Rolle und Wirkung in der kommunistischen Arbeit

Der Liberalismus als bürgerlich-politische Philosophie und Ideologie geht in seiner klassischen Form auf die Philosophen der Aufklärung John Locke, Charles Montesquieu, Immanuel Kant und weitere zurück.

Neben für alle Staatsbürger-:innen geltenden bürgerlichen Rechten, unabhängig von Stand und Rang, welche die Überbleibsel von Feudalismus und Monarchie beseitigen sollten, umfasst ihre Ideologie vor allem eine Anbetung des Individuums, seiner individuellen Freiheit und der Konkurrenz, in der alle Individuen nach dem eigenen ökonomischen und privaten Erfolg streben. Der Liberalismus ist damit die passende Ideologie zur möglichst grenzenlosen Ausweitung der individuellen Interessen der Kapitalist:innen und Kleinbürger:innen, ohne auf moralische Einschränkungen Rücksicht nehmen zu müssen. Vielmehr wird die Selbstbereicherung und das Verfolgen eigener Vorteile geradezu zu einem moralischen Gebot.

Auch auf die Arbeiter:innen-klasse wirkt der Liberalismus sich schädlich aus und entwickelt sich zu einer scharfen Waffe der Konterrevolution, indem er das Denken, Fühlen und Handeln der Individuen unserer Klasse entscheidend beeinflusst. Die Überbetonung des Individuellen, im Gegensatz zu den gemeinsamen, die Individuen zu einem Kollektiv verbindenden Klasseninteressen, nutzt der Imperialismus dabei heute, um unsere Klasse zu spalten und die scheinbar individuellen und persönlichen Bedürfnisse, Gedanken und Handlungen vor die des Kollektivs zu stellen. So wird in den Gedanken und Gefühlen der Individuen ein scheinbar natürlicher und unüberbrückbarer Widerspruch kreiert.1

Jede Abgabe der individuellen Entscheidungsfreiheit beziehungsweise jede Einordnung in ein festes Kollektiv, selbst wenn diese freiwillig erfolgen, werden seit Jahrzehnten mit Theorien wie der Totalitarismustheorie und den Schlagwörtern des Extremismus angegriffen und durch den Liberalismus verteufelt.

Die freie und bewusste Entscheidung des Individuums, als Teil eines organisierten Kollektivs zu leben und zu kämpfen, wie sie auch heute schon kommunistische Kader:innen treffen, ist also – wenig überraschend – aus Sicht des Liberalismus ein regelrechter Albtraum. Sie wird zur absoluten Unfreiheit umgedeutet.

Ganz allgemein schafft der Liberalismus ein ideologisches Gedankengebäude, das dem Individuum vorgaukelt, sich frei von jeglichen Begrenzungen und den Interessen und Bedürfnissen anderer entfalten zu können, wenn es nur sich selbst und den eigenen Erfolg in den Mittelpunkt stellt.

Was aber hat der Liberalismus als bedeutender Teil der heute verbreiteten bürgerlichen Ideologien mit der kommunistischen Arbeit zu tun? Ist es nicht offensichtlich, dass wir als Kommunist:innen dieses Gedankengebilde konsequent ablehnen und bekämpfen müssen? Sicherlich, ja. Die Anbetung des Individuums und der Versuch, das Individuum von der Gesellschaft loszureißen und es über die Gesellschaft zu stellen, ist nicht haltbar. Gerade für die Arbeiter:innen bleiben die kapitalistischen Verhältnisse einr schier unüberwindbare Hürde für die freie Entfaltung ihrer Potenziale und Persönlichkeit. Freiheit ist für die Arbeiter:innenklasse nicht individuell, sondern nur als Klasse erreichbar.

Doch wie bei anderen Erscheinungsformen der bürgerlichen Ideologie ist es mit dieser Erkenntnis keinesfalls getan. Vielmehr ist der Liberalismus gerade in einem Land wie Deutschland so tief in der Gesellschaft verwurzelt, dass er auch die Persönlichkeiten von uns Kommunist:innen stark prägt.

Besondere Schwierigkeiten entstehen hierbei, weil der Liberalismus in den Reihen der Kommunist:innen in der Regel nicht in seiner „Reinform“ auftritt, wie er in der Epoche der Aufklärung philosophisch entwickelt wurde, und in der Regel auch nicht in seiner typisch individualistischen Erscheinungsform, die das gesellschaftliche Zusammenleben im imperialistischen Deutschland heute so stark prägt.

Der Liberalismus reproduziert sich unter den Kommunist:innen und in den Persönlichkeiten der Kommunist:innen vielmehr in spezifischen Formen, die gewissermaßen an ihre Umgangsformen und Arbeitsweise angepasst sind. Das macht sie insbesondere bei sich selbst schwerer zu entdecken und deshalb auch zu einem ernsthaften Problem für die kommunistische Arbeit. Der besondere Liberalismus in unseren Reihen muss also bewusst offengelegt und bekämpft werden. Daher stehen auch diese besonderen Erscheinungsformen des Liberalismus in unseren eigenen Reihen im Zentrum dieses Artikels.

Im Folgenden wollen wir uns die Auswirkungen des Liberalismus auf die kommunistische Arbeit in ihren verschiedenen Bereichen ansehen und aufzeigen, welche verheerenden Auswirkungen der Liberalismus auf die verschiedenen Ebenen des Lebens, Arbeitens und Kämpfens revolutionärer Individuen und Kollektive haben kann, wenn er nicht dauerhaft bekämpft wird.

