Inhaltsverzeichnis:

Kapitel 1: Faschismus: Entstehung und Diktatur (1918-1945)

Kapitel 2: Die faschistische Ideologie

Kapitel 3: Postfaschismus, Staatsterror & Neue Rechte (1945-1990)

Kapitel 4: Der Faschismus erhebt sein Haupt (1990-Heute)

Kapitel 5: Antifaschistische Strategie

Die weltpolitische Lage nach dem Ende der Sowjetunion

Die Entwicklung der deutschen faschistischen Bewegung seit 1990 muss vor dem Hintergrund der weltpolitischen Veränderungen in diesem Zeitraum betrachtet werden. In den Jahren 1989 bis 1991 zerfiel der von der Sowjetunion angeführte Ostblock infolge innerer Widersprüche des Revisionismus und teilweise aufgrund von Aufständen, die durch eine hybride Kriegsführung der NATO-Mächte weiter angefacht wurden.1 Nacheinander wurden die revisionistischen Regimes in der DDR, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und anderen osteuropäischen Ländern gestürzt. Der Zusammenbruch der Sowjetunion begann ab 1990 mit dem Austritt der baltischen Staaten, der Ukraine, von Belarus, der kaukasischen und der zentralasiatischen Teilrepubliken. Die formale Auflösung der Sowjetunion erfolgte mit dem Jahreswechsel 1991/92. Als Nachfolgestaat etablierte sich die Russische Föderation.2

Revisionistische Regimes, die sich weiter als „sozialistisch“ bezeichneten, überlebten weltweit nur in wenigen Staaten, wie in China, Nordkorea, Vietnam, Kuba sowie einigen afrikanischen Ländern. China schaffte es in den Jahrzehnten nach 1990 – gestützt auf eine besondere Form des Staatskapitalismus und durch die Öffnung gegenüber dem Welthandel – zur imperialistischen Weltmacht aufzusteigen, die politisch, ökonomisch und militärisch heute mit den USA konkurrieren kann. Der US-Imperialismus passte seine Geostrategie nach 1990 an die veränderte Weltlage an. Der amerikanische Politikberater und Geostratege Zbigniew Brzezinski formulierte in seiner Schrift „The Grand Chessboard“ (1997) die Grundlinien für die Aufrechterhaltung der nun entstandenen Stellung der USA als damals alleiniger Weltmacht. Brzezinski zufolge müssten die USA vor allem die Kontrolle über Eurasien behalten und dafür verhindern, dass sich unter den „aktiven geostrategischen Spielern“ Frankreich, Deutschland, Russland, China und Indien ein Bündnis herausbildet, das dieser Kontrolle gefährlich werden könnte.3

Samuel Huntington, ein weiterer US-Geostratege, verwarf in seinem Werk „The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order“ (1996) die Vorstellung von einer konfliktfreien Ausbreitung der liberalen Marktwirtschaft und der bürgerlichen Demokratie westlicher Art nach dem Ende der Sowjetunion. Stattdessen würden die weltpolitischen Konflikte der Zukunft vom Kampf zwischen verschiedenen kulturell-religiösen Identitäten (Kampf der Kulturen) bestimmt sein. Aufbauend u.a. auf den Theorien des „konservativen Revolutionärs“ Oswald Spengler benennt Huntington die großen Kulturkreise, zwischen denen Konflikte aus seiner Sicht unvermeidbar seien, als den Sinischen (mit dem Kernstaat China), den Japanischen (Japan), den Hinduistischen (Indien), den Orthodoxen (Kernstaat Russland), den Islamischen (ohne Kernstaat), den Westlichen (Kernstaaten: USA, Frankreich, Deutschland, Italien, Vereinigtes Königreich), den Lateinamerikanischen und den Afrikanischen. Der Kampf zwischen den westlichen und nicht-westlichen Kulturkreisen würde sich Huntington zufolge in Zukunft zur „zentralen Achse der Weltpolitik“ entwickeln.4 Huntingtons Kulturkampf weist große Überschneidungen mit dem Konzept des Ethnopluralismus der Neuen Rechten auf und definiert letztlich den Platz der faschistischen Bewegung in der imperialistischen Geostrategie ab 1990, nämlich als Vorkämpfer:innen des westlichen Kulturkreises.

Die Annektion der DDR und der Aufstieg des deutschen Imperialismus

Deutschland konnte in den Jahren 1989/90 durch die Annektion der DDR seine Stellung im imperialistischen Weltsystem erheblich verbessern. Im Zuge dieser Annektion hat die BRD die Wirtschaftsstrukturen der DDR zugunsten des westdeutschen Monoplkapitals vollständig zerschlagen.

Die vom Hoesch-Manager Detlev Rohwedder geleitete Treuhandanstalt privatisierte die vormaligen Volkseigenen Industriebetriebe und das Bankwesen der DDR, verkaufte sie für symbolische Preise an westdeutsche Unternehmen und wickelte sie zu einem großen Teil ab.5 Hierdurch wurde Ostdeutschland zunächst weitgehend deindustrialisiert, langfristig in eine wirtschaftliche Abhängigkeit von Westdeutschland gezwungen und in eine verlängerte Werkbank der BRD-Monopole verwandelt. Hinzu kam der gezielte Raub der Ersparnisse der DDR-Bevölkerung infolge der Aneignung der DDR-Banken und Versicherungen sowie der Einführung der D-Mark in Ostdeutschland. Die Beute, die das BRD-Kapital durch die Annektion der DDR gemacht hat, wird auf eine Größenordnung von etwa 850 Milliarden DM geschätzt.6 Niemals davor oder danach hat ein kapitalistisches Land sich eine Volkswirtschaft in vergleichbarer Größenordnung ohne Krieg einverleibt.

Dieser in der Geschichte beispiellose Raubzug des deutschen Imperialismus hatte massive soziale Folgen für die ostdeutsche Bevölkerung. Durch die Abwicklung der DDR-Betriebe wurden Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Vor allem Frauen, die in der DDR weitgehend in Vollzeit gearbeitet hatten, wurden quasi über Nacht in die Arbeitslosigkeit bzw. die Hausarbeit gedrängt. Die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland lag zwischen 1996 und 2006 weitgehend konstant zwischen 17 und 20 Prozent und damit doppelt so hoch wie im Westen.

Noch heute sind das Lohn- und Rentenniveau sowie der allgemeine Lebensstandard im Osten niedriger als im Westen, ist die Arbeitslosigkeit dort systematisch höher.

Die Vernichtung von Arbeitsplätzen führte außerdem zu einer massiven Abwanderung vor allem von qualifizierten Arbeitskräften von Ost nach West. Zwischen 1989 und 2008 betraf dies 4,1 Millionen Menschen – etwa ein Viertel der früheren DDR-Bevölkerung – und gut die Hälfte davon kehrte nicht mehr in den Osten zurück. Dies machte sich gerade in vielen ländlichen Regionen in Ostdeutschland bemerkbar, in denen Dörfer förmlich ausstarben.7

Die Schaltstellen von Politik und Wirtschaft wurden in Ostdeutschland mit Westdeutschen besetzt, während ein Teil der früheren Staatsbediensteten der DDR mit dem Argument der „Stasi“-Mitarbeit aus ihren Funktionen in Verwaltung, Polizei o.ä. hinausgedrängt wurden. Überhaupt diente das „Stasi“-Argument der expandierten BRD als dauerhaftes Disziplinierungsmittel und politisch-kulturelles Unterdrückungsinstrument gegenüber der ostdeutschen Bevölkerung, die sich ständig dafür rechtfertigen musste, in einem „Unrechtsstaat“, im „falschen Deutschland“ oder „hinter der Mauer“ gelebt zu haben.

Was ab 1989/90 mit der ostdeutschen Bevölkerung passiert ist, darf also nicht nur ökonomisch als Job- und Sozialkahlschlag eingeordnet werden. Vielmehr handelte es sich um die Vernichtung ihrer ganzen bisherigen Lebensweise, die Erfahrung der politischen und wirtschaftlichen Kolonisierung durch Westdeutschland sowie ihrer Diffamierung und Diskriminierung durch den westdeutschen Chauvinismus. Nach dessen Lesart sind die Ostdeutschen faul, unproduktiv, obrigkeitshörig und rückschrittlich, sie sprechen komisches Deutsch und lassen sich aus den alten Bundesländern finanzieren (obwohl es tatsächlich genau umgekehrt war). Auch fortschrittliche Kräfte aus dem Westen haben sich für Ostdeutschland lange Zeit nicht interessiert.

Diese kulturellen und psychologischen Faktoren sind wichtig, um zu verstehen, warum sich die faschistische Bewegung ab den 1990er Jahren gerade in Ostdeutschland stark verankern konnte. Diese besonderen Faktoren in Ostdeutschland vermischten sich mit den allgemeinen sozialen und kulturell-psychologischen Folgen der imperialistischen Globalisierung:8

dem Abstieg weiterer Teile der Kleinbürger:innen ins Proletariat;

der fortschreitenden materiellen Verschlechterung des Lebensstandards der Arbeiter:innen bei gleichzeitiger Ausdifferenzierung der Lebensverhältnisse;

der Destabilisierung der Lebensverhältnisse, z.B. durch die Vermehrung der „Brüche“ in den Lebensläufen der Arbeiter:innen;

der Angst vor dem sozialen Abstieg und dem damit verbundenen wachsenden psychischen Druck;

dem steigenden Druck auf Frauen durch die Doppelbelastung in Arbeitswelt und häuslicher Arbeit;

der Tendenz zur Auflösung der bürgerlichen Kleinfamilie;

der Prekarisierung junger Arbeiter:innen und der Verelendung der Rentner:innen;

der weiteren Verschärfung des Stadt-Land-Gegensatzes und der Verödung ganzer ländlicher Regionen u.v.m.9

Aufbauend auf die Annektion der DDR stieg Deutschland in den zwei Jahrzehnten ab 1990 zur führenden imperialistischen Macht in Europa auf und agierte auf der Weltbühne zunehmend aggressiv. Schlüsselmomente hierbei waren in politisch-militärischer Hinsicht Deutschlands Beteiligung an der Zerschlagung Jugoslawiens Anfang der 1990er Jahre, am Kosovo-Krieg 1999 und am Afghanistan-Krieg 2001, und in ökonomischer Hinsicht die Durchsetzung des Euro sowie die Politik der Spardiktate gegenüber schwächeren kapitalistischen Ländern in Europa.10

Die Ost-Eroberung der faschistischen Bewegung

Für die deutsche faschistische Bewegung bedeuteten das formale Ende des sozialistischen Lagers und die Annektion der DDR große Siege. Damit war ein zentrales Etappenziel der faschistischen Bewegung – die „Vereinigung Deutschlands“ – erreicht, wobei man den Zusammenschluss von BRD und DDR auf eine Teilvereinigung mit Mitteldeutschland reduzierte, der noch die Vereinigung mit den „unter polnischer Verwaltung“ stehenden ostdeutschen Gebieten zu einem Großdeutschland folgen müsse.

Die Annektion bot den Faschist:innen vielfältige Möglichkeiten, ihren Einfluss weit über den bisherigen Stand hinaus auszudehnen. Tatsächlich waren sie eng in das politische Geschehen rund um den Sturz der SED, die Annektion der DDR und die Etablierung der „Neuen Bundesländer“ einbezogen. Schon zu DDR-Zeiten wurden faschistische Kräfte durch westliche Geheimdienste zur Destabilisierung des feindlichen Staates unterstützt. Bei den Protesten der Bürgerrechtler:innen gegen das SED-Regime waren zahlreiche Nazi-Kader:innen aus Westdeutschland beteiligt. Noch heute sind die Vereinigungen aus dem Lager der Bürgerrechtler:innen wie die „Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft“ (UOKG) oder die „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“ vor allem Sammlungsorganisationen von Faschist:innen, religiösen Fundamentalist:innen und Verschwörungsideolog:innen, die in der Tradition der antikommunistischen Organisationen aus der Zeit der Novemberrevolution stehen. Zudem wurden alle in der DDR zu lebenslänglicher Haft verurteilten Nazi-Kriegsverbrecher nach der Annektion entweder begnadigt oder wegen angeblicher Verfahrensmängel auf freien Fuß gesetzt. Ebenso hob die BRD alle Urteile der DDR-Justiz gegen aktive Faschist:innen mit dem Argument der fehlenden Rechtsstaatlichkeit auf und entließ sie aus dem Gefängnis.

Diese faktische Legalisierung der Faschist:innen in Ostdeutschland schuf die Bedingungen für ihre direkt nach dem Mauerfall gestartete Offensive der 1990er Jahre, die bis heute zur Schaffung einer gefestigten regionalen Massenbasis in großen Teilen Ostdeutschlands geführt hat.

Der bereits seit den 70er Jahren führende neofaschistische Kader und mutmaßliche V-Mann Michael Kühnen legte bei einem Treffen der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF) zum Jahreswechsel 1989/90 einen Arbeitsplan Ost für den systematischen Aufbau faschistischer Organisationsstrukturen in Ostdeutschland vor11. Die von der GdNF angeleitete Neugründung „Nationale Alternative“ konnte als erste faschistische Partei schon Anfang 1990 die Eintragung ins Parteienregister der DDR erreichen. „Bereits in den ersten beiden Monaten des Jahres 1990 hatte das Neonazi-Lager ein Fundament gelegt, auf das es in den folgenden Monaten aufbauen konnte.“12

In den „Neuen Bundesländern“ ging die faschistische Bewegung dazu über, die neu eroberte Machtbasis systematisch zu festigen und auszubauen. Die NPD-Studentenorganisation veröffentlichte im Juni 1991 in ihrer Zeitschrift einen Aufruf zur Schaffung „National befreiter Zonen“, der in der Bewegung breit aufgegriffen und in den folgenden Jahren konsequent umgesetzt wurde (siehe Einschub).

