Ihre Bedeutung für die Kader:innenentwicklung

Für den Aufbau einer Kommunistischen Partei sind die Kader:-innenentwicklung und die Schaffung von Berufsrevolutionär:innen zentrale Bausteine. Dieser Satz ist wohl im Bezug auf jedes Land auf der Welt richtig. Unter den spezifischen Bedingungen im imperialistischen Deutschland geben wir ihm aber ein ganz besonderes Gewicht. Denn der Prozess, sich von unzähligen bürgerlichen Eigenschaften zu lösen, sich von tausend Fäden, Seilen und Ketten, die uns an dieses System binden zu befreien und die eigene Persönlichkeit zu revolutionieren, erweist sich für alle Genoss:innen im Rahmen ihrer Kader:innenentwicklung als eine besondere Herausforderung.

In diesem Artikel wollen wir uns nur mit einem Teilaspekt dieses schier unendlichen Themenfelds beschäftigen: Vorbildern. Dass es Revolutionär:innen wie Lenin, Rosa Luxemburg oder auch Ivana Hoffmann gibt, denen wir heute nicht nur gedenken, sondern die uns auch Orientierung geben, dürfte eine Aussage sein, die die allermeisten Kommunist:innen in Deutschland unterschreiben würden. Aber damit ist die Frage der Vorbilder bei weitem nicht gelöst.

Denn was verstehen wir eigentlich unter einem Vorbild? Was heißt es für uns, nicht nur Vorbilder zu haben, sondern auch selbst Vorbild zu sein? Wie vermeiden wir es in ein bürgerliches, idealisierendes Verständnis von Vorbildern und „Idolen“ zu verfallen? Diesen Fragen wollen wir uns in der folgenden Ausarbeitung widmen. Darüber hinaus wollen wir uns aber auch ganz konkret damit befassen, welchen praktischen Einfluss Vorbilder oder das Vorbildsein auf das revolutionäre Kollektiv, aber auch auf die Gesellschaft und somit auf die Bildung einer neuen Arbeiter:innenbewegung haben.

Was ist eigentlich ein „Vorbild“?

Stellen wir uns vor, dass wir in einer deutschen Stadt heute beliebige Personen auf der Straße danach fragen würden, wer ihre Vorbilder sind. Die Antworten wären wohl sehr vielfältig. Für die einen wären es die Eltern oder andere Bezugspersonen. Vielleicht würden wir hören: „Mein Vorbild ist meine Schwester, weil sie erfolgreich in ihrem Job ist.“ Andere würden auf die Frage mit berühmten Stars und Sternchen unserer Zeit antworten. Vielleicht mit einem Sportler oder einer Musikerin. Gemeinsam würden die genannten Vorbilder wohl haben, dass sie bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten verkörpern, die so wertvoll erscheinen, dass man ihnen nacheifern will.

Gerade der Umgang mit Berühmtheiten der kapitalistischen Kultur- und Medienindustrie oder anderen Stars als Vorbildern wirkt sich aber oft genug äußerst destruktiv gerade auf die jugendlichen Teile der Arbeiter:innenklasse aus. Das kann auch gar nicht anders sein, wenn wir uns anschauen, welche „Idole“ wir heute vor die Nase gesetzt bekommen und welche Eigenschaften diese verkörpern. Denn häufig haben sie wirklich keine Gemeinsamkeiten mit der Lebensrealität der Arbeiter:innenklasse. Die meisten „Idole“, die wir heute angeboten bekommen, sind Teil der Kapitalist:innenklasse und verkörpern somit auch die Werte und Ideale der Bourgeoisie. Abgesehen davon, dass sie für uns schon allein aufgrund unserer Klassenzugehörigkeit nicht erreichbar sind, so ist das, was sie verkörpern, von unserem Klassenstandpunkt aus auch gar nicht erstrebenswert.

