Inhaltsverzeichnis:

Kapitel 1: Faschismus: Entstehung und Diktatur (1918-1945)

Kapitel 2: Die faschistische Ideologie

Kapitel 3: Postfaschismus, Staatsterror & Neue Rechte (1945-1990)

Kapitel 4: Der Faschismus erhebt sein Haupt (1990-Heute)

Kapitel 5: Antifaschistische Strategie

Es gab keine „Stunde Null“

Die totale militärische Niederlage des deutschen Imperialismus am 8. Mai 1945 war ein schwerer Schlag für die herrschende Klasse, bestehend aus Monopolkapital und Nazi-Elite. Die faschistische Bewegung hat den mystischen Endkampf jedoch überlebt. Nur die allerhöchste Führungsriege des Staates war größtenteils tot: Hitler und Teile seiner Gefolgsleute wie Goebbels und Himmler begingen Selbstmord. Von den gerade einmal 24 angeklagten NS-Führungspersonen im Nürnberger Kriegsverbrechertribunal wurden nur zwölf zum Tode und sieben zu Freiheitsstrafen verurteilt. Zwar wurden NSDAP und SS verboten, aber die Partei zählte zu Kriegsende noch 8,5 Millionen Mitglieder, die SS noch etwa 500.000 Mann. Die Faschist:innen gingen in dieser Lage unterschiedlich vor:

Ein kleiner Teil aus Überbleibseln der kurz vor Kriegsende gegründeten „NS-Werwölfe“ begann begrenzte Widerstandsaktionen gegen die Besatzung durch die Alliierten. So hatten bereits am 28. März 1945 drei Mitglieder einer Werwolf-Gruppe den von den US-Amerikanern im Aachener Raum eingesetzten Bürgermeister ermordet. Solche Gruppen wurden jedoch schnell zerschlagen.

Ein anderer Teil begann damit, die schon vor Kriegsende vorbereiteten Fluchtrouten zu aktivieren. Rund 40.000 Naziaktivist:innen und Kriegsverbrecher wurden durch Flucht-Netzwerke wie ODESSA und „Die Spinne“ ins Ausland geschleust, unter anderem mit Hilfe des Vatikan und des Internationalen Roten Kreuzes. Darunter waren etwa der Organisator des Holocaust Adolf Eichmann oder Wilfried von Oven, persönlicher Referent von Joseph Goebbels.

Ein weiterer Teil begann in Westdeutschland mit dem Wiederaufbau einer faschistischen Bewegung unter den neuen Bedingungen. Zugleich sickerten hunderttausende überzeugte Faschist:innen und auch führende Kader:innen in die „neuen“ Institutionen der entstehenden Bundesrepublik Deutschland ein oder wurden direkt in diese eingebunden.

Die Bedingungen für die Weiterarbeit im Dienste des westdeutschen Imperialismus waren günstig: Die bürokratische Überprüfung der NS-Vergangenheit durch die Alliierten kratzte, wenn überhaupt nachgefragt wurde, nur an der Oberfläche. Von einer wirklichen Entnazifizierung konnte in den westlichen Besatzungszonen (unter der jeweiligen Führung der USA, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs) keine Rede sein: „Bis März 1965 wurden von den Gerichten der Bundesrepublik nur 5.234 Personen rechtskräftig verurteilt, in über 7.000 Fällen erging Freispruch, wurde das Verfahren eingestellt oder die Hauptverhandlung gar nicht erst eröffnet. In den Fällen aber, in denen eine Verurteilung erfolgte, standen die Urteile in der Regel in keinem Verhältnis zur Straftat. Von 5.234 verurteilten Naziverbrechern und Massenmördern wurden nur 80 zur Höchststrafe (9 zum Tode, 71 zu lebenslangem Zuchthaus) verurteilt.“1 Stattdessen konnten viele Karriere im sich neu bildenden Staatsapparat machen.

Der ganze Umfang der Kontinuität von Nazi-Verbrechern in Staat, Wirtschaft, Verwaltung, Armee, Justiz und Wissenschaft ist u.a. im Braunbuch detailliert nachgezeichnet worden. Dieses von der DDR herausgegebene Werk listet „ausschließlich die Namen solcher Personen [auf], die durch ihre führende Tätigkeit bei der Vorbereitung und Durchführung der nazistischen Verbrechen und Aggressionsakte tatsächlich belastet sind beziehungsweise unmittelbar an Massenmorden teilgenommen, dafür die Befehle erteilt oder sie als intellektuelle Urheber vorbereitet haben.“ Nur die „abscheulichsten Verbrecher“ hätten es in die Liste geschafft. Darunter befanden sich im Jahr 1965 der Bundespräsident, 20 Angehörige des Bundeskabinetts und Staatssekretäre, 189 Generäle, Admirale und Offiziere in der Bundeswehr oder in den NATO-Führungsstäben sowie Beamte im Kriegsministerium, 1.118 hohe Justizbeamte, Staatsanwälte und Richter, 244 leitende Beamte des Auswärtigen Amtes, der Botschaften und Konsulate, 300 Beamte der Polizei und des Verfassungsschutzes sowie anderer Bundesministerien.

Wobei aus unserer Sicht hervorgehoben und kritisiert werden muss, dass durch die Begrenzung auf die „abscheulichsten Verbrecher“ das Ausmaß der faschistischen Kontinuität systematisch unterschätzt wurde, da z.B. die Rolle der Faschistinnen in den Familien und sozialen Strukturen der Nachkriegszeit als „vorpolitischem“ Raum völlig aus dem Blick geraten muss.

Einschub: Entnazifizierung in der DDR

Die DDR stellte sich selbst als „Gegenstück“ zur BRD als der „konsequentere Entnazifizierer“ dar. Tatsächlich wurden kurz nach dem Krieg deutlich mehr Nazi-Verbrecher in der sowjetischen Besatzungszone und ab 49 in der DDR verurteilt als in der BRD und z.B. etwa 80 Prozent des Justizapparats ausgetauscht. Zugleich war sich die sowjetische Militäradministration durchaus darüber bewusst, dass man es im Westen wie auch im Osten mit einer massiven faschistischen Durchdringung der Bevölkerung zu tun hatte. Für die sowjetische Besatzungszone wurde deshalb die Perspektive eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands entworfen, wodurch ein neutrales Deutschland als bürgerlicher Staat auf kapitalistischer Grundlage entstehen sollte. Im Januar 1946 notierte der SED-Vorsitzende Wilhelm Pieck dazu: „Taktische Linie bei Behandlung der Nazimitglieder: differenzieren – aktive Nazis weiter wie bisher bekämpfen, nominelle Mitglieder der Nazipartei heranziehen, ihnen sagen, dass bei loyalem Verhalten auf unsere Unterstützung rechnen, dass wir ihnen Arbeit anvertrauen.“ 2

Auch wenn sich intern viele Kommunist:innen, die in den KZs gesessen hatten, gegen diese Politik stellten, wurden sogenannte „minderbelastete“ Faschist:innen schnell wieder in die Gesellschaft integriert – und dies öffentlich wenig problematisiert. Die DDR-Führung verschonte die Nazi-Ideologie in den Köpfen der Millionenmassen und verhinderte so eine grundlegende Veränderung der autoritär-patriarchalen Persönlichkeiten, in welchen sich die faschistische Weltanschauung eingenistet hatte. So enthält beispielsweise das Braunbuch „keine Namen nomineller Mitglieder der NSDAP. Die DDR hat immer konsequent zwischen der Millionenzahl ehemaliger Mitglieder der Nazi-Organisationen unterschieden, die selber irregeführt und betrogen wurden, und jener abscheulichen Gruppe von Hintermännern, Initiatoren und Profiteuren der Naziverbrechen. Wir denken nicht daran, irgend jemandem, der einmal einen politischen Irrtum beging, inzwischen aber längst seinen Fehler erkannt und einen neuen Weg beschritten hat, aus seiner Vergangenheit einen Vorwurf zu machen.“3

Damit wird die von uns bereits in Teil 1 kritisierte Begrenzung der kommunistischen Weltbewegung auf die Einordnung des Faschismus als reine Demagogie fortgesetzt und die Verinnerlichung der faschistischen Ideologie zum „Irrtum“ erklärt, der nun von vielen bereits eingesehen werde. Auf der Basis solch einer Analyse konnte die tief verankerte reaktionäre Persönlichkeit unter Millionen Menschen nicht überwunden werden.4

Zugleich wurde der „Antifaschismus“ zur Staatsräson erklärt – so dass es „Faschismus“ in der DDR nicht geben durfte und dessen Bekämpfung nicht gesellschaftlich durchgeführt wurde. Bald wieder entstehende Nazi-Gruppen wurden vor allem als „Rowdys“ gekennzeichnet. Hinzu kommt, dass in der DDR eine Rebellion wie die der 68er in Westdeutschland gegen das Fortbestehen der Nazi-Eliten im Staat und die postfaschistische gesellschaftliche Kultur nicht stattfand. All dies bildete einen Nährboden für lebendige Nazistrukturen in den 80ern in der DDR, auf welchem die westdeutsche faschistische Bewegung nach dem Mauerfall aufbauen konnte.

Die Kontinuität des Faschismus fand sich nicht nur in der Spitze des Staatsapparats wieder. Das vorherrschene Gefühl in der deutschen Bevölkerung nach dem Sieg der Alliierten war nicht das der „Befreiung“, sondern das der „Niederlage“. Die Meinung, dass man „Opfer“ und nicht „Täter“ sei, war weit verbreitet. Zugleich verdrängte die Erleichterung über ausbleibenden Fliegeralarm und Maschinengewehrsalven die Aufarbeitung. So sollen die Karnevalsfeiern von 1946 bis 1949 laut Berichten besonders überschwänglich gewesen sein.

In den Wirren der Niederlage bemühten sich auch all diejenigen, die dem Hitlerfaschismus mit Sympathie oder passiv gegenüber gestanden hatten, opportunistisch an die neue Machtsituation anzupassen. „Der Krieg war vorbei, da war Stille im Land, da waren die Lautesten leis. Sie nahmen das Hitlerbild von der Wand. Ihre Westen, die wuschen sie weiß.“, heißt es dazu im Arbeiter:innen-Lied „Drei Rote Pfiffe“.

Die bürgerliche Erzählung der „Stunde Null“ kam auch den Naziverbrechern und faschistischen Kader:innen sowie deren Massenbasis zu Gute, die so tat, als sei nun „alles anders“. Besondere Einschnitte wie die Währungsreform am 20. Juni 1948 bestärkten dieses Gefühl auch tatsächlich. Dennoch blieben die ideologische Überzeugung und die Sympathien waren ungebrochen. Im Jahr 1951 äußerten bei einer Umfrage 40% der Befragten in Westdeutschland die Meinung, die Nazizeit sei besser gewesen als die Neuordnung in der BRD. Einerseits war die NSDAP verboten, doch andererseits existierte eine ganze Generation, die unter dem faschistischen Regime und mit seinen Denkweisen groß geworden war. Wenn der Faschismus vor allem in kleinbürgerliche Teile der unterdrückten Massen eindringen kann, bilden diese 40% den oberen Rand der faschistischen Massenbasis, welche er in einem Staat erreichen kann, in dem er nicht mehr an der Macht ist. Diese Größenordnung sollte aber in der BRD über die nächsten Jahrzehnte hinweg – wenn auch zahlenmäßig schwankend – im Grundsatz konserviert bleiben.5

Die strategische Lage
nach dem Sieg über den Faschismus

Dass die Nazi-Elite bis hin zu Sympathisant:innen auf unterer Ebene in der beschriebenen Kontinuität weitermachen konnten, hing maßgeblich mit den Interessen des amerikanischen Imperialismus als Führungsmacht des Westblocks zusammen. Hintergrund war die geopolitische Notwendigkeit, ein antikommunistisches Bollwerk in Westdeutschland aufzubauen. Zwar hatte der Zweite Weltkrieg mit dem Sieg der Anti-Hitler-Koalition geendet. Doch der Imperialismus mit den USA an seiner Spitze stand nun vor einer massiven Herausforderung und komplexen Situation:

Nicht nur die USA und die anderen Westmächte wurden in ganz Europa als Befreier vom Faschismus gefeiert, sondern auch die Sowjetunion. Diese hatte mit 20 Millionen Toten den mit Abstand größten Blutzoll im Krieg gezahlt und dabei auch den größten Einsatz geleistet. Zugleich dürften weite Teile der westdeutschen Bevölkerung froh gewesen sein, dass sie nicht unter sowjetische Besatzung kamen – was nicht zuletzt eine Wirkung der jahrzehnte- bis jahrhundertealten antirussischen Propaganda war.

Zudem bestand eine starke europäische bewaffnete antifaschistische Bewegung in Gestalt der Partisan:innenbewegungen in Griechenland, Italien, Zypern und auf dem Balkan, die sich zum Teil selber vom Faschismus befreit und in der Bevölkerung meist einen großen Rückhalt hatten. Die Partisan:innen waren nicht unbedingt kommunistisch oder revolutionär, sondern umfassten auch einen hohen Anteil an bürgerlichen Kräften, wie z.B. in Italien und Griechenland.

Auch in Deutschland gab es trotz der Zerschlagung, Einverleibung und Illegalisierung der Arbeiter:innenorganisationen in der Zeit des Faschismus noch immer eine einflussreiche Arbeiter:innenbewegung. Der Einfluss der Kommunist:innen, die den Faschismus überlebt hatten, war groß: 40% der Betriebsrät:innen, die direkt nach dem Krieg gewählt wurden, waren Mitglieder der KPD. Die Forderung nach einer Entmonopolisierung und Sozialisierung der Schlüsselindustrien war durchaus populär, denn wichtige Teile der Arbeiter:innenklasse hatten die Macht der „Kohle- und Stahlbarone“ am eigenen Leib erfahren und wollten diese Macht brechen.6

Neben dem „antifaschistischen Konsens“ in den fortschrittlichen und humanistischen Teilen der Massen, der den Aufbau einer antifaschistischen und demokratischen Gesellschaft beschreibt, herrschte in Deutschland in gewichtigen Teilen der Bevölkerung eine starke antimilitaristische Stimmung. Sogar der prominente CSU-Reaktionär Franz Josef Strauß sah sich 1949 zu der Aussage gezwungen: „Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nimmt, dem soll die Hand abfaulen!“7 Zugleich waren Millionen Menschen durch einen jahrzehntelangen Militarismus erzogen worden und vertraten den auch öffentlich sowie im Rahmen von Traditionsverbänden (siehe unten).

Während also auf der einen Seite der Faschismus in Deutschland noch eine starke Massenbasis hatte, gab es Millionen Menschen in Europa, die Krieg und Faschismus satt hatten und sich nach Frieden und einer gerechten Bestrafung der führenden Nazis sehnten. Die Stimmung hatte das Potenzial zu kippen. Insbesondere der amerikanische Imperialismus hatte Angst davor, dass Teile Europas „rot“ werden könnten, wobei Deutschland hierbei eine Schlüsselrolle hätte einnehmen müssen.

Um dagegen vorzugehen und die „Feinde“ im Inneren und Äußeren zurück zu drängen, mussten die westlichen Alliierten mit den USA an ihrer Spitze in Westdeutschland einen Staat schaffen, der diese Gefahren abwehren konnte.

Dafür setzten sie auf die folgenden Aspekte:

Der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft, sodass diese in der Lage sein würde, ein kapitalistisches Alternativangebot zur Perspektive des Sozialismus zu bieten, wie er sich im Osten und in der sowjetischen Besatzungszone darstellte.

Die Zurückweisung der Politik der Sowjetunion – und in Folge der von KPD und SED – die ein vereinigtes antifaschistisch-demokratisches Deutschland vorsah: Also ein kapitalistisches System mit einem bürgerlichen Staat und verbürgten demokratischen Rechten für die Arbeiter:innenbewegung und die Kommunist:innen bei gleichzeitiger außenpolitischer Neutralität. Diese Linie wurde auch nach der Gründung der DDR noch bis zur Mitte der 50er Jahre verfolgt. Aus US-Sicht musste eine Wiedervereinigung Deutschlands unter sowjetischer Führung um jeden Preis verhindert werden.

Der Aufbau eines starken deutschen Geheimdienstes unter Kontrolle des US-Imperialismus, mit dem Staat und Kapital an die Seite der USA gezwungen würden, und diese entscheidende Einflussmöglichkeiten behielten. Dieser musste vor allem aus Spezialist:innen in antikommunistischer Aufstandsbekämpfung zusammengesetzt sein, welche das Eindringen in und die Zerschlagung fortschrittlicher Bewegungen; die ideologische Isolation von Widerstandskämpfer:innen; die Ausnutzung der Bevölkerung für die Zwecke der Konterrevolution (Spitzel, Denunziation etc.); sowie den offenen Terror gegen Aufständische beherrschten. Das allerdings hatte bislang niemand so perfektioniert wie die deutschen Nazis.

Die Remilitarisierung Deutschlands durch den Aufbau eines Militärs, welches zwar nicht in der Lage wäre, Deutschland wieder zu einer Großmacht zu machen, jedoch fähig, das Vordringen der Sowjetunion in Richtung Westen aufzuhalten. Dieses sollte aber nicht allein handeln, sondern im Rahmen des NATO-Bündnisses. Auch hier musste auf erfahrene Militärs und fähige Spezialisten zurückgegriffen werden – eben solche aus der faschistischen Wehrmacht.

All diese Ziele fielen zusammen mit den Interessen der deutschen herrschenden Klasse – sowohl den faschistischen Führungscliquen in Militär, Partei und Geheimdienst als auch dem deutschen Kapital. Während in den Betrieben die Eigentumsverhältnisse unangetastet blieben, stellte sich der deutsche Staatsapparat flexibel neu auf, um auf Sicht von Generationen wieder an Stärke gewinnen zu können. Somit konnte die personelle Kontinuität der deutschen Bourgeoisie gewahrt bleiben und zugleich die 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland wieder auf den Weg hin zur Weltmacht gebracht werden.

Nahtlose faschistische Kontinuität in Kapital und Staat

Finanzoligarchie macht weiter

Obgleich gewichtige Teile des Kapitals Hitlers Aufstieg vorbereitet hatten8 und zur NS-Zeit ihre Pläne besonders aggressiv umsetzten, gab es im Nürnberger Kriegsverbrechertribunal nur einen einzigen Kapitalisten unter den Hauptangeklagten: Nämlich den Hitlerverehrer und Chef des Kruppkonzerns Gustav Krupp von Bohlen und Halbach. Er wurde jedoch aus gesundheitlichen Gründen freigelassen.