Einschub: National befreite Zonen

Das strategische Konzept der „National befreiten Zonen“ wurde erstmals im Juni 1991 von der Studentenorganisation der NPD in ihrer Zeitung „Vorderste Front. Zeitschrift für politische Theorie und Strategie“ veröffentlicht. Das Konzept wurde in faschistischen Kreisen breit aufgegriffen. Die Faschist:innen haben es in den nachfolgenden Jahren Schritt für Schritt konsequent umgesetzt, insbesondere in ihren regionalen Hochburgen.

Die Strategie der „National befreiten Zonen“ beruht auf einer intensiven Beschäftigung führender faschistischer Kader:innen der 1970er und 80er Jahre mit kommunistischen und anderen revolutionären Strategien, um diese für ihre Zwecke der „nationalen Revolution“ anzupassen. Letztlich geht es den Faschist:innen um den Aufbau einer Gegenmacht bzw. unsichtbaren Doppelmacht zu den staatlichen Machtstrukturen. Dafür greifen sie u.a. auf den italienischen Kommunisten Antonio Gramsci und dessen Konzept einer kulturellen Hegemonie zurück und propagieren die Erlangung einer soziokulturellen Vormachtstellung. Die faschistische Strategie der „National befreiten Zonen“ verbindet Gramscis Idee der kulturellen Hegemonie mit Elementen, die dem maoistischen Konzept des Guerillakriegs entlehnt werden und deutet diese faschistisch um. Der „Kampf um die Straße“ soll mittels Gewaltandrohung und -anwendung bis hin zu massivem Terror militärisch gewonnen werden: „National befreite Zonen“ werden geschaffen, indem die Faschist:innen eine soziale, wirtschaftliche und politische Vormachtstellung in einem bestimmten Gebiet gewinnen. Sie versuchen dabei, nicht nur aktiv eine hegemoniale Stellung einzunehmen, sondern gleichzeitig konkurrierende oder störende Akteur:innen aus ihrem Einflussbereich zu verdrängen: „Wir müssen Freiräume schaffen, in denen WIR faktisch die Macht ausüben, in denen wir sanktionsfähig sind, d.h. WIR bestrafen Abweichler und Feinde.“ 13

Des weiteren sollen durch den Aufbau „nationaler“ Betriebe eigene Wirtschaftskreisläufe etabliert werden, um u.a. die führenden Aktivist:innen der Partei materiell abzusichern. Damit solle die faschistische Bewegung im Fall von staatlicher Repression oder gesellschaftlichen Drucks über eine unabhängige materielle Basis verfügen. Zudem soll die Akzeptanz breiterer Bevölkerungsschichten erreicht werden. Man müsse „so handeln, dass man in einem Meer an Sympathie schwimmt, dass die ‚normalen Bewohner‘ für uns die Hand ins Feuer legen.“ Die Parallelen zu den „Stützpunktgebieten“ und „Guerillazonen“ in Maos Strategie des langandauernden Volskriegs, bei denen die Revolutionär:innen in den Volksmassen wie die „Fische im Wasser schwimmen“ sollen, werden hier deutlich. Die Anwendung und Anpassung von Gramscis Hegemoniebegriff und der von Mao entwickelten Theorie des Partisanenkriegs für den Zweck einer faschistischen Machtübernahme („Nationale Revolution“) wird sogar vom „Landesamt für Verfassungsschutz“ in Brandenburg in einer Analyse eingeräumt. Eine ‚befreite Zone‘ zu schaffen, bedeute demnach:

eine ‚Gegenmacht‘ zum staatlichen Gewaltmonopol zu etablieren

Freiräume, in den WIR sanktionsfähig sind‘, zu schaffen (‚Wir sind drinnen, das System bleibt draußen‘)

Aufmarsch- und Rückzugsgebiete‘ zu sichern, die der Regeneration der Kämpfer dienen, sowie Identität, Geborgenheit und Gemeinschaftsgefühl vermitteln sollen

eine ‚Klärung unter allen revolutionären Gruppen‘ herbeizuführen (gemeint ist eine ‚innere Säuberung‘ von Abweichlern).“ 14

Anschließend streut der Geheimdienst in seiner Analyse die Nebelkerze, dass das Konzept gescheitert sei. Wie weit die Faschist:innen bei der Verwirklichung ihrer strategischen Vorstellungen seit 1990 tatsächlich gekommen sind, zeigt z.B. der Artikel „National befreite Zone? Neonazismus in Vorpommern“ vom Februar 2016. Die Faschist:innen hätten es demzufolge tatsächlich geschafft, zumindest in Teilen von Sachsen und Vorpommern so etwas wie „stabile Stützpunktgebiete der neuen faschistischen Macht“ zu errichten.15

Demokratische wie revolutionäre Antifaschist:innen stellen dabei immer wieder auf die erheblichen Erfolge der faschistischen Massenarbeit ab. Diese sind tatsächlich schwerwiegend: Wahlergebnisse der NPD von zwanzig Prozent in Dörfern entlang der polnischen Grenze in Vorpommern oder jahrelang andauernde wöchentliche Massenaufmärsche von Pegida, Querdenken oder faschistischen Friedensdemos bilden dabei nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. In Bautzen, Freytal oder Anklam ist es völlig normal, Faschist:in zu sein. Und dies nicht etwa in der vordergründig bürgerlich „weichgespülten“ Variante AfD, sondern als Anhänger:in der militanten Kameradschaften oder des III. Wegs.

Der Staatsapparat schirmt dabei über die Geheimdienste die faschistischen Kampfgruppen ab. Er deckt ihren bewaffneten Kampf durch zahlreiche Nebelbomben. Das sagen nicht nur wir, sondern z.B. auch ein Erardo Rautenberg, seines Zeichens ehemaliger Generalstaatsanwalt und damit der ranghöchste Ankläger in Brandenburg: „Er habe das Gefühl, dass der Landesverfassungsschutz die Aufklärung behindert habe, (…) dass der Landesverfassungsschutz in die Anschlagsserie der ‚Nationalen Bewegung‘ verwickelt sein könnte. Konkrete Beweise hat Rautenberg nicht. Aber er (…) nennt drei Indizien: Der Verfassungsschutz habe sich dagegen gewehrt, dass der Fall an den Generalbundesanwalt geht. Außerdem sei ein Durchsuchungstermin verraten worden – und: die radikale Gruppe sei nach dem Anschlag verschwunden.“16 Ein anderes Beispiel für die Abschirmung des bewaffneten Arms der faschistischen Bewegung durch die Geheimdienste bildet die regelmäßige Umdeutung ihres Kampfes um die Straße zu „unpolitisch, sub-kulturell motivierter Jugendgewalt.“17

In einer ersten Welle von Eskalationen nutzte die faschistische Bewegung den nationalistischen Taumel, der vom Staat rund um die „deutsche Wiedervereinigung“ inszeniert wurde, um Pogrome gegen Migrant:innen und Geflüchtete zu organisieren und so Bewegungsstrukturen samt Massenbasis und aktivistischen Kader:innen zu schaffen.

Bereits 1986/87 hatte eine durch die CDU/CSU geführte Kampagne gegen „Asylanten“ und „Asylmissbrauch“ an Fahrt aufgenommen. Sie wurde maßgeblich von den Springermedien „Bild“ und „Welt“ mitgetragen. In Reden und Zeitungsbeiträgen wurde in drastischen Sprachbildern vor einer „Asylflut“ und „Überschwemmungen“ gewarnt, wodurch gezielt Ängste geschürt und aufgegriffen wurden. Ein Ziel war es, die Stimmung für eine Grundgesetzänderung zur Abschaffung des Asylrechts zu schaffen, um auf dieser Grundlage im Interesse des Kapitals eine gezielte Zuwanderungspolitik anstatt einer breiten Aufnahme von Geflüchteten zu betreiben. Wie erfolgreich die Kampagne war, zeigen Umfragen zwischen Juni 1991 und Juli 1993, wonach das Thema Asyl/Ausländer weit vor der deutschen Vereinigung und der Arbeitslosigkeit als das dringendste Problem angegeben wurde. Die Kampagne legte damit die Grundlage für eine Welle faschistischen Terrors gegen Migrant:innen in den 90er Jahre.

Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die neofaschistische Terrorwelle mit dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im August 1992.Dabei haben mehrere hundert Faschist:innen zusammen mit ca. 3.000 applaudierenden Zuschauer:innen ein Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter:innen blockiert, belagert und schließlich in Brand gesetzt. Das Pogrom dauerte drei Tage und wurde teilweise live im Fernsehen übertragen. Die Polizei zog sich dabei zwischenzeitlich vollständig zurück. Mit dem Pogrom von Rostock und den späteren tödlichen Brandanschlägen auf Wohnhäuser von Migrant:innen in Mölln (1992) und Solingen (1993) griffen die Faschist:innen mit terroristischen Mitteln in die Asyldebatte ein. 1993 handelten die Kohl-Regierung und die SPD-Opposition unter Oskar Lafontaine die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl aus.

In die 1990er Jahre fallen auch die relativ geräuschlosen Anfänge der Reichsbürgerbewegung, die erst ab 2010 verstärkt öffentlich in Erscheinung trat. Diese Strömung des Faschismus ist ein heterogenes Sammelbecken aus Kräften, welche die bürgerliche Legitimität der Bundesrepublik Deutschland bestreiten und an ihrer Stelle das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 oder 1914 wieder errichten wollen – wahlweise als Monarchie oder völkische Diktatur. Die Bewegung, die lange Zeit als Traditionsverein exzentrischer Spinner belächelt wurde, entpuppte sich im Verlauf der 2010er Jahre immer mehr als Netzwerk militanter Organisationen mit Zehntausenden zum Teil bewaffneten Anhänger:innen18, Hunderttausenden bis Millionen Sympathisant:innen und mit Verbindungen in Militär, Polizei und Geheimdienste (Siehe Textauszug). Ende 2022 veranlasste der Generalbundesanwalt eine öffentlichkeitswirksame deutschlandweite Razzia gegen die „Patriotische Union“, eine terroristische Reichsbürgergruppe um den adligen Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß. Die Gruppe, von der ca. 50 Mitglieder im Visier der Behörden waren, hatte mutmaßlich einen bewaffneten Staatsstreich gegen die BRD und die Errichtung einer Monarchie unter besagtem Prinzen geplant. Dazu sollte u.a. ein Kommando aus ehemaligen Bundeswehrsoldaten am „Tag X“ den Bundestag stürmen. Die Gruppe hatte zudem Todeslisten von politischen Gegner:innen erstellt. Ideologisch vertrat sie eine Mischung aus Reichsbürger-Ideologie und dem QAnon-Mythos, dass Deutschland in Wahrheit von einem jüdisch-kontrollierten „tiefen Staat“ regiert werde.

Eine frühe Organisation der Reichsbürgerbewegung war der 1990 gegründete „Bund für Gesamtdeutschland“, der sich als politischer Arm der deutschen Vertriebenen verstand und die Position vertrat, dass das Deutsche Reich auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs völkerrechtlich weiter bestehe. Hieraus leiteten sie Gebietsansprüche Deutschlands auf Teile Polens sowie das Sudetenland ab.

Textauszug: FAZ-Kommentar zum Reichsbürger-Netzwerk: „Der Ernst des Lächerlichen“

Seit der Razzia vom 7. Dezember hat sich das Interesse stark auf die Figur Heinrichs XIII. Prinz Reuß konzentriert. Dies weniger, weil hier ein charismatischer Führer ins Licht getreten wäre, als wegen des skurrilen Auftauchens eines ‚Prinzen‘ im Zentrum rechtsradikaler Netzwerke, nach deren Lesart die Bundesrepublik Deutschland nie existiert hat. Man mag die römische Durchnummerierung der männlichen Reußen, den Namen Heinrich XIII. und den Namen ‚Waidmannsheil‘ für das von der GSG 9 ‚gestürmte‘ Jagdschloss in Thüringen für einen schlechten Witz halten. Für die Anhänger des amorphen Milieus sind dies verehrte Feldzeichen. Da die Sympathisantenszene wohl nicht Tausende, sondern Millionen zählt, bleibt für Spott und Hochmut aus der akademischen Blase nur wenig Raum. (…) Was innerhalb der akademischen und medialen Gated Communities als lächerlich gelten mag, formt offenbar für Millionen von Menschen attraktive Gegenbilder. Die Gründung dieser Bilder auf Irrationalität, untergegangene Reiche und das auf ‚Prinzen‘ gerichtete Verehrungsbedürfnis verweist nicht auf ihre Schwäche, sondern auf ihre Stärke.“19

Faschistische Denkfabriken gehen in die Offensive

Die faschistische Offensive in Ostdeutschland ab 1990 erweiterte auch die ideologisch-theoretischen Spielräume der Bewegung. Eine wichtige Rolle hat hierbei die Gründung des „Instituts für Staatspolitik“ (IfS) als zentraler faschistischer Denkfabrik im thüringischen Schnellroda im Mai 2000 gespielt. Die Gründer des Instituts sind Götz Kubitschek und Karlheinz Weißmann, zwei Schüler des neurechten Vordenkers Armin Mohler. Weißmann gab als Ziel des IfS aus, „geistige Orientierung“ zu bieten und „Einfluss auf die Köpfe“ zu erlangen: „Und wenn die Köpfe auf den Schultern von Macht- und Mandatsträgern sitzen, umso besser.“20 Diese Orientierung wird in der Folge in die Tat umgesetzt. Seit 2000 haben fast 5.000 Personen in Schnellroda Tagungen, Seminare und Kongresse besucht und sind dort ideologisch geschult worden. Alle führenden Köpfe der „Alternative für Deutschland“ wie Björn Höcke, Jörg Meuthen, Alice Weidel oder Alexander Gauland hielten bereits Vorträge in Schnellroda. Höcke bezeichnete den Ort als „Oase der geistigen Regeneration“. Auch der Kopf der militanten „Identitären Bewegung“ Martin Sellner lebte über mehrere Monate in dieser faschistischen „Oase“. Der „Antaios-Verlag“, der seinen Sitz neben dem Institut hat, gibt mit der Zeitschrift „Sezession“ das aktuell wichtigste Theorieorgan der Neuen Rechten heraus. Weißmann verließ das IfS im Jahr 2013 und wechselte zur „Jungen Freiheit“.