Als Revolutionär:innen sind wir im Bezug auf unsere Vorbilder oft schon etwas wählerischer. Auf die Frage nach unserem Vorbild würden wir vermutlich andere Antworten geben, als sonst in der Gesellschaft üblich. Zum Beispiel könnten wir eine große Revolutionärin wie Olga Benario nennen, der wir aufgrund ihrer Entschlossenheit und ihres Mutes nacheifern. Oder ist es vermessen und arrogant, wenn wir uns gleich die besonders systematische Arbeitsweise und Disziplin eines Karl Marx zum Vorbild nehmen, mit der es ihm gelungen ist, die Grundzüge der Wissenschaft zur Befreiung unserer Klasse zu entwickeln? Besteht darin ein Problem? Grundsätzlich natürlich nicht. Die historische Arbeiter:innen-bewegung hat schließlich zahlreiche Personen hervorgebracht, die wir zurecht als Vorbilder bezeichnen können. Nicht umsonst gedenken wir ihnen auch noch heute und lassen sie in unserem Kampf weiterleben, denn im Gegensatz zu den bürgerlichen Idolen teilen wir dieselben revolutionären Vorstellungen. Aber nicht selten stolpern wir in unserer eigenen Persönlichkeitsentwicklung und der Überwindung subjektiver Grenzen, selbst wenn wir uns eine noch so revolutionäre Persönlichkeit zum Vorbild nehmen. Eine der Ursachen ist, dass sich das bürgerliche Verständnis von Vorbildern oft genug in unseren Beziehungen zu bekannten Revolutionär:innen bis hin zu unseren eigenen Genoss:innen reproduziert: Sie werden selbst zu idealisierten „Stars und Sternchen“.

Wenn wir diese Herangehensweise auf die Spitze treiben, dann werden Vorbilder, an denen wir uns orientieren, letztlich zu Hemmnissen für unsere Persönlichkeitsentwicklung statt zu Kraftquellen. Zum Beispiel, weil wir uns permanent anhand einer vermeintlich perfekten Person, die so selbstverständlich nur in unserer Phantasie existiert, die eigene scheinbare Minderwertigkeit vor Augen führen. Das können wir zum Beispiel erleben, wenn Genoss:innen darüber klagen, dass sie jede Nacht mindestens sechs Stunden schlafen, obwohl in der Biographie von Jakow Swerdlow klipp und klar steht, dass dieser mit vier Stunden prima ausgekommen ist. Doch gerade im Vergleich mit berühmten Revolutionär:innen dürfen wir die gesellschaftlichen Bedingungen nicht ignorieren, unter welchen sie geformt wurden. Mit dieser Erkenntnis sollten wir uns zwar nicht selbst künstlich begrenzen oder unsere eigenen Schwächen entschuldigen, aber es kann uns vielleicht davor bewahren, uns an idealisierten Vorbildern zu messen, an denen wir nur frustrieren können. Das macht es natürlich nicht falsch, sich gefallene Revolu-tionär:innen zum Vorbild zu nehmen, im Gegenteil: In der aktiven Auseinandersetzung mit ihren Stärken und Schwächen, den Entscheidungen, welche sie getroffen haben in bestimmten historischen Momenten, ihren Zweifeln und ihrem Mut können wir vieles finden, was für uns auch heute lehrreich ist. Das macht sie aber nicht zu makellosen Held:innen, sondern zu einem lebendigen Teil der revolutionären Geschichte, von der auch wir heute ein Teil sind.

Doch das bürgerliche Verständnis sowie der zuweilen destruktive Umgang mit Vorbildern und „Idolen“ macht zuletzt auch keinen Halt vor unseren Beziehungen als Genoss:innen untereinander. Vielleicht hat es in dieser Hinsicht sogar eine noch viel größere Bedeutung für unsere Entwicklung, da wir uns unmittelbar im tagtäglichen revolutionären Kampf gegenseitig beeinflussen. Im Verhältnis zu unseren Genoss:innen zeigt sich dann jedoch zusätzlich die Tendenz, einzelne von ihnen auf ein Podest zu stellen, oftmals verbunden mit Gefühlen von Neid, Eifersucht und Konkurrenz.

Das aber sind Gefühle und Gedanken, die man ohne Übertreibung als Gift für die Kader:innentwicklung und die Atmosphäre unseres revolutionäres Kollektivs bezeichnen kann. Denn sie stehen dem, was notwendig ist, vollkommen entgegen: Die Erfolge unserer Genoss:innen als unsere eigenen Erfolge zu betrachten und vorbehaltlos alles dafür zu geben, sie zu vergrößern und zu unterstützen.