Für den Rest der Finanzoligarchie galt, dass ihre Macht (über die Betriebe) in den Westzonen/BRD keinen einzigen Tag nach dem 8. Mai 1945 in Frage gestellt wurde.

Im deutschen Imperialismus gibt es einen hohen Anteil von Familien, welche in einer über ein Jahrhundert lang währenden Kontinuität die Führung über alle erdenklichen Staatsformen hinweg innehatten: Von der Monarchie zur Entfesselung des Ersten Weltkrieges; von der Niederschlagung der sozialistischen Revolution zur Weimarer Demokratie; von Weltwirtschaftskrise und drohender Revolution hin zum Hitler-Faschismus und zum Zweiten Weltkrieg; von der Niederlage 1945 über den Aufbau einer bürgerlichen Demokratie hin zur imperialistischen Weltmacht BRD heute. Die nachfolgenden Familien stehen beispielhaft für diese Tradition – ebenso wie für ihre fortgesetzte Unterstützung der „nationalen Sache“:

Die Familie Siemens gehörte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts zu den reichsten Deutschen. Sie beteiligte sich 1919 zusammen mit anderen Industriellen an der Gründung des „Antibolschewistenfonds“, um damit schon Jahre vor der faschistischen Diktatur antikommunistische und antisemitische Netzwerke zu unterstützen. Während des Hitler-Faschismus profitierte das wichtigste Elektrounternehmen massiv von der Aufrüstungspolitik, es war eng mit der Rüstungsindustrie verbunden und die Umsätze stiegen seit 1934 kontinuierlich. Von 1940 bis 1945 beutete Siemens mindestens 80.000 Zwangsarbeiter:innen aus. Auch nach dem Krieg blieb die Familie zentraler Aktionär des gleichnamigen Unternehmens. Mit der „Carl Friedrich von Siemens Stiftung“ schuf sie 1958 eine der wichtigsten Denkfabriken der Neuen Rechten.9 Heute wird das Vermögen der Familie auf etwa 8 Milliarden Euro geschätzt.

Wie eng die Nazi-Netzwerke zwischen Kapital, Geheimdiensten und Staatsapparat auf antikommunistischer Grundlage blieben, zeigt auch das Beispiel der Flick-Familie. Diese war schon in der Weimarer Zeit zu einer der führenden Industriellenfamilien im Kohle- und Rüstungsgeschäft aufgestiegen und gehörte zu den engsten Förderern Hitlers. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Familien-Patriarch Friedrich Flick in einem Nachfolgeprozess der Nürnberger Prozesse zu sieben Jahren Haft verurteilt, die er jedoch nicht komplett absitzen musste. Bereits Mitte der 50er Jahre war er zum reichsten Mann Deutschlands geworden, unter anderem als größter Aktionär bei Daimler-Benz. In den 70er Jahren sponserte er den von Nazis geführten Bundesnachrichtendienst bei seiner Jagd auf die RAF.10 Später kam heraus, dass über Flicks schwarze Kassen jahrelang Bundestagsabgeordneten insgesamt 25 Millionen DM an Schmiergeldern gezahlt wurden, darunter CSU-Reaktionär Franz-Josef Strauß und CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl („Flick-Affäre“). In der Folge ihres Aufstiegs griffen sie offen die Errungenschaften der 68er an und forderten eine rechte „geistig-moralische Wende“.11 Nach dem Tod Friedrich Flicks 1972 wurden die Daimler-Anteile von seinem Sohn Friedrich Karl Flick übernommen, der sich stets weigerte, Entschädigungen für Zwangsarbeiter:innen zu zahlen. Später beteiligte sich Daimler-Benz mit Großspenden am Aufbau der neurechten Denkfabrik „Studienzentrum Weikersheim“ (SZW).12

Eine weitere bedeutende faschistische Tradition findet sich in der Familie von Finck. Wilhelm Peter von Finck (1848-1924) war als Bankier Mitbegründer der Allianz Versicherungsgesellschaft und der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft. Diese sind heute die zwei größten Versicherungen des BRD-Imperialismus. Zudem gründete er die Privatbank Merck Finck, die von seinem Sohn August Georg Heinrich von Finck übernommen wurde. Dieser bewunderte Hitler und übernahm mit zahlreiche Banken im Rahmen der Arisierung jüdischen Eigentums. Auf diesem Nazi-Vermögen baute dann August von Finck junior auf. Bis zu seinem Tod im Jahre 2021 war dieser unter anderem Hauptaktionär der Restaurant- und Hotelgruppe Mövenpick. Er verfügte über ein Vermögen von 9,2 Milliarden US-Dollar und war damit einer der 20 reichsten Menschen Deutschlands. Als solcher tat er alles für den Aufstieg einer neurechten Partei. Er finanzierte nicht nur FDP und CDU, sondern auch die AfD-Vorläufer „Bund Freier Bürger“ und „Bürgerkonvent“. Anschließend wurde er zu einem der zentralen Finanziers der AfD, sein Sohn trat später in seine Fußstapfen.

Eine ähnliche braune Geschichte kann auch für die Familien Porsche und Piech (Volkswagen), Braun (B.Braun), Thyssen und Krupp (Thyssen Krupp), Schaeffler (Schaeffler AG), Reimann (JAB Holding), Quandt (BWM), Bosch (Bosch AG), Haniel (Mediamarkt, Saturn u.a.) und Metzler (Metzler Privatbank) nachgewiesen werden, die allesamt ihr Vermögen insbesondere in der Hitler-Zeit massiv ausgeweitet haben, heute zu den reichsten deutschen Familien gehören und maßgeblich Deutschlands bedeutendste Monopole kontrollieren.

Eine besondere Rolle dabei, die personelle Kontinuität und den Einfluss der deutschen Bourgeoisie auf den Staatsapparat zu wahren, spielen die Unternehmerverbände. Der Kapitalverband „Reichsverband der Deutschen Industrie“, welcher bei Hitlers Aufstieg eine bedeutende Rolle gespielt hatte, wurde 1949 als „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI) wieder gegründet und ist bis heute der wichtigste Interessenverband des deutschen Kapitals. Seine Vorsitzenden stehen beispielhaft für dessen antikommunistische und autoritäre Grundhaltung. Der erste und langjährige BDI-Präsident Fritz Berg äußerte im Herbst 1969 anlässlich der wilden Septemberstreiks in der Stahlindustrie des Ruhrgebiets, man hätte „ruhig schießen sollen, dann herrscht wenigstens Ordnung.“13 Sein Nachfolger Hans-Günther Sohl war als Wehrwirtschaftsführer für besonders wichtige Rüstungsbetriebe des Faschismus ausgezeichnet worden und Vorstandsmitglied der Vereinigten Stahlwerke, einem der mächtigsten Unternehmen im Hitler-Faschismus. Er war zudem in den Einsatz von Zwangsarbeiter:innen verstrickt. Von 1973 an wurde der BDI von Hans-Martin Schleyer geführt, einem früheren NSDAP-Mitglied und SS-Untersturmführer sowie Gewerkschafts- und Mitbestimmungshasser (dies sei ein „Kommunistisches Machwerk“). Im Oktober 1977 wurde er von einem Kommando der Roten Armee Fraktion entführt und später erschossen. Die deutschen Repressionsbehörden rächten den faschistischen Kapitalvertreter mit einer massiven Repressionswelle. Sie wussten: Der Anschlag hätte auch vielen von ihnen gelten können, denn auch im Staatsapparat war die faschistische Kontinuität ungebrochen.

Nazis im Kern von Geheimdienstappart und Polizei

Der Wiederaufbau des deutschen Geheimdienstapparats begann im Kern mit einem „Hinüberretten“ des Geheimdienstsystems des Hitler-Faschismus unter die Schirmherrschaft amerikanischer Nachrichtendienste. Eine bedeutende Person war dabei Reinhard Gehlen. Gehlen war General der faschistischen Wehrmacht und wurde 1942 Chef der „Abteilung Fremde Heere Ost“ des Generalstabs der Wehrmacht. Dabei handelte es sich um den Auslandsgeheimdienst der Nazis, dessen Aufgabe es war, die Überwachung, Subversion und den geheimen Kampf gegen die Sowjetunion zu organisieren. Im Juli 1946 wurde vom US-amerikanischen Heeresnachrichtendienst G-2 Section dann die zunächst von den USA finanzierte spätere „Organisation Gehlen“ gegründet, deren Chef er zum Jahresende 1946 wurde. In einer mündlichen Übereinkunft wurde als Arbeitsgrundlage festgelegt: „Es wird eine deutsche nachrichtendienstliche Organisation unter Benutzung des vorhandenen Potenzials geschaffen, die nach Osten aufklärt bzw. die alte Arbeit im gleichen Sinn fortsetzt. Die Grundlage ist das gemeinsame Interesse an der Verteidigung gegen den Kommunismus.“14 Genau so entwickelte sich dann auch die Organisation und ihre Tätigkeiten: Einerseits wurde eine Struktur aus dem „vorhandenen Potenzial“ – also Faschist:innen – geschaffen: 1954 hatten sich in der Organisation Gehlen 4.000 ehemalige SS und SD-Agent:innen zusammengefunden.15 Andererseits lieferte der Geheimdienst Spionageinformation über den Osten16 und organisierte Überwachung und Zersetzungsarbeit unter den kommunistischen Aufbauversuchen in der BRD. In einem „Spiegel“-Bericht hieß es später: „Der automatischen Registrierung verfielen alle Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands. Aber auch führende Sozialdemokraten erschienen auf den Org-Listen.“17

Obgleich die Führung des Geheimdienstes den imperialistischen Besatzungsmächten oblag, entwickelte die Organisation bald eine immer eigenständigere Rolle. So entstand aus der Organisation Gehlen 1956 durch einfache Umbenennung der „Bundesnachrichtendienst“ (BND) als Auslandsgeheimdienst der BRD. Gehlen blieb dessen Chef bis 1968. Abgelöst wurde er von Gerhard Wessel: Dieser war erster Mitarbeiter von Gehlen in Hitlers Auslandsgeheimdienst Fremde Heere Ost und erster Kommandeur des „Militärische Abschirmdienst“ (MAD) 1955-1957 gewesen.

Die Organisation Gehlen war das Zentrum des Aufbaus des deutschen Geheimdienst- und Militärapparats – von hier aus sind viele nachfolgende Organisationen geplant oder entscheidend mit beeinflusst worden. Aus der Organisation Gehlen entstand nicht nur der BND, sondern auch der MAD, also der Geheimdienst der Bundeswehr. Ebenso wurde das „Bundesamt für Verfassungsschutz“, also der deutsche Inlandsgeheimdienst von Faschisten aufgebaut: Hubert Schrübbers leitete dieses von 1955 bis 1972. Schrübbers war vor dem Zweiten Weltkrieg Mitglied bei SA-Sturm Münster und Oberstaatsanwalt von 1938 bis 1941. Er vertrat unter anderem die Anklage des NS-Staats im Hochverrats-Prozess gegen die Attentäter des 20. Juni 1944. Nach dem Krieg stellte er als Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz bewusst Personen ein, die aus der faschistischen SS und dem SD stammten. Genau so war es bei den Polizeistrukturen. 1951 wurde das „Bundeskriminalamt“ (BKA) gegründet. Aufgebaut wurde es unter der Leitung der Kriminalkommissare und ehemaligen SS-Angehörigen Paul Dickopf18 und Rolf Holle. Noch 1959 waren zwei Drittel der Beamten im BKA-Führungspersonal ehemalige SS-Mitglieder, drei Viertel gehörten zuvor der NSDAP an. Nur zwei von 47 leitenden Beamten des BKA hatten keine NS-Vergangenheit. Laut einer Aufarbeitung über die BKA-Geschichte hätten Dickopf und Holle das BKA zwei Jahrzehnte beherrscht und zu einer „Versorgungsanstalt für alte Nazis und Verbrecher“ gemacht. Nicht anders sah es in den Bundesländern beim Aufbau der Landespolizeien aus.

Auf Basis dieser Fakten können alle heutigen Erklärungen, Alt-Nazis und andere Faschist:innen würden die Geheimdienste und Polizei von außen infiltrieren, als Nebelkerzen zurückgewiesen werden. Tatsächlich ist es genau anders herum: Die Geheimdienste als bedeutender Teil des Repressionsapparates wurden selber von Faschisten aufgebaut, die wiederum nicht nur die Kontinuität ihrer Weltanschauung wahrten, sondern auch mit verschiedensten Methoden eine mit eigenen Dynamiken agierende faschistische Bewegung in Deutschland aufpäppelten, wie wir später zeigen werden.

Der deutsche Imperialismus wird wiederbewaffnet

Für das deutsche Monopolkapital war es neben dem Wiederaufbau eines Geheimdienstes von zentraler Bedeutung, einen Militärapparat zu schaffen, um zumindest mittelfristig wieder als eigenständige Macht handeln zu können. Mit der Gründung der BRD 1949 begann das deutsche Monopolkapital eine eigene imperialistische Strategie voranzutreiben und nutzte dabei die Interessenwidersprüche zwischen den USA und Frankreich zu seinem Vorteil aus. Frankreich wollte die BRD mit einer „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG) und einer „europäischen Armee“ an sich binden, also eigene Streitkräfte des deutschen Imperialismus verhindern. Die USA unterliefen dieses Vorhaben, indem sie Deutschland den Aufbau einer eigenen Armee gewährten, wenn diese innerhalb der US-geführten NATO eingebunden sei.

Der Prozess der Remilitarisierung und Wiederbewaffnung wurde von Beginn an durch Wehrmachtgeneräle geführt, die nur wenige Jahre zuvor faschistische Kriegsverbrechen begangen hatten: Eine zentrale Rolle im Aufbauprozess von 1945 bis zur Gründung der Bundeswehr 1955 spielte Adolf Heusinger. Er war General der Wehrmacht und zentral an der Ausarbeitung des Überfalls auf die Sowjetunion („Operation Barbarossa“) – also an der Planung der Zerschlagung des sozialistischen Aufbaus und der Versklavung der osteuropäischen Völker – beteiligt gewesen. Nach dem Krieg wurde er erster Militärberater von Bundeskanzler Konrad Adenauer. Als dieser hatte er kategorisch betont, dass der Wiederaufbau der Streitkräfte nicht möglich sei, wenn das deutsche Volk weiter „geistig entwaffnet würde.“19

Heusinger war dann auch an der Ausarbeitung der zentralen ideologische Grundlage des zuerst „neue Wehrmacht“ genannten Militärs beteiligt, die Himmeroder Denkschrift. Diese wurde im Geheimen von einer Gruppe ehemaliger Nazi-Generäle auf Betreiben Konrad Adenauers erstellt. Fünf Personen der 15-köpfigen Gruppe waren Teil der „Organisation Gehlen“, was die Bedeutung des Geheimdienstes bei der Remilitarisierung unterstreicht. In der Denkschrift heißt es unter „I. Militärpolitische Grundlagen und Voraussetzungen“, dass von Seiten der Regierung und einiger Medien, die „Diffamierung“ der Wehrmacht und Waffen-SS „einzustellen“ sei. Vielmehr brauche es eine „Ehrenerklärung“ für die deutschen Soldaten, dass diese bei den Nazi-Verbrechen nur auf Befehl gehandelt hätten. In weiteren Teilen wird die Sowjetunion als zentraler Feind analysiert. Zugleich wird jedoch auch taktisch erklärt, dass „ohne Anlehnung an die Formen der alten Wehrmacht heute grundlegend Neues zu schaffen“ sei, freilich, während man zugleich „den soldatischen Erfahrungen und Gefühlen des deutschen Volkes“ Rechnung tragen müsse. Heraus kam ein bis heute für die Bundeswehr gültiges Konzept, welches später als „Innere Führung“ bezeichnet wurde und an die Stelle der faschistischen Soldatenausbildung eine demokratische Haltung setzten sollte. Wie wenig diese neue soldatische Haltung jedoch mit Demokratie zu tun hat, zeigt sich unter anderem daran, wer diese entwarf. So war an dem Papier auch Hermann Foertsch beteiligt. Dieser hatte 1934 den persönlichen Eid der Wehrmachtsangehörigen auf Adolf Hitler entwickelt.

Vielmehr ging es darum, die Bundeswehr politisch zumindest vorübergehend auf Kriegsführung innerhalb der NATO anstatt auf Welteroberung auszurichten. Auf der militärischen Seite war der Kern der „inneren Führung“ die Stärkung des militärischen Prinzips „Führen mit Auftrag“ bzw. der „Auftragstaktik“ gegenüber der „Befehlstaktik“. Bei der Auftragstaktik geben militärische Führer Ziel, Zielansatz und benötigte Kräfte vor. In diesem Rahmen handeln die Soldat:innen bzw. die unteren militärischen Führungsebenen jedoch eigenständig. Mit dem neuen Konzept reagierten die faschistischen Militärs zum einen auf die Veränderungen der Kriegsführung. So musste die „neue Wehrmacht“ darauf eingestellt werden, in einem Atomkrieg auch nach Ausfall der zentralen Führung in deren Sinne zu handeln. Zum anderen entwickelte sich die Militärtechnik weiter, sodass die Bundeswehr nunmehr spezialisierte und auch selber denkende Soldat:innen benötigte, um den Anforderungen der modernen Kriegsführung gerecht zu werden.

Die Kernelemente der „Himmeroder Denkschrift“, sowie der gesamten ideologischen Beeinflussung in Richtung Wiederbewaffnung und Rehabilitierung der Wehrmacht wurden dabei über verschiedene Kanäle in die Bevölkerung getragen.