Das IfS ist ebenso wie die Junge Freiheit oder andere faschistische Institute, Verlage und Zeitschriften nicht einfach ein theoretisches Anhängsel des organisierten Faschismus. Vielmehr spielt es als Denkfabrik heute eine fundamentale Rolle in der Gesamtstrategie der Neuen Rechten. Diese ergibt sich aus dem strategisch-ideologischen Konzept der Metapolitik, das ursprünglich von neurechten Vordenkern wie Alain de Benoist und Armin Mohler entwickelt wurde. Unter Metapolitik verstehen sie die Strategie einer „Kulturrevolution von rechts“, wobei sie sich auf die Arbeiten Antonio Gramscis zur kulturellen Hegemonie stützen, die sie mit ihren Vorstellungen von der „konservativen Revolution“ verbinden. Letztlich geht es bei der Metapolitik darum, durch eine langfristige ideologisch-kulturelle Arbeit die tief im Bewusstsein der Menschen wurzelnden Einstellungen, ihr Glaubensgerüst und ihre Vorstellungen zu formen, die wiederum ihren Willen und ihr Handeln lenken. Dabei greifen sie auf frühe psychologische Erkenntnisse des rechtskonservativen Mediziners und Soziologen Gustave Le Bon (1841-1931) zurück, der mit seinen Arbeiten zur Massenpsychologie aus dem späten 19. Jahrhundert sowohl die faschistische Bewegung als auch die imperialistische Propaganda überhaupt prägte. Benoist, Mohler und ihre Nachfolger:innen wollen mit der Metapolitik die Mythen von Volk und Nation für das kollektive Bewusstsein erneuern und den Massen damit wieder einen „Sinn des Lebens“ liefern.

Das IfS betreibt nach den Vorstellungen Kubitscheks und Weißmanns daher eine metapolitische und ideologische Grundlagenarbeit, welche die Bewegung dazu befähigen soll, den „vorpolitischen Raum“ zu erobern. Das bedeutet, sie wollen die grundlegenden Begriffe prägen, die aus ihrer Sicht die Wertvorstellungen der Gesellschaft bestimmen, und damit die Voraussetzungen schaffen, um in der Zukunft auch die politische Macht zu übernehmen. Weißmann führte dieses Konzept der rechten Kulturrevolution bereits 1988 in einem Beitrag für die Zeitschrift „Criticón“ aus: „In einer pluralistischen Gesellschaft definiert sich der Einfluß einer Gruppierung nicht allein und vielleicht nicht einmal zuerst durch ihren sichtbaren Anteil an der politischen Macht. Worauf es ankommt, ist zunächst die Besetzung von Feldern im vorpolitischen Raum: nur eine vitale Subkultur garantiert längerfristig die Durchsetzung eigener Zielvorstellungen.“21

Das IfS ist nach diesen Vorstellungen natürlich nicht das einzige metapolitische Instrument, sondern nur ein Baustein in einem Mosaik aus weitgehend unabhängig voneinander agierenden Verlagen, Social-Media-Kanälen, Büchern, Zeitschriften, Musik, Veranstaltungen und allen sonstigen Erzeugnissen und Aktivitäten, die auf das Bewusstsein der Bevölkerung wirken, ihr Denken und ihren Habitus prägen und damit eine faschistische ideologische Gegenwelt schaffen. Nur subkulturell könne es nach Weißmann gelingen, „Informationen und Lebensgefühl durch ein ganzes Kapillarsystem sickern zu lassen.22 Götz Kubitschek wiederum formulierte es im Gespräch mit dem „Spiegel“ 2016 so: „Zunächst einmal geht es mir um Meinungsfreiheit. Darum, unsere Positionen nicht nur auf unseren Plattformen zu sagen. Im nächsten Schritt sollte es dazu kommen, dass unser Paradigma das übermächtige Paradigma wird. Das ist die Ansage.“23

Neben dem IfS bildet die 2011 gegründete „Bibliothek des Konservatismus“ in Berlin-Charlottenburg ein zweites ideologisches Zentrum des Faschismus. Wichtigster Sponsor war eine vom langjährigen Förderer der faschistischen Bewegung, dem Verleger Caspar von Schrenck-Notzing, gegründete Stiftung, die eine Million Euro Startkapital für die Bibliothek beisteuerte. Diese wird vom Chefredakteur der Jungen Freiheit Dieter Stein geführt und konkurriert mit dem IfS sowie dem Studienzentrum Weikersheim um die ideologische Führerschaft der Neuen Rechten. In den Räumen der Bibliothek finden heute alle zwei Wochen Vorträge mit bis zu 120 Besucher:innen statt. Prominente Vortragende waren unter anderem schon Alain de Benoist, der erste AfD-Vorsitzende Bernd Lucke, Thilo Sarrazin sowie die ehemaligen Geheimdienstköpfe Hans-Georg Maaßen und Helmut Roewer.

Als weitere faschistische Denkfabriken kommen das klassisch-neonazistisch orientierte „Thule-Seminar“ („Forschungs- und Lehrgemeinschaft für die indoeuropäische Kultur e.V.“) des französischen Neurechten Pierre Krebs in Kassel hinzu, sowie die damit eng verbundenen Organisationen „Deutsches Kolleg“ und „Deutsche Akademie“. Ebenfalls zu nennen sind die NPD-nahe, im Jahr 2000 gegründete „Deutsche Studiengemeinschaft“, die auch Vordenker der „Reichsbürgerideen“ ist, sowie die bereits erwähnte „Gesellschaft für freie Publizistik“.

Daneben gibt es ein vielfältiges Netz von inländischen und ausländischen Verlagen, Zeitschriften, Blogs, Social-Media-Kanälen u.v.m., die wiederum von rechten Krawallmedien (z.B. „Compact“, „Deutschlandkurier“, „Deutsche Nationalzeitung“, „Epoch Times“, „PI-News“, „Breitbart“) bis zu „feingeistigen“ Theorieorganen wie der „Jungen Freiheit“ oder der „Sezession“ reichen. Als besonders einflussreich sind in Deutschland z.B. das Verlagsgeflecht des Publizisten Dietmar Munier zu nennen, das u.a. die „Deutsche Militärzeitschrift“ – mit Beiträgen der Crème de la crème der bundesdeutschen Kriegspolitik – herausgibt, sowie der durch die frühere Tagesschau-Sprecherin Eva Hermann bekannt gewordene „Kopp-Verlag“. Der Einfluss der faschistischen Medienarbeit reicht wie schon vor 1933 bis weit ins klassisch-bürgerliche Lager: „Vom Cicero über Achse des Guten bis hin zur Jungen Freiheit findet über viele Pfade ein reger Ideenschmuggel ins Zentrum der Meinungsmacht statt“, befand dazu Martin Sellner.24

Einschub: Deutsche Burschenschaften

Kaderschmieden rechter Intellektueller sind bis heute die verschiedenen „Burschenschaften“ gewesen. Dabei handelt es sich um männerbündische Studentenvereinigungen, die während ihre Studiums eine Gemeinschaft bilden, teilweise in Burschenschaftshäusern leben und aus denen sich lebenslange Seilschaften entwickeln. Nach der Universitätszeit bleiben die „Alten Herren“ dann den jungen, aktiven Burschen verbunden und vermitteln Jobs, beraten und rekrutieren Nachwuchs. Schon die Machtübernahme durch die NSDAP wurde von der Dachorganisation „Deutsche Burschenschaften“ begrüßt, führende NS-Verbrecher wie Heinrich Himmler waren selbst Burschenschaftler.

In den 1970er Jahren erschienen dann in den „Burschenschaftlichen Blättern“ Aufsätze von Vordenkern der Neuen Rechten zu einem „ethnopluralistisch organisierten Europa“. Heute führende Vertreter der Neuen Rechten wie Götz Kubitschek, Karlheiz Weißmann und Dieter Stein lernten sich in ihren Jahren bei der „Deutschen Gildenschaft“, einem völkisch-nationalen Studentenbund kennen. Derzeit gehören den 67 Bünden der Deutschen Burschenschaft etwa 7.000 Verbindungsbrüder an. Sie sind ein zentraler Rekrutierungspool für die AfD: „Wenn die AfD eine Stelle ausschreibt, bewirbt sich entweder gar keiner oder eben ein Burschenschaftler“, so ein Parteimitglied.25 Die Burschenschaften bilden ein organisatorisches Rückgrat für die Partei. „Niemand kann so gut organisieren wie Burschenschaftler. Parteitage, Bildungsseminare, Mehrheiten – geben Sie uns einen Tag Zeit, und das ist gemacht“, so Jörg Sobelewski in der ZEIT.26 Der heutige Pressesprecher der DB, Phillip Stein ist ein rechter Netzwerker, etwa im Vorstand des Vereins „Ein Prozent“. Über die Burschenschaften sagt er: „Die Häuser und Etagen sind ideologische Panzerdeckunsglöcher, an denen die Wucht der Moderne zumindest teilweise folgenlos verpufft“.

Aufbau eines parlamentarischen Arms

Mit dem Erstarken der Faschist:innen nach 1990 vermehrten sich auch die Versuche zur Schaffung eines parlamentarischen Arms der Bewegung. Bei diesen Versuchen agierten gemäß einer langen geschichtlichen Tradition Netzwerke aus kapitalistischen Finanziers, Medienunternehmern, Militärs und reaktionären Vertreter:innen bürgerlicher Parteien als Strippenzieher:innen und Unterstützer:innen im Hintergrund.

Nach ihrem massiven Wahlerfolg 1989 wurde bei den „Republikanern“ (REP) noch besonderes Potenzial gesehen. Bei ihrem Parteitag im Januar 1990 sollte die Partei fit für den Masseneinfluss gemacht werden. So wurde ein neues Parteiprogramm beschlossen, das zuvor von einer etwa 60-köpfigen Expertengruppe, darunter dem Bundeswehr-Generalleutnant a. D. Franz Uhle-Wettler, dem Historiker Professor Hellmut Diwald und dem Verfassungsschutzagenten Klaus Hartel ausgearbeitet und im Verhältnis zum REP-Programm von 1987 von offenem Rassismus und offensichtlichen Bezügen zur neonazistischen Programmatik gereinigt worden war.

In der Folgezeit kann die Partei jedoch nicht an ihre Erfolge anknüpfen und befindet sich in dauerhafter Rivalität mit der „Deutschen Volksunion“ (DVU), die ebenfalls seit 1987 als Partei zu Wahlen antritt. Im Mai 1992 fanden letztlich erfolgslose Annäherungsgespräche statt – auf Vermittlung des bereits bekannten Armin Mohler. 1994 wird der REP-Vorsitzende Schönhuber dann durch Rolf Schlierer abgelöst, der aus dem von verschiedenen Großkonzernen finanzierten Studienzentrum Weikersheim herüberkommt. Dieser hatte 1980 noch publiziert, dass die Zahl von sechs Millionen ermordeter Juden in der NS-Zeit „heute in der zeitgeschichtlichen Wissenschaft nicht mehr ernsthaft vertreten“ wird. Bei den Republikanern war Schlierer schließlich von 1994 bis 2014 Parteivorsitzender. In dieser Zeit sammelte er wertvolle Erfahrungen und Kontakte, die er später bei der AfD-Finanzierung einbringen wird.

Die NPD hatte trotz zwischenzeitlicher Teilerfolge niemals den Sprung zu einer Massenpartei mit stabiler Verankerung in den Parlamenten geschafft. Anfang der 90er Jahre hatte die DVU von Medienunternehmer Frey kleinere Erfolge (1991 in Bremen mit 6,2 Prozent, 1992 in Schleswig-Holstein mit 6,3 Prozent), doch auch ihr gelang der Durchbruch nicht. Die NPD konnte im Laufe der 1990er wieder etwas an Kraft gewinnen, führte eine Strategiearbeit durch und beschloss 1998 ihr „Drei-Säulen-Konzept“, welches 2004 zum „Vier-Säulen-Konzept“ ausgebaut wurde. Dies umfasste den „Kampf um die Köpfe“, den „Kampf um die Straße“, den „Kampf um die Parlamente“ und den „Kampf um den organisierten Willen“.27 In der NPD spielten dabei Geheimdienste weiter eine zentrale Rolle. Das zeigte sich, als das erste Verbotsverfahren gegen die NPD im März 2003 scheiterte. Das Bundesverfassungsgericht sprach damals von „fehlender Staatsferne“ – man habe nicht unterscheiden können, welche Aussagen von NPD-Mitgliedern und welche von bezahlten Spitzeln kämen.