Der Liberalismus in den Reihen der Kommunist:innen taucht in zahlreichen Varianten auf. Ihnen allen gemein ist, dass sie Spielarten des Opportunismus in den Reihen der Kommunist:innen sind.2 Wir wollen hier auf einige grundlegende und typische Formen eingehen, die in der politischen Arbeit von Revolutionär:innen und kommunistischen Organisationen von besonderer praktischer Bedeutung sind. Dieser Text ist nicht als abschließende oder gar vollständige Analyse des Themas gedacht. Vielmehr soll er als ein praktisches Mittel zur Aufdeckung von aus dem bürgerlichen Liberalismus einsickernden Ideen, Herangehensweisen und Gefühlen im revolutionären Kollektiv und jedem einzelnen kommunistischen Individuum dienen.

Politischer und ideologischer Liberalismus

Der Liberalismus führt auf dem Gebiet der Politik und Ideologie zu einer Verwässerung und Verfälschung der marxistisch-leninistischen Theorie und ihrer Praxis. Er führt, wenn er sich ungehindert ausbreiten kann, zu einer Beliebigkeit, die letztlich alle Grundsätze revolutionärer Politik angreift und dauerhaft in Frage stellt.

Die ideologische Beliebigkeit befeuert dabei das Entstehen unterschiedlicher politischer Linien. Folge davon ist ein uneinheitliches Auftreten der Organisation nach außen, das Verlieren von Schlagkraft und Aussagekraft, und somit unweigerlich auch der Rückgang des politischen und ideologischen Einflusses der Organisation auf die Teile der Klasse, die sie erreicht, auf ihr Umfeld und die eigenen Mitglieder.

Das Eindringen von Elementen des Liberalismus in die Politik und Ideologie der Organisation führt dazu, dass dort mehr und mehr auf den ideologischen Kampf verzichtet wird und ein prinzipienloser Friede mit allen möglichen bürgerlichen Ideen und Theorien geschlossen wird. Typischerweise werden diese bürgerlichen Ideen dann in einem nächsten Schritt in die ideologische und politische Linie „integriert“. Es ist klar, dass solch eine Entwicklung auf Dauer nicht nur zu einem ideologischen und politischen Verfall führen muss. Auch die organisatorischen Grundsätze einer kommunistischen Organisation wie der Demokratische Zentralismus und ein Mindestmaß an Disziplin werden durch den Liberalismus untergraben und sind nicht mit ihm vereinbar.

Doch was heißt das nun für die politische Praxis? Müssen wir nun den politischen und ideologischen Kampf in unseren Reihen umso schärfer führen, um uns auf keinen Fall des Liberalismus schuldig zu machen? Müssen wir überall und zu jeder Zeit, an jedem Ort nach vermeintlichen Abweichungen in der Organisation suchen, um diese auszumerzen?

Kampf und Einheit

Der ideologische und politische Meinungskampf muss tatsächlich dauerhaft in der Organisation geführt und organisiert werden. Um die Weiterentwicklung des kommunistischen Kollektivs zu ermöglichen, ist es notwendig, dass alle organisierten Kommunist:innen dies als ihre Aufgabe betrachten. Es gilt, alle Genoss:innen zum selbstständigen Denken zu ermutigen, sogar sie dazu zu erziehen. Jede Tendenz, den politischen und ideologischen Kampf als eine Spezialaufgabe für einen kleinen, auserlesenen Kreis von Genoss:innen zu betrachten, trägt bereits den Keim aller oben genannten Zerfallserscheinungen in sich.

Jedoch ist es wichtig zu betonen, dass wir als Kommunist:innen den aktiven ideologischen Kampf nicht als Selbstzweck betreiben, sondern immer mit dem Ziel, die Einheit innerhalb der revolutionären Organisation und letztlich innerhalb unserer Klasse zu erreichen. Dass der dauerhafte Meinungskampf an dieses Ziel gebunden ist, hat auch Folgen für die Form, in der wir ihn austragen. Gelingt es nicht, diese richtige Form des Kampfes zu finden, dann verkehrt sich der ideologische Kampf um die richtige Linie und die Einheit der Organisation in sein Gegenteil. Dann führt er uns langfristig weg von diesem Ziel und letztlich zur Desorganisation und Zersplitterung.

Hier sollen nur kurz stichpunktartig einige typische Wege erwähnt werden, mit denen die genossenschaftliche Diskussion und Kritik aus einem ständigen Motor für die ideologische und politische Weiterentwicklung einer Organisation in ihr Gegenteil verwandelt werden kann: Nur mit Genoss:innen diskutieren, die einem sowieso zustimmen; ständige Kritik an anderen, ohne eigene Veränderungsbereitschaft; systematisches Äußern von Kritiken außerhalb der dafür vorgesehenen Gremien und Wege; das ständige erneute Vorbringen gleicher Kritiken, auch wenn ein kollektiver Beschluss getroffen wurde. Das Fraktionswesen ist der logische Gipfel dieser kurzen Aufzählung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine falsche Art und Weise des ideologischen und politischen Kampfes zu denselben schädlichen Ergebnissen führt, wie wenn dieser Kampf gar nicht geführt werden würde: Dem Zerfall der Organisation der Kommunist:innen zu einem in zahlreichen Debatten verwickelten, und gerade deswegen zum effektiven Kampf ganz und gar unfähigen Haufen verschiedener Strömungen und Tendenzen.

Nur dann, wenn wir den politischen und ideologischen Kampf innerhalb der Organisation im Rahmen der grundlegenden Prinzipien des Demokratischen Zentralismus führen, wird er zur Stärkung der Organisation und ihres politischen Kampfes führen. Nur dann wird er die Einheit und Schlagkraft der Organisation erhöhen und die Entwicklung verschiedener politischer Linien verhindern.