Die 1951 von Ex-Militärs und dem amerikanischen Auslandsgeheimdienst „Central Intelligence Agency“ (CIA) aufgebaute „Gesellschaft für Wehrkunde“ (GfW) hatte ein Jahr nach der Gründung bereits 70 Sektionen im ganzen Bundesgebiet und neben den Anfängen einer Monatszeitschrift zehn wehrpolitische Broschüren in einer Gesamtauflage von 200.000 Stück verbreitet. Sie wurde bis Anfang 1953 unter dem Decknamen QKSNITCH mit 240.000 DM finanziert. Die weitere Finanzierung wurde durch die Industrie und den Vorgänger des Verteidigungsministeriums übernommen. Sie entwickelte sich fortan zur entscheidenden Schnittstelle zwischen Verteidigungsministerium, Bundeswehr und Rüstungskapital – bei gleichzeitiger ideologischer Propagandafunktion. Referenten bei Veranstaltungen der GfW, die später in „Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik“ umbenannt wurde, nahmen regelmäßig offen faschistische Positionen ein – während zugleich immer Bundeswehrgeneräle Präsidenten des Vereins waren.20

Im Vorstand der GfW saß zur Gründungszeit unter anderem der ehemalige SS-General Felix Steiner. Dieser war auch Redakteur der „Deutschen Soldaten-Zeitung“ (DSZ), die von Generälen der Waffen-SS gegründet worden war. Zu Beginn wurde sie von der CIA finanziert, um für einen „antibolschewistischen deutschen Verteidigungsbeitrag“ zu werben. Zielgruppe waren explizit Soldaten. In der Zeitung wurde einerseits der NS-Terror verharmlost, militärischer Widerstand gegen Hitler als Verrat gebrandmarkt und andererseits publizistisch der westdeutsche Beitritt zur NATO vorbereitet. 1961 wurde die DSZ vom Millionär und Neonazi-Multi-Funktionär Gerhard Frey übernommen, den eine gute Freundschaft mit Reinhard Gehlen (BND) verband. Sie wurde in „Deutsche National Zeitung“ (DNZ) umbenannt. Die DNZ gab auch zwei Beiblätter mit spezieller revanchistischer Zielstellung heraus: „Schlesische Rundschau“ und „Der Sudetendeutsche“, um die Vertriebenenverbände anzusprechen. Frey kaufte systematisch Abonnenten-Listen von anderen faschistischen Zeitungen auf: 1966 hatte die Zeitung eine wöchentliche Auflage von 145.000 Exemplaren und war damit die einflussreichste faschistische Zeitung überhaupt. Nur die bürgerliche Zeitung „Welt“ hatte damals eine höhere Auflage. Die Wirkmächtigkeit der DNZ zeigte sich 1968: Joseph Bachmann trug bei seinem Attentat auf den linken Studierendenführer Rudi Dutschke eine Ausgabe der DNZ mit einem „Steckbrief“ über Dutschke bei sich. Das Verfassungsgericht verbot die Zeitung nicht. Im Bereich der Massenmedien entstand zudem mit Aufbau des „Springer“-Imperiums und dessen „BILD“-Zeitung ein gesellschaftsprägendes rechtskonservatives Boulevard-Blatt. In der Hitlerzeit saß dessen Gründer Axel Springer noch in der Chefredaktion der „Altonaer Nachrichten“, die 1937 gegen den „Judenpöbel“ hetzte und in der Jüd:innen z.B. mit „Vampiren“ gleichgesetzt wurden.21 In der BRD setzte er sich dann opportunistisch – jedoch auf Linie der Neuausrichtung des deutschen Imperialismus – für die Militarisierung, die Anlehnung an die USA und die NATO und eine Aussöhnung mit Israel ein – für den deutschen Konservatismus ein bis dahin ungewöhnlicher Schritt. Das könnte auch etwas damit zu tun haben, dass Springer von dem amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA sieben Millionen Mark erhalten haben soll, um sein Medienunternehmen zu schaffen22. In der Folge seiner Unterstützung durch die Amerikaner gründete er mit der „BILD“ die bis heute auflagenstärkste Tageszeitung, welche insbesondere das Ziel hat, Ängste und aus der autorität-patriarchelen Persönlichkeit herrührenden unterdrückte Gefühle in der deutschen Arbeiter:innenklasse und dem Kleinbürger:innentum anzusprechen, diese antikommunistisch, prokapitalistisch und rassistisch zu beantworten und trotz einer „rebellischen Sprache“ in das System zu integrieren.

Bundeswehr und militaristische Tradition

Nach Gründung der Bundeswehr (die ursprünglich „Neue Wehrmacht“ heißen sollte) im Jahre 1955 war der faschistische General Adolf Heusinger neun Jahre lang Generalinspekteur, sozusagen deren Chef. Selbstverständlich zog dieser keine überzeugten Demokraten in die Führung, sondern die Elite der Hitler-Armee: Im Jahre 1959 waren von 14.900 Bundeswehroffizieren 12.360 bereits in der Reichswehr oder Wehrmacht zu Offizieren ernannt worden, 300 Offiziere entstammten der Waffen-SS. Hintergrund waren nicht nur die militärischen Erfahrungen der alten Nazis, sondern deren systematische Organisierung und Vernetzung, mit welcher sie sich gegenseitig Posten sicherten. So haben sich viele Nazis nach dem Krieg in soldatischen Traditionsverbänden zusammengeschlossen:

Dazu gehörte etwa die 1954 gegründete „Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger“, also den Trägern des höchsten Ordens der Wehrmacht. Nur etwa 7.000 Männer haben diesen Orden für besondere Tapferkeit verliehen bekommen – Hitler persönlich bestätigte sie. 117 dieser Ordensträger stiegen später in den Generalsrang der neuen Bundeswehr auf. Auch der „Bundesverband der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS e.V. – Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit (HIAG)“ hatte starken Einfluss auf die Bundeswehr bis hinein in die bürgerlichen Parteien. Im Dachverband der Soldatenvereine, der „Arbeitsgemeinschaft für Kameradenwerke und Traditionsverbände e.V.“ (ARGE) hatten sich zudem rund 70 Soldatennetzwerke auf streng antikommunistischer Grundlage zusammengeschlossen.23 Zentral ist dabei die Umdeutung des faschistischen Angriffskriegs auf die Sowjetunion zu einem Befreiungskrieg gegen den Kommunismus; eine Erzählung, die über Jahrzehnte gepflegt wurde: „Kaum jemand weiß noch oder spricht darüber, daß es die Wehrmacht war, die Westeuropa vor der Roten Armee und der Diktatur des Kommunismus bewahrt hat. Entgegen mancher Verleumdung hat sie nicht nur tapfer, sondern auch anständig gekämpft“, heißt es etwa noch in einem ihrer Flugblätter von 1996. Ein weiteres wichtiges Instrument zur Wahrung der faschistischen Kontinuität war der „Verband deutscher Soldaten“24. Er war 1951 vom „Amt Blank“, dem Vorläufer des Verteidigungsministeriums, gegründet worden und lange Zeit der offizielle Veteranen-Verband der Bundeswehr. Zeitweise hatte er 80.000 Mitglieder. Er setzte sich aggressiv für eine Ehrung der Wehrmacht und eine Rehabilitierung von Kriegsverbrechern ein und wurde seit seiner Entstehung ausschließlich von Bundeswehr-Generälen geführt.25 In ihren besten Zeiten umfassten die etwa 1.000 militaristischen Traditionsverbände bis zu 600.000 Mitglieder26 und damit weitaus mehr als die sich neu bildende Bundeswehr. Das war Ausdruck davon, wie tief der Militarismus in der Gesellschaft verankert war.

Dies hatte jahrzehntelange Folgen: Alle Generalinspekteure – also die obersten Generäle der Bundeswehr bis in die 80er Jahre hinein waren auch Hitler-Generäle oder Offiziere gewesen. Die darauf folgende Führungsgeneration war von eben diesen Generälen ausgebildet worden und trug deren militärisch-politische Linie weiter. Entgegen den bürgerlichen Sonntagsreden von der Bundeswehr als „Bürger in Uniform“, war die Bundeswehr zu jeder Zeit von Kopf bis Fuß von profaschistischen Militärs durchsetzt.

Nazis in den Parlamenten und Verwaltungen

Im Hitler-Faschismus war die NSDAP zum Kern des Staatsapparats geworden. Nach dem Krieg wurde die Partei von den Alliierten am 10. Oktober 1946 verboten. Sie war das offene Gesicht des Hitler-Faschismus und musste verschwinden – zum einen um dem deutschen Imperialismus seine Speerspitze abzubrechen und zum anderen um den Übergang zur bürgerlich-demokratischen Staatsform in Deutschland überzeugend umsetzen zu können. Und tatsächlich wurde von den Alliierten der bürgerliche Parlamentarismus wieder eingesetzt, was zur Wahl Konrad Adenauers (CDU) als ersten Bundeskanzler der BRD im Jahr 1949 führte. Dieser war als konservativer Zentrumspolitiker mit den Faschist:innen aneinander geraten und wurde so in der Hitler-Zeit inhaftiert. Deshalb war er zumindest teilweise „tauglich“ als Aushängeschild des „sauberen Deutschlands“. Zugleich bewegte er sich auf der Linie, über den Faschismus zu schweigen. In seiner ersten Regierungserklärung ging er weder auf die Erfolge der Anti-Hitler-Koalition, die antifaschistische Partisan:innenbewegung noch auf den Holocaust ein. Stattdessen verabschiedete der Bundestag zwischen 1949 und 1954 einstimmig Amnestiegesetze für Nazis. Die große Mehrheit der von deutschen Gerichten verurteilten Nazis wurde auf diese Weise begnadigt und so die Wiedereingliederung von Faschist:innen in Beamtenverhältnisse ermöglicht: Ob Staatssekretäre, Diplomaten, Richter, Professoren, Lehrer:innen, Polizisten – über 90% der faschistischen Staatsbediensteten gelangten zurück in den öffentlichen Dienst der BRD. Ebenso sind etwa die 90.000 Beamt:innen und Angestellten der öffentlichen Verwaltungen aus den ehemals von den Faschisten beherrschten und jetzt verlorenen „Ostgebieten“ fast reibungslos in den „neuen“ Staatsapparat übernommen worden. Eine zentrale Rolle spielten dabei die „Vertriebenen-Verbände“, die im „Bund der Vertriebenen“ organisiert waren, dessen Führung sich von der landesweiten und regionalen bis zur kommunalen Ebene hinunter im wesentlichen aus Nazis zusammensetzte und die insgesamt mehrere Millionen (!) Mitglieder umfassten.

Ein Teil der Nazis sickerte in bürgerliche Parteien, insbesondere die FDP und CDU/CSU ein. Eine Reihe an bekannten Beispielen zeigen, wie sehr führende Faschist:innen Teil der neuen Bundesrepublik werden konnten:

Hans Globke wurde unter Adenauer Chef des Bundeskanzleramts – also der zentralen Koordinierungsstelle zwischen Regierung, Geheimdiensten und Militär. Im Hitler-Faschismus war er Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, d.h. er schrieb die juristischen Texte, die der Verwaltung bei der direkten Anwendung der völkischen „Rassen“-Unterscheidung helfen sollten. Er legte außerdem den administrativen Grundstein für die massenhafte Verfolgung von Jüd:innen, indem er vorschlug, dass die zusätzliche Führung eines jüdischen Namens („Israel“ bei Männern und „Sara“ bei Frauen) angeordnet wird, der bei jeder Unterschrift usw. mitverwendet werden musste. Außerdem legte er Listen von typischen jüdischen Nachnamen an. Diese Maßnahmen erleichterten der Gestapo das Aufspüren und die Deportation von Jüd:innen. Nach dem Krieg hatte Globke dann als rechte Hand Adenauers eine hohe Machtposition inne, war zentraler Strippenzieher der Politik und hatte eine führende Rolle bei der Remilitarisierung Deutschlands. Globke schlug etwa seinem Parteikollegen Adenauer den oben genannten Nazi-General Heusinger als Militärberater vor.

Auch später hatten Nazis keinen schlechten Stand in der CDU. Die Union wählte ein ehemaliges NSDAP-Mitglied, Kurt Georg Kiesinger zu einer ihrer Führungsfiguren. Er war von 1958 bis 1966 Ministerpräsident von Baden-Württemberg, von 1966 bis 1969 Bundeskanzler und von 1967 bis 1971 Bundesvorsitzender der CDU.

Diese Liste könnte lang fortgesetzt werden. Auch wenn der Prozentsatz im Vergleich zum Repressionsapparat niedriger war – in den öffentlichen Gremien, den Parlamenten und bürgerlichen Parteien der BRD spielten Nazis weiter eine führende Rolle. Im Jahr 1957 waren 129 der 504 Bundestagsabgeordneten erwiesenermaßen ehemalige NSDAP-Mitglieder.

Faschistischer Einfluss in Gesellschaft, Erziehung und Familie

Die rehabilitierten Nazi-Beamt:innen trugen die faschistische Ideologie in alle Bereiche der Gesellschaft. So hatten etwa im Erziehungswesen Lehrkräfte und Professoren mit Nazi-Hintergrund keinen schwierigen Stand. Im Jahr 1937 waren 97 Prozent der Lehrkräfte Mitglied im Nationalsozialistischen Lehrerbund gewesen. Als dann am 6. August 1945 der Unterricht wieder beginnt, werden beispielsweise in Hamburg nur zwölf Prozent der 6.000 Lehrer:innen aussortiert. Dabei waren 80 Prozent von ihnen ehemals in der Nazi-Partei.

So war es dann üblich, dass Menschen, die in den 40er und 50er Jahren zur Schule gingen, von ihren Lehrer:innen im Geschichtsunterricht hörten, dass diese Mitglied der NSDAP gewesen seien und deshalb die Jahre zwischen 1933 und 1945 nun „überspringen“. Solche Beispiele gab es nicht nur in den Schulen, sondern auch in den Universitäten, wo Mitte der 60er Jahre eine Studierendenrebellion ausbrach, in der Student:innen die Hörsäle ihrer Professoren stürmten und aus deren völkischen Vorlesungen und Publikationen lautstark zitierten, welche diese zu den Zeiten des Hitler-Faschismus veröffentlicht hatten. „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren“ ist eine bekannte Parole aus dieser Zeit der Auflehnung gegen die faschistische Kontinuität in der Hochschule.

Dasselbe Schweigen bei gleichzeitiger Fortsetzung reaktionärer Erziehungsmethoden in den Schulen und Hochschulen schlug den Kindern auch in ihren Familien entgegen. Der Film „Die bleierne Zeit“ (1981) beschreibt laut der Regisseurin Margarethe von Trotta „meine Empfindung, in den Fünfzigern wie unter einem bleiernen Himmel gelebt zu haben, unter einer Bleikappe des Schweigens. Man spürte, da war etwas in der Vergangenheit, im Krieg, aber wir wurden darüber nicht aufgeklärt. Aus diesem Unwissen wollten wir ausbrechen.“ Dies sei ihrer Meinung nach auch „ein Auslöser für die erste RAF-Generation [gewesen], zu den Mitteln der Gewalt zu greifen.“ Die Eltern wurden von ihren Kindern mit der Frage konfrontiert, „was hast du zur Zeit von Hitler gemacht?“ und natürlich auch gefragt, was sie „gegen ihn“ getan hätten. Zugleich nutzten die patriarchalen „Familienoberhäupter“ wie die faschistischen Mütter weiter die Erziehungsmethoden aus dem Hitler-Faschismus, die auf die Brechung der Persönlichkeit des Kindes ausgelegt sind.

Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ von Johanna Haarer war zur Nazi-Zeit der zentrale Erziehungsratgeber zur Säuglingspflege, in der Millionen Frauen in „Mütterkursen“ unterrichtet worden waren. Darin wird empfohlen, das Kind zu wickeln, zu baden und zu nähren, es jedoch ansonsten komplett „in Ruhe zu lassen“ – also im wesentlichen ihm die geistige Liebe zu entziehen und keine emotionale Bindung aufzubauen. So sollte der faschistische Krieger erschaffen werden. Dies hat Haarer immer wieder betont. Ihr Ziel war es schon im Säuglingsalter die Gewohnheiten auszubilden, die „später der Schule und anderen Erziehungseinrichtungen bis hinauf zum Arbeitsdienst, ja zum Heer die Erziehungsarbeit in ungeahntem Maß erleichtern werden.“27

Nach dem Krieg wurde der Erziehungsratgeber von Haarer unter Entfernung der offenen NS-Bezüge inhaltlich unverändert bis in das Jahr 1987 neu herausgegeben. Noch in den 1960er und teilweise in den 1970er Jahren wurde das Buch in Berufs- und Fachschulen, z.B. bei der Ausbildung von Hauswirtschaftslehrerinnen, als Lehrbuch verwendet.28 So wurden also im Ergebnis noch lange nach dem Krieg viele Kinder von ihrer Mutter nie in den Arm genommen. Dies führte zur fortwährenden Reproduktion der autoritär-patriarchalen Persönlichkeitsstruktur und damit einer wichtigen Grundlage für die fortwährende Einflusskraft faschistischer Ideologie.

Diese Erziehungsmethoden – gepaart mit dem „bleiernen Schweigen“ – resultierten in heftigen Familienkonflikten. Dies war neben neuen sozio-ökonomischen Bedingungen und dem weltweiten Aufschwung revolutionärer Kämpfe in den 60er Jahren eine wichtige „Sprengkraft“ und Quelle der kommenden Rebellion der 68er-Jahre.

Neofaschistische Parteiaufbau-versuche nach dem Krieg

Parallel zur Aufbauarbeit durch Nazis in den neuen Institutionen, versuchten viele faschistische Kader mit verschiedenen Ansätzen, eine neue Partei in NSDAP-Kontinuität zu schaffen. Schon damals nutzte man das Label „konservativ“, um unter den veränderten Bedingungen die faschistische Politik weiterzuführen.

