachwissenschaft“ 44 und „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“ 45 zudem offen und sehr klar gegen bürgerlich-revisionistische Positionen innerhalb der eigenen Partei, darunter auch Tendenzen zur Liquidierung der sozialistischen Wirtschaftsformen.

Nach Stalins Tod im März 1953 ging die Führung der KPdSU dann nach einer Reihe von heftigen Machtkämpfen an Nikita Chruschtschow über.

Dieser verkündete beim XX. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 schließlich vor aller Welt die Revision des Marxismus-Leninismus in drei grundlegenden Bereichen:

  • Die Möglichkeit der dauerhaften friedlichen Koexistenz von Kapitalismus und Sozialismus, die er zum Grundprinzip der sowjetischen Außenpolitik erklärte;
  • die Möglichkeit des parlamentarischen Übergangs zum Sozialismus in den kapitalistischen Ländern – also den Verzicht auf die bewaffnete Revolution; zudem seien
  • Kriege zwischen den imperialistischen Ländern nicht mehr unvermeidbar – der Imperialismus könne also durchaus friedlich herrschen.

Nach seinem offiziellen Bericht rechnete Chruschtschow noch in seiner berüchtigten Geheimrede vor den Führer:innen der kommunistischen Weltbewegung hinter verschlossenen Türen mit Stalin ab. Dieser Angriff richtete sich klar gegen das revolutionäre Erbe Lenins und Stalins, diente der Diffamierung der Diktatur des Proletariats als „stalinistische Terrorherrschaft“ und der Legitimierung der Machtergreifung einer neuen herrschenden Klasse in der Sowjetunion.

Die offene Revision des Marxismus-Leninismus durch die KPdSU wurde in den folgenden Jahren fortgeführt. Auf dem außerordentlichen XXI. Parteitag der KPdSU verkündete Chruschtschow 1959, dass sich die Sowjetunion bereits auf dem Weg zur Errichtung des Kommunismus befinde. Beim XXII. Parteitag 1961 erklärte die KPdSU die Diktatur des Proletariats schließlich für überlebt, da die Klassenwidersprüche verschwunden und der Staat nunmehr ein „Staat des ganzen Volkes“ sei. Ebenso habe sich die Kommunis-tische Partei aus einer Partei der Arbeiter:innenklasse bereits zu einer Partei des ganzen Volkes weiterentwickelt.

Während die Revisionist:innen um Chruschtschow die Klassenunterschiede für beseitigt und den Kommunismus in der Sowjetunion für zum Greifen nah erklärten, setzten sie zugleich die ökonomischen Reformen durch, mit denen sich die Staatsfunktionär:innen und Betriebsleiter:innen der Sowjet-union zu einer neuen herrschenden Klasse etablierten: Die landwirtschaftlichen Produktionsmittel (Maschinen und Traktoren) wurden aus dem Staatseigentum ins Eigentum der einzelnen Produktionsgenossenschaften überführt; die Verfügungsgewalt der Direktor:innen staatlicher Betriebe über die Produktion wurde ausgeweitet; der Profit der Betriebe zur Grundlage aller ökonomischen Aktivitäten erhoben; der freie Kauf und Verkauf von Produktionsmitteln und Endprodukten eingeführt und ausgeweitet und damit Marktbeziehungen zum Regulator der Wirtschaft gemacht.46 Die Produktionsmittel wurden trotz des formalen Staats- und Genossenschaftseigentums faktisch wieder zu Waren. Es bildeten sich kapitalistische Produktionsverhältnisse unter den speziellen Bedingungen einer von der neuen herrschenden Klasse geführten staatlichen Kommandowirtschaft – also einer Planwirtschaft in den Händen der neuen herrschenden Klasse als „kollektiver Kapitalist“ – heraus. Ausdruck davon waren unter anderem explodierende Lohnunterschiede zwischen gewöhnlichen Arbeiter:innen und den Führer:innen der Betriebe und Planungsbehörden47. Die neuen Produktionsverhältnisse litten unter charakteristischen Widersprüchen wie dem Widerspruch zwischen den Interessen der staatlichen Planungsbürokratie und den Direktor:innen der Einzelbetriebe, einer gegenüber den klassischen kapitalistischen Ländern katastrophalen Produktivität und zunehmenden Rückständigkeit der Sowjetwirtschaft, sowie dem Phänomen einer chronischen Warenknappheit. Die Geschichte hat gezeigt, dass diese neuen Produktionsverhältnisse als Mischung aus planwirtschaftlichen und marktwirtschaftlichen Wirtschaftsformen sogar noch schlechter als die reine kapitalistische Marktwirtschaft funktioniert haben. Diese Widersprüche, insbesondere die innerhalb der neuen herrschenden Klasse, führten zu gelegentlichen Wechseln zwischen einer Politik der erneuten Verstärkung planwirtschaftlicher Elemente unter Leonid Breschnew (1906 – 1982) und der anschließenden weitgehenden Einführung marktwirtschaftlicher Beziehungen in den 1980er Jahren unter Michail Gorbatschow (1931 – 2022).

Das sowjetische Modell eines rückständigen, bürokratisierten Staatskapitalismus unter Beibehaltung pseudosozialistischer Formen und einiger sozialstaatlicher Vorzüge, das spätestens ab den 1960er Jahren voll etabliert war und die vormals sozialistischen Produktionsverhältnisse abgelöst hatte, wurde auch in den von der Sowjetunion dominierten Staaten des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) eingeführt, so auch in der DDR. Die Beziehungen des proletarischen Internationalismus zwischen den vormals sozialistischen Staaten wurden durch eine spezifische Form des Wirtschaftskolonialismus von Seiten der Sowjetunion abgelöst, die sich z.B. die Uranvorkommen der DDR im Interesse der eigenen Atomindustrie unter den Nagel riss. Wollten Länder des RGW Reformen nach „jugoslawischem Modell“ bei sich einführen und die Verwandlung in Kolonien durch die Sowjetunion zugunsten einer Öffnung gegenüber dem westlichen Kapital zurückdrängen – so wie Ungarn 1956 oder die Tschechoslowakei Ende der 1960er Jahre – antwortete die Sowjetunion mit dem Einmarsch ihrer Truppen und denen ihrer Verbündeten. Insbesondere die Militärintervention in der Tschechoslowakei 1968 verschärfte wiederum die Widersprüche innerhalb des revisionistischen Lagers und speziell die Auseinanderentwicklung der eurokommunistischen und sowjetorientierten Parteien.

Das Wirtschaftsmodell mit Löhnen, die durch weitreichende sozialstaatliche Maßnahmen wie eine staatlich garantierte Vollbeschäftigung, günstigen Wohnraum, kostenlose Kindertagesstätten usw. niedrig gehalten wurden, haben die herrschenden Klassen der revisionistischen Staaten auch dazu genutzt, lukrative Verträge mit dem kapitalistischen Ausland zu schließen, billige Industrieprodukte für diese Länder herzustellen und sich selbst daran zu bereichern. Dieses „revisionistische“ Geschäftsmodell wird bis heute noch von Belarus als dem letzten europäischen Land mit einer Wirtschaftsform ähnlich der späten Sowjetunion umgesetzt.

Mit dem Aufkommen des Chruschtschow-Revisionismus erweiterten sich also auch die Erscheinungsformen des Revisionismus.

War der klassische Revisionismus im Stile Bernsteins noch eine reformistische Ideologie der Arbeiteraristokratie und des Kleinbürger:innentums in den klassischen kapitalistischen Ländern, kennzeichnet den modernen Revisionismus im Stile Chruschtschows und Breschnews die ideologische Bemäntelung der Restauration kapitalistischer Produktionsverhältnisse in den ehemals sozialistischen Staaten, bei der oberflächliche Formen der sozialistischen Produktionsverhältnisse wie das formale Staatseigentum an den Produktionsmitteln, die Planwirtschaft und die staatliche Festlegung von Preisen noch lange Zeit beibehalten wurden.