Momente, in denen dieser Kampf von allen Kommunist:innen mit besonderer Intensität und Aufmerksamkeit geführt werden muss, sind etwa die Kongresse einer kommunistischen Organisation, bei denen die vergangene Entwicklung und Politik der Organisation kritisch ausgewertet wird. Auch wird darauf aufbauend die Organisation auf die vor ihr stehenden politischen, ideologischen sowie organisatorischen Aufgaben und Herausforderungen ausgerichtet. Doch auch zwischen den Kongressen ist es natürlich die Aufgabe aller organisierten Kommunist:innen, die Entwicklung und Linie der Organisation zu kritisieren und mitzugestalten.

Der politische und ideologische Liberalismus in der Massenarbeit

Doch der ideologische und politische Kampf um die Durchsetzung der richtigen politischen Linie muss nicht nur oder hauptsächlich innerhalb der kommunistischen Organisation geführt werden, sondern es ist die Aufgabe aller Kommunist:innen diesen Kampf überall dort zu führen, wo sie mit unserer Klasse in Berührung kommen.

Diskussionen über unsere ideologische Linie und ihre Konkretisierung in der politischen Linie werden unter den organisierten Genoss:innen nach einiger Zeit im Leben eines organisierten Kollektivs mit einer gewissen Selbstverständlichkeit und Routine betrieben. Häufig ist jedoch genau davon im privaten Umfeld, auf der Arbeit, im Freundeskreis und der Familie so gut wie nichts zu spüren. Auch und insbesondere hier macht sich der schädliche Einfluss des Liberalismus breit und es bilden sich bürgerliche Rückzugsräume, in denen die oder der einzelne einfach mal „mit dem Strom“ schwimmt und sich der ideologischen Umzingelung durch die bürgerliche Ideologie hingibt.

Es erübrigt sich wohl zu sagen, dass solch ein Zustand auf Dauer nicht hinnehmbar ist. Mag es für das Individuum auf den ersten Blick doch der vermeintlich einfachere Weg sein, sich im Umgang mit Nicht-Kommunist:innen „liberal“ zu verhalten und die eigene Meinung und Identität zu verbergen, so zeigt sich schon auf den zweiten Blick, dass dies ein Trugschluss ist.

Auf der einen Seite kann durch solch ein Verhalten die ideologische Umzingelung nie gebrochen und der kommunistische Einfluss auf immer größere Teile unserer Klasse nicht ausgebaut werden, sondern man bleibt in den eigenen, noch viel zu engen, „revolutionären Kreisen“ verhaftet. Auf der anderen Seite ist diese Trennung in einen vermeintlich politischen und einen privaten Teil des Lebens eine massive Belastung für das Denken, Fühlen und Handeln des revolutionären Individuums. Dieser Umstand muss, wenn er nicht gelöst wird, zu einem Hindernis der Entwicklung des revolutionären Bewusstseins und damit auch der Kader:innen und Persönlichkeitsentwicklung werden. Zu diesem Punkt werden wir weiter unten noch einmal ausführlicher zurückkommen.

Der Kampf gegen den Liberalismus und für die Durchsetzung der politischen und ideologischen Linie der Organisation darf gerade in der politischen Praxis aber eben nicht so verstanden werden, dass er in ein dogmatisches und sektiererisches Verhalten umschlägt. Es kann uns dabei nicht darum gehen, stumpf auf Beschlüssen und Positionen zu beharren, sondern es gilt, diese zu erklären, zu verallgemeinern und entsprechend der jeweiligen Situation anzuwenden.

Gerade in der Bündnis- und Massenarbeit ist es dabei die Aufgabe aller Kommunist:innen und Kollektive, eine differenzierte Agitation und Propaganda zu entwickeln, die eine taktische Flexibilität bei der Wahl der Ansatz- und Schwerpunkte der Argumentation je nach konkreter Situation zeigt, ohne dabei opportunistisch die eigenen ideologischen und politischen Positionen aufzugeben oder zu verschweigen.

Organisatorischer Liberalismus

Nachdem wir uns einige Beispiele des politischen und ideologischen Liberalismus angeschaut haben, wollen wir nun einige Auswirkungen des Liberalismus auf die Organisation und ihre Funktionalität betrachten.

Dabei muss betont werden, dass organisatorischer beziehungsweise politischer und ideologischer Liberalismus niemals als getrennte Phänomene begriffen werden dürfen, schon alleine weil sie in letzter Konsequenz nicht getrennt voneinander existieren. Jeder organisatorische Liberalismus ist immer auch ein ideologisches Problem und die Missachtung der organisatorischen Prinzipien führt in der oben skizzierten Weise zum Zerfall der ideologisch-politischen Einheit jeder Organisation.

Aber aus anhaltender politischer und ideologischer Beliebigkeit muss sich gesetzmäßig auch ein Aufweichen der Organisationsdisziplin und letztlich ein organisatorischer Bruch entwickeln, spätestens wenn sich der Klassenkampf verschärft. Stalin hat diesen Zusammenhang in einem seiner bekanntesten Texte an prominenter Stelle formuliert:

Die eiserne Disziplin in der Partei aber ist undenkbar ohne die Einheit des Willens, ohne die völlige und unbedingte Einheit des Handelns aller Parteimitglieder. Das bedeutet natürlich nicht, dass dadurch die Möglichkeit eines Meinungskampfes in der Partei ausgeschlossen wird. Im Gegenteil, die eiserne Disziplin schließt Kritik und Meinungskampf in der Partei nicht nur nicht aus, sondern setzt sie vielmehr voraus. Das bedeutet erst recht nicht, dass die Disziplin „blind“ sein soll. Im Gegenteil, die eiserne Disziplin schließt Bewusstheit und Freiwilligkeit der Unterordnung nicht aus, sondern setzt sie vielmehr voraus, denn nur eine bewusste Disziplin kann eine wirklich eiserne Disziplin sein.“ 3

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Jeder Liberalismus in der Organisation ist mit den Prinzipien der kommunistischen Partei unvereinbar. Während sich die politischen und ideologischen Formen des Liberalismus durch Nachsicht gegenüber bürgerlichen Ideen in allen Schattierungen auszeichnen, steht beim organisatorischen Liberalismus die Nachsicht gegenüber der Disziplinlosigkeit, dem Individualismus und der Nachlässigkeit bei der Durchführung der kollektiv getroffenen Beschlüsse im Vordergrund.