Es bildete sich etwa die Deutsche Konservative Partei (1946), die mit der „Deutschen Aufbau-Partei“ (DAP) und später mit der „Deutschen Rechtspartei“ zur „Deutschen Konservativen Partei / Deutschen Rechtspartei“ (DKP/DRP) fusionierte. Aus einer besonders aggressiv nazistischen Abspaltung dieser Organisation gründete sich 1949 die „Sozialistische Reichspartei“ (SRP) mit offenen NSDAP-Bezug. Sie war der Versuch alter Nazi-Kader, sich neu zu organisieren, um erneut die Macht zu erringen. Aufgrund des hohen Nazi-Anteils in den Geheimdiensten war es wenig erstaunlich, dass sich auch in dieser neuen Partei viele Geheimdienstler wiederfanden, und sie auf finanzielle Schützenhilfe zählen konnte, die sie sorgfältig verbarg. Im Vorstand der SRP befanden sich V-Leute des „Verfassungsschutzes“; so war etwa der Rechtsanwalt Rudolf Aschenauer – die rechte Hand von Fritz Dorls, dem SPR-Führer– seit Frühjahr 1952 Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. Erst im Oktober 1952 wurde die Partei auf Druck der Alliierten verboten. Dorls floh ins Ausland und wurde selbst für den deutschen Verfassungsschutz in Ägypten tätig.29

Ein Großteil der SPR-Mitglieder wurde nach dem Verbot in der zwei Jahre zuvor gegründeten „Deutschen Reichspartei“ (DRP) aktiv. Sie wurde zur direkten Vorgängerorganisation der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD), die Ende 1964 gegründet wurde, und dessen organisatorisches Rückgrat sie stellte30. Zu den ersten Sympathisanten und Förderern der neuen Partei gehörten der ehemalige Reichskanzler und Vizekanzler in der ersten Hitler-Regierung, Franz von Papen, sowie der Organisator der Morde an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, Waldemar Pabst: Ein eindrückliches Beispiel für das erneute Zusammenfinden verschiedener Strömungen von Deutschnationalen über Freikorps hin zu glühenden Hitlerverehrern in der NPD. Diese gab sich jedoch taktisch gemäßigter als die sich offen als nationalsozialistische Parteien aufgestellten Vorgängerorganisationen und arbeitete ein neofaschistisches Programm aus. Um sich herum erschuf sie ein breites Netzwerk an Vorfeldorganisationen wie etwa die „Gesellschaft für freie Publizistik“, welche in der Folge zu einer relevanten neonazistischen Denkfabrik werden sollte. Einer der bekanntesten Mitglieder war Hjalmar Schacht. Dieser war von 1923 bis 1930 und von März 1933 bis Januar 1939 Reichsbankpräsident sowie von 1934 bis 1937 Wirtschaftsminister gewesen. Schacht gehörte zu den 24 im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher angeklagten Führungspersonen der Nazi-Diktatur. Er war am 1. Oktober 1946 in allen Anklagepunkten freigesprochen worden.

1966 errang die NPD ihre besten Wahlergebnisse in Hessen (7,9%) und Bayern (7,4%). In der Folgezeit nahm sie gesellschaftlich vor allem die Rolle ein, den Notstandsplänen des Kapitals ein Alibi zu liefern, in dem sie Ordnung von rechts forderte. Zugleich verlangte sie die Wiedereinsetzung der Grenzen von 1939 und trat damit als besonders aggressiv revanchistisch auf. Diese schrille Version ermöglichte es der Bonner Regierung ähnliche Forderungen in halber Lautstärke vorzutragen. Bundeskanzler Kiesinger und prominente CDU/CSU-Politiker stellten sich ausdrücklich gegen ein Verbot dieser Partei. Franz-Josef Strauß (CSU), Bruno Heck (Generalsekretär der CDU) sowie Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier (CDU) schlossen sogar eine Koalition mit der NPD nicht aus. In der Bundeswehr galt jeder vierte Soldat und jeder zweite Offizier als potenzieller Wähler der neofaschistischen Partei – und das neben einer weit rechts stehenden CDU.

Auch die Kapitalistenverbände zeigten sich offen gegenüber der NPD. In der Zeitschrift der „Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände“, „Der Arbeitgeber“, hieß es ausgerechnet am 20. April 1966 in einem Artikel „Ist ,National‘ ein Unglück?“: „Nicht weil wir die NPD für verkappte Nazis, sondern weil wir sie nicht dafür halten, setzten wir uns hier mit ihr auseinander, denn gerade darin scheinen uns die Wurzeln dieser Partei zu liegen, der wir denn auch hier und im Augenblick noch keine besondere Giftigkeit nachsagen wollen.“ Im Inhaltsverzeichnis ist der Artikel wie folgt zusammengefasst: „Wenn es den demokratischen Kräften in der NPD gelingt, die Partei auf unsere Verfassung zu verpflichten, ist gegen die nationalkonservative Richtung in der NPD grundsätzlich nichts einzuwenden.“31 Auch in der Folge fuhr die NPD hohe Wahlerfolge ein. Dafür hatten die Reaktionäre wie die Faschist:innen in den bürgerlichen Parteien zuvor die Grundlage gelegt. Die damals einflussreiche Deutsche Volkszeitung analysierte am 3.2.1967 die Hintergründe so: „Die Saat einer zwanzigjährigen CDU/CSU-Politik geht auf.“ Dies sagt viel über die objektive Arbeitsteilung zwischen rechten bürgerlichen Parteien und offen neonazistischen Organisationen aus.

Im April 1968 errang die NPD bei der baden-württembergischen Landtagswahl 9,8 Prozent. Bis zum Jahr 1969 organisierten sich tausende neue Mitglieder. Die meisten Angaben gehen von damals etwa 30.000 Mitgliedern aus. Die NPD war zur größten neofaschistischen Partei in der BRD geworden – und dies auf dem Höhepunkt der „Außerparlamentarischen Opposition“ (APO), massenhafter wilder Streiks (Septemberstreiks) und dem Aufschwung verschiedener kommunistischer Kräfte. Kein Wunder, dass deshalb weiterhin Geheimdienste ihre Finger im Spiel hatten. So war die Führungsfigur der NPD in dieser Zeit, Adolf von Thadden, von 1969 bis 1976 V-Mann des britischen Geheimdienstes MI6. Von Thadden war in den 60ern und ersten Hälfte der 1970er Jahre Herausgeber des NPD-Parteiorgans Deutsche Nachrichten und von 1967 bis 1971 Vorsitzender der NPD. Ein weiteres Beispiel ist Wolfgang Frenz, Mitbegründer der NPD und zeitweise stellvertretender Vorsitzender des nordrhein-westfälischen Landesverbandes. Dieser arbeitete ganze 34 Jahre lang – zwischen 1961 und 1995 – für den Verfassungsschutz in NRW. Frenz hatte vor Beginn seiner Tätigkeit für den Verfassungsschutz die Genehmigung seiner Partei eingeholt. Ebenfalls im Einverständnis mit der Partei agierte Udo Holtmann, der seit 1993 Vorsitzender der NPD in Nordrhein-Westfalen war. Er ließ sich die Zustimmung vom NPD-Vorsitzenden Martin Mußgnug zur Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst 1978 sogar schriftlich geben. Nichts zeigt offensichtlicher, wie sehr die führenden Nazis verstanden, dass der Geheimdienst Aufbauhilfe leistet und nicht zur Schädigung der Partei beitragen wollte.

Die Rebellion der 68er und der Rückschlag für den Neofaschismus

Mitte der 60er Jahre begann eine breite soziale Bewegung gegen die Nazi-Generation, die in allen Stellen des bundesrepublikanischen Staatsapparats und den Betrieben noch eine führende Rolle spielte: organisatorisch, politisch und auch kulturell. Im Schmelztiegel dieser als 68er-Bewegung bekannten Rebellion entstanden die Außerparlamentarische Opposition (APO), die Neue Frauenbewegung, revolutionäre bewaffnete Gruppen sowie kommunistische Parteiaufbauprojekte. Die sozialen, ökonomischen und politischen Kämpfe in dieser Zeit führten zu einem grundlegenden kulturellen Paradigmenwechsel in einem Teil der Bevölkerung, auf die der Staat mit bestimmten demokratisch-reformistischen Veränderungen reagierte. Auch wenn die rechten Netzwerke weiter bestanden, wurde der Masseneinfluss der faschistischen Ideologie damals zurückgedrängt, womit der Anfang vom Ende der postfaschistischen Phase der BRD-Entwicklung eingeleitet wurde. Die in den 1940er und 50er Jahren nicht erfolgte Aufarbeitung des Faschismus in der BRD wurde damit erst Ende der 60er und vor allem in den 70er Jahren in Ansätzen durch eine fortschrittliche bis in Teilen revolutionären Massenbewegung gesellschaftlich erkämpft.

Auf ihrem Höhepunkt 1969 scheiterte die NPD bei der Bundestagswahl mit 4,3 Prozent der Stimmen knapp an der 5-Prozent-Hürde. Zugleich wurde Willy Brandt Bundeskanzler der ersten SPD-FDP-Koalition und löste das ehemalige NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger von der CDU an der Regierungsspitze ab. Als Bundeskanzler hielt er an der engen Anbindung Westdeutschlands an den US-Imperialismus fest und konzentrierte sich auf die Stärkung Deutschlands in der „europäischen Integration“ und der Orientierung auf einen Aufbau der späteren EU. Zudem führte er die „neue Ostpolitik“ ein, die auf die Verbesserung der Beziehungen zur revisionistischen Sowjetunion abzielte. Brandt wurde dafür sowohl von den Rechten wegen seiner Ostpolitik als auch von links wegen seiner offenen Parteinahme für die USA während des Vietnamkriegs oder der Unterstützung faschistischer Regimes etwa in Lateinamerika angegriffen. Nach innen organisierte Brandt eine scharfe antikommunistische Politik, um auf die starken linken Organisationen zu reagieren. Diese gipfelte 1972 im „Radikalenerlass“. Zugleich trug Brandt der gesellschaftlichen Rebellion gegen die „Bleierne Zeit“ Rechnung, als er 1970 eine Gedenkstätte für den von den Hitlerfaschisten niedergeschlagenen Aufstand im Warschauer Ghetto besuchte und dabei unangekündigt niederkniete. Dieser „Kniefall von Warschau“ war die erste wirklich öffentliche Geste der scheinbaren Anerkennung der Nazi-Verbrechen durch einen führenden Repräsentanten des deutschen Imperialismus. Unter dem Slogan „Mehr Demokratie wagen“ wurden innenpolitisch Reformen wie die Einführung des BAFÖG für Student:innen, eine Amnestie für Demonstrationsdelikte der APO und die Einschränkung des Landfriedensbruchparagrafen, eine Ausdehnung der gewerkschaftlichen Mitbestimmung, die Reform des patriarchalen Scheidungsrechts durch Wegfall des Schuldprinzips usw. umgesetzt. Brandts Kanzlerschaft war damit Ausdruck einer starken Stimmungsveränderung in Teilen der Bevölkerung durch die 68er-Bewegung.

Dies bedeutete nicht, dass das faschistische Massenpotenzial verschwunden war. Doch das offene Nazi-Auftreten im parlamentarischen Rahmen wurde erschwert. In den Folgejahren verlor die NPD Stück für Stück an Bedeutung. Schon 1971 gründete der Verleger und Multimillionär Gerhard Frey die „Deutsche Volksunion e.V.“ (DVU) zusammen mit ehemaligen NPD-Abgeordneten, Vertretern von Landsmannschaften und militaristischen Traditionsverbänden. Politisch verstand sich die DVU in der Linie der „Harzburger Front“, in der die verschiedenen Strömungen des Faschismus 1931 ein politisches Bündnis zu schließen versucht hatten – was damals jedoch letztlich gescheitert war. Das Ziel Freys war es, enttäuschte Mitglieder von NPD ebenso wie von CDU/CSU zu sammeln und eine Opposition zur Ostpolitik von Willi Brandt aufzubauen. Ideologisch bekannte die DVU sich zwar zum Grundgesetz, trat jedoch offen rassistisch und revanchistisch mit einer der NPD vergleichbaren Linie auf – mitsamt SS-Nostalgie, Kampf gegen die „Vergasungslüge“ und der Forderung nach Entmachtung des DGB.

Frey war dabei eng mit wichtigen Teilen des Staatsapparats verflochten. Er war nicht nur mit dem faschistischen Kader und Chef des Bundesnachrichtendienstes, Reinhard Gehlen „eng befreundet“32, sondern konnte auch auf die Dienste des einstigen Nazi-Juristen Prof. Dr. Theodor Maunz aus München zählen. Dieser hatte sich zu einem führenden Kommentator des bundesdeutschen Grundgesetzes entwickelt und damit entscheidende Bedeutung für die Auslegung der Verfassung durch deutsche Gerichte erlangt. Zugleich war er bis zu seinem Tode 1993 als Rechtsberater von Frey tätig und publizierte unter Pseudonym in dessen „Deutsche National-Zeitung“. Wie sehr Frey bei seiner propagandistischen und Aufbauarbeit von staatlichen Stellen gestützt wurde zeigt die Tatsache, dass beispielsweise bis 1978 über 400 Ermittlungsverfahren gegen Frey und seine Publikationen wegen Aufhetzung zum Rassenhass, übler Nachrede usw. von der Justiz eingestellt wurden oder mit einem Freispruch endeten. Die DVU finanzierte sich zu großen Teilen aus Freys Vermögen, welches er durch sein Medienimperium verdiente.Dennoch war auch seine Organisation nicht in der Lage, an die Erfolge der NPD anzuknüpfen. Dies hing auch mit einer Krise der offen nazistischen Ideologie im Zuge des internationalen Aufschwungs linker und revolutionärer Gedanken in den 60er und 70er Jahren zusammen.

Der postfaschistische Charakter der BRD nach 1945

Halten wir noch einmal zusammenfassend fest:

Die deutsche Finanzoligarchie konnte ihre Kontinuität nach 1945 sowohl bezüglich der Eigentumsverhältnisse als auch personell bewahren.

Der gesamte deutsche Macht- und Repressionsapparat – also Auslandsgeheimdienst, Inlandsgeheimdienst, Militärgeheimdienst, Militär und Polizei – wurde von führenden Nazis aufgebaut und war mit Faschist:innen durchsetzt, während zugleich an den zentralen Stellen insbesondere amerikanische Geheimdienste „ihren Finger drauf hielten“.

Der bürgerliche Parlamentarismus wurde offiziell wieder eingeführt und Wahlen abgehalten.

Dies wirft die Frage auf, wie der westdeutsche Staat nach 1945 zu charakterisieren ist? Mit der totalen Niederlage endete der Faschismus an der Macht und das III. Reich ging unter. Dies bedeutete aber nicht das Ende der faschistischen Bewegung. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben in Übereinstimmung mit der Monopolbourgeoisie weite Teile der Faschist:innen die politische Lage und ihre strategischen Möglichkeiten realistisch eingeschätzt. Der daraus entwickelte Plan lautete, Westdeutschland wieder aufzurichten, die Wiederbewaffnung durchzuführen und strategisch die Wiedervereinigung mit der DDR sowie eine darüber hinausgehende territoriale Erweiterung Deutschlands nach Osten auf kapitalistischer Grundlage zu organisieren. Dafür mussten die Faschist:innen in Jahrzehnten denken. Zu diesem Zweck arrangierten sie sich mit der NATO-Anbindung und dem US-Einfluss in Deutschland.

Angesichts dieser strategischen Gegebenheiten wie der faschistischen Kontinuität greift eine schematische Einordnung der BRD z.B. anhand der politischen Form (bürgerlicher Parlamentarismus) zu kurz. Wir bewerten die frühe BRD daher als postfaschistischen Staat: Als einen Staat, der bürgerlich-demokratisch verfasst und wo der Faschismus nicht mehr an der Macht ist, in dem sich jedoch die Kontinuität des Faschismus auf allen Ebenen zeigt. Ein Staat, in dem faschistische Personennetzwerke weiter systematisch am Wiedererstarken des deutschen Imperialismus arbeiteten und ihre Kontinuität innerhalb der herrschenden Klasse aufrecht erhalten konnten. Es handelte sich um eine Phase, in der die faschistische Ideologie, vielleicht mit Ausnahme des offen geäußerten Antisemitismus, ungebrochen fortbestand und Masseneinfluss hatte und die autoritäre Persönlichkeitsstruktur in den patriarchal-bürgerlichen Familien weiter offensiv reproduziert wurde.

Die postfaschistische Phase der BRD kam erst mit der 68er-Bewegung zu einem Ende und die liberale Version der bürgerlichen Ideologie inklusive der politischen Einbindung der Sozialdemokratie erlangte die Hegemonie. Dies bedeutete jedoch für größere Bevölkerungsteile insbesondere im Bürger:innentum und Kleinbürger:innentum, die mit der faschistischen Ideologie und ihren Traditionen verbundenen waren, einen politischen Bruch mit der und zugleich ein scharfer Angriff auf die gewohnte Lebensweise. Auf den Stimmungsumschwung sowohl in den fortschrittlichen wie in den reaktionärer Teilen der Bevölkerung musste die faschistische Bewegung mit einer Modernisierung reagieren, um ihren Masseneinfluss langfristig wieder ausbauen zu können. Zugleich bestanden die faschistischen Personennetzwerke in Staat und Kapital weiter fort und trieben diese Entwicklung bewusst voran.

Die Modernisierung der faschistischen Ideologie

Die Niederlage des Hitler-Faschismus im Zweiten Weltkrieg führte nicht zum Ende der faschistischen Ideologie. Wir haben gesehen, dass der offene Masseneinfluss der faschistischen Rassenlehre durch das Ende des faschistischen Staates, das Verbot der NSDAP und ihrer Propaganda in Deutschland sowie durch die moralische Diskreditierung des Faschismus zwar zurückgedrängt, aber keineswegs verschwunden war. Millionen Menschen in Deutschland blieben Nazi-Anhänger:innen und viele weitere in ihrem Denken von der faschistischen Ideologie beeinflusst. Immerhin war eine ganze Generation von Menschen in Deutschland unter dem Hitler-Faschismus erzogen worden. Auch nach 1945 blieb die Organisierung der faschistischen Ideologiebildung, der Agitation und Propaganda usw. die Arbeit eines weitverzweigten Netzwerks aus Organisationen, Verbänden, Stiftungen, Verlagen, Denkfabriken u.ä., das wiederum getragen und gesteuert wurde von Kapitalkreisen und Teilen des Staatsapparates aus Militär und Geheimdiensten. Die Übergänge dieses Netzwerkes zum „gewöhnlichen“ konservativen und sogar zum reformistischen Lager blieben wie vor 1933 fließend.

Zugleich gab es die praktische Notwendigkeit, dass sich diejenigen Teile des Faschismus, die an der Machtausübung in der BRD beteiligt waren, an die weltpolitische Lage des deutschen Imperialismus anpassten, also an die deutsche Teilung, die Westanbindung und die Bündnispolitik mit anderen europäischen Staaten. Die Niederschlagung des Sozialismus in Osteuropa und die Annektion der DDR wurden zu den politischen Zielen mit höchster Priorität, während die Wiedererrichtung einer offenen völkischen Diktatur für das deutsche Finanzkapital erst einmal nicht auf dem Programm stand. Die ideologische Anpassung eines Teils der faschistischen Bewegung an diese neue Lage vollzog sich international33 und fand ihren deutlichsten Ausdruck in der Herausbildung der sogenannten Neuen Rechten ab 1968. Diese Bewegung ging zunächst von Frankreich aus, wo der frühere Kader der faschistischen Terrororganisation „Jeune Nation“ Alain de Benoist die Denkfabrik „Groupement de Recherche et des Etudes pour la Civilisation Européenne“ (GRECE) aufbaute. Er gab verschiedene Zeitschriften heraus und trieb die Erneuerung der faschistischen Ideologie als einer zusammenhängenden Weltanschauung voran, wobei er sich stark auf die Vordenker der deutschen reaktionären Intelligenz der 1920er Jahre wie Carl Schmitt, Oswald Spengler, Ernst Jünger und van den Bruck stützte.