Die soziale Basis des modernen Revisionismus war die neue herrschende Klasse aus den Beamt:innen der staatlichen Planungsbürokratie, den Betriebsleiter:innen, aber auch des Militärs und der Parteielite, die sich faktisch die Verfügungsgewalt über Staat und Wirtschaft geteilt bzw. in Machtkämpfen miteinander ausgefochten haben. Die spezifischen Produktionsverhältnisse, die die revisionistischen Staaten auszeichnen, sind ihrem gesellschaftlichem Inhalt nach kapitalistisch. Sie stellen jedoch aufgrund ihrer ausgeprägten inneren Widersprüchlichkeit und Ineffizienz eine Übergangsform zwischen den liquidierten sozialistischen Produktionsverhältnissen und klassischen kapitalistischen Produktionsverhältnissen dar.

Heute gibt es diese Produktionsverhältnisse nur noch in wenigen Staaten wie z.B. Nordkorea oder Kuba.

Der Kampf gegen den modernen Revisionismus

Der moderne Revisionismus hat sich in den 1950er und 60er Jahren weitestgehend in der kommunistischen Weltbewegung durchgesetzt. Einen offenen Widerstand gegen die Linie Chruschtschows gab es kaum, denn die Führer:innen und leitenden Schichten der meisten volksdemokratischen Staaten in Osteuropa einschließlich der DDR waren an einer Weltrevolution nicht interessiert. Dafür waren sie jedoch umso mehr an einer friedlichen Koexistenz mit dem Imperialismus interessiert, der es ihnen ermöglichen würde, in Ruhe Produktionsverhältnisse sowjetischer Art im eigenen Land aufzubauen und dort eine privilegierte Stellung einzunehmen. Die westeuropäischen Parteien wie die Kommunist:innen Italiens und Frankreichs waren wiederum schon lange reformistisch orientiert. Eine Revolution stand für sie ohnehin nicht auf dem Programm. Was Chruschtschow auf dem XX. Parteitag verkündet hatte, war also lediglich eine Anpassung der Theorie an eine Politik, die sich in weiten Teilen der kommunistischen Bewegung schon in der Praxis entwickelt hatte (Außenpolitik der friedlichen Koexistenz, Versuch der Einführung des Sozialismus über die Parlamente, Beteiligung an bürgerlichen Regierungen usw.).

Die einzigen beiden Parteien, die in den 1960er Jahren offen gegen die neue theoretische Linie der KPdSU auftraten, waren die Kommunistische Partei Chinas unter Mao Tse-Tung (1893-1976) und die Partei der Arbeit Albaniens (PdAA) unter Enver Hoxha (1908-1985). Während die chinesische KP 1963 / 64 mit dem „Vorschlag zur Generallinie der internationalen kommunistischen Bewegung“ ein Grundsatzdokument verfasste und darin die revisionistischen Positionen Chruschtschows angriff, war Enver Hoxha 1960 auf einer Beratung von 81 kommunistischen und Arbeiterparteien gegen die Ergebnisse des XX. Parteitags und die Politik der Sowjetunion aufgetreten. In beiden Fällen waren es spezifische Gründe, welche diese Parteien in Opposition zur KPdSU gebracht hatten.

Für das sozialistische Albanien war der Kampf gegen den Revisionismus eine Existenzfrage, weil die KPdSU zusammen mit der offenen Abkehr vom Marxismus-Leninismus eine Annäherung an das titoistische Jugoslawien betrieb, und Tito sich das Nachbarland Albanien einverleiben wollte. Die PdAA hatte das Land selbständig in einem jahrelangen Partisanenkampf von der faschistischen Besatzung freigekämpft, die ersten Grundlagen für eine industrielle Entwicklung gelegt und die sozialistische Gesellschaft damit quasi aus dem Nichts aufgebaut. In den opferreichen Kämpfen um die Befreiung und die sozialistische Revolution hatten sich die albanischen Kommunist:innen zu einer sehr gestählten, prinzipienfesten Partei entwickelt. Dies zeigte sich insbesondere nach 1945, als sie den antifaschistischen Befreiungskampf und die demokratische Revolution ununterbrochen zur sozialistischen Revolution fortführten und damit den Spuren der Bolschewiki 1917 gefolgt sind. Die albanischen Kommunist:innen brachten als einzige europäische KP die notwendige Konsequenz auf, Chruschtschow die Stirn zu bieten, obwohl sie eigentlich dringend auf wirtschaftliche Hilfen aus der Sowjetunion angewiesen waren. Enver Hoxhas berühmter Ausspruch, die Albaner:innen würden eher „Gras fressen, als dass sie darauf verzichten, den Marxismus-Leninismus zu verteidigen“, schien tatsächlich die Haltung weiter Teile der Partei und der albanischen Bevölkerung in der Frühphase des albanischen Sozialismus widerzuspiegeln.

Zugleich blieben die albanischen Kommunist:innen und die von ihr später beeinflussten Parteien, die sich gegen den Revisionismus wandten – wie in Deutschland etwa die KPD/ML – in ihrer Kritik am Revisionismus insofern inkonsequent, als sie sich weiter an der Linie der KPdSU der 1930er Jahre und des VII. Weltkongresses der KI orientierten – die damals aber bereits in Richtung des Zentrismus abglitten. Sie lehnten die Volksfrontpolitik und die Vereinigung mit reformistischen Kräften also nicht nur nicht grundsätzlich ab, sondern setzten sie selbst bei sich um bzw. benutzten sie als Rechtfertigung für eigene Rechtsschwenks. So hatte die KPD/ML zur Bundestagswahl 1980 ein Wahlbündnis unter dem Namen Volksfront gegen Krieg, Reaktion und Faschismus aufgebaut, was am Beginn des Weges zur Auflösung als kommunistische Partei stand. Die Liquidation der KPD/ML als kommunistische Partei wurde schließlich 1985 in Form der Vereinigung mit der Trotzkistischen GIM (Gruppe Internationaler Marxisten) zur Vereinigten Sozialisten Partei (VSP) als linksozialdemokratischen Sammlungspartei vollendet.

Die PdAA brach 1978 auch die Beziehungen zur KP Chinas ab, nachdem diese eine hegemoniale Politik gegenüber Albanien verfolgt hatte. Einige Jahre nach dem Tod Enver Hoxhas 1985 schlug die neue Parteiführung unter Ramiz Alia (1925-2011) jedoch selbst einen revisionistischen Kurs ein, führte entsprechende Wirtschaftsreformen durch und näherte sich den Staaten des RGW wieder an. 1990 wurde die inzwischen revisionistische Partei in Albanien, die ihren Rückhalt in der Arbeiter:innenklasse weitestgehend verloren hatte und nur noch von der Landbevölkerung unterstützt wurde, ebenso gestürzt wie die revisionistischen Parteien der anderen Staaten. Kurz darauf bekannte sich die PdAA offen zur Sozialdemokratie und nannte sich in Sozialistische Partei Albaniens um.