Dementsprechend können wir schon hier erste Schlussfolgerungen ziehen. Nämlich in erster Linie, dass die Versteifung auf ein einziges großes Vorbild, dem wir nacheifern wollen, nichts anderes ist als ein „Rotes Idol“ zu schaffen, sich damit in ein enges Korsett der Kader:innenentwicklung zu sperren und somit letztlich das bürgerliche Verständnis von „Vorbildern“ zu reproduzieren. Es ist nicht möglich, ein für unsere individuelle Entwicklung in jeder Hinsicht perfektes Vorbild zu finden und wir sollten es auch gar nicht erst versuchen. Vielmehr ist es notwendig, dass wir uns entsprechend der aktuellen Bedürfnisse der revolutionären Bewegung die Eigenschaften verschiedener Genoss:innen zugleich zum Vorbild nehmen, ohne darin zu verfallen, uns unerreichbare Ziele zu stecken.

Die praktische Bedeutung von Vorbildern

Seien es ‚Stars und Sternchen‘ oder Freund:innen und Genoss:innen, die meisten Menschen definieren sich in erster Linie über andere Menschen.“ 1

Dieses Zitat aus unserem Artikel „Marxismus und Psychologie“ leitet uns von einer allgemeinen Betrachtung zur konkreteren Bedeutung von Vorbildern für die politische Praxis. Das menschliche Bewusstsein und all unsere Verhaltensweisen entstehen und existieren nicht im luftleeren Raum. Sie sind ein Produkt von einem komplexen Zusammenspiel aller natürlichen und gesellschaftlichen Einflüsse. Die Gesellschaft wiederum ist „die Summe aller Verhältnisse, in denen die Individuen zueinander stehen, in Abhängigkeit zueinander handeln, sich gegenseitig beeinflussen und entwickeln.“ 2

In der Konsequenz bedeutet das also, dass unser Denken, unsere Persönlichkeit und unsere Verhaltensweisen zu einem nicht unerheblichen Teil auf die Prägung durch unser persönliches Umfeld zurückzuführen sind. Während wir bisher Vorbilder in diesem Artikel vor allem in dem gesellschaftlich üblichen Sinne betrachtet haben, nämlich als Personen, die man sich bewusst „zum Vorbild nimmt“, ist es also wichtig zu betonen, dass die wohl wichtigsten Vorbilder für unsere Persönlichkeitsentwicklung vielmehr unbewusst entstehen.

Das bedeutet umgekehrt aber auch, dass wir selbst einen prägenden Einfluss auf unsere Umgebung haben, ob wir das wollen oder nicht. Das Abschauen von Verhaltensweisen und die Entwicklung von Meinungen und Positionen sind häufig ein unbewusster Prozess, der dafür umso häufiger bewusst von außen beeinflusst wird.

Die Bourgeoisie ist sich über die genannten gesellschaftlichen Mechanismen durchaus im Klaren und weiß das voll und ganz für sich auszunutzen. Sie hat die materielle Macht, ihre Ideologie über alle ihr zur Verfügung stehenden Wege in die Massen zu tragen und dabei bürgerliche Vorbilder zu schaffen, die ihre Werte verkörpern.

Als Kommunist:innen, die den Anspruch haben, die revolutionäre Vorhut der Arbeiter:innenklasse zu sein, muss es also unsere Aufgabe sein, neue Vorbilder zu schaffen und selbst zu Vorbildern zu werden, welche sozialistische Werte verkörpern und damit die Verhaltens- und Denkweise unserer Klasse in ihrem objektiven Interesse beeinflussen.

Negative und positive Vorbilder

Da der Begriff „Vorbild“ landläufig fast immer in einem positiven Sinne verwendet wird, ist es wohl sinnvoll in Erinnerung zu rufen, dass es auch das sprichwörtliche „schlechte Vorbild“ gibt. Denn das unbewusste Abschauen von Verhaltensweisen umfasst nicht nur positive Eigenschaften, sondern auch negative. Wenn wir aber von negativen und positiven Vorbildern sprechen, dann bezieht sich das auf das Vorbildsein in einem bestimmten Aspekt und nicht auf eine Person als Ganzes.