In Deutschland wurde die Herausbildung der Neuen Rechten insbesondere von Kreisen um den Publizisten Armin Mohler vorangetrieben. Mohler war während des Krieges Mitglied der Waffen-SS, später Sekretär von Ernst Jünger sowie Redenschreiber für den reaktionären Spitzenpolitiker Franz Josef Strauß (CSU). 1967 erhielt er den ersten „Konrad-Adenauer-Preis“ der frisch gegründeten „Deutschland-Stiftung“ mit Adenauer als Ehrenvorsitzenden. Ab den späten 1960er Jahren schrieb er als Autor für faschistische Zeitschriften wie Freys „Deutsche National-Zeitung“ und später in der „Jungen Freiheit“ ebenso wie für die konservative Tageszeitung „Welt“. Im Auftrag von Axel Springer beteiligte sich Mohler im Jahr 1968 an der Vorbereitung einer konservativen Wochenzeitung, die jedoch scheiterte. Er war zudem ein entscheidender Kopf hinter der Zeitschrift „Criticón“, die schwerpunktmäßig das rechts-intellektuelle Spektrum im deutschen Unternehmertum bediente. Politisch unterstützte Mohler neben der CSU zeitweise die faschistische Partei „Die Republikaner“, welche Anfang der 80er gegründet wurde.34 Auf die Frage ob er ein Faschist sei, antwortete er: „Ja, im Sinne von Antonio Primo de Rivera“ – eines spanischen faschistischen Vordenkers. Er setzte sich intensiv mit Fragen der faschistischen Führung auseinander. Im Jahre 1995 wurde er in einem Interview gefragt, ob er Hitler noch wie in den Jugendzeiten bewundere, worauf er antwortete: „Was heißt bewundern? Er hat immerhin eine richtige Führung geschaffen. Die Kader, die er heranzog, hatten Stil.“35 Die Beschäftigung mit der erneuten Schaffung einer solchen Führung unter den neuen Bedingungen sollte ihn sein ganzes Leben beschäftigen. Einen Aufschlag machte er mit seiner Dissertation „Die konservative Revolution in Deutschland“ (1950), die als bedeutendstes ideologisches Grundlagenwerk der Neuen Rechten in Deutschland gilt.

Die verschiedenen Stiftungen, Zirkel, Denkfabriken, Verlage, Zeitschriften bis hin zu mystisch-esoterischen Gemeinschaften, die daraufhin in den vergangenen Jahrzehnten an der Nahtstelle zwischen faschistischen Organisationen, rechter Intelligenz, Kapital, Militär und bürgerlichen Parteien entstanden sind, lassen sich kaum vollständig aufzählen. Die wichtigsten seien im folgenden vorgestellt:

Armin Mohler unterhielt nicht nur enge Verbindungen zum deutschen Kapital, sondern übte von 1964 bis 1985 sogar die Funktion des Geschäftsführers der 1958 gegründeten „Carl Friedrich von Siemens Stiftung“36 aus, die kurz zuvor vom Siemens-Aufsichtsratsvorsitzenden Ernst von Siemens ins Leben gerufen worden war. Bezeichnenderweise wurde sie nach demjenigen Familienmitglied benannt, welches das „Haus Siemens“ während der Nazizeit leitete. Führende Vertreter des wichtigen deutschen Konzerns waren dauerhaft in der Führung der Stiftung. Die Organisation entwickelte sich zu einer zentralen Denkfabrik der Neuen Rechten und beförderte ihre Vernetzung mit Kapital und Politik. Nach dem Ausscheiden Mohlers wurde die Stiftungsführung von Heinrich Meier übernommen, der die ideologische Kontinuität wahrte.

Auch die „Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft“ (SWG) ist zu nennen. Sie wurde 1962 von Hugo Wellems, ehemals Pressereferent in Goebbels‘ Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda, gemeinsam mit damaligen CDU- und CSU-Politiker:innen gegründet. Man wolle „einen Beitrag zur Festigung eines gesunden Gemeinwesen leisten, um zu verhindern, dass Deutschland zum Experimentierfeld von Kräften wird, die die Substanz unseres Volkes (…) bedrohen“. Wie eng die Kapitalverbindungen waren, zeigte sich unter anderem im Bundestagswahlkampf 1972. Damals soll die SWG mit Hilfe von Millionenspenden aus der Wirtschaft anonyme Postfach-Kampagnen gegen Willy Brandt und Walter Scheel durchgeführt haben.37 Wellems blieb bis zu seinem Tod 1995 Vorsitzender der SWG und ebenso Chefredakteur des Ostpreußenblattes, eines führenden Organs der Vertriebenenverbände. Sein Nachfolger wurde ein Spitzengeneral, Brigadegeneral a. D. Reinhard Uhle-Wettler, der später am Programm der „Republikaner“ mitarbeiten sollte. Aktueller Vorsitzender ist seit Anfang 2015 der Bundeswehr-Oberst a. D. Manfred Backerra. Bei regelmäßigen Zusammenkünften, Seminaren und Tagungen der SWG sprachen neben dem Nazi und ersten Generalinspekteuer der Bundeswehr Adolf Heusinger auch Ex-KSK-Kommandeur Reinhard Günzel oder AfD-Ikone Alexander Gauland.

Hervorzuheben ist zudem das vom früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU) im Jahr 1979 gegründete „Studienzentrum Weikersheim“ (SZW), welches regelmäßige Kongresse, Tagungen und Seminare organisiert. Als Ziel wurde später die Fortsetzung von Helmut Kohls 1983 angekündigter „geistig-moralischer Wende“ gegen einen „linken Zeitgeist“ erklärt. Das SZW wurde mit Spenden aus der Privatindustrie, u. a. der Daimler-Benz AG, aufgebaut und gefördert.38 Ende der 90er sind 30 Unternehmen eingeschriebene Vereinsmitglieder. Es erhielt zudem mehrere Hunderttausend DM aus Bundeszuschüssen. Zugleich gilt es als rechte Kaderschmiede. So war das SZW-Präsidiumsmitglied Rolf Schlierer später 20 Jahre lang Bundesvorsitzender der Partei „Die Republikaner“. Zwischen 1982 und 1997 ist Albrecht Jebens Geschäftsführer des SZW. Auch hier zeigen sich Schnittstellen zu anderen rechten Organisationen: Jebens war zugleich Redakteur der Zeitschrift „Kameraden“ des Militaristen-Dachverbands ARGE. Besondere Aufmerksamkeit bekam der Verein, nachdem der faschistische Ex-Kommandeur des „Kommando Spezialkräfte“ Reinhard Günzel ausgerechnet an Hitlers Geburtstag einen Vortrag halten sollte. Geschäftsführer Dieter Tapp sieht das SZW heute als „wertkonservativen, bürgerlichen und überparteilichen Thinktank“, der „Ideen für die AfD liefert.“ Er ist heute Referent von Alice Weidel im Bundestag.

Historisch bedeutend war außerdem das 1970 gegründete Magazin „Criticón“, welches 2007 eingestellt wurde. Das „Magazin für Mittelstand, Marktwirtschaft und Freiheit“ bediente das intellektuelle rechte Unternehmertum und galt jahrelang als wichtigstes Theorieorgan der Neuen Rechten. Herausgegeben wurde es von Caspar von Schrenck-Notzing, der aus einer adeligen und Industriellenfamilie stammt. Er war selbst Großaktionär von WMF und BASF und setzte sich seit Mitte der 1980er für eine Partei rechts der CDU ein. Seine Frau Regina von Metsch-Reichenbach war im Vorstand des Bund Freier Bürger – einer Vorläuferorganisation der AfD. Von Schrenck-Notzings Sohn Alexander war Gründungsmitglied der Republikaner und gründete deren Studierendenorganisation Republikanischer Hochschulverband.

Als intellektueller Knotenpunkt in der Zeit des Aufstiegs der Neuen Rechten in Deutschland ist zudem die Zeitschrift „Junge Freiheit“ (JF) zu nennen. Diese wurde 1983 von Dieter Stein in Freiburg gegründet, der bis heute ihr Chefredakteur und eine der zentralen Figuren der Neuen Rechten ist. Er bezeichnete 1996 die vom rechtsintellektuellen Karlheinz Weißmann geforderte neurechte „Kulturrevolution“ durch „Besetzung von Feldern im vorpolitischen Raum“ und Schaffung einer „Subkultur“ als Aufgabe seiner Zeitung. Dabei bedienten sich diese faschistischen Vordenker ausführlich bei Gedanken des kommunistischen Theoretikers Antonio Gramsci. War die JF zunächst vor allem auf das Burschenschaftsspektrum beschränkt und der rechten Partei „Republikaner“ nah, gilt sie heute als inoffizielles Organ der AfD, zu der es zahlreiche personelle Überschneidungen gibt. So erklärte Alexander Gauland (AfD) einmal: „Wer die Alternative für Deutschland verstehen will, der muss die Junge Freiheit lesen.“ Wie weitreichend die Kontakte der JF in das Zentrum der Macht sind, zeigt sich u.a. daran, dass sie in einer Klage gegen eine Nennung im Bericht des Verfassungsschutz NRW vom ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl vertreten wurde.

Teile der Neuen Rechten schufen auch ansprechbare Strukturen, um ihre Ideen organisatorisch umzusetzen. 1972 gründete sich die „Aktion Neue Rechte“, die sich kurz darauf schon wieder aufspaltete. Ein Teil bildete daraufhin die in Tradition des Strasser-Flügels der NSDAP stehende „Sache des Volkes/ Nationalrevolutionäre Aufbauorganisation“ (SdV/NRAO). Zudem existierten noch weitere Organisationen wie das 1980 gegründete Thule-Seminar. Ihren ideologischen Einfluss erreichte die Neue Rechte jedoch vorwiegend nicht durch ihre in den 70er gegründeten Strukturen, sondern vermittels ihrer Denkfabriken, Propagandastrukturen und Medien, welche organisatorische Projekte systematisch beeinflussten und damit die Grundlage für den heutigen Aufstieg der AfD als erfolgreichster neurechter Partei bisher lieferten.

Modernisierter Faschismus
– der Inhalt der neurechten Ideologie

Die Ideologie der Neuen Rechten ist eine „modernisierte“ Form der faschistischen Rassenmystik, die in verschiedenen, jeweils leicht abgewandelten Varianten existiert.39

Ihre Entwicklung ist einerseits auf die Illegalisierung und Diskreditierung der völkischen Ideologie zurückzuführen. Auf der anderen Seite haben ihre Entwickler bestimmte Konzepte des Originals abgewandelt. Dazu gehört etwa die Fokusverschiebung von der Rasse oder Nation auf die Ethnie.

Ebenso wie die früheren Varianten der faschistischen Ideologie baut sie auf dem Irrationalismus auf. Sie enthält bestimmte Grundkonzepte aus der Philosophie Friedrich Nietzsches, wie etwa die Auffassung der Geschichte als „Wiederkehr des Gleichen“40. Vielfach greift sie auf die Vordenker der „Konservativen Revolution“ wie Carl Schmitt, Oswald Spengler oder Arthur Moeller van den Bruck zurück. Ebenso versucht sie in der Tradition Spenglers, Rosenbergs und der NSDAP den Begriff des „Sozialismus“ bürgerlich umzudrehen.

Im Zentrum der Ideologie der Neuen Rechten steht das Konzept des Ethnopluralismus, das sich zu Carl Schmitt zurückverfolgen lässt. Die Welt bestehe demnach aus gleichberechtigten, kulturell homogenen Völkern oder „Ethnien“, wobei die innere Homogenität eines Volkes als Voraussetzung für das Bestehen einer demokratischen Ordnung angesehen wird. Der Ethnien- bzw. Volksbegriff wird in dieser Lehre mystifiziert. In der Konsequenz vertritt die Neue Rechte die Position, die Politik der Nationalstaaten müsse sowohl nach innen wie nach außen auf die Durchsetzung des Prinzips der „nationalen Identität“ ausgerichtet sein. Das bedeutet, dass eine Vermischung der Kulturen abzulehnen sei und die Grenzen der Staaten an die Siedlungsgebiete der Völker anzupassen seien. Dies unterscheidet sich inhaltlich nicht wesentlich von der klassischen Rassenlehre, wenn auch nicht offen die Konsequenz des Vernichtungskampfes gezogen, sondern nur eine Abgrenzung der Völker gegeneinander verfochten wird. Auf der rationalen Ebene eignet sich der Ethnopluralismus als ideologischer Mantel für die Zerschlagung europäischer Nationalstaaten nach ethnischen Gruppen (oder „Volksgruppen“), wie sie der deutsche Imperialismus im Rahmen seiner Europastrategie vorantreibt.41

Das mystische Menschenbild der Neuen Rechten entspricht dem Nietzscheanismus, der den Menschen als ein vor allem durch Evolution, Rasse, Instinkt und Triebe bestimmtes Wesen versteht. Zu letzteren werden vor allem der Territorialtrieb, Dominanztrieb, Besitztrieb, Aggressionstrieb, der Trieb zum Erhalt von Familie und Volk sowie der Sexualtrieb gezählt. Diese Sicht wird als „biologisches“ oder „realistisches“ Menschenbild bezeichnet.42 Die gesellschaftlichen und staatlichen Normen müssten den natürlichen Gesetzmäßigkeiten des Menschen entsprechen und daher an die Triebstruktur des Menschen angepasst werden.43 Das bedeute auch, dass das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur wieder hergestellt werden müsse, was nur durch das Zurückdrängen des „Techno-Marxismus“ und des Intellektualismus zu bewerkstelligen sei („Bio-Humanismus“).

Die Herrenmenschen-Vorstellung Nietzsches, der die „blonde Bestie“ verherrlichte, und die Anbetung der „weißen Rasse“ durch die Rassentheoretiker des 19. Jahrhunderts werden im Weltbild der Neuen Rechten ferner zur „okzidentalen Erkenntnistheorie“ umgedeutet. Die Völker unterscheiden sich dieser Theorie nach durch ihre „Intelligenzstrukturen“ voneinander. Die europäische Zivilisation sei durch das Zusammenwirken von Leistungsorientierung, Individualismus und biologischer Veranlagung zum Zentrum der Weltzivilisation geworden, weshalb die Gesellschaftsordnung die „europäische Identität“ vor einer Vermischung mit anderen Kulturen schützen müsse. Bei einigen Theoretikern ist das gesellschaftliche Ziel ein „europäischer Sozialismus“, dessen Träger – im Gegensatz zum marxistischen Klassensozialismus – das ungeteilte Volk sei. Grundprinzip dieses Sozialismus sei die Hierarchie. Ein solcher europäischer Sozialismus auf der Grundlage einer ethnopluralistischen Neuordnung Europas könne nicht spontan entstehen, sondern müsse durch einen europäischen „Befreiungsnationalismus“ erkämpft werden. Vorbild hierfür seien zum Beispiel die Aufstände in der DDR von 1953 und in Osteuropa 1989/90.

Das ideologische Grundmuster macht bereits deutlich, dass zwischen der Neuen Rechten und der klassischen völkischen NS-Ideologie keine scharfe Trennlinie besteht. Dies gilt in Bezug auf die Theorie und Mystik ebenso wie auf die Organisationen. Hier gilt, was Armin Mohler schon in Bezug auf den Zusammenhang zwischen „Konservativer Revolution“ und NSDAP erklärte: „Es kann nicht unsere Aufgabe sein, diesen Knäuel zu entwirren und die Hauptstränge von den Nebensträngen zu sondern.“44 Das „Knäuel“ bildeten seiner Selbsteinschätzung nach die völkische Bewegung, die elitären Jungkonservativen, die antikapitalistischen Nationalrevolutionäre, die Bündischen oder die Landvolkbewegung sowie die „plebejisch-populistische“ Massenbewegung des Nationalsozialismus.

Während viele antifaschistische Autor:innen heute versuchen, eben genau hier Feinheiten voneinander zu unterscheiden, und „Nationalkonservative“ und „Rechtspopulisten“ von „Faschisten“ abzugrenzen, erklärt es Mohler faktisch zu seinem Ziel, eben dieses „Knäuel“ zum Siege zu führen. Dies geschehe letztlich durch eine Neuformulierung der alt bekannten Thesen.

Auf den Punkt brachte dieses Ziel der Neuen Rechten, Wilfried von Oven, ehemaliger Pressereferent von NS-Propagandachef Joseph Goebbels und später BND-Agent für Gehlen: „Wir müssen unsere Aussagen so gestalten, dass sie nicht mehr ins Klischee der ‚Ewiggestrigen‘ passen. (…) Der Sinn der Aussage muss freilich der gleiche bleiben. Hier sind Zugeständnisse an die Mode zwecklos.“45

Wie wir bereits gezeigt haben, finden sich alle Stränge dieses „Knäuels“ heute in der breiten faschistischen Bewegung wieder. Auch wenn sie eine mit inneren Kämpfen und Rivalitäten ebenso wie mit ideologischen Widersprüchen durchzogene Bewegung ist, in der verschiedene Teile um die Durchsetzung ihrer Ideen ringen, so ist es doch erst dieses „Knäuel“, welches in seiner Gesamtheit die faschistische Bewegung ausmacht, verschiedene Teile der Gesellschaft anspricht und damit als ganzes den Weg zur faschistischen Diktatur bereitet – in welcher Form auch immer sie sich letztendlich durchsetzt.