Organisatorischer Liberalismus führt letzten Endes wie das Durchtrennen des Rückenmarks zum Ende eines agilen und schlagkräftigen Organisationsgerüstes. Er lähmt nicht nur die Reaktionsfähigkeit, stört die Einheit und Geschlossenheit, sondern untergräbt auch jede revolutionäre Disziplin, die für das Funktionieren einer kommunistischen Organisation unerlässlich ist.

Hierfür könnten selbst aus den heute überaus begrenzten Erfahrungen der kommunistischen Bewegung in Deutschland so viele Beispiele gegeben werden, dass sie den hier gegebenen Rahmen hoffnungslos sprengen würden. Die Themen Organisatorische Sicherheit, Beschlusskontrolle, Kampf für die Umsetzung von Beschlüssen und Anwendung von Kritik und Selbstkritik im Folgenden stehen deshalb explizit nur stellvertretend für das Phänomen als Ganzes.

Organisatorische Sicherheit und der Kampf für die Einhaltung von Beschlüssen

Dort wo der Liberalismus sich auf die Fragen der Sicherheit und der sicheren Arbeitsweise auswirkt, kann der Kampf gegen ihn über die gesamte Existenz der Organisation entscheiden und eine wohl kaum zu überschätzende Rolle einnehmen. Dabei wird der anhaltende Liberalismus in der sicheren Arbeitsweise dadurch begünstigt, dass er kurzfristig oft keine spürbaren Auswirkungen oder Repressionen nach sich zieht. Die Genoss:innen wähnen sich in Sicherheit, auch wenn sie aus Bequemlichkeit oder mangelndem Feindbewusstsein die Regeln der sicheren Arbeit ignorieren.4 Dadurch wird die Ausweitung und Gewöhnung an dieses falsche Verhalten begünstigt und gleichzeitig die Disziplin in der Organisation untergraben.

Oftmals erst Wochen, Monate oder Jahre später nutzt der Klassenfeind dieses Verhalten aus, um die Organisation oder einzelne Genoss:innen anzugreifen. Doch dann ist es längst zu spät, um den Schaden, der durch das liberalistische Verhalten hervorgerufen wurde, zu beheben. Den Preis dafür müssen dann die Organisation als Ganzes und einzelne Genoss:innen im Besonderen tragen. Aus diesen Gründen ist jedes Aufkommen von Liberalismus in Fragen der Sicherheit mit allen Mitteln zu verhindern und zu bekämpfen. Eine besondere Sensibilisierung und der Kampf für die Schaffung eines ausgeprägten Feindbewusstseins gehört zu den wichtigsten Aufgaben jeder Organisation, die sich ernsthaft zum Ziel gesetzt hat, dem deutschen Imperialismus ein Ende zu bereiten.

Auch beim Umgang mit Beschlüssen der Organisation kennen wir die Erscheinungen des Liberalismus nur allzu gut. Oft haben wir es in unserer politischen Praxis erlebt, dass in einem Organ ein Beschluss getroffen oder Genoss:innen eine Aufgabe übergeben wurde und diese nicht erfüllt wurden. Wie gehen wir damit um? Hinterfragen wir tatsächlich kritisch, warum der Beschluss nicht erfüllt wurde? Oder scheuen wir uns, deutlich Kritik zu üben, weil wir selbst mit der Erfüllung unserer eigenen Aufgaben unzufrieden sind? Diskutieren wir, was sich verändern muss, damit der Beschluss beim nächsten Treffen ganz sicher erfüllt ist?

Vielleicht wird die eine oder der andere jetzt empört erwidern, dass es immerhin auch berechtigte Gründe für das Nichterfüllen eines Beschlusses geben kann. Mag sein. Aber seien wir ehrlich zu uns selbst. Alle Erfahrung zeigt doch gerade, dass wenn derartige objektive Gründe für das Nichterfüllen eines Beschlusses vorliegen, diese bei der Beschlusskontrolle von ganz alleine und in großer Ausführlichkeit dargelegt werden. Aber gerade in den unzähligen Fällen, wo die Aufgabe, um die es geht, nur mit einem einsilbigen „Ist in Arbeit.“ oder „Habe ich nicht geschafft.“ kommentiert wird, ist es dringend notwendig, den eigenen Liberalismus niederzuringen und genau nachzufragen, was hinter diesen Aussagen steht. Anders können wir uns selbst nicht zu einer dauerhaften, disziplinierten Arbeitsweise erziehen.

Ein anderes Beispiel: Immer wieder werden Treffen in der politischen Arbeit abgesagt, fallen aus oder werden erst viel zu spät durchgeführt. Wie ist unsere Haltung dazu? Tun wir alles, um das Ausfallen solcher Treffen zu verhindern? Oder freuen wir uns insgeheim, weil uns die Absage einer anderen Genoss:in eine kleine Verschnaufpause im politischen Alltag, den wir sowieso als total überladen empfinden, verschafft? Wird dadurch die Fehlplanung nicht Stück für Stück zu einem Prinzip unserer Arbeit und ein zugesagter Termin in den Augen aller Beteiligten tendenziell zu einer vagen Verabredung?

