Der sogenannte „Lockdown-light“ der Regierung ist nun seit mehr als einem Monat in Kraft und seine Wirkung ist noch sehr begrenzt. Zwar konnte vielerorts ein weiteres Anwachsen der Infektionszahlen verhindert werden, zur Realität gehört aber auch, dass die Teststrategie geändert wurde und die Zahl der Tests reduziert wurde. In einzelnen Städten und Regionen jedoch wachsen die Zahlen weiter an und man nähert sich mit großen Sprüngen dem viel gefürchteten Punkt, an dem die Kapazitäten des kaputt gesparten Gesundheitssystems von der Zahl der Infektionen gesprengt werden.

Die Herrschenden reagieren nach ihrem mittlerweile bekannten Credo: Die Mehrwertproduktion hat oberste Priorität, der Infektionsschutz wird ins Privatleben verschoben. So wurden unter anderem für einige Städte und Kreise in Sachsen und Baden-Württemberg Ausgangssperren beschlossen, Bayern hat erneut den Katastrophenfall ausgerufen.

Auffällig ist dabei, dass es bisher weder eine klare medizinische Begründung für diese Maßnahmen noch eine Konkretisierung, zumindest von Ausnahmeregeln gibt. Berichte deuten zumindest für Baden-Württemberg an, dass als „triftiger Grund“ dafür, das Haus zu verlassen nur noch medizinische Notfälle und Arbeit gelten würden und nicht etwa Spaziergänge. Auch soll die Polizei die Maßnahmen dieses Mal strenger kontrollieren und durchsetzen. Auch über Kontrollen in privaten Wohnungen wird seit längerem diskutiert.

Diese konkrete Ausgestaltung der Regeln wird letztlich darüber entscheiden, wie stark diese Aussetzung von Grundrechten sich in der Lebensrealität der Arbeiter:innenklasse widerspiegeln wird. Der Polizei relativ freie Hand zu lassen, so dass bei Skandalen und Polizeigewalt, die politische Verantwortung auf diese abgeschoben werden kann, statt von der Regierung geschultert zu werden, ist ebenfalls ein bereits aus dem Frühjahr bekanntes Konzept.

Aushöhlung der Grundrechte führt zu mehr Repression

Ganz ähnlich willkürlichen Maßnahmen ausgesetzt ist, wer in diesen Tagen, dem „Lockdown-light“ zum Trotz, auf einer revolutionären oder fortschrittlichen Aktion ist. Die demokratischen Grundrechte werden uns vor unseren Augen genommen und ausgehöhlt, doch ein kollektiver Aufschrei, eine gemeinsam Reaktion der politischen Widerstandsbewegung oder auch nur der Revolutionär:innen fehlt. Die wenigen, die versucht haben, Proteste gegen die Grundrechtseingriffe zu organisieren, sind schnell im Kreuzfeuer zwischen Faschist:innen und bürgerlicher Presse bis hin zu Teilen der politischen Widerstandsbewegung aufgerieben worden. Hinzu kommt, dass die Infektionsschutzregelungen willkürlich als Vorwand für Repression verwendet werden.

Zu beobachten ist das unter anderem auch bei der kürzlichen Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes. Die massive Mobilisierung von Faschist:innen und Verschwörungstheorietiker:innen hat alle fortschrittlichen Kräfte massiv in die Defensive gedrängt. Selbstkritisch müssen wir sagen, dass auch wir und der Rest der revolutionären Bewegung kaum auf diese Entwicklung reagiert haben. Man muss sich eingestehen, dass Aspekte der an dem neuen Gesetz geübten Kritik, auch wenn sie von Faschist:innen oder Esoteriker:innen kommen, nicht dadurch falsch werden, wer sie ausspricht.

Das neue Infektionsschutzgesetz ist weit davon entfernt, die parlamentarische Beteiligung in der Diskussion um Infektionsmaßnahmen nachzuholen, die von vielen Demokrat:innen in den letzten Monaten bemängelt wurden. Sie legitimiert viel mehr im Nachhinein das „Durchregieren“ der Bundes- und Landesregierungen. Der Bundestag soll in Zukunft informiert werden, nicht aber entscheiden während den Gesundheitsbehörden und insbesondere dem Bundesgesundheitsministerium für die Zeit der Pandemie weitreichende Vollmachten übertragen werden.

Wir müssen eine Antwort auf die Angriffe der Regierung geben!