Die DVU kooperierte in den 2000er Jahren im Rahmen eines „Deutschlandpaktes“ eng mit der NPD. Freys Versuch, mit der auf ihn persönlich zugeschnittenen Partei eine ähnlich führende Rolle in der Bewegung zu spielen wie zuvor Alfred Hugenberg oder in Italien Silvio Berlusconi, scheiterte jedoch. 2009 zog er sich aus der aktiven Politik zurück. Die DVU sollte daraufhin mit der NPD fusionieren, was jedoch in jahrelangen Flügelkämpfen endete und beide schwächte. Während ein Teil der Partei um den militanten Neonazi Christian Worch die DVU verließ und 2012 die Partei „Die Rechte“ gründete, schlossen sich andere frühere DVU-ler der „Pro-Bewegung“ an. Die „Bürgerbewegung pro Köln“ war als erste Initiative der Bewegung 1996 als Kommunalpartei aus den Reihen der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ gegründet worden. Sie erreichte mit Unterschriftskampagnen gegen Moscheebauten, Flüchtlingsheime und Wohnanlagen für Sinti:zze und Rom:nja schnell Aufmerksamkeit und politische Erfolge. Später entstanden daraus „Pro NRW“ und „Pro Deutschland“, die jedoch nur bei Kommunalwahlen in einigen Städten nennenswerte Erfolge erzielen konnten. Auch andere Rechtsaußen-Parteien wie die „Partei Rechtsstaatliche Offensive“ um den medial inszenierten „Richter Gnadenlos“ Ronald Schill wirkten nur lokal und nur für einige Zeit. Die „Schill“-Partei schaffte es von 2001 bis 2004 sogar in die Hamburger Regierung, bestand jedoch nur bis 2007. Einige NPD-Funktionäre gründeten Ende 2013 wiederum die neofaschistische Partei „III. Weg“, die sich selbst in die strasseristische SA-Tradition stellt und faktisch zum legalen Sammelbecken verschiedener Kameradschaften und Autonomen Nationalisten wurde und rund 600 Mitglieder umfasst. Sie bildet heute die aktivste offen neofaschistische Organisation, organisiert sich militaristisch und ist in einigen Dörfern und Stadtteilen der BRD eine aktive Bedrohung für Antifaschisten:innen. Immer wieder begehen deren Mitglieder Übergriffe, ihre Führungsperson Matthias Fischer stand auf einer Kontaktliste des NSU. Der III. Weg kann als Fortsetzung der neonazistischen Kühnenbewegung aus den 70er und 80er Jahren gesehen werden und bildet damit in SA-Tradition einen relevanten Teil des straßenkämpferischen Arms der faschistischen Bewegung.

Die „Alternative für Deutschland”

Der tatsächliche Durchbruch beim Wiederaufbau eines parlamentarischen Arms des Faschismus mit Masseneinfluss gelang aber erst mit der „Alternative für Deutschland“ (AfD). Aufhänger der Kampagne um die Parteigründung im Jahr 2013 war die europäische Staatsschuldenkrise ab 2011, die sich infolge der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 entwickelt hatte. Deutschland nutzte die Überschuldung von Staaten wie Griechenland, Italien, Spanien und Portugal, um mit Unterstützung anderer nordeuropäischer Länder eine rigide Sparpolitik gegen Europas Süden durchzusetzen. Diese brachte vor allem einen Machtzuwachs und Konkurrenzvorteil für das deutsche Kapital. Innerhalb des deutschen Kapitals und der bürgerlichen Intelligenz formierte sich jedoch eine Minderheit, die entweder wenig ökonomisches Interesse an Geschäften in Südeuropa hatte und stattdessen für eine Auflösung der Euro-Zone eintrat, oder aber eine solche Auflösung aus politisch-ideologischen Gründen für richtig hielt. Die Diskussion wurde von einer chauvinistischen Hetzkampagne vor allem der Springer-Medien gegen die „PIGS-Staaten“28 und die „faulen Südeuropäer“ angeheizt. In dieser Gemengelage konnte die Neugründung einer Rechtsaußen-Partei als Anti-Euro-Partei von Anfang an auf prominente Unterstützer:innen setzen. Hinzu kamen die Auswirkungen der seit den 2000er Jahren umgesetzten strategischen Erneuerung der CDU unter Angela Merkel. Die Merkel-CDU übernahm gezielt sozialdemokratische und zum Teil grüne Positionen, um sich nach dem Ende der rot-grünen Regierung das Monopol auf die politische „Mitte“ in der BRD zu sichern und dies in Wahlerfolge umzumünzen. Die Strategie ging auf: Die CDU blieb von 2005 bis 2021 durchgehend die führende Regierungspartei. Infolge ihrer „Sozialdemokratisierung“ gelang die Einbindung des deutschnational-faschistischen Unionsflügels jedoch immer weniger. Es mehrten sich vor allem rund um die europäische Krisenpolitik die Spekulationen über eine neue große Partei rechts von CDU/CSU. Als Hauptfigur hierfür wurde zeitweilig der gescheiterte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg gehandelt. Zeitgleich wurde auch über die Abspaltung des national-liberalen Flügels aus der FDP spekuliert. Tatsächlich hatten sich bereits seit längerem die verschiedenen reaktionärer Kritiker:innen von Merkels’ Politik in diversen Organisationen zusammengefunden, aus denen dann auch viele wichtige Personen der späteren AfD kommen sollten:

Der „Bund Freier Bürger“, der 1994 vom bayrischen FDP-Vorsitzenden Manfred Brunner gegründet worden war, wurde als „Professorenpartei“ bezeichnet und von der weitaus erfolgreicheren FPÖ aus Österreich unterstützt. 1998 schlossen sich der Organisationen viele Mitglieder des „Christlich-Konservativen Deutschland-Forums“ an, einer rechten Vereinigung innerhalb der CDU, die stark mit der „Jungen Freiheit“ und deren Lesezirkeln verbunden war.

Einige sammelten sich zudem in der „Zivilen Koalition“ rund um die heutige AfD-Politikerin Beatrix von Storch, welche sich unter anderem dafür einsetzt, Grund und Boden adeliger Familien zurückzufordern, die nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet wurden.

Auch aus der „Initiative Neue Soziale Marktwirkschaft“, welche von Gesamtmetall, dem Kapitalverband der Metallindustrie in Deutschland finanziert wird und in welcher der ehemalige Chef des BDI und AfD-Mitbegründer Hans-Olaf Henkel eine Rolle spielte, kam Unterstützung für die AfD-Gründung.

Weitere Verbindungen in Kapitalkreise bestanden und bestehen unter anderem in die libertäre „Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft“, das „Ludwig-van-Mises-Institute“ und den Verband „Die Familienunternehmer“.

Auf Seiten der Kapitalist:innen war der Bankier August von Finck junior (1930 – 2021) einer der engagiertesten Sponsoren des Faschismus. Finck bedachte nicht nur FDP und CSU mit großzügigen Spenden und unterstützte den CSU-Rechtsaußen Peter Gauweiler29 mit mehr als 11 Millionen Euro. Er finanzierte auch die verschiedenen Vorgänger-Versuche und Quellen der AfD wie die Republikaner, den Bund Freier Bürger, das Mises-Institut und die Zivile Koalition. Selbst in Münchener Finanzkreisen galt Finck mit seinen politischen Ansichten als extrem. So wurde über ihn der Satz verbreitet: „Rechts vom Gustl steht bloß noch Dschingis Khan.“ Finck half der AfD nicht nur mit einem lukrativen Goldhandel über seine Firma Degussa. Im Jahr 2021 wurde bekannt, dass der faschistische Netzwerker Tom Rohrböck – der sich selbst als „Söldner“ an der Schnittstelle von „braunen Horden, motorradfahrenden Jungs und Militärs“ verortet – die AfD und wichtige ihrer Vertreter:innen seit der Gründung über ein Geflecht aus Scheinfirmen und Medienorganen mit Geld von Finck und anderen Kapitalist:innen versorgt hat.30 Mehr als die Hälfte der Bundestagsfraktion soll im Kontakt mit ihm gewesen sein. Die Chefin des bayrischen AfD-Landesverbands soll die AfD-Bundestagsfraktion sogar einmal als „Mutanten-Armee“ von Rohrböck – und damit letztlich von Finck – bezeichnet haben. Verschleiert wird das ganze über eine Kanzlei in Lichtenstein, über die bereits die Spenden des Kriegsverbrechers und reichsten Deutschen Friedrich Flick an CDU/CSU in den 70er und 80er Jahren liefen.

Das unterstreicht, welche Rolle selbst eine kleine Gruppe von schwerreichen Kapitalist:innen beim Aufbau der faschistischen Bewegung spielen kann – und wie lange die Fäden zurückreichen. Dies zeigt sich auch beim „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten“, der eng mit dem „Studienzentrum Weikersheim“ zusammenarbeitet und über welchen Millionenspenden von reichen Persönlichkeiten an die AfD verschleiert wurden. Einer der Hauptspender soll der Immobilienmilliardär Henning Conle sein. Gegründet wurde dieser Verein am 21. September 2016 in Degerloch. Die Sitzung leitete der langjährige ehemalige REP-Parteivorsitzende Schlierer. 2011 hatte er ein Buch mit dem Titel „Deutsche Opfer fremde Täter“ im Antaios Verlag veröffentlicht. Sein Co-Autor: ausgerechnet Götz Kubitschek. Milliardäre, Kapitalverbände, rechte Denkfabriken, faschistische Ideologen und jahrelange Netzwerker – bei der AfD-Gründung kam alles zusammen. Rohrböck, aber auch Schlierer können als moderne Beispiele für eine Funktion innerhalb der faschistischen Bewegung gesehen werden, welche Mohler als „Netzwerker“ bezeichnet hat (siehe Einschub).

Der frühere BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel, der FAZ-Redakteur Konrad Adam, der ehemalige Chef der Hessischen Staatskanzlei Alexander Gauland, viele andere erfahrene Funktionär:innen aus dem bürgerlich-konservativen Lager sowie zahlreiche Professor:innen geben der Alternative für Deutschland nach ihrer Gründung im Februar 2013 schließlich die nötige Starthilfe, um sich in den darauf folgenden Jahren dauerhaft auf kommunaler, Landes- und Bundesebene in den Parlamenten zu etablieren. Die Partei erhält weiteren Auftrieb, als die Merkel-Regierung 2015 im Rahmen der europäischen Flüchtlingskrise die Aufnahme von ca. 1 Million vor allem syrischer Geflüchteter in Deutschland durchsetzt. Die militanten Faschist:innen gehen damals in die Offensive, verüben hunderte Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und organisieren Pogrome wie von HoGeSa in Köln sowie die „Pegida“-Massendemonstrationen. Die Parole „Die Merkel muss weg“ und der Begriff der „Merkel-Diktatur“ finden in Ostdeutschland massenhafte Verbreitung.

Einschub: Mohler über den „Netzwerker“

Jede Darstellung der Weltanschauungen der ‚Konservativen Revolution‘ muß es sich gefallen lassen, von den Beteiligten als bloßes Vordergrundbild bezeichnet zu werden. Weder die Aktivisten noch die Literaten seien das Wesentliche an dieser Bewegung. Sie sei vielmehr in erster Linie von einem dritten Menschentypus geschaffen worden. Hört man sich seine Beschreibung an, so merkt man, daß es sich um eine kuriose Spielart von Burnhams ‚Manager‘ handelt.

Dieser Typus tritt nicht in politischen Aktionen handelnd auf. Hat er etwas geschrieben, so höchstens zwei, drei kleine Aufsätze. Er besitzt auch selten einen eigenen Anhängerkreis; charismatische Begabung scheint für ihn nicht Vorbedingung zu sein. Und doch ist seine Wirkung groß. Er ist den größten Teil des Jahres auf Reisen; er kennt jeden Knotenpunkt des Personennetzes und trägt, wie gewisse Insektenarten auf ihrem Flug, den Fruchtsamen vom einen zum andern. Wird irgendwo etwas gegründet, so ist er bei den Vorbesprechungen dabei, nicht mehr jedoch beim offiziellen Gründungsakt. Er ist ein Virtuose auf dem Klavier der ‚Querverbindungen‘ und der Organisation des Geistes. Nur wenige kennen ihn, aber er kennt alle. Wer immer sich mit der ‚Konservativen Revolution‘ befaßt, stößt früher oder später auf die Spuren dieses ‚dritten Typus‘. Und man verzweifelt beim Versuch, ihn zu fassen. Man schwankt zwischen Überschätzung und Unterschätzung solcher Gestalten hin und her. Was ist an ihrer angedeuteten Allgegenwart selbstgepflegter Mythos und was Wirklichkeit?“ 31

Der AfD gelingt es, die damalige Stimmung in Wählerstimmen umzumünzen. Im September 2017 zieht sie mit fast 6 Millionen Zweitstimmen (12,6 Prozent) in den Bundestag ein. Sie organisiert von Anfang an tausende Faschist:innen. Hinzu kommen zahlreiche Offiziere außer Dienst, Berufssoldat:innen und Polizist:innen. Politisch kommt es zu einer schrittweisen Häutung der Partei, als die früheren Vorsitzenden Bernd Lucke, Frauke Petry und Jörg Meuthen sowie prominente Mitglieder wie Hans-Olaf Henckel nach und nach an den Rand gedrängt werden, die AfD verlassen und der völkisch-neurechte Flügel um den Thüringer Vorsitzenden Björn Höcke ihr politisches Profil immer offener bestimmt.

Insgesamt besetzt die AfD politisch das gesamte historische „Harzburger“ Feld aus Deutschnationalen, rechten Militärs, völkischen Kräften, „konservativen Revolutionären“ (Neue Rechte) und Nazis in der Hitler-Tradition. Dieses Spektrum versammelte sich ab 1933 in seiner Gänze hinter der Hitler-Diktatur, trug diese mit, und organisierte sich nach 1945 entweder in den bürgerlichen „Volksparteien“ – vor allem CDU/CSU und dem nationalliberalen Flügel der FDP – der NPD oder den rechten Splitterparteien (DVU, Republikaner, Pro-Bewegung etc.). Die Übergänge zwischen den genannten Schattierungen und der Übergang zum klassischen bürgerlich-konservativen Lager bleiben genau so fließend, wie sie es geschichtlich immer waren, ob nun zu Zeiten des Alldeutschen Verbandes, von Heinrich Brüning oder Franz-Josef Strauß.