Der Widerstand der KP Chinas gegen den Chruschtschow-Revisionismus relativiert sich wiederum dadurch, dass die Partei und ihr Führer Mao Tse-Tung selbst eine widersprüchliche Politik vertraten, die zwischen proletarischem und kleinbürgerlichem Sozialismus hin- und herschwankte und teilweise in bürgerlichen Nationalismus abglitt:48 Mao hatte die Revolution von 1949 nach jahrzehntelangem Kampf weitgehend gestützt auf die chinesische Bauernschaft zum Erfolg geführt. In diesem Kampf hatte die KP Chinas auch relativ unabhängig gegenüber der KI und KPdSU agiert und sich von diesen nicht davon abbringen lassen, nach der Vertreibung der japanischen Besatzungsarmee den Kampf gegen die bürgerliche Kuomintang-Partei aufzunehmen.49 Bezüglich des sozialistischen Aufbaus vertrat Mao mit der Auffassung von der Neuen Demokratie als einer notwendigen Zwischenphase zum Sozialismus ein Konzept, das der in Europa konzipierten Volksdemokratie stark ähnelte. Mao verfolgte jedoch die Linie, die chinesische Bourgeoisie in die Neue Demokratie und den Aufbau des Sozialismus mit einzubeziehen.

Die sozialistischen Produktionsverhältnisse versuchte Mao zunächst ausgehend von der Landwirtschaft und gestützt auf die Bäuer:innen zu schaffen, etwa durch das Experiment des Aufbaus einer Stahlproduktion in den landwirtschaftlichen Volkskommunen. Obwohl dieses Experiment zunächst katastrophal scheiterte, gelang es der KP Chinas in den folgenden Jahrzehnten, die Grundlagen für die industrielle Entwicklung des Landes zu schaffen, wobei die „nationale“ Bourgeoisie als Klasse niemals wirklich angetastet wurde. Im Rahmen dieser widersprüchlichen Politik Maos konnte auch in China eine soziale Basis für den Revisionismus gedeihen. Mao versuchte die revisionistischen Kräfte in der Partei um Deng Xiaoping (1904 – 1997) in der „Großen Proletarischen Kulturrevolution“ von 1966 – 1969 zu entmachten, wobei er sich anders als die KPdSU nicht auf Partei- oder Staatsorgane stützte, sondern auf die spontan gebildeten und nicht fest organisierten „Roten Garden“ als Massenbewegung aus Teilen der chinesischen Jugend. Die zukünftig zu leistende Auswertung dieser Bewegung (und ähnlicher Erfahrungen aus Albanien mit der Mobilisierung der Massen) wird wichtig und lehrreich sein, auch wenn die Große Proletarische Kulturrevolution dazu im Widerspruch stehende Elemente wie z.B. die eines verdeckt geführten Machtkampfs in der Staats- und Parteispitze hatte, dessen Verlauf im Falle Chinas maßgeblich durch den Einsatz der Armee im Inneren gegen die Massenbewegung bestimmt wurde. Trotzdem handelte es sich um einen deutlich ausgedehnteren Versuch, die Massen im Kampf gegen den Revisionismus zu mobilisieren, als wir es aus der Sowjetunion kennen und einiges spricht dafür, dass die Aktivierung und Politisierung der Massen ein wesentliches Element für ein Konzept ist, um beim nächsten Versuch weiterzukommen.

Auch der Ansatz der Großen Proletarischen Kulturrevolution, den wir hier weder im Detail noch in der Gesamtschau bewerten können, scheiterte langfristig: Nach Maos Tod 1976 eroberten die Revisionisten um Deng dauerhaft die Herrschaft über Partei und Staat und verwandelten China in relativ kurzer Zeit in eine kapitalistische Gesellschaft mit planwirtschaftlichen Elementen. Systematisch wurden die Grundlagen zur Entwicklung hin zu einer imperialistischen Großmacht gelegt. Dies hatte Mao noch selbst Anfang der 1970er Jahre angestoßen, als er diplomatische Beziehungen mit den USA aufnahm und US-Präsident Nixon in Peking empfing, was eine gewisse Parallele zum schleichenden Übergang zu einer national orientierten Geostrategie in der Sowjetunion ab den 1940er Jahren darstellt. Die Handelsverträge zwischen den USA und China, die in späteren Jahren von Maos Nachfolgern geschlossen wurden, befeuerten schließlich Chinas rasante kapitalistische Entwicklung. Maos Annäherung an die USA richtete sich seinerzeit vor allem gegen die Sowjetunion als Chinas wichtigstem strategischen Konkurrenten um die Hegemonie in Asien.

In der ideologischen Auseinandersetzung, welche die KP Chinas zehn Jahre zuvor gegen die KPdSU geführt hatte, vertrat sie zwar inhaltlich die richtigen Punkte. Doch schon damals war diese inhaltliche Ebene mit dem Interesse der KPCh an einer Schwächung der Stellung der KPdSU auf internationaler Ebene vermischt. Diese wiederum entsprach den langfristigen Interessen Chinas als einer potentiellen bürgerlichen Großmacht in Konkurrenz zur Sowjet-union.

Wie wir in unserem Grundsatzartikel zum Maoismus dargelegt haben, bewerten wir Mao Tse-Tung als Revolutionär und die auf ihn gegründete politische Strömung des Maoismus als eine zentristische Richtung, die zwischen proletarischem und kleinbürgerlichem Sozialismus angesiedelt ist. Obwohl Mao theoretische und politische Fehler gemacht hat und in wichtigen Fragen zum kleinbürgerlichen Sozialismus geneigt hat, ordnen wir weder ihn, noch die „Mao-Tse-Tung-Ideen“ noch den Maoismus als Revisionismus ein. Für unsere Bewertung spricht auch, dass Mao und seine Anhänger:innen immer wieder gegen die Vertreter:innen des modernen Revisionismus auch in China gekämpft haben, wenn auch letztlich nicht erfolgreich. Wie die Ausschaltung der Führer:innen des maoistischen Lagers in der KP Chinas (die sogenannte „Viererbande“) nach seinem Tod und die Niederwerfung der Volkskommune in Schanghai gegen Ende der Kulturrevolution gezeigt haben, wurde dieser Klassenkampf durchaus blutig ausgefochten. Weiterhin war die Klassenbasis für Maos Linie nicht eine neue Bourgeoisie, sondern sie bestand eher in der Fortführung eines Klassenbündnisses für die nationale Befreiung aus dem anti-japanischen Befreiungskrieg nach der sozialistischen Machtergreifung. Der aus unserer Sicht heute entscheidende Unterschied besteht darin, dass der Revisionismus sowohl in seiner klassischen (Bernstein) als auch in seiner „modernen“ Form (Chruschtschow) immer eine konterrevolutionäre Strömung ist. Der Maoismus dagegen ist ein revolutionärer Bündnispartner.

Revisionismus und Linksrevisionismus nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion

Der moderne Revisionismus war für einige Jahrzehnte die Ideologie der neuen herrschenden Klassen in der Sowjetunion und ihren Vasallenstaaten. Außerhalb des revisionistischen Staatenlagers übernahmen vormals kommunistische Parteien diese Ideologie und fungierten als Ableger dieser Staaten, wobei sie sich in der Praxis oftmals eng an die klassische Sozialdemokratie anlehnten. In Westdeutschland galt dies zunächst für die KPD, die organisatorisch von der SED durch die beim ZK angesiedelte Westkommission geführt wurde50 und als deren Interessenvertretung arbeitete. Nachdem die KPD 1956 verboten wurde, arbeitete sie stark geschrumpft in der Illegalität weiter. 1968 kam es zu einem Deal51 zwischen der sozialliberalen Regierung Westdeutschlands unter Willy Brandt und der sowjetischen Regierung von Leonid Breschnew: Die westdeutschen Revisionist:innen durften sich wieder als Partei formieren, sofern sie sich auf die Grundlage der „freiheitlich-demokratischen“ Ordnung der BRD stellten. Dies war die Basis für die Gründung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) im selben Jahr.