Eine Genossin kann in manchen Bereichen sehr voranbringend, also ein positives Vorbild sein, in anderen Bereichen aber dennoch Schwächen und negative Eigenschaften haben. Es gibt nicht den oder die perfekte Kader:in, die frei von bürgerlichen Eigenschaften wäre. Somit haben auch in unseren Kollektiven die wichtigsten Vorbilder, man könnte auch sagen die prägenden Genoss:innen, eine doppelte Rolle: Sie können zugleich positive als auch negative Vorbilder sein.

Denn häufig orientieren wir uns nicht nur an den positiven, revolutionären Eigenschaften unserer Genoss:innen, sondern auch fälschlicherweise an ihren negativen und begrenzenden Eigenschaften. Zum Beispiel, indem wir sie innerlich als Ausreden dafür verwenden, dieselben Fehler wie sie begehen zu dürfen und es ihnen gleichzutun. Oder wir verwenden sie als Rechtfertigung dafür, uns mit unseren eigenen Schwächen zu versöhnen, die vielleicht in einem ganz anderen Bereich liegen.

Wenn eine leitende Genoss:in regelmäßig zu spät kommt oder ihr Selbststudium nicht gewissenhaft macht, dann darf das für uns keine Ausrede sein, frei nach dem Motto: „Wenn Genoss:in XY das so macht, dann darf ich das wohl auch!“. Wenn eine Genoss:in sich sehr enge Grenzen in der eigenen Kader:innenentwicklung setzt, dann darf das sicherlich keine Begründung dafür sein, es genau so zu tun. Stattdessen benötigt es aktive Anstrengungen, den Einfluss von negativen Vorbildern zurückzudrängen, indem sie nicht unwidersprochen hingenommen und diese kritisiert werden, insbesondere dann, wenn sie einen besonders prägenden Einfluss auf das Kollektiv haben.

Kritik und Selbstkritik dient unter anderem gerade dazu, die Stärken und Schwächen einer jeden Person kollektiv einzuschätzen. Dabei wird festgehalten, welche Stärken gefördert und welche Schwächen bekämpft werden müssen. Im besten Fall geht das Erkennen und Einschätzen von Schwächen und negativen Eigenschaften jedoch nicht nur von unseren Genoss:innen, sondern auch von uns selbst aus.

Vorbildlich mit den eigenen Schwächen umzugehen kann zum Beispiel bedeuten, diese auch selbst offen anzusprechen und sie kritisieren zu können. Gerade durch den selbstkritischen Umgang kann der Einfluss der eigenen Schwächen eingedämmt und unsere Genoss:innen dahingehend positiv beeinflusst werden, dass sie sich eben nicht an unseren negativen Eigenschaften und Begrenzungen orientieren.

Doch genauso, wie wir nicht den Kapitalismus vernichten können, ohne den Sozialismus aufzubauen, reicht es nicht „negative Vorbilder“ einfach zu kritisieren. Stattdessen gilt es, selbst vorbildhaft voranzugehen. Unvermeidlich bestehende negative Vorbilder können wir dauerhaft nur zurückdrängen, indem wir ihnen umso mehr positive Vorbilder entgegensetzen.

Lasst uns zu bewussten Vorbildern werden!

Können wir uns das „Vorbildsein“ aussuchen? Die Antwort darauf dürfte entsprechend der vorherigen Ausführungen relativ einfach sein. Grundsätzlich können wir uns nicht aussuchen, ob wir selbst und unser Verhalten als Vorbild genutzt wird oder nicht. Es ist nicht möglich, keinen Einfluss auf andere Menschen auszuüben. Das würde ja auch gar nicht unserem Anspruch entsprechen, den wir an uns als Kommunist:innen gesetzt haben. Vielmehr müssen wir diesen Einfluss ganz gezielt einsetzen. Wir sind also alle Vorbilder im weiteren Sinne. Als Teil eines revolutionären Kollektivs gilt das nur umso mehr.