Warum fällt es so schwer, einen eigenen Standpunkt als fortschrittliche Bewegung einzunehmen?
Die durch Corona verstärkte Wirtschaftskrise spitzt alle Widersprüche des Kapitalismus massiv zu. Nicht nur die zwischen den Arbeiter:innen und den Kapitalist:innen, sondern auch die Widersprüche innerhalb der Kapitalist:innenklasse. Zwar ist für die herrschende Klasse eine Hauptlinie ihrer Politik in der Krise klar, nämlich ihre Kosten auf den Rücken der Arbeiter:innen abzuwälzen. Ihre eigenen inneren Interessenswidersprüche führen aber dennoch zu einer zugespitzten und polarisierten gesellschaftlichen Debatte, über das wie und wo.

Da auch die Politische Widerstandsbewegung nicht außerhalb der Klassengesellschaft steht und die Vorstellung von einem rein proletarischen Bewusstsein, ohne Einflüsse der uns umgebenden Gesellschaft, schon philosophisch eine Absurdität ist, wirkt sich die zugespitzte Debatte so aus, dass auch die fortschrittlichsten Teile der Gesellschaft Schwierigkeiten haben, eine eigenständige politische Linie zu entwickeln und sie in die Tat umzusetzen.

In der zugespitzten Krise und den Diskussionen liegt jedoch auch eine Chance, wenn wir es schaffen, uns nicht von bürgerlichen Standpunkten zur Pandemie leiten zu lassen, sondern selbst die Interessen unserer Klasse formulieren. Nur so kann es gelingen, dass wir nicht zwischen den Fronten der inneren Widersprüche des Kapitalismus zerrieben werden.

In der sich aktuell entfaltenden Diskussion um die Schulen, kommt für uns beispielsweise weder in Frage, ein Aufrechterhalten des Schulbetriebs als gäbe es kein Virus zu fordern, noch die sofortige Schließung aller Schulen. Stattdessen gilt es den massiven Leistungsdruck und den strikten Fahrplan von Abschlussprüfungen zu kritisieren, an denen nur festgehalten wird, damit die Schüler:innen schneller dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Gleiches gilt für das angeordnete Dauerlüften im Winter statt Schutzmaßnahmen wie Luftfiltern.

In der Frage der von der Krise in ihrer Existenz bedrohten Arbeiter:innen, ist es für uns weder eine Alternative, ihnen zu erklären, dass die Gesundheit nun mal Vorrang vor ihrem Arbeitsplatz haben müsse; noch andererseits die Schließung etwa der Gastronomie mit dem Argument zu kritisieren, sie würde den Arbeiter:innen schaden. Es geht darum, dass bei den aktuellen Diskussionen, um die Verteilung von Subventionen und Steuergeschenken, die Arbeiter:innen in den seltensten Fällen bedacht werden; vielmehr ringen Unternehmen unterschiedlicher Größe um einen Geldregen vom Staat. Diese Krise müssen die Kapitalist:innen bezahlen, dafür müssen wir kämpfen!

Und wie wir oben aufgegriffen haben, müssen wir die fortgesetze Aushöhlung unserer Grundrechte, wo wir ihr auch begegnen scharf angreifen. Wir dürfen uns ihnen auch nicht in einer staatshörigen Art und Weise fügen, da wir sonst unsere politische Arbeit einstellen müssten. Das heißt aber nicht, dass wir uns selbst nicht trotzdem verantwortlich verhalten und eine Ausbreitung der Pandemie auch in unseren eigenen Reihen zu verhindern versuchen. Für uns ist es eben nicht per se ein Akt des Widerstands, keine Maske zu tragen oder demonstrativ Maßnahmen zum Infektionsschutz zu durchbrechen, um zu provozieren. Hier müssen wir stets fragen, sind die Maßnahmen sinnvoll und wem nützen sie?

Wir müssen jedoch weiter gehen, wir müssen aufzeigen, dass die konsequente Durchsetzung unserer ökonomischen und gesundheitlichen Interessen mit dem Kapitalismus unvereinbar sind. Corona und Krise im Zusammenspiel führen so oder so in eine Situation, unter der die Arbeiter:innenklasse stark leidet. Die Krise zwingt uns, klar auszusprechen, dass die einzige Gesellschaft, in der es anders sein könnte, der Sozialismus ist. Eine Gesellschaft, in der wir nicht vor die Wahl gestellt werden, ob wir Tote durch das Virus oder steigende Suizidraten aufgrund der gesellschaftlichen Isolation wollen; in der uns unsere Ausbeuter:innen nicht mit der Ankündigung erpressen können, dass bei zu geringen Profiten eben unser Arbeitsplatz vernichtet wird. Letztlich eine Gesellschaft, deren oberstes Ziel nicht die Erzielung maximaler Profite, sondern die Befriedigung unserer Bedürfnisse – einschließlich eines konsequenten Gesundheitsschutzes – ist.