SED und DKP entwickelten ab den 1970er Jahren das strategische Ziel einer „antimonopolistischen Demokratie“ für imperialistische Staaten wie Westdeutschland (das auch von anderen Parteien wie der griechischen KKE vorübergehend übernommen wurde). Dabei sollten die imperialistischen Staaten durch demokratische und soziale Kämpfe aller „nicht-monopolistischen“ Schichten der Gesellschaft – inklusive von Teilen der kleinen und mittleren Bourgeoisie – in „fortschrittliche Demokratien“ als Vorstufe zum Sozialismus umgewandelt werden: Also durch Reformen als das Ergebnis eines Zusammenspiels von Massenbewegungen und parlamentarischer Arbeit. Im antimonopolistischen Programm der DKP von 1969 hieß es dazu: „Demokratische Erneuerung bedeutet die Beseitigung des Neonazismus und die Beendigung der militärischen Großmachtpolitik, die Einschränkung der Macht des Monopolkapitals und ihre schließliche Überwindung, die Umwandlung der Bundesrepublik in eine reale, fortschrittliche Demokratie. Demokratische Erneuerung bedeutet die Durchsetzung einer Politik des Friedens und der Sicherheit, die Anerkennung der DDR, die Verteidigung der demokratischen Rechte und die Aufhebung der Notstandsgesetze, den Kampf um die Erweiterung und den Ausbau der Demokratie, die Verwirklichung demokratischer Mitbestimmung und Kontrolle, die Durchsetzung sozialer Sicherheit und besserer Lebensverhältnisse, die Erkämpfung einer fortschrittlichen Bildungs- und Kulturpolitik.“ 52 Dies war die programmatische Grundlage, auf der sich die DKP zum Anhängsel des BRD-Staats, der Sozialdemokratie und des Gewerkschaftsapparats machte und revolutionäre Kräfte wie die K-Gruppen der 1970er Jahre bekämpfte.

Die Vollendung der kapitalistischen Restauration in der Sowjetunion und den RGW-Staaten ab 1989 und die Auflösung der Sowjetunion 1991 bedeuteten den ideologischen und politischen Bankrott für den modernen Revisionismus. Die KPdSU wurde mit der Auflösung der Sowjetunion in Russland verboten. Nicht wenige ihrer Funktionär:innen und der ihres Jugendverbandes Komsomol hatten sich in den Gorbatschow-Jahren bereits massiv bereichern können. Führende Funktionär:innen stiegen mit der Privatisierung des vormaligen Staatseigentums Anfang der 1990er Jahre zu Multimilliardären auf.53 Sie bildeten zusammen mit anderen die neue Finanzoligarchie des imperialistischen Russland.

Die SED formierte sich bereits einen Monat nach dem Mauerfall 1989 unter Gregor Gysi zu einer linkssozialdemokratischen Partei um und nannte sich fortan Partei des demokratischen Sozialismus (PDS). Die PDS war die Vorgängerorganisation der 2005 gegründeten Partei Die Linke, die ein Sammelbecken sozialdemokratischer, linkssozialdemokratischer, revisionistischer und trotzkistischer Strömungen unter sozialdemokratischer Hoheit ist.

Insgesamt kam es infolge des Bankrotts des modernen Revisionismus auf internationaler Ebene zu einer starken Ausdifferenzierung dieses politischen Lagers und dem Übergang eines großen Teils davon zur Sozialdemokratie bzw. bürgerlichen Parteien. Während die Kommunistischen Parteien Frankreichs (PCF) und Spaniens (PCE) bis heute als eurokommunistische Parteien weiter bestehen, ging die KP Italiens einen ähnlichen Weg wie die SED und wandelte sich 1991 in die linkssozialdemokratische Partito Democratico della Sinistra (Demokratische Linkspartei) um. Diese fusionierte 2007 mit Sozialdemokraten, Liberalen und Christdemokraten zur Mitte-Links-Partei Partito Democratico (PD), einer der größten bürgerlichen Parteien Italiens. Im Zuge der Umwandlung der Partei spaltete sich ein revisionistisch-eurokommunistischer Flügel ab und gründete die Partito della Rifondazione Comunista (Partei der kommunistischen Wiedergründung), die bis heute existiert und zusammen mit der Linkspartei, den Kommunistischen Parteien Spaniens, Frankreichs und Österreichs, der griechischen Syriza und anderen Parteien Teil der Europäischen Linken ist.

Eine gewisse Ausnahme bei dieser Entwicklung bildet die griechische KKE. Nach einer schweren Krise 1989, der zeitweiligen Bildung einer Koalitionsregierung mit der konservativen Nea Demokratia, Abspaltungen und Auflösungserscheinungen begann sich die Partei auf der Basis einer Verbindung von Festhalten an der revisionistischen Linie und Orientierung auf die Verankerung in der Arbeiter:innenklasse neu zu formieren und unter zahlreichen Schwankungen wieder nach links zu entwickeln. Sie beschloss 1996 ein neues Programm und gründete 1999 die Gewerkschaft Panergatiko Agonistiko Metopo (PAME) (deutsch: Militante Arbeiterfront), die inzwischen hunderttausende Mitglieder hat und militante Arbeiter:innenkämpfe führt. Die KKE ist seit Jahrzehnten in den traditionellen kommunistischen Milieus der griechischen Bevölkerung verankert und stabil mit 5 bis 10 Prozent der Stimmen im griechischen Parlament vertreten.

Daneben widmete sie sich der Analyse des Zerfalls des revisionistischen Lagers und übernahm dabei verschiedene Positionen der marxistisch-leninistischen Gegner:innen des modernen Revisionismus, wie etwa die Kritik am XX. Parteitag der KPdSU. Ihre Revisionismus-Kritik verbleibt jedoch bis heute auf einer rein politisch-ideologischen Ebene: Die KKE kritisiert die Positionen Chruschtschows und anderer Parteiführer des revisionistischen Lagers, ohne den sozialistischen Charakter der späteren Sowjet-union und anderer Staaten in Frage zu stellen. Von diesem Dogma ausgehend kann sie die Restauration des Kapitalismus nicht als schrittweisen Prozess verstehen, der auch die ökonomische Basis einschloss, sondern sieht ihn als das alleinige Ergebnis einer „Konterrevolution“, die 1989/90 stattgefunden habe und durch die revisionistische Ausrichtung der Parteien lediglich begünstigt worden wäre. Dementsprechend hat sie sich auch nicht von der Sowjetunion als ihrem historischen Bezugspunkt auch nach 1956 gelöst. Ebenso schätzt sie die marxistisch-leninistische Bewegung, die sich gegen den Chruschtschow-Revisionismus gerichtet hatte, weiter als „maoistisch“ und als eine konterrevolutionäre Strömung ein.54

Bei der kritischen Revision ihrer eigenen Parteigeschichte ging die KKE dagegen noch etwas weiter nach links und beschloss 2012 eine neue Ausrichtung dazu. Darin wurden die politische Linie der KKE-Führung und der KIder 1940er Jahre kritisiert – beide hatten damals den bewaffneten Aufstand eines Teils der griechischen Kommunist:innen abgelehnt, der von 1946 – 1949 andauerte und schließlich vom Militär mit Unterstützung Englands und der USA niedergeschlagen wurde.