Die Aufzählung könnte beliebig fortgesetzt werden: Fristen werden versäumt, nicht geschaffte Arbeiten immer weiter verschoben oder auf den letzten Drücker gemacht, Beschlüsse und Ausrichtungen übergeordneter Organe werden vergessen beziehungsweise übergangen oder entsprechend den eigenen individuellen Ansichten „missverstanden“ und umgedeutet. Oder die Mobilisierungs- und Kontaktarbeit wird auf den digitalen Raum begrenzt. Können wir mit dieser Arbeitsweise zufrieden sein?

All diese Beispiele zeigen eine Gemeinsamkeit: Sie sind eine Abkehr von der kommunistischen Arbeitsweise und stehen in direktem Widerspruch zu dieser. Sie können sich nur in das Organisationsleben einschleichen und sich ausbreiten, wenn wir bei uns und anderen eine liberale Haltung zur Arbeitsweise und dem Organisationsleben zulassen. Die Verantwortung für den Kampf gegen diesen organisatorischen Liberalismus kommt jedem organisierten Individuum und jedem Organ der kommunistischen Organisation zu.

Der Kampf um die dauerhafte Aneignung und Höherentwicklung einer kommunistischen Arbeitsweise bildet im Rahmen der Bolschewisierung die notwendige Grundlage, auf der die Aufgabe des Parteiaufbaus erfolgreich angegangen werden kann.5 Überall dort, wo es keinen Kampf darum gibt, dass die Arbeitsweise dieses oder jenes Organs, dieser oder jener Genoss:in revolutioniert und dauerhaft einer kommunistischen Arbeitsweise entspricht, wird das die Entwicklung dieser Genoss:innen, dieser Organe und letztlich der ganzen Organisation hemmen und zurückwerfen. Im schlimmsten Fall führt das Fehlen einer kommunistischen Arbeitsweise dazu, dass die betroffenen Genoss:innen und Organe mit ihrer liberalen Arbeitsweise das normale Funktionieren des Organisationsmechanismus sogar weitgehend beeinträchtigen.

Eine typische Reaktion auf die revolutionäre Kritik an der liberalen Arbeitsweise ist ein bürgerlicher Defätismus, der die Verantwortung von sich selbst abschiebt und eine Änderung der Arbeitsweise von vorne herein für unmöglich erklärt oder das Problem gar nicht erst in der Arbeitsweise erkennt. Vielmehr sei das allgemeine Arbeitspensum, zu viele Termine oder andere Genoss:innen/Organe Schuld an den Problemen und negativen Ergebnissen der Arbeit, der fehlerhaften oder halbherzigen Umsetzung beziehungsweise dem Liegenbleiben von Aufgaben.

Solch ein Abschieben und Verneinen von eigener Verantwortung für die Ergebnisse der eigenen Arbeit beziehungsweise Arbeitsweise sind letztlich identisch damit, einen ganz persönlichen Frieden mit dem organisatorischen Liberalismus und davon ausgehend auch mit den eigenen bürgerlichen Eigenschaften zu schließen.

Beim Kampf gegen den Liberalismus in der Arbeitsweise müssen sich alle Genoss:innen eines Organs die selbstkritische Frage stellen, welchen Anteil ihr Liberalismus mit sich selbst und den anderen Genoss:innen im Organ an der Entstehung einer solchen opportunistischen Arbeitsweise hat. Ein liberaler Umgang mit den eigenen Fehlern, Versäumnissen und nicht erfüllten Aufgaben führt dabei auch zu einem liberalen Umgang mit den Fehlern anderer Genoss:innen. Es entwickelt sich ein nicht ausgesprochenes, aber für die revolutionäre Atmosphäre und Arbeitsweise verheerendes Quid pro quo („Eine Hand wäscht die andere“), indem man gegenseitig die eigenen Fehler und die der anderen stillschweigend akzeptiert oder sogar versucht zu rechtfertigen.

Setzt sich dieser Liberalismus in der Arbeitsweise über längere Zeit durch, zersetzt er nach und nach die allgemeine Disziplin und die Funktion des Demokratischen Zentralismus im eigenen Organ oder der gesamten Organisation. Beschlüsse des eigenen Organs oder übergeordneter Organe werden dann mit der Zeit nicht mehr als verbindlich betrachtet. Der Kampf darum, diese im bestmöglichen Sinne umzusetzen, kommt zum Erliegen; ebenso wie die Diskussion darüber, welche zusätzlichen Kräfte mobilisiert werden können, um Beschlüsse trotz auftretender Schwierigkeiten umzusetzen. An die Stelle dieser kommunistischen Herangehensweise tritt dann eine ihr direkt entgegengesetzte: Die Diskussion darüber, ob die Umsetzung des Beschlusses überhaupt möglich ist oder wie man den Beschluss so verändern, so umdeuten kann, dass er möglichst wenig Aufwand bedeutet oder die Umsetzung auf die ferne Zukunft vertagt wird.

Handelt es sich bei diesen Beispielen um Einzelfälle? Um bewusste Überspitzungen, um ein Problem zu veranschaulichen? Es ist zu befürchten, dass die meisten Leser:innen, die kommunistisch organisiert sind, beim Lesen dieser Zeilen mehr als eine Situation wiedererkennen, die sie aus ihrem eigenen politischen Alltag nur zu gut kennen.

Liberalismus bei der Anwendung von Kritik und Selbstkritik

Auch in der Anwendung von Kritik und Selbstkritik zwischen Genoss:innen können wir das Phänomen des Liberalismus beobachten. Die Anwendung von Kritik und Selbstkritik ist eine der wichtigsten Waffen der Kommunist:innen, um sich ständig weiterzuentwickeln und den stetig wachsenden Erfordernissen des Klassenkampfes gerecht zu werden. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass von bürgerlichen Antikommunist:innen gerade diese Methode oft als „sektenhaftes Ritual“ oder ähnliches dargestellt wird.