Staats- und Nazi-Terror
nach 1945: Gladio und NSDAP/AO

Stay-Behind”/„Gladio“ in Deutschland

Im Jahr 1948 verabschiedete der Nationale Sicherheitsrat der USA zwei geheime Dokumente mit den Bezeichnungen NSC 10-2 und NSC 68-48, in denen die Aufgaben der Geheimdienste im weltweiten Kampf gegen den Kommunismus definiert wurden. Für so genannte Spezialprojekte waren folgende Methoden ausdrücklich erlaubt: „Propaganda, Wirtschaftskrieg, vorbeugende Direktmaßnahmen, einschließlich Sabotage, Anti-Sabotage, Zerstörung, Evakuierungsmaßnahmen“ Außerdem: „Subversion in feindlichen Staaten, einschließlich Unterstützung für im Untergrund operierende Widerstandsbewegungen, Guerillakräfte und Gefangenenbefreiungskommandos, sowie Unterstützung einheimischer antikommunistischer Kräfte in bedrohten Ländern der westlichen Welt.”46 Eines dieser Spezialprojekte waren die sogenannten „Stay-Behind-Armeen“ in Europa, auch bekannt unter dem Namen des italienischen Ablegers, „Gladio“. Dabei handelte es sich um bewaffnete Gruppen, die in mindestens 14 Ländern koordiniert durch die Abteilung für Verdeckte Kriegsführung der NATO und unter Führung der amerikanischen und britischen Auslandsgeheimdienste aufgebaut wurden. Deren Soldaten wurden im wesentlichen aus (neo-)faschistischen Organisationen rekrutiert. Nachdem Gladio in Italien im Jahr 1990 aufgedeckt worden war, gab es in allen NATO-Ländern Untersuchungen, die jedoch selten von den Regierungen (nur in 3 Fällen mit offiziellen Untersuchungsausschüssen), sondern vor allem von engagierten Historikern durchgeführt wurden. Dabei wurden die Beteiligung Gladios an der Organisierung des Militärputsch in Griechenland 1967, ein massiver Einfluss auf die „Konterguerilla“ in der Türkei, Beteiligung an brutalen Supermärkt-Überfällen mit Massenexekutionen in Belgien usw. nachgewiesen.47

Auch in Deutschland wurden solche staatsterroristischen Strukturen geschaffen, in denen sich die Rolle des Faschismus als „konterrevolutionäre Kampfpartei“ besonders ausgeprägt zeigt. Wie bereits dargelegt stellte sich in den Westzonen nach dem Zweiten Weltkrieg die Ausgangssituation sowohl für die imperialistischen Besatzungsmächte wie auch die alte herrschende Klasse aus dem Hitler-Faschismus gleich dar: Die größte Bedrohung für die eigene Macht waren die Sowjetunion, sowie die mit ihr verbündeten linken und revolutionären Organisationen innerhalb des eigenen Landes. Um dieser doppelten Gefahr zu begegnen, kooperierten Nazi-Faschist:innen außerhalb und innerhalb der sich entwickelnden deutschen Geheimdienste mit den westlichen Besatzern, indem sie unter anderem bewaffnete Untergrundgruppen schufen.

Im Jahr 1949 wurde die „Kibitz“-Organisation unter Führung des Wehrmachtsoffiziers Walter Kopp gebildet, der den USA vorgeschlagen hatte, eine Organisation aufzubauen, die im Falle einer sowjetischen Invasion Angriffe hinter feindlichen Linien durchführen würde – daher der Name „Stay-Behind-Organisation“. Als Gegenleistung verlangte er eine passende Stellung der Organisation innerhalb einer deutschen oder europäischen Armee. Des weiteren wolle er klarstellen, dass er kein US-Agent sei und sein Engagement ausschließlich dem „Kampf gegen die schwarze Rasse“, dem „Kampf gegen Kommunismus und Bolschewismus“, sowie dem „Schutze Europas“ diene. Die Organisation rekrutierte rund 125 überzeugte Antikommunisten, was zu diesem Zeitpunkt im wesentlichen Nazis waren.

Eine weitere ähnliche Einheit wurde direkt innerhalb der Organisation Gehlen gebildet. Das rund 150 Personen umfassende „ZIPPER“-Netzwerk legte verteilt über die ganze BRD geheime Depots mit Waffen, Sprengstoff, Funk- und Morsegeräten sowie Versorgungsgütern an.

Die umfangreichste Organisation war jedoch der „Technische Dienst“ (TD), welcher innerhalb der 17.000 Mitglieder zählenden militaristischen Organisation „Bund Deutsche Jugend“ (BDJ) verborgen wurde. Der BDJ-TD war eine 1950 gegründete, reaktionär und antikommunistisch ausgerichtete Organisation. Über die Aktivitäten dieser Organisation schrieb die amerikanische Tageszeitung „New York Times“ (NYT) am 10. Oktober 1952: „Wie zuverlässige amerikanische Beamte hier heute privat bestätigen, [hätten] die Vereinigten Staaten die geheime Ausbildung junger Deutscher und auch die vieler ehemaliger Soldaten finanziell unterstützt, damit diese im Fall eines Krieges mit der Sowjetunion als Guerilla-Kämpfer eingreifen können. (…) Entdeckt wurde, dass die geplanten Guerillagruppen an politischen Aktivitäten beteiligt waren. Ihre Anführer erstellten schwarze Listen von Personen, die liquidiert werden sollten, da sie im Fall eines Krieges gegen die Russen als unzuverlässig erachtet würden.“

Der TD bestand aus rund 2.000 Guerilla-Kämpfern, allesamt ehemalige Nazis bzw. Soldaten der Wehrmacht. Sie wurden nicht nur im Kämpfen, Schießen, Foltern und Bombenlegen ausgebildet, sondern erstellten auch die von der NYT erwähnten Todeslisten, auf denen die ersten 10 Plätze die wichtigsten Führungspersonen der KPD einnahmen und die folgenden Plätze als „nicht zuverlässig antikommunistisch“ eingeschätzte Sozialdemokraten. Ihre Ausbildung fand teilweise auf amerikanischen Übungsplätzen statt, und war oftmals vielseitiger als die in der Wehrmacht. Hans Otto, ein ehemaliger SS-Offizier, ließ die „Stay-Behind“-Gruppe BDJ-TD auffliegen und sagte über seine Ausbildung durch den Beauftragten des amerikanischen Auslandgeheimdienstes CIA: „Er lehrte uns beispielsweise, wie man jemanden tötet, ohne eine Spur zu hinterlassen, wenn man ihn einfach mit Chloroform bewusstlos macht, ihn in sein Auto setzt und einen Schlauch benutzt, um die Abgase des Autos ins Wagen innere zu leiten. Er lehrte uns auch gewisse Vernehmungstechniken, wie man Gewalt anwenden kann, ohne Spuren zu hinterlassen. Beispielsweise muss man jemanden, den man vernehmen will, die Augen verbinden. Dann muss man ein Stück Fleisch in der Nähe grillen, während man ein Stück Eis auf eine bestimmte Stelle des Körpers der Person drückt, die vernommen werden soll. Die Kombination aus der Kälte des Eisstückes und dem Geruch von verbrannten Fleisch hinterlässt bei der zu vernehmenden Person den Eindruck, dass sie mit glühendem Metall bearbeitet wird.“48 Nach dessen Aussage gab es massenhaft Durchsuchungen von Mitgliedern des BDJ-TD. Etwa 100 mutmaßlich Beteiligte wurden vorläufig festgenommen, jedoch nach ihrem Verhör und einigen diplomatischen Aktionen auf Grundlage eines Urteils durch das Bundesverfassungsgericht wieder freigelassen. Dazu soll Kanzler Konrad Adenauer nur gesagt haben: „Ich habe nichts dagegen, dass es getan wird, doch ich wäre in der Wahl der beteiligten Personen etwas vorsichtiger gewesen“ – eine klare Anspielung auf die Aufdeckung der Stay-Behind durch Hans Otto.

Führend beteiligt beim Aufbau des BDJ-TD war Wilhelm Krichbaum. Er trat 1923 der NSDAP bei, wurde später SS-Oberführer und 1945 Chef der geheimen Feldpolizei – einem Nazi-Geheimdienst. Seine Aufgaben dort waren vor allem, die Partisan:innenbewegung auf Sowjetgebiet niederzuschlagen (was dann auch mit den brutalsten Methoden versucht wurde), und die Zersetzung der Wehrmacht zu verhindern. Krichbaum war beteiligt an der Verfolgung von Deutschen, die im Spanischen Bürgerkrieg 1936-1938 in den Internationalen Brigaden gegen den Franco-Faschismus kämpften. Kurz vor Kriegsende wurde er Vizechef der Gestapo – neben der SS dem wichtigsten Terrororgan der Faschist:innen im Innern. Kirchbaum war also ein faschistischer „Partisan“ im Sinne Carl Schmitts, ein Spezialist in antikommunistischer Aufstandsbekämpfung. Dementsprechend wurde er nach dem Krieg nicht für die Gräueltaten verurteilt, die er begangen hatte, sondern von der Organisation Gehlen und der CIA angeworben und auf den Posten des Chefs der „Stay-Behind“-Organisation in Deutschland gesetzt. Rekruteur für die deutsche „Stay-Behind“ war Klaus Barbie. Er war bekannt als „Schlächter von Lyon“, da er an der Ermordung von 4.000 Jüd:innen und aufständischen Arbeiter:innen in Lyon beteiligt war. Berüchtigt war er unter anderem für seine Foltermethoden: Eine Peitsche und ein deutscher Schäferhund, der seine Zähne in jeden Teil des Körpers seiner Opfer hineinschlagen durfte.

Die Strategie der Spannung”

Schon die Todeslisten des BDJ-TD mit den führenden Köpfen der KPD zeigen, welche Rolle der bewaffnete Faschismus auch im Inneren im Falle eines „bolschewistischen Einmarschs“ bzw. einem Aufstand der Arbeiter:innenklasse spielen sollte. Doch während die sowjetische Invasion nicht stattfand, gewann in den 60er und 70er Jahren die Linke international an Bedeutung. So kam es etwa in Italien zu zahlreichen kämpferischen Generalstreiks sowie dem Aufbau bewaffneter, sich auf den Marxismus-Leninismus beziehender Gruppen wie den „Roten Brigaden“, die teilweise über eine Verankerung in der Arbeiter:innenklasse verfügten.

Es folgte eine Welle von Terroranschlägen in Italien in den 70er und Anfang der 80er Jahre, in deren Verlauf insgesamt 300 Menschen starben. Trauriger Höhepunkt dieser Anschlagsserie war ein Attentat auf einen Bahnhof in Bologna im Sommer 1980, bei dem 85 Menschen starben und 200 verletzt wurden. Die Anschläge wurden versucht den Roten Brigaden in die Schuhe zu schieben, gingen aber auf das Konto von „Gladio“, der italienischen Stay-Behind. Diese von Neofaschisten durchsetzte Geheimarmee war jeglicher parlamentarischer Kontrolle entzogen, da bis in die 90er Jahre die Existenz der Organisationen in Italien wie auch in anderen europäischen Ländern nicht bekannt war.

Bekannt wurde diese Organisation erst, als Vincenco Vinceguerra, italienischer Neofaschist und Chef der Avanguardia Nazionale aussagte, während er wegen eines vermeintlichen Anschlags auf italienische Polizisten in Untersuchungshaft saß. Laut Vinceguerra bestehe in Italien „eine geheime Kraft, parallel zu den bewaffneten Streitkräften, bestehend aus Zivilisten und Militärs, mit einer antisowjetischen Ausrichtung, um den Widerstand auf italienischem Boden gegen die russische Armee zu bilden (…) Eine geheime Organisation, eine Über-Organisation mit einem Netzwerk an Nachrichtenverbindungen, Waffen und Sprengstoffen sowie Männern, die diese auch anzuwenden verstehen (…) Eine Über-Organisation, die mangels einer sowjetischen militärischen Invasion die Aufgabe übernehmen kann, ein Abrutschen des Landes aus der politischen Mitte nach links zu verhindern. Dies tat sie mit Unterstützung der offiziellen Geheimdienste und der politischen und militärischen Kräfte.“49

Im Laufe einer parlamentarischen Untersuchung des Falls bestätigte am 3. August 1990 der italienische Premierminister Gulio Andreotti die Existenz einer Geheimarmee mit dem Namen „Gladio“ in Italien und anderen Ländern Europas.

Vincencco Vinceguerra beschrieb während seines Verhörs die Grundgedanken hinter der Anschlagserie der 70er und 80er Jahre als „Strategie der Spannung“. Er erklärte diese so: „Man musste Zivilisten angreifen, die Menschen, Frauen, Kinder, unschuldige Menschen, unbekannte Menschen, die weit weg von jeglichem politischen Spiel entfernt waren. Der Grund war ganz einfach. Sie beabsichtigten, diese Menschen, die Öffentlichkeit dazu zu bringen, sich an den Staat zu wenden, um höhere Sicherheit zu fordern. Dies ist die politische Logik, die hinter all diesen Massakern und Bombenattentaten steht, die ungesühnt bleiben, weil der Staat sich nicht selbst schuldig sprechen kann oder sich selbst für das, was geschehen ist, verantwortlich machen kann.“50

Die Aufgabe sei also, ein Gefühl von permanenter Unsicherheit in der Bevölkerung zu schaffen, da jede:r als nächstes dran sein könnte. Somit soll der Ausbau des staatlichen Repressionsapparats und eine vermehrte Anwendung staatlicher Repression legitimiert werden.

Wehrsportgruppen und Oktoberfestanschlag

Wurde diese „Strategie der Spannung“ auch von den deutschen Stay-Behind-Strukturen umgesetzt? Bei Beantwortung der Frage zeigt sich, wie widersprüchlich und komplex Geheimdienstarbeit, parteipolitische Entwicklungen auf gesellschaftlicher Ebene und die Eigendynamik faschistischer Organisationen ineinander greifen.

So gründeten sich in den 70er und 80er Jahren eine Reihe von paramilitärischen Wehrsportgemeinschaften (WSG), deren bekannteste und einflussreichste die „Wehrsportgruppe Hoffmann“ (WSG-H) im fränkischen Raum war. Die WSG-H umfasste ca. 400-600 Personen und war dabei eine zentrale politisch-militärische Ausbildungsorganisation für junge Faschisten in den 70ern. Sie führten Übungen im Schießen, Nahkampf und Bombenbauen in Wäldern und eigenen Häusern durch. Ihr Gründer und Leiter Karl-Heinz Hoffmann ordnete die WSG-H in die Tradition faschistischer Freikorpsverbände in der Weimarer Republik ein. Dabei finanzierten sie sich unter anderem durch den Verkauf von alten Bundeswehrfahrzeugen. Zudem war sie eng mit der DVU Gerhard Freys (dem guten Freund Reinhard Gehlens) verbunden, für dessen Veranstaltung sie regelmäßig Ordner und Saalschutz stellten.

Nach ihrem Vorbild gründeten sich einige weitere Wehrsportgruppen, etwa die „Wehrsportgruppe Schlageter“, „Wehrsportgruppe Werwolf“, „Wehrsportgruppe Totila“, oder die „Wehrsportgruppe Mündener Stahlhelm“. Der Anführer der „Wehrsportgruppe Hengst“, Bernd Hengst wurde durch den BND-V-Mann Helmut-Bärwald 1970 als Nachtwächter im SPD-Vorstandsdomizil eingeschleust. Hengst hatte zuvor immer wieder Angriffe gegen SPD-Politiker geplant.

Der Bayrische Innenminister Alfred Seidl, ebenfalls ein Bekannter Freys, hatte Verbotsforderungen gegen die WSG-H zurückgewiesen und deren Wehrsportübungen als „Kasperlspiel“ verharmlost. Vom bayrischen Ministerpräsidenten, einem der reaktionärsten Nachkriegsspitzenpolitiker Franz Josef Strauß (CSU) wurde die Gefährlichkeit der WSG-H herunter gespielt. So erklärte Strauß: „Mein Gott, wenn sich ein Mann vergnügen will, indem er am Sonntag auf dem Land mit einem Rucksack und einem mit Koppel geschlossenen ‚battledress‘ spazieren geht, dann sollte man ihn in Ruhe lassen.“51 Hier zeigt sich eine historische Kontinuität bis zur Harzburger Front, in der der Schulterschluss zwischen den verschiedenen faschistischen Lagern geprobt wurde.

Die tatsächliche terroristische Rolle der WSG-H zeigte sich dann beim Oktoberfestanschlag am 26. September 1980, dem schwersten Anschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte, bei dem es zu 13 Toten und 211 Verletzten kam.

Die politische Situation zum Zeitpunkt des Terroranschlags war dadurch gekennzeichnet, dass Franz Josef Strauß (dessen Redenschreiber der Faschist Armin Mohler war) als Bundeskanzler zur Wahl stand und es noch neun Tage bis zur Bundestagswahl waren. Noch während die Opfer im Sterben lagen kam der Bayrische Finanzminister angerauscht und erklärte am Tatort: „Die FDP ist mitverantwortlich für das was hier passiert ist.“52 Gemeint war die nach Meinung der Rechten zu lasche Haltung der FDP gegenüber der RAF. Erst kurz zuvor hatte CDU-Rechtsaußen Alfred Dregger über einen Anschlag der RAF mit vielen Toten spekuliert. Sofort wurde versucht, den Anschlag der linken bewaffneten Gruppen anzulasten, auch von Strauß. Man erkennt ein Muster ähnlich des Bologna-Anschlags wenige Monate zuvor in Italien: Attacken den Linken in die Schuhe schieben, Verunsicherung in der Bevölkerung schaffen, damit diese nach einem starken Staat ruft – und ihn in der Person von Strauß findet. Es ist das Rezept der „Strategie der Spannung“.

Doch die Rechnung ging nicht auf. Denn schon am Folgetag wurde bekannt, dass der Bombenanschlag von Gundolf Köhler, einem Mitglied der WSG-H verübt worden war. Besonders seltsam war hierbei, dass er – obgleich vollkommen verstümmelt – deshalb so schnell identifiziert werden konnte, da in der Nähe sein Personalausweis gefunden wurde. Hatte Köhler diesen tatsächlich zu dem Anschlag mit sich geführt oder wurde er gezielt platziert? Offene Fragen, die bis heute nicht geklärt wurden. So oder so verkehrte sich die Situation damit in das Gegenteil um, nämlich dass es die Faschist:innen sind, die wahllos Zivilist:innen umbringen.