Auch in Deutschland hat sich ein Teil des revisionistischen Lagers nach 1989/90 in einem längeren Prozess nach links entwickelt. Ein kleiner Teil der SED, der die Umwandlung in die linkssozialdemokratische PDS ablehnte und sich auch der DKP nicht anschließen wollte, gründete 1990 noch in der DDR die „KPD“ (landläufig auch als „KPD-Ost“ bekannt). Während diese eher ein Traditionsverein ist, wirkte eine Reihe von ehemaligen SED-Funktionär:innen, die ihren politischen Anspruch beibehalten haben, mit der Theoriezeitschrift „Offensiv“ seit den 2000er Jahren sogar bis ins Lager marxistisch-leninistischer Kräfte und der damals neu entstehenden roten Jugendgruppen. Das Projekt, an dem auch der frühere DDR-Historiker Kurt Gossweiler beteiligt war, veröffentlichte ausführliche Analysen zur Entwicklung und dem Untergang von DDR und Sowjetunion. Diese verblieben ebenso wie die Arbeiten der KKE jedoch auf der Ebene einer ideologischen Revisionismus-Kritik und vermochten es nicht, zu den klassenmäßigen Ursachen der revisionistischen Entwicklung vorzudringen.55

Während die DKP in den 2000er Jahren auf der Linie ihrer antimonopolistischen Ausrichtung weiter nach rechts ging, scheiterte ein erster Vereinigungsversuch der revisionistischen Kräfte links von DKP und Linkspartei, der sich 2008 unter dem Namen „Kommunistische Initiative“56 gebildet hatte. Mit mehr Erfolg startete etwa zehn Jahre später die Kommunistische Organisation (KO)57 als linksrevisionistische Struktur, die es auch schaffte, eine neue Generation von Aktivist:innen zu organisieren. Auch die KO hat nicht konsequent mit revisionistischen Positionen und Betrachtungen zur Sowjetunion und DDR gebrochen.

Das revisionistische und linksrevisionistische Lager ist bis heute von dem Widerspruch gekennzeichnet, dass die Bewegung historisch zwischen verschiedenen bürgerlichen Staaten hin- und hergerissen ist. Der moderne Revisionismus drückte die Klasseninteressen der neuen herrschenden Klassen in der Sowjetunion und anderer Staaten aus. Ihre politischen Ableger wie die DKP übernahmen deren Ideologie und agierten als Interessenvertreter der Sowjetunion und DDR, die sie als sozialistisch ansahen, passten sich aber ausgehend von ihrer reformistischen Grundorientierung zugleich an ihre eigenen kapitalistischen Staaten an. Dieser Widerspruch ist die Grundlage der Auseinanderentwicklung eines stark sowjetorientierten Revisionismus auf der einen und des Eurokommunismus auf der anderen Seite. Letzterer ähnelt als relativ konsequenter Reformismus stärker dem klassischen Revisionismus (Bernstein) – von dem er sich aber aus Tradition zugleich entschieden distanziert.

Heute drückt sich dieser Widerspruch im Schwanken der revisionistischen Kräfte zwischen verschiedenen imperialistischen Lagern aus: Ein Teil – wie die DKP – orientiert sich in traditioneller Treue zur Sowjetunion weiter an Russland als deren Nachfolgestaat, der trotz Kapitalismus, Finanzoligarchie, autoritärem Staat und militärischer Expansion als antiimperialistisch eingeschätzt wird,58 sowie an China als vermeintlich sozialistischem Land. Der eurokommunistische Flügel, der zum Teil in der Europäischen Linken organisiert ist, passt sich dagegen konsequenter dem eigenen Imperialismus an.

Im Ergebnis kam es zuletzt infolge des Ukraine-Kriegs zu heftigen Auseinandersetzungen im revisionistischen Lager, die sich z.B. in der Spaltung der KO Ende 2022 niederschlugen: Ein eher KKE-orientierter Teil nimmt eine korrekte Haltung zum Ukraine-Krieg ein und bezeichnet diesen als Krieg zwischen zwei imperialistischen Lagern, während ein anderer Flügel das Narrativ des russischen Imperialismus übernommen hat und den Krieg seitens Russlands als gerecht einschätzt.

Die eurokommunistischen Parteien innerhalb der Europäischen Linken stehen dagegen de facto auf der Seite ihrer eigenen imperialistischen Länder. Die PCF etwa spricht sich zwar sowohl gegen den russischen Angriff als auch gegen die NATO-Osterweiterung aus und ruft allgemein zum „Frieden“ auf. Sie setzt sich dabei aber vor allem für eine eigenständige diplomatische Rolle des französischen Imperialismus bei der Beendigung des Krieges und für einen Friedensplan unter dem Dach der UNO ein, so etwa in einer Erklärung ihres Nationalsekretärs Fabien Roussel aus dem Februar 2023: „Die PCF fordert daher die französische Regierung auf, positiv auf die Friedensappelle des UN-Generalsekretärs, von Papst Franziskus und die Vorschläge der Länder des Südens zu reagieren, die auf der Münchener Sicherheitskonferenz die Schaffung einer Kontaktgruppe für den Frieden unter der Schirmherrschaft der UNO gefordert haben. Lassen Sie uns eine Gruppe von Ländern gründen, die große Nationen wie Brasilien, Indien, Südafrika, Kolumbien, Mexiko und viele andere für den Frieden und für eine globale und multilaterale Abrüstung umfasst. Als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates verfügt Frankreich über eine starke Stimme, die es in den Dienst einer universalistischen Botschaft stellen muss. Unser Land muss Schluss machen mit einer Politik, die abwechselnd heiß und kalt bläst. Es muss sich in den Dienst der Suche nach einer politischen Lösung stellen, um dem Leiden und der Zerstörung ein Ende zu setzen und den Marsch in den Krieg zu stoppen.“59 Damit tun die französischen Revisionist:innen letztlich nichts anderes, als unter dem Vorwand des Pazifismus Propaganda für die Geostrategie des eigenen Imperialismus zu machen: Die „Forderung“ der PCF aus der Erklärung reduzierte sich schließlich auf eine Parlamentsdebatte über die Ziele der französischen Diplomatie in der Ukraine sowie über die Waffenlieferungen – die sie nicht kategorisch ablehnt.

Damit haben sich innerhalb des revisionistischen Lagers heute extreme Flügel herausgebildet, die sich wie die Eurokommunist:innen entweder dem eigenen Imperialismus oder – wie die „russisch-orthodoxen“ Revisionist:innen – dem russischen Imperialismus unterordnen. Ein anderer Flügel des Revisionismus hat sich dagegen nach links entwickelt und zumindest in der Frage des Ukraine-Kriegs dem Antiimperialismus angenähert.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Der Revisionismus als politische Erscheinung hat sich mit dem Übergang des Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium herausgebildet, als die revolutionäre Arbeiter:innenbewegung und der Marxismus als deren Weltanschauung bereits entwickelt waren. Von Beginn an befand sich der Marxismus in der Auseinandersetzung mit politischen Ideologien anderer Klassen wie dem kleinbürgerlichen Sozialismus. Als sich der Marxismus in der revolutionären Arbeiter:innenbewegung durchgesetzt hatte, versuchten Theoretiker wie Bernstein, die den Kapitalismus nur reformieren und nicht in einer Revolution stürzen wollten, den kleinbürgerlichen Sozialismus mit marxistischen Begriffen neu zu formulieren bzw. den Marxismus zum kleinbürgerlichen Sozialismus zurückzuentwickeln, ihn zu revidieren. Parallel dazu entstand mit der Arbeiteraristokratie im Imperialismus eine privilegierte Schicht innerhalb der Arbeiter:innenklasse, die neben dem Kleinbürger:innentum zur sozialen Basis des Reformismus und Revisionismus wurde. Für die Verbreitung revisionistischer Ideen und einer revisionistischen Praxis innerhalb der Arbeiter:innenbewegung war vor allem die Inkonsequenz revolutionärer Kräfte, die nicht politisch und organisatorisch mit dem Reformismus brechen wollten, sowie die Existenz eines schwankenden Zentrums ausschlaggebend. Der Revisionismus setzte sich durch diese Schwankungen und Kompromisse in der Praxis sozialdemokratischer und kommunistischer Parteien durch, lange bevor die Parteien auch ihre theoretischen Grundlagen offen revidierten.