Wenn wir uns diese Tatsache bewusst machen, gibt uns das die Möglichkeit, die Vorbildrolle aktiv anzunehmen und eine Entscheidung darüber zu treffen, was für ein Vorbild wir sein wollen und wie wir unsere Genoss:innen beeinflussen wollen. Wie bereits ausgeführt wurde, sind es jenseits der historischen Vorbilder heute insbesondere unsere Genoss:innen und somit auch wir selbst, welche unsere Kollektive und die einzelnen Individuen darin prägen und welche somit aktiv die Verantwortung annehmen müssen, revolutionäres Vorbild zu sein. Es gibt für diese Aufgabe keine allgemeine Checkliste und auch keine simple Antwort, trotzdem wollen wir hierzu einige zentrale Punkte zusammenfassen.

Die Verantwortung der Vorbildrolle dauerhaft annehmen

Jede Kommunist:in hat die Aufgabe zu leiten. Sei es innerhalb eines bestimmten Arbeitsbereichs, in der Kader:innenentwicklung unserer Genoss:innen oder innerhalb der Massen. Jede Kommunist:in hat deswegen die Pflicht, sich der eigenen Vorbildrolle bewusst zu sein und diese Verantwortung anzunehmen. Das ergibt sich schon allein aus dem Anspruch heraus, als kommunistische Kader:in Teil der Vorhut der Arbeiter:innenklasse zu sein.

Wir haben bereits herausgearbeitet, dass wir heute insbesondere Vorbilder präsentiert bekommen, welche die Werte der Bourgeoisie verkörpern und es dementsprechend unsere Aufgabe sein muss, neue Vorbilder der Arbeiter:innenklasse zu schaffen, um diese in ihrem Denken, Fühlen und Handeln zu beeinflussen. Am besten gelingt uns das, indem wir die erstrebenswerten Verhaltensweisen selbst an den Tag legen, überall, wo wir uns bewegen, auch und vor allem dann, wenn wir den vermeintlich abgesteckten „politischen Rahmen“ verlassen.

Ob auf dem Rückweg von einer Aktion, in unserer Wohnung oder bei der wohlverdienten Essenspause nach einer stundenlangen hitzigen Diskussion: Unser Leben als politisches Kollektiv kennt keine schematischen Grenzen, aber oft genug verhalten wir uns genau so. Die Verantwortung des Vorbildseins bewusst anzunehmen, muss für uns vor allem bedeuten, es dauerhaft, immer und überall zu tun.

Lasse ich mich beispielsweise beim Mittagessen von den Lästereien mitreißen, die in der ganzen politischen Widerstandsbewegung unseres Landes doch so typisch sind? Oder schreite ich bewusst ein und zeige auf, dass ein solidarischer und revolutionärer Umgang auch dann anders aussehen muss, wenn wir „unter uns“ sind? Interveniere ich als Kommunist, wenn meine männlichen Genossen „unter sich“ sind und in ihre typische patriarchale Redeweise zurückfallen, oder bleibe ich schweigend ein Teil des Männerbündels?

Angst vor Fehlern oder Angst vor Verantwortung?

Wir haben bereits festgestellt, dass Vorbildsein nicht gesetzmäßig positive Auswirkungen haben muss. Was aber folgt aus der ständigen Gefahr, dass sich unsere Genoss:innen gerade an unseren negativen Eigenschaften ein Vorbild nehmen? Bedeutet das, dass wir nur noch Aufgaben angehen und erledigen sollten, bei denen wir uns zu einhundert Prozent sicher sind, dass wir sie perfekt erledigen? Das wäre ein sehr schematisches und fatales Missverständnis unserer Ausführungen.

Je mehr Aufgaben wir übernehmen und je mehr Verantwortung auf den eigenen Schultern lastet, desto mehr Fehler können passieren, vor allem aber können unsere Fehler größere Auswirkungen haben. Und anders herum: Je ungeübter und unerfahrener man bei einer bestimmten Aufgabe ist, zum Beispiel dem Anleiten eines Treffens, desto holpriger läuft es vielleicht beim ersten, beim zweiten und auch beim dritten Mal.

Beide Beispiele haben gemeinsam, dass wir als Revolution-är:innen Fehler machen – unabhängig davon, wer schon wie lange aktiv ist. Gleichzeitig ist jedoch das Fehler machen das, wovor viele von uns am meisten Angst haben, gepaart mit der altbekannten Angst vor Kritik. Die eigenen Fehler anzuerkennen hat jedoch nichts mit Schwäche zu tun. Im Gegenteil, eine solidarische Fehlerkultur, bei welcher „Fehler“ nicht als persönliches Versagen gelten, sondern als normaler Bestandteil sowohl der Entwicklung eines jeden Individuums als auch der ganzen Organisation, ist unerlässlich dafür, Entwicklung überhaupt zu ermöglichen – eben dadurch, dass Fehler erkannt, kritisiert und korrigiert werden können.