Strauß verlor die Bundestagswahl. Im Anschluss begann eine massive staatliche Vertuschungsaktion. Gundolf Köhler wurde trotz seiner WSG-H Mitgliedschaft schnell zum Einzeltäter erklärt. Diese Behauptung ist in mehrfacher Hinsicht abwegig. Zum einen war Köhler ein militärisch organisierter Faschist. Dementsprechend gab es auch Hinweise auf Mittäter, wie etwa eine abgetrennte Hand am Tatort, die fälschlicherweise Köhler zugeordnet wurde. Ebenso wurden im Spind eines Spätaussiedlers mit rechter Einstellung zwei Pistolen und Flyer gefunden, auf denen Köhler als Märtyrer der Bewegung bezeichnet wird – zu einem Zeitpunkt als dessen Name noch nicht in der Öffentlichkeit bekannt gewesen war. Anfang Oktober 1980 reisten zudem Hoffmann und der Wehrsportler Walter Ulrich Behle nach Damaskus. Dort gestand Behle einem Barkeeper im Privatgespräch über das Attentat: „Das waren wir selbst.“

Zum anderen weist der bei der Detonation verwendete militärische Sprengstoff auf eine Verbindung zum Waffenlieferanten der rechtsterroristischen Szene, Heinz Lembke und damit zum deutschen „Gladio“-Netzwerk hin. Lembke war 1959 aus der DDR in die BRD gekommen und machte dann schnell Karriere im Bund Vaterländischer Jugend und später beim Bund Heimattreuer Jugend. Später wurde er zum zentralen Waffenlieferanten der militanten Neonazi-Bewegung in den 70er und 80er Jahren. Einen Tag nach dem Oktoberfestattentat werden zwei Rechtsterroristen der „Deutschen Aktionsgruppen“ befragt und diese verweisen darauf, dass ihnen Lembke Sprengstoff angeboten hätte und diesen in Wäldern versteckt habe. Eine Hausdurchsuchung bei ihm führt jedoch zu keinen Ergebnissen, Erddepots werden nicht gesucht. Erst im Oktober 1981 wird bei Lembke ein Waffenversteck ausgehoben, worauf gleich von ihm als „Einzeltäter“ und „Waffennarr“ gesprochen wurde. Zur Einzeltäter-Theorie sagt das Österreichisches Verteidigungsministerium in einem internen Papier: „Doch diese hervorragende Lösung hatte einen Fehler. Das Waffenversteck enthielt neben automatischen Waffen, chemischen Kampfmitteln [Arsen und Zyankali] und etwa 14.000 Schuss Munition auch 50 Panzerabwehrrohre, 156 kg Sprengstoff und 230 Sprengkörper sowie 258 Handgranaten. Bemerkenswert ist, dass ein Staat mit extremen Sicherheitsvorkehrungen gegen Terroristen den Diebstahl oder das Verschwinden einer solch großen Menge Kriegsmaterial nicht bemerkt haben sollte.“53 Der damalige Innenminister Egbert Möcklinghoff erklärte: „Die Waffen können nicht aus Diebstählen bei der Bundeswehr stammen sondern müssen regelrecht angeliefert worden sein.“54 Die Parallelen zu Stay-Behind-Erddepots sind offensichtlich. Nach seiner Festnahme sagte Lembke aus, es gebe noch 33 weitere Verstecke, die er den Behörden auch zeigte. Ebenfalls wollte er aussagen, für wen, mit wessen Hilfe und aus welchem Grund er die Waffenverstecke angelegt hätte. Am nächsten Tag wurde er tot (erhängt mit einem Kabel) in seiner Zelle gefunden – angeblich Selbstmord. Nicht nur die Methode des Ausschaltens von potenziellen Geheimnisverrätern schürt Spekulationen über einen Stay-Behind-Hintergrund von Lembke, sondern vor allem die Untersuchungen des DDR-Geheimdienstes Ministerium für Staatssicherheit, der auch Spionage gegen die BRD betrieben hat. Dieser konnte 15% der „Gladio“ zuzurechnenden Funksignale entschlüsseln, und eine Vielzahl davon kam von einer Station in der Nähe von Lembkes Haus. Während der Sprengstoff vom Oktoberfestattentat von Seiten der Polizei nicht mit dem aus den Waffendepots Lembkes verglichen wurde, erklärte man zugleich in Spurenakten zum Oktoberfestattentat: „Erkenntnisse über Lembke sind nur zum Teil gerichtsverwertbar.“55 Solche Vermerke kommen normalerweise nur bei V-Leuten oder Mitarbeitern von Geheimdiensten vor.

NSDAP/AO, Neonazi-Terror und Geheimdienste

Weitere Beispiele von massiver Geheimdienstverstrickung finden sich auch bei den anderen rechtsterroristischen Gruppen der 70er und 80er Jahre. Der faschistische Terror war dabei ein wichtiges Betätigungsfeld dieses militanten Neonazismus. Die Kontinuität wurde dabei von illegalen Kaderstrukturen gewahrt. Dafür gab es verschiedene Ansätze, die teilweise in Rivalität, teilweise in Kooperation standen und in denen sich alle geschichtlichen Traditionslinien von den Freikorps über die strasseristische SA-Linie bis hin zu SS-Verehrern wiederfinden:

Die „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei /Auslands- und Aufbauorganisation“ (NSDAP/AO), welche 1972 in den USA gegründet wurde, verstand sich als illegale Kaderorganisation. Der damals führende Neonazi Michael Kühnen schrieb dazu: Die NSDAP/AO sei „eine politische Frontorganisation des Nationalsozialismus und bildet dessen illegalen Arm. Die NSDAP/AO ist in Deutschland verboten und arbeitet deshalb im Untergrund propagandistisch gegen das NS-Verbot und für die Neugründung der NSDAP.“56 Kühnen war über maoistische Gruppen politisiert worden, dann aber bald der NPD beigetreten, die er wieder verließ, da diese nur ein „bourgeoiser Haufen von Schweinen“ sei. Kühnen wollte „eine Wirtschaftsordnung, die den Namen ‚Volkswirtschaft‘ wirklich verdient, die ein dritter Weg zwischen den unmenschlichen und widernatürlichen Systemen des Kapitalismus und des Kommunismus ist, statt von den Krisen einer ‚Weltwirtschaft‘ abhängig zu sein.“ In einem internen Bericht schätzte der DDR-Geheimdienst MfS ihn als „intellektuellen Drahtzieher des neonazistischen Untergrundes der BRD“ ein, der über „umfangreiche Verbindungen zu führenden Mitgliedern von rechtsextremistischen Terrororganisationen“ in Deutschland und ganz Westeuropa verfüge. Zudem gingen sie davon aus, dass dieser ein V-Mann sei oder zumindest Verbindungen zum Geheimdienst pflege.57 Aus der Organisation entstanden zahlreiche Neonazi-Kader, die damals und teils bis heute führende Positionen in Nazi-Organisationen eingenommen haben, darunter Christian Worch, Christian Malcoci oder Michael Swierczek.

Eine NSDAP/AO-Zelle war auch Ursprung der 1977 gegründeten „Aktionsfront Nationale Sozialisten“ (ANS), welche sich 1983 mit den „Nationalen Aktivisten“ (NA) zur ANS/NA zusammenschloss. Diese wurde von Michael Kühnen geführt. Dieser verkündete 1978 unverhohlen: „Selbstverständlich ist Adolf Hitler und sein Programm das größte Vorbild.“58 Sie war in etwa 30 Kameradschaften und in die Bereiche Nord, Süd, West, Mitte gegliedert und verübte mehrere Angriffe auf Sparkassen sowie auf Migrant:innen und politische Gegner.

Nach dem ANS/NA-Verbot im Jahr 1983 bildete eine Gruppe die „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GgNF), welche sich zuerst als „Lesekreis“ organisierte, um ein Folgeverbot zu verhindern. Adolf Hitler gilt ihnen als „Heilsgestalt der arischen Rasse“. Mit der Zeit baute sie verschiedene Vorfeldstrukturen auf, wie etwa die „Antizionistische Aktion“, die „Volksbewegung gegen Überfremdung“, das „Antikommunistische Aktionsbündnis“, die „Deutsche Frauenfront“, die „Freie Gewerkschaftsbewegung“, den „Volksbund Rudolf Heß“ und die „Aktion Lebensschutz“. Nach einer Auseinandersetzung aufgrund eines Manifests gegen den homosexuellen Michael Kühnen spaltet sich die Organisation. Die Kühnen-Anhänger bilden anschließend die Organisationen „Nationale Sammlung“, die „Deutsche Alternative“, die „Nationale Liste“, das „Deutsche Hessen“, den „Nationalen Block“, die „Deutschen Nationalisten“. Hier gab es zeitweise eine Auseinandersetzung darum, ob man mehr der SA- oder der SS-Tradition mit allen organisatorischen Konsequenzen folgen sollte. Kühnen setzte sich bezüglich der SA-Tradition durch. Er hatte sich vermehrt dem Strasserismus zugewandt und propagierte eine „vor 1934“-Nazilinie mit Kritik an Adolf Hitlers Säuberungen gegen die SA. Die GgNF unterwandert zudem die 1975 gegründete „Freiheitliche Arbeiterpartei“ (FAP). Die Ursprünge der FAP lagen in der 1962 gegründeten „Deutsch-Sozialen Union“ Otto Strassers. Diese sammelte einen gewichtigen Teil des militanten Neonazismus und bildete zahlreiche Kader der späteren Kameradschaftsbewegung aus, darunter Sigfried Borchardt, Thorsten Heise oder Jürgen Mosler. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch die schon 1952 aus der Jugendorganisation der „Sozialistischen Reichspartei“ hervorgegangene „Wiking Jugend“, die sich später der FAP annäherte. Daneben agierte zudem die „Volkssozialistische Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit“ (VSBD/PdA), die bereits 1971 in Krefeld von Friedhelm Bussel und Peter Weinmann gegründet worden war. Weinmann war seit 1968 bis 1987 V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie später mehrere Jahre für den italienischen Militärgeheimdienst und den DDR-Geheimdienst MfS tätig. Die VSBD/PdA trug sich nie als offizielle Partei ein und war später in spektakuläre Banküberfälle und eine Schießerei mit der Polizei ebenso wie rassistische Übergriffe verwickelt. Nach einer Inhaftierung Bussels agierte sie als „Nationalistische Front“ weiter, die unter anderem durch mehrere V-Männer mit finanziert wird. Später spielt Bussel eine führende Rolle in der FAP, die er ab 1988 nach heftiger Auseinandersetzung mit Kühnen bis zu deren Verbot im Jahr 1995 führt.

Zudem existierte noch die „Freiheitsbewegung Deutsches Reich“ (FDR) unter Führung von Manfred Roeder, der später durch eine Reihe von faschistischen Terroranschlägen bekannt wurde und auch die Täter:innen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ inspirierte. Roeder gilt zudem als Vordenker der „Reichsbürger“-Ideologie.

Der Linke Historiker Rolf Gössner geht davon aus59, dass sich die Führungskader von WSG-H über NSDAP/AO, VSBD/PdA, ANS/NA hin zur FDR in der im Jahr 1975 unter dem Tarnnamen „Kurzlehrgang des 1. Schießklubs Bocholt e.V.“ neugegründeten Untergrund-NSDAP koordinierten. Führend daran beteiligt war ausgerechnet der bezahlte Spitzel des Verfassungsschutzes, Werner Gotwald.

Die Massenarbeit des Neonazismus

Die genannten Neonazigruppen organisierten jedoch nicht nur rechten Terror, sondern betrieben eine systematische Massenarbeit. So gab es dann in den 80ern einen Aufschwung des neofaschistischen Personenpotenzials. 1981 existierten laut Staatsangaben 73 „rechtsextremistische Vereinigungen“ mit ca. 20.300 Mitgliedern und 59 Verlägen und Vertriebsdiensten. Im Jahr 1990 bestanden nach einem Prozess der Konzentration 70 „rechtsextreme Gruppen“ mit jedoch mittlerweile ca. 37.000 Mitgliedern und 34 Verlägen und Vertriebsdiensten. Diese vermutlich untertriebenen Zahlen sind Ausdruck einer gezielten Rekrutierungsarbeit. So wurden nach ARD-Recherchen im Jahr 1984 beispielsweise etwas 60 redaktionell und technisch gut gemachte faschistische Schüler:innenzeitungen verbreitet. Hinzu kam schon früh ein aktiver Umgang mit der Verbreitung von Rechtsrock über CD’s und Tonkasetten, sowie die Verbreitung von Computerspielen wie „Anti-Türken-Test“, „KZ-Manager“ oder „Clean Germany“ auf Schulhöfen. Zusätzlich fand ein Einwirken in die aus Großbritannien nach Deutschland überschwappende Skinhead- und Hooligan-Szene statt, aus der alle faschistischen Strömungen versuchten neue Aktive zu rekrutieren. Viele noch heute relevante faschistische Fußballfangruppen haben ihre Ursprünge in dieser Zeit. Inhaltlich einigte sich die neonazistische Bewegung zudem auf einen Hauptaspekt, um in die verschiedenen Schichten der Bevölkerung zu wirken. So erklärte Michael Kühnen im Gefängnis in einem Interview: „Das Hauptgewicht der NS-Bewegung wird in den nächsten Jahren (…) hauptsächlich die Ausländerfrage sein. Das heißt: die Überfremdungsdiskussion. Das ist ein Thema, das uns keine andere Gruppe wegnehmen kann und mit dem wir auch in künftiger Zeit eine Massenbasis bekommen werden.“60

Neue Rechte gewinnt an Masseneinfluss

Parallel zum Aufschwung des militanten Neonazismus begannen reaktionäre Personennetzwerke und Organisationen in Staat und Kapital über verschiedene Wege die Errungenschaften der 68er immer offener anzugreifen: 1976 ging die CDU unter Führung von Helmut Kohl mit den nationalistischen und antikommunistischen Slogans „Aus Liebe zu Deutschland: Die Freiheit wählen“ und „Freiheit statt Sozialismus“ in den Wahlkampf, verlor aber. Anschließend kam es zum offenen Machtkampf zwischen Kohl und dem CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß, welchen Strauß für sich entschied – der Mann, dessen Berater Mohler der Spiritus Rektor der Neuen Rechten war und der gern eine schützende Hand über Karl Heinz Hoffmann hielt. Er hatte zudem immer wieder mit einem bundesweiten Antreten der CSU als „vierte Partei“ rechts der CDU gedroht. 1980 trat er für die Unionsparteien als Kanzlerkandidat an.61 Die Stimmung war günstig: Auch wenn durch die 68er-Bewegung ein Kampf gegen die reaktionäre Kultur geführt wurde, war diese noch immer allgegenwärtig. Ende der 70er Jahre wurde Adolf Hitler immer noch in 110 Städten der BRD als Ehrenbürger geführt. Laut einer Analyse des Sinus-Instituts München aus dem Jahr 1980 verfügten ca. „13% aller Wähler in der Bundesrepublik (…) über ein abgeschlossenes rechtsextremes Weltbild.62 Von ihrer sozialen Stellung her gehörten die meisten ermittelten Faschist:innen zum Mittelstand oder waren Angehörige des öffentlichen Dienstes und nur wenige qualifizierte Arbeiter:innen.

Bei der Bundestagswahl 1980 unterlag Strauß dann jedoch im Anschluss an das Oktoberfestattentat als gemeinsamer Kanzlerkandidat der beiden Unionsparteien dem amtierenden Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD). Dieser verlor sein Amt aber 1982 in einem konstruktiven Misstrauensvotum an Kohl, der damit das sozialliberale Jahrzehnt der 1970er Jahre beendete.

Jetzt sprach Kohl von einer „geistig-moralischen Krise“ als „das Resultat einer seit über einem Jahrzehnt betriebenen Verunsicherung, einer Verunsicherung im Verhältnis zu unserer Geschichte, zu vielen grundlegenden ethischen Werten und sozialen Tugenden, zu Staat und Recht, und letztlich auch einer Verunsicherung in unserem nationalen Selbstverständnis.“63 Den gesellschaftlich erkämpften Fortschritten seit 1968 sollte eine „geistig-moralische Wende“ entgegengesetzt werden. Es galt, einen Schlussstrich unter die begonnene Aufarbeitung des Faschismus zu ziehen und die aktive Vorbereitung Deutschlands darauf, wieder Großmacht zu werden, voranzutreiben. Zudem zeigt sich hier die selbe neurechte Sprache, welche mit Ängsten und Verunsicherung spielt und diese mit einem mystifizierten „nationalen Selbstverständnis“ einfängt.

Die Massenbasis dafür war da. Auf die Frage „Sollten wir wieder einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert?“, antworteten bei einer umfangreichen Studie 62,8% mit „ja“.64 Eine besondere Rolle spielten dabei die rechten Massenmedien. So bezogen schon damals 60% der sich faschistisch äußernden Befragten ihre politischen Informationen aus der „BILD“-Zeitung und nur 26% aus der offen faschistischen „Deutschen National-Zeitung“.65

Unter Kohl gewannen dann dementsprechend die Stahlhelmfraktion genannten Rechtsaußen-Teile der CDU an Einfluss. Diese kann als Kaderschmiede kommender faschistischer Politiker:innen angesehen werden. Führender Kopf war Alfred Dregger, der von 1982 bis 1991 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war. Aktiv war hier auch Erika Steinbach, jahrelange Vorsitzende der Vertriebenenverbände, und mittlerweile nach 40 CDU-Jahren führend bei der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Auch der Spiritus Rector der heutigen AfD, Alexander Gauland war Teil des Kreises um Dregger.

Die Politik der Kohl-Regierung versuchte verschiedene Lager zu bedienen. So setzte er zum einen die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition fort, da die Hoffnung bestand, somit der Wiedervereinigung unter BRD-Führung näher zu kommen. Zugleich gedachte er mit dem US-Präsidenten Ronald Reagan am 5. Mai 1985 an der Kriegsgräberstätte Bitburg-Kolmeshöhe nicht nur ermordeten Jüd:innen sondern auch Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS. Eine Abkehr von der Vergangenheitsbewältigung bei gleichzeitiger Unterstreichung der Anlehnung an den amerikanischen Imperialismus. Passend dazu hatte der BRD-Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU) zuvor die Anweisung gegeben, ab 1983 die Organisation der ehemaligen SS-Leute, HIAG, nicht mehr in den Berichten des Verfassungsschutzes zu erwähnen – und das trotz der Tatsache, dass diese Organisation nach wie vor in fast 120 Städten der BRD präsent war. Zugleich erklärte der CDU-Politiker und Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 den Sieg der Alliierten über den Nazi-Faschismus zum ersten Mal von höchster Ebene zum „Tag der Befreiung“. Dies zog wütenden Protest aus dem faschistischen Lager nach sich und Rechtsintellektuelle holten zum Gegenschlag aus.