Diese verheerende Entwicklung durchlief sowohl die in der Zweiten Internationale organisierte revolutionäre Bewegung vor 1914 als auch die internationale kommunistische Bewegung ab den 1930er Jahren, die nach dem VII. Weltkongress der KI 1935 im Zuge der Volksfrontpolitik in den kapitalistischen Ländern und der mehr und mehr auf friedliche Koexistenz mit dem Imperialismus ausgerichteten Außenpolitik der Sowjetunion sich zunehmend hin zu einem politischen Zentrismus entwickelte.

Gleichzeitig gab es in der Sowjetunion gesellschaftliche Rückentwicklungen (z.B. Aufhebung des Parteimaximums, Abschaffung der unabhängigen Arbeiter- und Bauerninspektion als Kontrolle von unten, Verbot der Abtreibung), die durch die falsche Theorie, dass es nach dem Sieg über die Kulaken nur noch befreundete Klassen gäbe, weiteren Raum zur Entfaltung bekamen. Damit entstanden die Voraussetzungen für das offene Aufkommen des modernen Revisionismus in der kommunistischen Bewegung ab den 1940er Jahren. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Abkehr der KPdSU vom Marxismus-Leninismus beim XX. Parteitag 1956. Während in den imperialistischen Staaten das Kleinbürger:innentum und die Arbeiteraristokratie die soziale Basis des klassischen (Bernstein-)Revisionismus waren, wurde diese Rolle beim modernen (Chruschtschow-)Revisionismus von der neuen herrschenden Klasse aus Staatsbeamt:innen und Betriebsleiter:innen eingenommen, die sich in den vormals sozialistischen Gesellschaften herangebildet und die kapitalistischen Produktionsverhältnisse dort restauriert hatte.

In der Folge differenzierte sich das revisionistische Lager aus, indem in den imperialistischen Ländern politische Ableger der revisionistischen Staaten wie die DKP in Westdeutschland entstanden. Deren ideologische Grundlage war der moderne Revisionismus, den sie im eigenen Land zu einer reformistischen Ideologie erweiterten. Im Falle der DKP kam dies in der Strategie der „antimonopolistischen Demokratie“ zum Ausdruck. Nach dem politischen Bankrott des modernen Revisionismus infolge der Auflösung der Sowjetunion und des RGW ging die Mehrheit des früheren revisionistischen Lagers direkt ins linkssozialdemokratische oder gleich ins bürgerliche Lager über. Eine Minderheit begann jedoch, wie die griechische KKE, mit einer kritischen Analyse der revisionistischen Entwicklung der Sowjetunion und entwickelte sich wieder ein Stück nach links. Diese Entwicklung bleibt jedoch durch das Festhalten an dem Dogma, die revisionistischen Länder seien bis 1989/90 sozialistisch gewesen, begrenzt.

Der Kampf gegen den Revisionismus als Erscheinungsform des Imperialismus muss von den Kommunist:innen zu jeder Zeit geführt werden. Die Kommunist:innen müssen stets an den Grundprinzipien des Marx-ismus-Leninismus festhalten und die revisionistischen Ideologien und Positionen in der politischen Widerstandsbewegung und der Arbeiter:innenbewegung konkret und klar aufzeigen und bekämpfen. Dabei dürfen sie weder in die eine noch andere Richtung abweichen: Weder in eine kompromisslerische Haltung und ein Zukleistern politischer Widersprüche mit dem Revisionismus, noch in ein Sektierertum und ein Sich-Abkapseln, das auf den Kampf um Kräfte verzichtet, die vom Revisionismus beeinflusst sind, jedoch ehrlich auf der Suche nach Antworten auf die Fragen der sozialistischen Revolution im 21. Jahrhundert und offen für Entwicklung sind.

Der Kampf gegen den Revisionismus muss unbedingt auch die ständige ideologische Wachsamkeit bei uns selbst gegenüber allen Einflüssen der bürgerlichen Ideologie und ihren verschiedenen Ausdrucksformen (wie z.B. klassischem Revisionismus, modernem Revisionismus, Trotzkismus, Postmodernismus u.a.) einschließen. Dabei reicht es nicht aus, die kommunistische Bewegung nur durch „Säuberungen“ von opportunistischen Kräften zu befreien. Dies ist lediglich ein Notbehelf. Die bürgerliche Ideologie ist nämlich nichts, was nur von außen auf die Kommunist:innen einwirkt. Vielmehr tragen auch alle Kommunist:innen notwendigerweise bürgerliche Seiten in ihrer Persönlichkeit und in ihrem Denken, die in Wechselwirkung mit dem ideologischen Druck des Imperialismus, dessen Einfluss wir tagtäglich in vielfältigsten Formen ausgesetzt sind, die ständige Gefahr des Abweichens vor den Aufgaben der Revolution hervorrufen. Dies aber sind die Quellen für revisionistische Entwicklungen sowie für alle zentristischen Inkonsequenzen im Kampf gegen solche Entwicklungen. Deshalb erfordert auch der Kampf gegen den Revisionismus die Revolutionierung der eigenen Persönlichkeit der Kommunist:innen.

Der Kampf gegen den Revisionismus als gesetzmäßige Erscheinung im Imperialismus ist ein Ausdruck, eine Seite des notwendigen Kampfes der Kommunist:innen um die Bolschewisierung, also den Aufbau einer Partei neuen Typs unter den gesellschaftlichen Bedingungen in Deutschland, einem imperialistischen Zentrum mit einer Arbeiter:innenklasse, die heute materiell, politisch und ideologisch eng an die Bourgeoisie sowie das Kleinbürger:innentum angebunden ist. Die Schaffung der Partei neuen Typs und die Revolutionierung der Kommunist:innen können nur im engen Zusammenhang mit der Revolutionierung der Arbeiter:innenklasse geschehen.

1Marx, Engels, „Manifest der Kommunistischen Partei“, MEW Bd. 4, S. 484 f.

2„Dieser Sozialismus [der revolutionäre Sozialismus] ist die Permanenzerklärung der Revolution, die Klassendiktatur des Proletariats als notwendiger Durchgangspunkt zur Abschaffung der Klassenunterschiede überhaupt, zur Abschaffung sämtlicher Produktionsverhältnisse, worauf sie beruhen, zur Abschaffung sämtlicher gesellschaftlichen Beziehungen, die diesen Produktionsverhältnissen entsprechen, zur Umwälzung sämtlicher Ideen, die aus diesen gesellschaftlichen Beziehungen hervorgehen.“ Marx, „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 – 1850“, MEW Bd. 7, S. 89 f.

3Kommunistisches Manifest, ebd.

4Vgl. Marx, „Kritik des Gothaer Programms“, MEW Bd. 19, S. 13

5Lenin, „Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus“, LW Bd. 23, S. 112

6Ebd., S. 116

7„Marxistische Arbeiterschulung (MASCH), Kursus: Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung, Die deutsche Sozialdemokratie in der Periode des Ausnahmegesetzes (1878 bis 1890), Ein Jahr der Verwirrung“, Verlag für Literatur und Politik, Wien/Berlin 1930, Reprint 1970, S. 175

8Zitiert nach: Marx, Engels, „Zirkularbrief an Bebel, Liebknecht, Bracke u.a.“, MEW Bd. 19, S.161

9„MASCH, Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung“, ebd.

1010Eduard Bernstein, „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“, Stuttgart 1899, S. 10f; zitiert nach: Geschichte der Philosophie, Band V, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1963, S. 481

11Vgl. Rosa Luxemburg, „Sozialreform oder Revolution“, in: Gesammelte Werke Bd. 1, Dietz Verlag Berlin, S. 367 ff.