Es gehört also zum Vorbildsein dazu, einen konstruktiven Umgang mit den eigenen Schwächen zu erlernen und zu vermitteln. Einer der Gründe, weshalb das häufig nicht gelingt und es stattdessen eine ausgeprägte Angst oder Abwehr gegen Kritiken gibt, ist ein stark ausgeprägter subjektiver Perfektionismus. Viele werden das sicherlich kennen: Man übernimmt eine bestimmte Aufgabe, zum Beispiel das Schreiben einer Rede, und versucht diese bestmöglich zu erfüllen. Vielleicht schleichen sich schon währenddessen ängstliche Gedanken ein, ob der Redebeitrag perfekt genug wird, ob es Kritiken geben könnte, und so weiter.

Wenn es dann tatsächlich zu Verbesserungsvorschlägen oder Kritiken kommt, dann stellt sich bei „perfektionistischen“ Genoss:innen häufig das Gefühl ein, versagt zu haben oder gescheitert zu sein. Sie entwickeln einen selbstzerstörerischen Umgang mit den eigenen Fehlern und Kritiken von anderen. Nicht selten mündet das darin, dass bestimmte Aufgaben oder Verantwortungen einfach gar nicht mehr übernommen werden – weil man die Kritik von vornherein vermeiden möchte.

Das Ergebnis davon ist also die Entwicklung von Mechanismen, wie man sich Kritiken am effektivsten entziehen kann. Eine Möglichkeit, die wir häufig beobachten können, ist der Rückzug in Nischen und bestimmte Teilbereiche der politischen Arbeit, und voilà! Wir entziehen uns damit nicht nur der Kritik, sondern begrenzen auch besonders effektiv unsere Kader:innenentwicklung!

Nun könnte man dem entgegenstellen, dass man dem die Entwicklung hemmenden Perfektionismus am besten begegnet, indem wir die Ansprüche, die wir an uns und unsere Genoss:innen stellen, senken. Doch damit würden wir es uns wahrlich leicht machen und der „Kampf gegen den Perfektionismus“ verkommt zu einer Ausrede, quasi zu einer pauschalen Rechtfertigung für halbgar erledigte Aufgaben. Das Problem sind jedoch nicht etwa zu hohe Ansprüche, im Gegenteil. Als organisierte Kommunist:innen ist es doch gerade unser Anspruch, diese stetig zu erhöhen! Das Problem ist vielmehr, dass sich im subjektiven Perfektionismus ein bürgerlicher Umgang mit eben diesen Ansprüchen, mit Fehlern, Kritiken und den eigenen Schwächen ausdrückt. Somit wird der Perfektionismus selbst zum Hemmschuh für die Entwicklung jeder einzelnen Genoss:innen und letztlich auch für die ganze Organisation.

Ein positives Vorbild zu sein bedeutet also, Fehler als unvermeidlichen Bestandteil der revolutionären Arbeit anzuerkennen, Kritiken als Chance und Motor für die Überwindung der eigenen Fehler und Schwächen zu nutzen und dennoch den Anspruch zu haben, den eigenen Aufgaben so erfolgreich wie möglich nachzukommen. Mit dieser Haltung gilt es voranzugehen und mutig die Verantwortung für die Entwicklung der Organisation anzunehmen.