Die AfD organisiert damit heute Kräfte aus dem gesamten Mohlerschen „Knäuel“ der Ultrarechten, das man nicht entwirren kann. Sie ist die politisch-parlamentarische Sammlungsorganisation der faschistischen Bewegung in ihrer Breite, die bis ins bürgerlich-konservative Lager hinein einflussreich ist und dort Wählerstimmen gewinnt – woran der ehemalige CDU-Netzwerker Gauland und die frühere Goldman-Sachs-Managerin Alice Weidel großen Anteil haben. Die offenen Faschist:innen und Neurechten um Björn Höcke sind heute die führende Kraft in der AfD. Die Geschichte des Hitler-Faschismus hat gezeigt, dass es müßig ist, die Unterschiede zwischen Deutschnationalen, Völkischen und anderen Fraktionen des Faschismus ins Zentrum zu stellen bzw. den Faschismus mechanisch in unterschiedliche Bewegungen zerlegen zu wollen. Der Faschismus ist und war zwar niemals eine feste einheitliche Bewegung und die Widersprüche in seinen Reihen dürfen nicht ignoriert werden. Die Dynamik der AfD seit 2013 ist jedoch die einer Vereinigung des faschistischen Lagers in einer Partei sowie der Radikalisierung dieser Partei und der sie tragenden Strömungen. Die AfD ist deshalb als faschistische Partei, und zwar als die wichtigste offen auftretende faschistische Partei in Deutschland einzuschätzen.

Letzterer Punkt wird vor allem deutlich, wenn man sich die Folgen der Etablierung der AfD für die faschistische Bewegung insgesamt ansieht: Allein im Jahr 2017 erhält die Partei über 20 Millionen Euro an Diäten und Parteienfinanzierung aus der Staatskasse. Schon 2018 recherchierte die taz, dass jeder zweite Bundestagsabgeordnete der AfD Mitarbeiter:innen aus der militanten Nazi-Szene, der Neuen Rechten oder der Identitären Bewegung beschäftigt. Ebenso bestehen Überschneidungen mit der Reichsbürgerbewegung, dem IfS und rechten Medien wie Compact und der Jungen Freiheit, die inzwischen als inoffizielles Zentralorgan der AfD gilt. Mit der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, die ab 2018 von der früheren Präsidentin des Bundes der Vertriebenen Erika Steinbach geführt wird, kann das AfD-Umfeld jährlich voraussichtlich weitere zweistellige Millionenbeträge erhalten.

Dieser Machtzuwachs der faschistischen Partei befördert wiederum den metapolitischen Ansatz der Faschist:innen als Bewegung. Götz Kubitschek erklärte schon im März 2016 am Abend einer für die AfD erfolgreichen Landtagswahl, die AfD werde nun „sehr gerne den ein oder anderen Begriff, das ein oder andere Thema, die ein oder andere aufbereitete Expertise aus unseren Projekten übernehmen und politisch umsetzen.“32

Von der Massenarbeit zur Massenbewegung

Bereits ab den 1990er Jahren begannen militante Neonazis, neue Aktions- und Organisationsformen zu entwickeln und gingen zunehmend dazu über, sich bei den Methoden und dem Auftreten der linken politischen Widerstandsbewegung zu bedienen. Als Reaktion auf die staatliche Repression gegen verschiedene faschistische Organisationen wie die FAP entstanden Mitte der 1990er Jahre die formal unabhängig und informell organisierten Freien Kameradschaften, die als „Nationaler Widerstand“ jedoch eng miteinander vernetzt sind. Vorbild für das neue Organisationskonzept sind die autonomen Antifas. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass die faschistischen „losen“ Strukturen ihr Organisationskonzept als Taktik verwenden, es nicht zum Prinzip erheben und dass sie im Hintergrund von erfahrenen Kadern geführt werden. Eine treibende Kraft bei den Freien Kameradschaften ist etwa der Nazi-Aktivist Christian Worch, der auch in der DVU mitmischte und später die Partei „Die Rechte“ gründete. Die Rekrutierung neuer Mitglieder für die Kameradschaften erfolgt vor allem über Freundeskreise und Kultur. Eine wichtige Rolle hierbei spielen Rechtsrock-Konzerte.

Ab etwa 2002 beginnen jugendliche Neonazis aus den Reihen der Freien Kameradschaften außerdem, sich als Autonome Nationalisten zu bezeichnen. Sie kopieren Logos, Buttons, Sticker und den Kleidungsstil der Linksautonomen aus schwarzer Kleidung und Palästinensertuch. Bei Nazi-Aufmärschen treten sie üblicherweise als Schwarzer Block neben den Kameradschaften oder der NPD auf. Daneben drehen sie die klassische Antifa-Arbeit um und richten sie gegen Antifaschist:innen („Anti-Antifa“), etwa in Form von Recherchearbeit, Kampf um die Straße und direkter Gewalt.

Einen ähnlichen Stil und ähnliche Organisationsmethoden verwendet später die „Identitäre Bewegung“ (IB), die ab Oktober 2012 in Reaktion auf das Buch „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin zunächst als Facebook-Gruppe auf den Plan tritt und später zum deutschen Ableger der französischen „Génération identitaire“ aufsteigt. Die IB besteht ebenfalls aus lose verbundenen Gruppierungen, die sich ideologisch auf das neurechte Konzept des Ethnopluralismus stützen und für die Reinhaltung der westlichen Kultur eintreten. Dafür nutzen sie teilweise militante, vor allem aber PR-wirksame Aktionsformen wie z.B. Flash Mobs, die von den Medien jeweils begierig aufgegriffen werden. 2017 etwa mieteten IB-Aktivist:innen im Rahmen der Kampagne „Defend Europe“ ein Schiff, um im Mittelmeer Geflüchtete an der Überfahrt nach Europa zu hindern.

Indem der aktivistische Teil der faschistischen Bewegung seine Methoden und Aktionsformen erweitert, wirkt er auch auf die allgemeine faschistische Massenarbeit zurück. Diese erfährt im Zuge der Popularisierung der neurechten Ideologie durch Thilo Sarrazin, den Aktivitäten der IB, durch die moderne faschistische Medienarbeit insgesamt und die Verankerung der AfD in den Parlamenten ebenfalls einen qualitativen Sprung zur Massenbewegung. Dieser beginnt etwa ab Oktober 2014 mit der Etablierung der Pegida-Demonstrationen („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) ausgehend von Dresden, bei denen AfD-ler, IB, militante Neonazis und andere Teile des faschistischen Aktivismus die vorwärtstreibende Rolle spielen. Die Pegida-Bewegung startet zunächst mit einigen Hundert Demonstrant:innen, die in ostdeutschen Städten gegen die „Islamisierung“ auf die Straßen gehen. Nach wenigen Wochen greift die Bewegung zeitweise auch auf westdeutsche Städte über – wo sie jedoch mit großen Gegendemonstrationen konfrontiert ist – und umfasst zehntausende Teilnehmer:innen. Es bilden sich Ableger wie „Zukunft Heimat“ in Cottbus, „Kandel ist überall“ oder die „Trauermärsche“ in Chemnitz im Spätsommer 2018 nach der mutmaßlichen Tötung eines Mannes durch einen Täter mit Migrationshintergrund. In Chemnitz kommt es aus den Demonstrationen heraus zu Pogromen von Autonomen Nationalisten gegen Migrant:innen, Pressevertreter:innen, Gegendemonstrant:innen und jüdische Restaurants. Martin Sellner von der Identitären Bewegung erklärt, dass Pegida „der Haupttrupp“ sei, „wir sind die Avantgarde.33 Die Bewegung und ihr Thema einer angeblichen „Islamisierung“ Deutschlands werden in den bürgerlichen Medien groß aufgegriffen.

Im selben Zeitraum gehen die Faschist:innen gezielt in soziale Bewegungen hinein, darunter die „Friedensmahnwachen“ (ab 2014) oder in einigen Städten „Fridays gegen Altersarmut“ (ab 2019). Die „Friedensmahnwachen“ wurden federführend vom Journalisten und Webaktivisten Ken Jebsen mitorganisiert, der mit seiner Sendung und Webseite „KenFM“ (Heute „Apolut“) ein Millionenpublikum erreicht und seine Reichweite zur Verbreitung von Verschwörungsmythen nutzt, mit denen er bis in linke Kreise eindringt. Neben Jebsen spielt Jürgen Elsässer eine führende Rolle in der Bewegung. Elsässer ist ein ehemaliger Aktivist und Redakteur zunächst bei linken und später bei antideutschen Medien wie u.a. Arbeiterkampf, Junge Welt, Jungle World und Bahamas. Ab Ende der 2000er Jahre wechselt er zur Neuen Rechten und wird Chefredakteur des Magazins „Compact“. Elsässer ist – neben Götz Kubitschek und dem Verleger Philip Stein – auch einer der Initiatoren des 2015 gegründeten Vereins „Ein Prozent“, der als „Greenpeace für Deutschland“ über Crowdfunding-Kampagnen Gelder zur Förderung „patriotischer“ Initiativen sammelt und diesen Logistik und Know-how zur Verfügung stellt. Dazu zählt die 2009 gegründete rechte Gewerkschaft „Zentrum Automobil“, die Verbindungen zu „Blood & Honour“, der NPD und dem „III. Weg“ hat, sich als Opposition gegen den DGB und die „Globalisierung“ definiert und im Daimler-Werk Untertürkheim 2010 eigene Leute in den Betriebsrat bringen kann.34 Hier zeigt sich erneut die Vielfalt der Querverbindungen zwischen den faschistischen Initiativen, hinter denen im wesentlichen dieselben Köpfe stecken. „Gerade einmal knapp 50 Personen gehören zum Führungszirkel des Netzwerks“ schreiben dazu die Autoren Fuchs und Middelhoff in ihrer umfangreichen Recherche des Who-is-Who der Neuen Rechten.35

Die Friedensmahnwachen markieren den Beginn der Ausweitung der faschistischen Hegemonie über die kleinbürgerlichen Milieus der Friedens- und Umweltbewegung, in denen schon seit den 1980er Jahren sowohl fortschrittliche als auch esoterische, verschwörungsmystische und faschistische Positionen anzutreffen sind. Diese Milieus werden mit einer gezielten Querfront-Strategie angesprochen: Die Aktionen sind angeblich „weder rechts noch links“ und es kann jede:r Interessierte daran teilnehmen.

Der große Durchbruch mit dieser Strategie gelingt infolge der Corona-Pandemie und der staatlichen Ausgangssperren ab dem Frühjahr 2020. Während weite Teile der politischen Widerstandsbewegung sich im März 2020 freiwillig aus der Politik zurückziehen und die Gesundheitspolitik der Regierung bedingungslos unterstützen, starten die faschistischen Kräfte mit „Querdenken“ eine wirkliche Massenbewegung gegen die Corona-Maßnahmen und die „Merkel-Diktatur“. Die Aktionen unter ihrer Führung beginnen schon im März und April 2020 mit „Hygienedemos“ und umfassen im Spätsommer 2020 in Berlin mehrere bundesweite Demonstrationen mit zehntausenden Teilnehmer:innen. Bei den Aktionen tummeln sich militante Neonazis, Reichsbürger:innen, kaisertreue Monarchist:innen und Anhänger:innen der QAnon-Verschwörungsmythen neben Friedensaktivist:innen, Linksrevisionist:innen, Russland-Sympathisant:innen und Corona-kritischen Neugierigen. Die in weiten Teilen der Arbeiter:innenklasse und des Kleinbürger:innentums verbreitete Skepsis gegenüber der staatlichen Gesundheitspolitik greifen die Faschist:innen mit Mythen der verschiedensten Sorte auf. Nach diesen ist der Coronavirus entweder eine Erfindung oder von globalistischen Pharmamogulen um Bill Gates gezielt entwickelt worden, um den nächsten Schritt in der Errichtung einer weltweiten Diktatur zu vollziehen. Die FFP2-Maske ist ein Maulkorb für die Bevölkerung, mit Corona-Impfungen soll die Bevölkerung sterilisiert oder gar massenhaft getötet werden. Für nahezu jede mystische Interpretation des Pandemiegeschehens finden sich politische Kräfte, die sie vertreten – und „Querdenken“ kann weite Teile davon auf den eigenen Aktionen versammeln. Im Laufe ihrer Entwicklung nimmt die Bewegung gegen die Corona-Maßnahmen zunehmend militante Züge an: Demonstrationsverbote und die Maskenpflicht werden missachtet, es kommt zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Zum Teil werden aus den Aktionen heraus Journalist:innen angegriffen. Der bürgerliche Staat wird in der Bewegung von rechts als Feindbild etabliert und bekämpft.36

Die Bewegung gegen die „Corona-Diktatur“, in welcher reaktionäre und faschistische Kräfte führend sind, ist kein rein deutsches Phänomen, sondern weltweit anzutreffen und international vernetzt. In Ländern mit faschistischen Kräften in der Regierung wie Brasilien unter Jair Bolsonaro oder den USA unter Donald Trump sind die Positionen der „Corona-Leugner:innen“ zum Teil offizielle Politik. Dies stößt jedoch angesichts des Sachzwangs des Staates, den grassierenden Virus unter Kontrolle zu bringen, auch immer wieder an Grenzen. In zahlreichen Ländern kommt es zu Massenaktionen bis hin zu Ausschreitungen gegen Ausgangssperren und andere staatliche Maßnahmen.

Nazi-Untergrund und Schattenarmeen

Die Entwicklung des „offenen“ faschistischen Aktivismus und seiner Erfolge in der Massenarbeit sind von zunehmenden Aktivitäten paramilitärischer Strukturen und des faschistischen Terrors begleitet. Auch nach 1990 sehen wir eine Fortsetzung von zwei Seiten des bewaffneten Arms der faschistischen Bewegung: Zum einen in Form des Neonazi-Untergrunds als Terrorgruppen und zum anderen als paramilitärische Schattenarmeen, die sich nah an den und innerhalb der Strukturen des Militärs und von Spezialeinheiten der Polizei bewegen. In beiden Fällen spielen Geheimdienste eine entscheidende Rolle.