Dieser Vergleich ist zwar an den Haaren herbeigezogen, jedoch ist die Gefahr real, dass die Kritik und Selbstkritik tatsächlich zu einer Karikatur ihrer selbst, zu einem hohlen Ritual oder Schauspiel verkommt. Wie das?

Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn die Kritik und Selbstkritik zwischen den Genoss:innen nicht ernsthaft, ehrlich und im Rahmen von gewissenhafter Vorbereitung geleistet wird; stets verbunden mit dem revolutionären Drang danach, sich selbst und die Genoss:innen, das Bewusstsein und die Persönlichkeit zu entwickeln.

Dies zeigt sich dann darin, dass Kritiken zu sich ständig wiederholenden, allgemeinen Floskeln werden, die keinen konkreten Inhalt mehr haben und dadurch auch nicht die Entwicklung von Genoss:innen real beeinflussen können. Dasselbe Ergebnis können wir bei „formellen“ oder „präventiven“ Selbstkritiken sehen.

Mit formellen Selbstkritiken meinen wir hierbei Selbstkritiken, die in regelmäßigen Abständen geleistet werden, aber nicht mehr mit dem ernsthaften Willen verbunden sind, die eigenen Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu verändern.

Präventive Selbstkritiken erinnern im schlimmsten Fall eher an religiöse Selbstkasteiung, anstatt eine dialektischen Analyse der eigenen Schwächen und Notwendigkeiten der Selbstveränderung zu leisten. Der bewusst oder unbewusst dadurch hervorgerufene Effekt ist nur allzu oft, dass sich die Genoss:innen darauf konzentrieren, das Selbstbewusstsein wieder aufzubauen, vorhandene Stärken zu betonen oder sogar besonders drastisch formulierte Selbstkritiken zu relativieren.

Beides sind letztlich unterschiedliche Formen einer liberalen Herangehensweise, die eine ehrliche und tiefgreifende Kritik und Selbstkritik und damit notwendige Schritte in der Bewusstseins- und Persönlichkeitsveränderung blockieren.

Auch in unseren Maßstäben, an denen wir Genoss:innen und ihre Arbeit messen, kann sich ein liberaler Umgang einschleichen. Ein häufiges Beispiel dafür ist, dass wir uns von Sympathien und Antipathien gegenüber Genoss:innen leiten lassen. Hierbei muss auch gleich die erste Frage lauten:

Welche Haltung nehmen wir denn überhaupt zu bestehenden Antipathien oder sogar Misstrauen ein? Nehmen wir sie zum Beispiel hin oder wenden uns schulterzuckend ab und sagen uns innerlich, „Wir kommen eben nicht gut miteinander aus.“? Schon hier beginnt der Liberalismus, also die Aussöhnung mit den eigenen Schwächen als Kollektiv und Individuum. Denn gerade derart belastete Beziehungen sind ein bedeutender Schwachpunkt unserer Kollektive, es sind mögliche Ausgangspunkte für Spaltung, moralische Krisen und Eingriffe der Konterrevolution. Als solche müssen wir sie bewerten und dementsprechend bewusst daran arbeiten, gerade die für uns unangenehmsten Beziehungen zu Genoss:innen zu revolutionieren.

Andersherum ist es sicherlich positiv, wenn unter Genoss:innen tiefe, vertrauensvolle und freundschaftliche Beziehungen entstehen. Allzu häufig jedoch reproduzieren sich hier auch unbewusst die Formen von Freundschaft und bürgerlich verstandener Loyalität aus der kapitalistischen Gesellschaft. Wenn unsere positiven Gefühle gegenüber Genoss:innen der Ausgangspunkt dafür werden, dass wir sie in der Kritik schonen und ihre größten Schwächen nicht offen ansprechen, dann verwandeln sich auch zunächst sehr positive Inhalte unserer Beziehungen in ein Einfallstor für den Liberalismus.

Liberalismus in der eigenen Kader:innen-entwicklung

Auch und gerade bei der Entwicklung von Kader:innen und bei der eigenen Persönlichkeitsentwicklung spielt der eigene Liberalismus eine wichtige Rolle. Er ist wohl einer der größten Hemmschuhe für die Selbstentwicklung und -veränderung. Der Liberalismus führt in der Regel erst zu einem Einrichten im Status quo und dann zu Rückschritten in der eigenen Entwicklung, die durch den liberalen Umgang mit dem eigenen Verhalten begünstigt werden. Doch warum ist das eigentlich so?

Wer kennt ihn nicht, den Spruch „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“? Wohl in unzähligen Situationen wird dieser Spruch dafür genutzt, die ausbleibende Veränderung des eigenen Verhaltens zu erklären und zu rechtfertigen. Und auch in der revolutionären Arbeit und gerade bei der Kader:innenentwicklung ist die Frage der „Gewohnheit“ eine entscheidende: Schaffen wir es alte und bürgerliche Gewohnheiten und Verhaltensweisen dauerhaft zu überwinden oder fallen wir immer wieder in diese zurück?

Dabei ist es nicht das Entscheidende, ob wir Rückschläge erleben, beziehungsweise in alte Verhaltensweisen zurückfallen, sondern wie wir mit diesen Rückschlägen umgehen. Geben wir uns damit zufrieden, dass wir unser Verhalten eben nicht so schnell verändern können und rechtfertigen damit das Zurückfallen und Einnisten in den zu überwindenden Ist-Zustand? Oder nehmen wir die Rückschläge als Ansporn, uns noch mehr auf die eigene Entwicklung und Persönlichkeitsveränderung zu fokussieren und sie in der Praxis konsequent und diszipliniert anzugehen? Für eine erfolgreiche Entwicklung sind vor allem eine kritische Sicht auf uns selbst und die eigene Entwicklung sowie eine richtige, das heißt objektive Selbsteinschätzung wichtige Voraussetzungen.