12Bernstein selbst lehnte den Krieg damals ab und trat zur USPD über. Nach dem Ende des Krieges und der Novemberrevolution 1918/19 schloss er sich jedoch wieder der SPD an.

13Lenin, „Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus“, LW Bd. 23, S. 116

14Vgl. „Trotzkismus – eine marxistisch-leninistische Analyse“, Kommunismus 25, S. 35 ff.

15Ebd., S. 39 ff.

16Ebd., S. 29 f.

17Vgl. Ossip Pjatnitzki, „Die Bolschewisierung der kommunistischen Parteien der kapitalistischen Länder durch Überwindung der sozialdemokratischen Traditionen“, aus: „Die Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) – Band 1“, Verlag Rote Fahne 1973, S. 127

18„Von der Perspektive der Verschärfung des Kampfes gegen die Sozialdemokratie ausgehend, bestätigte der Kongreß den Beschluß des IX. EKKI-Plenums, das das Steuer der französischen Partei herumriß und ihr empfahl, bei den Wahlen auf die Einheitsfront mit den Sozialisten zu verzichten und den Wahlkampf unter der Parole ‚Klasse gegen Klasse‘ durchzuführen. Der Kongreß bestätigte auch den Beschluß des IX. EKKI-Plenums, der das taktische Steuer der englischen Partei hinsichtlich der Arbeiterpartei umlegte, welche aus einer formlosen Arbeiterorganisation eine ganz gewöhnliche sozialdemokratische Partei geworden war.“, „Der VI. Weltkongress der Kommunistischen Internationale, 1928 – Thesen der Agit.–Prop.-Abteilung des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale“, aus: Parteihochschule „Karl Marx“ beim ZK der SED, „Die Kommunistische Internationale“, Berlin 1956, S. 156 ff., Hervorhebungen durch uns

19Eine kritische Einschätzung der Ausrichtung des VI. Weltkongresses sowie des Schwenks der KI bis zum VII. Weltkongress werden wir im Rahmen einer ausführlichen Ausarbeitung zur Geschichte der kommunistischen Bewegung in Deutschland veröffentlichen.

20Georgi Dimitroff, „Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen Faschismus“, aus: Pieck, Dimitroff, Togliatti, „VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1935“, Dietz Verlag 1957, S. 171 ff.

21Ebd.

22Dimitroff, S. 172 f.

23Vgl. „100 Jahre Hamburger Aufstand – Geschichtliche Mythen und revolutionäre Lehren“, Kommunismus 25, S. 10 f.

24Dies geht neben zahlreichen anderen historischen Dokumenten der damaligen Zeit insbesondere aus den Tagebuch-Aufzeichnungen von Georgi Dimitroff hervor, der die KI ab 1934 als Generalsekretär führte. Vgl. Banac (Hrsg.), „The Diary of Georgi Dimitrov 1933 – 1949“, Yale University Press 2003

25In einer Direktive der Komintern vom 8. September 1939 heißt es dazu: „Die Teilung der kapitalistischen Länder in faschistische und demokratische [Lager] hat ihre frühere Bedeutung verloren. Die Taktik der kommunistischen Parteien in allen kriegsführenden Ländern besteht in dieser Phase des Krieges darin, sich dem Krieg entgegenzustellen, seinen imperialistischen Charakter zu entlarven…. Überall müssen die kommunistischen Parteien eine entscheidende Offensive gegen die verräterische Politik der Sozialdemokratie unternehmen.“, Fridrikh Igorevich Firsov, „Secret Cables of the Comintern, 1933 – 1943“, Yale University Press, S. 146, Übersetzung aus dem Englischen

26„Gottwald warnte die tschechoslowakische Partei davor, sich in Proteste oder Aktionen zu verwickeln, die sich zu einem bewaffneten Kampf gegen die Nazi-Besatzungsbehörden entwickeln könnten, und forderte Wachsamkeit gegenüber Provokationen durch die ‚Agenten Chamberlains‘, eine Anspielung auf diejenigen, die den im Exil lebenden Beneš [früherer Präsident und selbsternannter Exilpräsident der Tschechoslowakei] unterstützten.“ Firsov, „Secret Cables of the Comintern“, S. 162, Übersetzung aus dem Englischen

27„Die revolutionäre Perspektive erfordert eine enge Verbindung mit der deutschen Arbeiterklasse im Rahmen der internationalen proletarischen Solidarität sowie die Freundschaft mit der Sowjetunion. Deshalb ist antideutscher Chauvinismus unvereinbar mit der Entwicklung des tschechischen Befreiungskampfes.“, Kodierte Nachricht von Klement Gottwald vom 16. Oktober 1939, zitiert nach: Firsov, „Secret Cables of the Comintern“, ebd., Übersetzung aus dem Englischen

28„Antwort des Genossen J.W. Stalin auf die Frage des Hauptberichterstatters der englischen Presseagentur Reuter“, SW Bd. 14, Verlag Roter Morgen, S. 318 f.

29In den Aufzeichnungen heißt es weiter: „Wir haben unsere Ressourcen überschätzt, als wir die KI gegründet haben und glaubten, wir könnten die Bewegung in allen Ländern führen. Das war unser Fehler. Die weitere Existenz der KI würde die Idee der Internationale diskreditieren, was wir nicht wollen. Es gibt noch einen weiteren Grund für die Auflösung der KI, der nicht in der Resolution [der Auflösungserklärung, Anm. d. Verf.] genannt wird. Dies ist die Tatsache, dass die Kommunistischen Parteien der KI fälschlich beschuldigt werden, angebliche Agenten eines ausländischen Staates zu sein, und dies behindert ihre Arbeit in den breiten Massen. Die KI aufzulösen schlägt diese Trumpfkarte aus den gegnerischen Händen. Dieser Schritt, den wir jetzt unternehmen, wird zweifellos die Kommunistischen Parteien als nationale Parteien der Arbeiterklasse stärken und zugleich den Internationalismus der Volksmassen wieder verstärken, ein Internationalismus, dessen Basis die Sowjetunion ist“. Stalin am 21. Mai 1943, aus: „The Diary of Georgi Dimitrov 1933 – 1949“, S. 275 f., Übersetzung aus dem Englischen

30Bulgarien, Frankreich, Italien, Jugoslawien (bis 1948), Polen, Rumänien, Sowjetunion, Tschechoslowakei, Ungarn.

31Schon 1930 erklärte Stalin: „Wie Sie sehen, sind in der Großindustrie die kapitalistischen Elemente bereits untergegangen. Es ist klar, dass die Frage «Wer-wen?», die Frage, ob der Sozialismus die kapitalistischen Elemente in der Industrie besiegen wird oder ob diese den Sozialismus besiegen werden, schon zugunsten der sozialistischen Formen der Industrie entschieden ist. Sie ist endgültig und unwiderruflich entschieden.“ (Stalin, „Politischer Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees an den XIV. Parteitag“, Juni 1930, SW Bd. 12, S. 236). Im Jahr 1936 heißt es dann: „Verschwunden ist die Kapitalistenklasse in der Industrie. Verschwunden ist die Kulakenklasse in der Landwirtschaft. Verschwunden sind die Händler und Spekulanten auf dem Gebiete des Warenumsatzes. Alle Ausbeuterklassen sind somit liquidiert.“ (Stalin, „Über den Entwurf der Verfassung der Union der SSR“, 1936, SW Bd. 14, S. 61); Stalin gegenüber Roy Howard 1936: „Und jetzt bauen wir die neue klassenlose Gesellschaft.“ („Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung“, Nr.11/1936, S.410);In dem „Kurzen Lehrgang“ heißt es dann 1938, dass mit der Liquidierung des Kulakentums „im Lande die letzten Quellen einer Restauration des Kapitalismus zerstört“ wurden („Kurzer Lehrgang“, S. 380)