NSU und Blood & Honour

Nachdem die Wehrsportgruppen in den 1970er und 80er Jahren einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten, begannen die Faschist:innen später mit einer systematischen Unterwanderung der Kampfsport-, Türsteher- und Rockerszene, die heute ein wichtiges Standbein ihrer paramilitärischen Arbeit ist. Hinsichtlich des offenen faschistischen Terrors kam der große Aha-Effekt auch für weite Teile der politischen Widerstandsbewegung mit der Aufdeckung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) Ende 2011. Diese Untergrundstruktur hatte spätestens ab dem Jahr 2000 neun Mordanschläge gegen Migrant:innen, zahlreiche Mordversuche und mindestens drei Sprengstoffanschläge verübt. Dabei konnten sie auf Erfahrungen und Inspiration aus den 70er und 80er Jahren aufbauen: So gab es Verbindungen zu dem Rechtsterroristen Manfred Roeder ebenso wie zu Karl-Heinz Hoffmann oder Claus Nordbruch. Nach seiner Aufdeckung wurden die Verstrickungen des NSU mit dem Verfassungsschutz und anderen deutschen Geheimdiensten bekannt. Entstanden war die Organisation aus dem Thüringer Heimatschutz, dessen Hauptkader Tino Brandt über Jahre insgesamt 200.000 DM von Geheimdiensten erhalten hatte. Chef des Thüringer Verfassungsschutzes war zu dieser Zeit Helmut Roewer, der seit seiner Pensionierung in faschistischen Publikationen wie den Erzeugnissen des Kopp-Verlags und bei Compact publiziert. Bei einem NSU-Mord war der Verfassungsschutz-Agent Andreas Temme direkt anwesend, bei zwei weiteren wurde sein Handy in der Nähe des Tatorts geortet. Zudem wurde der NSU mit gefälschten Papieren versorgt. In Umfeld des NSU bewegten sich etwa 40 V-Personen verschiedener Dienste. Die 2004 beim Nagelbombenanschlag in Köln verwendete Bombe zeigte starke Ähnlichkeiten zu Sprengvorrichtungen, die beim Neonazi Michael Krause gefunden wurden, der 38 Erddepots mit Waffen angelegt hatte. Als er bei einer Routinekontrolle angehalten wurde, erschoss er sich selbst – eine Spur zu diesem möglichen NSU-Bombenbastler wurde aber nicht weiter verfolgt. Zahlreiche V-Leute aus dem NSU-Umfeld, die über detaillierte Informationen zum Terrornetzwerk verfügen mussten, sowie einige unbeteiligte Zeug:innen kamen in der Zeit nach 2011 ums Leben, bevor sie ihr Wissen mit Behörden teilen oder an die Öffentlichkeit gehen konnten.

Der NSU gilt in der offiziellen Version bis heute als ein auf eigene Faust handelndes Trio, dürfte jedoch tatsächlich Teil der international organisierten Neonazi-Struktur „Blood & Honour“ (B&H) gewesen sein. Dieses propagiert die bewaffnete Strategie des „führerlosen Widerstands“, welche durch dessen militärischen Arm „Combat 18“ (steht für „Kampfgruppe Adolf Hitler“) durchgeführt werden soll. Dabei werden Anhänger:innen dazu aufgefordert, kleine, unabhängig voneinander agierende rechtsterroristische Zellen ohne formale übergeordnete Führungsstrukturen zu bilden, um Attentate gegen politische Gegner:innen, Migrant:innen und andere Zielgruppen zu verüben. Die unabhängig voneinander agierenden Zellen sollen dabei gewährleisten, dass die Gesamtstruktur bei Repressionsschlägen erhalten bleibt.

Blood & Honour und Combat 18 können auf eine lange Geschichte eines staatlich finanzierten und kontrollierten Aufbaus zurückblicken. Im Jahr 2000 wurde B&H in Deutschland verboten, während Combat 18 erlaubt blieb. Die Kontinuität wurde durch Spitzel gewahrt. So war der Deutschlandvorsitzende Stephan Lange alias „Pinocchio“ schon 1997 als V-Mann angeworben worden. Auch nach dem Verbot führte er die Strukturen weiter – und wurde vom Bundesamt für Verfassungsschutz bezahlt, bis mindestens 2010. Als der NSU aufflog, wurde er abgezogen. In seine Zeit als B&H-Chef fallen die Morde des NSU, der vom Thüringer LKA im Jahr 1999 „zum harten Kern der Blood and Honour Bewegung” gezählt wurde. Bei Durchsuchungen einer angemieteten Garage wurden haufenweise Blood&Honour-Progapanda-Materialien gefunden sowie eine Adressenliste mit NSU-Unterstützer:innen – ein Großteil davon B&H-Aktivist:innen, die Unterstützerzellen bildeten. Deren Kasseler Ableger dürfte Jahre später selber in Aktion getreten sein: Im Juni 2019 erschossen faschistische Attentäter den CDU-Politiker und Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf der Veranda seines Wohnhauses auf dem hessischen Land. Dieser hatte bereits auf der Todesliste des NSU gestanden. Kurze Zeit später wurden Stephan Ernst und Markus Hartman wegen des Mordes verhaftet. Auch diese hatten Verbindungen zu Combat 18 und B&H. Zudem war auch hier der VS-Agent Temme aktiv – er war mit Ernst „dienstlich befasst“.37

Die Vertstrickungen von Blood&Honour reichen nicht nur tief in den Staatsapparat hinein, sondern auch in die legalen Parteien NPD und AfD. So gilt der NPD-Führungspolitiker, Musik-Produzent und ehemalige FAP-Kader Thorsten Heise als Kristallisationsfigur von Combat 18. Dieser ist mit dem Spitzenpolitiker des neonazistischen Flügels in der AfD, Björn Höcke befreundet. Heise half Höcke 2008 sogar dabei, Möbel beim Umzug zu schleppen. Zudem veröffentlichte Höcke unter Pseudonym in Heises Zeitschriften „Volk in Bewegung“ und „Der Reichsbote“ Artikel welche die Nazi-Herrschaft verherrlichten.

Die Vorgänge rund um den NSU und den Lübcke-Mord lassen erkennen, wie die Aktivitäten „eigenständiger“ Terrorzellen mit konspirativen Organisationsstrukturen, die quer durch verschiedene Organisationsformen gehen, ineinander übergreifen.

Einschub: Faschistische „Einzeltäter“

In den letzten Jahren kam es in der BRD aber auch international zu einer Reihe faschistischer Attentate, bei denen bisher im Nachhinein keine direkte Beteiligung von Organisationen an den Anschlägen bekannt wurde. Dabei geht es teilweise um einen bestimmten Terroristen-Typus, nämlich um Personen, die im digitalen Raum durch faschistische Propaganda angesprochen, radikalisiert und zu Aktionen getrieben werden, ohne direkt in organisatorische Strukturen eingebunden zu sein.

Diese werden in der bürgerlichen Propaganda oftmals als „Einzeltäter“ verharmlost. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich dabei jedoch in allen Fällen, wie faschistische Organisationen ein Umfeld schaffen, welches rassistische Theorien befördert und auffordert, diese durch Attentate im „Rassenkrieg“ bzw. als Teil eines mystischen Endkampfes zu verwirklichen und staatliche Strukturen eine wirkliche Aufklärung und Unterstützung von Betroffenen untergraben.

So reiste der Attentäter des Anschlags von Christchurch in Neuseeland zwei Jahre vor seinem Attentat in Europa herum. Dort traf er auch die Identitäre Bewegung, spendete an sie und stand mit ihrem Chef Martin Sellner in Email-Kontakt. Am 15. März 2019 tötete er dann in einer Moschee 51 Menschen.

Nach dem versuchten Massaker in der Synagoge von Halle im Oktober 2019 erklärten Angehörige der jüdischen Gemeinde, die Polizei habe Sicherheitsvorkehrungen vor ihren Einrichtungen immer als „nicht notwendig“ erklärt. Zudem sei die Polizei nach dem Notruf erst sehr spät vor Ort erschienen. Hinter dem Anschlag von Halle stand ebenfalls ein angeblicher Einzeltäter, der jedoch mit den modernsten Methoden der faschistischen Propaganda operierte. Nachdem es dem Attentäter nicht gelungen war, in die Hallenser Synagoge einzudringen, erschoss er vor dem Gebäude eine Passantin und später einen Gast in einem nahe gelegenen Dönerladen. Die Tat übertrug er per Helmkamera als Livestream im Internet und unterlegte sie mit Rap-Songs. Zuvor hatte er sich seinem Publikum mit den Worten: „Hey, my name is Anon. And I think the Holocaust never happened.“ vorgestellt. „Anon“ ist die Abkürzung von „Anonymous“ und wird unter anderem von der QAnon-Community verwendet.

In Hanau erschoss im Februar 2020 ein angeblicher Einzeltäter neun Migrant:innen und anschließend seine Mutter und sich selbst. Nachdem der Täter nach dem Anschlag in sein Wohnhaus geflohen war, blieb er von der Polizei über eine Stunde lang unbehelligt und unbewacht. Es stellte sich zudem heraus, dass der Polizei-Notruf in der Tatnacht nicht erreichbar war und der Notausgang an einem der Tatorte „nach Absprache mit der Polizei“ verriegelt war.

In der Tatnacht von Hanau waren zudem 13 SEK-Beamte und zwar ausgerechnet aus jener Frankfurter Polizeieinheit im Einsatz, die nach dem NSU 2.0-Skandal aufgelöst wurde. Aus einer Frankfurter Polizeiwache kamen eine Reihe von Drohbriefen, die nach dem Mord an Walter Lübcke unter anderem an die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız verschickt worden – und mit dem Kürzel „NSU 2.0“ unterzeichnet waren. Die Ermittlungen in der Sache deckten ein faschistisches Netzwerk innerhalb der hessischen Polizei auf, das aus mindestens 38 Personen bestanden haben soll. Diese gaben unter anderem Informationen über politische Gegner an neonazistische Organisationen weiter und warnten Polizei-Kolleg:innen rechtzeitig vor den Ermittlungen anderer Polizist:innen.

Diese Beispiele zeigen, dass die faschistische Bewegung vermittels Propaganda im „vorpolitischen Raum“, im Internet, durch Zeitschriften, Kongresse und dadurch angebotene Ideologieversatzstücke wie dem „führerlosen Widerstand“, „QAnon“ oder „Great Reset“ Menschen anziehen kann, ohne diese unmittelbar zu organisieren. Das ist ein Ausdruck davon, wie weit es der faschistischen Bewegung bereits gelingt, in die unterschiedlichsten Ecken der Gesellschaft vorzudringen. Damit sind diese Attentäter keine von gesellschaftlicher Dynamik getrennten „Einzeltäter“, sondern Teil der faschistischen Gesamtbewegung.

Schattenarmeen und der „Tag X”

Im Jahr 1990 wurde die Deutsche Stay-Behind-Organisation ebenso wie deren Waffenverstecke offiziell aufgelöst. Faktisch ist dies wohl jedoch nie geschehen. Im Jahr 1995 offenbarte NPD-Mann Peter Naumann 13 Waffenverstecke. Darin wurden unter anderem 27 Kilogramm militärischer Sprengstoff gefunden. Ein großer Teil der Waffen stammte direkt aus dem – offiziell aufgelösten – früheren Waffen-Arsenal von Gladio-Kontaktmann Heinz Lembke, mit dessen Waffen Naumann bereits in den 70ern einen Anschlag in Italien verübt hatte.

Ein zentraler Grund für das Bestehen der Stay-Behind in allen NATO-Ländern lag historisch tatsächlich darin, im Falle einer sowjetischen Invasion Aktionen hinter den feindlichen Linien durchzuführen. Diese Gefahr fiel nun weg. Was jedoch nicht wegfiel war die Notwendigkeit von hochspezialisierten Soldaten zur Aufstandsbekämpfung, Sabotage und für Spezialeinsätze – Kämpfer, die bereit waren, für den deutschen Imperialismus in den Krieg im Äußeren und Inneren zu ziehen. Militärs, welche den Typus des antikommunistischen Partisanen im Sinne Carl Schmitts verkörperten. Diese wurde dann ganz offiziell vom deutschen Staat geschaffen – in Form des „Kommando Spezial-Kräfte“ (KSK).

Bei KSK-Soldaten handelt es sich um die am besten ausgebildetsten und abgehärtetsten Soldaten des deutschen Militärs. Die 1996 gegründete Truppe handelt nur im Geheimen und unterliegt faktisch keiner parlamentarischen Kontrolle, eine offizielle Mannstärke gibt es nicht. Sie wird auf etwa 400 geschätzt. Mit Unterstützungskräften und Stab kommt die gesamte Truppe auf rund 1.400 Soldaten. Von ihrem Heimatstandort in der Graf-Zeppelin-Kaserne in Calw nahe Stuttgart kann sie in die gesamte Welt für Tötungseinsätze gerschickt werden. Doch auch für den Kampf im Innern wird diese Spezialeinheit ausgebildet: „Ich kann das nicht ausschließen. Solange ich das nicht ausschließen kann, muss ich es auch üben”, so der frühere Kommandeur des KSK, Dag Baehr, zur Frage eines Inlandseinsatzes.38 Damit ist davon auszugehen, dass das KSK schon heute darauf vorbereitet ist, gegen militante und bewaffnete Kämpfe von Arbeiter:innen und Kommunist:innen innerhalb der BRD vorzugehen.