Verantwortung annehmen heißt „Mit Gutem Vorbild vorangehen“

Was aber heißt das, „Verantwortung annehmen“? Das bedeutet in erster Linie, dass alle Ansprüche, welche wir an unsere Genoss:innen stellen, auch unsere eigenen sein sollten und wir bemüht sein müssen, diese selbst zu erfüllen. Ja mehr noch: Wenn wir sie nicht selbst erfüllen, dann wird die diesbezügliche Kritik, die wir an unsere Genoss:innen richten, ihren Zweck verfehlen oder von vielen Genoss:innen gar nicht erst ernst genommen werden. Anstatt bei bloßem Kritizismus und dem Formulieren von Appellen und Erwartungen stehen zu bleiben, müssen wir uns klarmachen, dass wir die Arbeit unserer Kollektive auch durch unser eigenes Verhalten als Vorbild formen müssen. Es gilt, selbst die Verantwortung dafür zu übernehmen, als lebendiger Teil des Kollektivs unsere Organisation als Ganzes weiterzuentwickeln. Das bloße Äußern von Kritiken, ohne danach zu streben diesen selbst gerecht zu werden ist eine zutiefst bürgerliche Eigenschaft, die entweder daher rührt, dass man die Notwendigkeit in der Praxis nicht erkennt, oder dass man sich nicht oder nicht ausreichend als handelndes Subjekt, als Revolutionär:in begreift und sich darin auch dementsprechend ernst nimmt. Anstatt also darauf zu warten, dass jemand anderes kommt und Probleme und Mängel für uns behebt oder uns klare Direktiven und Anweisungen erteilt, sollten wir als Vorbilder selbst die Bereitschaft zeigen, Aufgaben zu übernehmen, Fehler zu korrigieren und konkrete Schritte nach vorn zu gehen.

Revolutionären Optimismus verbreiten

Wir haben nun viel gelesen zu den unterschiedlichen Aspekten des Vorbildsein, zu Fallstricken und Hürden, zur Reproduktion bürgerlicher Verhaltensweisen in diesem Aspekt. Außerdem wurde ein tieferes Verständnis von der gegenseitigen bewussten und unbewussten Einflussnahme von Individuen herausgearbeitet und was das heute mit uns, unseren revolutionären Kollektiven und dem Aufbau einer neuen Arbeiter:innenbewegung zu tun hat.

Ein revolutionäres Vorbild zu sein bedeutet letztlich, die eigenen Genoss:innen und die Massen mitzureißen, indem man entschlossen vorangeht und eine positive Haltung den Aufgaben und Anforderungen gegenüber entwickelt. Als Kader:innen revolutionären Optimismus zu verbreiten bedeutet nicht, zwanghaft gut gelaunt zu sein und Widersprüche und Konflikte zu vertuschen, sondern ein ausgeprägtes Siegesbewusstsein und einen Kampfgeist zu entwickeln und allen Widrigkeiten der revolutionären Arbeit erhobenen Hauptes zu trotzen. Natürlich sind wir keine Held:innen mit übermenschlichen Fähigkeiten. Wir alle haben schlechte Tage, manchmal auch Zweifel, sind frustriert und können nur schwer Motivation aufbringen. Aber als kommunistische Kader:innen müssen wir lernen, uns dem nicht unwidersprochen hinzugeben, sondern uns gegenseitig dabei zu unterstützen, diese Phasen zu überwinden und uns durch das eigene Vorbildsein immer wieder gegenseitig mitzureißen! Eine positive Haltung gegenüber den Aufgaben, welche die Revolution an uns stellt, können wir uns erarbeiten. Dafür müssen wir uns aktiv dafür entscheiden, diese Verantwortung anzunehmen.

Denn letzten Endes geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die Organisation der sozialistischen Revolution. Ohne die Massen die bereit sind für die Entbehrungen, die ein revolutionärer Bürgerkrieg mit sich bringt; die selbst ihre Ketten zu sprengen und sich nicht niederschlagen lassen durch die Konterrevolution; die sich als handelndes Subjekt im Klassenkampf begreifen, ist diese Revolution unmöglich.

Von wem aber sollen sie diesen revolutionären Optimismus lernen? An wem sollen sie sich orientieren? Wenn wir erfolgreich sein wollen, dann müssen wir als Kommunist:innen als lebendiger Teil der Massen und revolutionäre Vorhut der Arbeiter:innenklasse zu diesem Orientierungspunkt werden.

Dafür müssen wir uns unserer Verantwortung und unserer Wirkung bewusst werden und selbst die Schritte gehen und uns bemühen, den Ansprüchen gerecht zu werden, die wir auch an unsere Genoss:innen und langfristig auch an unsere Klasse stellen.

1Kommunismus Nr. 22, „Marxismus und Psychologie“, Seite 26

2Kommunismus Nr. 22, „Marxismus und Psychologie“, Seite 24