32 „Es ist notwendig, die faule Theorie zu zerschlagen und beiseite zu werfen, dass der Klassenkampf bei uns mit jedem Schritt unseres Vormarsches mehr und mehr erlöschen müsse, dass der Klassenfeind in dem Maße, wie wir Erfolge erzielen, immer zahmer werde. (…) Je mehr Erfolge wir erzielen werden, umso größer wird die Wut der Überreste der zerschlagenen Ausbeuterklassen werden, umso eher werden sie zu schärferen Kampfformen übergehen.“ (Stalin, „Über die Mängel der Parteiarbeit und die Maßnahmen zur Liquidierung der trotzkistischen und sonstigen Doppelzüngler“, 1937, SW Bd. 14, S.136

33Stalin, „Rechenschaftsbericht an den XVIII. Parteitag über die Arbeit des ZK der KPdSU(B)“, 1939, SW Bd. 14,S. 209

34Ebd., S. 229

35Stalin, „Rechenschaftsbericht an den XVIII. Parteitag“, SW Bd. 14, S. 229

36Vgl. Trotz Alledem, „Analyse der Restauration des Sozialismus in der sozialistischen Sowjetunion“, http://trotzalledem.bplaced.net/zeitungen/71/poe.html

Rote Reihe, Band 1, „Wann und warum der Sozialismus in der Sowjetunion scheiterte“, Verlag Roter Morgen 1994, S. 18

37Vgl. „Über die Zerstörung des Sozialismus und die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion“, Kommunismus 7, S. 15 f

38Vgl. Nils Holmberg, „Friedliche Konterrevolution“ Teil 1, Oberbaumverlag, S. 34

39Stalin, „Rechenschaftsbericht an den XVIII. Parteitag“, SW 14, S. 214

40Z.B. wimmeln Stalins veröffentlichte Korrespondenzen mit anderen Politbüro-Mitgliedern von Stellen, in denen er gegen bürokratische Tendenzen, Karrierismus und Vetternwirtschaft in Partei und Staat eintritt und die Politbüromitglieder in diesen Fragen zu mehr Konsequenz und Schärfe drängt – dazu zwei Beispiele: 1. „Grüße, Genosse Kaganowitsch! 1) Warum werden die Berichte über die Autofabriken von Moskau und Gorki nicht täglich veröffentlicht? Zu wem bist Du gnädig – zu den Bürokraten? Stehen die Interessen der Bürokraten wirklich über den Interessen der Sache? Das ist also die Schande, die wir erleben …“ (4.10.1932), 2. „Die Politbüro-Entscheidung, zahlreichen Individuen den Leninorden zu verleihen, macht einen schlechten Eindruck. Ihr habt damit angefangen, zu schnell Medaillen zu vergeben. Wenn das so weitergeht, wird die Medaille entwertet, und sie wird all ihre moralische Kraft verlieren. Das darf unter keinen Umständen passieren! Sag Postyshev, er soll nicht dem Druck der großen und mächtigen Bürokraten nachgeben, die auf Medaillen für ihre Bürokraten-Freunde aus sind…“ (4.9.1931), aus: Davies, Khlevniuk, Rees, „The Stalin-Kaganovich Correspondence 1931-1936“, Yale University Press 2003, S. 71 / 127

41Stalin, „Rede auf dem VIII. Kongreß des Kommunistischen Jugendverbandes“, SW Bd. 11, S. 63

42Kommunismus 7, S. 12 ff.

43Vgl. Wolfgang Leonhard, „Die Revolution entlässt ihre Kinder“, Kiepenheuer und Witsch 2006, S. 660 ff.

44SW Bd. 15, S. 163 ff.

45SW Bd. 15, S. 292 ff.

46Vgl. „Über die Zerstörung des Sozialismus und die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion“, Kommunismus 7, S. 19 ff.

47Vgl. Der Weg der Partei 1/1988, „Die Sowjetunion – ein kapitalistisches, imperialistisches Land“, Verlag Roter Morgen, S. 12

48Unsere Haltung zum Maoismus haben wir ausführlich dargelegt in: „Der Maoismus – ein revolutionärer Bündnispartner“, Kommunismus 18, S. 4 ff.

49Die KI dagegen hatte in den 1930er und 40er Jahren immer wieder versucht, die chinesischen Kommunist:innen auf eine Volksfront mit der Kuomintang auszurichten. Stalin räumte 1948 im Gespräch mit bulgarischen und jugoslawischen Kommunisten ein, dass er die revolutionären Möglichkeiten in China zuvor unterschätzt hatte: „Ich bezweifelte auch, dass die Chinesen Erfolg haben könnten, und riet ihnen, sich mit Tschiang Kai-Tschek vorübergehend zu einigen. Offiziell stimmten sie mit uns überein, aber in der Praxis haben sie das chinesische Volk weiter mobilisiert und dann offen die Frage gestellt: Werden wir unseren Kampf fortsetzen? Wir haben die Unterstützung unseres Volkes. Wir haben geantwortet: Gut, was braucht ihr? Es stellte sich heraus, dass die Bedingungen dort sehr günstig waren. Die Chinesen hatten recht, und wir hatten unrecht.“, „The Diary of Georgi Dimitrov 1933 – 1949“, S. 443

50Der Parteivorsitzende Max Reimann entzog sich dann 1954 einem Haftbefehl in der BRD, indem er in die DDR übersiedelte und die KPD unter Fortführung der strikten Unterordnung unter die SED von dort aus weiterführte.

51Vgl.: „Breschnews Bedingung für weitere Abkommen: Die Wiederzulassung einer legalen kommunistischen Partei in der Bundesrepublik“, aus: Manfred Wilke, „Die neue Ostpolitik der Bundesrepublik und der Moskauer Vertrag 1970“ (2. Teil), Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/312614/ii-1964-1968-entspannungspolitik-als-schluessel-fuer-eine-neue-ostpolitik

52Grundsatzerklärung der Deutschen Kommunistischen Partei, In: Protokoll des Essener Parteitages der DKP, 12. / 13. April 1969, zitiert nach: Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, „Der Imperialismus der BRD“, Verlag Marxistische Blätter 1972, S. 568 f.

53Vgl. „Ukraine-Krieg und sozialistische Revolution“, Kommunismus 23, S. 12

54Vgl.: „18th Congress, Resolution on Socialism – Assessments and conclusions on socialist construction during the 20th century, focusing on the USSR. KKE’s perception on socialism“, https://inter.kke.gr/en/articles/18th-Congress-Resolution-On-Socialism

55Vgl. Offensiv (Hrsg.), „Niederlagenanalyse – Die Ursachen für den Sieg der Konterrevolution in Europa“, Hannover 2007

56www.kommunistische-initiative.de

57https://kommunistische.org

58So äußerte Renate Koppe vom Sekretariat des DKP-Vorstands im September 2022 im Interview mit der KO: „Russland geht es nicht darum, imperialistische Interessen zu vertreten, sondern seine eigene Souveränität als Nationalstaat behalten zu können und nicht zu einer Halbkolonie herabzusinken.“, https://kommunistische.org/kongress/interview-im-donbass-kaempfen-die-menschen-gegen-ein-faschistisches-regime

59Fabien Roussel, „Ukraine: Agir pour la Paix, en priorité“, 23.02.2023 (Übersetzung aus dem Französischen) www.pcf.fr/ukraine_agir_pour_la_paix_en_priorit_fabien_roussel