Statt einer korrekten Selbsteinschätzung können wir bei uns aber meist verschiedene subjektive Abweichungen feststellen, wie das Nicht-Wahrnehmen von eigenen Erfolgen und positiven Entwicklungen oder einen idealistischen Voluntarismus, der keine erreichbaren Ziele setzt. Diese einseitigen subjektiven Eindrücke können wir nur mit Hilfe des revolutionären Kollektivs und seiner Kritiken korrigieren. Dies setzt allerdings voraus, dass wir dauerhaft mit dem eigenen Liberalismus in der revolutionären Arbeit und der eigenen Persönlichkeitsentwicklung brechen wollen und dies in der Praxis auch tun. Sonst bringen auch die besten Kritiken unseres Kollektivs nichts.

Betrachten wir zwei Beispiele für dieses Problem. Eine Form des Liberalismus, auf die wir bei der Kader:innenentwicklung immer wieder treffen, ist es, die eigene Meinung über alles zu stellen, Genoss:innen persönlich anzugreifen, gegen diese zu intrigieren, statt die sachliche politische Auseinandersetzung in den Mittelpunkt zu stellen und diese in der angemessen Art, zum richtigen Zeitpunkt und im passenden Zusammenhang zu führen. Wir beschreiben diese weit verbreiteten falschen bürgerlichen Verhaltensweisen als eine Spielart des Liberalismus, weil sich die entsprechenden Genoss:innen bei diesem Verhalten oftmals im Recht fühlen und sich keinerlei Rechenschaft darüber ablegen, dass sie etwas falsch gemacht haben. Sie prüfen ihr eigenes Verhalten entsprechend nicht oder nur sehr oberflächlich und sind mit sich selbst zufrieden, richten sich demnach im Status quo ein und verlangen die Veränderung eben von anderen Genoss:innen.

Eine ähnliche Erscheinung können wir bei jenen Genoss:innen feststellen, die in eine bürokratische und formalistische Arbeitsweise verfallen. Diese Genoss:innen verhalten sich auf den ersten Blick vollkommen in dem Rahmen, welche die Regeln der Organisation vorgeben. Sie beschäftigen sich mit den Beschlüssen der oberen Organe und arbeiten sie ihrer Formulierung und Wortbedeutung nach ab und erfüllen das Mindestmaß der im Statut und den weiteren in der Arbeitsweise der Organisation festgehaltenen Aufgaben. Gleichzeitig fühlen sie sich so, als seien sie die Einzigen, die in der Organisation etwas tun, und fühlen sich im Recht, von oben auf andere herabzuschauen. Überall dort, wo uns bei uns selber oder anderen Genoss:innen solch ein Verhalten auffällt, müssen wir dringend in die Entwicklung der Genoss:innen eingreifen. Dieses falsche Verhalten führt letztlich zu einer vollkommenen Blockade der revolutionären Persönlichkeitsentwicklung und lässt die revolutionäre Arbeitsweise einer kommunistischen Organisation zu einem undynamischen und bürokratischen Apparat verkümmern, wenn nicht dagegen gehalten wird.

Ganz ähnlich wie beim weiter oben diskutierten Beispiel der Beschlusskontrolle zieht der liberale Umgang mit den eigenen Schwächen dabei oftmals auch einen Liberalismus gegenüber anderen nach sich. Vieles spricht sogar dafür, dass es noch viel verheerender als bei nicht eingehaltenen Beschlüssen ist, wenn die Grenzen anderer Genoss:innen akzeptiert werden, weil man unterbewusst hofft, auch die eigenen Grenzen so nicht in Frage stellen zu müssen. Das kann im schlimmsten Fall die gesamte Arbeitsatmosphäre eines Organs vergiften und dazu führen, dass Fehler und damit auch eine ausbleibende Kader:innenentwicklung von allen Beteiligten hingenommen und akzeptiert werden.

Doch zu so einer Entwicklung muss es nicht kommen. Es liegt eben daran, wie wir mit den verschiedenen Erscheinungen des Liberalismus auf individueller und kollektiver Ebene umgehen, ob wir ihn erkennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen oder nicht.

Kontrolle & Kollektiv

Der Liberalismus ist wie ein Schimmelpilz, der sicher eine Zeit lang ignoriert oder nicht erkannt werden kann, sich in dieser Zeit jedoch immer weiter ausbreitet und vermehrt. Je länger er unerkannt bleibt oder gar ignoriert wird desto weiter kann er sich ausbreiten, enormen Schaden anrichten und ist nur noch unter Einsatz sehr großer Kräfte und Mittel wieder einzudämmen. Übersieht man dabei dann auch nur einen Punkt, so können wir uns sicher sein, dass er sich ausgehend von diesem Punkt erneut verbreitet und zu neuem Schaden führt.

Der einzige Weg, die Ausbreitung des Liberalismus und seiner zahlreichen Erscheinungen einzudämmen und zu verhindern ist es, den Kampf gegen den Liberalismus als dauerhafte Aufgabe des gesamten Kollektivs zu verstehen und zu verinnerlichen. Dabei muss uns klar sein, dass der Liberalismus immer wieder von außen neu in die Organisation und die einzelnen Organe getragen wird, sei es durch ideologische und politische Einflüsse der uns umgebenden bürgerlich-liberalen Gesellschaft, sei es durch das Verhalten der einzelnen Mitglieder oder durch neue Genoss:innen, die zu uns stoßen. Aber nicht nur das, auch in langjährigen Kommunist:innen leben liberale Bewusstseinsanteile fort und werden sich zu einzelnen liberalen Verhaltensweisen gegenüber den eigenen Schwächen oder denen anderer auswachsen, wenn der Kampf dagegen nicht in dauerhafter Form geführt wird.