Schon früh zeigten Führungskräfte des KSK, wie sie die Funktion dieser Truppe einschätzten. So erklärte der ehemalige Chef des KSK Reinhard Günzel in einem Buch, welches er mit dem Gründer der Bundespolizei-Spezialeinheit GSG9, Ulrich Wegener, und einem ehemaligen Wehrmachtsoffizier veröffentlichte: „Die Einsätze der ‚Brandenburger‘, der Vorläufer […] des KSK, gelten in der Truppe als geradezu legendär. Die Operationen der Division ‚Brandenburg‘ sind Lehrbeispiele erfolgreicher Kommandoeinsätze.“39 Bei den Brandenburgern handelte es sich um eine faschistische Spezialeinheit, welche an Kriegsverbrechen der Wehrmacht beteiligt war und insbesondere Partisan:innen auf dem Balkan mit enormer Grausamkeit bekämpfte. Von 2000 bis 2003 war Günzel Kommandeur des KSK. 2003 wurde er entlassen, weil er eine antisemitische Rede des damaligen CDU-Abgeordneten Martin Hohmann öffentlich lobte. Anschließend trat er im „vorpolitischen Raum“ der Neuen Rechten auf, so etwa bei einem von ihm gehaltenen Vortrag beim Institut für Staatspolitik, neben dem Who-is-who der Neuen Rechten wie Karlheinz Weißmann, Dieter Stein und Götz Kubitschek.

Das von Günzel mit den „Brandenburgern“ verglichene KSK zog eine Generation überzeugter faschistischer Kämpfer und Offiziere heran. Das zeigt der Fall des KSK-Oberstleutnants Daniel Kaufhold, der maßgeblich an der Gründung des KSK beteiligt war und von Anfang an in dessen Dienst stand. Im Jahr 2007 schickte er an den moderaten Oberstleutnant a.D. der Bundeswehr, Jürgen Rose einen eindeutigen Brief. In diesem wurde der kritische Soldat als „Feind im Inneren“ bezeichnet, der in „die Sümpfe des Steinzeitmarxismus“ zurückkehren solle. Und weiter hieß es: „Sie werden beobachtet, nein nicht von impotenten instrumentalisierten Diensten, sondern von Offizieren einer neuen Generation, die handeln werden, wenn es die Zeit erforderlich macht.“40 Der Brief lag seinem damaligen Kommandeuren vor und doch verblieb Kaufhold bei der Spezialeinheit. Dies war ein klares Zeichen von der Führungsebene an andere Faschisten innerhalb des KSK: Führt eure Aktivitäten ruhig fort, wir tun euch nichts, wir finden das gut. Dass so ein Mann 23 Jahre an führender Stelle das KSK prägen konnte, steht beispielhaft für die faschistische Hegemonie innerhalb des Spezialkommandos.

Diese Spezialkämpfer denken faschistisch und sehen ihre Aufgabe in der aggressiven Verteidigung des Imperialismus – etwa durch Vorbereitung eines faschistischen Putsches am „Tag X“. Das wurde einer breiteren Öffentlichkeit Ende 2018 bewusst. Damals veröffentlichen verschiedene Zeitungen ihre Rechercheergebnisse über das Kreuz-Netzwerk (auch „Hannibal-Netzwerk“ genannt), laut Focus ein „konspiratives Netzwerk aus ca. 200 ehemaligen und aktiven Bundeswehrsoldaten“41, das von Elitesoldaten des KSK angeführt wurde. Eine Schlüsselfigur dabei ist der KSK-Soldat und Spitzel des Militärgeheimdiensts MAD, André Schmitt alias „Hannibal“, der 2012 am Aufbau des Vereins Uniter beteiligt war. Dieser kann als Veteranenverband ehemaliger KSK-Soldaten gelten, bei dem diese zusammen mit Personen aus privaten Sicherheitsdiensten, aber auch Menschen aus der Wissenschaft, Ärzten, Anwälten und anderen gesellschaftlichen Würdenträgern organisiert waren. Der etwa 2.000 Mitglieder umfassende Verein beschreibt sich selbst als „Network SOF and Intelligence“ (Netzwerk für Spezialeinheiten und Geheimdienste) und bildet in Wahrheit eine paramilitärische Organisation, vergleichbar etwa mit der russischen Söldnerorganisation Wagner. Bei Uniter werden die Mitglieder von ehemaligen KSK-Soldaten militärisch ausgebildet. Die Ausbildung wird auch als Dienstleistung für Polizei- und Militärkräfte anderer Staaten angeboten. So trainierten Uniter-Leute unter anderem schon Sicherheitskräfte auf den Philippinen.

Das Kreuz-Netzwerk ist laut den Medienenthüllungen aus 2018 wiederum eine konspirative faschistische Parallelstruktur aus Personen innerhalb und außerhalb von Uniter. Dazu zählen klassische Neonazis, Reichsbürger und Neue Rechte, die sich zum Teil über verschlüsselte Chat-Gruppen organisierten, eigene paramilitärische Trainings durchführten, „Safe Houses“ und Waffendepots anlegten und Terroranschläge planten. Schmitt war unter dem Pseudonym „Hannibal“ Administrator der Chats. Das Kreuz-Netzwerk verfügte durch seine regionalen Sektionen (Nordkreuz, Südkreuz, Ostkreuz, Westkreuz, Österreich und Schweiz) über Verbindungen unter anderem zu Landeskriminalämtern und Sondereinsatzkommandos der Polizei, der Bundeswehr, ihrem Reservistenverband und zur Alternative für Deutschland. Es gibt zudem personelle Verbindungen zu einschlägigen Personen der faschistischen Bewegung wie Götz Kubitschek, dessen Tochter mit dem Sohn eines Arztes aus dem Westkreuz-Netzwerk liiert war. Ähnlich wie bei der „Patriotischen Union“ war es das finale Ziel des Netzwerkes, am „Tag X“ listenweise politische Feinde auszuschalten und bei der faschistischen Machtübernahme zu helfen. Ätzkalk und Leichensäcke hielt das Netzwerk dazu bereits vorrätig. Die Verbindungen des Kreuz-Netzwerk reichen nicht nur in das KSK, wo nach den Enthüllungen Soldaten ungestraft entwendete Munition zurückgeben konnten, sondern auch in weitere Strukturen des Militärs.

Dafür steht beispielhaft die Fallschirmspringer-Kaserne „Franz-Josef-Strauss“ in Altenstadt. Eine Kaserne, in der die faschistische Tradition hochgehalten wird. Mitte der 90er Jahre feiern hier Fallschirmjägersoldaten „Führers Geburtstag“ mit Reichskriegsflagge, Hitler-Bildern und dem nationalsozialistischen Horst-Wessel-Lied. Auf dem Dachboden der Kaserne findet man ein Waffenlager. Kommandeur zu dieser Zeit: Fritz Zwicknagl. Heute sitzt dieser für die AfD im Bundestag. Die Kaserne Altenstadt zeigt die Verbindung von AfD, Staatsapparat und rechtem Terror auf: Denn nicht nur Ex-AfD-Rechtsaußen Andreas Kalbitz und Zwicknagl waren dort, sondern auch auffallend viele Mitglieder des rechsterroristischen Kreuz-Netzwerks, darunter dessen Anführer „Hannibal“ und „Petrus“. Auch Hannibals MAD-Agent Peter W., die Terroristen Franco Albrecht und Marco G. sowie der Westkreuz-Arzt sind dort gewesen. Ebenso wie die „Patriotischen Union“ rund um Prinz Reuß gewarnt worden war, wurde auch das Kreuz-Netzwerk nie zerschlagen. Uniter existiert heute weiter und viele der Kreuz-Protagonisten wurden nie angeklagt oder kamen mit Bewährungsstrafen davon.

Manche Fragen müssen noch unbeantwortet bleiben

Wir können nicht abschließend beantworten, ob die Blood & Honour-Morde Teil einer zentral geplanten „Strategie der Spannung“-Kampagne waren, oder die Eigendynamik der einzelnen Zellen überwiegt und Geheimdienstler nur „Leitplanken“ gelegt haben; ob das Hannibal-Netz eine Fortsetzung der Gladio-Struktur unter neuen Vorzeichen ist oder eine verselbstständige Söldnergruppe mit Verbindungen zu Militärgeheimdienst und Bundeswehr-Spezialeinheiten. All diese Fragen werden wir im Datail tatsächlich letztendlich erst nach einer revolutionären Erhebung beantworten können. Das stellte auch die bürgerliche Presse fest, als ein FAZ-Autor zwei Wochen nach der NSU-Enttarnung in einem Kommentar schrieb: „Verfolgt man die Spur des Terrors nur lange genug, endet man vor einem geheimen Dienstgebäude. Rein kann man nur während einer Revolution.“42

Doch auch wenn wir heute noch nicht jede Verbindung genau beantworten können – so reichen die vorhandenen Informationen doch dafür aus, um in Verbindung mit den geschichtlichen Erfahrungen und der Faschismus-Analyse festzustellen: In Deutschland existieren heute rechtsterroristische Gruppierungen im Stile faschistischer Freikorps und Schattenarmeen innerhalb und außerhalb von Militär und Geheimdienst, welche sich darauf vorbereiten, am „Tag X“, also dem faschistischen Putsch, loszuschlagen und auch schon zuvor bereit sind, eine „Strategie der Spannung“ umzusetzen oder den militärischen Kampf gegen eine sich erhebende Arbeiter:innenklasse aufzunehmen.

Faschistische Bewegung, Militär & Geheimdienste

Die aufgezeigte Verstrickung rechtsterroristischer Organisationen mit dem Staatsapparat ist kein Zufall. Sie hat eine jahrzehntelange Tradition, die wir in den vorherigen Kapiteln nachgezeichnet haben. Der Repressionsapparat selbst wurde von der Spitze bis nach ganz unten von Menschen geleitet, die bereits im Hitler-Faschismus eine führende Rolle gespielt hatten. Diese schieden zwar mit der Zeit aus, doch eine neue Generation rechter Führungskräfte entstand, welche das Erbe weiter trug – auch nach 1990. Während die rechte Kontinuität innerhalb der Bundeswehr eher einfach „gelebt wurde“ – etwa in Form des KSK – ohne dies groß nach außen zu posaunen und sich aktive Generäle selten öffentlich äußerten, sind es die Militärs „a.D.“ (außer Dienst), welche sich nach ihrer Bundeswehr-Karriere ganz offen in neofaschistischen Kreisen bewegen: Bekanntere Namen sind dabei Generalleutnant Franz Uhle-Wettler (ehem. Kommander der NATO-Akademie Defense College und geschichtsrevisionistischer Autor), General Reinhard Uhle-Wettler (langjähriger Leiter SWG), General Gerd Schultze-Rhonhof (ehem. Dozent und Lehrgangsleiter an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg) und Brigadegeneral Helmut Harf (ehem. Kommandeur der Dt. Streitkräfte im Kosovo, Geschäftsführer des Verteidigungsausschuss beim BDI, Redner bei der SWG). Mit Joachim Wundrak kandidierte sogar ein ehemaliger General der Luftwaffe für die AfD, nämlich für das Amt des Oberbürgermeisters in Hannover.

Bei den Geheimdiensten sticht besonders CDU-Mitglied Hans-Georg Maaßen hervor. Er war von 2012 bis 2018 Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes „Bundesamt für Verfassungsschutz“ (BfV) – also genau in der Zeit, in der sich die AfD gründete und ihre sprunghafte Entwicklung hinlegte. In dieser Zeit traf er sich selbst mehrfach mit führenden AfD-Politikern, um sie bei der Entwicklung ihrer Partei zu beraten. Zudem wies er konsequent jede Verantwortung des BfV in Bezug auf den NSU von sich. Sein Amt sei „nicht zuständig“ gewesen. Ein Hohn, wenn wir an die vielen V-Männer des Geheimdienstes rund um den NSU denken. Auch für längst verstorbene Nazis, sowie für deren Helfershelfer scheint Maaßen etwas übrig zu haben. So verhinderte er die Herausgabe von Akten über SS-Hauptsturmführer und NS-Kriegsverbrecher Alois Brunner, einem der wichtigsten Mitarbeiter Adolf Eichmanns bei der Vernichtung der europäischen Juden. Damit sollte verhindert werden, dass dessen Fluchthelfer aus dem Geheimdienst 1954 enttarnt werden. Maaßens rechte Positionen waren allseits bekannt, zum Problem wurden sie erst, als er damit massiv an die Öffentlichkeit ging. So leugnete er im September 2018 nach dem gemeinsamen Auftritt von AfD-Prominenz und Neonazis in Chemnitz Hetzjagden auf Migrant:innen – und kam damit der sich formierenden faschistischen Front offensiv zu Hilfe. Gegen aufkommende Kritik an seinem Verhalten sprang ihm dabei August Hanning zur Seite. Dieser war zwischen 1998 und 2005 Chef des „Bundesnachrichtendienstes“. Später positionierte er sich immer wieder offen gegen die Merkelsche Flüchtlingspolitik. Er erklärte zudem, man müsse rechte „Randgruppen“ integrieren. Auch Maaßen wurde nach dem Ende seiner Amtszeit immer deutlicher in seinen Botschaften. Heute lässt er sich regelmäßig in Publikationen des neurechten „vorpolitischen Raums“ interviewen. Hanning und Maaßen verbanden nach ihrer aktiven Zeit auch verschiedene wirtschaftliche Projekte, so etwa die Schweizer Sicherheitsfirma „360“ und das Startup „Augustus Intelligence“. Bei letzterem verschmolzen Geheimdienstler, rechte Politiker und Geldgeber zu einem eigentümlichen Bund, welcher sich zum Ziel setzte, ein deutsches „Palantir“ als „100 Milliarden-Dollar“-Firma aufzubauen. Palantir ist ein amerikanischer Überwachungskonzern, welcher unter anderem mit künstlicher Intelligenz und Gesichtserkennung riesige Datenbanken für Geheimdienste anlegt. Letztendlich scheiterte das Projekt. An Augustus Intelligence waren bekannte Köpfe der rechten Elite in Staat und Wirtschaft beteiligt: Von Maaßen und Hanning über Karl-Theodor zu Gutenberg, den Chef der Beraterfirma Roland Berger, der CDU-Shootingstar Phillip Amthor ebenso wie der Sohn des notorischen Faschismus-Förderers und Milliardärs August von Finck Junior.Diese Beispiele zeigen einerseits, wie tatsächliche reale Netzwerke quer durch Kapital, Geheimdienste und Politik bestehen, die auch aktiv gemeinsame Projekte angehen – und wie es andererseits keine Geradlinigkeit in deren Entscheidungen und „Erfolgsgarantien“ gibt. So scheiterte zwar „Augustus Intelligence“, aber die AfD stieg auf und häutete sich auf ihre eigentümliche Weise, vielleicht so wie es weder Maaßen noch Finck geplant haben, auch wenn sie beide ihren Anteil daran hatten. In beiden Fällen sind es eben „unzählige einander durchkreuzende Kräfte, eine unendliche Gruppe von Kräfteparallelogrammen, daraus eine Resultante – das geschichtliche Ergebnis – hervorgeht“ wie es Engels schreibt.43

Für uns bedeutet dies, die faschistische Bewegung eben in ihrer Ganzheitlichkeit als widersprüchliche Einheit zu analysieren, die aus verschiedenen Kräften besteht, die einander bekämpfen, ihren eigenen Willen haben, jedoch letztendlich eben das Resultat der ökonomischen Widersprüche des Kapitalismus und des unbedingten Willens der Konterrevolution sind, dieses System zu erhalten.