Schon seit 1979 hat nach Einschätzung des liberalen Intellektuellen Jürgen Habermas eine „Neue Rechte“ eine „Rückeroberung von Definitionsgewalten“ geradezu strategisch geplant.66 Zugespitzter Ausdruck dessen war dann der 1986 durch den Philosophen Ernst Nolte vom Zaun gebrochene „Historikerstreit“, der auch in der neurechten Criticón geführt wurde. Nach Nolte und anderen sollten Politik und Taten des Nazi-Faschismus „objektiver und nicht nur negativ“ beurteilt werden, zudem sollte endlich ein Schlussstrich unter die Geschichte der faschistischen Gräueltaten vor 1945 gezogen werden, zur „Normalität“ übergegangen und den „Verbrechen des Kommunismus“ mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. So schrieb Nolte: „Vollbrachten die Nationalsozialisten eine ‚asiatische‘ Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer ‚asiatischen‘ Tat betrachteten? War nicht der ‚Archipel GULag‘ ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ‚Klassenmord‘ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ‚Rassenmords‘ der Nationalsozialisten?“67 Der Holocaust wurde also zur vorbeugenden Notwehr gegen die sozialistische Revolution umgedeutet. Zudem griff Nolte mit der Gleichsetzung von Jüd:innen und Kommunist:innen einen Kern der NS-Ideologie auf. In dieser Debatte wurden bildungsbürgerliche Teile der Bevölkerung dafür gewonnen, dass man nun Deutschland wieder „groß“ machen dürfe, ohne noch an die Verbrechen der Vergangenheit zu denken.

Die Republikaner” als erste neurechte Partei

Im Windschatten der „geistig-moralischen Wende“ bildete sich 1983 mit „Die Republikaner“ (REP) die erste wirklich einflussreiche neurechte Partei. Deren Vorsitzender Franz Schönhuber hatte sie zusammen mit zwei langjährigen CSU-Abgeordneten gegründet. Er war nicht nur bei der Waffen-SS und später HIAG-Mitglied, sondern auch befreundet mit dem bereits bekannten Armin Mohler von der Siemens-Stiftung. Auch an anderen Stellen gab es Verbindungen zu Kapitalkreisen. So war der Leiter der Landeskommission für Wirtschaft der REP in Berlin, Wolfgang Bogen, auch stellvertretender Vorsitzender der Berliner Elektroindustrie. Siemens hatte damals den größten Elektrobetrieb in West-Berlin. Am 23. Mai 1989 konnte Schönhuber auf Einladung des ehemaligen FDP-Mitglieds und Chefs der renommierten Maklerfirma Interfinanz, Carl Zimmerer, vor über hundert Industriellen, Finanz- und Kaufleuten der Düsseldorfer „Herrenrunde“ seine politische Konzeption darlegen. Danach sagten ihm einige der Zuhörer, darunter der Millionär Bolko Hoffmann (später Gründer der rechtsaußen angesiedelten Initiative Pro DM) finanzielle Hilfen zu. Ein führender Funktionär der bayrischen Republikaner war der Direktor der Bayerischen Zentralbank Horst Rudolf Übelacker. Zugleich fand sich bei den Republikanern ein hoher Anteil an Beamten des Repressionsapparats. In einem Interview erklärte Schönhuber damals: „Etwa die Hälfte der Mitglieder sind Polizisten, Grenzschützer, Beamte, Bundeswehrangehörige.“68

Bei den Republikanern werden damit die faschistischen Personennetzwerke aus Kapitalisten, Geheimdienstlern, Militärs, und rechten Ideologen augenfällig, auf die wir in der Geschichte immer wieder stoßen. Auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung Anfang 1990 dürften die Republikaner bundesweit zwischen 15.000 bis 18.000 vielfach junge Mitglieder gehabt haben – von Schönhuber selbst wurde die Zahl von 25.000 genannt.

Ein inhaltliches Kernkonzept der Republikaner war der Ethnopluralismus. Der REP-Landesvorsitzende NRW schrieb dazu, dass dies „ein Modell der Neuen Rechten“ sei, das sich „an den großen Philosophen und politischen Vordenkern wie Carl Schmitt“ und anderen orientiere: „Während die Neue Rechte also mit ihren Mitteln konsequent ein neues Gesellschaftsideal herausarbeitet, setzen wir Republikaner die behandelte Theorie in aktuelle Politik um.“69

1989 gelingt es den Republikanern mit einer Wahlkampagne, die sich kritisch zur „Europäischen Gemeinschaft“ (EG) positioniert („Europa ja– diese EG nein“) mit 7,1 Prozent und über zwei Millionen Wählerstimmen erstmals, sieben Abgeordnete in das Parlament der EG in Straßburg zu entsenden. Die Republikaner sind damit die erste Partei rechts von CDU und CSU seit 1953, die bei einer bundesweiten Wahl die Fünf-Prozent-Hürde überspringen konnte.

Auch wenn sie solche Wahlergebnisse später nicht wiederholen kann, wird sie zum lebendigen Beweis, wie erfolgreich sich das Knäuel aus den verschiedenen Strängen der faschistischen Bewegung seit 1945 modernisiert hatte – und damit an Einfluss gewinnen konnte. An diesen Erfolgen und Aufbauarbeiten wird später die einflussreichste faschistische Massenpartei seit Gründung der BRD, die Alternative für Deutschland (AfD), politisch, ideologisch und organisatorisch anknüpfen können.

1Autorenkollektiv, „Braunbuch: Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik. Staat, Wirtschaft, Armee, Verwaltung, Justiz, Wissenschaft.“, Staatsverlag der DDR 1965, S. 6

2Gerhard Keiderling, „Von Säuberungen, »Persilscheinen« und Mitläufern“, berlingeschichte.de/bms/bmstxt97/9703gesf.htm

3Braunbuch, ebd., S. 10

4Tatsächlich bleiben bei einer politisch gewollten Blindheit für NSDAP-Mitgliedschaften wichtige Erkenntnisse verborgen. So lag in der Belegschaft des Bundesinnenministeriums in Bonn der Anteil ehemaliger Mitglieder der NSDAP zeitweise bei 66 Prozent. Zudem hat auch im Ministerium des Innern in Ost-Berlin der Wert mit einem Anteil von 14 Prozent deutlich über den DDR-internen Statistiken gelegen. (vgl. „Deutlich mehr NSDAP-Mitglieder arbeiteten in deutschen Ministerien“ https://www.zeit.de/wissen/geschichte/2015-11/nachkriegsdeutschland-nsdap-nazis-ministerien-studie)

5Soziologische Untersuchungen aus bürgerlicher Sicht bestimmen die Größe des politischen Lagers des Faschismus in Deutschland („Menschen mit geschlossen rechtsextremistischen Weltbild“) in der Regel auf 12% bis 20%, wobei die empirischen Daten die hohe Stabilität über Jahrzehnte belegen. Siehe für die 2000er Jahre z.B. Zeuner u.a., „Gewerkschaften und Rechtsextremismus“, Westfälisches Dampfboot, Münster 2007, Unterkapitel „Das rechtsextreme Potential bei Mitgliedern und Unorganisierten“, S. 27 ff.

6Vgl. Schmidt/Fichter, „Der erzwungene Kapitalismus: Klassenkämpfe in den Westzonen 1945-48“, Wagenbach 1971

7Matthias Bröckers, „Das antimilitärische Gewissen“, 2015, https://taz.de/!868732/

8Siehe Teil 1, „Das deutsche Kapital und die NSDAP“ – sie haben den Plan zum Krieg gefasst und Hitler an die Macht gebracht, nachdem die bisherige Strategie einer Anlehnung an den US-Imperialismus gescheitert war.

9Siehe Unterkapitel „Die Modernisierung der faschistischen Ideologie“, S. 138

10DER SPIEGEL (1985): „Sonst wurde das eleganter gemacht“. SPIEGEL 47/1985

11Siehe Unterkapitel „Die Neue Rechte gewinnt an Masseneinfluss“, S. 161

12Siehe Unterkapitel „Die Modernisierung der faschistischen Ideologie“, S. 139

13Vgl. Peter Birke, „Wilde Streiks im Wirtschaftswunder: Arbeitskämpfe, Gewerkschaften und soziale Bewegungen in der Bundesrepublik und Dänemark“, Campus 2007, S. 228

14Reinhard Gehlen, „Der Dienst“, Hase und Koehlerl, Mainz / Wiesbaden 1971, S. 149 ff.

15Charisius/Mader, „Nicht länger Geheim – Entwicklung, System und Arbeitsweise des imperialistischen deutschen Geheimdienstes“, Militärverlag der DDR, 3. Auflage 1969, S. 144

16Die Welt am Sonntag erklärte dazu 1977: „Geschätzte 70 Prozent des Wissens Washingtons über sowjetische Rüstung, Streitkräfte und politische Interna stammten im kalten Krieg von der Organisation [Gehlen].“

17Vgl. Charisius/Mader, „Nicht länger Geheim“, ebd., S. 148

18Dickopf wurde jahrelang zudem als CIA-Informant geführt.

19Paul Schäfer, „Bundeswehr und Rechtsextremismus“, 1998, https://wissenschaft-und-frieden.de/dossier/bundeswehr-und-rechtsextremismus

20Erst nach größerem öffentlichem Aufruhr im Jahr 2000 wird der Verein mittlerweile von Berufspolitikern geführt. Er ist heute weiterhin eine der wichtigsten Lobbyorganisationen der Rüstungsindustrie.

21Vgl. „Die schmutzige NS-Vergangenheit des Springer-Konzerns“, https://web.archive.org/web/20220304134620/http://www.rechtes-regensburg.net/deutschland/axel-springer-konzern.htm

22Esch, „CIA und Presse“, 2003, https://taz.de/!734289/

23Autorenkollektiv, „In Tradition von Wehrmacht und SS“, 2007, https://www.antifainfoblatt.de/artikel/tradition-von-wehrmacht-und-waffen-ss

24Vgl. Klaus Kinner, Rolf Richter (Hrsg.), „Rechtsextremismus und Antifaschismus,“ Dietz Verlag 2000, S. 109

25Nach einem Kontaktverbot mit der Bundeswehr im Jahr 2004 löste sich der Verband in die Bedeutungslosigkeit auf.

26Vgl. Kinner / Richter, „Rechtsextremismus und Antifaschismus“, ebd., S. 109

27Sigrid Chamberlain, „Adolf Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind – Über zwei NS-Erziehungsbücher“, Psychosozial-Verlag 7. Auflage 2020, S. 8

28Anne Kratzer, „Erziehung für den Führer“, 2019 https://web.archive.org/web/20190202213539/https://www.spektrum.de/news/paedagogik-die-folgen-der-ns-erziehung/1555862

29Vgl. SPIEGEL, „Diplomaten-Händel. Präventive Maßnahmen“, Der Spiegel, 5. Juni 1957

30Reinhard Kühnl, „Die NPD“, Voltaire Verlag, Berlin 1967, S. 28

31Zitiert nach Kühnl, S. 191 f.

32Vgl. Köhler, Otto, „Unheimliche Publizisten. Die verdrängte Vergangenheit der Medienmacher“

33Dies gilt sogar für Staaten, in denen der Faschismus an der Macht geblieben ist. Spaniens Diktator Franco betrieb nach 1945 ebenfalls eine Anbindung an die West-Alliierten und organisierte in den darauf folgenden Jahrzehnten den geordneten Übergang der faschistischen Diktatur in eine parlamentarische Monarchie, welcher nach Francos Tod 1975 umgesetzt wurde. Dieser Übergang war ebenfalls von einer Anpassung der faschistischen Ideologie begleitet. Vgl. „Así sucedió el rey Juan Carlos I de Borbón a Franco“, www.youtube.com/watch?v=Aa8PiF3Ph6w&t=587s

34Vgl. Unterkapitel „Die Neue Rechte gewinnt an Masseneinfluss“

35Interview mit Züricher Wochenzeitung im November 1995

36„Dabei handelt es sich hier um die vielleicht wichtigste Einrichtung „neurechter“ Ideologiebildung und ihrer Vernetzung mit konservativer Politik und Kapitalinteressen im deutschsprachigen Raum.“ Vgl. Peter Kratz, „Siemens zum Beispiel“, 1991, http://bifff-berlin.de/SiemBu.htm

37Der SPIEGEL, „Die fünfte Kolonne organisiert eine vierte“; Der Spiegel 48/1975, S. 29

38Antifa Aquadrat, „Patrioten, Pfaffen, und Politiker. Das Studienzentrum Weikerheim – zwischen Nationalkonservatismus und Faschismus“, 1995, https://www.nadir.org/nadir/archiv/Antifaschismus/Themen/szw/seiten/szw.html

39Eine ausführliche Darstellung der Ideologie der „Neuen Rechten“ haben wir gegeben in: „Faschismus reloaded – die AfD und ihre Funktion für das deutsche Kapital“, Kommunismus 6, S. 7 ff.

40„Das Einzelne also verändert sich, das Ganze bleibt sich gleich. (…) ‚Gleich‘ bleibt die Grundform, ‚gleich‘ bleibt die Gestalt des Ganzen. Im gegnerischen Lager jedoch, dem des Fortschritts, kommt zum Ganzen immer noch etwas hinzu, so daß sich dieses Ganze ständig vergrößert. Der Kykliver leugnet das Werden nicht. Aber er glaubt, daß ihm durch ständiges Vergehen die Waage gehalten wird.“, Mohler, S. 113

41Vgl. „Der Deutsche Imperialismus“, Kommunismus 16, https://komaufbau.org/deutscherimperialismus/

42Damit sind wir zum Kern der konservativrevolutionären Haltung vorgestoßen. Nietzsches Wort vom ‚Amor fati‘ ist ihr Schlüssel: die Liebe zur Welt, wie sie ist, mit ihrem ewigen Wechsel von Geburt und Vernichtung – zur Welt, wie sie jetzt ist ohne jede Hoffnung auf eine Besserung in einem Jenseits oder in ferner Zukunft. Zur Welt, wie sie immer war und immer sein wird.“, Mohler, S. 125

43Nehmen wir zum Beispiel den Aufbau des Staates, so ist der Ausgangspunkt durch den Satz gegeben, daß alles immer da ist. Das postuliert, daß nicht alle Menschen einmal gleich waren oder einmal gleich sein werden, sondern daß der Zustand der Ungleichheit, den wir vorfinden, Ausgangspunkt für jeden Staatsaufbau sein muß.“, Mohler, S. 127

44Mohler, S. 17

45„Identitäre „Neue Rechte“: Alter Extremismus in neuer Verpackung“, https://www.derstandard.de/consent/tcf/story/2000075357384/identitaere-neue-rechte-alter-extremismus-in-neuer-verpackung

46Vgl. Peter Siebenmorffen, „Gefangen im Schweigenetz“, Die ZEIT, 23.11.1990

47Vgl. ausführlich dazu u.a.: Daniele Ganser, „NATO‘s Secret Armies“, 2005

48Vgl. Stock, Jonathan, „Guerilla von Staats wegen“, Süddeutsche Zeitung, 17.5.2010

49The Guardian, 5. Dezember 1990

50The Observer, 7. Juni 1992

51Zitiert nach a.i.d.a, „Der Kandidat, die Bombe und der Einzeltäter: Das Oktoberfest-Attentat vom 26. September 1980“, https://www.aida-archiv.de/2003/07/01/der-kandidat-die-bombe-und-der-einzeltr-das-oktoberfest-attentat-vom-26-september-1980/2/

52Tobias von Heymann, „Die Oktoberfestbombe – München, 26. September 1980 – Die Tat eines Einzelnen oder ein Terror-Anschlag mit politischem Hintergrund?“, NORA Verlagsgemeinschaft, Berlin 2008, S. 47

53Vgl. Reiko Pinkert, „Nato-Geheimarmeen – Terror im Namen der Demokratie“, AIB Nr. 82, 1/2009

54Reiko Pinkert, „Nato-Geheimarmeen“, ebd.

55Albert Schäffer, „Was wussten die V-Leute?“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.4.2015

56„NSDAP/AO“, Apabiz 1996, https://www.apabiz.de/archiv/material/Profile/NSDAPAO.htm

57So sei Kühnen am 30. November 1982, als er das Gefängnis in Celle verließ, in ein dort „auf ihn wartendes Kraftfahrzeug (gestiegen) (…), das als Taxi kenntlich gemacht worden war.“ Bei diesem Auto „handelt es sich nachweislich um ein Dienstfahrzeug des LfV [Landesamt für Verfassungsschutz] Niedersachsen.“ vgl. Andreas Förster, „Verstrickt mit Ober-Neonazi Michael Kühnen“, 2016, https://www.fr.de/politik/verstrickt-ober-neonazi-michael-kuehnen-11050511.html

58Michael Kühnen 9. Januar 1978 im „Norddeutschen Rundfunk“. Vgl. Klaus Kinner, Rolf Richter (Hrsg.), „Rechtsextremismus und Antifaschismus“, Dietz-Verlag 2000, S. 126

59Rolf Gössner, „Geheime Informanten: V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des Staates“. Knaur, München 2012, S. 96

60Interview mit M. Kühnen am 13.12.1983 in einer ARD-Sendung zum Neonazismus.

61Kohl und Strauß waren zuvor Jahrelang von einer der reichsten Familien der BRD, den Naziverbrechern Flick, massiv gesponsort worden, Vgl. Kapitel 3., S. 113

62Vgl. Klaus Kinner, Rolf Richter (Hrsg.), „Rechtsextremismus und Antifaschismus“, Dietz-Verlag 2000, S. 129

63Rede am 9. September 1982 im Deutschen Bundestag

64Diese war von CDU/CSU-nahen Kreisen beim Institut für Demoskopie in Allensbach in Auftrag gegeben worden, für die zwischen Mai 1982 und April 1984 über 10.000 Bundesbürger:innen befragt wurden.

65Kinner/Richter, S. 129

66In diese Zeit fällt auch die Gründung des Studienzentrum Weikersheim.

67Ernst Nolte, 6. Juni 1986, Frankfurter Allgemeine Zeitung

68Interview im SPIEGEL, 5.2.1989

69Zitiert nach Wolfgang Gessenharter, „Kippt die Republik“, 1994, S. 166