Ein besonderes Problem im Kampf gegen den Liberalismus ist, dass wir ihn mit aller Konsequenz führen müssen, damit er überhaupt eine Wirkung zeigt. Sobald wir kompromisslerisch mit einzelnen liberalen Verhaltensweisen verfahren, führen wir indirekt auch unsere Kritik an anderen ad absurdum. Damit lässt sich höchstens erreichen, dass durch vom Kollektiv ausgeübte Kontrolle einzelne Aufgaben zeitweise gewissenhafter erledigt werden. Im Kern ist der Liberalismus aber ein Problem des Bewusstseins und unser individuelles und kollektives Bewusstsein können wir in dieser Hinsicht nur dauerhaft verändern, wenn wir gegen alle Erscheinungsformen des Liberalismus vorgehen.

Der Kampf gegen den Liberalismus ist zugleich der Kampf für die Etablierung einer lebendigen kommunistischen Arbeitsweise und der Schaffung einer solidarischen Kultur im Umgang miteinander, welche eine offene und schonungslose, aber produktive und solidarische Kritik- und Selbstkritik mit einschließt. Doch das kann eben nur erfolgreich funktionieren, wenn sich alle Genoss:innen in der Verantwortung sehen, ihren Beitrag dazu zu leisten, kollektiv die gemeinsamen und individuellen Fehler, Beschränkungen und Grenzen im Verhalten, der Entwicklung und der politischen und organisatorischen Praxis aufzudecken und zu überwinden.

Diese Verantwortung kann nur durch eine dauerhafte Selbstkontrolle und die Kontrolle des Kollektivs wahrgenommen werden. Für unsere eigenen Fehler, Beschränkungen und liberalen wie anderen opportunistischen Verhaltensweisen, Gedanken und Gefühle müssen wir uns zuallererst vor uns selbst und unserem politischen Bewusstsein zur Rechenschaft ziehen. Das passiert nicht automatisch, sondern erfordert immer wieder eine ganz bewusste Anstrengung, eben nicht alten Gewohnheiten nachzugeben oder immer den vermeintlich einfacheren Weg zu nehmen.

Schaffen wir das in einem Großteil der Fälle, so haben wir sehr gute Voraussetzungen, weitere Schritte in unserer Persönlichkeitsveränderung zu gehen und alte Schwächen und Fehler dauerhaft zu überwinden. Dann gilt es, dass wir uns neue, höhere Ansprüche stellen und diesen in einem Prozess der Kritik und Selbstkritik, sowie der dauerhaften Selbstreflexion unseres Denkens, Fühlens und Handelns anzunähern.

In den allermeisten Fällen wird dieser Weg jedoch nicht so einfach oder geradlinig verlaufen und wir werden immer wieder in alte, bürgerliche Verhaltensmuster zurückfallen. Hier ist es die Verantwortung unseres revolutionären Kollektivs, dies nicht zuzulassen, in diesen Momenten einzugreifen und uns so bei unserer Kader:innenentwicklung zu unterstützen und anzuleiten. Dafür ist eine dauerhafte und gewissenhafte Kontrolle des Kollektivs, was unsere Aufgaben und unser Verhalten betrifft, notwendig. Ansonsten bleibt der Anspruch des korrigierenden Eingreifens des Kollektivs nichts als ein frommer, aber eben unrealistischer Wunsch.

Überall dort, wo es uns aber gelingt, die kritisch-selbstkritische und solidarische Beziehung zwischen Kollektiv und Individuum auf revolutionäre Art und Weise zu etablieren und dauerhaft am Laufen zuhalten, sehen wir, dass sich auf der einen Seite liberales, opportunistisches und bürokratisches Verhalten weit weniger verbreiten und entfalten kann und sich gleichzeitig alle Individuen in diesem Kollektiv schneller und erfolgreicher entwickeln können.

Es ist also unser Ziel, alle unsere Kollektive auf solch eine gemeinsame Basis zu stellen und somit auch bestmögliche Bedingungen für die Entwicklung aller Individuen in diesen Kollektiven zu erlangen. Nur so können der schädliche Einfluss des Liberalismus in all seinen Erscheinungen erfolgreich zurückgedrängt und weitere Schritte in der Bewusstseins- und Persönlichkeitsentwicklung, sowie im Parteiaufbau als Ganzes gegangen werden.

In diesem Artikel ist deutlich geworden, dass der Liberalismus ein zentrales Problem der kollektiven und individuellen Entwicklung für uns Kommunist:innen ist. Sicherlich würde es wenig nützen und den Begriff verwässern, wenn wir dazu übergehen, jedes Problem einfach als „Liberalismus“ zu brandmarken. Jedoch lässt sich festhalten, dass beim Kampf für die Bewältigung jeder einzelnen Herausforderung im Leben einer kommunistischen Organisation der Liberalismus unweigerlich als Hemmnis in diesem Kampf auftreten wird.

Die Arbeit für die Eindämmung diesen Elements bürgerlicher Ideologie muss mit der entsprechenden Konsequenz überall geführt werden, wo es auftritt.■

1Individuum und Kollektiv: https://komaufbau.org/individuum-und-kollektiv

2Siehe auch Mao Tse-Tung: Gegen den Liberalismus. Ausgewählte Werke Band 2. S. 27–30

3Stalin: Grundlagen des Leninismus, SW Bd. 6, S. 160

4Repression und Antirepression – wie gehen wir damit um?, https://komaufbau.org/repression-und-antirepression-wie-gehen-wir-damit-um

5Resolution des 4. Kongress: Die Bolschewisierung als notwendige Grundlage des Parteiaufbaus, https://komaufbau.org/resolution-die-bolschewisierung-als-notwendige-grundlage-des-parteiaufbaus