Der Faschismus – von damals bis heute

Die Geschichte der faschistischen Bewegung seit 1945 zeigt, wie die verschiedenen Entwicklungslinien, die sich bis in die Weimarer Zeit zurückverfolgen lassen, fortleben und tatsächlich mit dem Bild eines nicht voneinander zu trennenden „Knäuels“ treffend beschrieben werden. Neue Rechte, Hitler-Faschis:tinnen, Völkische und Rechtskonservative sind nicht verschiedene Bewegungen oder Ideologien, sondern eng miteinander verbunden und im Kern der Ausdruck derselben bürgerlichen Klasseninteressen sowie derselben irrationalen Mystik.

Parteien und Freie Kameradschaften, Krawallmedien und intellektueller Literaturvertrieb, Blogs mit Verschwörungstheorien und Sarrazins Sachbücher, AfD und NPD, Denkfabriken und Terrorzellen – das alles bildet heute genau ein solches Mosaik, wie es die Strateg:innen des Faschismus auch in der Theorie vertreten. Mit diesem Mosaik betreiben sie in den letzten Jahrzehnten erfolgreich „Metapolitik“ und Straßenkampf, parlamentarische Politik und bewaffneten Terror. Im Gegensatz zur linken politischen Widerstandsbewegung, welche die Organisationsfeindlichkeit und die sektiererischen Auseinandersetzungen in weiten Teilen zum Prinzip erhebt, verfügen die Faschist:innen über ein Gerüst von erfahrenen Kader:innen und können ihre organisatorische Vielfältigkeit daher in eine Waffe verwandeln.

Das Mosaik ist zudem mit dem Staat, dem Kapital und den bürgerlichen Medien eng verschränkt. Netzwerke wie das von Kapp und Ludendorff, das in den 1920er Jahren den jungen Adolf Hitler rekrutiert hatte, bestehen auch heute weiter. Die Stinnes und Hugenberg von heute heißen Finck, Conle oder Eder, der Eduard Stadtler des Jahres 2022 nennt sich Tom Rohrböck, die frühen Geheimdienstler der 1920er Jahre wären heute stolz auf einen Hans-Georg Maaßen und die zahllosen V-Leute in den faschistischen Organisationen und Terrorzellen. Röhms SA ist schon in den 1990er Jahren in Gestalt von Worchs Freien Kameradschaften und heute im III. Weg wieder zum Leben erwacht.

Zusätzlich hat sich die faschistische Bewegung hinsichtlich ihrer ideologischen Vielfältigkeit, ihrer Organisationsformen, ihrer Aktionsformen und ihres Stils immer weiter ausdifferenziert. Sie ist ein zusammenhängendes Ganzes, aber kein monolithischer Block. Die ideologischen und Machtkämpfe zwischen ihren verschiedenen Flügeln sind ebenso echt, wie die Bemühungen des Staates, sie niederzuhalten, wenn sie nicht gebraucht werden oder zu eigenständig agieren. Der Faschismus ist heute nicht identisch mit dem Staat. Seine Funktion im bürgerlichen Herrschaftssystem hat Carl Schmitt in den 1960er Jahren in seiner „Theorie des Partisanen“ auf den Punkt gebracht: Er ist die Organisation des konterrevolutionären Partisanen im Vernichtungskrieg zwischen revolutionärem Terror und Gegen-Terror, die „eigentliche und im Grunde einzige totalitäre Organisation“, und zwar die der imperialistischen Bourgeoisie. Ihre Aufgabe ist es, die explosiven gesellschaftlichen Potenziale in den Massen, die ihre Lebenswelt verloren haben oder sich vor ihrem Verlust fürchten, für den bürgerlichen Staat zu mobilisieren und den Staatsapparat zu radikalisieren. Sie spricht die inneren Widersprüche in ihren Persönlichkeiten an, die unter dem (drohenden) Verlust ihrer kleinen Welt, ihres Dorfes, ihrer Heimat, ihrer Familie leiden, sich gedemütigt fühlen und zu zerreißen drohen, die Angst vor dem Krieg und dem Kontrollverlust haben, die starke Führer fürchten und heimlich verehren, die ihre Ängste und ihren Hass in Migrant:innen und Geflüchtete hinein projizieren.

Heute fängt die faschistische Bewegung auf diese Weise Globalisierungsverlierer und frustrierte Massen von Menschen in Ostdeutschland und in den ländlichen Regionen ein und richtet ihre Wut gegen Migrant:innen und die „links-grün-versiffte“ Politik. Ihre Wählerstimmen sind für den Staat ein Gradmesser für die Unzufriedenheit und die gesellschaftlichen Gärungspotenziale. Sie schafft ein Alibi für reaktionäre Regierungspolitik, wenn der Staat ihre Forderungen durchsetzt. Sie treibt die reaktionäre Entwicklung des Staates voran. Sie ist terroristischer Vortrupp und Hilfspolizei des Staates im Kampf gegen fortschrittliche Kräfte und unterdrückte Bevölkerungsteile wie Migrant:innen. Sie ist die Armee des Kapitals in den kommenden Straßenkämpfen und im revolutionären Bürgerkrieg. Und sie nimmt die Rolle ein, die Bevölkerung langfristig ideologisch zu beeinflussen, etwa für den kommenden Dritten Weltkrieg als „Krieg der Kulturen“, nämlich der westlichen Zivilisation gegen russische oder chinesische „Barbaren“. Und je nachdem, welche Entwicklung die imperialistischen Widersprüche, Wirtschaftskrisen und die Dynamik der Klassenkämpfe in den kommenden Jahren hervorbringen, wird die Bourgeoisie keine Sekunde zögern, den Faschismus wieder an die Macht zu bringen und die Diktatur des offenen Terrors zu errichten, so wie sie einst Hitler und die NSDAP an die Macht gebracht hat.

1Vgl. ausführlich: „Über die Zerstörung des Sozialismus und die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion“, https://komaufbau.org/restaurationdeskapitalismus/

2Vgl. „Ukraine-Krieg und sozialistische Revolution“, Kommunismus 23, S. 11 ff.

3Zbigniew Brezinksi, „The Grand Chessboard“, Basic Books, S. 40

4Samuel Huntington, „The Clash of Civilizations and the Remaking of the World Order“, Simon & Schuster

5Das Thema wird in der Netflix-Dokureihe „Rohwedder“ ausführlich aufgegriffen.

6Vgl. „Die Annektion der DDR und ihre Folgen“, Kommunismus 10, S. 38 ff.

7Siehe dazu „Die räumliche Struktur der Klassengesellschaft in Deutschland“, Kommunismus 14, S. 26 ff.

8Vgl. „Ukraine-Krieg und sozialistische Revolution“, Kommunismus 23, S. 7 ff.

9Vgl. „Die Arbeiter:innenklasse als revolutionäres Subjekt“, Kommunismus 19, S. 6 ff.

10Vgl. „Der deutsche Imperialismus in Europa“, Kommunismus 16, S. 4 ff.

11Heike Kleffner, Anna Spangenberg, „Generation Hoyerswerda – Das Netzwerk militanter Neonazis in Brandenburg“, be.bra Verlag, 2016, S. 54 f.

12Generation Hoyerswerda, ebd., S. 55

13„Revolutionärer Weg konkret: Schafft befreite Zonen!“ In: Vorderste Front. Zeitschrift für politische Theorie und Strategie, Ausgabe 2, Juni 1991

14Verfassungsschutz Brandenburg, „„National befreite Zonen“ – Kampfparole und Realität“, https://web.archive.org/web/20060507144758/http://www.verfassungsschutz-brandenburg.de/sixcms_upload/media/17/national_befreite_zonen.pdf

15Obgleich hier auch antideutsche Positionen verbreitet werden, lesenswert: Michael Lausberg, „„National befreite Zone“? Neonazismus in Vorpommern“, www.hagalil.com/2016/02/neonazismus-in-vorpommern/

16„Verfassungsschutz in Anschlag verwickelt?“, www.rbb-online.de/politik/beitrag/2017/04/nsu-untersuchungsausschuss.html

17So z.B. auch die gesamte Argumentationslinie in der Analyse des Brandenburger Verfassungsschutzes.

18„‘Reichsbürger‘-Bewegung wächst“, Perspektive Online, 28.10.2018, https://perspektive-online.net/2018/10/reichsbuerger-bewegung-waechst/

19Stephan Malinkowski, „Der Ernst des Lächerlichen“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.12.2022, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/reichsbuerger-beduerfnis-nach-adligen-fuehrern-und-vergangenen-reichen-18538086.html

20Karlheinz Weißmann, „Kriminelle Akte“, Junge Freiheit 36/2001, S. 6

21Zitiert nach: Alexander Ruoff, „Verbiegen, Verdrängen, Beschweigen“, Unrast, Münster 2001

22Ebd.

23Tobias Rapp, „Der dunkle Ritter Götz“, 21.12.16, www.spiegel.de/spiegel/goetz-kubitschek-der-wichtigste-intellektuelle-der-neuen-rechten-a-1126581.html

24Martin Sellner, „Das neurechte Wäldchen“, 2017, https://sezession.de/57278/das-neurechte-waldchen

25Richard Erche, Steffen Tilmann, „Im Zweifel rechts außen“, 2017, https://www.zeit.de/gesellschaft/2017-03/afd-abgeordnete-rechte-netzwerke-burschenschaften

26Daniel Erk, „Die Bundesbrüder“, Die ZEIT, 23.2.2017, https://www.zeit.de/2017/09/burschenschaften-berlin-gothia-rechtspopulismus-konservatismus

27Christoph Schulze, „Das Säulenkonzept der NPD“, 2016, https://studlib.de/326/politik/saulenkonzept#192

28PIGS steht als Abkürzung für Portugal, Italien, Griechenland, Spanien – ist aber auch das englische Wort für Schweine.

29Gauweiler wurde von der militanten Neonazi-Partei Freiheitliche Arbeiterpartei (1979-1995) wegen „geistiger Verwandschaft“ als Ehrenvorsitzender geführt.

30„Hinter der AfD steht das Kapital (und dessen ‚Söldner‘ Tom R.)“, Perspektive Online, 26.06.21,

31Armin Mohler, „Die Konservative Revolution in Deutschland 1918 – 1932“, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994, S. 66 f

32MDR Exakt, „Wahlbeobachtung von rechts – wie AfD und Neue Rechte zusammenarbeiten“., 16.3.2016, https://www.youtube.com/watch?v=7in_F8npG1c&t=1171s

33Vgl. Kommunistischer Aufbau, „Die Bewegungen PEGIDA / HoGeSA und die Perspektiven des proletarischen Antifaschismus“, 23.02.2015, https://komaufbau.org/die-bewegungen-pegidahogesa-und-die-perspektiven-des-proletarischen-antifaschismus

34Mit Referenz zur historischen „Landvolkbewegung“ versuchen die Faschist:innen zudem nicht nur Einfluss in der gewerkschaftlichen sondern auch der Bäuer:innenbewegung zu gewinnen.

35Christian Fuchs, Paul Middelhoff, „Das Netzwerk der Neuen Rechten“, Rohwolt 2019

36Vgl. Kommunistischer Aufbau, „Unsere Aufgaben im Kampf gegen die faschistische Demagogie“, 13.05.2020, https://komaufbau.org.unsere-aufgaben-im-kampf-gegen-die-faschistische-demagogie

37Vgl. alle Fakten im Abschnitt zu Blood & Honour: Kommunistischer Aufbau, „Wieviel Staat steckt in rechten Terror-Strukturen – und wie können wir uns schützen?“, Oktober 2019, https://komaufbau.org/broschuere-wieviel-staat-steckt-in-rechten-terror-strukturen-und-wie-koennen-wir-uns-schuetzen/

38„Früherer Kommandeur hält KSK-Einsatz im Inland für denkbar.“ https://www.Focus.de/politik/deutschland/bundeswehr-frueherer-kommandeur-haelt-ksk-einsatz-im-inland-fuer-denkbar_id_7341119.html

39Vgl. Reinhard Günzel, Wilhelm Walther, Ulrich K Wegener, „Geheime Krieger: Drei deutsche Kommandoverbände im Bild: KSK, Brandenburger, GSG 9“, 2006

40Ulrike Demmer, „Feind im Inneren“, Spiegel 22.3.2008, https://www.spiegel.de/spiegel/a-543364.html

41Josef Hufelschulte, Alexander-Georg Rackow, „Die Verschwörung“, https://www.focus.de/politik/deutschland/politik-die-verschwoerung_id_9879853.html

42Nils Minkmar, „Hauptsache es macht peng!“, FAZ 20.11.2011

43Engels, Brief an Joseph Bloch vom 21. September 1890, MEW 37, S. 463 f.